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Full text of "Lehrbuch der praktischen Augenheilkunde"

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LEHRBUCir 


West  Virginia  University  Libraries 


DEK' 


3  0802   102292894  2 

PRAKTISCHEN  AUGENHEILKUNDE. 


VON 


D^  KAE,L[STELLWA&  VOI  CARIOI 

O.  Ö.  PROFESSOR  DKlt  AL'GKNHEILKUNDK  AN  DEK  K.  K.  ÜNIVEKSITÄT  WIEN. 


FÜNFTE    AUFLAGE. 


MIT  3  OHROMOLITHOGRAPHIBTEN   TAFELN   UND  109  HOLZSCHNITTEN. 


WIEN,  1882. 
W  I  L  H  E  L  ]\I   B  R  A  U  M  Ü  L  L  E  R 

K.  K.  HOF-  UND  UNIVERSITATSr.UCHHÄNriLER, 


^ 


Medicinische  Lehr-  und  Handbücher 

aus   dem  Verlage  von 

Wilhelm  BraumüUer,  k.  k.  Hof-  uiul  Uiiiversitills-ßurJiIiiindler  in  "Wien. 

Von  demselben  Verfasser : 

Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  praktischen  Augenheilkunde. 

Ergänzungen  zum  Lelirbuclie.    Unter  Mitwirkung  der  Herren  Prof.   Dr. 
K.  Wedl  und  Dr.  E.  Hampel.    Mit  22  Holzschnitten,  gr.  8.  1882. 

5  /.    —    10   M. 
Der  intraoculare  Druck  und  die  Innervations- Verhältnisse  der  Iris 

vom  augenürztliclien  Standpunkte  aus  betrachtet,    gr.   8.   1868. 

1  /.   —   2  ilf. 

Allbert,  Dr.  Ed.,  o.  ö.  Professor  der  Chirurgie  und  Vorstand  der  chirur- 
gischen Klinik  an  der  k.  k.  Universität  in  Wien.  Diagnostik  der 
chirurgischen  Krankheiten  in  zwanzig  Vorlesungen.  Zweite  ver- 
besserte Auflage.  Mit  46  Holzschnitten,  gr.  8.  1882.  'd  fl.  50  kr.  —  IM. 

Alit,  Dr.  Ferd.  Ritter  TOn,  o.  ö.  Professor  der  Augenheilkunde  in 
Wien.  Klinische  Darstellung  der  Krankheiten  des  Auges,  zunächst 
der  Binde-,  Hörn-  und  Lederhaut,  dann  der  Iris  und  des  Ciliarkörpers. 
Mit  einer  xylographirten  Tafel,   gr.   8.    1881.  B  fl.  —  6   ilf. 

Braun,  Ritter  YOII  Feriiwald,  Dr.  Carl,  wirkl.  Hofrath,  o.  ö.  Uni- 
versitäts-Professor und  Vorstand  der  ersten  ärztlichen  Klinik  für  Geburts- 
kunde und  Frauenkrankheiten  in  Wien.  Lehrbuch  der  gesammten 
Gynaekologie.  Zweite  gänzlich  umgearbeitete  und  wesentlich  ver- 
vollständigte Auflage,   gr.   8.    1881.  10  /.   —   20  M. 

Brücke,  Dr.  Ernst,  k.  k.  Hofrath  und  0.  ö.  Professor  an  der  Universität 
in  Wien.  Vorlesungen  über  Physiologie.  Unter  dessen  Aufsicht  nach 
stenographischen  Aufzeichnungen  herausgegeben.  Zwei  Bände.  (I.  Band 
dritte  Auflage.  IL  Band  zweite  Auflage.)  Mit  180  Holzschnitten, 
gr.   8.   1876.    1881.  '         12  /.   50  kr.  —   25   M. 

Fick,  Dr.  Adolf,  o.  ö.  Professor  der  Physiologie  an  der  Universität 
in  Würzburg.  Compendium  der  Physiologie  des  Menschen  nebst 
einer  Darstellung  der  Entwiekelungsgeschichte  von  Dr.  Ph.  St  Öhr, 
Prosector  in  Würzburg.  Dritte  gänzlich  neu  bearbeitete  Auflage.  Mit 
vielen  Holzschnitten,  gr.  8.  (Unter  der  Presse.) 

Heitznianil,  Dr.  C.  Die  descriptive  und  topographische  Anatomie 
des  Menschen    in   600  xylographischen  Abbildungen.    Zweite    Auf- 
lage. Zwei  Bände  oder  sechs  Lieferungen,  gr.  8.  1875.     15/.  —  30  M. 
In  einen  Band  in  Leinwand  gebunden:     16/.  —  32  M. 
—  —  Compendium.    der    Chirurgie.     Zwei    Bände.     Mit   46  7    Holz- 
schnitten,  gr.   8.  13  /.   50  kr.  —  27   M. 
I.  Band:    Compendinm   der    chirurgischen    Pathologie  und  Therapie. 
Fünfte  Auflage.  Mit  102  Holzschnitten.    1881.  <3 /.  —   12  M. 
II.       „        Compendium     der    chirurgischen    Instrumenten-,    Verband- 
und    Operationslehre.    Zweite    Auflage.    Mit    365    Holzsclmitten. 
1878.                                                                                7  /.  50  kr.  —  15  M. 


LEHRBUCH 


DER 


PRAKTISCHEN  AUGENHEILKUNDE 


VUN 


D^     K  ARl/sTELLWAG    VON    CARION 

O.  Ö.  PROFESSOR  DER  AUGKNHEILKUNUK  AN  DER  K.  K.  UNIVERSITÄT  WIEN. 


FÜNFTE    AUFLAGE. 


MIT  3  CHKUMOLITHOGKAPHIKTEN  TAFKLN  UND  1U9  HOLZSCHNITTEN. 


WIEN,   18^. 

WILHELM    BRAUMÜLLEK 

K.  K.  HOF-  UND  UNIVERSITÄTSBUCHHÄNDLEK. 


MAR  10 1970        f/r^ 

WEST  VIRGINIA  UNIVERSITY 
WlEDICAt  CENTER  LIBRARY 


CLC4^ 


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LOCKED  CAGE:   CIRCUUTE  IN  LIBRARY  ONLY  l 

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^''i^A 


1882 


VORWORT 

zur   vierten    A  n  f  1  a  j?  e. 


1 /er  geneigte  Leser  rindet  in  der  vorliegenden  vierten  Auflage 
meines  Lehrbuches  eine  wesentliche  Umgestaltung  zahlreicher  Al)- 
schnitte,  insbesondere  eine  gründliche  Umarbeitung  der  Lehre  von 
den  Refractionsfehlern  und  vom  Schielen.  Ich  hoflfc  damit  manchen 
Anstoss  zur  gedeihlichen  Fortentwickelung  der  Augenheilkunde  ge- 
geben zu  haben. 

Bei  der  Anführung  von  (Quellen  wurden  dieselben  Grundsätze 
festgehalten  wie  in  der  dritten  Auflage.  Es  war  mir  weniger  darum 
zu  thun,  den  wahren  oder  angemassten  Prioritätsansprüchen  einzelner 
Autoren  Rechnung  zu  tragen,  als  vielmehr  auf  die  neuzeitigen  Ar- 
beiten hinzuweisen ,  in  welclien  der  Forscher  sich  über  einzelne 
Punkte  des  Näheren  zu  unterrichten  hoffen  darf.  Ohne  Zweifel  ist 
mir  manches  Werthvolle  entgangen,  was  der  Einsichtige  entschul- 
digen wird,  ohne  dass  icli  die  Gründe  auseinandersetze.  Li  Betretf 
der  Citatlücken,  welche  das  Capitel  über  die  Functionsstiirungen 
der  Muskeln  enthält,  muss  ich  übrigens  bemerken,  dass  die  Aufnahme 
alles  dessen,  was  in  dieser  Richtung  veröffentlicht  worden  ist,  nicht 
möglich  schien,  ohne  den  Gegenstand  übermässig  zu  compliciren  und 
das  Verständniss  zu  erschweren,  indem  die  einschlägigen  Arbeiten 
grösstentheils  auf  ganz  heterogenen  Grundlagen  fassen  und  sich 
darum  nicht  leicht  in  die  neue  Lehre  einfügen  lassen. 


Ö( 


I 


.8 


lY  Voi'wort. 

Die  Holzschnitte,  welche  krankhafte  Verhältnisse  bildlieh  dar- 
stellen, sind  durchwegs  nach  der  Natur  gezeichneten  Originalen  ent- 
nommen. Dasselbe  gilt  für  den  allergrössten  Theil  der  chromolitho- 
graphischen Figuren.  Einzelne  der  letzteren  sind  der  Raumersparniss 
halber  aus  mehi*eren  Originalzeichnungen  combinirt. 

Wien,  im  Juh   1870. 

Stellwag. 


Systematisches  Inhalts -Verzeichniss. 


ERSTES  HAUPTSTÜCK. 

Die  Entzündung  und  ihre  Folgen   S.    1. 

Seite 

Allgemeines    iibei'  die  Behandlung    der  Augen  entzüii  dun  gen  1 

1.  Abschnitt.  Entzündimg  der  Hornhaut 53 

1.  Keratitis  vasculosa 63 

2.  Herpes  corneae 67 

3.  K.  punctata  und  Hydvomeningitis 78 

4.  K.  diffusa  oder  parenchymatosa 79 

5.  K.  suppurativa 82 

Folgezustände  der  Keratitis. 

1.  Pannus 109 

2.  Hornhautflecke  und  Narben 116 

3.  Ectasien  oder  Staphyloine 132 

a.  Hornhautstaphylom 132 

b.  Narbiges  Hornhautstaphylom 140 

c.  Narbenstaphylom 142 

2.  Abschnitt.  Entzündungen  des   Glaskörpers 153 

3.  Abschnitt.  Entzündung  des  Sehnei-ven 166 

4.  Abschnitt.  Entzündung  der  Netzhaut 177 

1.  Neurodictyitis  difl'usa .  193 

2.  Neurodictyitis  exsudativa 206 

3.  Neurodictyitis  uephritica 212 

Netzhautabhebung 216 

Schwund  der  Netzhaut  und  des  Sehnerven,  Amaurosis,  Amblyopie.  227 

Pigmententartung,  typische,  der  Netzhaut 267 

5.  Abschnitt.  Entzündung  der  Regenbogenhaut 270 

Künstliche  Pupillenbildung  iind  Verlagerung 294 

6.  Abschnitt.  Entzündung  der  Aderhaut  und  des  Strahlenkörpers 370 

l<v  Iridokvklitis,  Iridochorioiditis 325 

2/  Glaucom 341 

3.  Chorioiditis  suppurativa 366 

7.  Abschnitt.  Entzündung  der  Lederhaut 377 

Scleralstaphylome 381 

1.  Sclerochorioidalstaphylome 382 

a.  Totales  Sclerochorioidalstaphylom 382 

b.  Partielles  Sclerochorioidalstaphylom 384 

2.  Staphyloma  scleroticae  posticum  Scarpae 393 

8.  Abschnitt.  Entzündung  der  Bindehaut 404 

1.  Katarrh 416 

2.  Syndesmitis  membranosa 423 

3.  Blennorrhoe  und  Pyorrhoe 427 

4.  Ophthalmoblennorrhoea  infantum 440 

5.  Diphtheritis 445 

6.  Trachom  oder  Ophthalmia  granulosa 451 

7.  Herpes  conjunctivae .    .    .  469 

Folgezustände  der  Bindehautentzündungen 472 

1.  Flügelfell 472 

2.  Xerosis 478 


VI  Inlialts-Yerzeichniss. 

Seite 

9.  Ahschnitt.  Entzündung  der  Lider 480 

1.  Lidabscess 491 

2.  Acne  ciliaris 494 

3.  Blejibaritis  ciliaris 496 

4.  Blepharitis  tarsalis  oder  Hordeolum 504 

F  olgeziis  tau  de  der  Blepharitis 511 

1.  Ankyloblepharon  und  Blei^harophimose 511 

2.  Symblepharon 513 

3.  Distichiasis  und  Trichiasis 518 

4.  Entropium 527 

5.  Ektropium 534 

10.  Ahschnitt.  Entzündung  der  Thr'dnenorgane 547 

1.  Phlegmonöse  Thräueuschlauchentzüudung 557 

2.  Thräneuschlauchbleniiorrhoe 561 

11.  Ahschnitt.  Entzündung  der   Orhitalgebilde 577 

1.  Basedow'sche  Krankheit 584 

2.  Augenhöhlenabscess 590 

3.  Caries  und  Necrosis  der  Orbitalknochenwandungen 597 

ZWEITES  HAUPTSTÜCK. 

Die  krankhaften  Geschwülste  S.    602. 

1.  Die  extraoculären  Geschwülste 640 

2.  Die  iutraoculären  Geschwülste 647 

Die  Enucleatio  bulbi 653 

Die  Einlegung  künstlicher  Augen 656 

DRITTES  HAUPTSTÜCK. 

Der  graue  Staar  S.    G59. 

1.  Discissio  cataractae 737 

2.  Lineare  Extraction 739 

3.  Lappenextraction 742 

4.  Extraction  mit  dem  peripheren  Linearschnitte 748 

VIERTES  HAUPTSTÜCK. 
Functionsfehler  S.   755. 

/.  Abschnitt.  Refractions-  und  Accommodationsfehler 755 

1.  Kurzsichtigkeit 781 

2.  Uebersichtigkeit 801 

3.  Abnormer  Astigmatismus 815 

4.  Asthenopia  accommodativa 827 

5.  Accommodationsparesen 831 

6.  Mydriasis 834 

7.  Accommodationskrämpfe 838 

8.  Myosis 840 

2.  Ahschnitt.  Entoptische  Erscheinungen,  Scotome 842 

3.  Abschnitt.  Functionsstörungen  des  UclUempfindenden  Apparates 847 

Hemeralopie 858 

4.  Abschnitt.  Functionsstörungen  der  Augenmuskeln 863 

1.  Strabismus  couvergens 889 

2.  Strabismus  divergens 921 

3.  Nystagmus 932 

4.  Lähmungen 935 

Alphabetisches  Register 950 

Kurze  Erklärung  der  Tafeln 959 


BESTES  HATJPTSTÜCK. 
Die  Entzündung  und  ihre  Folgen. 


Allgemeines  über  die  Belianclluiig-  der  Augenentzünduiigeii. 

Die  Behandlung:  hat  im  Wesentlichen  die  Aufgabe,  die  Ernährungs- 
möglichkeiten des  entzündeten  Theiles  thunlichst  günstig  zu  gestalten,  um 
den  Ausgleich  der  vorhandenen  Nutritionsstörung  zu  erleichtern.  Um  diese 
Aufgabe  gehörig  würdigen  zu  können,  ist  es  nothwendig,  sich  vorerst  über 
die  Kreislaufs-  und  Innervationsverhältnisse  des  Auges  zu  verständigen. 

Was  die  Circulationsverhältnisse  betrifft,  so  ist  sehr  wohl  zu  beachten, 
dass  der  Blutlauf  im  Inneren  des  Auges  andere  Bedingungen  vorfindet,  als 
in  den  zu-  und  abführenden  scleralen  und  orbitalen  Gefässen  sammt  deren 
Stämmen  bis  zum  Herzen. 

Im  Binnenraume  des  Auges  macht  sich  neben  den  allgemeinen  Strö- 
mungswiderständen noch  der  Umstand  geltend,  dass  die  gef äs sführ enden  Or- 
gane, Uvea  und  Netzhaut ,  fl'dchenartig  zwischen  die  dioptrischen  Binnen- 
medien  und  die  Bulbuskapsel  eingeschaltet  sind.  Die  dioxjtrisclien  Binnen- 
medien  sind  vermöge  des  überaus  geringen  Procentes,  welches  sie  an  festen 
Bestandtheilen  führen,  als  nahezu  unzusammendrückhar  zu  erachten.  Die 
Bidhuskapsel  aber  ist  in  einem  gewissen  Grade  elastisch  dehnJiar,  und  zwar 
muss  diese  Eigenschaft  auf  Grund  schlagender  Versuche  (Mayrhofer)  der 
Siebmembran  sogar  in  einem  ziemlich  reichen  Masse  zuerkannt  werden. 
Entsprechend  diesen  Verhältnissen  wird  der  Seitendruck  des  im  Inneren  des 
Auges  kreisenden  Blutes ,  soweit  ihn  nicht  die  elastisch  contractilen  Ge- 
fässwände  neutralisiren,  sich  auf  die  Bulbuskapsel  überpflanzen  und  diese 
spannen,  bis  deren  elastischer  Gegendruck  dem  effectiven  Seitendrucke  des 
Blutes  das  Gleichgewicht  hält. 

Der  effective  Seitendruck  oder  die  spannende  Kraft,  auf  eine  Mass- 
einheit der  inneren  Kapselfläche  berechnet,  heisst  nun  intraocularer  oder 
Binnendruck.  Derselbe  kommt  in  der  fühlbaren  Bulbushärte  zur  objectiven 
Wahrnehmung,  ohne  dass  jedoch  beide  gleichbedeutend  wären  oder  auch 
nur  in  einem  coustanten  Verhältnisse  zu  einander  stünden.  Die  fühlbare 
Bulbushärte  ist  eben  der  Ausdruck  für  den  Widerstand,  welchen  die  Bulbus- 
kapsel im  Zustande  der  Spannung  einer  tveiteren  Dehnung  entgegenstellt. 
Dieser  Widerstand  hängt  aber  offenbar  nicht  blos  von  dem  Grade  der  be- 
reits   vorhandenen  Spannung,    also  nicht  blos    von  der    spannenden  Kraft, 

Stellwag,  Augenheilkunde.  1 


2  üaemostatisclie  Verhältnisse:  Tonometer:  Blutdruck. 

sondern  auch  von  dem  Masse  der  elastischen  Dehnbarkeit,  also  von  zwei 
ganz  verschiedenen  Momenten  ab,  deren  jedes  für  sich  von  der  2s"orm  ab- 
weichen kann. 

So  kommt  es  z.  B.  recht  oft  vor,  dass  das  Mass  der  elastischen  Dehnbarkeit 
der  Bulbuskapsel  auf  ein  sehr  kleines  herabsinkt,  fast  XuU  wird  nnd  dem  ent- 
sprechend der  "Widerstand  ganz  ausserordentlich  steigt,  der  Augapfel  sich  so  hart 
wie  Holz  oder  Bein  anfühlt,  obgleich  der  effective  Seitendruck  im  Binnenstrom- 
gebiete absolut  nur  ein  kleiner  sein  kann. 

Man  sieht  daraus,  dass  die  sogenannten  Tonometer  oder  Ophthalmotonometer 
ganz  unbrauchbar  sind,  um  den  intraomJaren  Druck  zu  messen.  Sie  liefern  nur 
Werthe  für  den  Widerstand,  welchen  die  Bulbusoberfläche  einer  drückenden  Feder 
(Der,  MonnikJ  oder  einer  Quecksilbersäule  entgegenstellt,  also  Werthe  für  eine 
Grösse,  welche  vom  intraocularen  Drucke  und  von  der  elastischen  Dehnbarkeit  der 
Kapsel  abhängt,  ausserdem  aber  auch  noch  sehr  bedei;tend  von  dem  Contractions- 
zustande  der  äusseren  Augenmuskeln ,  den  Circulationsverhältnissen  in  der  Orbita 
u.  s.  w.  modificirt  wird,  und  bei  der  Schwierigkeit  einer  ganz  gleichen  Application 
nicht  einmal  einen  richtigen  Vergleich  der  Ergebnisse  an  beiden  Augen  desselben 
Individuums  ermöglicht. 

Wird  das  Gleichgewicht  zwischen  dem  Binnendrucke  und  dem  ela- 
stischen Gegendrücke  der  Bulbuskapsel  durch  eine  Zunahme  des  arteriellen  Blut- 
druckes gestört,  so  muss  offenbar  die  Spannung  der  Kapsel  und  damit  auch 
der  elastische  Gegendruck  derselben  vermehrt  werden.  Da  der  letztere  nun 
das  ganze  auf  unzusammendrückbarer  Unterlage  ruhende  Binnenstromgebiet 
gleichmässig  trifft,  so  wird  der  arterielle  Strom  fernerhin  schon  bei  seinem 
Eintritte  in  den  Binnenraum  vermehrte  Widerstände  finden  und  geschwächt 
werden,  während  das  venöse  Blut  mit  Beschleunigung  aus  dem  Inneren  des 
Auges  ausgetrieben  wird.  Erfolgt  die  Gleichgewichtsstörung  liingegen  durch 
eine  Verminderung  des  arteriellen  Blutdruckes ,  so  muss  die  Spannung  und 
damit  der  elastische  Gegendruck  der  Kapsel  sinken.  Der  arterielle  Strom 
wird  dann  bei  seinem  Eintritte  in  den  Binnenraum  auf  geringere  Widerstände 
stossen ,  und  daselbst  mit  einer  grösseren  Quote  der  vom  Herzen  über- 
kommenen Ki-aft  auf  die  Gefässwände  diiicken ,  wälu-end  anderseits  der 
Venenstrom  wegen  der  Schwächung  eines  wesentlichen  treibenden  Factors, 
nämlich  des  von  den  Arterien  durch  die  CapiUaren  fortgepflanzten  Herz- 
druckes, verlangsamt  werden  muss. 

Der  intraoculare  Druck  kann  nach  allem  dem  mit  dem  arteriellen 
Blutdrücke  nicht  proportional,  sondern  nur  in  einem  viel  geringeren  Ver- 
hältnisse steigen  und  fallen.  Da  nun  die  effective  Kj-aft  des  Herzens  im 
Ganzen  eine  bescliränkte  ist  und  daher  auch  der  allgemeine  Blutdruck  nur 
innerhalb  enger  Grenzen  steigerbar  erscheint,  besonders  an  der  Peripherie 
des  Gefösssystems,  nach  Ueberwindung  so  vieler  Widerstände :  so  muss  man 
annehmen ,  dass  der  intraoculare  Druck  durch  blosse  Vergrösserung  des  all- 
gemeinen  Blutdruckes  nur  wenig,  wenn  überhaupt  erhöht  werden  könne.  Die 
Erfahi'ung  bestätigt  dieses,  rechtfertigt  aber  auch  zugleich  die  correlative 
Vermuthung,  dass  umgekehrt  blosse  Verminderung  des  arteriellen  Blutdritckes 
kaum  eine  merkliche  Abnahme  des  intraocularen  Druckes  nach  sich  zu  ziehen 
vermöge. 

Wirklich  lassen  sich  durch  die  dermalen  zu  Gebot  stehenden  Mittel  Unter- 
schiede in  der  durchschnittlichen  Spannung  des  Bulbus  nicht  erweisen,  wenn  man 
die  Augen  ausgesprochener  Plethoriker  und  solcher  Kranken,  deren  Radialptils  unter 
stürmischer  Herzthätigkeit  äusserst  voll  und  kräftig  ist,  vergleicht  mit  den  Augen 
hochgradig  anämischer  Individuen  oder  an  Cholera  schwer  darnieder  liegender 
(Graefe)  und  anderer,  selbst  der  Agonie  naher  Kranken,  deren  Radialpuls  bei 
grosser  Herzschwäche    kaum    fühlbar,    fadenförmig   und    leicht    zusammendrückbar 


Biunenpuls;  intraoculäro  Blutmenge ;  Equilibrirung  der  Qefässfüllung.  3 

ist.  Die  Kapselspannung  sinkt  eben  erst  merklich  im  Momente  des  Sterhena,  wo  die 
sichtbaren  Binnengefässe  sich  entleeren  und  der  Augengrund  erblasst  (Bouchut, 
Hippel,   Grünhagen). 

Mit  der  Stetigkeit  des  intraocularen  Druckes  innig  verkettet  und 
Wirkungen  desselben  regulatorischen  Momentes  sind  die  Kleinheit  der  Binnen- 
pulsschwanJcimgen  nnd  eine  gewisse  Constanz  der  jeweilig  im  Inneren  des  Bul- 
bus kreisenden  Blutmenge,  welche  jedoch  ungleiche  Verthcihmgen  nicht  aus- 
schliesst,  sondern  nur  das  thatsächlich  besiehende  Vermögen  voraussetzt, 
örtliche  Ueberfüllungen  durch  gleichwerthige  Entleerungen  anderer  Binnen- 
stromgebiete  auszugleichen    (Memorski). 

Die  Pulsschwanklingen  sind  in  der  That  viel  kleiner,  als  dem  Caliber  der 
sichtbaren  Binnengefässstämme  entspricht.  Sie  kommen  übrigens  nur  an  den  star- 
ken Netzhau/venenstämmen  und  zwar  unter  Benützung  bedeutender  ojibthalmoscopi- 
scher  Vergrösserungen  zur  Wahrnehmung  (Donders).  An  den  Arterien  lassen  sie 
sich  unter  normalen  Verhältnissen  objectiv  nicht  nachweisen  und  suhjectiv  ist  die 
arterielle  Strömung  in  der  entoptischen  Aderhautfigur  entweder  ganz  gJeichmässig 
befunden  worden  (Vierordt,  Laihlin),  oder  man  hat  unter  Umständen  eine  geringe 
der  Herzsystole  isochrone  Beschleunigung  zu  erkennen  vermocht  (Berthold,  Pope, 
Hiptpel,    G-rünhagen). 

Für  die  Stetigkeit  der  intraocularen  Blutmenge  sprechen  die  Ergebnisse  einer 
Reihe  2^f']/-^iologischer  Versuche  an  Thieren  ,  bei  welchen  man  durch  Abschnürung 
der  am  Halse  streichenden  Hauptgefässstämme  zeitweilig  die  Blutströmung  zum 
oder  vom  Kopfe  theilweise  oder  ganz  unterbrochen  hatte  (Kussmaul,  Memorski, 
Trautvetter,  Weber).  Dazu  kömmt,  dass  erfahrungsmässig  selbst  höchstgradige  actlve 
oder  passive  Hyperämien  der  orbitalen  Nachbargebilde  nicht  nothwendig  einen 
merkbaren  Einfluss  auf  die  Totalfüllung  der  Binnengefässe  und  auf  die  Färbung 
des  Augengrundes  ausüben  und  dass  die  Gerichtsärzte  bei  ErlUingten  wohl  eine 
UeberfüUung  der  scleralen  und  orbitalen  Gefässe,  niemals  aber  auch  des  intraocu- 
laren Stromgebietes  angemerkt  haben  (Memorski). 

Das  Ecßtilibrirungsvermögen  der  Binnengefässe  spricht  sich  am  deutlichsten 
in  der  Netzhaut  aus,  indem  daselbst  krankhafte  Erweiterungen  der  Venen  in  der 
Regel  an  merkliche  Verengerungen  der  Arterien  und  diese  an  jene  gebunden  sind. 
Es  besteht  aber  auch  in  der  Uvea,  wie  die  das  Spiel  der  Pupille  gesetzmässig  be- 
gleitenden Volumswechsel  der  Ciliarfortsätze  (0.  Becker)  entnehmen  lassen.  Er- 
wägt man  ferner,  dass  ischämische  Zustände  der  Netzhaut  immer  mit  unverhlasster 
Augengrundfäi-bung  einhergehen  und  dass  bei  der  sogenannten  Embolia  arteriae 
centralis  die  nahezu  völlige  Entleerung  der  sichtbaren  Netzhautarterien  stets  au 
eine  tiefe  Röthung  in  der  Gegend  des  gelben  Fleckes  irnd  öfters  auch  an  Ader- 
haidhhdungen  (Ma.uthner)  geknüpft  ist :  so  erscheint  die  Vermuthung  gerechtfertigt, 
dass  unter  dem  regulatorischen  Einflüsse  der  Bulbuskapsel  auch  Füllungsanomalien 
des  gesammten  retinalen  Stromgebietes  durch  gegensätzliclie  Zustände  der  uvealen  Ge- 
fässnetze  compensirt  werden  können.  Berücksichtigt  man,  dass  die  Iris  und  Cho- 
rioidea  weitaus  überwiegend  aus  Gefässen  bestehen,  deren  Gesammtlumen  jenes 
der  Netzliautgefässe  um  ein  Mehrfaches  übertrifft :  so  erscheint  eine  derartige  Aus- 
gleichung des  Blutgehaltes  sogar  überaus  leicht  und  ohne  auffällige  Caliberäuderung 
der  Uvealgefässe  möglich,  und  es  liegt  nahe  anzunehmen,  dass  der  eigenthümliche 
Bau  der  Aderhaut  gerade  die  Leichtigkeit  solcher  Ausgleiche  bezwecke. 

Der  regidatorische  Einßuss  der  elastischen  Bulbuskapsel  ivird  unwirk- 
sam, rvenn  der  venöse  Abfluss  aus  dem  Binnenstromgebiete  erschwert  oder 
gar  gehindert  ist.  Es  steigen  dann  der  intraoculare  Druck  und  die  im 
Inneren  des  Auges  kreisende  Bhitmenge,  während  an  den  grossen  Binnen- 
gefässstämmen  excursivere  Pulsschwankungen  auftreten.  Doch  genügen  laut 
ph5'siologischen  Experimenten  (Memorski)  und  praktischen  Erfahrungen 
Stauungen  in  den  orbitalen  Venen  und  in  deren  Stämmen  nicht,  um  so 
beträchtliche  Störungen  im  Binnenstromgebiete  zu  begründen;  es  muss 
vielmehr  die  Stauungsursache  unmittelbar  an  den  Durchlassöffnungen  der 
Sclera  wirken. 

1* 


4  Haemostatische  Verhältnisse;    Blutstauung;  Elasticitätsveilust  der  Kapsel. 

Es  kömmt  hier  in  Betracht,  dass  die  extraocularen  Venenstämme  sehr  dünn- 
wandig sind,  in  sehr  nachgiebigen  lockeren  Geweben  nnd  grnssten  Theiles  sehr 
oberfläclilich  streichen,  also  einem  sehr  g-eringen  litisseren  Drucke  atisgesetzt  sind, 
überdies  aber  in  ihrem  Gesammtlumen  das  venöse  Binnenstromgebiet  weitaus  über- 
treften.  Sie  werden  darum  der  Aufnahme  der  verhältnissmässig  sehr  dünnen  Ströme 
bulhären  Venenblutes  um  so  weniger  einen  irgendwie  ins  Gewicht  fallenden  Wider- 
stand entgegensetzen  können,  als  diese  Ströme  unter  dem  mächtigen  elastischen 
Gegendrucke  der  Bulbuskapsel  nach  aussen  gefördert  werden. 

Wirkt  die  Stauungsursache  aber  unmittelbar  an  den  Emissarien  der  Sclero- 
tica,  so  wird  der  frühere  Gleichgewichtszustand  zwischen  dem  Seitendrucke  des 
Blutes  und  dem  elastischen  Gegendrucke  der  Kapsel  nur  dann  aufrecht  erhalten 
werden  können,  wenn  in  den  noch  frei  gehliehenen  Venenstämmen  eine  enfsxjrecliende 
Beschleunigung  des  Blutstromes  Platz  greifen  kann.  Im  gegentheiligen  Falle  muss 
sich  alsbald  ein  Missverhältniss  zwischen  dem  Zu-  und  Abflüsse  des  Blutes  ergeben, 
die  intraoculare  Blutmenge  und  der  Binnendruck  steigen,  und  dies  zwar  unter  sonst 
gleichen  Umständen  um  so  mehr,  je  grösser  der  arterielle  Blutdruck  und  je  grösser 
die  Siimine  der  venösen  Widerstände  ist.  Der  Gleichgewichtszustand  wird  also 
verrückt^  die  Spannung  der  Kapsel  tand  deren  Gegendruck  vermehrt;  folglich  müssen 
die  noch  freigebliebenen  Venenstämme,  besonders  die  den  Emissarien  nahen  Stamra- 
theile,  bei  jeder  anrückenden  arteriellen  Blutwelle  sich  rascher  und  vollständiger 
entleeren,  als  sonsten,  demnach  excursivere  Pidsschwankmigen  zeigen.  In  dem  Masse 
aber,  als  die  partielle  Beschleunigung  des  venösen  Rückflusses  unzureichend  wird, 
die  sie  bedingenden  rhythmischen  Steigerungen  des  arteriellen  Seitendruckes  aus- 
zugleichen, die  Widerstände  des  arteriellen  Blutzuflusses  also  wachsen,  muss  der 
Puls  auch  an  den  Schlagadersfämmen  deutlicher  und  deutlicher  hervortreten. 

Der  regulatorische  Einfliiss  der  Bulbuskapsel  wird  feruer  herabge- 
setzt durch  Verminderung  ihrer  elastischen  Dehnharheit,  wie  selbe  an  vorge- 
schrittene senile  Involution  des  Auges  geknüpft  zu  sein  pflegt ,  aber  aiich 
als  ein  habitueller  Zustand  bei  manchen  Individuen  und  selbst  bei  ganzen 
Familien  beobachtet  wird.  Einerseits  setzt  eine  starre  Kapsel  nämlich  der 
Erweiterung  der  venösen  Durchlässe  grössere  Widerstände  entgegen  und 
erschwert  so  den  Ausgleich,  wenn  irgendwie  veranlasste  Steigei'ungen  des 
arteriellen  Blutzuflusses  einen  beschleunigten  und  vermehrten  Abfluss  ve- 
nösen Blutes  fordern.  Andererseits  kömmt  in  Ileclmung,  dass  die  regula- 
torische Wirkung  der  Bulbuskapsel  sich  nur  so  weit  zur  Geltung  bringen 
kann ,  als  eine  gewisse  Quote  elastischer  Dehnbarkeit  verfügbar  bleibt. 
Diese  Quote  wird  aber  offenbar  bei  gleicher  Spannung  mit  der  Rigidität 
der  Kapsel ,  und  bei  gleicher  elastischer  Dehnbarkeit  mit  der  Höhe  der 
vorhandenen  Spannung  im  umgelcehrten  Verhältnisse  steigen  und  fallen.  Ist 
die  elastische  Dehnbarkeit  der  Kapsel  von  vorn  herein  Null  oder  wurde 
sie  durch  Spannung  völlig  erschöjift,  so  wird  natürlich  auch  der  regula- 
torische Einfluss  gänzlich  aufgehoben  sein  und  die  Kapsel  sich  so  verhalten, 
wie   eine  starre    Wand. 

Es  ist  dabei  selbstverständlich  ganz  gleichgiltig,  ob  der  vorhandene  Grad 
der  Spannung  lediglich  durch  den  intraocularcn  Druck  bedingt  ist,  oder  durch 
einen  äusseren  auf  den  Bulbus  wirkenden  Druck  ,  da  dieser  durch  die  incompres- 
siblen  Binnenmedien  eben  auch  auf  die  Innenwand  der  Kapsel  übertragen  wird. 
In  Uebereinstimmung  damit  lassen  sich  durch  einen  auf  den  Augapfel  ausgeübten 
Fingerdruck  wirklich  sehr  cxcursive  Pulsschwankungen  an  den  retinalen  Gefäss- 
stämmen  hervorrufen  (Graefe,  Donders),  ixnd  zwar  um  so  leichter  und  sicherer,  je 
starrer  die  Kapsel  ttnd  je  höher  der  bereits  vorhandene  Grad  der  Spannung  ist. 

Der  regulatorische  Einfluss  der  Bulbuskapsel  ist  übrigens  in  hohem 
Grade  abhängig  von  Verhältnissen ,  welche  die  En-  und  Exosmose  sowie 
die   Filtration  im  Auge  vorfindet. 

Er  muss  wesentlich  unterstützt  werden,  wenn  im  Bulbus  wie  ander- 
wärts  jede    abnorme   Steigerung    des    Druckes ,    unter    welchem    die  Theile 


Söcrclion  uiul  Filtration;   tMiiduss  i1ur,st'Iljmi  auf  dun  Binnendruck.  Q 

stehen,  eine  vcvirn'hrit^  Abfuhr^  jo(l(>s  abnorme  Sinken  des  Druckes  hinj>;e2,'en 
eine  vermehrte  AOlayerimy  von  Stoffen  im  Gefolge  hat.  In  einem  sokilien 
Falle  kann  nämlich  offenbar  der  intraoculare  Druck  niemals  in  dem  Masse 
steigen  und  fallen,  als  der  Zu-  oder  Abnahme  des  Seitendruckes  in  den 
Binnengefässen  und  der  Summe  der  venösen  Stromwiderstände  entspräche ; 
die  Schwankungen  des  intraocularen  Druckes  müssen  stets  liinter  diesem 
Masse  zurückbleiben  tind  unter  günstigen  Umständen  sogar  völlig  ausge- 
glichen werden  können.  Wirklicli  lässt  sich  das  Walten  solcher  corapen- 
satorischer  Strömungen  und  auch  ein  beträchtliches  Leistungsvermögen  der- 
selben am  normalen  Auge  durch  einen  einfachen  Versuch  ausser  allen 
Zweifel  stellen.  Wird  ein  einigermassen  kräftiger  Druck  auch  nur  kurze 
Zeit  auf  den  Bulbus  ausgeübt,  so  vermindern  sich  die  dioptrischen  Binnen- 
medien rasch  um  ein  Gewisses ;  der  Verlust  ersetzt  sich  indessen  eben  so 
schnell  wieder,  nachdem  der  Druck  aufgehoben  wnrde  (Donders).  Was 
aber  ein  äusserer  Druck  vermag,  das  leistet  sicherlich  auch  der  Gegendruck 
einer  von  Innen  her  abnorm  hoch  gespannten  Kapsel ,  obgleich  das  Re- 
sultat den  geänderten  Verhältnissen  gemäss  in  seinen  Einzelnheiten  manche 
Abweichungen  dai'bieten  muss.  In  der  That  zeigt  sich  bei  krankhaften, 
dixrch  Venenstauungen  bedingten  Steigerungen  des  intraocularen  Druckes 
in  der  Regel  schon  sehr  frühzeitig  eine  merkliche  Ahnahme  des  Humor 
aqueus  neben  einer  äquivalenten  Zunahme  des  Glaskörper  umfang  es.  Es  treten 
sich  hier  eben  der  auf  den  dioptrischen  Binnenmedien  lastende  erhöhte 
Kapseldriick  imd  der  durch  die  Venenstauung  gesteigei'te  Seitendruck  des 
Blutes  mit  ihren  bezüglichen  Wirkungen  theilweise  entgegen.  Sind  nämlich 
Analogieschlüsse  gestattet,  so  muss  der  erhöhte  Kapseldri(,ck  zu  einer  Ver- 
mehrung der  Resorption  und  namentlich  zu  einer  \^erstärkung  der  Trans- 
fusion durch  die  Cornea ,  also  zu  einer  Verminderung  des  Kammer wass er s 
führen ;  der  gesteigerte  Seitendruck  des  Blutes  aber  muss  die  Filtration, 
besonders  im  Bereiche  der  mit  Gefässen  weitaus  am  reichlichsten  ver- 
sehenen Aderhaut,  potenziren  und  damit  eine  Vergrösserung  des  Glaskörper- 
umfanges  veranlassen. 

Es  bedarf  nach  allem  dem  nicht  der  Annahme  einer  besonderen  Secretions- 
anomalie  oder  gar  einer  eigenthiinilichen  Erlcrankung-  bestimmter,  die  Secretion  be- 
lierrschender  Nerven  (Donders,  Wegner,  Hippel,  GrünhagenJ,  um  jene  Erscheinungen 
zu  erklären.  Eine  solche  Hypothese  könnte  übrigens  um  so  weniger  befriedigen, 
als  sie  ganz  entgegengesetzte  Innervationszustände  in  der  vorderen  und  hinteren 
Bulbushält'te  voraussetzen  und  damit  den  anatomischen  Verhältnissen  der  Ciliar- 
nerven einigermassen  Gewalt  anthun  müsste.  Insolange  daher  die  noch  sehr  ver- 
worrenen und  zum  Theile  tcidersprechenden  Ergebnisse  physiologischer  Experimente 
(Wegner,  Cl.  Bernard,  Donders,  Adamük,  Hippel,  Grünhagen)  keine  besseren  Stütz- 
punkte für  die  Beurtheilung  der  Secretionsvorgänge  im  Binnenraume  liefern,  thut 
man  jedenfalls  besser,  sicli  an  eine  einfachere  Erklärung  zu  halten,  die  Ver- 
mehrung der  Vitrina,  sowie  die  Verminderung  der  Kammerfeuchtigkeit  auf  ganz 
analoge  Vorgänge,  nämlich  auf  gesteigerte  Filtration  aus  den  Gefässen  und  auf 
verstärkte  Transfusion  durch  die  Hornhaut  zurückzitführen  und  beide  aus  den  ob- 
waltenden Druckverhältnissen  abzuleiten. 

Der  regulatorische  Einfluss  der  Bulbuskapsel  kann  endlich  durch  ab- 
norme Verhältnisse  der  Filtration  und  Osmose  beschränkf  oder  gar  völlig 
aufgehoben  werden.  Vom  praktischen  Standpunkte  kommen  in  dieser  Be- 
ziehung blos  Abweichungen  in  Betracht,  welche  eine  Verminderung  der 
dioptrischen  Medien  anbahnen  und  damit  die  Resistenz  des  Augapfels 
vöUig  vernichten  können,    so  dass  derselbe  sich  ganz  weich   und  welk  aU" 


6  Haemostatische  Verhältnisse;  Verminderung  der  Binnenmedien;  Secretionsnenrose. 

fühlt  oder  die  Cornea  wohl  gar  runzelig  wird.  Man  hat  einen  solchen 
Zustand  bei  scheinbar  völliger  Integrität  der  einzelnen  Bulbusorgane  bald 
als  ein  periodisches,  paroxismenartig  auftretendes  und  mit  neuralgischen 
Anfällen  im  Gebiete  des  Trigeminus  verknüpftes  (GraefeJ,  bald  als  ein 
stetig  zu-  und  abnehmendes  (Nagd)  Leiden  beobachtet  und  auf  eine  Art  von 
Secretionsnenrose  bezogen.  In  der  Regel  jedoch  begleitet  er  tief  in  die  Er- 
nährungsverhältnisse des  Bulbus  eingreifende  manifeste  Krankheitsprocesse 
(Raleigh)  und  ist  eines  der  hervorstechendsten  Merkmale  des  beginnenden 
i;nd   fortschreitenden  Augapfelschwundes. 

Man  glaubt  noch  vielseitig,  dass  Steigerungen  des  intraocularen  Druckes, 
folgerecht  also  auch  alinorme  Spannungen  und  damit  begründete  Beschränkungen 
der  regulatorischen  Wirkung  der  Kapsel,  lediglich  durch  eine  Vermehrung  der  diop- 
frischen  Binnenmedieii  veranlasst  werden  können.  Abgesehen  jedoch  von  den  wider- 
streitenden Ergebnissen  physiologischer  Versuche  (Griinhagen,  Memorski,  Adamük, 
Hippel)  lässt  sich  dagegen  einwenden,  dass  bei  normalen  Circulationsverhält- 
nissen  die  Quelle  der  '  Secretion  sich  immer  frühzeitig  selber  stopfen  müsste,  in- 
soferne  nämlich  mit  der  Massenzunahme  der  Binnenmedien  die  Widerstände  des 
arteiiellen  Blutzuflusses  und  die  Abfuhr  venösen  Blutes  wachsen  würde.  Es  wird 
damit  selbstverständlich  die  Möglichkeit  erheblicher  Vermehrungen  der  dioptrischen 
Binnenmedien  nicht  geläugnet.  Diese  kommen  thatsächlich  vor,  wo  die  Räumlichkeit 
der  Bulbushöhle  durch  Ectasien  welcher  Art  immer  zugenommen  hat.  Sie  sind  aber 
dann  nicht  sowohl  die  Ursache  als  vielmehr  die  Folge  der  Kapseldehnung  und  das 
Mittel,  durcli  welches  sich  der  Seitendruck  des  in  beschränkt  erweiterbaren  Gefässeu 
strömenden  Blutes  mit  dem  elastischen  Gegendrucke  der  Kapsel  wieder  ins  Gleich- 
gewicht zu  setzen  vermag. 

Hat  die  Masse  der  dioptrischen  Binnenmedien  krankhafter  Weise  eine 
Einhusse  erlitten,  so  befindet  sich  das  intraoculare  Stromgebiet  unter  den- 
selben physikalischen  Verhältnissen,  wie  dort,  wo  ein  Theil  der  Binnenme- 
dien durch  eine  Kapselwtmde  zu  entweichen  Gelegenheit  gefunden  hat.  Es 
sinkt  der  intraoculare  Druck  und  damit  auch  die  elastische  Spannung  der 
Kapsel  auf  Null,  während  gleichzeitig  die  Unterlage  verloren  geht,  gegen 
welche  die  Kapsel  das  Binnenstromgebiet  drücken  könnte.  Es  sind  dem- 
nach die  Widerstände  beseitigt,  welche  dem  Eintritte  des  arteriellen  Blutes 
von  Seite  der  Kapsel  entgegengestellt  werden,  während  gleichzeitig  auch 
ein  wesentlicher  treibender  Factor  für  den  venösen  Blutstrom  wegfällt. 
Die  Binnengefässe  dehnen  sich  demnach  aus,  so  weit  es  der  örtliche  Blut- 
druck erheischt  und  die  elastische  Contractilität  ihrer  Wandungen  gestattet; 
in  den  Schlagadern  machen  sich  Pulsbewegungen  derselben  Form  und  Grösse 
bemei'klich,  wie  in  anderweitigen  Arterien  von  gleichem  Durchmesser, 
während  das  Venenblut  in  mehr  gleichmässigem  Strome  ablliesst.  Das  Bin- 
nenstromgebiet hat,  kurz  gesagt,  seine  Autonomie  eingebüsst,  es  nimmt  an 
allen  Kreislaufsstörungen  der  zu-  und  abführenden  extraocularen  Stämme 
vollen  Antheil,  wird  daher  auch  von  dem  Zustande  des  Orbitalpolsters  und 
von  den  Spannungsverhältnissen  der  den  Bulbus  umgebenden  Muskeln 
beeinllusst. 

Die  Belege  dafür  liefert  eine  Reihe  directer  (Memorski) ,  und  namentlich 
manometrischer  (Grünhagen,  Wegner,  Adamük,  Hippel,  Weber)  Versuche.  Die 
letzteren  sind  liier  insoferne  beweiskräftig,  als  es  für  die  Circulationsverhält- 
nisse  im  Innern  des  Bulbus  ziemlich  gleichgültig  ist,  ob  sich  ein  Theil  der  dioptri- 
schen Medien  frei  nach  aussen  entleei't,  oder  in  eine  wohl  eingepasste  Röhre  ent- 
weicht. Die  im  Manometer  eingeschlossene  Flüssigkeitssäule  muss  allerdings  die 
Widerstände  des  Abflusses  vergrössern,  kaiui  aber  bei  allen  Vorsichten  und  Ver- 
besserungen des  Instrumentes  (Hiptpel,  Gri'mhagen,  Adamük)  nun  rind  nimmer  den 
mit  dem    Binnendrucke   stets   wechselnden   elastischen  Gegendruck   und   folgerecht 


Manometer  ;  Normale  Binnendruckschwankungen.  7 

auch  nicht  den  regulatorischen  Einfliiss  ersetzen,  welchen  eine  völlig  ^e*c/i/o*.9e»ze  normale 
Bulbuskapsel  auf  das  intraoculare  Stromt^ebiet  ausübt,  und  vermöge  welchem  dieselbe 
jede  Vermehrung  des  arteriellen  Zuflusses  durch  eine  entsprechende  Zunahme 
des  venösen  Abflusses  auszugleichen  strebt.  Bürge  dessen  sind  einerseits  die  r-InjUi- 
miichen,  mit  dem  IIerzj)ulso  und  mit  dem  wechselnden  Kespirationsdrucke  isochro- 
iiischen  Schioankiou/en  der  Manometersäule,  andererseits  die  ganz  enorme  Verenge- 
rung der  Pupille  (Hipjjel,  Grünhagen,  Adavmk)  welch«  sich  selbst  im  gtark  atro- 
piuisirten  Auge  in  dem  Momente  einstellt,  als  die  Canüle  durch  die  Kapsel  gestos- 
sen  wird  und  so  lange  anhält,  als  die  Röhre  den  Binnenmedien  ein  Ausweichen 
gestattet.  Diese  Myosis  deutet  nämlich  aus  Analogiegründen  mit  grösster  Wahr- 
scheinlichkeit darauf  hin,  dass  die  Spcmnung  im  Inneren  des  Auges  sehr  gesunken 
oder  NuLl  ist.  Dem  widerstreiten  auch  keineswegs  die  höchst  heträchüichen  Unter- 
schiede, welche  sich  durch  Versuchsmodificationen  im  mittleren  Stande  der  Mano- 
metersäule erzielen  lassen;  denn  diese  sind  der  Ausdruck  für  das  Walten  einer 
Summe  von  sehr  verschiedenen  Kräften,  welche  die  Binnenmedien  zum  Ausweichen 
bestimmen,  aber  nicht  in  der  Weise  auf  die  geöffnete  Kapsel  übertragen  werden 
können,  dass  sie  deren  elastischen  Gegendruck  herausfordern.  Es  concurriren  dabei 
der  Seitendrvxck  im  intraocular^i  und  orbitalen  Stromgebiete,  der  Spanuungs- 
zustand  der  animalischen  und  organischen,  den  Bulbus  umgebenden  Muskeln,  der 
Widerstand  des  Orbitalpolsters  u.  s.  w.,  ohne  dass  es  möglich  wäre,  die  Einzeln- 
wirkung dieser  Factoreu  zu  ermessen.  Es  ist  darum  auch  ganz  ungerechtfertigt, 
wenn  man  die  Ergebnisse  nianovietrischer  Versuche  als  Prämissen  für  Schlüsse  auf 
die  Verhältnisse  des  Binnendruckes  im  geschlossenen  Auge  benützen  will.  Sie  sind 
von  unschätzbarem  Werthe,  doch  nur  so  weit  es  sich  um  allgemein  giltige  Strö- 
mungsgesetze handelt. 

Man  darf  übrigens  den  regulatorischen  Einfluss  der  völlig  unver- 
sehrten Kapsel  und  die  damit  zusammenhängende  Stetigkeit  des  Binnen- 
druckes und  der  intraocularen  Blutmenge  nicht  für  absolute  halten,  mit 
anderen  Worten  die  AiTtonomie  des  Binnenstromgebietes  nicht  mit  gänz- 
licher Unabhängigkeit  identificiren.  Im  Gegentheile  muss  jeder  Wechsel  im 
allgemeinen  Bhitdrncke  sich  momentan  auch  im  Binnenstromgebiete  gel- 
tend machen.  Die  regulatorische  Wirkung  der  Kapsel  ist  ja  eben  nichts 
anderes,  als  die  elastische  Reaction  der  Cornea  und  Sclera  gegen  thatsäch- 
lich  gegebene  Gleichgewichtsstörungen  und  bedarf  einer,  wenn  auch  noch 
so  geringen   Zeit. 

Es  weisen  darauf  die  ivinzigen  Schwankungen  hin,  welche  im  Normalzustande 
isochron  mit  dem  Herzpulse  und  selbst  mit  dem  wechselnden  Respirationsdrucke 
(DondersJ  objectiv  an  den  Centralstücken  der  retinalen  Venen  und  subjectiv  in  der 
entoptischen  Aderhautfigur  (S.  3)  wahrgenommen  werden.  Auch  ist  es  von  Be- 
deutung, dass  man  in  der  entoptischen  Aderhautfigur  schon  bei  leisem  Drucke  auf 
das  Auge  eine  Verlangsamung  der  Blutströmung  bemerken  konnte  (Berthold). 
Ebenso  verdienen  die  Netzlumthlutungen  Beachtung,  welche  man  bisweilen  im  Ge- 
folge krampfhafter  Muskelzusammenziehungen,  z.  B.  nach  heftigem  Niesen,  Husten, 
Erbrechen,  auftreten  sieht  und  welche  offenbar  auf  Rechnung  von  Blutstauungen 
zu  setzen  sind. 

Man  darf  ferner  nicht  übersehen,  dass  die  regulatorische  Wirkung 
der  elastischen  Bulbuskapsel  tmgleiche  Vertheilungen  der  intraocularen  Blut- 
menge nicht  ausschliesst  und  dass  streng  localisirte  Circulationsstörungen 
ebenso  wie  ausgebreitete  für  die  Ernährungsverhältnisse  der  betreffenden 
Theile  verderblich  werden,  die  Entwickelung  umschriebener  Entzündungs- 
herde begünstigen  und  deren  Verlauf  wesentlich  modificiren  können. 
Endlich  kömmt  in  Betracht,  dass  das  oculistische  Feld  über  den  Binnen- 
raum hinaus  sich  auf  Gefiissbezirke  erstreckt,  welche  unter  der  vollen 
Herrschaft  der  allgemeinen  Kreislaufsgesetze  stehen. 

Es  muss  daher  auch  bei  der  Entwerfung  augenärztlicher  Heilpläne 
alles  auf  das  sorglichste   erwogen  werden,   was  die  Kreislaufs-  und  Ernäh- 


3  lunerrationsverhältnisse ;  Ophthalmia  iutermitteus. 

rimgsbedinguugeu  im  allgemeinen  zu  verrückeu  im  Stande  ist.  In  dieser 
Beziehung  sind  nun  ausser  mancherlei  Abweichungen  in  der  Menge  und 
Mischung  des  Blutes,  welche  besser  im  specieUen  Theile  ihre  Berücksich- 
tigung finden,   besonders    gewisse  Innervationsstörungen  tou  Wichtigkeit. 

Einen  directen  Einiiuss  kann  selbstverständlich  nur  der  Sympathicus 
ausüben,  denn  dieser  ist  es,  welcher  die  Gefiissmuskulatur  und  wahrschein- 
lich auch  die  Eruährungsvorgänge   unmittelbar  beherrscht. 

Ein  solcher  Einfluss  macht  sich  denn  auch  bei  Lähmungs-  und 
Heizzuständen  der  sympathischen  Centra  in  sehr  fühlbarer  Weise  bemerklich. 
Abgesehen  von  den  Folgen,  welche  aus  der  Störung  der  nutritiven  Inner- 
vatiouen  selber  resultiren,  stellen  sich  dann  nämlich  beträchtliche  Byper'd- 
mien  oder  Ischaemien  ein,  welche  auf  die  Ernährungsvorgänge  missgünstis; 
zurückwirken  und  ihrerseits  wieder  sowohl  direct  als  indirect  veranlasst 
sein  können,  letzteres  insoferne  die  Verengerung  oder  Erweiterung  aus- 
gebreiteter Gefässbezii'ke  nothwendig  den  Blutdruck  und  die  Füllung  in 
den  anderen  Stromgebieten  gegensätzlich  gestalten  muss. 

Es  werden  derlei  Ceutralleiden  des  syiuphatischen  Nerven  laut  physiologischen 
Versuchen  an  Thieren  begiündet  durch  die  Einwirkung  eines  wegen  Eespirations- 
nnterbrechnng  mit  Kohlensäure  geschwängerten  Blutes  {Bezohl,  Ludteig,  Thiri/J.  Eine 
andere  Quelle  dieser  Zufälle  liegt  in  gewissen  Giften,  z.  B.  Curare,  Alropin,  Cala- 
har  (Bezold,  Götz,  Bloehaum),  wenn  sie  in  Gefässe  eingespritzt  und  so  mit  dem 
Gehirne  in  Beriihi-ung  gebracht  werden. 

Neuere  Beobachtungen  machen  es  überdiess  wahrscheinlich,  dass  in  der  soge- 
nannten Opthalmia  infennittens  die  Einwirkung  eines  mit  Malariagift  infieirten 
Blutes  auf  die  sympathischen  Centra  zum  symptomatischen  Ausdj-uck  komme,  dieses 
Augenleiden  also  die  Bedeutung  eines  larvirten  Wechselfiebers  habe.  Von  den  älteren 
Autoren  vielfach,  wenn  auch  mit  ziemlich  schwankendenMerkmalen,  beschrieben  (Himly, 
T.  Benedikt, Ruete,  Mackenzie),  hat  die  intermittirende  Ophthalmie  erst  in  jüngster  Zeit 
wieder  die  Aufmerksamkeit  erregt  (Eulejihurg,  Landois).  Es  charakterisirt  sich  die- 
selbe durch  Erscheinungen  der  Gefässparalyse,  welche  in  bestimmtem,  quotidiauen 
oder  tertiären  Tj-pus  auftreten  und,  wenigstens  anfänglich,  mit  völligen  Intermissio- 
nen  wechseln.  Meistens  beschränken  sich  dieselben  auf  die  Bindehaut  und  Lider,  welche 
sich  mehr  weniger  stark  röthen,  oedematös  anlaufen,  während  die  Schleimsecretiou 
zunimmt  und  mitunter  auch  Zeichen  einer  massigen  Ciliarreizung  zum  Vorschein 
kommen  (Staub,  Mannhardt).  Seltener  leidet  das  CiUarsystem  in  höherem  Grade, 
ja  zuweilen  präsentirt  sich  das  Leiden  unter  der  Gestalt  einer  intei-mittirenden 
Iritis  mit  oder  ohne  Hypopyum  (Staub).  Bei  längerer  Dauer  des  Leidens  soll  es 
mitunter  zu  bleibender  chronischer  Ophthalmie,  zu  Trübungen  der  Conjunctiva, 
Atrophie  des  Auges  kommen  können  ( Griesinger).  Einzelne  Autoren  sprechen  auch 
von  intermittirenden  Amaurosen  (TestelinJ,  ohne  dass  es  jedoch  klar  geworden  wäre, 
was  deren  nächster  Grund  sei  und  ob  sie  überhaupt  mit  der  Malariainfection  in 
nähere  Beziehung  gebracht  werden  dürfen. 

In  gleicher  Weise  kömmt  es  zu  Störungen  des  Kreislaufes  und  der 
Ernährung,  wenn  die  gangliosen  Äj)parate,  die  Stämme  und  Zweige  des 
sympathischen  Nerven  in  irgend  welcher  Weise  leiden.  Das  Gesammthild 
der  Krankheit  ist  dann  aber  je  nach  der  OertUchkeit  der  Schädliclikeits- 
cinwirkung  ein  verscliiedenes,  mit  den  anatomischen  Verhältnissen  und  der 
physiologischen  Bedeutung  des  betreffenden  Sympatliicusstückes  wechselndes, 
daher  aiif  diese  Momente  etwas  näher  eingegangen  werden  muss. 

Das  Centrum  des  Sympathicus  wird  aUgemeiu  in  das  verlängerte  Mark  (Schiff', 
SalkowskiJ,  oder  noch  höher  in  die  Grosshirnschenkel  (Budge)  verlegt.  Ein  Theil 
der  hier  entspringenden  Fasern  tritt  gleich  vom  Gehirne  und  der  Medulla  oblon- 
gata  ab  und  legt  sich  an  die  Stämme  einzelner  Gehirnnerven  an,  um  von  diesen 
weiterhin  auf  Gefässe  überzugehen,  oder  mit  ersteren  vereinigt  bis  zur  Peripherie 
hin  auszustrahlen.  So  begleiten    derlei    Fasern   den   Nervus  facialis  (Schiff,  Samuel) 


Aiiatoiiüü  des  Neiv.  syniiiatliicus  uud  tiij^cnüiius.  y 

und  (li'ii  'rrii/niiiiiKs  Iiis  in  die  iiussersten  Grenzen  ihrer  Verzweigiing^Rp^ehiete. 
Zum  »Staiuniu  des  letzteren  g'e.s(dlen  sicli  schon  innerludh  des  Gehirnes  .synii);ilhiscl)e 
Röiircn,  welclie  dann  in  ein  lüindel  x;iis;unnun<j;cdr;ingt  am  niedialtni  Uandc  des 
vereinii;-ten  ersten  und  zweiten  C^uintusastes  zum  Gawjlion  Gasneri  innstreiciieu  und 
sieli  in  dasselbe  einsenken.  Die  llaitptmafise  der  im  Gehirne  entspringenden  Fasern 
zieht  jedoch  im  llUekenmarke  nach  abwärts  und  wird  hier  wahrscheinlich  durch 
Fasern  v(Mstärkt,  welche  aus  dem  Rückenmarice  selber  entspringen.  Die  zum  Auge 
imd  dessen  (Jmi;e/jun</en  (/e/icnden  si/)iipu/ hivchen  Fasern  streichen  in  den  vorderen 
Strängen  der  Medulla  mujekreuzt  nach  abwärts  und  verbinden  sich  hier  mit  anderen 
Fäden,  welche  wahrscheinlicii  von  den  vorderen  und  mittleren  Strängen  ausgehen 
(Budge).  Sie  treten  fast  sämmtlich,  mit  den  vorderen  (Bndge,  Salkoivs/ci)  Wurzeln 
der  betieffenden  Rückenniarksnerven  vereinigt,  unferhaUj  des  sechsten  Halswirbels 
und  o/ierhal/)  des  zweiten  (BeriiardJ  oder  dritten  (liiuhje,  SalkoirskiJ  Brustwirbels 
aus  dem  Rückenmarke  heraus.  Nur  ein  kleines  Bündel,  welches  i'iir  die  Bindehaut, 
die  Lider-  und  die  Tliränendrüse  bestimmt  ist,  geht  in  der  Höhe  des  dritten  Hals- 
wirbels ab  (Landois,  Enlenhurg).  Die  im  ersten  und  zweiten  Brustnerven  streichen- 
den I?ündel  treten  in  die  entsprechenden  beiden  oberen  Brustganglien  ein  und  gehen 
durch  das  verbindende  Stück  des  Grennstranges  in  den  C'ervica/theil  des  letzteren 
über.  Dieser  vereinigt  in  sich  sämvitUche  von  den  8  Halsnerven  zugeführten  sym- 
pathischen Röhren  und  besitzt  3  mächtige  Ganglien.  Die  Richtung  der  Fasern  ist 
in  ihm  eine  aufsteigende  und  wird  von  den  aus  dem  oberen  Halsknoten  hervortre- 
tenden Fasern  fortgesetzt.  Dieselben  schliessen  sich  nämlich  der  Carotis  an  und 
verbreiten  sich  mit  deren  Aesten  Geflechte  bildend  über  alle  Organe  des  Halses 
und  Kopfes.  Eine  Summe  von  Fasern  gelangt  so  mit  der  Carotis  in  die  Schädel- 
höhle zurück  uud  folgt  fürder  theilweise  den  Gefässverzweigungen ,  theilweise  aber 
springt  sie  im  Sinus  cavernosus  auf  das  Ganglion  Gasseri  über,  mischt  sich  hier 
mit  den  direct  vom  Gehirn  dahin  gelangten  sympathischen  Fasern  und  strahlt  in 
die  gesammte  Peripherie  des  Quintus  aus.  Mit  dem  ersten  Aste  des  Trigeminus, 
welcher  noch  einige  Zweige  direct  vom  Carotisgeflechte  aufnimmt,  kommen  die 
sympathischen  Röhren  daini  zum  Auge  und  seinen  Umgehungen,  wo  sie  mit  anderen 
Fasern  zusammentreft'en,  welche  mit  den  Gefässen  und  beziehungsweise  mit  dem 
Nervus  facialis  dahin  gelangt  sind. 

Der  e7-ste  Ast  des  Quintus,  dessen  mit  dem  zweiten  Aste  gemeinschaftliche 
Wurzel  in  der  Medulla  oblongata  liegt  und  mit  dem  Corjms  restiforme  zusammen- 
hängt (Deiters),  geht  mit  den  ihm  beigemischten  sympathischen  Fasern  durch  die 
obei'e  Augenhöhlenspalte  und  theilt  sich  hier  oder  schon  etwas  früher  in  drei 
Zweige.  Der  Nervus  lacrymalis  geht  zur  Thränendrüse  und  zum  äusseren  Theile 
des  Oberlides.  Der  Nervus  frontalis  versorgt  die  Stirnhaut  und  mit  einem  Neben- 
zweige, dem  Nervus  supratrochlearis ,  den  inneren  Theil  des  Oberlides  und  die 
Nasenwurzel.  Der  dritte  Zweig,  der  Nerv,  nasociliaris,  gibt  vorerst  die  Ciliarner'ven 
ab.  Dann  spaltet  er  sich  in  den  Nerv,  infratrochlearis,  welcher  gleichfall*  in  das 
obere  Lid  und  in  die  Haut  der  Nasenwurzel  ausstrahlt,  und  in  den  Nerv,  ethmoidalis, 
welcher  durch  das  Foramen  ethmoidale  in  die  Schädelhöhle  und  von  hier  durch  die 
Siebplatte  zur  Nasenhöhle  läuft,  wo  er  den  vorderen  Theil  der  Schneider'schen 
Haut  versorgt  und  mit  seiner  Fortsetzung  sich  zwischen  dem  unteren  Rande  des 
Nasenbeines  imd  dem  Nasenknorpel  diirchbohrt,  um  zur  äusseren  Haut  der  Nasen- 
spitze zu  gelangen  und  sich  hier  in  Endzweige  aufzulösen. 

Die  für  den  Augajjfel  bestimmten  Nervenfasern  setzen  vom  Nerv,  nasociliaris 
theils  direct  als  Nervi  ciliares  longi  zum  Bulbus  über,  tlieils  treten  sie  vorerst  als 
lange  Wurzel  in  das  Ganglion  ciliare  ein,  wo  sie  mit  Fasern  zusammentreffen, 
welche  als  kurze  Wurzel  sich  vom  dritten  Gehirnnerven  abgezweigt  haben,  und  mit 
anderen,  welche  der  gcnauute  Knoten  als  trophische  Wurzel  aus  den  umliegenden 
sympathischen  Gefdssgefleclden  aufnimmt.  In  den  von  hier  abgehenden  kurzen 
Ciliarnerven  sind  alle  diese  verschiedenen  Fasern  bereits  innig  durchmischt.  Sie 
durchlaufen  dann  noch  im  Inneren  des  Bulbus  eine  Anzahl  kleiner,  der  Aderhaut 
eingebetteter  ganglienartiger  Knoten  (C.  Krause,  H.  Müller,  Schiceigger,  Saemisch) 
und  verästeln  sich  schliesslich  nach  mehrfachen  plexusähnlichen  Verschlingungen 
(Donders)  in  den  einzelnen  Binnenorganen. 

Von  den  im  cervlcalen  Grenzstrange  vereinigten  sympathischen  Fäden 
spielt  ein  kleiner  Theil  die  Itolle  eines  motorischen  Nerven.  Er  versoi-gt 
den  Dilatator  pupillae    so    wie  die    organischen  Muskeln    der  Lider  und  der 


10  Innervations Verhältnisse;  Nerv,  sympafhicns ;  Neuroparalytische  Ophthalmie. 

Orbita.  Er  vermag  dadurch,  dass  er  die  Spannungszustände  in  diesen  Mus- 
keln beherrscht,  mittelbar  auf  die  Circulationsbedingungen  im  Auge  und 
in  dessen  Umgebungen  zurückzuwirken.  Die  Hauptmasse  jener  Röhren  ist 
indessen  vasomotorischer  Art  und  vermittelt  neben  den  systolischen  Gefäss- 
bewegungen  noch  gewisse  andere,  vom  Pulse  unabhängige  Zusammenzie- 
hungen und  Erweiterungen,  weiche  den  Blutgehalt  jenes  Stromgebietes 
bestimmen  und  die  daselbst  herrschenden  Strömungswiderstände  sehr  kräftig 
beeinflussen  (Schiß',   Cl.  Bernard). 

Leitungshemmungen  des  cervicalen  Grenzstranges  oder  seiner  Wurzeln 
haben  in  Uebereinstimmung  damit  laut  praktischen  Erfahrungen  (Eulenburg, 
Gnttmann,  Ogh),  gleich  der  Durchschneidung  der  genannten  Gebilde  am 
Thiere  eine  starke  Verengerung  der  Pupille  (Petit,  Biffi,  Tratitvetter,  Arlt 
Jim.)  und  der  Lidspalte  (Cl.  Bernard,  E.  Wagner,  Bemale),  ein  Zurücktreten 
des  Bulbus  in  die  Orbita  (Petit,  Schiff,  Prevost,  Jolyet,  Budge),  eine  Gefiss- 
erweiterung  der  Iris  und  eine  beträchtliclie  Blutüberfüllung  der  betreffen- 
den Kopfhälfte  mit  anfänglicher  Temperatursteigerung  im  Gefolge.  Reiz- 
-zustände  des  Cervicalstranges  und  experimentelle  Erregungen  desselben  ziehen 
entgegengesetzte  Erscheinungen  nach  sich  (Cl.  Bernard,  Budge,  Wegner,  Sal- 
kowslci,  Donders),  vorausgesetzt,  dass  die  Reizung  ein  gewisses  Mass  nicht 
überschreitet ,  widrigenfalls  in  den  zugehörigen  Gefässbezirken  rasch  die 
Symptome   der  Paralyse  zum  Vorschein  kommen. 

Das  andere,  unmittelbar  aus  dem  Gehirne  hervortretende  und  am  media- 
len Rande  des  Quintusstarames  zum  Ganglion  Gasseri  ziehende  Bündel 
sympathischer  Fasern  führt  keine  motorischen  Easeru  zum  Dilatator  pupillae, 
da  galvanische  Reizung  jenes  Knotens  oder  des  ersten  Quintusastes  nach 
Exstirpation  des  Ganglion  supremum  cervicale  keine  Pupillenerweiterung 
auszulösen  im  Stande  ist  (Biidge).  Dagegen  enthält  es  neben  vasomoto- 
rischen Röhren  eine  grosse  Menge  eigenthiünlicher  Fasern,  welche  im  cervi- 
calen Grenzstrange  fehlen  und  in  einer  näheren  Beziehung  zu  den  Ernäh- 
rungsvorgängen im  Auge  stehen,  daher  sie  mit  dem  IS^amen  ,,trophische 
Fasern"    belegt  werden. 

In  Uebereinstimmung  damit  führt  Durchschneidung  jenes  Bündels  hinter 
dem  Ganglion  oder  innerhalb  der  Brücke  (Büttner,  G.  Meissner,  Schiß) 
häufig  zu  gewissen  höchst  auffälligen  Ernährungsstörungen,  welche  letztere 
bei  Trennungen  des  cervicalen  Grenzstranges  niemals  zur  Beobachtung 
kommen  (Schiß)  und  in  Verbindung  mit  der  Gefässparalyse  den  Begriff  der 
neuroparalytischcn  Ophthalmie  erschöpfen.  Die  Gefässparalyse  äussert  sich 
Merbei  durch  eine  mehr  oder  weniger  beträchtliche  Hyperaemie  und  öde- 
matose  Schwellung  der  Bindehaut  mit  Absonderung  schleimig  eitriger 
Producte  und  bisweilen  auch  mit  Blutaustretungen  in  das  subconjunc- 
tivale  Gefüge  (Hippel).  Die  Ernährungstörung  dagegen  kömmt  durch  In- 
filtrationen und  Ver schwärungen  der  Cornea,  durch  Stockung  der  Thränenabson- 
derung  und  durch  Abnahme  der  Binnenmedien,  also  durch  Welk-  und 
Weichwerden  des  Btdbus,   klar  zum  Ausdrucke. 

Secundär  kömmt  es  bisweilen  zur  Entwickluug  einer  Iridochorioiditis  (Graefe, 
Heymann)  mit  oder  ohne  Hypopyumbildnng,  welche  schliesslich  die  Atrophie  des 
Bulbus  anzubahnen  vermag.  In  einzelnen  Fällen  hat  man  ausserdem  Störungen 
des  lichtempßndenden  Apparates  beobachtet,  welche  der  Zeit  und  dem  Grade  nach 
zu  schwanken  pflegen  und  vorübergehend  sich  bis  zur  völligen  Amaurose  steigern 
können  (Graefe,  Hippel). 


Neuroparalytisclie  Opbthiilmio.  11 

Den  geschilderten  Verhältnissen  entsprechend,  veranlassen  denn  auch 
krankhafte  Processe,  welche  sich  in  der  Varolsbriicke  oder  im  Bereiche  des 
Quillt itsstammes  festgesetzt  haben  (Stanley,  Alison,  Power),  gleich  Durch- 
schneidungen des  letzteren  an  Thieren  (Schiff),  zuweilen  loahre  neuropara- 
hjiische  Ophtlialmien,  welche  dann  in  der  Regel  mit  ausgebreiteten  Sensi- 
bilitätsstörimgen  im  Trigeminusgebiete  einhergehen.  Aehnliche  Folgen  rcsul- 
tiren  aber  aucli  nicht  selten,  wemi  das  Ganglion  Gasseri  oder  der  erste 
Qidntnsast  bis  zur  Abzweigung  der  Ciliarnerven  liin  in  einen  Krankheits- 
herd verwickelt  ist  (Schiff',  Graefe,  Junge,  Budge,  Rothmund,  Geissler,  Stef- 
fan),  ja  selbst  wenn  die  Ciliarzweige  allein  leitungsunfähig  geworden  sind 
(Graefe).  Doch  scheint  vermöge  der  grossen  Menge  sympathischer  Fasern, 
welche  aus  dem  cervicalen  Grenzstrange  kommend  sich  erst  im  Ganglion 
Gasseri  dem  Trigeminus  beigesellen,  im  Falle  als  der  halbmondförmige 
Knoten  oder  der  erste  Quintusast  leidet  oder  durchtrennt  wurde  (Magendie, 
Schiff]  Graefe,  Winther),  die  Gefässparalysis  sich  häufiger,  rascher  und 
ausgiebiger  einzustellen.  Wenigstens  werden  in  den  betreffenden  Beobach- 
tungen eine  langsam  auftretende,  dauernde  und  von  der  Leistungsfähigkeit 
des  dritten  Gehirnnerven  unabhängige  auffällige  Pupillenverengerung  (Budge, 
Cl.  Bernard,  Graefe)  so  wie  das  Sichtbarwerden  zahlreicher  stark  ausgedehn- 
ter Ii'isgefässe   (Budge,     Wegner,    Graefe)   meistens  sehr  nachdrücklich  betont. 

Immerhin  muss  es  befremden,  dass  man  unter  so  bevvandten  Umständen  die 
Erscheinungen  der  Gefässparalyse  und  Ernährungsstörung  nicht  constant  auftreten 
sieht.  Ob  zur  Erklärung  dessen  der  Umstand  hinreicht,  dass  eine  grosse  Anzahl 
sympatliischer  Fasern  mit  den  Gefässen  zum  Auge  und  seinen  Umgebungen  gelangt, 
steht  dahin.  Man  kann  sich  darum  kaum  der  Annahme  heihelfender  Momente  ent- 
schlagen. Als  ein  solches  hat  nim  unzweifelhaft  die  Anaesthesie  zu  gelten,  insoferne 
sie  die  Abwehr  zahlreicher  äusserer  Schädlichkeiten  verhindert,  welche  durch  ihre 
Reizwirkung  Gefässparalyseu  einzuleiten  und  zu  vermehren,  ja  überhaupt  Eutzün- 
dungsprocesse  anzufachen  vermögen.  Ueberdiess  fällt  mit  der  Empfindlichkeit  des 
Auges  und  seiner  Schutzdecken  auch  der  eigentliche  Motor  des  rliythviischen  un- 
willkürlichen  Lidschlages  weg,  die  Lidspalte  bleibt  geöffnet  und  gestattet  die  Äus- 
trocknvng  des  blosliegenden  Theiles  der  Bulbusoberfläche,  um  so  mehr,  als  bei  Lei- 
tungsunterbrechung-en  im  ersten  Trigeminusaste  die  Thränendriisen  des  secretions- 
beherrschenden  Nervenreizes  entbehren  müssen  utrd  demnach  die  Ahsonderung  der 
Thränen  wesentlich  beschränkt,  ja  auf  ein  kleinstes  Mass  herabgemindeii  werden  kann 
(Graefe,  Hippel).  Es  stellen  sich  in  Uebereinstimmung  damit  denn  auch  gerne  die 
Symptome  der  acuten  Xerosis  ein,  das  Epithel  der  Cornea  und  Conjunctiva  wird, 
besonders  an  dem  in  der  Lidspalte  biosliegenden  Theile  schilferig,  rauh  und  bedeckt 
sich  mit  zäliem  Schleime,  welcher  zu  gelben  Krusten  verdorrt.  Gerade  hierin  liegt 
aber  wieder  ein  Factor,  welcher  auf  die  Ernährungsverhältnisse  der  Theile  zurück- 
wii'kt  und  das  Auftreten  von  Entzündungen  und  Verschwärungen  im  hohen  Grade 
fördert.  In  der  That  lassen  die  Ergebnisse  zahlloser  Versuche  keinen  Zweifel  dar- 
über, dass  Schliessung  der  Lidspalte,  also  Schutz  vor  äusseren  Schädlichkeiten  und 
vor  Vertrocknung,  die  Entwicklung  der  Ophthalmia  neuroparalytica  in  der  Mehr- 
zahl der  Fälle  zu  verhindern  und,  falls  sie  bereits  gegeben  wäre,  sie  wieder  rück- 
gängig zu  machen  im  Stande  sei;  ja  es  ist  diese  Sicherstellung  eine  so  eminente, 
dass  Manche  die  neuroparalytische  Ophthalmie  geradezu  dnrch  die  bei  fehlendem 
Schutze  unvermeidlichen  Traumen  begründet  erachten  (Snellen,  Bosow,  Knapp),  oder 
überhaupt  aus  der  Anaesthesie  der  Theile  und  aus  der  damit  einhergehenden  Sto- 
ckzmg  der  Thränensecretion  erklären  (Graefe),  während  Andere  einen  Mittelweg  ein- 
schlagen und  aus  der  Leitungshemmung  der  sympathischen  Nerven  blos  eine  Ver- 
niinderimg  der  Widerstandskraft  der  Gewebe  gegen  äussere  Schädlichkeiten  ableiten 
(Büttner,  Samuel).  Doch  steht  diesen  Ansichten  hinwiederum  der  Umstand  entgegen, 
dass  die  Immunität  bei  zureichendem  Schutze  keine  absolute  ist  (Schiff,  Hippel)  und 
dass  die  neuroparalytische  Ophthalmie  durchaus  nicht  an  Anaesthesie  gebunden, 
sondern  auch  bei  voller  Empfindlichkeit  der  Theile  mehrfach  beobachtet  worden  ist 
(Schiff]   Geissler,  Steffan,  Mooren). 


12  Innervationsverhältnisse ,  Reflexbeziehnngen  des  Nerv,  sympathicns. 

Es  offenbart  sich  übrigens  der  Einliuss  des  mit  dem  Trigeminiis  ver- 
einigten Sympathicustheiles  auf  die  Circulations-  tind  Ernährungsvorgänge 
nicht  blos  durch  den  Symptomencomplex  der  neuroparalytischen  Ophthalmie, 
er  tritt  auch  klar  in  den  an  Neuralgien  des  Quintus  gebundenen  soge- 
nannten Secretionsneurosen  (S  6)  und  in  den  Atrophien  des  Bindegewebes, 
der  Muskeln  und  selbst  der  Knochen  hervor,  welche  bisweilen  als  Folge- 
zustände länger  bestehender  Neuralgien  und  Anaesthesien  einzelner  Quin- 
tusäste  gefunden  worden  sind   (Benedikt,    Graefe). 

Am  klarsten  aber  spricht  er  sich  in  den  herpetischen  Krankheit sformen 
des  Trigeminusgebietes  aus.  Es  unterliegt  nach  den  allerdings  noch  spär- 
lichen anatomischen  Untersuchungen  kaum  einem  Zweifel,  dass  der  Herpes 
in  einem  nahen  ursächlichen  Verbände  mit  entzündlichen  Processen  stehe, 
welche  sich  in  der  Bahn  sympathischer  Faserbündel  localisirt  haben  (Da- 
nielssen,  Esmarch,  Bärensprung,  Charcot,  Cotard)  und  dass  der  Sitz  dieser 
Krankheitsherde  auch  für  den  Ort  und  die  Ausbreitung  des  charakteristi- 
schen Ausschlages  bestimmend  sei. 

Krankhafte  Processe,  welche  sich  im  Bereiche  des  Stirn-  oder  Thr'd- 
nenastes,  oder  aber  jenseits  der  Abzweigung  der  Ciliarnerven  im  Laufe  des 
Nasociliaris  entwickelt  haben,  können  den  anatomischen  Verhältnissen  gemäss 
Kreislaufs-  und  Ernährungsstörungen  auf  unmittelbare  Weise  nur  in  den 
Schutzorganen  des  Augapfels  begründen.  Dafür  aber  ist  der  Einlluss,  welchen 
sie  indirect  auf  die  Circulation  und  auf  die  Nutritiousvorgänge  im  Bulbus 
auszuüben  vermögen,  ein  um  so  hervorragenderer.  Es  kommen  hier  näm- 
lich die  Reflexbeziehungen  in  Betracht,  welche  zwischen  dem  Sympathicus 
und  den  sensiblen  Fasern  nicht  nur  des  Qidntus,  sondern  aller  Empfiiuhtngs- 
nerven  bestehen  und  in  der  Pathologie  und  Therapie  eine  hochwichtige 
Rolle  zu  spielen  berufen  sind. 

In  wenige  Worte  zusammengefasst  lauten  die  Ergebnisse  der  liier- 
auf  bezüglichen  Versuche:  Hautreize  ziehen  primär  eine  Verengerung  der 
kleinen  Körpergefässe  mit  Temperaturerniedrigung  so  wie  mit  Vergrösserung 
der  Zahl  und  Energie  der  Herzschläge  nach  sich.  Die  Gefässcontraction 
hält  auch  nach  Beseitigung  der  Ursache  noch  eine  Zeit  an,  um  schliesslich 
einer  geringen  Erweiterung  Platz  zu  macheu,  wenn  der  Hautreiz  ein  relativ 
schwacher  war  (Naumann,  LovenJ.  Die  Gefässverengerung  geht  dagegen  im 
Verzweigungsgebiete  des  gereizten  sensiblen  Nerven  (Cl.  Bernard)  und 
in  dessen  Nachbarschaft  sehr  rasch  oder  fast  unmittelbar  in  starke  Erwei- 
terung über,  während  sie  in  entfernteren  Organen  andauert  (Zülzer),  wenn 
der  Hautreiz  ein  relativ  starker  war.  Der  Giad  der  effectiven  Reizung 
hängt  nicht  blos  von  der  absoluten  Stärke  des  Eingriffes,  sondern  auch  von 
der  jeweiligen  Irritabilität  des  Körpers  ab,  so  dass  ein  und  derselbe  Reiz 
bei  verschiedenen  Individuen  und  bei  demselben  Individuum  unter  verschie- 
denen Umständen  ganz  entgegengesetzte  Reactionszustände  veranlassen  (Nau- 
mann), also  einmal  Gefässverengerung  mit  Erniedrigung  der  Temperatur, 
das  andere  Mal  Gefässer Weiterung  mit  anfänglicher  Steigerung  der  Wärme, 
weiterhin  aber  Verlangsamung  des  Blutstromes,  passive  Hyperaemien  mit 
davon  abhängiger  Wärmeverminderung  begründen  und  solchermassen  die 
Neigung  zu  Oedem ,  zu  entzündlichen  Ausschwitzungen  mit  allen  deren 
Folgen  erzeugen  oder  steigei'U  kann. 

Auf  pathalogischem  Gebiete  bekunden  sich  diese  Reflexwirkungen  bekannt- 
lich in  sehr  auffallender  Weise  durch  Hyperaemien  und  oedematose  Anschwellungen 


Reflexbeziebungen  des  Nerv,  sympatbicas. 


13 


der  Bindehaut  und  Lider,  welche  neiiralgisclie  Anfälle  im  Bereiche  des  Trigeminus 
zu  begleiten  pflegen  und  durch  die  grosse  Empfindlichkeit,  welche  sich  hei  Bestand 
eines  solchen  Leidens  im  cervicalen  Grenzstrange  zu  entwickeln  pflegt.  Auch 
lassen  sich  damit  gewisse  Fälle  in  Beziehung  bringen,  in  welchen  Traumen  oder 
Erkrankungen  einzelner  Quintusäste,  z.  B.  bei  Zahnleiden,  heftige  Eyüziindunfjen  des 
Auges  (Schiff)  oder  Sehstöriiiyen  (Amaurosis  trifacialis)  veranlasst  haben. 

Man  sieht  aus  Allem,  dass  die  Annahme  henonderer,  dem  Quintus  eigenthüm- 
licher  Fasern,  welche  die  Fähigkeit  besitzen  sollen,  die  Gefässe  des  Auges  adiv 
zu  erweitern  und  auch  die  Secretionen  im  Inneren  des  Auges  zu  beherrschen  {Hip- 
pel ^  GriinhagenJ ,  ganz  entbehrlich  sind.  Man  kann  um  so  ruhiger  davon  ab- 
sehen, als  die  darauf  bezüglichen  Experimente  bei  der  Unmöglichkeit,  directe  Ein- 
grifte  auf  die  sensitiven  Fasern  zu  beschränken,  viel  an  Werth  verlieren  und  auch 
sonst  noch  manche  Bedenken  erregen  (Adamük,    Wegner). 

Anderseits  darf  man  wohl  auch  annehmen,  dass  die  von  Innervations- 
störungen  der  sympathischen  Nerven  abhängigen  Aiaomalien  der  örtlichen 
Blutmevge  für  die  sensitiven  Nerven  des  betreffenden  Gebietes  eine  Quelle 
von  Erregungszuständen  werden  können.  Die  Erscheinungen  bei  der  Hemi- 
cranie  weisen  darauf  hin  (Eulenhurg,  Gutmann).  Sicher  steht  es,  dass  die 
durch  Gefässparalysen  angebahnte  Entzündung  die  Empfindungsnerven  des 
Krankheitsherdes  zu  reizen  und  damit  im  fehlerhaften  Kreise  auf  die 
sympathischen  Easern  zurückzuwirken  vermag. 

Im  Binnenraume  des  Auges  äussern  sich  die  von  den  sensitiven  Ner- 
ven auf  die  sympathischen  Fasern  überpflanzten  Erregungszustände  in  der 
Regel  auch  durch  mehr  oder  minder  deutliche  Bewegungen  der  Pupille 
(Budge,  Trautvetter,  Donders,  Cl.  Bernard).  Die  Vermittler  der  Reflexe  kön- 
nen lüerbei  ebensowohl  das  Gehirn  als  das  Ganglion  ciliare  oder  selbst  die 
intraocularen  Ganglien  sein.  Die  Bewegungen  selbst  sind  je  nach  Umständen 
die  Wirkung  verschiedener  Ivräfte.  Ein  Theil  derselben  geht  sehr  langsam 
von  statten,  und  bringt  wahrscheinlich  nichts  anderes,  als  veränderte  Span- 
nungszustände  in  der  Gefässmusculatur,  oder  vielmehr  einen  davon  abhän- 
gigen Füllungswechsel  der  Irisgefässe  zum  Ausdrucke.  Der  andere  Theil 
erfolgt  aber  rasch,  und  wird  unzweifelhaft  vorwiegend  durch  die  Thätig- 
keit  der  eigentlichen  Bewegungsmuskeln  der  Iris  bewerkstelligt.  In  einem  wie 
in  dem  anderen  Falle  findet  ein  Wechsel  der  Blutvertheilung  im  uvealen 
Stromgebiete  statt.  Es  ist  nämlich  nachgewiesen,  dass  bei  jeder  Erwei- 
terung der  Pupille  das  Volumen  der  Iris  abnimmt,  indem  ein  Theil  des  in 
den  Irisgefässen  enthaltenen  Blutes  in  die  Wirbelvenengeflechte  der  Ader- 
haut ausweicht,  während  bei  der  Verengerung  der  Pupille  das  Blut  theil- 
weise  wieder  zur  Iris  zurückkehrt  (0.  Becker)  und  deren  Volumen 
vergrössert. 

Es  liegt  nun  auf  der  Hand,  dass  diese  Fluxionen  bei  Bestand  krank- 
hafter Processe  im  Inneren  des  Auges  für  die  ohnehin  schon  gestörten 
Circulations-  und  Ernährungsverhältnisse  nicht  ganz  gleichgiltig  sein  kön- 
nen, und  dies  zwar  um  so  weniger,  als  jedwede  Muskelanstrengung  einen 
vermehrten  Stoffwechsel  mit  sich  bringt  und  unter  pathologischen  Verhält- 
nissen auch  wohl  heftige  Reizzustände  in  den  sensitiven  Nerven  anzuregen 
im  Stande  ist.  Wird  doch  Muskelruhe  allenthalben  als  ein  hochwichtiger 
Factor  bei  Bekämpfung   entzündlicher  Vorgänge  anerkannt. 

Insoferne  fordern  auch  die  Reflexe  Beachtung,  welche  durch  das  in 
der  inneren  Hälfte  des  vorderen  Vierkügelpaares  gelegene  Centrum  (Flou- 
rens,  Budge),  von  der  Netzhaut  aus  auf  die  oculopupillaren  Zweige  des 
dritten  Geliirnnerven  geworfen  werden.  Auch  verdienen  die  Reflexe  einige 


14:  Innerrationsverhältnisse ;  Einfluss  des  CiliamiTiskels  auf  den  Binnendruck. 

Rücksiclit,  welche  von  der  Retina  und  den  Empfindungsnerven  der  Augen- 
gegend aiif  die  zum  7.  Paare  gehörigen  motorischen  jSTerven  des  Kreismus- 
kels der  Lider  überpflanzt  werden.  Endlich  erheischen  die  ivillkürlichen 
Bethätigungen  der  äusseren  Augenmuskeln,  der  Lidmuskeln  und  ganz  be- 
sonders des  Accommodationsmuskels  eine  sorgliche  Erwägung. 

Was  den  Ciliarmuskel  betrifft,  so  wird  von  manchen  Seiten  (Qraefe,  Weher) 
behauptet,  dass  eine  vermehrte  Spannung  desselben  den  intraocularen  oder  wenig- 
stens jenen  Druck,  unter  welchem  die  im  hinteren  Augenranme  gelegenen  Organe 
stehen,  zu  steigern  und  damit  die  Circulations-  und  Ernährungsbedingungen  daselbst 
zu  verändern  im  Stande  sei.  Es  stützt  sich  diese  Ansicht  auf  die  Ergebnisse  man- 
nigfaltiger Versuche  (Völckers,  Hensen,  Coccitts,  Förster,  Gramer)  und  auf  die  Resul- 
tate der  Iridektoviie  (Graefe,  Wegner).  Dieselben  werden  jedoch  durch  die  gegen- 
theiligen  Resultate  anderer  gleich  schwer  wiegender  Experimente  (Völckers,  Hensen, 
Hippel,  Grünhagen,  Adamük)  ausgeglichen  und  erregen  manches  theoretische  Be- 
denken. Insbesondere  kömmt  in  Rechnung,  dass  die  dioptrischen  Binnenmedien 
iinzusammendrückbar  und  der  arterielle  Blutdruck  in  dem  intraocularen  Strom- 
gebiete ein  so  mächtiger  ist,  dass  ein  verhältnissmässig  bedeutender  äusserer  Druck 
auf  den  Bulbus  wirken  muss,  um  das  Caliber  der  ophthalmoscopisch  wahrnehm- 
baren Gefässe  merklich  zu  vermindern.  Die  Füllung  der  Augapfelhöhle  ist  daher 
ohne  Zweifel  vollkommen  ausreichend,  um  dem  relativ  schwachen  Zuge  des  Ciliar- 
muskels  gegenüber  die  äussere  Forin  des  Bulbus  aufrecht  zu  erhalten.  Wäre  sie  es 
übrigens  nicht,  so  müsste  sich  die  Zusammenschnürung  des  Ursprungskreises  des 
Ciliarmuskels  nothwendig  durch  eine  Convexitätsvermehrung  der  Hornhaut  bemerk- 
lich machen,  während  unwiderlegliche  Beweise  dafür  vorhanden  sind,  dass  die  ver- 
schiedenen Accommodationszustände  des  Auges  ohne  allen  P^influss  auf  die  Krüm- 
mung der  Cornea  sind.  Mau  könnte  also  nur  auf  eine  Druckvermehrung  im  hinte- 
ren Augenranme  denken.  Allein  würde  eine  Znsammenziehung  der  Irismuskeln  und 
des  Ciliarmuskels  den  von  der  gesammten  Uvea  umschlossenen  Raum  verklei- 
nern, so  würde  das  Ausweichen  des  in  der  hinteren  Kammer  enthaltenen  Humor 
aqueus  nach  vorne  genügen,  um  jede  Druckwirk^ing  unmöglich  zu  machen,  und  der 
zwischen  Choroidea  und  Sclera  entstehende  Raum  würde  sogleich  durch  verstärkte 
Füllung  der  Wirbelvenen  ausgefüllt  werden.  Ueberdiess  müsste  sich  eine  solche 
Druckwirkung  in  der  entoptischen  Aderfigur  zum  Ausdruck  bringen,  während  dai'anf 
bezügliche  Beobachtungen  gerade  das  Gegentheil  gezeigt ,  nämlich  nacligewiesen 
haben,  dass  Lähmung  und  Krampf  des  Accommodationsmuskels  durch  Atropin  oder 
Calabar  keine  Veränderung  in  der  Schnelligkeit  der  Blutbewegung  und  in  der 
Stärke  der  Pulserscheinungen  mit  sich  bringen,  was  doch  bei  einem  äusseren  Drucke 
der  Fall  ist  (Hippel,   Grünliagen). 

Kach  diesen  Erörterungen  ist  es  nun  möglich,  auf  die  therapeutischen 
Aufgaben  bei  Behandlung  von  entzündlichen  Augenkrankheiten  näher  ein- 
zugehen. Es  schliessen  diese  Aufgaben  in  sich:  1.  Die  Indicatio  causalis, 
welche  gerichtet  ist  auf  die  Entfernung  aller  sowohl  innerer  als  äusserer 
Schädlichkeiten,  und  zwar  nicht  nur  jener,  welche  im  speciellen  Falle 
die  Entzündung  wirklich  augeregt  haben,  sondern  auch  jener,  welche 
im  weiteren  Verlaufe  des  Processes  auf  den  entzündeten  Theil  einwirken 
und  dadurch  den  Entzündungsreiz,  d.  i.  die  durch  die  Summe  der  Schäd- 
lichkeiten hervorgebrachte  örtliche  Störung,  steigern  und  unterhalten  könn- 
ten; 2.  die  Indicatio  morhi,  welche  darauf  hinzielt,  dem  Processe  selbst 
Schranken  zu  setzen,  seine  Heftigkeit  zu  brechen  und  ihn  den  Möglich- 
keiten des  Ausgleiches  zuzuführen. 

I.  Die  Causalindication  zerfällt,  entsprechend  der  ausserordentlichen 
Mannigfaltigkeit  möglicher  Eeizeinwirkungen,  in  eine  Unzahl  von  Sondei-- 
aufgaben,  welche  zum  Theile  auf  die  Beseitigung  und  Eernhaltung  mecha- 
nischer, chemischer,  physikalischer  oder  functioueller  Schädlichkeiten  hin- 
zielen, zum  Theile  aber  sich  beziehen  auf  die  Tilgung  oder  Verminderung 
einer  etwa    vorhandenen    allgemeinen  oder  speciellen    Anlage,    also    auch    die 


Cansalindication  ;   Schutz-  und  Druckverband.  \q 

ReguUrung  des  Kreislaufes,  der  Blutmischung  und  der  Ernährung  in  sich 
fassen.  Viele  dieser  ätiologisclieii  Momente  sind  nur  in  einzelnen  concreten 
Fällen  und  selbst  dann  nur  unter  s^anz  besonderen  Verhältnissen  wirksam, 
äussern  überdies  recht  häufig  eine  besondere  Beziehung  zu  gewissen  Oerf- 
Uchkeiten  und  Formen  des  Entzündungsprocesses  und  gehören  daher  in  den 
Bereich  der  speciellen  Augenheilkunde.  Ein  anderer  Theil  derselben  jedoch 
hat  eine  mehr  allgemeine  Bedeutung ,  indem  viele  Individuen  unter  den 
verschiedensten  Lebensverhältnissen  ihrer  schädlichen  Einwirkung  mehr  oder 
weniger  ausgesetzt  sind.  Die  Erörterung  der  auf  sie  bezüglichen  Sonder- 
anzeigen und  der  diesen  entsprechenden  Mittel  ist  der  Gegenstand  der 
folgenden   Verhandlungen. 

A.  Unter  den  mechanischen  Schädlichkeiten,  welche  am  gewöhnlichsten 
gegebene  Reizzustände  oder  Entzündungen  der  Augen  steigern  und  unter- 
halten,  sind  besonders  zu  nennen : 

1 .  Das  Reiben,  Drücken,  Betasten  der  Lider,  um  unangenehme  Ge- 
fühle von  Jucken,  Beissen,  Brennen,  oder  wirkliche  Schmerzen  zu  mildern ; 
das  Anpressen  der  Hände  oder  Arme,  um  lästiger  Lichtscheu  zu  begegnen 
u.  s.  w.  Besonders  bei  Kindern  ist  hierauf  zu  achten ;  doch  trifft  man 
ein  solches  zweckwidriges  Betragen  nicht  selten  auch  bei  Erwachsenen. 
Bei  letzteren  genügt  wohl  in  der  Regel  die  Belehrung ,  bei  Kindern  in- 
dessen ist  man  oft  genöthigt,   zwangsweise  zu  verfahren. 

Früher  verwendete  man  als  Schutzverhand  bindenartig  zusammen- 
gefaltete Tücher.  Doch  machen  diese  zu  warm,  sind  durch  ihre  Schwere 
lästig  und  drücken  überdies  ganz  ungleichmässig.  Weit  besser  wird  allen 
Anforderungen  entsprochen  durch  die  jetzt  ziemlich  allgemein  in  Gebrauch 
gekommene  Verbandweise.  Es  bestellt  diese  in  der  Auspolsterung  der 
Augengegend  und  in  der  Verwendung  einer  zarten,  leichten,  elastischen 
Binde.  Als  Polster  dient  feine  Charpie  oder  gereinigte  Baumwolle,  welche 
als  Ein  zweckmässig  gestalteter  Bausch  oder  in  Form  vieler  kleiner  Scheib- 
chen so  über  die  geschlossenen  Lider  ausgebreitet  und  vertheilt  wird,  dass 
alle  Vertiefungen  zwischen  der  Augapfelwölbung  und  den  knöchernen  Or- 
bitalrändern ausgefüllt  erscheinen  und  die  darüber  gespannte  Binde  allent- 
halben einen  ganz  gleichen  Druck  auf  die  unterlagernden  Theile  auszuüben 
vermag.  Als  Binde  benützt  man  einen  nathlosen,  (3  Zoll  langen  und 
1 Y2 — 2  Zoll  breiten  Streifen  von  feinstem  Flanell,  welcher  behufs  grösserer 
Elasticität  schief  auf  den  Fadenzug  geschnitten  sein  muss ,  und  an  beiden 
winkelig  zugespitzten  Enden  mit  schmalen  Leinwandbändchen  zu  versehen 
ist,  um  beim  Binden  einen  kleinen  Knopf  zu  erhalten  und  die  lästige  Yer- 
hüllung  der  Theile  möglichst  zu  beschränken. 

Ein  Haupterforderniss  ist,  dass  der  Verband  bei  verhältnissmässig  geringer 
Spannnng  fest  hafte,  ohne  sich  zu  verscliieben.  Der  binoadare  Verband,  welcher 
qner  ül:)er  beide  Augen  um  den  Kopf  herumgelegt  wird,  bietet  in  dieser  Hinsicht 
keine  Schwierigkeiten,  wohl  aber  der  einseitige.  Um  diesen  in  seiner  schrägen  Lage 
zu  sichern,  ist  es  nothwendig,  das  eine  Bändchen  knapp  unter  dem  Ohrläppchen 
weg,  das  andere  aber  über  die  Stirne  und  genavi  über  die  grösste  Wölbung  des 
Scheitel wandbeines  zu  führen  und  dann  beide  Bändchen  über  die  Mitte  der  Hinter- 
hauptschale auf  demselben  Wege  nach  vorne  zu  leiten,  um  sie  hier  zu  knüpfen. 
Dabei  ist  zu  achten,  dass  die  Vorderenden  der  Bändchen  nicht  über  das  Äuge  lau- 
fen, widrigenfalls  sie  auf  letzteres  einen  sehr  lästigen  Druck  ausüben  würden. 

Einen  wichtigen  therapeutischen  Vortheil  gewährt  dieser  Verband, 
zweckmässige    Anlegung   vorausgesetzt,    durch   völlige   Hemmung   des    Lid- 


J^6  Cansalindication ;  Pflaster;  Druckverband;  Staubbrillen. 

Schlages  bei  ungehindertem  Abiiuss  etwaiger  Secrete  aus  der  Lidspalte. 
Werden  beide  Augen  verschlossen  und  somit  der  Sehact  unmöglich  gemacht, 
so  beschränken  sich  wohl  auch  die  Bewegungen  der  Aufäpfel  so  wie  die 
Accommodationsthätigkeit  atif  ein  Kleines.  Gerade  diese  Muskelruhe  ist 
aber  eine  nicht  genug  zu  schätzende  Beihilfe  in  der  Bekämpfung  von 
Eeizzuständen.  Anderseits  entspricht  die  Unbeweglichkeit  der  Tlicile  öfters 
einem  dringenden  Bedürfnisse,  dann  nämlich ,  wenn  es  sich  um  möglichst 
rasche  und  richtige  Anpassung  und  Zusammenheilung  von  Wundrändern 
nach  zufälligen  oder  operativen  Verletzungen  am  Auge  und  seinen  Um- 
gebungen handelt. 

Pflaster  können  diesen  Zwecken  nimmer  genügen.  In  geringer  Ausdehnung 
über  die  geschlossenen  Lider  geklebt,  vermögen  sie  den  Lidschlag  nicht  ganz  zu 
hemmen ;  werden  die  Augendeckel  aber,  und  namentlich  ihre  Ränder,  zum  grossen 
Theile  mit  Pflastern  überdeckt,  so  wird  den  meisthin  vermehrten  Absonderungen 
im  Bereiche  des  Bindehautsackes  der  Ausweg  abgesjDcrrt  und  damit  eine  Quelle 
misslicher  Reizungen,  ja  selbst  unerträglicher  Schmerzen  eröffnet.  Enthalten  die 
Pflaster  reizende  Bestandtheile,  so  kömmt  es  gerne  zu  Erythemen  der  höchst  zarten 
Lidhaut  und ,  insoferne  sich  die  Difl"usion  jener  Stoöe  nicht  ganz  vermeiden  lässt, 
wohl  auch  zu  bedauerlichen  Irritationen  der  Bindehaut  und  des  Augapfels.  Zudem 
drücken  Pflaster  sehr  ungleichmässig  je  nach  dem  Grade  ihrer  Spannung,  und  zwar 
macht  sich  diese  missliche  Eigenschaft  besonders  geltend  bei  den  englisclien  Pflastern, 
welche  bald  nach  ihrer  Anlegung  schrumpfen  und  sich  mit  ihren  Rändern  stellen- 
weise fast  senkrecht  auf  die  Lidflächen  richten.  Ueberdies  löst  sich  gerne  ihr 
Gummibelag  in  den  ausfliessenden  Thränen,  diffundirt  sich  und  sperrt,  indem  er 
wieder  trocknet,  grosse  Strecken  der  Lidspalte  völlig  ab. 

Manche  glauben  irrthümlich ,  auf  rein  mechanischem  Wege  die  Bewegungen 
der  Augen  nahezu  vollständig  behindern  zu  können  und  empfehlen  zu  diesem  Be- 
hufe  als  Dnickverhand  eine  2  Ellen  lange  Rollbinde  mit  gestricktem  Mittelstücke 
imd  Flanellenden,  welche  erstlich  in  einer  Kreistour  um  die  Stirne,  dann  über  das 
Ohr  der  gesunden  Seite  zum  Hinterhaupte  und  unter  dem  zweiten  Ohre  vorbei 
schräg  über  das  kranke  Auge  gefuhrt  wird.  Sind  beide  Augen  zu  verschliessen,  so 
sollen  2  Binden  angewendet  werden.  Um  einen  noch  kräftigeren  Druck  auf  die 
wohl  gepolsterte  Augengegend  ausüben  zu  können,  wird  ein  sogenannter  Schnür- 
verhand angerühmt.  Dieser  macht  eine  5  Ellen  lange  Binde  der  vorhin  beschrie- 
benen Art  nothwendig  und  verlangt  3  aufsteigende  Monoculus-Touren  nach  der 
beim  Dvuckverbande  angegebenen  Weise  (Graefe).  Es  entsprechen  diese  Verbände, 
höchst  seltene  Fälle  vielleicht  ausgenommen,  den  an  sie  gestellten  Forderungen 
nicht  und  werden  besser  gemieden.  Uebrigens  leistet  der  gewöhnliche  Schutzver- 
band bei  etwas  strafi"erer  Anspannung  der  elastischen  Binde  alles,  was  man  von 
einem  Druckverbande  erwarten  kann.  Er  hat  zudem  den  Vortheil,  den  Kranken 
weniger  zu  belästigen  und  jeden  Augenblick  ohne  verwickelte  Handthierungen  nach 
Bedarf  angezogen,  abgespannt  oder  behiifs  der  Reinigung  des  Auges  auch  beseitigt 
werden  zu  können. 

2.  Die  Einwirkung  von  Staub  auf  den  Bindehautsack  und  die  Horn- 
haut, Die  Beschäftigung  mit  staubenden  Körpern,  der  Aufenthalt  in  stau- 
bigen Localitäten ,  z.  B.  in  den  Wohnzimmern  während  des  Auskehrens, 
so  wie  das  Ausgehen  bei  staubgeschwängerter  Atmosphäre  ist  bei  Vor- 
handensein eines  nur  einigermassen  heftigeren  Beizzustandes  der  Augen 
strengstens  zu  untersagen ,  da  die  gegen  die  Einwirkung  des  Staubes  an- 
wendbaren Mittel,    nämlich  Schutzbrillen    und  Schleier,    ihren   Zweck  kaum 

jemals  streng  erfüllen. 

Als  Staubbrillen  wurden  einstmals  netzähuliclie  Stoffe  oder  feine  Gitter  von 
Draht  in  einer  Art  Brillenfassung,  welche  ringsum  möglichst  genau  dem  Augen- 
hölilenrande  anpasst,  verwendet.  Es  haljen  diesellten  den  Nachtheil,  dass  das  Auge 
hinter  ihnen  fortwährend  in  Dunst  gehüllt  ist,  indem  die  an  der  Oberfläche  des 
Auges  verdampfenden  Feuchtigkeiten  zurückgehalten  werden.  Dadurch  werden 
aber  Reizzustände  eher  vermehrt,  als  vermindert.    Der  Ilaiiptgrimd  ihrer  Unbrauch- 


Glimmerbrilltiii ;    cliom.  Schildliclikeiten.  17 

barkeit  liegt  jedoch  in  der  Beeinträchtigung  des  deutlichen  Sehens,  welche  die 
Kranken  zwingt,  ilire  Augen  stark  anzustrengen,  um  die  Gegenstände  ringsunilier 
in  genügend  klaren  und  scharfen  Bildern  zur  Wahrnehmung  zu  bringen.  Dazu 
kömmt  dann  nocii ,  dass  in  staubgeschwängerter  Atmosphäre,  in  welcher  eben 
diese  Brillen  zu  benützen  wären,  die  Maschen  sich  alsbald  mit  Staubtheilchen 
füllen  und  jene  Fehler  vergrössern.  GetcülinJiche  farhloae  Glashrillen  von  kreis- 
runder Form  und  i^twa  einem  Zoll  Durchmesser  sind  darum  vorzuziehen.  Hie 
schützen  freilicii  das  Auge  weniger  ;  allein  wo  der  Staub  in  solclier  Menge  gegeben 
ist,  dass  der  durch  gewöhnliche  GlasbiüUen  gewährte  Schutz  nicht  zureicht,  oder 
wo  schon  eine  geringe  Menge  Staub,  wenn  sie  mit  der  Oberfläche  des  Auges  in  Be- 
rührung kömmt,  nachtheilige  Folgen  mit  sich  bringt,  thut  der  Arzt  besser,  dem 
Kranken  den  Aufenthalt  an  solchen  Orten  vollkommen  zu  untersagen. 

3.  Eine  Schädlichkeit  ersten  Ranges  sind  für  gewisse  Kreise  die 
Splitter  von  Metall,  Stein,  Holz,  Kork  (Stavenliagen)  u.  s.  w.,  welche,  mit 
grosser  Gewalt  abgeschleudert,  das  Auge  treffen,  sich  in  dessen  Oberfläche 
einbohren,  oder  gar  durchdringen,  und  gewöhnlich  nur  mit  instrumentaler 
Hilfe  entfernt  werden  können,  was  häufig  nicht  ohne  bedenkliche  Reizung, 
ja  selbst  nicht  ohne  erheblichen  Substanzverlust  zu  bewerkstelligen  ist. 
Nach  eingehenden  statistischen  Erhebungen  (H.  CoJmJ  leidet  fast  die  Hälfte 
der  Metallarbeiter  an  den  üblen  Folgen  derartiger  Verletzungen.  Das 
Tragen  gewöhnlicher  planer  Glasbrillen  könnte  dieser  Gefahr  ziemlich 
steuern ;  doch  steht  die  Zerbrechlichkeit  imd  Kostspieligkeit  der  Glasbi'illen 
dem  allgemeinen  Gebrauche  derselben  von  Seite  der  Arbeiter  entgegen. 
Man  hat  daher  Glimmerbrillen  einzuführen  gesucht,  aber  leider  noch  nicht 
allenthalben  den  gebührenden  Anklang  gefunden.  Es  sind  dies  dünne,  fast 
vollständig  durchsichtige  kreisrunde  Platten  von  Glimmer  in  metallenen 
Schalenzonen ,  welche  dem  Orbitalrande  gut  anpassen  und  mittelst  Bänd- 
chen am  Kopfe  befestigt  (H.  Colin),  oder  besser  noch  in  Form  gewöhnlicher 
Brillen  gefasst  werden.  Sie  haben  den  Vortheil  der  Unzerbrechlich- 
keit  und  grossen  Billigkeit.  Dazu  kömmt,  dass  der  Glimmer  ein  schlechter 
Wärmeleiter  ist  und  insoferne  auch  bei  Feuerarbeiten  vortreffliche  Dienste 
leistet ,  besonders  wenn  er  blau  oder  grau  gefärbt  wird,  um  den  grellen 
Widerschein  zu  dämpfen. 

B.  Unter  den  chemischen  Schädlichkeiten  verdienen  besondere  Auf- 
mei'ksamkeit : 

1.  Verunreinigungen  des  Lidrandes  oder  des  Bindehautsackes.  Bei  Kin- 
dern kann  man  hierauf  nicht  genug  achten,  wenn  der  Fall  ein  solcher  ist, 
dass  ein  Schutzverband  nicht  angezeigt,  oder  aus  welcher  Ursache  immer 
unanwendbar  ist.  Sie  besudeln  sich  bei  ihren  Spielen  alle  Augenblicke 
Hände  und  Gesicht  und  reiben  den  Schmutz  in  die  Augen ,  indem  sie 
juckende,  beissende  Gefühle  u.  s.  w.  zu  bekämpfen  suchen.  Die  dagegen 
zu  ergreifenden  Massregeln  liegen  auf  der  Hand. 

2.  Die  Einwirkung  therapeutischer  Mittel.  Abgesehen  von  Augemoässern, 
Salben  etc.,  welche  z)ir  Unzeit,  in  s«  starker  Dosis  oder  zu  oft  unmittelbar  auf  den 
Bindehautsack  und  den  Augapfel  applicirt  wei-den,  können  durch  Vermehrung  der 
Reizung  oder  Entzündung  schädlich  werden:  Salben,  Tincturen  u.dgl.,  welche  zum 
Zwecke  der  Irritation,  der  Bethätigung  der  Resorption,  der  Narkose  u.  s.  w.  auf 
die  Fläche  der  Lider,  oder  deren  nächste  Umgebung  angewendet  werden;  Brei- 
ttmschläge  und  Fomentationen  mit  Abgüssen  oder  Absuden  verschiedener  pflanz- 
licher Heilstoife;  Bäder,  welche  durch  Beigabe  von  Salzen,  von  Decocten  mancher 
Wurzeln  oder  Rinden  angeblich  wirksamer  gemacht  werden  u.  s.  w.  Bei  minder 
sorgsamen  Individuen,  insbesondere  bei  Kindern,  ist  es  nämlich  kaum  zu  vermeiden, 
dass  die  Augen  nicht  mit  den  gebrauchten  Stoffen  von  Zeit  zu  Zeit  verunreinigt 
werden  und  eine  solche  Verunreinigung  ist  imi   sf>  gefährlicher,   je  höhergradig  der 

St  eil  wag,  Atigenlieilknnde.  « 


13  Cansalindication :    Tabak:    Unreine   Luft. 

vorhandene  Eeizzustand  ist.  Ancli  Vesicantien,  welche  doch  meisthin  ziemlich  ferne 
vom  Auge  angelegt  werden ,  führen  auf  diese  Weise  nicht  selten  zu  argen  Vei*- 
schlimmeningen  des  Zustandes.  Die  Kranken  kratzen,  wischen,  tasten  nämlich 
gerne  an  der  wunden  Stelle  herum,  um  die  lästigen  Gefühle  zu  besänftigen,  welche 
das  A^esicator  verursacht ,  oder  iim  die  Secrete  der  epidermislosen  Hautpartie  zu 
entfernen ,  verunreinigen  sich  so  die  Hände  und  mittelbar  auch  die  empfindliche 
Oberfläche  des  Gesichtsorgans. 

3.  Das  Tabakschnupfen.  Es  reizt  die  Augen  um  so  mehr,  je  weniger 
das  Individuum  daran  gewöhnt  ist,  daher  bei  Dilettanten  gewöhnlich  eine 
leichte  Injection  der  Bindehaut  und  nebst  heftigem  jSTiessen  ein  starker 
Thräneniluss  auf  das  Nehmen  einer  Prise  folgt.  Es  kann  in  Berück- 
sichtigung dessen  das  Schnupfen  nur  in  dem  Falle  gestattet  werden,  als  der 
Ki'anke  ein  Gewohnheitsschnupfer  ist ,  und  eine  leichte  Steigerung  des 
Reizzustandes  keine  Gefahren  in  sich  schHesst.  Bei  Entzündungen,  welche 
leicht  schlimme  Folgen  nach  sich  ziehen  können,  mag  selbst  dem  Gewohn- 
heitsschnupfer nur  ausnahmsweise  und  mit  grosser  Vorsicht  ein  massiger 
Gebrauch  des  Schnupftabaks  zugestanden  werden  dürfen. 

4.  Der  Aufenthalt  in  dumpfen  fetichten,  von  Rauch,  excrementiellen  Aus- 
dünstungen, von  reizenden  Dämpfen  irgendicelcher  Art  erfüllten  Räumen.  Reine 
Luft  ist  in  der  That  eines  der  wichtigsten  Erfordernisse  zur  wirksamen 
Behandlung  von  Ophthalmien.  Es  kann  daher  auch  nicht  dringend  genug 
empfohlen  werden ,  Augenkranke  in  Räumen  unterzubringen ,  welche  sich 
leicht  und  vollständig  lüften  lassen,  und  von  diesen  Räumen  alle  eben  ge- 
nannten SchädHchkeiten  so  ferne  als  möglich  zu  halten. 

Special  muss  aufmerksam  gemacht  werden  auf  das  Kochen,  Waschen,  die 
Ausübung  mancher  gestankreicher  Gewerbe  in  den  Wohnzimmern  ärmerer  Leute ; 
auf  das  Stehenlassen  von  Speiseresten,  von  halbgefüllten  Leibstühleu  und  Nacht- 
geschirren in  den  Kraukensälen;  auf  die  Aufbewahrung  schmutziger  Wäsche  in 
denselben  u.  s.  w. 

Es  ist  jedoch  der  Zustand  des  Kranken  nicht  immer  von  der  Art, 
dass  derselbe  das  Zimmer  zu  hüten  nothwendig  hätte.  In  manchen  Fällen 
ist  es  geradezu  wünschensicerth ,  dass  der  Kranke  sich  öfters  im  Freien 
ergehe.  Bei  einem  solchen  Zugeständnisse  sowie  bei  der  Anempfehlung 
von  Spaziergängen  möge  der  Arzt  nie  vergessen,  den  Charakter  des  Kran- 
ken und  dessen  alienfällige  Neigung  zu  üeberschreitungen  in  Betracht  zu 
ziehen.  Die  Vorsicht  gebietet,  dem  Kranken  den  Besuch  von  Wirths-  und 
Kaffeehäusern,  von  Theatern,  Bällen,  Concerten  und  überhaupt  allen  Orten, 
wo  viele  ilenschen  versammelt  zu  sein  pflegen,  avisdrücklich  und  streng- 
stens zu  untersagen. 

In  solchen  Localitäten  pflegen  nämlich  jene  Schädlichkeiten  sich  gleichsam 
zu  concentriren  und  sie  wirken  im  Verein  mit  manchen  anderen  nachtheiligen  Ein- 
flüssen, z.  B.  greller  oder  ungleichmässiger  Erleuchtung,  so  mächtig,  dass  selbst 
ganz  geringfügige  Reizzustände  zu  den  heftigsten  und  verderblichsten  Entzündungen 
gesteigert  werden  können. 

In  Spitälern  und  ähnlichen  Instituten  ist  es  auch  von  Belang,  den  Zustand 
der  Ahlritte  ins  Auge  zu  fassen.  Häufig  sind  dieselben  wahre  Höllenpfuhle,  deren 
pestilenzialische  Ausdünstungen  selbst  gesunden  Augen  Thränen  auspressen,  Augen- 
kranken natürlich  um  so  verderblicher  sind ,  und  von  diesen  daher  nicht  besucht 
werden  sollten.     Eine  ganz  besondere  Erwähnung  verdient  endlich  noch 

5.  der  Tabakrauch.  Es  ist  derselbe  ein  arger  Feind  gereizter  Augen 
und  es  hat  daher  als  strenge  Regel  zu  gelten ,  dass  derlei  Kranke  stets 
und  unter  allen  Umständen  den  Aufenthalt  in  geschlossenen  Räumen,  wo 
geraucht  wird,   zu  meiden  haben ;   dass  Kranke  mit  gereizten  Augen  daher 


Tabakraucli ;    physicalische    Scbädlichkeiten.  X9 

in  ihren  Wohnzimmern  weder   selbst  rauchen ,    noch  von  Andern    rauchen 

lassen  dürfen,   aucli  wenn   die   Lüftung  leicht  möglich  wäre. 

Bei  ganz  leichten  Reizzuständen  jedoch,  welche  dem  Kranken  den  Aufenthalt 
in  freier  Luft  gestatten,  aber  auch  nur  hei  diesen,  ist  ein  absolutes  Verbot  des 
Rauchens  nicht  immer  unbedingt  zu  rechtfertigen.  Leidenschaftliche  Gewohnheits- 
raucher entbehren  diesen  Genuss  allzuschwer,  und  werden  leicht  zu  heimlichen 
Uebertretungen  des  ärztlichen  Verbotes  gedrängt.  In  Fällen,  wo  aus  einer  leichten 
Steigerung  der  Reizung  keine  sonderliche  Gefahren  resultiren  können,  erscheint  es 
daher  besser,  dem  Kranken  unter  dringender  Ermahnung  zur  äussersten  Massigkeit 
Vorschriften  zu  ertheilen ,  deren  Befolgung  den  schädliclien  Einfluss  des  Tabak- 
rauchens wesentlich  zu  mildern  im  Stande  ist.  Erste  Regel  ist,  nur  in  freier  Luft, 
am  besten  bei  leichtem  Luftzuge,  rauchen  zu  lassen,  da  hier  eben  die  Gefahr  weg- 
fällt, dass  grössere  Quantitäten  Rauch  das  Auge  treffen.  Man  hat  meistens  auch 
lauge  Pfeifenröhren  empfohlen,  und  zwar  mit  gutem  Grunde.  Lange  Röhren  halten 
nämlich  gerade  jenen  Theil  des  Rauches  ferne  vom  Auge,  welcher  unmittelbar  dem 
Glimmherde  entströmt,  heisser  und  schärfer  ist,  und  auf  dessen  Richtung  selbst 
geübte  Raucher  weniger  Einfluss  haben.  Doch  ist  wohl  zu  merken,  dass  lange 
Röhren  meistens  auch  schwer  seien.  Hat  der  Kranke  die  Gewohnheit,  die  Pfeife 
im  Munde  festzuhalten,  indem  er  die  Rohrspitze  zwischen  den  Zähnen  einklemmt, 
so  kann  daraus  leicht  eine  andere  Gefahr  entstehen.  Um  eine  schwere  Pfeife  mit 
den  Zähnen  zu  tragen,  müssen  die  Kaumuskeln  sich  bedeutend  anstrengen ;  dadurch 
werden  aber  die  von  der  Orbita  kommenden  und  in  die  Halsvenen  eingehenden 
Venenstämme  leicht  comprimirt  und  Blutstockungen  in  der  Augenhöhle  begünstigt. 
Leichter  geschnittener  Tabak  hat  im  Allgemeinen  den  Vorzug  vor  den  überaus 
starken  Cigarren,  doch  hat  der  erstere  wieder  den  Nachtheil,  dass  er,  indem  er 
aus  Pfeifen  geraucht  wird,  vermöge  der  Grösse  des  Gluthherdes  weit  mehr  Rauch 
entwickelt. 

C.  Unter  den  physikalischen  Schädlichkeiten  sind  vornehmlich  zu  be- 
achten : 

1.  Der  Wind.  Dieser  ist  bei  Vorhandensein  eines  Reizzustandes  der 
Augen  strengstens  zu  meiden,  selbst  wenn  er  nur  mittlere  Grade  von  Hef- 
tigkeit zeigt  und  staubfrei  ist.  Schon  geringfügige  Reizzustände  der  Augen 
werden  durch  die  Einwirkung  des  Windes  auffällig  verschlimmert.  Der 
Arzt  thut  daher  wohl ,  wenn  er  unter  solchen  ^Verhältnissen  den  Kranken 
im  Zimmer  zurückhält ,  umsomehr ,  als  Brillen  nur  einen  ungenügenden 
Schutz  gewähren  und  die  allerdings  mehr  entsprechenden  Schleier  nicht 
allenthalben  anwendbar  sind. 

2.  Höhere  Grade  von  Wärme.  Feuerarbeiter,  Köche,  Bäcker  u.  s.  w. 
sind  deren  Einwirkung  besonders  ausgesetzt  und  müssen  daher  auch  spe- 
ciel  über  den  schädlichen  Einfluss  derselben  aufgeklärt  und  vor  strahlender 
Wärme  nöthigen  Falles  durch  Glimmerbrillen  geschützt  werden.  Im  übrigen 
ist  festzuhalten,  dass  eine  gleichmässige  mehr  kühle  Temperatur  der  Zim- 
mer, in  welchen  sich  Augenkranke  auflialten,  etwa  14 — -15  Grad  Reaumur, 
dem  therapeutischen  Zwecke  am  besten  entspreche. 

3.  Höhere  Kältegrade.  Diese  werden  im  Allgemeinen,  wenigstens  zeit- 
weilig, besser  vertragen,  als  höhere  Wärmegrade.  Bindeliautkranke  insbe- 
sondere fühlen  sich  in  der  ruhigen  Luft  eines  kalten  Wintertages  auffällig 
wohl.  Bei  Gegebensein  heftiger  Reizzustände  und  Entzündungen  der  tie- 
feren Bulbusorgane,  der  Iris,  Aderhaiit  u.  s.  w.  dürfte  indessen  der  Aufent- 
halt des  Kranken  in  freier  Luft  bei  höheren  Kältegraden  kaum  ohne  Ge- 
fahr sein. 

4.  Starker  und  plötzlicher  Temperaturwechsel,  schnelle  Abkühlung  einer 
erwärmten  Körperstelle  oder  rasche  und  ungleiche  Erhitzung  einer  der 
natürlichen  Wärme    beraubten  Partie    ist    seit  jeher    und  zwar    mit  gutem 


20  Cansalindicalion ;  Znglnft ;  Regoliruiig  des  Lichtes. 

Grunde  als  eine  der  häufigeren  Ursachen  von  Entzündungen  oder  Reiz- 
zuständen anerkannt  worden.  Der  plötzliche  Wechsel  in  den  localen  Ver- 
hältnissen des  Kreislaufes  spielt  hierbei  sicherlich  eine  bedeutende  Eolle. 
Die  allerge-wöhnlichste  Quelle  solchen  raschen  Temperatur«-echsels  liegt  in 
der  Zugluft,  daher  denn  auch  die  Ferulialtung  derselben  eine  sehr  wich- 
tige therapeutische  Aufgabe  bildet. 

Zu  diesem  Ende  ist  es  jedoch  keineswegs  nothwendig,  den  Kranken  mit 
Tüchern,  Wachstafiet  etc.  förmlich  einzuhüllen,  oder  ihn  aus  Bett  zu  fesseln  und 
allenfalls  dessen  Kopfende  mit  Leintüchern  zxi  überdachen,  oder  die  Lagerstätte 
mit  Vorhängen  oder  Bettschirmen  zu  umgeben.  Dadurch  wird  der  Kranke  überaus 
beengt,  belästigt  und  unruhig,  gewöhnlich  bricht  bald  ein  heftiger  Schweiss  aus, 
selbst  Congestionen  zum  Kopfe  werden  veranlasst  und  nicht  selten  führt  die  Be- 
hinderung des  nöthigen  Luftwechsels  zu  allgemeiner  Erkrankung.  Der  Kranke 
muss  frei  atlimen  können;  daher  erscheint  es  am  zweckmässigsten,  ihm  den  ohne- 
hin engen  Raum  eines  Zimmers  nicht  noch  mehr  zu  verkümmern  und  nur  dafür 
zu  sorgen,  dass  er,  er  möge  nun  im  Bette  liegen  oder  frei  im  Zimmer  umhergehen, 
niemals  an  Stelleu  verweile .  die  dem  Zuge  ausgesetzt  sind.  Die  Schädlichkeit 
raschen  Temperaturwechsels  lässt  es  auch  gerathen  erscheinen,  in  Fällen,  in 
welchen  eine  gleichmässige  Wärme  durch  die  Umstände  geboten  ist,  das  kalte 
Wcischen  zu  meiden. 

D.  Von  hervorragender  Wichtigkeit  ist  bei  der  Behandlung  gereizter 
oder  entzündeter  Augen  die  ReguUrting  des  Lichtes,  deiui  unzweckmässige 
Erleuchtung  des  Auges  gehöi^t  zu  den  Avirksamsten  physikalischen  Schäd- 
lichkeiten. In  einzelnen  Fällen  ist  es  nothwendig ,  das  Licht  völlig  vom 
Auge  abzuhalten,  was  entweder  durch  möglichste  Verfinsterung  des  Zimmers, 
in  welchem  sich  der  Kranke  aufhält,  oder  durch  den  Schutzverhand  erzielt 
wird.  In  der  bei  weitem  grössten  Anzahl  der  Fälle  indessen  ist  eine  solche 
Absperrung  des  Lichtes  nicht  nur  unnöthig,  sondern  sogar  schädlich,  indem 
der  Kranke  sich  in  der  Eeconvalescenz  nui-  äusserst  schwer  wieder  an  das 
Licht  gewöhnt  und,  wenn  bei  der  Zulassung  grösserer  Erleuchtungsinten- 
sitäten nicht  mit  Vorsicht  zu  Werke  gegangen  und  nicht  ganz  allmählig 
gestiegen  wird ,  leicht  wieder  Recidiven  hervorgerufen  werden.  Durch 
allzugrosse  Dunkelheit  wird  sohin  die  Eeeonvalescenz  verzögert,  abgesehen 
von  dem  üblen  Einflüsse,  welchen  ein  längerer  Aufenthalt  im  lichtarmen 
Räume  auf  das  Allgemeinbefinden  auszuüben  im  Stande  ist.  Massige  Er- 
leuchtungsintensitäten ,  ungeiahr  wie  sie  die  AbenddämmeiTing  mit  sich 
bringt ,  dürften  dem  Zwecke  am  besten  entsprechen.  Gradationen  sind 
hierbei  natürlich  nicht  ausgeschlossen.  Sie  wären  je  nach  der  Empfind- 
lichkeit des  Ki'anken  zu  wählen. 

Doch  ist  hierbei  nicht  zu  versessen,  dass  mauche  Patienten  über  Gebühr 
wehleidig  sind  und  dass.  um  die  Aucren  nicht  mehr  als  nöthiof  vom  Lichte  zu  ent- 
wohnen,  es  gerathen  erscheint,  mehr  auf  den  ohjectiven  Zustand  als  auf  die  sub- 
jectiven  Gefühle  des  Kranken  Rücksicht  zu  nehmen. 

Von  grösster  Wichtigkeit  ist  unter  allen  Verhältnissen  die  sorgsame 
Femhaltung  aller  Contraste.  Es  kann  sich  nämlich  ein  krankes  Auge  selbst 
an  ziemlich  ansehnliche  Erleuchtungs-Intensitäten  gewöhnen,  Contraste  aber 
verträgt  sogar  ein  gesundes  Auge  nur  schwer  und  ein  gereiztes  Auge  wird 
davon  stets  in  sehr  auffälligem  Grade  beleidigt.  Der  Arzt  hat  sonach  sein 
Augenmerk  vornehmlich  auf  möglichste  Gleichmässigkeit  der  Erleuchtung 
zu  richten. 

Nach  neuereu  L'^ntersuchungen  (Auhert)  wird  durch  längeren  Aufenthalt  in 
einem  dunklen  Zimmer  die  Empfindlichkeit  der  Netzhaut  35 mal  grösser,  als  sie 
Anfangs  war,  und  ein  Aufenthalt  von  "2  Minuten  genügt  schon,  um  die  Empfind- 
lichkeit auf  das  10 — löfache  zu  steigern.     Ausserdem  ist   zu  berücksichtigen,   dass 


BoleucliinngsmiUel ;  Funstervoiliiingf' ;  Liclilsfliirm*»,  21 

ein  Lichtreiz  im  Anfange  seiner  Einwirkung  das  Maximum  der  Empfindung  hervor- 
ruft, dass  diese  aber  mit  der  Dauer  des  Keines  so  sehr  abnimmt,  dass  sie  später 
bei  schivaclicn  Errejj^ungon   bis  zur   Uiunerlciiciilceit  herabsinken  kann. 

Bei  kimstUclier  Belcuchtmuj  ist  auch  die  Stellung  der  Flammen  zum  Auge, 
die  Art  des  Brennstoffes  und  die  Farbe  des  Lichtes  von  Bedeutung.  Man  hat  ge- 
funden, dass  eine  nahe.  Flamme  weit  mehr  blendet,  als  eine  ihrer  Helligkeit  gloich- 
vverthige  Menge  cntfcrntertn'  Flammen,  daher  sehr  hell  brennende  Flammen  (Leucht- 
gas, Petroleum)  innner  hocli  über  dem  Arbeitstische  angebracht  sein  sollten, 
Petroleumlicht  blendet  bei  gleicher  photometrischer  Stärke  am  meisten  (Ileymann, 
Srissdorf).  Gaslicht  wird  durch  starke  Wärmestrahlung,  Luftverdcrbniss  und  Flackern 
unangenehm. 

\\^as  die  Farbe  des  Ijiclites  anbelangt,  so  kann  man  im  Allgemeinen  sagen, 
dass  Orange,  Gelb  und  Grün  bei  gleicher  Intensität  stärker  reizen,  als  die  übrigen 
Farben.  Es  bekundet  sich  dieses  nicht  blos  durch  das  subjeclive  Gefühl,  welches 
beim  Sehen  durch  mannigfaltig  gefärbte  Gläser  sich  im  Auge  zur  Geltung  bringt, 
sondern  auch  durch  das  Mass  der  Eeaction  de?-  Piqjille.  Es  zieht  sich  diese  am 
meisten  zusammen,  wenn  ansschliesslich  gelbe  oder  orange  Strahlen  eines  durch  ein 
Prisma  erzeugten  Sonnenspectrums  in  das  Auge  geleitet  werden.  Sie  wird  weiter 
und  weiter,  wenn  die  äussersten  7-othen  und  gar  blosse  Wärmestrahlen  ins  Auge 
gelangen.  Eben  so  nimmt  der  Pupillendurchmesser  zu ,  wenn  das  Auge  aus  dem 
Gelb  des  Spectrums  ins  Grün  uiul  Blau  gerückt  wird.  Doch  scheinen  die  tdtra- 
violetten,  chemischen.,  ja  selbst  die  äussersten  violetten  Strahlen  das  Auge  wieder 
stärker  zu  reizen.  Elektrisches  Licht,  welches  viele  chemische  Strahlen  in  sich  ent- 
hält, ist  in  der  That  dem  Auge  sehr  unangenehm  und  fordert  die  Abbiendung  durch 
Gläser,  welche  mit   Uranoxyd  gefärbt  sind  (Jannsen  und  Follin). 

Um  die  Erleuchtung  nach  Bedarf  zu  regehi,   dienen: 

1.  Fenstervorhänge.  Sie  können  bei  der  Behandlung  von  ßeizzuständen 
des  Atiges  kaum  entbehrt  werden  und  sind  ,  wo  es  sich  nicht  um  völlige 
Verfinsterung  des  Zimmers,  in  welchem  sich  der  Kranke  aufliält,  handelt, 
den  Läden  vorzuziehen. 

Es  müssen  stets  alle  Fenster  des  Gemaches  verhängt  sein ,  und  wenn  die 
Thüre  desselben  auf  einen  sehr  hell  erleuchteten  Raum  führt,  ist  es  von  grossem 
Vortheil,  auch  dessen  Erleuchtung  abzuschwächen.  Die  Vorhänge  müssen  das 
Fenster  völlig  decken,  so  dass  an  den  Seiten  keine  Spalten  bleiben,  durch  welche 
das  Licht  dringen  könnte,  denn  dadvirch  würden  sehr  starke  Lichtcontraste  geradezu 
bedingt.  Aus  demselben  Grunde  muss  der  Zeug,  aus  welchem  die  Vorhänge  be- 
stehen, auch  hinlänglich  dicht  sein,  besonders  wenn  die  betreffenden  Fenster  von 
der  Sonne  beschienen  werden.  An  Fenstern,  welche  niemals  dem  directen  Sonnen- 
lichte ausgesetzt  sind,  genügen  dünne,  selbst  kreppartige  Zeuge  vollkommen.  Die 
Farbe  des  Zeuges  sei  stets  eine  mehr  düstere,  am  besten  grau  oder  blau.  Die  be- 
liebten grünen  Vorhänge  sind  loeniger  zu  empfehlen,  da  sie  im  durchgelassenen  Lichte 
gewöhnlich  eine  sehr  helle  Färbung  zeigen  und  derii  Auge  wehe  thun.  Am  wenig- 
sten entsprechen  selbstverständlich  die  modernen,  in  den  grellsten  Farben  bunt 
gemalten  Fenstervorhänge. 

2.  Lichtschirme.  Sie  sind  ein  Bedürfniss,  wo  die  Umstände  den  Aufent- 
halt des  Kranken  in  einem  künstlich  erleuchteten  Zimmer  nothwendig 
machen;  da  eine  Umstellung  des  Patienten  mit  Bettschirmen  u.  dgl.  die 
Luftcirculation  in  der  Umgebung  desselben  erschweren  und  ihn  sehr  be- 
lästigen würde.  Bewegt  sich  der  Kranke  in  dem  Zimmer  frei  herum ,  so 
ist  ein  kegelförmiger  Schirm  mit  abgestutzter  Spitze ,  welcher  die  Flamme 
ringsum  deckt,  erforderlich.  Sonst  genügt  es,  nur  jene  Seite  der  Flamme 
zu  verhüllen,  welche  gegen  den  Euheplatz  des  Kranken  hin  sieht. 

Zu  diesem  Ende  können  die  früher  modern  gewesenen  planen  Lichtschirme 
verwendet  werden,  welche  man  vor  die  Flamme  stellt;  oder  aber  man  benützt 
hierzu  ein  Blatt  groben  Papiers,  welches  in  beliebiger  Weise  an  der  entsprechenden 
Seite  der  Flamme  befestigt  wird.  Falls  eine  Lampe  gebrannt  wird,  ist  es  am 
besten ,  an  dem  einen  Ende  eines  oval  geschnittenen  Quartblattes  von  grauem 
Papier  eine  runde  Oeffnung  auszuschneiden  und  den  so  verfertigten  einfachen  Schirm 


22  Causalindication ;    Äugenschirme;    Schleier;    Schutzbrillen. 

dadurch  zu  fixiren,  dass  man  den  Glascylinder  durcli  die  Oefiiaung  desselben  steckt, 
das  Papier  also  über  die  Glaskugel  der  Lampe  herabhängen  lässt.  Graves  Papier, 
vorzüglich  gleichmässig  dichtes  Fliesspapier,  ist  in  der  That  das  beste  Material  zu 
solchen  Schirmen.  Grell  gefärbte,  insbesondere  die  beliebten  hellgrünen  oder  hell- 
blauen Schirme  entsprechen  wegen  der  Intensität  ihrer  Färbung  im  durchgelassenen 
Lichte  dem  Zwecke  nicht.  Noch  weniger  sind  begreiflicher  Weise  bunt  gemalte 
oder  gar  durchbrochene  Schirme  zu  empfehlen.  Auch  ganz  undurchsichtige  Schirme, 
z.  B.  blecherne,  sind  unbrauchbar,  da  der  C'ontrast  zwischen  den  von  ihnen  be- 
schatteten und  den  erleuchteten  Stellen  ein  sehr  grosser  ist. 

3.  Augenschirme.  Sie  können  nur  dann  von  Nutzen  sein,  wenn  es 
darauf  ankömmt,  die  directen  Strahlen  der  Sonne  oder  einer  anderen  Quelle 
intensiven  Lichtes  von  den  Augen  abzuhalten.  Gegen  diffuses  Licht  leisten 
sie  wenig  oder  nichts. 

Um  dieses  abzuwehren,  müssten  sie  nämlich  in  einem  sehr  spitzen  Winkel 
zur  Fläche  des  Gesichtes  gestellt  werden.  Dann  sieht  der  Kranke  aber  aus  einem 
sehr  dunklen  Räume  in  einen  hellen  und  der  so  erzeugte  Lichtcontrast  hat  dieselbe 
Wirkung,  als  wenn  der  Kranke  aus  einem  finsteren  Keller  durch  ein  Fenster  auf 
den  hell  erleuchteten  Himmel  blicken  würde. 

Das  Materiale,  aus  welchem  Augenschirme  verfertigt  werden ,  ist  von  unter- 
geordneter Bedeiitung.  Immerhin  jedoch  verdient  es  bemerkt  zu  werden,  dass 
Schirme  aus  grobem  grauen  Papier,  allenfalls  aus  den  Einhüllungen  von  Zucker- 
hüten, mittelst  angenähter  Leinwandbändchen  an  dem  Kopfe  befestigt,  am  meisten 
zu  empfehlen  sind  wegen  ihrer  Geschmeidigkeit,  Leichtigkeit  und  Billigkeit.  Grün- 
taffetne  Schirme  mit  Drahtgerüsten  taugen  insoferne  weniger,  als  sie  im  directen 
Sonnenlichte  viel  hellgrünes  Licht  durchlassen  und  als  ihr  Drahtgestelle  gerne  an 
der  Schläfe  drückt  und  dadurch  unerträglich  wird.  Die  Pappschirme  sind  ihrer 
Steifigkeit  halber  sehr  unangenehm. 

Uebrigens  liegt  die  Entbehrlichkeit  der  Augenschirme  auf  der  Hand ,  da  bei 
der  künstlichen  Beleuchtung  Lichtschirme  genügen,  im  directen  Sonnenlichte 
aber  breitkrämpige  Hüte  und  Kappen  mit  weit  geringerer  Belästigung  getragen 
werden. 

4.  Schleier.  Sie  finden  ihre  Anwendung  besonders  bei  Frauen  und 
Kindern ,  denen  bei  gereizten  Augen  der  Aufenthalt  im  Freien  zusagt. 
Am  besten  sind  glatte  graue  oder  schwarze  Schleier ,  weniger  gut  grüne, 
gelbe  etc. 

5.  Schutzbrillen.    Sie  werden  am  besten  aus  rauchgratiem  Glase  gefertigt. 

Die  grünen  Gläser  sind  widerräthlichj  da  sie  im  hellen  Lichte  ein  sehr  inten- 
sives und  überdies  meistens  sehr  stark  ins  Gelbe  sinelendes  Grün  durchlassen,  was 
den  vorhandenen  Reizzustand  eher  steigert  als  mildert.  Blaue  Gläser 'smA.  jedenfalls 
den  grünen  vorziiziehen,  da  die  blaue  Farbe  einen  weniger  kräftigen  Eindruck  auf 
den  lichtempfindenden  Apparat  macht.  Doch  auch  sie  entsprechen  dem  Zwecke 
nicht  vollkommen.  Tiefblaue  Gläser  thun  dem  Auge  in  hellem  Lichte  erfahrungs- 
mässig  wehe.  Blassblaue  Gläser  hingegen  gewähren  keinen  erheblichen  Schutz,  sie 
schwächen  das  Licht  nur  wenig  ab.  Sie  können  also  nur  genügen,  wo  es  sich  um 
sehr  geringfügige  Reizznstände  der  Augen  handelt  und  da  sind  Schutzbrillen  ohne- 
dies fast  überflüssig. 

Rcmchgraue  Gläser,  London- smoks,  schwächen  das  durchtretende  Licht 
sehr  merklich  ab,  und  dieses  zwar  natürlich  im  Verhältnisse  zur  Tiefe  ihrer 
Schattirung.  Sie  hüllen  alle  Objecte  des  Gesichtsfeldes  gleichsam  in  die 
Dämmerung  des  Abends  oder  eines  sehr  trüben  Tages,  lassen  die  beschauten 
Gegenstände  in  der  natürlichen,  in  Bezug  auf  Intensität  aber  sehr  gemil- 
derten Färbung  erscheinen  und  entsprechen  im  Ganzen  recht  gut  dem 
Zwecke,  welchen  man  vernünftiger  Weise  mit  dem  Tragen  derselben  ver- 
binden kann.  Man  hat  solche  rauchgraue  Gläser  von  allen  möglichen 
Schattirungen.     Doch  sind  nur  die  lichtgefärbten  verwendbar. 

Jene,  deren  Farbe  im  reßectirten  Lichte  sich  dem  Schwarz  nähert,  verdunkeln 
das  Gesichtsfeld  zu  sehr;   sie  verwöhnen  die  Augen   und   erschweren  so   die  Rück- 


London-smoks:   Gebranchsregeln  für   Schutzbrillen.  23 

kclir  zur  nornialcn  Beleuchtung  des  Gesiclitsfeldes;  sie  verhindern  weiters  das 
deutliche  Seilen  feineren  Details  und  werden  so  nicht  selten  Veranlassung,  dass  der 
Kranke  behufs  des  Erkennens  der  ihn  umgebenden  Objecto  seine  Augen  über 
Gebühr  anstrengt  und  so  den  Reizzustand  vermehrt. 

Auf  dass  die  Schutzbrillen  das  von  der  Seite  her  einfallende  Licht  möglichst 
abhalten  können,  ist  es  rathsam ,  runde  Gläser  von  etwas  mehr  als  einem  Zoll 
Durchmesser  zu  verwenden.  Im  Nothfalle  kann  man  auch  Seitengläser  anbringen, 
doch  im  Allgemeinen  sind  diese  nicht  zu  loben,  da  vier  Gläser  mit  der  nothwen- 
digen  Fassung  die  IJrille  sehr  schuier  und  lästig  machen,  auch  das  Auge  zu  sehr 
an  geringe  Erleuchtungsintensitäteii  gewöhnen  und  die  freie  Luftcirculation  in  der 
nächsten  Umgebung  des  Auges  sehr  beeinträchtigen.  Ganz  verwerflich  sind  kleine 
ovale  Gläser,  da  sie  nur  das  Centrum  des  Gesichtsfeldes  decken.  Sehr  wichtig  ist 
es,  darauf  zu  sehen,  dass  der  Nasenbügel  der  Brille  nicht  zu  lang  sei  und  die 
Gläser  den  Innentheil  des  Gesichtsfeldes  gehörig  beschatten.  Ausserdem  ist  bei 
der  Wahl  einer  solchen  Schutzbrille  sehr  darauf  zu  achten,  dass  das  Glas  rein  sei 
und  keine  Wellen,  Streifen,  Kratzer  in  seinem  Gefüge  habe,  weiters,  dass  seine 
Farbe  eine  rein  graue  sei  und  nicht  etwa,  wie  dieses  sehr  häufig  der  Fall  ist,  ins 
Gelbliche  oder  Bräunliche  sjiiele.  Zu  diesem  Ende  lege  man  die  Brille  nach  sorg- 
fältiger Prüfung  ihrer  Oberflächen  flach  auf  ein  Blatt  weisses  Papier  oder  auf  einen 
beliebigen  anderen  rein  weissen  Körper,  wo  sich  die  erwähnten  Fehler  sehr  leicht 
auffinden  lassen. 

Es  sollen  die  Schutzbrillen  in  dei*  Regel  plan  yeschliffen  sein,  da  ihre 
Schattirung-  zum  guten  Tlieile  von  ihrer  Dicke  abhängt ,  concave  daher 
die  Peripherie  des  Gesichtsfeldes ,  convexe  aber  das  Centrum  desselben 
mehr  beschatten  müssen,  und  zwar  in  einem  um  so  grösseren  Missverhält- 
nisse ,  je  dimlvler  das  Glas  gefärbt  und  je  stärker  die  Krümmung  seiner 
beiden   Schliif'liächen  ist. 

Scliutzbrillen  sind  eben  nicht  zum  genauen  Sehen  und  der  letzterwähnte 
Fehler  tritt  um  so  störender  hei'vor,  je  mehr  der  Refractionszustand  der  Augen  von 
der  Norm  abweicht,  je  stärker  gekrümmte  Oberflächen  an  den  Brillengläsern  also 
beuöthigt  werden.  Für  sehr  kurzsichtige  oder  stark  hypermetropische  Individuen, 
welche  oluie  Zuliilfenahme  entsprechender  Zerstreuungsgläser  oder  Sammellinsen 
nur  schwer  im  Freien  herumgehen  könuen,  liegt  indessen  ein  Auskunftsmittel  darin, 
dass  man  aus  farblosem  Glase  thunlichst  schwache  planconcave  oder  planconvexe 
Brillen,  welche  eben  nur  so  viel  corrigiren ,  als  zum  Zwecke  dringend  nöthig  ist, 
schleifen  und  an  die  plane  Fläche  derselben  mittelst  Canadabalsam  ein  planes 
rauchgraues  Glas  kitten  lässt. 

Neuerer  Zeit  sind  sogenannte  Äluschelbrillen,  d.  i.  nach  Art  der  Uhrgläser  ge- 
bildete und  in  Brillenform  gefasste  Gläser  sehr  im  Schwange.  Ihre  Convexität  er- 
laubt eine  sehr  beträchtliche  Annäherung  der  Randtheile  an  die  Umgebungen  des 
Auges  und  gestattet  sonach  eine  wirksamere  Abbiendung  des  seitlichen  Lichtes,  als 
plane  Brillen.  Indem  jedoch  der  Radius  der  hinteren  concaven  Fläche  immer 
kleiner,  als  jener  der  vorderen  convexen  Fläche  ist,  wirken  diese  Muschelbrillen 
als  schwach  lichtzerstreuende  Linsen  und  werden  darum  besonders  hypermetropischen 
Augen  in  der  Regel  sehr  lästig. 

Beim  Gehrauche  von  Schitzbrillen  ist  Vorsicht  nöthig,  widrigenfalls  eher 
Schaden  als  Nutzen  gestiftet  wird.  Yor  allem  ist  dem  Kranken  zu  be- 
deuten, dass  die  Schutzbrillen  nur  gegen  höhergradige  Erleuchtungsinten- 
sitäten zu  verwenden  seien,  indem  sie,  bei  niederen  Erleuchtungsintensitäten 
in  Gebrauch  gezogen,  das  Gesichtsfeld  zu  stark  verdunkeln,  das  Auge  an 
diese  Dunkelheit  gewöhnen  und  daher  nicht  mehr  hinreichen,  um  die 
Reizwirkung  hellen  Lichtes  genügend  zu  mildern,  überdies  aber  die  Recon- 
valescenz  verlängern.  Sie  sind  also  nur  zu  tragen ,  wenn  die  Helligkeit 
eines  sonnigen  Tages,  der  Reflex  sonnenbeschienener  Schnee-,  Sand-,  Wasser- 
flächen u.  s.  w.  zu  dämpfen  ist,  gleichviel  ob  das  grelle  Licht  das  ge- 
sammte  Gesichtsfeld  oder  nur  einen  Theil  desselben  erleuchtet.  Dagegen 
müssen  sie  sogleich  abgenommen  werden,  wenn  der  Kranke  in  den  gleich- 


24  Caucalindication;    funktionelle  Schädlichkeiten. 

massigen  Schatten  eines  Hauses,  eines  Waldes  u.  s.  w.  eintritt,  sowie  sie 
überhaupt  auch  in  der  Dämmerung  und  j^acht,  an  trüben  Tagen  etc.  zu 
meiden  sind.  Insbesondere  wichtig  ist ,  dass  der  Kranke  die  Schutzbrille 
immer  erst  dann  aufsetzt,  wenn  er  aus  dem  gleichmässig  schattigen  Raum 
eines  Zimmers  etc.  in  einen  für  den  Reizzustand  seines  Auges  zu  hellen 
Raum  heraustritt.  Würde  der  Kranke  die  Scliutzbrille  längere  Zeit  im 
Zimmer  verwenden  und  mit  ihr  ins  helle  Sonnenlicht  sich  begeben ,  so 
würde  der  Contrast  in  der  Erleuchtungsintensität  der  beiden  Räume  um 
wenis;  oder  nichts  »lemildert  werden ,  und  Lieht conir aste  sind  bei  gereizten 
Augen  eben  vorzüglich  zu  vermeiden.  Der  Kranke  vnirde  sich  dann  näm- 
lich nicht  an  die  Erleuchtungsintensität  des  Zimmers,  sondern  an  ein  viel 
schwächeres  Licht  gewöhnt  haben,  und  da  die  Brille  die  Erleuchtung  beider 
Räume  in  nahezu  gleichem  A'erhältnisse  abschwächt,  so  mirde  die  Diiferenz 
keine  wesentliche  "S^eränderung  erfalu'en. 

Weiters  ist  wohl  zu  merken,  dass  Schutzbrillen  nur  im  diffusen  Lichte 
von  A'ortheil  seien,  gegen  directe  Strahlen  der  Sonne,  einer  Lampe  u.  s.  w. 
aber  nichts  fruchten,  da  durch  sie  eben  Contraste  in  der  Erleuchtung  des 
Gesichtsfeldes  nicht  beseitiget  werden.  Sie  machen  daher  im  Freien  breit- 
krämpige  Hüte,  im  Zimmer  u.  s.  w.  aber  Licht-  oder  Augenschirme  nicht 
überflüssig,   sind   in  geschlossenen  Räumen  also  um  so  weniger  verwendbar. 

Wurden  rauchgraue  Gläser  längere  Zeit  von  den  Kranken  benützt,  so 
dürfen  dieselben  7iicht  plötzlich  abgelegt  werden ,  da  das  verwöhnte  Auge 
sonst  von  hellem  Lichte  um  so  empfindlicher  betroffen  würde.  Wo  dunklere 
Xuanceu  verwendet  wurden,  kann  man  den  Uebergang  dadurch  seiner  Ge- 
fährlichkeit bei'auben ,  dass  man  allmählig  zu  schwächeren  Schattirungen 
greift,   damit  sich  das  Auge  nach  und  nach  an  helles  Licht  gewöhne. 

E.  Unter  den  functionellen  Schädlichkeiten  ist  an  diesem  Orte  beson- 
ders heiworzuheben  jedwede  Art  von  Anstrengung  der  Augen  behufs  deutlichen 
und  genauen  Sehens. 

Bei  einigermassen  heftigeren  Reizzuständen,  namentlich  wenn  sie  mit  Schmerzen 
oder  mit  Lichtscheu  verknüpft  sind,  verbieten  sich  solche  Anstrengungen  meisthin 
von  selbst,  indem  der  Kranke  durch  die  alsogleiche  Zunahme  der  subjectiven  und 
objectiven  Reizerseheinungen  an  der  Aufnahme  und  Fortsetzung  derartiger  Be- 
schäftigungen gehindert  wird.  Wo  indessen  der  Reizzustand  ein  geringerer  ist, 
findet  sich  der  Kranke  sehr  häufig  nicht  veranlasst,  durch  Aufgeben  seiner  ge- 
wohnten Thätigkeit  sich  Opfer  aufziierlegen,  indem  sich  die  missliebigen  Folgen 
erst  nach  einiger  Zeit  geltend  machen  oder  überhaupt  nicht  sehr  aufFällig  hervor- 
treten, da  der  Krankheitsprocess  entweder  nur  einfach  auf  derselben  Höhe  er- 
halten, oder  vielleicht  in  seinem  Rückgange  verzögert,  oder  endlich  nur  sehr  all- 
mählig zur  Verschlimmerung  gebracht  wii-d.  Dann  ist  es  an  dem  Arzte ,  durch 
Darstellung  des  Sachverhaltes  dem  ferneren  Wirken  solcher  Schädlichkeiten  ent- 
gegen zia  treten. 

Im  Allgemeinen  erscheint  es  am  gerathensten,  Augenkranken  das 
Lesen,  Schreiben,  kurz  jede  Beschäftigung,  bei  welcher  entweder  der  licht- 
empfindende Apparat  oder  das  Accommodationsorgan  stärker  bethätiget 
wird ,  geradezu  auf  die  Dauer  der  Krankheit  zu  untersagen  und  dann 
nur  eine  ganz  allmählige  Rückkehr  zur  gewohnten  Thätigkeit  zu  gestatten, 
indem  grössere  Zugeständnisse  meisthin  zu  ^lissbräuchen  führen  und  die 
Wirkungen  der  angewandten  Mittel  solchermassen  geschwächt  oder  aufge- 
hoben werden. 

F.  Weitere  therapeutische  Aufgaben  entspringen  aus  dem  Abhängig- 
keitsverhältnisse, in  welchem  die  Blutbewegung  in  den  extraocularen  Stäm- 


CürculiitionsstörnnKt'ii ;   Iiulieatio  iiinilii.  25 

men  und  mit  einer  gewissen  Beschränkuna;  auch  in  dem  Binnenstvomgebiete 
zum  allgemeinen  Blutdrucke  und  zu  den  Kroislaufbedingungen  in  den  Ge- 
fässon  des  Knpfcfi  und  Halses  sicdil.  Es  fallen  diese  Aufgaben  gi'össten 
Theiles  hinüber  auf  das  Gebiet  der  Jndicatio  morhi.  liier  sei  nur  erwähnt, 
dass  Herzkrankheil  eil  ,  Hemmnisse  in  der  rforiadercirculation  etc.  sich  in 
Kreislaufstörungen  des  Sehorgans  widerspiegeln;  ja  dass  sogar  Abweichungen 
der  AthnunystldUiylceU  7a\  einer  Uuell(>  verderbliclua"  Stauungen  im  Bereiche 
des  Auges  werden  können.  Es  muss  denigomäss  bei  (longestivzuständen 
des  letzteren  und  seiner  Umgebung  biei-anf  sorgfältig  geachtet  werden. 
Insonderheit  ist  wegen  der  das  Einströmen  des  Blutes  in  das  Herz  er- 
schwerenden Wirkung  der  Kxsjnration  dem  Augenkrankeii  die  Vermeidung 
des  lauten  Sprechens,  Schreiens,  liufens,  Singens,  des  Niesens  und  so  viel 
als  thunlich  auch  des  Hustens  zu  empfehlen ,  und  dieses  zwar  um  so 
dringender,  je  hochgradiger  der  im  Sehorgane  gegebene  krankhafte  Process 
entwickelt  ist ,  und  in  einem  je  wichtigeren  Organe  derselbe  seinen  Sitz 
aufgeschlagen  hat.  Zeigt  sich  doch  bei  derartigen  Anlässen  durch  die  ver- 
mehrte Turgescenz  und  durch  auifällige  Röthung  des  Gesichtes  deutlich, 
welch  grossen  Eintluss  eine  starke  und  anhaltende  Ausathmung  auf  den 
Blutlauf  nehme.  Uebrigens  wirkt  hier  die  Exspiration  nicht  gaiiz  allein, 
es  hilft  in  Betretf  des  Sehorganes  ein  anderer  Umstand  wesentlich  mit.  Es 
ziehen  nämlich  viele  der  aus  den  Orbitalvenen  theilweise  gespeisten  Blut- 
adern des  Gesichtes  zwischen  den  Knochen  und  den  Muskeln  des  Antlitzes, 
Beim  lauten  Sprechen  u.  s.  w.  werden  diese  Muskeln  stark  betheiliget,  und 
indem  ihre  Bäuche  anschwellen,  drücken  sie  die  Venen  gegen  die  Knochen 
und  verengern  so   deren   Lichtung. 

Ausserdem  ist  alles  auf  das  sorgsamste  zu  entfernen  und  zu  ver- 
meiden, was  im  mindesten  die  Athmungsthätigkeit  durch  Verengerung  der 
Luftröhre  und  des  Brustraumes  oder  durch  Compression  der  Lungen  er- 
schweren könnte.  Hieher  gehören  unter  anderen :  den  Hals  zusammen- 
schnürende Binden ,  enge  anliegende  auf  den  Thorax  drückende  Kleider, 
Ansammlungen  von  Fäcalmassen  in  den  Gedärmen,  UeberfüUung  des  Magens 
mit  Speisen  und  Getränken. 

Endlich  ist  es  eine  Hauptregel,  dass  Kranke  mit  congestionirten  oder 
entzündeten  Augen  nichts  essen ,  was  einen  grösseren  Kraftaufwand  von 
Seite  der  Kaumuskeln  nothwendig  macht ,  wegen  der  oben  angedeuteten 
blutstauenden  Wirkung  der  Gesichtsmuskelu.  Die  Verschlimmerung  der 
Congestivzustände  des  Auges  nach  starken  Mahlzeiten,  bei  welchen  die  Kau- 
muskeln einigermassen  mehr  in  Anspruch  genommen  wurden,  ist  Sache 
der  täglichen  Erfahrung. 

n.  Die  Indicatio  morhi  zielt  darauf  hin :  a.  den  localen  Stoffumsalz  zu 
beschränJcen,  b.  die  Blutzuftihr  zu  vermindern  und  c.  das  Fieber  zu  beseitigen 
oder  doch  zu  vermindern.      Die  hierzu  dienlichen  Mittel  sind  : 

1.  Directe  Wärmeentziehung.  Sie  wirkt  als  ein  kräftiger  Reiz  auf  die 
contractilen  Theile  der  Gewebe,  und  besonders  auf  die  Gefässmuskeln,  be- 
stimmt sie  zur  Contraction,  verursacht  somit  eine  Verengerung  der  Gefäss- 
lichtungen  und  vermindert  auf  diese  Weise  die  Blutzufuhr  zu  dem  Ent- 
zündungsherde und  den  Austritt  weisser  Blutkörperchen  aus  den  Gefässen 
(Samuel).  Ausserdem  stumpft  sie  die  Sensibilität  der  Theile  ab  und  ver- 
mindert so  die  Reizungen,    welche  von  Seite    der    schmerzhaft  ergriffenen 


2h  Indicatio  morlji ;  'Wänneentziehnng. 

Nerven  auf  die  vasomotorisclien  Sympathicusfasern  reflertirt  werden.  Auf 
dass  man  jedoch  ivohlthätige  Wirkungen  von  der  Wärmeentziehung  wirklich 
erwarten  dürfe,  wird  vorausgesetzt,  dass  der  auf  die  vasomotorischen  Ner- 
ven ausgeübte  Kältereiz  ein  gewisses  Mass  nicht  überschreite^  widrigenfalls 
die  Contractur  der  Gefassmiiskeln  alsbald  in  paralytische  Erschlaffung  um- 
setzt und    die  Bedingungen    des  Ausgleiches    sich  wesentlich  verschlimmern. 

Die  Mittel,  um  Kälte  auf  die  Augengegend  einwirken  zu  lassen,  sind 
natürlich  ausserordentlich  mannigfaltig.  Doch  dürften  Icalte  Ueberschläge 
zu  oculistischen  Zwecken  am  besten  passen. 

Douchen  waren  früher  einmal  Mode,  doch  ist  deren  Anschaffung  für  den 
Privatmann  zu  kostspielig  nnd  in  den  Spitälern  hat  man  sie  grösstentheils  aufge- 
geben, ein  sicheres  Zeichen,  dass  diesell)en  ihrem  Zwecke  wenig  oder  nicht  ent- 
sprochen haben. 

Um  eine  Ueberreizung  der  vasomotorischen  Nerven  und  deren  üble 
Folgen  zu  vermeiden,  ist  bei  der  Anwendung  von  kalten  Ueberschlägen  in 
erster  Linie  für  Ausschliessung  starker  Temperatiircontraste  zu  sorgen.  Es 
darf  der-  Ueberschlag  nicht  Zeit  haben ,  sich  zu  erhitzen ,  ehe  er  durch 
einen  anderen  ersetzt  wird.  Vielmehr  sind  die  Ueberschläge  rasch  zu  loech- 
sein  und  zwar  um  so  rascher,  je  wärmer  der  kranke  Theil  ist.  Der  Ge- 
fahr eines  positiven  Zuvielthtins  wird  man  leicht  begegnen ,  wenn  man  als 
Norm  betrachtet,  die  Kälteivirkung  niemals  so  weit  zu  treiben,  dass  die  Tem- 
peratur des  Theiles  um  ein  Bedeutendes  unter  das  physiologische  Mass  sinld, 
wenn  mau  also  die  kalten  Ueberschläge  nur  so  lauge  anwendet,  als  die 
Wärme  des  entzündeten  Theiles  eine  grössere  ist,  als  jene  der  umgebenden 
gesunden  Partien.  Im  Ganzen  haben  Wärmeentziehungen  in  der  Therapie 
der  Augenentzündung  ein  sehr  enges  Indicationsfeld  und,  wo  sie  mit  Nutzen 
verwendet  werden ,  haiidelt  es  sich  zumeist  bloss  um  zeitweilige  vor- 
sichtige Durchführung.  Nur  in  sehr  speciellen  Fällen,  bei  gewissen  höchst- 
gradigen  Entzündungen  der  äusseren  Theile  des  Sehorgans,  sind  fort  und 
fort,  Tag  und  Nacht,  applicirte  kalte  Ueberschläge  unentbehrlich. 

Am  geeignetsten  zu  solchen  Ueberschlägen  sind  leinene  Compressen,  welche 
in  kaltes  Wasser  getaticht  und  ansgewunden,  oder  noch  besser  auf  einem  Eisblocke 
erkältet  worden  sind.  Es  sollen  diese  Compressen  nicht  viel  mehr  Fläche  liaben 
als  die  äussere  Oeffnung  der  Orbita,  um  nicht  den  normalen  Umgebungen  der- 
selben zu  viel  Wärme  zu  entziehen.  Auch  sollen  dieselben  nicht  zu  schiver  sein, 
da  sie  sonst  in  der  Regel  sehr  lästig  und  bei  grösserer  Empfindlichkeit  nicht  ver- 
tragen werden.  Eine  3 — 4fach  zusammengelegte  feinleinene  Compresse  genügt 
vollkommen.  Die  Ueberschläge  müssen  immer  gut  ausgewunden  sein.  Tropfen  sie 
nämlich,  so  wird  durch  das  ablaufende  Wasser,  so  wie  durch  die  Befeuchtung  der 
Wäsche  u.  s.  w.  leicht  der  Grund  zu  argen  Verkühlungen  gelegt.  Ueberdies  weichen 
solche  nasse  Ueberschläge  leicht  die  Oberhaut  auf,  diese  wird  abgestossen  ,  das 
Coriura  blosgelegt  und  so  nicht  selten  ein  heftiges  Erythem  oder  gar  ein  Erysipel 
hervorgerufen. 

Excoriationen  und  deren  üble  Folgen  entstehen  übrigens  um  so  leichter,  je 
salzhaltiger  das  verwendete  Wasser  oder  Eis  ist.  Brunnenwasser  ist  ans  diesem  Grunde 
von  Alters  her  zu  Ueberschlägen  unbrauchbar  erklärt  worden.  Wo  man  sich  nicht 
sehr  weiches  Wasser  oder  daraus  geformtes  Eis  verschaffen  kann,  nnd  kalte  Ueber- 
schläge Noth  thun,  dürfte  man  mit  Vortheil  destillirtes  Wasser  im  abgekühlten  oder 
gefrorenen  Zustande  verwenden.  Besonders  wichtig  sind  diese  Vorsichten  bei  Leuten 
mit  sehr  zarter  empfindlicher,  oder  mit  schlaffer  welker  Haut.  Solche  Individuen 
vertragen  kalte  Umschläge  meisthin  schwer;  daher  letztere  auch  nur  in  dringender 
Noth  und  soweit  möglich  sparsam  angewendet  werden  müssen,  selbst  auf  die  Gefahr 
hin,  die  Heilung  zu  verzögern.  Etwas  mildern  kann  man  indessen  diesen  üblen 
Einfluss  allerdings,  wenn  man  die  äussere  Haut  mit  einer  sehr  dünnen  Schichte 
reinen  frischen  Fettes  bestreicht  oder  durch  ein  leicht  mit  Fett  bestrichenes  Läpp- 


Blutentziehungen;  Aderlass;   Blutegel;    Bdellatomie.  27 

chen  feiner  Leinwand  die  directe  Einwirkung  des  feuchten  Ueberschlages  auf  die 
Haut  verhindert.  Sind  bereits  Excoriationen  zu  Staude  gekommen,  ein  Erythem 
u.  s.  w.  vorhanden,  so  ist  es  freilich  das  Beste,  die  Umschläge  womöglich  wegzu- 
lassen und  die  Heilung  der  Hautentzündung  durch  leichtes  Bestreichen  mit  Fett 
zi;  begünstigen. 

2.  Directe  Blutentziehungen.  Vor  Kurzem  noch  waren  Aderlässe  sehr 
beliebt.  Es  steht  ihr  übrigens  sehr  zweifelhafter  therapeutischer  Nutzen 
jedoch  in  keinem  Yerhältnisse  zu  dem  verderbliclien  Eiirfiuss,  welchen  sie 
auf  den  Ernährungszustand  des  gesammten  Körpers  nehmen  können ;  daher 
man  sich  derzeit  in  der  Augenpraxis  fast  durchgehends  auf  örtliche  Blut- 
entziehungen  beschränkt.  Deren  Zweck  ist,  den  Abfluss  des  Blutes  aus  con- 
gestionirten  oder  entzündeten  Organen  in  der  Richtung  der  Gefässöffnungen 
zu  erleichtern,  also  der  Entwickelung  von  Stasen  zu  steuern  und  vorhan- 
dene entzündliche  Stasen  zu  lösen  (Samuel),  um  so  den  Durchtritt  weisser 
Blutkörperchen  durch  die  Gefässwände  und  die  Filtration  möglichst  zu  be- 
schränken. Die  gebräuchlichen  Mittel  sind  der  natürliche  und  der  künstliche 
Blutegel,   Schröpf  köpf e ,   Incisionen  und  Scarificationen  der  Bindehaut. 

Die  natürlichen  Blutegel  werden  ebenso  wie  die  künstlichen  in  der 
Regel  an  die  Schläfengegend  als  der  anerkannt  geeignetsten  Stelle  applicirt. 
Um  einige  Wirkung  zu  erzielen,  müssen  bei  ganz  kleinen  Kindern  1 — 2, 
bei  grösseren  Kindern  3 — 4,  bei  Erwachsenen  aber  ztun  wenigsten  6 — -8 
Stück  Blutegel  mittlerer  Gattung  angelegt  werden.  Auch  ist  behufs  dessen 
dafür  zu  sorgen ,  dass  die  Egel  möglichst  gleichzeitig  anbeissen  und  dass 
nach  deren  Abfall  der  Blutfluss  reichlich  und  leicht  von  Statten  gehen 
könne.  Insoferne  die  ableitende  Wirkung  natürlicher  Blutegel  ,  eine  rasch 
vorübergehende  ist  und  die  durch  sie  bedingten  Strömungsalterationen  sich 
bald  wieder  ausgleichen,  erscheint  es  im  Interesse  einer  möglichst  grossen 
Ausbeutung  des  zeitweiligen  Effectes  räthlich,  die  Blutegel  bei  entzündlichen 
Zuständen  womöglich  immer  vor  oder  im  Beginne  der  Exacerbationen  anzu- 
wenden ,  indem  während  dieser  der  Process  einen  Aufschwung  nimmt, 
reichlicher  producirt  und  wohl  auch  seine  Schmerzhaftigkeit  steigert. 

Die  Fossa  angiilaris  ist  so  wie  die  äussere  Haut  der  Lider  insoferne  ein  un- 
passender Ort  für  die  Anlegung  der  Blutegel,  als  deren  Bisse  oft  lange  Zeit  kennt- 
lich bleiben  und  den  Kranken  entstellen.  Hauptsächlich  aber  ist  dieser  Ort  darum 
zu  vermeiden,  weil  die  Blutegel  nicht  selten  die  überaus  dünne  Haut  jener  Stellen 
und  selbst  die  darunter  ziehenden  Venenstämmchen  durchbeissen  und  so  zu  be- 
deutenden Blutungen,  insbesondere  aber  zu  ausgedehnten  Blutergüssen  in  das  lockere 
Unterhautbiudegewebe  Veranlassung  geben,  zu  Extravasationen,  welche  oft  Wochen 
und  Monate  brauchen,  ehe  sie  verschwinden  und  dem  Kranken  erlauben,  sich  unter 
Menschen  zu  zeigen,  bisweilen  sogar  noch  üblere  Folgen  mit  sich  bringen,  indem 
sie  Entzündungen,  ja  selbst  Abscessbildungen  bedingen.  Die  Gegend  des  Zitzen- 
fortsatzes kann  als  Ansatzort  dienen ,  wenn  eine  gegebene  Congestion  oder  Ent- 
zündung des  Sehorganes  mit  Hyperämien  der  Schädelbasis  in  nahem  pathogenetischen 
Zusammenhange  steht. 

Es  lässt  sich  die  Grösse  der  therapeutischen  Wirkung  natürlicher 
Blutegel  in-  und  extensiv  durch  das  in  neuerer  Zeit  wieder  empfohlene 
Anschlagen  derselben,  die  sogenannte  Bdellatomie,  steigern,  indem  solcher- 
massen  nicht  nur  die  Menge  des  entleerten  Blutes ,  sondern  auch  die 
Schnelligkeit,  mit  welcher  dasselbe  den  Gefässen  entzogen  wird,  wesentlich 
vermehrt  wird. 

Die  Bdellatomie  geschieht  am  besten  mit  Hilfe  eines  Aderlassschnäppers,  kann 
im  Nothfalle  jedoch  auch  mittelst  einer  Aderlasslancette  durchgeführt  werden.  Der 
günstigste  Zeitpunkt  ist,  wenn  der  angelegte  Blutegel  sich  bereits  massig  angesaugt 
hat.     Man  hebt  dann  das  Schwanzende    des  Thieres  vorsichtig    ab    und  schlägt  die 


28  Indicatio  moil>i;  Blnlentziehungeii ;  Heiivtelonp'schPv  Blutegel, 

Klinge  kräftig  in  die  Seite  des  Schwänzendes,  am  besten  in  die  linke,  ein.  Am 
Rücken  wird  die  Verwundung  weniger  gut,  am  Bauche  schlecht  vertragen.  Nach 
dem  Anschlagen  muss  die  Wunde  durch  Waschen  mit  einem  feuchten  Schwämme 
oder  durch  Anspritzen  mit  lauem  Wasser  von  Gerinnseln  frei  gehalten  werden, 
damit  das  Blut  ungehindert  aus  der  Leibeshöhle  des  saugenden  Thieres  ausfliessen 
könne.  Ein  so  behandelter  Blutegel  saugt  viel  länger ,  als  ein  gesunder  und  ent- 
zieht viel  grössere  Mengen  von  Blut,  bis  zu  Einer  und  ausnahmsweise  selbst 
2  Unzen.  Fällt  er  wegen  Unruhe  des  Kranken  oder  wegen  roher  Hanthierung 
vorzeitig  ab,  so  saugt  er  sich,  angelegt,  rasch  wieder  an.  Sorgfältig  in  reinem 
Wasser  gehalten,  kann  dasselbe  Thier  in  Zwischenpausen  von  mehreren  Tagen 
oder  Wochen  wiederholt  angelegt  und  angeschlagen  werden  {Fwcher). 

Rasche  örtliche  Entziehuugeu  grösserer  Blutniengen  werden  übrigens 
am  sichersten  durch  den  künstlichen  Blutegel  bewerkstelligt.  Man  zieht  den 
Heurteloup' sehen ,  welcher  eine  kreisrunde  Wunde  setzt ,  dem  Harder'schen, 
welcher  mit  drei  federnden  Messerchen  einschneidet,  vielseitig  vor.  Die 
durch  die  Application  dieses  Instrumentes  bedingten  in-  und  extensiv  sehr 
erheblichen  Strömungsalterationeu  finden  eine  sehr  wichtige  Quelle  in  dem 
mächtigen  Eindrucke,  welchen  die  plötzliche  Entleerung  eines  Gefäss- 
bezirkes  auf  die  vasomotorischen  Nerven  der  Nachbarschaft  und  selbst  ent- 
fernterer Verzweigungsgebiete  ausübt.  Die  revulsorische  Wirkung  offenbart 
sicli  nach  der  Operation  meistens  in  sehr  aufTälligeu  nervösen  und  vascu- 
laren  Aufregungen,  eine  Reaction ,  deren  Stärke  leider  nicht  immer  im 
Voraus  zu  bemessen  ist  und  unter  Umständen  sogar  in  hohem  Grade  ge- 
fährlich werden  kann.  So  beobachtet  man  als  unmittelbare  Folge  der  Appli- 
cation fast  constant  eine  erhebliche  Zunahme  der  Hyperämie  in  den  nachbar- 
lichen Theilen,  welche  allerdings  bald  weicht  und  im  günstigen  Falle  der 
beabsichtigten  Gefässcontraction  Platz  macht.  Bei  sehr  erregbaren  Kranken 
kömmt  es  wohl  gar  zu  förmlichen  Bluticallungen  und  nicht  selten  äussert 
sich  die  Reaction  gegen  den  Eingriff  auch  in  allerlei  Sensibilitätsstörungen, 
in  subjectiven  Lichterscheinungen  und  bei  gegebener  Amblyopie  hat  man  eine  Ab- 
nahme der  Sehschärfe  constatirt,  welche  oft  erst  nach  einigen  Tagen  schwindet. 

Es  gilt  dieses  nach  den  bisherigen  Erfahrungen,  wenn  auch  in  gerin- 
gerem Masse,  auch  von  der  Bdellatomie ;  auch  diese  soll  den  Kranken  immer 
sehr  bedeutend  aufregen.  Es  erscheint  darum  räthlich ,  die  örtlichen  Blut- 
entziehungen dieser  Ai't  stets  vor  dem  Schlafengehen  vorzunehmen,  damit 
die  nachfolgende  Nachtruhe  beitrage,  die  Reaction  zu  beschwichtigen.  Bei 
sehr  erregbaren  Kranken  empfiehlt  man  sogar  möglichste  Ruhe  in  verdun- 
keltem Zimmer  während  des  ganzen  folgenden  Tages  (Graefe).  Immerhin 
sind  dieses  nur  Palliativmittel  ,  welche  die  Gefahren  der  Reaction  wohl 
mindern  können,   aber  nicht  aufheben. 

Im  Ganzen  ersieht  man,  dass  örtliche  Blutentziehungen,  mittelst  der 
Bdellatomie  und  namentlich  durch  den  künstlichen  Blutegel  veranlasst, 
bei  entzündlichen  Zuständen  mit  mehr  sthenischem  Charakter  besser  gemieden 
werden ,  und  dass  deren  Anwendbarkeit  sich  lediglich  auf  mehr  passive 
Hyperämien  uad  chronische  Entzündungen  beschränke.  Doch  auch  in  Betreff 
dieser  ist  das  dem  künstlichen  Blutegel  in  neuerer  Zeit  gespendete  Lob 
nicht  verdient ;  es  sind  die  damit  erzielten  Erfolge  zum  mindesten  sehr 
zweifelhaft  und  lohnen  kaum  die  Leiden  des  Kranken. 

Die  blutigen  Schröjjfköpfe  finden  in  der  Nähe  des  Auges  keinen  geeigneten 
Ansatzort,  in  grösserer  Entfernung  davon  applicirt  sind  sie  aber  kaum  von  genü- 
gendem Einfluss  auf  die  Circulationsverhältnisse  des  Sehorganes  und  seiner  Adnexa. 
Trockene  Schropfköpfe,  an  die  Schläfengegend  geheftet,   sind  soviel  wie  unwirksam. 


tJeliröpfkopfo ;    Scanli(;atioiu:u ;    aiiliplilu),'ibtisi-lie    Uiill    uud    Arznoikorpor.  29 

Tncisionen  und  Scarificationen  kommen  mir  bei  höchstgradigen  Bindehautent- 
zilndun(]en  in  Anwendung.  Die  grosso  .Sclimerzhaftigkeit  dieses  Verfahrens  setzt  in- 
dessen seiner  Ausführung  in  der  Meln-zalil  der  Fälle  unübcrsteigliche  Hindernisse 
in  den  Weg  und  der  praktische  Augenarzt  muss  sich  um  so  mehr  besinnen,  es  in 
Anwendung  zu  bringen,  als  der  Erfolg  nicht  immer  den  Erwartungen  entspricht 
oder  ein  für  den  Kranken  greifbarer  ist,  vielmehr  eine  Steigerunfj  der  entzündlichen 
Erscheinungen  in  der  locker  gewehten  Bindehaut  als  Nachwirkung  nicht  gerade 
zu  den  Seltenheiten  gehört.  IJeberdiess  liisst  sich  die  gewünschte  Wirkung  zum 
grossen  Theile  durch  Application  eincir  genügenden  Anzahl  von  natürlichen  Blut- 
egeln erzielen. 

3.  Antiphlogistische  Diät  im  weiteren  Wort  sinne.  Man  verstellt  dar- 
unter ausser  der  Verminderung  der  Zufuhr  eigentlicher  Ernlihrungsstoffe 
zum  Blute  auch  die  Fernhaltung  alles  dessen ,  was  erregend  auf  das 
Nervensystem  oder  die  Circulation  wirken   könnte. 

Sie  ist  mit  aller  Strenge  und  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  zu  hand- 
haben, wo  die  Entzündung  durch  ihre  Intensität  iind  Extensität  gefülirlich 
erscheint,  es  möge  nun  der  gesammte  Organismus  durch  Fieberbewegungen 
seine  Theilnahme  beurkunden  oder  nicht. 

Sonst  genügt  es  in  der  Kegel,  Massigkeit  in  jeder  Beziehung  einzu- 
halten und  den  Genuss  harter,  zäher,  die  Kaumuskeln  stark  anstrengender 
Speisen  zu  meiden.  Eine  rigorose  antiphlogistische  Diät  ist  in  Fällen  ge- 
ringerer Bedeutung  um  so  weniger  gerechtfertigt ,  als  durch  die  Herab- 
setzung der  Gesamniternährung ,  besonders  bei  chronischem  Verlaufe  des 
Uebels  und  fortgesetzter  Entziehungskur,  leicht  andere  Gefahren  begründet 
werden  können,  welche  jene  des  localen  Leidens  weit  überwiegen. 

Wo  die  Ernährung  ohnehin  darniederliegt  oder  vielleicht  gar  darin 
begründete  Schwächezustände  bei  der  Entwicklung  der  Entzündung  be- 
günstigend mitgeiüirkt  haben,  wird  es  öfters  geradezu  nothwendig  sein,  diirch 
kräftigende  und  leicht  stiniulirende  Diät,  also  durch  Hebung  der  allgemeinen 
Nutritionsverhältnisse,   dem  Ausgleiche  der  Störungen  vorzuarbeiten. 

Zur  strengen  antiphlogistischen  Diät  gehört  die  grösste  körperliche 
und  geistige  Euhe ;  Erhaltung  einer  gleichmässig  reinen  imd  kühlen  Luft; 
Vermeidung  aller  aromatischen  und  geistigen  Getränke,  des  Kaffee,  Thee, 
des  Weines,  Bieres  und  aller  wie  immer  geheissenen  gebrannten  Wässer; 
Abbruch  an  der  zur  Sättigimg  erforderlichen  Menge  von  Speise  und  sorg- 
fältigste Wahl  milder,  leicht  verdaulicher,  wenig  nährender  Substanzen. 
Besonders  dienlich  erscheinen  in  dieser  Beziehung  leicht  oxydationsföhige 
Stoffe,  Liebig's  llespirationsmittel,  die  PHanzensäuren,  die  leichten  Stärke- 
und  Zuckersorten  etc.  —  Suppen,  leichte  Gemüse,  Salate,  gedünstete  oder 
eingemachte  Früchte,  säuerliche  Getränke  u.  s.  w.  haben  sohin  als  Haupt- 
bestandtheile  der  Kost  zu  gelten.  Stark  gewürzte  Speisen  sind  stets  zu 
untersagen;  ebenso  fette,  letztere  besonders  darum,  weil  sie  bei  der  durch 
den  Krankheitszustand  gebotenen  Körperruhe  schwer  verdaut  werden. 
Auch  ist  es  gerathen ,  die  Speisen  mehr  kühl  geniesen  und  davon  jedes- 
mal nur  wenig,   dafür  aber  öfters  des  Tages  verabreichen  zu  lassen. 

4.  Antiphlogistische  Arzneikörper.  Ilire  Zahl  ist  gross,  dagegen  ilu'e 
Verlässlichkeit  im  Kampfe  gegen  den  entzündlichen  Process  als  solchen 
sehr  gering.  Man  soll  daher  mit  ihrer  Anwendung  in  Fällen  reiner 
Ophthalmien,  wo  es  lediglich  auf  antiphlogistische  Wirkungen  ankömmt, 
so  viel  als  möglich  zurückhalten;  wo  es  die  Verhältnisse  erheischen,  die 
milderen  derselben,   den   Scdpeter  (Samuel),   die  kohlensaioren,   phosphor sauren, 


30  Indicatio  morti ;    Antiphlogistische   Arzneikörper ;   Mercuralien. 

pflanzensauren  Alittehahe  gebrauchen  und  die  heroischen  meiden  odei'  doch 
nur  dann  benützen,  wenn  durch  den  entzündlichen  Process  die  Functions- 
tüchtigkeit  des  Sehorganes  in  wirkliche  Gefahr  gerathen  ist  und  es  darauf 
ankömmt,  im  Falle  eines  üblen  Ereignisses  sich  selbst  sagen  zu  können, 
es  sei  Alles  geschehen,  was  zur  Abwendung  des  traurigen  Ausganges  nur 
immer  geschehen  konnte. 

Von  dem  Gebrauche  des  Inf.  rad.  Senegae,  des  Terpentin'öhles  und  ähnlicher 
Specifica  ist  man  längst  abgekommen,  es  ist  daher  überflüssig,  ihrer  hier  weiter  zu 
erwähnen.  Der  Brechweinstein,  ein  früher  sehr  beliebtes  Mittel,  ist  in  der  Angen- 
praxis  ganz  nutzlos,  ja  geradezu  schädlich  und  darum  strenge  zvx  meiden.  Das 
Jodkali  dagegen,  in  massigen  Dosen  verabreicht,  ist  kaum  bedenklich,  als  reines 
Antiphlogisticum    aber  von  keinem  besonderen  Werthe. 

Am  meisten  Missbrauch  ist  jedenfalls  mit  der  Anwendung  des  Quecksilbers 
getrieben  worden,  indem  man  jede  nur  einigermassen  heftige  Reizung  im  Bereiche 
des  Sehorganes  mit  Mercurialien  behandelte.  Man  sah  im  Quecksilber  ein  Mittel, 
welches  ganz  specifisch  auf  das  Auge  wirken  und  daselbst  entzündliche  Störungen 
ausgleichen  sollte.  Der  Grund  dieser  gewiss  irrthümlichen  Meinung  liegt  vielleicht 
in  einem  Beobachtungsfehler.  Man  hatte  sich  eingebildet,  die  syiihilitische  Iritis  sei 
durch  ganz  bestimmte  Erscheinungen  characterisirt  und  wo  diese  Symptome  fehlen, 
könne  von  der  syphilitischen  Begründung  einer  gegebenen  Regenbogenhautentzün- 
dung  keine  Rede  sein.  Hier  liegt  der  erste  Fehler,  da  es  über  jeden  Zweifel  er- 
haben ist,  dass  jede  Iritis,  ihre  Form  sei  welche  sie  wolle,  auf  syphilitischem 
Boden  wurzeln  könne.  Indem  man  nun  in  der  Praxis  öfters  auf  Iritiden  stiess, 
welche,  jener  präsumtiven  Merkmale  der  Syphilis  entbehi-end,  dennoch  syphilitischen 
Ursprungs  waren,  und  demnach  nur  der  antisyphilitischen  Behandlung,  namentlich 
mit  Mercur  wichen,  musste  man  nothwendig  auf  den  Gedanken  kommen,  das 
Quecksilber  wirke  aiif  das  entzündete  Sehorgan  kräftiger  ein,  als  andere  Arznei- 
körper, und  so  geschah  es,  dass  dasselbe  bald  den  Ruf  einer  wahren  Panacee 
erlangte. 

Am  häufigsten  wird  sonderbarer  Weise  das  Calomel  angewendet,  ein  Prä- 
parat ,  welches  bekanntlich  sehr  gerne  dünnflüssige  grüne  Stühle  hervorbringt  und 
sehr  leicht  höchst  fatale  und  hartnäckige  Speichelflüsse  erzeugt,  die  dem  Kranken 
sehr  lästig  und  gar  nicht  selten  auch  verderblich  werden.  Oft  genügen  wenige 
Dosen  von  einem  Grane,  um  diesen  überaus  misslichen  Zustand  hervorzurufen, 
und  man  ist  gezwungen ,  den  Mercur  aufzugeben,  ehe  er  die  gewünschten  Wir- 
kungen entfalten  konnte.  Wo  es  also  wirklich  darauf  ankömmt,  zu  vtercurialisiren, 
ist  das  Calomel  gerade  weniger  geeignet.  Aehnliches  gilt  von  dem  Merc.  solubilis 
Hahnemanm  und  dem  Protojoduretum   Hydrargyri. 

Mehr  dürfte  der  SvbUmat  zu  empfehlen  sein.  Dieser  wird  oft  gut  vertragen 
und  kann  lange  Zeit  ohne  besonderen  Nachtheil  genommen  werden.  Mitunter  je- 
doch erregt  er  heftige  Magenschmerzen,  welche  den  weiteren  Gebrauch  desselben 
verbieten.  Ambesten  wird  er  in  Pillenform  gegeben.-  Rp.  Merc.  subl.  corros.  gr.  2, 
solve  in  s.  q.  Aq.  dest.  simpl.  adde  micae  panis  alb.  q.  s.  ut  f.  pil.  gr.  1  2sr.  32. 
Consp.  pulv.  I^iiquiritiae.  Man  lässt  des  Morgens  und  des  Abends  eine  Pille  bei 
leerem  Magen  nehmen  und  von  zwei  zu  zwei  Tagen  mit  der  Dosis  bis  zu  V'a  Gtran 
Sublimat  pro  die  steigen,  dann  aber  ebenso  wieder  in  zweitägigen  Perioden  mit 
der  Dosis  sinken. 

Sehr  beliebt  sind  ausserdem  Einreibungen  von  Unguent.  Hydrarg.  cinereum 
in  die  Stirngegend.  Man  glaubt  dadurch  die  Wirkung  der  innerlich  verabreichten 
Antiphlogistica  zu  unterstützen,  gleichzeitig  aber  auch  die  Aufsaugung  im  Bereiche 
der  Augenhöhle  kräftig  anzuregen.  Der  Nutzen  dieses  Mittels  ist  jedoch  mehr  als 
zweifelhaft.  Bei  Kindern  und  unreinlichen  unachtsamen  Kranken  ist  die  Einrei- 
bung dieser  Salbe  in  der  Nähe  des  Auges  sogar  gefährlich,  da  derlei  Individuen 
das  Mittel  überall  herumschmieren,  wohl  auch  in  den  Bindehautsack  bringen  land 
so  missliebige  Reizungen  am  Auge  begründen. 

Wo  es  darauf  ankömmt ,  das  Quecksilber  rasch  und  in  genügender 
Menge  eindringen  zu  machen,  um  möglichst  schnell  eine  kräftige  Wirkung 
zu  erzielen,  insbesondere  bei  Begründung  von  Ophthalmien  durch  ein  syphili- 
tisches    Grundleiden,    ist    die   Schmierkur    ohne  Zweifel  das  sicherste  ^Mittel. 


Sclimioiliur.  31 

Sie  wird  neuerer  Zeit  mit  dem  innerlichen  Gebrauche  des  Jodkali  oder  des 
billigeren  Chlorlcali  verbunden,  eine  Combination,  welche  vielfältige  Er- 
fahrungen als  wehr  vortlu'ilhaft  erwiesen  haben.  Die  Zahl  der  Einreibungen 
und  sollin  auch  der  Kurtage  hängt  von  dorn  Ei'folge  des  Mittels  ab.  Im 
Allgemeinen  soll  die  Behandlung  bis  zum  Schwinden  der  Ophthalmie  und 
der  nebenbei  etwa  vorhandenen  Erscheinungen  der  constitutionellen  Syphilis 
fortgesetzt  werden.  Um  frisch  entstandene  Localleiden  zu  beseitigen,  ge- 
nügen oft  10 — 16  Einreibungen,  mitunter  sind  aber  zu  diesem  Zwecke 
auch  20 — 30  Inunctionen  erforderlich.  Darüber  hinaus  zu  gehen,  ist  nicht 
räthlich,  denn  wo  20 — -30  Einreibungen  keinen  Erfolg  haben,  nützt  auch 
eine  weitere  Einfuhr  von  Mercur  in  den  Körper  nichts,  kann  vielmehr 
nur  schaden. 

Die  Dringlichkeit  der  Umstände  gestattet  bei  Ophthalmien  die  sonst  üljlichen 
zeitraubenden  Vorhereifungen  zur  8chniierknr  meistens  nicht.  Warme  Bäder  werden 
durch  einigermassen  heftigere  Entzündungen  des  Auges  sogar  contraindicirt  i;nd 
müssen  in  solchen  Fällen  durch  Waschungen  der  zu  salbenden  Körpertheile  mit 
lauem  Seifenwasser  ersetzt  werden. 

Zur  Einreibung  werden  täglich  1  Ins  2  Scrupel  der  grauen  Salbe  verwendet. 
Diese  Dosis  wird  in  kleineren  Theilen  nach  und  nach  unter  sanften  kreisförmigen 
Bewegungen  bis  zum  völligen  Verschwinden,  am  besten  von  dem  Kranken  eigen- 
händig, eingerieben  und  zwar  den  ersten  Tag  in  die  Waden  und  in  die  Kniebeuge, 
den  zweiten  Tag  in  die  innere  Fläche  der  Schenkel,  den  dritten  an  die  beiden 
Brust-  und  Bauchflächen ,  den  vierten  in  die  innere  Seite  der  Vorder-  und  Ober- 
arme nebst  der  Ellenbogenbeuge,  worauf  derselbe  Turnus  von  vorne  begonnen 
wird.  Brustwarzen,  Nabel,  sehr  haarige  Theile  und  mit  nässenden  Ausschlägen 
oder  Geschwüren  bedeckte  Hautstellen  sind  dabei  zu  meiden.  Nach  erfolgter  Ein- 
reibung ist  der  betreffende  Theil  mit  einem  leinenen  oder  wollenen  Tuche  ein- 
zuhüllen. 

Die  beste  Zeit  zum  Einschmieren  ist  eine  Stunde  vor  dem  Einschlafen,  da 
während  der  nächtlichen  Ruhe  die  Ausdünstung  am  wenigsten  leicht  gestört  wird. 
Des  Morgens  früh  wird  der  Kranke  durch  eine  zweite  Decke  in  eine  mehrstündige 
verstärkte  Transpiration  gebracht,  dabei  aber  so  wie  während  des  nächtlichen 
Schlafes  dafür  gesorgt,  dass  er  sich  nicht  bis  über  den  Mund  zudecke  und  so  die 
in  der  Bettwärme  entwickelten  Mercurdämpfe  einathme.  Sodann  wird  die  gesalbte 
Stelle  mit  lauem  Seifenwasser  abgewaschen  und  getrocknet,  worauf  der  Kranke 
das  Bett  zu  verlassen  und  sich  Tags  über  zweckmässig  gekleidet  im  Zimmer  auf- 
zuhalten hat. 

Das  Bett  ist  jederzeit  an  einer  vor  Zughift  und  Lichtwechsel  völlig  ge- 
sicherten Stelle  des  Zimmers  aufzustellen,  darf  aber  durch  Schirme,  Vorhänge  und 
andere  Vorrichtungen  nicht  eingeengt  werden,  da  Verhinderung  der  Luftströmung 
Speichelfluss  begünstigt  und  das  Verweilen  in  einem  enge  umschlossenen  Räume 
den  Kranken  unnöthiger  Weise  übermässig  belästigt  und  ihm  selbst  schädlich 
werden  kann.  Ueberhaupt  ist  ausgiebige  und  tägliche  Lüftung  des  Zimmers  eine 
nie  zu  versäumende  Massregel,  behufs  welcher  der  Kranke,  wo  thunlich,  am 
besten  zicei  Zimmer  zu  seinem  ausschliesslichen  Gebrauche  verwendet.  Sehr  wichtig 
ist  dabei,  dass  die  Temperatur  des  Zimmers  eine  warme  sei  und  niemals  unter 
lö*^  R.  sinke,  denn  Verkühlungen  können  während  der  Kur  und  kurz  darnach 
leicht  zu  verderblichen  Folgen  führen. 

Die  dringende  Nothwendigkeit,  für  ausgiebige  Lnftnng  zu  sorgen,  ergibt  sich 
besonders  deutlich  aus  neuerlich  an  Menschen  und  Thieren  angestellten  ^^ersuchen 
und  aus  Beobachtungen  an  Quecksilberarbeitern,  Spiegelmachern  etc.  Es  stellen 
dieselben  heraus,  dass  das  Quecksilber  besonders  in  Dampfform  schädlich  wirkt 
und  dass  die  im  Verlaufe  der  Schmierkur  auftretende  Stomatitis  mid  deren  reflec- 
torische  Folge,  der  Speichelfluss  in  erster  Linie,  wenn  nicht  ausschliesslich,  durch 
die  eingeathmeten  Mercurdämpfe  veranlasst  werden.  Die  vorwiegende  Disposition 
der  Mundschleimhaut  zu  entzündlichen  Affectionen  bei  Einwirkung  dieser  Dämpfe 
erklärt  sich  durch  die  starke  Reibung  und  den  Druck,  welchen  dieselbe  vornehm- 
lich an  den  Zähnen  ausgesetzt  ist.  Bei  zahnlosen  Greisen  und  Kindern  soll  diese 
Disposition    in    der    That    fehlen.    Uebrigens    kömmt  als  pathogenetisches  Moment 


32  Indicatio  morbi;   Schmierkur;    Zilmann'sches   Decoct. 

der  mercuriellen  Stomatitis  auch  der  Umstand  in  Betracht,  dass  das  in  den  Körper 
aufgenommene  Quecksilber  hauptsächlich  durch  den  Speichel  ausgeschieden  wird, 
mit  der  Mundschleimhaut  also  in  unmittelbare  Berührung  kommt  iind  hier  durch 
den  mechanischen  Contact  in  eben  der  Weise  Entzündungen  anregen  kann,  wie  an 
der  äussern  Haut  empfindlicher   zarter   Individuen  (Kirchgasser). 

Von  höchster  Wichtigkeit  ist  in  Anbetracht  dessen  auch  die  ins  Kleinlichste 
gehende  Sorgfalt  für  Reinlichkeit  des  Mundes  und  der  Zähne.  Die  allstündliche  und 
auch  des  Nachts  öfter  wiederholte  Anwendung  von  Mund-  und  GiirgeJivässern  so 
wie  das  Putzen  der  Zähne  mit  weichen  Zahnbürsten  oder  feineu  Leinwandlappen 
ist  unerlässlich,  um  bei  disponirten  Leuten  den  bekannten  Nachtheilen  der  Queck- 
silberkur mit  Sicherheit  zu  begegnen.  Als  Mund-  und  Gurgelicässer  eignen  sich  bei 
Vorhandensein  von  Mund-  und  Eachengeschwüren  am  besten  Lösungen  von  Sub- 
limat gr.  1—2,  oder  Natri  subchlorin.  drach.  2—4,  oder  Chloret.  Kali  drach.  1  auf 
das  Pfund  Wasser;  sonst  aber  Solutionen  von  Alumin.  crud.  drach.  1 — 2, 
oder  Tannini  pur.  di-ach.  */2 — !>  oder  Tinct.  gallic.  drach.  2 — 4,  oder  Borac.  venet. 
drach.  1 — 2  auf  das  Pfund  Wasser.  Ist  bereits  das  Zahnfleisch  angegriffen,  aufge- 
lockert, schwammig,  excoriirt,  leicht  blutend,  so  muss  nebstbei  der  Zahnrand  des- 
selben täglich  mehrmal  mit  Gallustinctur  oder  Opiumtinctur  bestrichen  werden. 

lieber  Tag  nimmt  der  Kranke  während  der  ganzen  Kurdauer  eine  Löung 
von  einer  halben  Drachme  Jodkali  oder  Chlorkali  auf  4  Unzen  Wasser.  Die  Diät 
ist  möglichst  zu  beschränken,  doch  nicht  in  dem  Grade,  dass  der  Kranke  durch 
Hunger  herabkomme.  Wo  die  Kräfte  bereits  sehr  gesunken  sind,  erscheint  es  so- 
gar räthlich,  durch  reichliche  nahrhafte,  leicht  verdauliche  Speisen  dem  Organis- 
mus zu  Hilfe  zu  kommen.  Die  Sorge  für  tägliche  ein-  oder  mehrmalige  Stuhlent- 
leertmgen  ist  nicht  zu  vernachlässigen.  Bäder  sind  während  der  Kur  wegen  des 
Augenleidens  nicht  anzurathen,  so  nützlich  selbe  auch  sonsten  sein  mögen  ;  dafür 
aber  ist  das  öftere  Wechseln  frischer,  wohl  durchwärmter  Wäsche  ohne  allem 
Nachtheil  für  die  Kur,  vielmehr  nothwendig. 

Am  Tage  nach  der  letzten  Einreibung  nimmt  der  Kranke  wo  möglich  ein 
warmes  Seifenbad  oder  wird  mit  warmem  Seifenwasser  am  ganzen  Körper  wohl 
gewaschen  und  wechselt  die  Wäsche.  Nur  allmälig  darf  er  zu  seiner  früheren 
Lebensweise  zurückkehren.  Sehr  räthlich  ist  es,  das  Jodkali  noch  einige  Zeit  nach 
dem  Aussetzen  der  Einreihungen  forthrauclien  zu  lassen.  Wo  indessen  eine  kräftigere 
Nachhilfe  von  Nötheii  scheint,  insbesondere  wenn  aus  irgend  einem  Grunde  die 
Schmierkur  vorzeitig  unterhrochen  werden  musste,  dürfte  es  räthlich  sein,  täglich 
ein  Pfund  des  schwächeren  oder  auch  wohl  des  stärkeren  Zifmaini' sehen  Decoctes 
in  Anwendung  zu  bringen.  Man  gibt  es  am  besten  zeitlich  Morgens  und  lässt  den 
Kranken  darnach  noch  2 — 3  Stunden  im  Bette  dunsten. 

Ueberhaupt  ist  das  Zitmann'sche  Decoct  in  der  bekannten  Weise  methodisch 
angewendet,  auch  im  Stande,  die  Schmierkur  noflidürftig  zu  ersetzen,  wo  sich  der 
Durchführung  letzterer  uuübersteigliche  Hindernisse  in  den  Weg  stellen. 

Die  Schmierkur  wird  noch  vielseitig  für  einen  höchst,  verderblichen 
Eingriff  in  den  Organismus  gehalten  und  gefürchtet.  Bei  Lungenschioachen 
und  Tuberculosen  ist  sie  allerdings  sehr  bedenklich  und  wo  möglich  zu 
meiden,  indem  solche  Individuen  erfahrungsgemäss  von  Qiiecksilberdämpfen 
sehr  übel  mitgenommen  werden.  Im  üebrigen  aber  beobachtet  man  im 
Gefolge  vorsichtig  und  zweckmässig  geleiteter  luunctionskuren  kaum  erheb- 
liche Xachtheile  für  den  Gesammtorganismus  und  die  enorme  Scheu  vor 
denselben  scheint  übertrieben,  wenn  man  in  Erwägung  zieht,  dass  noch 
vor  Kurzem  allenthalben,  und  theilweise  selbst  noch  gegenwärtig,  bei  den 
unbedeutendsten  Localaffectionen  das  Quecksilber  in  starken  Dosen  und 
durch  lange  Zeit  verabreicht  wurde,  oluie  dass  sich  sehr  auffällige  und 
bleibende  Schäden  ergeben  haben.  Immerhin  fordert  der  Mercur  als  thera- 
peutisches ^Mittel  die  grösste  Vorsicht  und  sein  Gebrauch  ist  nur  in  wirk- 
lich dringenden  Fällen  zu  rechtfertigen,  wo  andere  ^Mittel  nicht  zureichen. 
K^amentlich  bei  syphilitischen  Äffectionen  der  Binnenorgane  des  Augapfels  ist 
er  unersetzlich  und   anzuwenden,   selbst  auf  die  Gefahr  hin,   dass  das  con- 


Draslicii ;  Indirecle  Gegenreizo  ;  Epispastica.  33 

stitutionelle  Leiden  nicht  zur  Heilung  gelange  und  in  Folge  der  mercuriellen 
Beliandlung  bei  den  naclifolgenden  Recidiven  ausarte  (Boeck).  Es  wird 
nämlich  selbst  von  den  heftigsten  Gegnern  des  Mercurs  anerkannt,  dass 
frische  Localaff'ectionen  durch  das  genannte  Mittel  in  der  Hegel  leicht  und 
oft  mit  überrasciiender  Sclmelligkeit  beseitiget  werden.  Hierauf  kömmt  es 
aber  bei  syphilitischen  Oi)hthalmieM  eben  an,  iiulcm  ein  kurzes  Verzögern 
der  Heilung  das  Seliorgan  oft  dauernd  schädigt  und  functionell  selbst  ver- 
nichten kann,  während  Recidiven  docli  nur  in  Aussicht  zu  nehmen  sind 
und  nicht  gerade  immer  in  diesem  hochwichtigen  Körpertheile  sich  wie- 
derholen. 

5.  Eigentliche  Drastica,  die  purgirenden  Mittelsalze,  schwefelsaures 
Natron,  Magnesia,  Kali,  sowie  die  übrigen  Pvirgantien,  die  Jalappa,  die 
Senna,  das  Ricinusöl  u.  s.  w.  finden  nur  in  wenigen  Fällen  genügende 
Indicationen,  daher  ihr  Gebrauch  nur  in  beschränktem  Maasse  zu  recht- 
fertigen ist.  Als  Revulsoria  leisten  sie  nichts,  sondern  können  eher  schaden, 
indem  sie  durch  die  Erzielung  häufiger  Stühle  und  durch  Leibschmerzen 
die  anderseits  so  dringend  gebotene  Ruhe  des  Kranken  stören  und  diesen 
in  unausgesetzter  Aufregung  erhalten.  Als  entleerende  Mittel  indessen  lassen 
sie  sich  keineswegs  verwerfen.  Es  ist  nämlich  nicht  selten  dringend  noth- 
wendig,  rasch  ergiebige  Stuhlentleerungen  zu  veranlassen,  um  vorhandene 
Ansammlungen  fäcaler  Massen  im  Darmkanal  zu  beseitigen  und  den  durch 
sie  begründeten  Congestivzuständen  in  der  oberen  Körperhälfte,  besonders 
im  Kopfe,  zu  begegnen.  In  der  That  sind  hartnäckige  Stuhlverstopfungen 
dem  günstigen  Verlaufe  von  Ophthalmien  in  hohem  Grade  feindlich  und 
darum  mit  Sorgfalt  zu  behandeln.  Da  sind  denn  auch  die  eigentlichen 
Drastica  nicht  selten  ganz  unentbehrlich.  Wo  es  sich  indessen  blos 
darum  handelt,  einer  Ansammlung  fäcaler  Massen  vorzubeugen,  indem  man 
den  etwas  trägen  Darmkanal  leicht  anregt,  genügen  in  der  Regel  die  als 
Eccoprotica  geltenden  Arzneikörper.  Es  kömmt  dann  ja  eben  nur  darauf 
an,  täglich  eine  oder  mehrere  leichte  breiige  Entleerungen  zu  veranlassen, 
ein  förmliches  Purgiren  hat  nach  dem  Mitgetheilten  keinen  Zweck.  Die 
hierzu  dienlichen  Mittel  müssen  mit  Grund  als  bekannt  vorausgesetzt 
werden.  Leicht  abführende  Mineralivässer  spielen  dabei  eine  sehr  wich- 
tio-e  Rolle. 


*o^ 


6.  Indirecle  Gegenreize  können  laut  physiologischen  Experimenten 
ohne  Zweifel  Wirkungen  entfalten,  welche  den  Ausgleich  congestiver  oder 
entzündlicher  Zustände  zu  fördern  geeignet  sind.  Doch  hat  man  diese 
Wirkungen  nicht  in  der  Hand,  und  wenn  sie  einmal  durch  Contractur  der 
Gefässe  den  Wünschen  entsprechen ,  veranlassen  sie  das  andere  Mal  eine 
Steigerung  und  Ausbreitung  der  Gefässparalyse.  Bei  leichten  Erkrankungeu 
minderwichtiger  Organe  wird  mau  damit  allerdings  keine  grosse  Gefahr 
laufen.  Da  kann  man  aber  auch  der  Epispastica  gut  entbehren.  Bei  schweren 
Leiden  wichtiger  Organe  jedoch  kann  schon  eine  blos  vorübergehende  Ver- 
schlimmerung möglicherweise  die  verderblichsten  Folgen  nach  sich  ziehen  und 
das  Spielen  mit  einem  Mittel,  welches  ebenso  gut  zu  nützen  als  zu  schaden 
vermag,  erscheint  hier  als  Vermessenheit.  Uebrigens  haben  vorurtheilsfreie 
Beobachtungen  am  Krankenbette  längst  sichergestellt,  dass  die  indirecten 
Gegenreize  nur  selten,   wenn  überhaupt,  einen  erheblichen  Nutzen,   dagegen 

stell  wag,   Auginlieilkuiule.  3 


34  Indicatio  morbi ;  Narcotica;  Morphium. 

bisweilen  Schäden  stiften,   welche  grösser  sind,    als  die,   welche    durch  die 
ursprüngliche  Krankheit  jemals  bedingt  werden  konnten. 

Namentlich  gilt  dieses  von  den  Moxev,  Haarseilen  und  Fontanellen.  Brandige 
Absterbungen  in  weiter  Ausdehnung,  erschöpfende  Eiterungen,  ja  selbst  Erysipele 
mit  tödtlichem  Ausgange  gehören  zu  den  möglichen  Erfolgen.  Nicht  viel  besser 
sind  die  Pustelbildungen  durch  Einreihimg  von  Brechweinsteinsalbe.  Selbst  die  Appli- 
cation des  Ev!pliorhienj)flasters,  der  Resina  Elevii  etc.  zum  Zwecke  der  entzündlichen 
Ableitung  ist  nicht  ohne  Gefahr,  besonders  bei  Leuten  mit  zarter  Haut  und  vor- 
züglich bei  Kindern.  Es  entstehen  gar  nicht  selten  in  Folge  von  Derivationen 
durch  derartige  Substanzen ,  welche  hinter  das  Ohr  oder  an  die  Schläfegegend 
applicirt  wurden,  ausgebreitete  Impetigines .  Eczeme,  besonders  häufig  aber  sielit 
man  die  Hals-  iind  Nackendrüsen  anschwellen  und  selbst  vereitern.  Ueberdies  ist 
es  eine  ganz  gewöhnliche  Beobachtung,  dass  unachtsame  Leute  und  Kinder  fort- 
während an  der  geschwürigen  Stelle  kratzen  und  mit  den  Fingern  die  reizenden 
Substanzen  herumschmieren,  selbst  aixf  die  Conjunctiva  bringen  und  so  die  Ent- 
zündung im  Auge  mächtig  steigern. 

7.  Narcotica.  Sie  sind  häufig  von  unzweifelhaft  günstiger  Wirkung 
und  finden  ihre  Anzeige  nicht  blos  in  der  symptomatischen  Erleichterung, 
welche  sie  dem  Kranken  durch  Milderung  oder  Beseitigung  quälender 
Schmerzen  gewähren ;  sondern  können  aucli  insoferne  einen  günstigen  Ein- 
iiuss  auf  den  Verlauf  der  Entzündung  ausüben ,  als  sie  erstens  die  durch 
heftige  Schmerzen  bedingte  körperliche  und  geistige  Unruhe  des  Kranken 
vermindern,  zweitens  aber  durch  Herabstimmung  der  krankhaft  aufgeregten 
Gefühlsnerven  die  auf  die  vasomotorischen  Nerven  reflectirten  Eeize,  also 
eine  Schädlichkeit  beseitigen,  welche  in  Bezug  auf  die  Circulations-  und 
Ernährungsverhältuisse  im  Entzündungsherde  nicht  gering  anzuschlagen  ist. 
Niemals  darf  indessen  ausser  Acht  gelassen  werden,  dass  die  Narcotica,  in 
wirksamen  Dosen  verabreicht,  auch  gefährliche  Älittel  seien  und  neben  der 
gewünschten  Wirkung  in  der  Regel  auch  missliehige  NebcnAvirkungen  ent- 
falten, für  welche  letztere  der  gegebene  Kranldieitsprocess  oft  keine  Recht- 
fertigung enthält.  Man  soll  diese  Arzneikörper  daher  nicht  leichtsinnig 
anwenden,  sondern  nur  dort,  wo  wirklich  die  Noth  es  gebietet,  und  stets 
auf  der  Hutli  sein,  um  Schäden  zu  vermeiden. 

Das  Morphium  steht  in  der  Reihe  der  Narcotica  obenan  wegen  der 
Sicherlieit  und  grossen  Gleichmässigkeit  seiner  arzneilichen  Wirkung ;  wo 
es  auf  rasche ,  kräftige  und  bestimmte  Erfolge  ankömmt ,  verdient  es  vor 
allen  anderen  den  Vorzug,  üocli  veranlasst  es  gerne  ^'omituritio^^en  und 
Erbrechen,  was  in  der  Augenpraxis  unter  Umständen  sehr  gefährlich  werden 
kann  und  den  Gebrauch  des  Alkaloides  einschränkt.  Am  meisten  empfiehlt 
sich  seiner  grossen  Löslichkeit  halber  das  salzsaure  oder  schwefelsaure  Mor- 
phium. Es  wird  am  besten  in  Gestalt  hypodermatischer  FAnsp>ritzungen  an- 
gewendet. Man  ist  da  nämlich  der  vollen  Aufnahme  des  Mittels  sicherer 
und  dessen  Wirkungen  treten  constanter,  vollständiger  und  rascher  hervor, 
als  beim  innerlichen  Gebrauche ,  ja  sie  machen  sich  oft  schon  innerhalb 
einer  halben  oder  ganzen  Minute  auftallig ,  daher  dieses  Verfahren  auch 
bei  lehensgefährUchen  Zufällen ,  Intoxicationeu  u.  s.  w. ,  wo  es  auf  eine 
Wirkung  allgemeinen  Charakters  innerhalb  der  kürzesten  Zeit  ankömmt,  am 
Orte  ist. 

Als  Mittel  zu  diesen  Injectionen  dient  am  besten  die  von  Luer  verbesserte 
Pravaz'sche  Spritze.  Der  geeignetste  Ort  zur  Application  ist,  wenn  allgemeine  Wir- 
kungen des  Mittels  gewünscht  werden,  oder  Sclnnerzen  in  der  Atigengegend  zu  tilgen 
sind,  die  Mitte  der  Schläfe.  Bei  sonstigen  Neuralgien  und  bei  Reflexkrämpfen 
müssen  jedoch  der  Ort  des  Schmerzes  oder  beziehungsweise  die  dominirenden  Druck- 


Hypodermatische  Einspritzungen;  Mydriatica.  35 

punkte  zum  Eiiisticlio  g'ow.-ililt  werden.  Man  mnss  die  Haut  lieliufs  dessen  in  eine 
Falte  fassen  und  stark  abziehen,  naclt  dem  Einstiulic  aber  wieder  auslassen,  damit 
selbe  entspannt  werde,  widrigenfalls  das  Mittel  wieder  austritt.  Zur  Einspritzung 
verwendet  man  beliufs  der  Anä.s'fhe.iiriinfj  durcliweo-s  Tjösungen  von  4  Gran  des 
Morpliiunisalzes  auf  die  üraclnrie  Wasser.  Man  füllt  dieselljen  in  die  Spritze  und 
injicirt  davon  so  viel,  dass  der  Stempel  etwa  auf  den  7. — 11.  Theilungsstrich  des 
Kolires  zu  stehen  kinnmt,  wo  dann  bei  \'q  —  '/^  Grau  des  Alkaloidcs  eingedrungen  ist. 
Die  Lösung  muss  vollkommen  klar  und  neutral  sein.  Die  primäre  Erregung  pflegt 
naeh  li^-ijodermatisclicn  lujectionen  des  Morphium  viel  stärker  zu  sein,  als  nacii 
dem  iniierliehcn  Gebrauelie.  Auch  Ueblichkeiten  und  Erbrechen  treten  häufiger 
ein,  was  wohl  zu  l)eriicksichtigen  ist.  Doch  sind  alle  die  Erregungssymptome  rasch 
voriibcrgehetul. 

Die  örtliche  Reaction  gegen  die  Verletzung  als  solche  ist  fast  durchgehends 
eine  äusserst  geringe,  wenn  die  Spitze  des  Instrumentes  die  nöthige  Schärfe  besitzt 
und  mit  Vorsicht  manipulirt  wird.  In  keinem  Falle  dürfte  von  der  Wunde  und 
dem  Eindringen  der  Lösung  ins  Unterhautzellgewebe  irgend  welche  erhebliche  Ge- 
falir  zu  besorgen  sein.  Doch  fügt  es  der  üble  Zufall,  ziun  Gliicke  in  ausnehmend 
seltenen  Fällen,  dass  die  Spitze  des  histrumenfes  in  die  Lichtung  einer  stibcutanen 
Vene  hineintrifft  und  so  die  Lösung  direct  ins  Bbit  eingespritzt  wird.  Die  Zufälle 
sind  dann  äusserst  erschreckend  und  treten  blitzähnlich  auf,  nämlich  starkes  Brennen 
und  Stechen  der  ganzen  Haut ,  weiters  starker  essigsaiirer  Geschmack  auf  der 
Zunge,  Dunkelröthe  des  Gesichtes,  Ohrensausen,  Funkensehen  und  sehr  heftige 
Schmerzen  in  der  Kopfschwarte;  dabei  ausserordentlich  heftige  und  schnelle  Herz- 
bewegungen, bei  manchen  Kranken  sogar  Bewusstlosigkeit  und  Convulsionen;  Zu- 
fälle, welche  mehrere  Minuten  andauern,  in  allen  bisher  beobachteten  Fällen  aber 
nach  Verlauf  einiger  Stunden  ohne  Nachtheil  völlig  vorübergingen.  Es  ergibt  sich 
daraus  die  goldene  Regel,  sehr  langsam  zu  injiciren  und  bei  eintretendem  Unfälle 
sogleich  einzuhalten  und  zuräckzupumpen,  was  bei  dem  blitzschnellen  Aufflackern 
der  Reaction  leicht  geschehen  kann.  Bei  Gefahr  einer  Apoplexie  wegen  Gefäss- 
erkrankungen  ist  ein  rasch  vorgenommener  Aderlass  sehr  zu  empfehlen  (Niiss- 
haiim,  Feith). 

Die  endermatische  Anwendung  des  Opium  und  Morphium  in  Gestalt  von  Salben 
oder  Pulvern,  welche  letztere  auf  eine  durch  Vesicantien  der  Epidermis  beraubte 
Stelle  der  Stirnhaut  aufgestreut  zu  werden  pflegen,  ist  durchaus  unzuverlässig  und 
eignet  sich  daher  nicht,  wo  eine  locale  Herabstimmung  der  aufgeregten  Gefühls- 
nerven wirklich  und  dringend  gefordert  wird. 

Die  verdAinnte  Blavsäure  sammt  dem  Kirschlorheer-  und  Bitlermandelwasser, 
die  Digitalis,  der  Sturmhut,  das  LupuUn,  das  Bilsenkraut,  die  Belladonna  und  der 
Stechapfel  etc.  sind  als  reine  Anod.yna  ganz  unbrauchbar,  da  bei  loirksamen  Gaben 
die  lästigen  Nebenwirkungen  zu  stark  vorschlagen.  Doch  können  die  Digitalis  und 
das  Aconitum  durch  ihren  eclatanten  Einfluss  auf  die  Thätigkeit  des  Herzens  und 
der  Nieren  unter  gewissen  Verhältnissen  die  Lösung  localer  Entzündungen  Ijegün- 
stigen  helfen  und  sohin  in  der  Eigenschaft  als  Antiphlogistica  am  Platze  sein.  Das 
Aconitum  war  und  ist  ausserdem  hie  und  da  als  Mittel  gegen  rheumatische  und 
gichtische  Artectionen  beliebt,  was  vielleiclit  damit  zusammenhängt,  dass  es  die 
Beweglichkeit  und  Spannung  der  willkürlichen  Muskeln  herabsetzt  ( Achscharumoiu, 
Blodig). 

S.  Die  Mydriatica,  puplUenerioeilernden  Mittel,  sind  in  der  Augenheil- 
kunde von  unschätzbarem  Werthe.  8ie  führen  ihren  N'amen  von  der  auf- 
fälligsten ihrer  Wirkungen ,  nämlich  von  der  Erweiterung  der  Pupille.  Als 
Mydriatica  im  engeren  Worlsinne  gelten  die  Belladonna,  der  Hynsciainus  und 
das  Strammonium  mit  ihren  ALkaloiden,   dem  Atropln,  Hyosciamla  und  Daturin. 

Auch  das  Solanin.  (Fraas),  das  Delphinin  (L.  v.  Praag),  das  Aconitin  (Lomhe, 
Atthil)  wirken  bei  innerlichem  Gebrauche,  das  Slrychnin  (Braun)  bei  üusserlicher 
Application  pupillenerweiternd.  Nach  Versuchen  an  enthaupteten  Thieren  soll 
ausserdem  die  Wärme,  im  Gegensatze  zur  myotischen  Wirkung  der  Kälte,  eine 
Mydriasis  zu  veranlassen  im  Strande  sein  (Schur).  Doch  können  diese  Mittel  ihrer 
vorschlagenden  Nehenicirkungen  wegen  behufs  der  Pupillenerweiterung  nicht  be- 
nützt werden. 

3* 


36  Indicatio  morti ;   Wirknng  der  Mydriatica. 

Die  Pupilhner Weiterung,  welche  durch  die  eigentlichen  M^'driatica  be- 
dingt wird,  ist  bei  richtiger  Anwendung  des  Mittels  eine  maximale,  d.  h. 
die  Iris  zieht  sich  auf  ein  schmales  Bäumchen  zurück.  Die  Eegenbogen- 
haut  wird  dabei  völlig  unbeweglich,  sie  reagirt  nicht  mehr  auf  Lichtcontraste 
und  Accommodationsimpulse.  Die  Mj'driasis  steht  übrigens  nicht  allein  da, 
sondern  ist  stets  an  hochgradige  Beschränkung  des  Accommodationsvermögens 
gebunden  ;  ja  bei  kräftiger  Einwirkung  wird  das  letztere  sogar  völlig  auf- 
gehoben und  es  sinkt  überdies  der  Refrac.tionszustand  des  dioptrischen  Appa- 
rates ein  wenig  unter  das  Maass  herab,  welches  in  der  Norm  der  Ruhe 
des  Accommodationsappai'ates  entspricht.  Es  dauern  diese  Wirkungen  je 
nach  Umständen  zwei  oder  mehrere  Tage,  worauf  der  Pupillendurchmesser 
sich  allmälig  verkürzt  und  das  Spiel  der  Pupille  wieder  beginnt.  Am 
spätesten  weicht  die  Accommodationsparalyse,  sie  hält  in  stetig  abnehmendem 
Grade  noch  Tage  lang  an ,  nachdem  die  Pupille  ihre  normale  Weite  und 
Beweglichkeit  wieder  erlangt  hat. 

Die  M}driatica  müssen,  sollen  sie  ihre  eigenthümliche  Wirkung  sicher 
und  ausgiebig  entfalten,  unmittelbar  auf  das  Auge  applicirt  werden,  so  dass 
sie  von  der  Bindehaut  oder  Cornea  aufgenommen  werden  können ;  widrigen- 
falls die  Mydriasis  gar  nicht  oder  spät  und  in  ungenügendem  Grade  zu 
Stande   kömmt  und   sehr  rasch  wieder  zurückgeht. 

Dem  entsprechend  vermögen  directe  Einwirkuno^en  der  fraglichen  Mittel  auf 
Ein  Auge  nicht  eine  Pupillenerweiteruug  in  beiden  Augen  zu  bewerkstelligen,  und 
wo  eine  Mydriase  auch  in  dem  anderen  Auge  hervortritt,  ist  erfahrungsmässig  in 
der  Regel  eine  Uehertragung  des  Mittels  durch  Zufall  etc.  anzunehmen.  Man  hat 
sogar  eine  Verengerung  der  Pupille  auf  dem  anderen  Auge  beobachtet.  Diese  dürfte 
jedoch  dem  verstärkten  Lichteindrucke  im  mydriatischen  Auge  auf  Rechnung  zu 
setzen  sein. 

Bei  dem  innerlichen  Gebrauche  der  Mittel  geschieht  es  häufig,  dass  elier  be- 
denkliche Intoxicationserscheinungen  hervortreten,  als  die  Pupille  sich  erweitert;  eine 
beträchtliche  und  anhaltende  Mydriasis  ist  auf  diesem  Wege  nur  unter  grosser  Ge- 
fahr zu  erzielen.  Ebenso  haben  sich  hypodermatische  Injectionen  und  Aufstreuungen 
des  Mittels  in  Pulverform  auf  von  der  Oberhaut  entblösste  Hautstellen  zum  Zwecke 
der  Mydriasis  als  unzureichend  erwiesen;  sie  sind  nur  am  Platze,  wo  es  sich  mehr 
um  allgemeine  Wirkungen  handelt. 

Wird  ein  Mydriaticum  unter  geeigneter  Form  in  den  Bindehautsach 
gebracht,  so  gelangt  ein  kleiner  Theil  des  Mittels  durch  Diffusion  alsbald 
in  den  Binnenraum  (Ruiier,  Graefe)  und  findet  hier  Gelegenheit ,  auf  das 
intraoculare  Gangliensystem  einzuwirken.  Die  Pupillener Weiterung  und  Accom- 
modationsparalyse sind  eben  nur  der  Ausdruck  für  eine  durch  das  Gift  be- 
dingte relative  Leitungsunfähigkeit  dieser  Ganglien.  Die  letzteren  erscheinen 
nämlich  undurchgängig  für  Willensimpulse,  sowie  für  alle  vom  Gehirne  ver- 
mittelte reflectorische  und  consensuelle  Nervenströme ,  welche  von  den 
ciliaren  Zweigen  des  Oculomotorius  dahin  geleitet  werden ;  sie  bleiben  aber 
empfänglich  für  direct  auf  sie  wirkende  oder  von  den  sensiblen  Quintus- 
zweigen  überkommene  Reizungen  und  reflectiren  dieselben  mit  ungeschwächter 
Kraft  auf  die  von  ihnen  peripheriewärts  abgehenden  motorischen  Endzweige 
des  dritten  Gehirnnerven.  In  der  That  konnte  man  selbst  durch  Reizung 
des  intracraniellen  Stammtheiles  des  Oculomotorius  keine  Verengerung  der 
durch  Mydriatica  erweiterten  Pupille  erzielen  (Grilnhagen,  Bernstein)  ;  wohl 
aber  zieht  sich  diese  rasch  und  kräftig  zusammen,  wenn  das  Kammerwasser 
oder  ein  Theil  des  Glaskörpers  entleert  wird ,  wenn  electrische  Ströme  auf 
den  Sphincter  pupillae  geleitet  werden  (Bernstein),   oder  wenn  starke   Chemi- 


Wirkung  der  Mydriatica.  37 

calien,  Nicotin,  Creosot.  otc.  auf  dic^  Oberiiiiciic  des  Bulbus  wirken  (Rogow). 
Ueberdies  lehrt  die  tägliche  Krfuhrung,  dass  selbst  die  stärkste  Mydriasis 
bald  zurückgeht,  wenn  krankhafte  Processe  mit  heftiger  Reizung  der  ciliaren 
Quintnszweige  sicli  entwickeln ,  und  dass  die  Mydriasis  ausbleibt,  wenn  die 
fraglichen  Mittel  bei  Bestand  (ünes  solchen  Leidens  örtlich  angewendet 
werden,  ja  die  Grösse  und  Schnelligkeit,  mit  welcher  die  Mydriatica  wir- 
ken, ist  ein  vom  praktischen  Standpunkte  sehr  gut  verwerthbarer  Maassstab 
zur  Beurtheilung  der  Intensität  gegebener  Ciliarreizungen. 

Es  kann  der  Ausgang.spnnkf  der  Reactionen,  welche  vom  Bindehautsack  aus 
wirkende  Mydvialica  und  Myolica  im  Sphincter  pupillae  und  im  Ciliarmuskel  her- 
vorrufen, nicht  leicht  anderswo,  als  im  ciliaren  Ganglienftystem  gesucht  werden,  da 
sich  diese  Reactionen  strenge  auf  das  Gebiet  des  letzteren  beschränken  und  sich 
auch  dann  einstellen,  wenn  der  Oculomotoriu/istavwi  durch  Krankheit  oder  auf 
operativem  Wege  leitungsunfähig  geworden  ist  {Ruete,  Donders) ,  wenn  man  den 
Halssympathicus  allein  (Biffi,  Cramer,  Donders)  oder  nebst  dem  Trigeminusslamme 
(Biidge,  Dondei'sJ  durchschnitten  hat,  ja  selbst  wenn  der  Sehnerv  und  sämmtliche 
Ciliariterven  durchtrennt  wurden  (Budge),  oder  wenn  an  frisch  abgeschnittenen  Thier- 
köpfen  Gehirn  und  Rückenmark  entfernt  oder  das  Aiige  ganz  isolirt  wordeu  ist 
fRuiter,  Rogow,  Grünhagen).  Es  können  aber  auch  nicht  wohl  jene  Bhmenvmskeln 
selber  (Budge,  G)-'dnhagen)  oder  die  Enden  der  sie  beherrschenden  Oculomotorius- 
fasern  f Bernstein ,  Dogiel,  Rogow)  das  unmittelbar  und  allein  von  dem  Gifte  Be- 
troffene sein,  weil  die  durch  Mydriatica  bedingte  Lähmung  des  Sphincters  eben  nur 
eine  relative  ist,  die  Muskelfasern  desselben  und  seine  Nervenenden  bestimmten 
Reizen  gegenüber  also  ihre  volle  P^unctionstüchtigkeit  bewahren. 

Die  relative  Lähmung  des  Pupillenschliessers  reicht  indessen  nicht 
aus,  um  die  Mydriasis  voll  zu  erklären.  Die  beträchtliche  Vohimsvermin- 
derung,  welche  die  auf  einen  schmalen  Saum  zurückgezogene  Iris  erleidet, 
setzt  die  Thätigkeit  einer  Kraft  voraus ,  welche  das  Blut  aus  den  Regen- 
bogenhautgefässen  in  den  hinteren  Theil  des  uvealen  Stromgebietes  auszu- 
weichen bestimmt.  Ausserdem  ist  die  sichtliche  Zerrung  und  häufige  Zer- 
reissung  bestehender  hinterer  Synechien,  sowie  die  colossale  schleifenartige 
Ausdehnung  der  zwischen  angelötheten  Stellen  gelegenen  Bogentheile  des 
Pupillarrandes ,  Bürge  dafür,  dass  auf  letzteren  ein  mächtiger  Zug  in  ra- 
diärer Eichtung  ausgeübt  wird.  Man  muss  daher  annehmen,  dass  neben 
der  relativen  Lähmung  der  motorischen  Nerven  des  Sphincters  und  Ciliar- 
muskels  eine  Erregung  der  dem  Sympathicus  zugehörigen  motorischen  Nerven 
des  Dilatator  pupillae  und  der  Gefässmuskulatur  Platz  greife. 

Es  stimmt  damit  vollkommen  die  anerkannte  Thatsache ,  dass  complete  Lei- 
tungsunterbrechungen des  Octdomotoriusstammes  blos  eine  halbe  Erweiterung  der 
Pupille  im  Gefolge  haben  und  auf  die  Form  der  letzteren  bei  Gegebensein  hinterer 
Synechien  nur  geringen  Einfluss  nehmen.  Es  fehlt  eben  der  zweite  Factor,  die 
krampfhafte  Innervation  des  Dilatator  pupillae  und  der  Gefässmuskeln  der  Iids. 
Wird  diese  jedoch  durch  Mydriatica  oder  durch  Reizung  des  Halssympathicus  her- 
vorgerufen, so  vervollständigt  sich  die  Mydriase  zu  demselben  Grade,  wie  bei  Inte- 
grität des  dritten  Nervenpaares  und  auch  die  Zerrung  wird  an  hinteren  Synechien 
deutlich. 

Ob  übrigens  die  Erregung  der  oculopupillaren  Synipathicuszweige  bei  künst- 
licher Mydriasis  auch  in  den  intraocularen  Ganglien  den  Ausgangspunkt  hat,  oder 
ob  die  sympathischen  Nerven  selbst  von  dem  Gifte  unmittelbar  beeinflusst  werden, 
darüber  lässt  sich  streiten.  Für  letzteres  sprächen  einige  Versuche  an  Thieren 
(Meuriot,  Fräser).  Ist  aber  das  erstere  der  Fall,  so  ergäbe  sich  ein  wesentlicher 
Unterschied  gegenüber  den  ciliaren  Zweigen  des  Oculomotorius  ,  indem  der  fimc- 
tionelle  Zusammenhang  der  sympathischen  Fäden  mit  ihren  cerebralen  Ursprüngen 
nicht  gelockert  erscheint,  wie  daraus  zu  entnehmen  ist,  dass  Trennung  des  cervicalen 
Grenzstranges  die  Mydriasis  schwächt  (Biffi,  Cramer,  Donders),  Reizung  desselben 
aber  verstärkt  (Donders),    es  müsste   denn  sein,    dass    diese  Verhältnisse    auf  Rech- 


3S  Indicatio  morbi;  Mydriatica;  Deren  Anzeigeu  und  Gegenanzeigen. 

mino:  jener  zahlreichen  sympathischen  Röhren  zu  stellen  ist,  welche  mit  den  Ge- 
fässen  in  den  Biunenraum  gelangen  und  wahrscheinlich  jene  Ganglien  nicht  durch- 
schreiten. Jedenfalls  vermitteln  diese  Nervenknoten  Reflexe  von  Seite  der  sensiblen 
Quintnsfasern  auf  die  motorischen  Nerven  des  Dilatator  pupillae  und  der  Gefäss- 
muskulatur  der  Iris  und  zwar  mögen  schwache  derartige  Reize  die  Reaction  dieser 
Muskeln  etwas  verstärken,  heftige  Reize  hingegen  heben  sie  bestimmt  auf,  lähmen 
die  betreffenden  Sympathicuszweige  vollständig,  so  dass  weder  Galvanisirung  des 
Halssympathicus ,  noch  Reizung  der  cerebralen  Ursprünge  durch  Kohlen.säure  eine 
Pupillenerweiteruug  zu  veranlassen  im  Stande  sind  (Rogow). 

Die  Mydriatica  finden  nach  allem  dem  Yornehmlich  ihre  Anzeige,  wo 
es  sich  tim  eine  Erweiterung  der  Pupille  als  solclie,  oder  nm  kräftige  Zu- 
sammenziehungen des  Muse,  dilatator  pupillae  handelt.  Unter  Umständen 
wird  anch  die  Herabsetznng  des  Befractionszustandes  des  dioptrischen  Appa- 
rates nutzbar.  Ausserdem  lässt  sich  ihre  lähmende  Wirkung  verwerthen 
bei  Krämpfen  der  vom  Nerv,  oculomotorius  beherrschten  Binnenmuskeln  des 
Auges.  Es  sind  diese  Krämpfe  unzweifelhaft  ein  selir  gewöhnlicher  Be- 
gleiter von  heftigen  Reizzuständen  der  sensiblen  Ciliarnerven ,  wie  selbe 
bei  den  verschiedenen  Eormen  der  Keratitis ,  der  Iritis  u.  s.  w.  häufig 
beobachtet  werden  und  es  liegt  nahe ,  die  günstige  Wii-kung ,  welche  die 
Mydriatica  bei  derlei  Krankheiten  erzielen ,  theilweise  aus  der  Beseitigung 
jener  Spmsmen  zu  erklären;  denn  jedenfalls  wirken  die  letzteren  auf  die 
sensiblen  Ciliarnerven  und  dadurch  auf  die  vasomotorischen  Kerven  reiz- 
vermehrend zurück.  Ob  dabei  noch  eine  directe  schmerzstillende  Wirkung 
(Meuriot,  Bezold,  Bloehaum)  in  Rechnung  zu  ziehen  ist,  steht  dahin.  Sicher- 
lich ist  indessen  die  lähmende  Kraft  nur  der  eine  Factor ,  der  andere  und 
zwar  vielleicht  der  Hauptfactor  ist  in  der  kräftigen  Zusammenziehung  der 
Gefässe  zu  suchen ,  welche  durch  die  M5'driatica  im  vorderen  Theile  des 
Ciliargebietes  unbestreitbar  ins  W^erk  gesetzt  wird  und  diesen  Mitteln  mit 
gewissen  Beschränkungen  eine  Stelle  unter  den  wahren  Antiphlogisticis  ein- 
zuräumen erlaubt. 

Diese  Beschränkung  bezieht  sich  vorerst  auf  die  OertUchkeit.  Die 
Stetigkeit  der  intraocularen  Blutmenge  knüpft  nämlich  an  die  Verengerung 
des  vorderen  Theiles  des  ciliaren  Stromgebietes  nothwendig  eine  gleich- 
werthige  Erweiterung  des  chorioidalen  Gefässnetzes ,  für  welche  denn  auch 
wirkliche  Beobachtungen  Zeugniss  ablegen  (Schneller).  Es  ist  aber  klar, 
dass  ein  vermehrter  Blutzufluss  für  den  Ausgleich  congestiver  oder  entzünd- 
licher Zustände  der  Aderhaut  unmöglich  günstig  sein  könne.  In  der  That 
erheben  sich  neuerer  Zeit  bereits  Stimmen  (Mooren)  gegen  den  Gebrauch 
der  Mydriatica  in  Fällen ,  in  welchen  der  hintere  Uvealtrakt  der  Sitz  der 
genannten  Krankheiten  ist  oder  deren  Entwickelung  befürchten  lässt ;  auch 
mehren  sich  seit  Kurzem  die  Anzeichen  dafür ,  dass  der  Gebrauch  des 
Atropius  den  Ausbruch  eines  in  der  Anlage  bereits  vorhandenen  Glaucoms 
(Graefe,  Hasket  Derby),  der  Ketzhautabhebung  und  anderer  mit  Circulations- 
störungen  im  Aderhautgebiete  zusammenhängender  Zustände  zu  fördern  im 
Stande  sei.  Man  kann  unter  solchen  Verhältnissen  auch  um  so  leichter 
der  fraglichen  Glittet  entbehren,  als  die  mit  Vorliebe  gehegte  Meinung,  man 
könne  durch  Mydriatica  auf  die  Höhe  des  intraocidaren  Druckes  Einiluss 
nehmen ,  katim  eine  Berechtigung  hat ,  vielmehr  durch  die  unveränderte 
Pulsstärke  und  Strömungsgeschwindigkeit ,  welche  die  Blutkörperchen  in 
der  entoptischen  Aderfigur  eines  atropinisirten  Auges  zeigen  (Hippel,  Grün- 
hagen),  eher  loiderlegt  wird. 


Uebersättigunt,'  mit  Mydriaticis;  Hyoaciainiii ;  Daturin.  39 

In  zwoit(M-  liinio  bezieht  sich  jene  H(>schriinkunp;  auf  die  Dosis  des 
Mittels.  Die  sympathischen  Fasern  verläugnen  nämlich  auch  den  Mydi'ia- 
ticis  gegemihcM-  nicht  ihren  Charakter,  vcrmög-e  welchem  sie  nur  durch 
relativ  schwache  Iveizunf>-en  in  einen  Zustand  anhaltender  Erregung  ver- 
setzt, durch  starke  Heize  jedoch  alsbald  gelähmt  werden  (S.  12).  In  Ueber- 
einstiramuni»'  damit  ist  es  auch  seit  lang-em  bekannt,  dass  stark  dosirte  oder 
während  geraumer  Zeit  sehr  häufig  wiederholte  örtliclie  Applicationen  der 
frag-lichen  Mittel  schliesslich  zu  einer  ganz  autfälligen  Steigerung  der  krank- 
haften Gefässerscheimtngen  führen.  80  oft^  das  Mittel  angewendet  wird, 
röthet  sich  die  Bindehaut  und  das  Kpiscleralgewebe  überaus  stark  und 
schwillt  an,  es  stellen  sich  intensive  Schmerzen  ein  und  der  entzündliche 
Process  nimmt  einen  Aufschwung. 

lu  einzelnen  Fällen  liat  man  als  Folsi'e  eines  solchen  ^'erfa]n■ens  soo-ar  die 
selbsständiye  Entwicklung  heftiger  blepharoconjunctivalei-  Reizzustände  mit  Thräncn- 
flnss,  Ocdem  nnd  eczematösen  Ausschlägen  beobachtet,  welche  monatlang  an- 
hielten (Gvaefe).  In  anderen  Fällen  soll  der  Augapfel  am  Ende  viel  von  seiner 
normalen  Resiitenz  verloren  haben  (CocciusJ,  was  man  mit  argen  Störungen  des 
Kreislaufes  und  der  Ernälunng  im  hiut(u-en  Bulbusraume  in  Zusammenhang  zu 
bringen  Ursache  hat. 

Man  pflegt  unter  solchen  Umständen  von  einer  TJehersättigung  des  Auges 
zu  sprechen,  doch  darf  man  dabei  nicht  übersehen,  dass  derlei  Zufälle  bis- 
weilen sehr  früh,  nach  Anwendung  weniger  und  schwacher  Dosen  eintreten 
(Lawson).  Es  macht  sich  eben  auch  hier  die  individuelle  und  nach  Zeit 
und  Umständen  sehr  wechselnde  Empfänglichkeit  der  sympathischen  Fasern 
geltend.  Trügt  nicht  alles,  so  dürften  passive  Erweiterungen  der  Binnen- 
gefasse,  wie  selbe  degenerative  Entzündungsprocesse  des  gesammten  Uveal- 
traktes  begleiten,  vornehmlich  aber  bei  zufälligen  und  operativen  Eröff- 
nungen der  Bulbuskapsel  wegen  thoilweiser  Entleerung  der  Binnenmedien 
gesetzt  werden  und  sich  bis  zur  Consolidirung  der  Narbe  erhalten ,  der 
Verkehrung  der  Reaction  ganz  besonders  den  Weg  bahnen  und  man  thut 
jedenfalls  gut,  mit  der  Anwendung  der  Mj^driatica  unter  solchen  Umständen, 
namentlich  nach  Staarextractionen,  vorsichtig  zu  sein.  Die  eindringlichen 
Warnungen  (Sichel),  welche  jüngst  gegen  den  Missbrauch  der  Mydriatica 
gerichtet  wurden,  haben  insoferne  ihre  Berechtigung. 

In  therapeutischer  Verwendung  steht  fast  nur  das  Atropin  und  zwar 
das  krystallisirte  neutrale  schwefelsaure  Salz  desselben,  da  es  in  Wasser  sehr 
leicht  löslich  ist  und  nicht,  wie  das  reine  Alkaloid  des  Zusatzes  von  Alkohol 
bedarf,  um  in  genügender  Dosis  aufgenommen  zu  werden ,  übrigens  billig 
sowie  haltbar  ist  und  allen  Ansprüchen  genügt,  welche  man  an  ein  Mydria- 
ticum  stellen  kann.  Das  Daturin  steht  ihm  in  seiner  Wirkungsweise  sehr 
nahe.  Das  Hyosciamin  ist  als  Mydriaticum  viel  stärker  (Schroff)  und  kann 
benützt  werden,  wo  es  sich  um  eine  sehr  rasche  und  kräftige  Zusammen- 
ziehung der  Iris ,  z.  B.  bei  Bestand  von  hinteren  Synechien  handelt  oder 
das  Atropin  wegen  etwaiger  missliebiger  Nebenwirkungen  schwer  vertragen 
wird.  Wegen  seiner  kräftigeren  Einwirkung  auf  die  oculopupillaren  Sym- 
pathicuszweige  eignet  es  sich  jedoch  nicht  zur  Bekämpfung  entzündlicher  Zu- 
stände, da  es  die  vorhandene  Gefässparalyse  gerne  steigert  und  damit  den 
Zustand  verschlimmert.  Es  ist  zudem  sehr  theuer  und  als  neutrales 
schwefelsaures  Salz  wenig  haltbar,  da  es  bisher  nur  in  Extractforra  dar- 
gestellt werden  konnte  und  in  dieser  Gestalt  sehr  hygroscopisch  ist,  auch 
leicht  schimmelt. 


<40  Indicatio  morbi ;   Mydriatica;  deren  Gebrauchsweise. 

Die  früher  gebräuchlichen  Extracle  der  Belladonna,  des  Bilsenkrautes  und 
Stechapfels  sind  abgesehen  von  anderen  Unzukömmlichkeiten  besonders  wegen  der 
o-eringeren  Verlässlichkeit  ihrer  mydi-iatischen  Wirkung  in  der  Augenheilkunde 
völlig  verlassen  worden. 

Man  gebraucht  am  besten  eine  Lösung  von  Atropin.  sulf.  gr.  1  ad 
Aq.  dest.  drach.  2,  wovon  einige  Tropfen  in  den  Bindehantsack  geträufelt, 
oder  mittelst  eines  Pinsels  eingeführt  werden.  Eine  einmalige  derartige 
Application  des  Mittels  genügt  bei  Abhandensein  stärkerer  Ciliarreizung 
fast  immer,  um  eine  volle  Wirkung  zu  erzielen,  nur  pflegt  dieselbe  bei 
älteren  Individuen  etwas  längere  Zeit  in  Anspruch  zu  nehmen.  Wo  das 
Atropin  als  Antiphlogisticum  wirken  soll,  reicht  die  täglich  1 — 2mal, 
höchstens  dreimal  wiederholte  Einträufelung  vollkommen  aus.  Stärkere 
Dosen  und  häufigere  Anwendungen  des  Mittels  leisten  nicht  mehr  und 
setzen  die  Gefahr  der  sympathischen  üeberreizung  sowie  einer  allgemeinen 
Intoxication,   sind  also  zu  meiden. 

Es  haben  diese  Lösungen  das  Unangenehme,  dass  sie  sehr  bald  durch  Pilz- 
bildungen leiden,  flockig  tiiib  werden  und  sich  in  heiklen  Fällen  dann  nicht  ohne 
Gefahr  verwenden  lassen.  Oft  zeigen  sich  die  Flocken  schon  nach  2 — 3  Tagen  und 
fordern  dringend  die  Filtration  der  Lösung ,  will  man  vor  jeder  reizenden  Neben- 
wirkung sicher  sein.  Zur  Aufbewahrung  eignen  sich  also  Solutionen  durchaus  nicht. 
Zu  diesem  Behufe  taugt  blos  das  in  den  meisten  Apotheken  verkäufliche  Atropin- 
papier  (Streatfield).  Es  ist  dasselbe  in  Quadrate  abgetheilt,  wovon  jedes  eine  hin- 
längliche Menge  des  Alkaloides  enthält,  um,  wenn  es  für  einige  Minuten  in  den 
Uebergangstheil  des  Bindehautsackes  gebracht  wird,  eine  starke  Mydriasis  zu  er- 
zielen. Die  Atropingelatine,  welche  in  ganz  ähnlichen  quadrirten  Tafeln  eine  Zeit 
lang  zu  haben  war  und  vermöge  ihrer  Löslichkeit  das  Herausnehmen  nach  dem 
Gebrauche  ersparte,  scheint  nicht  genügend  Freunde  gefunden  zu  haben ,  da  sie 
im  Handel  fehlt. 

Atropin  in  Substanz  anzuwenden,  um  möglichst  kräftige  Wirkungen  zu  er- 
halten (Hornberger,  DobrowolskyJ,  ist  bei  der  Schwierigkeit  einer  richtigen  Dosh-ung 
und  wegen  der  Beizicii-kung,  welche  das  Salz  auf  die  sensiblen  Nerven  ausüben 
kann  f'Rogoic),  in  Fällen  heftiger  Entzündung  7iicht  räthlich.  Wohl  aber  ist  eine 
Salbe  aus  1  Gran  des  Mittels  auf  2  Drachmen  reinen  Schweinfettes,  linsengross 
mittelst  eines  Pinsels  in  den  Bindehautsack  eingestrichen,  gut  zu  verwenden.  Da- 
gegen  ist  diese  Salbe,  in  die  Stirne  eingerieben,  als  Mydriaticnm  ganz  unzuver- 
lässlich,  indem  sie,  wenn  nicht  zufällige  L'ebertragungen  auf  die  Conjunctiva  stattlinden, 
nur  durch  Mesorbtion,  also  vom  Blute  aus  wirken  kann.  Es  kömmt  daher  auch  öfters 
vor,  dass,  wenn  eine  solche  Salbe  längere  Zeit  auf  die  Haut  gewirkt  hat,  plötzlich 
und  wider  alles  Erwarten  Intoxicationserscheinungen  eintreten  und  mehrere  Tage 
anhalten. 

Die  Mydriatica  sind  üheratis  starke  Gifte,  welche  ins  Blut  übei'geführt 
schon  bei  sehr  kleinen  Dosen  —  von  O.Ol  Gran  und  weniger  —  höchst 
lästige  und  unter  Umständen  bedrohliche  Erscheinungen  nach  sich  ziehen 
können.  Es  kündigen  sich  derlei  Vergiftungen  durch  Kratzen  im  Schlünde, 
dumpfes  Kopfweh,  höchste  Unruhe,  Schlaflosigkeit,  aufgeregte  Träume, 
Puls-Erequenz,  Ischurie  etc.  an.  Einzelne  Kranke  sind  insbesondere  em- 
pfänglich und  reagiren  gegen  jede,  auch  die  vorsichtigste  Einträufelung 
mydriatischer  Lösungen  mit  höchst  peinlichen  Intoxicationssymptomen.  Um 
so  leichter  kömmt  es  natürlich  zu  solchen  Xeben^virkungen,  wenn  starke 
Lösungen  häufig  und  lange  Zeit  hindurch  im  Gebrauche  standen.  Es  wer- 
den nämlich  doch  immer  minimale  Mengen  des  Mittels  von  der  Bindehaut, 
den  einzelnen  Bulbusorganen,  von  der  Schleimhaut  des  Thränenleitungs- 
canales  resorbirt,  und  können  so  ins  Blut  gelangen.  Bei  sehr  grosser 
Durchgängigkeit  der  Thränenwege  geschieht  es  auch  wohl,  dass  die  in 
den  Bindehautsack  geträufelte  Lösung  in  wenigen  Augenblicken  zum  aller- 


Atrdpiiivrrt^iftuiig;   Myoticii.  41 

grössten  Theile  in  die  NascMiliöliIe  und  von  da  in  den  Verdauungstract 
abfliesst,  wo  sie  ihrer  Totalität  naoli  in  das  Blut  aufgenommen  wird  und 
gerade  so  wirkt,  als  wäre  das  Gift  durch  den  Mund  eingeführt   worden. 

Um  diesen  Uehergang  des  Atropins  in  den  Verdauungstract  zu  verhüten,  ist  es 
räthlich,  währnid  dem  Eiiiträiifohi  das  untere  Lid  etwas  abzuziehen,  m\\  den 
unteren  Thränenpunkt  ausser  Berührung  mit  dem  Instillate  zu  bringen  und  ausser- 
dem beide  Thränenröhrchen  durch  einen  auf  den  irnieren  Lidwintcel  gelegten  Finger 
zusammenzudrücken  (Dondeis).  Selbstverständlich  hindert  (un  solches  Verfahren 
nur  das  direcfe  Ueberfliessen  der  Lösung  in  die  Röhrchen,  nicht  a])er  die  nach- 
trägliche Ueberfuhr  des  der  Olierfiäche  des  Bindehautsackes  anhängenden  Theiles. 
Um  ganz  sicher  zu  gehen,  wäre  daher  die  Conjunetiva  nach  genügender  Einwir- 
kung des  Mittels  mit  reinem  Wasser  abzuspülen. 

Ist.  es  auf  welche  Art  immer  zu  einer  Besorgniss  erregenden  Vergif- 
tung mit  Atropin  gekommen,  so  ist  dringend  anzurathen,  rasch  1 — 2  hypo- 
dermatische  Tnjectionen  von  '/g — ^/.^  Gran  Morphium  muriaticum  in  die  Schlä- 
fengegend zu  machen,  denn  Morphium  ist  ein  sehr  wirksames  und  ver- 
lässliches Antidot  des  Atropins,  (Benjamin  Bell,  Graefe,  Buttles),  wenigstens 
was  seine  mydriatische  und  narkotische  Wii-kung  betrifft  (Erlenmeyer). 

9.  Die  Myotica,  pupillenverengenden  Mittel,  sind  in  der  Augenheilkunde 
von  sehr  untergeordneter  Bedeutung.  Sie  verhalten  sich  in  Bezug  auf 
ihre  localen  und  zum  Theile  auch  betreffs  ihrer  allgemeinen  Wirkungen  zu 
den  Mydriaticis  antagonistisch.  Wo  es  auf  eine  kräftige  Myose  ankömmt 
und  Nebenwirkungen  auszuschliessen  sind,  ist  allein  die  erst  seit  Kurzem 
bekannt  gewordene  (Christison ,  G.  Harley,  Th.  Fräser,  A.  Bohertson, 
Bowman)  Calaharbohne  mit  deren  wirksamen  Principe,  dem  Physostigmin, 
verwendbar. 

Das  Opium  und  Morphium  wirken  schon  beim  innerlichen  Gebrauche  und 
beziehungsweise  als  hypodermatische  Lijection  myotisch.  Bei  örtlicher  Application 
auf  das  Auge  sind  das  Opium,  das  Motphium,  das  Coniin  und  Digitalin  (H.  Braun), 
besonders  aber  das  Nicotin  (Rogow,  Grünhagen),  überaus  kräftige  Myotica,  doch 
wahrscheinlich  nicht  sowohl  vermöge  specifischer  Eigenschaften ,  sondern  wegen 
dem  heftigen  Reiz,  welchen  sie  auf  die  sensiblen  Nerven  der  Bindehaut  und  Bul- 
busoberfläche  ausüben  und  welcher  von  hier  durch  das  ciliare  Gangliensystem  auf 
die  motorischen  Nerven  des  Sphincter  pupillae  und  auf  die  Gefässmuskulatur  der 
Iris  reflectirt  wird. 

Die  myotische  W^irkung  Örtlich  applicirter  Calabarpräparate  offenbart 
sich,  genügende  Dosen  vorausgesetzt,  schon  innerhalb  weniger  Minuten 
und  pflegt  binnen  einer  viertel  oder  halben  Stunde  ihre  grösste  Höhe  zu 
erreichen.  Vorerst  bemerkt  man  gemeiniglich  ein  hippusähnliches  Schwanken 
der  Pupille,  welche  einen  Theil  ihrer  Reactionsfähigkeit  noch  bewahrt ; 
allmälig  aber  wird  dieselbe  enger  und  zieht  sich  endlich  zum  Durchmesser 
eines  kleinen  Stecknadelkopfes  zusammen,  während  sie  völlig  starr  wird. 
Der  damit  verbundene  beträchtliche  Ausfall,  welchen  die  scheinbare 
Helligkeit  der  Netzhautbilder  erleidet,  bewirkt  erstens,  dass  alle  Objecte 
wie  im  Zwielichte  erscheinen,  bis  sich  die  Netzhaut  wieder  für  die  gerin- 
gere Erleuchtung  adaptirt  hat,  und  setzt  zweitens  bei  schwachen  äusseren 
Erleuchtungsintensitäten  die  Sehschärfe  um  ein  sehr  Bedeutendes  herab. 
Bei  stärkeren  Gaben  des  Mittels  macht  sich  auch  bald  eine  Veränderung 
in  dem  Refractionszustande  des  Auges  geltend,  derselbe  wird  allmälig  um 
ein  Gewisses  erhöht,  indem  nicht  nur  der  Fernpunkt,  sondern  auch  der 
Nahepunkt  hereinrückt.  Das  Accommodationsvermögen  erscheint  hierbei  wohl 
sehr  beirrt,  sein  Aequivalent  sinkt  bei  Anwendung  starker  Dosen  mög- 
licher Weise  weit  unter  seine  Hälfte,   doch  gänzlich  aufgehoben  dürfte  das- 


4:2  Inäicatio  morbi ;  Myotica :  Calabarprüparate. 

selbe  nicht  werden.  Die  Myosis  dauert  im  Durchschnitte  8  Tage,  obwohl 
sich  schon  6 — 12  Stunden  nach  der  Application  ein  minimaler  Nachlass 
oftmals  nachweisen  lässt.  Bei  schwachen  Dosen  pflegt  bereits  in  \^j^ — 2 
Tagen  alles  vorüber  zu  sein.  Das  Accommodatlonsphänomen  währt  viel 
kürzere  Zeit  und  läuft  meistens  innerhalb  weniger  Stunden  völlig  ab.  Der 
Fernpunkt  rückt  schon  in  den  ersten  20  Minuten  zurück  und  gelangt  in 
"74 — 2  Stunden  in  seine  frühere  Stellung-,  woi-auf  dann  auch  der  Nahe- 
punkt auf  seinen  normalen  Abstand  zurückweicht  (Graefe,  Schelske). 

In  dem  Krämpfe  des  Sphincter  pupillae  und  des  Accommodations- 
muskels  spricht  sich  der  Erregungszustand  aus,  in  welchen  die  intraocularen 
Ganglien  von  dem  durch  die  Cornea  in  den  Binnenraum  diffundirten  Gifte 
versetzt  werden  und  vermöge  welchem  der  functionelle  Zusammen- 
hang der  ciliaren  Endzweige  des  Oculomotorius  mit  deren  cerebralen 
Ursprüngen  wesentlich  gelockert,  aber  laut  dem  Fortbestände  einer  gewissen 
Accommodationsbreite  nicht  völlig  aufgehoben  wird.  Anderseits  äussert  sich 
in  der  Myose  eine  Schwächung  oder  Lähmung  der  oculopupillaren  Zweige 
des  Sympathicus,  welche  jedoch  eine  Störung  der  Leitung  zwischen  den 
terminalen  V'erästelungen  und  den  centralen  Ursprüngen  nicht  in  sich 
schliesst,  insoferne  Reizung  des  biosgelegten  cervicalen  Grenzstranges  eine 
starke  Pupillenerweitervng  im  calabarisirten  Auge  bewerkstelliget  (Donders). 

Der  Gegensatz  zwischen  den  eigentlichen  Mydriaticis  und  der  Calal)arbohne 
ist  nach  dem  Mitgetheilten  ein  ziemlich  vollständiger.  Dieses  ergibt  sich  übrigens 
noch  deutlicher  aus  Parallelversuchen  mit  Atropin  und  mit  dem  fraglichen  Myoti- 
cum.  In  der  That  lassen  sich  durch  gehörig  proportionirte  Mischungen  beider  die 
Wirkungen  derselben  vollständio^  aufheben.  Es  sind  aber  die  Calabarprüparate 
weitaus  schtoächer,  als  das  Atropin,  denn  es  lässt  sich  eine  dui-ch  starke  Dosen  des 
letzteren  frisch  angeregte  Mydriase  durch  starke  Gaben  der  Calabarprüparate  nicfU 
dauernd  he))eii,  wohl  aber  umgekehrt.  Eine  durch  schwache  Atropinlösung  begrün- 
dete oder  durch  den  Aldanf  mehrerer  Tage  bereits  gesclooächte  Älydriasis  hingegen 
wird  durch  kräftige  Einwirkung  der  Calaljarpräparate  vorübergehend  aufgehoben 
nnd  bei  wiederholter  Application  der  letzteren  in  ihrem  dauernden  Rückgange 
wesentlich  beschleunigt  (Graefe).  Die  geringere  Leistungsfähigkeit  der  Calabarprä- 
parate  ist  der  Grund,  dass  die  intraocularen  Ganglien  für  Impulse,  welche  vom 
Gehirne  ausgehend  durcli  dir  ciliaren  Zweige  des  Oculomotorius  zugeleitet  werden, 
eine  gewisse  Durchgängigkeit  bewahren. 

Unter     den    Präparaten      der     Calabarbohne     nimmt     das     alkoholische 

Extract  in  Bezug  auf  Brauchbarkeit  und  Haltbarkeit  den  ersten  Eang  ein. 

Es  wird,   mit    Glycerin  im  Verhältnisse  von    1  :   30 — 50  verdünnt,    mittelst 

eines  Pinsels  auf  den  unteren  Theil  des  Bindehautsackes  gebracht.  Minder 

verlässlich    und    schwächer    wirkend,    immerhin  aber  praktisch  verwendbar 

und  wegen  der  leichten    Aufbewahrung  sehr   zu   empfehlen    ist    das    in  den 

meisten  Apotheken  verkäufliche   Calabarpapier.    Es  ist  gleich  dem  Atropin- 

papier  quadrirt  und  lässt  sich  daher  sehr  leicht  dosiren. 

Das  Physostigmin  und  seine  Salze  (Jähst,  Hesse)  sind  sehr  veränderlich  und 
darum  in  der  Praxis  weniger  verwendbar,  was  einigermassen  bedauerlich  ist,  in- 
dem sie  bei  localer  Anweudinig  keinerlei  Reizwirkung  auf  die  Bindehaut  ausüben. 
Die  Wirkung  der  Physostigminsalze  ist  rasch  vorübergehend,  doch  dreimal  stärker 
als  jene  des  Extractes.  Dem  Atropin  gegenüber  soll  das  Alkaloid  30mal  schwächer 
sein,  indem  Mischungen  von   1   :  30  sich  gegenseitig  neutralisiren  (Fronmüller). 

Die  Gefässlähmung,  welche  die  Myotica  im  vorderen  Theile  des 
Ciliargebietes  veranlassen  ,  macht  die  Anwendung  derselben  beim  Vor- 
handensein von  Reizungs-  und  Entzündung szustän den  am  oder  im  Auge  be- 
denklich, um  so  mehr,  als  das  gebräucliliche  Calabarextract  bei  seiner  ort- 


VeiweiuUtn;,'  der  Myotica;  Reizende  Mittel.  43 

liehen   Application  die    sensiblen  Nerven     der  liind(>haut    und   Cornea    direct 

reizt    und    als    der    Krampf    von   beid<>n   o-enaniilen    Hinnenmuskc^In   auf  die 

ciliaren      (.iuintusz\veif;-e      erregend      ziiriiekwirkt  ,     lleiziingen     der     Kmptin- 

dungsnerven  aber  auf  die  vasomotorischen  Nerven  reflectirt   werden  und  die 

Gefäsfiparalyse    steigern  können. 

In  der  Tliat  l)riiif!:t  die  Eiiifiilu'ung  dos  Mittels  in  doli  l^iiidoliaiitsaek  immer 
ein  Gefühl  von  leiclitem  J^rennen  oder  Boisseii  und  einige  lujection  der  conjuneti- 
valen  und  episcleralen  Gefässnetze  mit  sich.  Auch  ist  die  Entvvickelung  der  Myose 
und  des  Accommodationsphänomens  stets  mit  einer  peinlich  spannenden  Empfin- 
dung theils  längs  dem  Ae([uator  bulbi,  theils  in  der  Ciliargegeud  verliuiideii,  oder 
wird  von  einem  nervösen  Wehe  im  ganzen  Augapfel  begleitet,  das  nach  Art  der 
Cilianieurose  längs  den  Supraorliitalnerven  ausstrahlt,  sich  wohl  auch  migrainartig 
auf  die  Kopfhälfte  verbreitet  und  durch  Accommodationsbestrebungen  gesteigert 
wird  (Oraefe). 

Im  Ganzen  lässt  yich  das  Calabar  mitunter  verwenden  bei  peripheren, 
den  Dnrchbrucli  drohenden  Cornealgeschwüren ;  behufs  Verbesserung  des 
Sehvermögens  auf  stenopäischem  Wege  bei  excentrischen  Trübungen  der 
Cornea  und  Kapsel  sowie  bei  Ectopia  lentis ;  zum  Zwecke  der  V^ergrösse- 
rnng  der  Ii-isÜäche  bei  Iridectomien ,  vorzüglich  bei  Glaucomen  mit  noch 
nicht  degenerirter  Regenbogenhaut.  Am  häufigsten  werden  Calabarpräparate 
gebraucht,  um  eine  durch  Atropin  bedingte  Mydriasis  in  ihrer  Rückbil- 
dung zu  beschleunigen.  Gegen  Insufficienzen  und  Paresen  des  Accommo- 
dationsmuskels  aus  inneren  Ursachen  leistet  das  fragliche  Mittel  sehr  wenig. 
In  einzelnen  seltenen  Fällen  hat  man  damit  die  Lösung  hinterer  Synechien 
erzielt  (0.  Becker);  doch  darf  man  im  Allgemeinen  davon  nichts  er- 
warten   (Schirmer). 

Um  den  olien  erwälinten  ludicationcn  zu  genügen,  müssen  die  örtlichen 
Applicationen  scliwaclier  Extractlösniigen  tär/lich  loiederholt  werden.  Dabei  ist  wohl 
zu  beachten,  dass  das  Mittel  ein  kräftiges  Gift  ist.  In  der  That  kommt  es  bei  oft 
wiederholten  Einträufelungen  zu  allgemeinen  Vergiftungserscheinungen  und  möglicher 
Weise  wohl  gar  zum  Tode  durch  Lähmung  der  resjnratorischen  Muskelnerven.  Rasch 
ausgeführte  hypodevmafische  Einsprit::iingen  einer  Atropinlösung,  etwa  '^q — '/s^  Gran, 
sind  das  entsprechende  Antidot  (Fräser,  Bezold,   Götz,  Schelske). 

10.  Die  reizenden  Mittel  finden  in  der  Behandlung  äusserer  Entzün- 
dungen und  deren  Ausgänge  eine  sehr  ausgedehnte  Verwendung.  Sollen 
sie  ihren  Zwecken  genügen ,  so  müssen  sie  unmittelbar  auf  das  betreffende 
Organ  einwirken.  Der  Reiz,  welchen  sie  auf  die  daselbst  verzweigten 
Gefühlsiterven  ausüben,  katin,  auf  die  vasomotorischen  Nerven  übertragen, 
bei  Erschlaffung  der  Gefässhäute  durch  Anregung  und  Belebung  der  atoni- 
schen Musculatur  eine  Verengerung  der  Gefässüchtungen  bewerkstelligen 
und  so  den  Entzündungsprocess  durch  Verminderung  oder  Beseitigung 
eines  wesentlichen  Factors  ungütistiger  Verlaufsweisen,  der  Blutstockung 
nämlich,  seinem  Ausgleiche  näher  bringen.  Dazu  kömmt  die  Einwirkung 
der  Mittel  auf  das  wuchernde  Gefüge  selbst,  eine  Einwirkung,  welche 
unter  passenden  Verhältnissen  den  entzündlichen  Process  qualitativ  und  quanti- 
tativ umstimmen  und  dazu  dienen  kann,  einmal  um  krankhaho  Absondertingen  im 
günstigen  Sinne  zu  ändern,  das  andere  Mal,  um  den  darniederliegenden 
Heilungstrieb  anzufachen  und  die  säumige  Regeneration  vorhandener  Sub- 
stanzlücken zu  beschleunigen.  Häufig  wird  ein  solcher  künstlich  hervorge- 
rufener Reizzustand  dadurch  nutzbar,  dass  er  einen  lebhafteren  Blutzufluss 
und  regeren  Stoft'wechsel  mit  sich  bringt,  und  so  auf  die  Rückbildung  und 
Aufsaugung  älterer  entzündlicher  Producte  einen  fördernden  Eintiuss    nimmt. 


44  Indicatio  morbi ;  Reizende  Mittel. 

Nicht  ohne  Belang  ist  weiterhin  der  mit  Irritationszuständen  verknüpfte 
raschere  Wechsel  der  epithelialen  Schichten,  also  die  reichlichere  Ahstossung 
h-anker  und  deren  Ersetzung  durch  neue,  unter  günstigeren  Verhältnissen 
angebildete  und  möglicher  Weise  der  Norm  mehr  entsprechende  Lagen.  In 
gewissen  Fällen  überaus  üppiger  Production  liegt  es  sogar  im  therapeu- 
tischen Interesse,  die  Abstossung  oberflächlicher  Strata  nicht  blos  auf 
diesem  Wege  zu  steigern,  sondern  durch  chemische  Zerstörung  derselben, 
durch  Aetzwirlmng,  massig  zu  gestalten.  Endlich  dienen  einzelne  der 
reizenden  Mittel  dazu,  gewisse  krankhafte  Secrete  chemisch  anzugreifen  und 
des  schädlichen  Einflusses  zu  berauben ,  welchen  sie  auf  die  Vegetations- 
verhältnisse der  damit  in  Berührung  stehenden  entzündeten  Theile 
nehmen  können. 

Selbstverständlich  haben  die  irritirenden  Mittel  keinen  vernünftigen 
Zweck,  ja  sind  geradezu  schädlich  und  gegenangezeigt,  wenn  eine  vorhan- 
dene Entzündung  durch  lebhaftere  helle  Injectionsröthe,  durch  pi'alle  Ge- 
schwulst, durch  Temperaturerhöhung,  durch  nervöse  Reizsymptome  u.  s.  w. 
einen  mehr  sthenischen  Charakter  beurkundet,  oder  überhaupt,  wenn  eine 
stärkere  Ciliarreizung  besteht  und  deren  Steigerung  eine  Mitaffection  der 
Binnenorgane   des  Bulbus  befürchten   lässt. 

Insoferne  die  Reizzustände  bei  Entzündungen  in  ihrem  Grade  häufig 
schwanken  und  auch  abgesehen  von  phlogistischen  Processen  durch  man- 
cherlei zufällige  innere  und  äussere  Irritamente  ephemer  hervorgerufen  oder 
gesteigert  werden  können :  erfordert  es  die  Vorsieht,  vor  jeder  einzelnen 
Application  der  fraglichen  Mittel  das  diesfällige  Verhalten  der  Theile 
genau  zu  prüfen  und  den  Eingriff  immer  mar  dann  zu  wagen,  wenn  die 
derweiligen  Umstände  eine  Reizsteigerung  erspriesslich  und  unbedenklich 
erscheinen  lassen.  Um  das  je  nach  den  obwaltenden  Verhältnissen  wech- 
selnde erforderliche  Maass  der  Reizung  richtig  dnsiren  zu  können  und  nicht 
zu  überschreiten,  ist  es  auch  notliwendig,  alles  auszuschliessen,  was  nebenbei 
den  Effect  des  Mittels  beeinflussen  kann.  Xach  dem  nächtlichen  Schlafe, 
nach  Mahlzeiten,  nach  aufregenden  geistigen  und  körperlichen  Arbeiten  u.  s.w. 
pflegt  die  durch  Reizmittel  verursachte  Reaction  eine  weitaus  beträchtlichere 
zu  sein,  als  unter  entgegengesetzten  Verhältnissen,  worauf  wohl  Rücksicht 
zu  nehmen  ist.  Im  Allgemeinen  eignet  sich  bei  täglich  einmaliger  Applica- 
tion der  ^Mittel  der  Morgen,  1 — 3  StvTnden  nach  dem  Aufstehen  aus  dem 
Bette,   am  besten. 

Die  benutzbaren  Reizmittel  sind  überaus  mannigfaltig.  Man  kann  sie 
der  Uebersicht  halber  nach  ihrer  zweckdienlichsten  Anwendungsweise  und 
nacli  der  Art  ihrer  Wirkung  als  reizende  Pulver,  als  reizende  Salben,  als 
adstringirende   Augenioässer  und   als  adstringirende    Caustica  registriren. 

Unter  den  reizenden  Pulvern  ist  in  erster   Linie    das    lävigirte   Calo- 

mel  zu  nennen.   Es  ist,  zweckmässig    angewendet,    ein  sehr  mildes  Irritans, 

das    sowohl    mechanisch,    als    auch  in  Berührung    mit  den  kochsalzhältigen 

Thränen    chemisch    zu    wirken    scheint.    Es    wird    durch    Ausschnellen  eines 

darein  getauchten  trockenen  Malerpinsels  in  die  geöffnete  Lidspalte  gestäubt. 

Bei  Kindern,  falls  sie  sich  stark  sträuben,  ist  es  räthlich,  die  Einstreuungen 
in  sitzender  Stellung  vorzunehmen.  Der  Kopf  des  Kindes  wird  zwischen  die  Schen- 
kel des  Manipulirenden  eingeklemmt  und,  während  die  Finger  der  einen  Hand 
die  Lidspalte  geöffnet  halten,  entleert  die  andere  Hand  durch  Ausschnellen  den  in 
Calomel  getauchten  Malei'pinsel  dicht  über  dem  kranken  Auge. 


Calomeleinstäubungen ;  Reizende  Salben  ;  Gelbes  Quecksilberoxyd.  45 

Unter  allen  Verhältnissen  ist  dafür  zu  sorpjen ,  dass  nur  feinstes  Pulver, 
nicht  aber  Klümpchen  di^s  Präparates  in  den  Bindehautsack  <jfelanp;(>ii.  Diese  wirken 
nämlich  f;-leich  fremden  Körpern,  und  falls  sie  sich  daselbst  verlialten,  werden  sie 
unter  dem  Einflüsse  der  kochsalzhältifi'en  Thränen  theilweise  in  Suhlimat  umgesetzt; 
sie  reizen  dann  sehr  heträchtlich  und  ätnen  Itisweilen  wohl  auch  die  Bindehaut 
förudich  an.  Um  dieses  sicher  zu  verhüthen,  ist  es  auch  räthlich,  beim  Einstäuben 
die  Umstülpuncj  des  unteren  Lides  und  Bloslej^'nuf;'  der  unteren  Uebergani;'sfalte  zu 
vermeiden,  da  in  die  letztere  o'elano'te ,  selbst  beträchtlichere  Menpjen  des  Pulvers 
anfänglich  keinerlei  Thibchagen  veranlassen  und  imhemerkt  bleiben ,  l)is  sie  durch 
ihre  chemische  Wirkung-  eine  heftig'e  Reizung',  oder  gar  eine  wirkliche  Anätzung- 
begründet  haben.  Wo  sich  einige  Zeit  nach  der  Application  eine  stärkere  Irritation 
zeigt,  ist  daher  stets  der  Bindehaxatsack  genau  zu  durchmustern  luid  von  etwaigem 
Resten  des  Pulvers  durch  Ausspülen  oder  mittelst  eines  reinen  Pinsels  zu  säulx'rn. 
Ueberhaupt  kann  nicht  genug  vor  dem  Einstäuben  grosser  Massen  des  Mittels  ge- 
warnt werden.  Es  genügt,  wenn  nach  dem  Ausschnellen  des  Pinsels  an  der  Ober- 
fläche der  Cornea  und  Conjunctiva  ein  reifahnlicher  Beschlag  sichtbar  wird,  daher 
denn  auch  der  Pinsel  vor  dem  Ausschnellen  in  die  Lidspalte  von  den  anhängen- 
den gröberen  Partikelchen  durch  leichtes  Klopfen  zu  befreien  ist. 

Weit  mehr  reizend  und  in  ihrer  günstigen  Wirkung  viel  unzuverlässiger,  da- 
her auch  zum  therapeutischen  Gebrauche  nicht  zu  empfehlen  und  theilweise  längst 
verlassen  sind  einige  andere  Pulver,  welche  mittelst  eines  beiderseits  offenen 
Federkieles  in  den  Bindehautsack  geblasen  zu  werden  pflegten:  das  Tlionerdehydrat, 
die  gefällte  Kieselerde;  ferner  Zucker,  Alaun,  Borax,  Kochsalz,  Zinkblumen,  Tar- 
tarus depur.,  Krebsaugen,  Os  Sepiae,  Glas,  Bimsstein,  Limatura  Stanni,  Aloe  u.  s.  w. 
in  feinstvertheiltem  Zustande  und  entweder  rein  oder  in  Gemengen  der  verschie- 
densten Art. 

Sehr  kräftig  wirkend  und  in   hohem  Grade  verwendbar  sind   reizende 

Salben.      Es    werden    dieselben    mittelst    eines    Pinsels     bei     abgezogenem 

unteren    Lide    in    die    untere  Uebergangsfalte    der  Bindehaut    gebracht  und 

dann  bei  geschlossener  Lidspalte    durch    sanftes  Reiben    mit  dem    Finger  in 

dem    Conjunctivalsacke    vertheilt.    Als    lolrksame   Bestandtheile    dieser  Salben 

werden  die  verschiedensten  Mittel    angewendet.   Obenan    steht    an    Verläss- 

lichkeit  und   Gleichmässigkeit  der  Wirkung  das  gelbe    Quecksüberoxyd ,    von 

welchem    ^/2 — 1    Gran  mit  einer  Drachme  reinen  Fettes  sorglich  verrieben 

wird.       Minder     vei'lässlich     ist      der     Mercurius     praecipitatus      ruber      zu 

^/2   —   1     Gran,     der     Mercurius    praeci2}'t((tui     albus    zu   1 — 4   Gran,     das 

Oxydum  Zinci  zu   3   Gran,   das    Jodkali    zu   2 — 4   Gran    und  das    reiiie  Jod 

zu   '/g   Gran  auf  die  Drachme  des  Vehikels. 

Das  gelbe  Quecksilberoxyd,  von  den  Franzosen  Bioxyd  de  mercur  hydrate 
genannt  und  in  Oesterreich  seit  Kurzem  officinel,  wird  durch  Praecipitation  aus 
einer  Sul)limatlösung  mittelst  Aetzkali  gewonnen.  Es  hat  vor  ilem  früher  gebräuch- 
lichen und  in  der  Augenheilkunde  seiner  ungleichmässigen  Wirkung  wegen  seit 
zwei  Jahrzehenden  sehr  verrufenen  rothen  Quecksilberoxyd  die  unendlich  feine  Ver- 
theilung  voraus,  vermöge  welclier  es  sich  inniger,  vollständiger  und  gleichmässiger 
mit  dem  Fette  mischt  und  solchermassen  auch  eine  genauere  Dosirn.ng  seiner 
Wirkung  gestattet.  Doch  zersetzt  es  sich  leicht,  wenn  es  mit  freien  Säuren  in  Be- 
rührung kommt,  oder  auch  nur  längere  Zeit  dem  Lichte  ausgesetzt  wird.  Es  ver- 
langt daher  ein  passendes  Vehikel  und  die  Aufbewahrung  an  einem  dunklen 
kühlen  Ort,  soll  es  in  Salbenform  nur  einigermassen  haltbar  sein.  In  der  That 
verliert  die  Salbe,  wenn  sie  nicht  aus  vollkommen  säurefreiem  Fette  bereitet  ist 
oder  im  Lichte  steht,  oft  schon  nach  einem  oder  wenigen  Tagen  die  schöne  eigelbe 
Farbe,  bekömmt  ein  schmutzig  grüngraues  Aussehen  und  wird  unbrauchbar. 

Als  Vehikel  zur  gelben  oder  überhaupt  zu  allen  anderen  Augensalben  eignet 
sich  nach  zahlreichen  Versuchen  einzig  xind  allein  vollkommen  gereinigtes  Schicein- 
fett.  Wo  das  Klima  oder  die  Jahreszeit  der  Salbe  eine  grössere  Consistenz  zu 
geben  gebieten  ,  mögen  einige  Gran  reinen  gelben  Wachses  auf  die  Drachme  des 
Fettes  beigemischt  werden.  Alle  anderen  Beimischungen  oder  selbstständige 
Vehikel,  weisses  Wachs,     Cacaobutter,  Cetaceum,  Rinds-  und  Hammeltalg,    Oliven- 


46  Indicatio  morLi :  Reizende  Mittel. 

lind  Mandelöh],  reine  Bntter  etc.  taiigen  vichfs,  indem  sie  entweder  schon  freie 
Säuren  führen,  oder  selbe  rasch  entwickehi;  daher  denn  auch  die  gelbe  Augen- 
salbe, wenn  sie  derlei  Stoffe  führt,  in  ixnvergleichlich  kürzerer  Zeit  zu  Grunde 
geht,  als  wenn  sie  aus  reinem  Schweinfett  bereitet  ist. 

Sehr  schnell  zersetzt  sich  das  gelbe  Quecksill^eroxyd  auch  in  Berührung- 
mit  der  GJycerinsalhe,  d.  i.  einer  Mischung  von  Amylum  und  Glycerin  im  Verhält- 
nisse von  1  :  5  bei  einer  Temperatur  von  70"  Reaumur  bereitet.  Es  war  dieses 
Präparat  eine  Zeit  lang  belieht  (Graefe)  und  hat  unbestreitbar  gewisse  Vortheile, 
besonders  den,  dass  viele  \virksame  Stofle  darin  löslich  sind,  daher  auch  ungleich 
kräftiger  wirken,  als  in  der  Mischung  mit  Fetten,  wobei  allerdings  auch  die  grössere 
Schwere  eines  gleichen  Volumens  Glycerinamyloides  in  Rechnung  kömmt.  Im  All- 
gemeinen wiegen  diese  Vortheile  jedoch  die  Schwierigkeiten  nicht  auf,  welche  die 
Herstellung  eines  ganz  guten  und  stets  gleichen  Präparates  bietet ,  daher  denn 
auch  in  neuerer  Zeit  von  der  Simon'schen  Glycerinsalbe  in  oculistischen  Schriften 
wenig  mehr  gesprochen  wird. 

Bei  der  Bereitung  von  Salhen  ist  die  sorgfältigste  Verreibung  der  wirksamen 
Stoffe  mit  dem  Vehikel  dringendes  Gebot,  damit  nicht  ein  Theil  der  Salbe  stärker 
als  der  andere  wirke  und  etwa  heftige  Reizzustände,  Anätzungen  u.  s.  w.  bedinge. 
Die  Beimengung  ätherischer  Oele,  um  dem  Präparate  etwas  Wohlgeruch  zu  ver- 
leihen, ist  unter  allen  Umständen  strenge  zu  meiden,  da  jene  Oele  auf  die  Binde- 
haut gebracht  ungemein  stark  reizen.  Will  man  der  Cosmetik  Rechnung  tragen, 
so   darf  man  höchstens   einige  Tropfen  Kirschlorheerivassers  zugeben. 

Salben  von  1  Theiie  gelben  Quecksilberoxyds  auf  8  Theile  Fett,  wie  sie 
jüngst  empfohlen  worden  sind  fPagensfecher),  wirken  zu  stark  und  verlangen  das 
nachträgliche    Auswasclien  des  Bindehautsackes,  um  nicht  Gefahren  zu  begründen. 

Den  Salben  sehr  nahe  stehen  gewisse ,  als  Volksmittel  bekannte  Fette,  das 
Aalrntenleberöl ,  das  Vipernfett,  Bärenfett  u.  s.  w.  Diese  Fette  sind  nämlich  nicht 
alle  Tage  frisch  zu  haben,  werden  darum  gewöhnlich  ranzig  und  wirken  dann 
durch  die  freien  Fettsäuren  reizend. 

Die  Mittel,  welche  zu  adstringirenden  Augenwässern,  Collyrien,  ver- 
wendet werden,  sind  überaus  zalilreich.  Die  gehrcmchlichsten  sind:  das 
Sulfas  Zlnci,  Sulfas  Cupri,  Sulfas  Cadmii,  der  Alaun,  der  Höllenstein,  der 
Me.rcurius  suhlimatus  corrosivus,  der  Bleizucker,  die  Opiumtinctur,  das  Tannin. 
Dazu  kömmt  noch  der  Lapis  dlvinus,  welcher  bekanntlich  aus  Sulf.  Cupri 
(oder  Aerugiuis),  Nitri  puri.,  Alum.  crud.  aa  unc.  1.,  Champhorce  ras.  drach. 
semis  besteht;  weiters  das  Kochsalz  (Rau)  und  das  Sesquichlor.  Ferri 
(Follin).  Man  pflegt  bei  deren  A'erschreibung-  auf  die  Unze  Wasser  einen 
Gran  Sulf.  Zinci,  Sulf.  Cupri,  Sulf.  Cadmii,  Alum.  crud.,  Lapid.  divin.; 
einen  halben  (Jran  HöUensteiu;  einen  viertel  Gran  Sublimat;  vier  Gran 
Bleizucker;  zwei  bis  vier  Gran  Kochsalz  oder  Sesquichlor.  Ferri ;  zehn  Grau 
Tannin  oder  eine  halbe   Drachme  Tinct.   Opii  simpl.  zu  geben. 

In  dieser  Znsammensetzung  entsprechen  sich  die  genannten  Lösungen  in 
Bezug  auf  Wirksamkeif  ziemlich  genau,  und  es  ist  gleichgiltig,  oh  man  dieses  oder 
jenes  in  Gebrauch  zieht.  Neuere  Versuche  an  Kaninchen  (Prosoroff)  bestätigen 
dies.  Sie  ergeben  nämlich,  dass  die  in  Collyrienform  gel)räuchlichen  Mittel,  alle 
wie  sie  siiul,  reizend,  auf  die  Bindehaut  wirken  und  je  nach  der  Dosis  ,  welche  an- 
gewandt wird ,  entweder  blos  eine  Hyperämie,  oder  eine  reichliche  Kernhildung , 
oder  endlich  die  Entwickelung  von  Eilerköiperchen  im  Gefolge  halien;  dass  die 
Zeiträume,  während  welchen  die  Eiterhildung  andauert,  um  dann  der  Kernbildung 
Platz  zu  machen  und  durch  einfache  Hyperämie  in  den  Normalzustand  überzu- 
gehen, nicht  minder  von  der  Dosis  al)]iängen;  dass  endlich  durch  proporlionirte 
Concentrationsgrade  der  Lösung  mit  den  verschiedensten  dieser  Arzneistoffe  eine 
der  Art  und  Dauer  nach  völlig  gleiche  Wirkung  erzielt  werden  könne. 

Bei  allem  dem  emptiehlt  sich  der  Bleizucker  und  der  Sidjlimat  weniger  w-egen 
der  grossen  Zersetzbarkeit  imd  daherigen  Unverlässlichkeit.  Der  Bleizucker  ist 
übrigens  bei  Vorhandensein  von  Geschwüren  in  der  Cornea  oder  Bindehaut  gerade- 
zu gefährlich,  da  er  leicht  auf  dem  Boden  derselben  Niederschläge  bildet,  die 
dann    ipcapsnlirt    werden   und    mannigfaltige   Uebelstände    mit    sich  bringen.     Der 


Adstringirende   C'ollyrien.  47 

IJöJhnstein  maclit,  so  wie  das  Sesgvichlor.  Ferri,  Flcclccni  in  die  Wüsche  und 
Kleider,  welche  sich  nur  schwer  entfernen  lassen.  Die  OpmmtinclHr  bildet  p^erne 
einen  Satz  auf  dem  Boden  des  Gefässes  und  liefert  daher  ein  ungleich  wirkendes 
Collyviuni.  Die  fichivefelaauren  Salze,  besonders  das  Sulf.  Zinci,  dürften  l)eim 
Katarrh  daiier  den  Vorzug  verdienen,  namentlich  wenn  sich  einige  neuere  Unter- 
suchungsresultate bewahrheiten  sollten,  nach  welchen  ausser  der  Kälte  das  Sulf. 
Zinci  dasjenige  Mittel  ist ,  welches  auf  Gefässe  am  meisten  contrahirend  wirkt. 

Als  Menstrunm  verwemlet  man  gewöhnlich  reines,  deifillirtes  Wasser.  Man 
kann  indessen  ancli  leiclit  aromaliftrhe  Wässer,  die  Aq.  Rosarum,  Tiliae,  Saml)uci, 
Enpln-asiae  und  ähnliciie  gebiauchen.  Stark  riechetide  ätherische  Wässer  sind  inuner 
zu  meiden,  da  bei  ihnen  die  reizende  Wirkung  zu  sehr  vorsclilägt.  Sie  werden 
gewöhnlich  nicht  vertragen.  Will  man  dem  Augenwasser  einen  stärkeren  Geruch 
mittheilen,  so  ist  eine  Beimischung  von  Aqua  Laiirocerasi  drachm.  semis  ad  unc.  2 
collyrii  am  meisten  zu  empfehlen.  Mehr  als  2  Unzen  soll  mau  niemals  als  Colly- 
rium  verschreiben,  meisthin  genügt  bei   zweckmässiger  Verwendung  Eine  Unze. 

In  Amei'ika  ist  eine  Mischung  von  Tannin  mit  Glycerin  bei  ßindehautkrank- 
heiten  sehr  lielieljt.  Auch  wird  neuester  Zeit  die  Anwendung  von  Adstringentien 
in  Pastenform  empfolilen  (HeipnamiJ.  Es  sollen  V2 — 1  Drachme  der  genannten 
Salze  mit  dem  gekochten  und  in  kleine  Stücke  gesclinittenen  Albumen  Peines  Eies 
zusammengerieben  und  allenfalls  noch  2  Skrupel  Glycerin  beigemischt  Merden.  Die 
so  gewonnene  Paste  soll  auf  Leinwand  gestrichen,  und  auf  die  geschlossenen  Lider 
gelegt  werden.  Niclit  minder  sollen  Einstäuhungen  wässeriger  Lösungen,  besonders 
von  Tannin  mittelst  des  Pulverisateurs  gute  Dienste  leisten  (Heymann,  Gyr). 

Liebhaber  von  zusammengesetzten  Mitteln  können  auch  benützen  das  CoUy- 
rium  Conradi:  Rp.  Merc.  subl.  corr.  1/4  Gr.,  Mucilag.  sem.  Cydonior.  drach.  semis. 
Laudani  liq.  Sydenhami  gutt.  8,  Aq.  dest.  simpl.  unc.  2,  D.  S. ;  oder  die  Aq. 
Horstii,  .auch  Collyr.  adstring.  luteum  genannt:  Rp.  Sah  ammon.  gr.  15,  Sulfat. 
Zinci  drach.  semis,  solut.  in  Aq.  dest.  simpl.  unc.  5,  adde  Caniphorse  in  unc.  1 
Alkohol,  gr.  sp.  0.850  solut.  gr.  9,  Croci  austriac.  gr.  2.  Mixta  diger.  in  calore 
Reaum.  .30" — Zb^  ad  perfect.  Croci  extractionem.  Refrig.  filtr.  et  exliib.  nsui.  Es 
soll  dieses  Collyrium  stets  an  einem  dunklen  Orte  aufl)ewahrt  werden,  um  der 
Aussclieidung  des  Camphers  in  Krystallen  zu  begegnen.  Zum  Gebrauche  wird  es 
mit  gleichen  Theilen  Wasser  verdünnt.  Vorzüge  haben  diese  Augenwässer  keine, 
daher  sie  füglich  entbehrt  werden  können. 

Das  Chlorwasser ,  Aqua  Chlort,  welclies  durch  Leitung  von  Clilorgas  in 
destillirtes  Wasser  bis  zur  Sättigung  dargestellt  wird,  soll  bei  gleich  kräftiger 
Wirkung  in  der  Eigenscliaft  eines  Alterans  und  Adstringens  den  metallischen  Ad- 
stringentien an  Reizimgsfähigkeit  weit  nachstehen  und  darum  ein  sehr  empfehlens- 
werthes  Ersatzmittel  der  letzteren  bei  sehr  reizbaren  Augen  abgeben,  zudem  aber 
auch  als  Desinfectionsm.ittel  gegen  die  schädliche  Einwirkung  gewisser  Secrete  auf 
Binde-  und  Hornhaut  mit  gutem  Erfolg  angewendet  werden  können  (Graefe).  Seine 
diesfälligen  Leistungen  entsprechen  aber  nicht  den  gehegten  Erwartungen. 

Sollen  die  CoUyrien  eine  krUftige  Wirkung  entfalten,  so  müssen  sie 
wenigstens  eine  viertel  oder  halbe  Minute  lang  unmittelbar  auf  den  kranken 
Theil  einwirken. 

Auch  genügt  es  bei  Bindehauthranlcheiten  nicht,  dass  das  Mittel  blos  mit  der 
einen  Hälfte  des  Conjunctivalsackes  oder  mit  dem  Lidspaltentlieile  desselben  in 
Berührung  komme.  Dalier  soll  der  Kranke  behufs  der  Einträufehnig  immer  wag- 
recht gelagert  und  das  Gesicht  etwas  gegen  die  dem  einzuträufelnden  Auge  ent- 
gegengesetzte Seite  hin  gewendet  werden.  Bei  dieser  Lage  kann  sich  in  der 
Fossa  angularis  eine  genügende  Menge  des  Augenwassers  erhalten,  ohne  dass  es 
abrinnt.  Zieht  man  dann  die  Lider  etwas  vom  Bulbus  ab,  während  man  den 
Kranken  l^ald  nach  oben,  bald  nach  unten  sehen  lässt,  so  dringt  das  Coll^yrium 
sowohl  in  die  obere,  als  untere  Uebergangsfalte  und  die  allseitige  Einwirkung  ist 
gesichert.  Zugleich  hängt  es  von  dem  Belieben  des  Arztes  a1),  das  Collyrium 
längere  oder  kürzere  Zeit  wirken  zu  lassen  und  so  die  Grösse  des  Effectes  nach 
Bedarf  zu  reguliren. 

Ueberschliige  von  kleinen  Leinwandbäuschehen,  welche  in  das  Augen- 
wasser getaucht  wurden,  sind  in  ihrer  Wirkung  selbstverständlich  viel 
weniger  verlässlich,   als  Einträufelungen  des  Mittels  in   den  Bindehautsack; 


48  Indicatio  morti ;  Reizende  Mittel ;  Höllenstein  ;  Sulfas  Cupri. 

doch  lassen  sie  sich,  namentlich  in  der  Kinderpraxis  nicht  ganz  entbehren 
und  haben  ihre  Freunde   (Stavenhagen). 

Bedeutend  stärker  wirken,  wahrscheinlich  durch  Diffusion,  Utber- 
scJiläge  mit  einem  in  adstringirende  Lösungen  getanchten  CliarpiehauscJi,  welcher 
tropfnass  auf  die  geschlossenen  Lider  aufgelegt,  von  einem  Pölsterchen 
gekrämpelter  Baumwolle  gedeckt  und  dann  durch  eine  elastische  Binde 
aus  feinstem  Flanell  befestigt  wird  (Hillermann,  Bernhardi,  BlodigJ.  Unter 
Umständen  bietet  diese  vor  Jahren  beliebt  gewesene  Applicationsweise 
einen  recht  befriedigenden  Ersatz  für  schwer  durchzuführende  Einträu- 
felungen oder  Bestreichungen  mittelst  des  Pinsels.  Um  den  damit  verbun- 
denen Unzukömmlichkeiten  zu  steuern,  muss  der  Verband  täglich  4 — 5  Mal 
erneuert    und     der  Bindehautsack  vorläufig    immer    wohl  gereinigt  werden. 

Als  adstringirende  Caustica  stehen  fast  ausschliesslich  der  Höllenstein 
und  das  schwefelsaure  Kupferoxyd  im  Gebrauche.  Der  Lapis  infernalis  wird 
theils  in  Lösungen  von  5 — 30  Gran  auf  eine  Unze  Wasser,  theils  mit 
Salpeter  zusammengeschmolzen  als  Nitras  argenti  mitigatus  in  Substanz 
angewendet.  Den  hlaiien  Vitriol  benützt  man  zumeist  als  solchen  in  Gestalt 
möglichst  grosser  und  breitflächiger  Kry stalle,  welche  der  vorspringenden 
Kanten  und  Winkel  durch  Messer  und  Feile  beraubt  und  dann  mittelst 
eines  feuchten  Lappens  glatt  abgerieben  worden  sind.  Weniger  gebräuchlich 
sind  Lösungen  desselben  in  Wasser  oder  Glycerin,  1  Theil  des  Mittels  auf 
6 — 8  Theile  des  Vehikels,  so  wie  Salben  aus  1  Scrupel  des  Vitriols  auf 
die  Unze  Fett  (Roser,    Warlomont). 

Der  Lapis  infernalis  mitio-atus  wird  bereitet,  indem  man  krystallisirten  Höllen- 
stein und  Saljjeter  in  gleichen  Gowiclitstlieilen  oder  im  Verliältnisse  von  1  :  2 
zusammenschmilzt  und  die  Schmelze  in  Stangenform  ausgiesst.  Einige  Augenärzte 
benützen  als  mitigirten  Höllenstein  wohl  auch  Mischungen  von  gleichen  Theilen 
Lapis  infernalis  und  arabischem   Gummi,  zn  Stangen  geformt. 

Wo  es  sich  in  erster  Linie  darum  handelt,  zu  adstringhen  und  etwa 
vorhandene  krankhafte  Bindehautsecrete  chemisch  anzugreifen,  eine  kräftige 
Aetzwirkung  aber  nicht  im  Interesse  liegt,  oder  eine  heftigere  Reizsteigerung 
bedenklich  erscheint:  entsprechen  Lösungen  von  5  Gran  Höllenstein  auf  die 
Unze  Wasser.  Das  Kupfervitriol  hat  gleichfalls  eine  geringe  Aetzkraft,  da- 
gegen adstringirt  und  reizt  es  überaus  stark,  daher  es  vorzugsweise  bei 
torpidem  reizlosen  Charakter  der  Affection,  bei  starker  Erschlaffung  der 
Theile  am  Platze  ist.  Wo  hingegen  die  Zerstörung  oberflächlicher  wuchern- 
der Schichtlagen  in  der  therapeutischen  Lidication  hervorsticht,  empfehlen 
sich  je  nach  der  Grösse  der  geforderten  Wirkung  Höllensteinlös^mgen  von 
10 — 30  Gran  auf  die  Unze  Wasser  oder  der  dieselben  an  Aetzkraft  weit 
übei'bietende  mitigirte  Lapis  infernalis.  Wo  jedoch  die  methodische  Appli- 
cation der  Höllensteinpräparate  oder  des  YM^iiexh-ystnlles  von  Seite  des 
Arztes  durch  äussere  Verhältnisse  unmöglich  gemacht  ist  und  die  thera- 
peutischen Hantierungen  nothwendig  dem  Kranken  oder  seiner  Umgebung 
überlassen  werden  müssen,  bietet  die  Kupfersalbe  und  die  Glycerinlösung 
des  blauen  Vitriols  ein  bequemes,  weil  leicht  handzuhabendes  Surrogat. 
Der  reine  Höllenstein  dagegen  ist  nur  bei  gewissen  Ki'ankheiten  der  äusseren 
Lidhaut  und  der  Thränenableitungswege  ohne  sonderliche  Gefahr  verwend- 
bar; bei  Conjunctivalleiden  und  Affectionen  des  Augapfels  ist  er  unter  allen 
Umständen  strenge  zu  meiden.  Er  löst  sich  nämlich  zu  rasch  in  den  Thränen 
und     wird    solchermassen    zu  leicht  diffuudirt;     daher  er  die  Dosirung  des 


Ge'branchsweise  der  Canstica. 


49 


Effectes  nach  Tiefe-  und  Flüchenaiisdehvung  sehr  erschwert  und  bei  nur 
einigermassen  unvorsiclitigem  Gebrauclie  überaus  bedauerliche  Narbenbll- 
diingen  im   (lefolge  zu  haben  pÜegt. 

Der  mitij:firte  Lapis  infernalis  macht  überdies  den  reinen  leiclit  enthehrlich, 
indem  er  gleichfalls  ein  sehr  kräftiges  Aetzmittel  ist,  mit  welchem  man  eine  beliebig 
grosse  Wirkung  erzielen  kann,  und  welches  noch  das  voraus  hat,  dass  es,  ver- 
möge seiner  geringeren  Löslichkeit  in  den  wässerigen  Thränen  ,  die  Grösse  seines 
Effectes  nach  Breite  und  Tiefe  haarscharf  hemessen  lässt. 

Etwas  Aehnliches  gilt  auch  von  dem  krystaUisirlen  Kupfervitriol.  Es  ist 
dessen  geringere  Löslichkeit,  welche  ihm  den  Vorzug  vor  krystaJlinischen  Massen 
oder  unkrystallisirtem  Pulver  gibt.  Kommen  krystallinische  oder  pulverige  Präparate 
von  schwefelsauiem  Kupfer  mit  der  Bindehaut  in  Berührung,  so  lösen  sie  sich  fast 
augenblicklich  in  den  Thränen,  und  die  solchermassen  erzeugte  concentrirte  Solution 
vertlieilt  sich  rasch  nach  allen  Richtungen.  Das  Resultat  sind  gewöhnlich  sehr 
heftige  Reizzustände  in  grossem  Umfange  mit  allen  deren  Folgen.  Nicht  unwichtig 
ist  in  dieser  Beziehung  auch  noch  der  Umstand,  dass  krystallinische  Massen  schon 
während  der  Aetzung  wegen  der  grossen  Löslichkeit  rauh  werden  und  so  zu 
Verletzungen  mit  starken  parenchymatösen  Blutungen  Veranlassung  geben.  Darum 
sind  Kupferkrystalle  unbrauchbar,  an  deren  breiten  Flächen  verwitterte  Stellen  zu 
finden   sind. 

Die  überaiis  kräftigen  Wirkungen  der  in  Hede  stehenden  Mittel 
machen  bei  deren  Anwendung  die  grösste  Vorsicht  nothwendig ,  damit  der 
Effect  nicht  zu  stark  ausfalle  und  insbesondere  damit  das  Aetzmittel 
nicht  auf  Tlieile  gebracht  werde,  welche  der  Cauterisation  nicht  bedürfen 
oder  dadurch  gar  geschädigt  werden  könnten.  Insbesondere  bei  Bindehaut- 
krankheiten kömmt  es  häufig  darauf  an,  die  Hornhaut  und  den  Scleraltheil 
der  Conjunctiva  vor  Berührungen  mit  dem  Aetzmittel  zu  bewahren.  Zu 
diesem  Behuf e  müssen  die  Z/idbindehaut  und  der  U eher g angstheil  durch 
Umstülpen  der  beiden  Lider  blosgelegt  und  dann  mit  einem  in  die  Lösung 
getauchten  Pinsel  oder  mit  den  Aetzkörpern  in  Substanz,  je  nach  Bedarf 
mehr  oder  weniger  nachdrücklich,   bestrichen  werden   (Graefe). 

Das  Umstülpen  des  unteren  Lides  unterliegt  keiner  Schwierigkeit.  Ist  dieses 
geschehen,  so  kann  man  den  unteren  Uebergangstheil  leicht  hervortreten  machen, 
wenn  man  den  Kranken  nach  oben  sehen  lässt.   Um  das  obere  Lid  leicht  umstülpen 

Fig.   1. 


zu  können,  heisst  man  den  Kranken  die  Lidspalte  ößnen,  fasst  die  Wimpern,  zieht 
den  Lidrand  in  wagrechter  Richtung  vom  Bulbus  ab  nach  vorne  und  drückt  sodann 
den    convexen    Tarsalrand,    ivelcher  bei  4'"  über  dem  Lidrande   liegt,    mittelst  eines 

Stellwag,    Aiigeiiheilkiinde.  -l 


50  Indieaiio  rnorbi;  Reizende  Mittel. 

dünnen  Stäbchens,  eines  zarten  Schlüssels  odei-  des  kleinen  Fingers  nach  ahivärts, 
während  man  gleichzeitig  den  Lidrand  mit  den  Wimpern  emijorheht.  Der  Geübte 
wird  leicht  beide  Lider  nmgestülpt  erhalten  können,  worauf  der  Kranke  geheissen 
wird,  dieselben  durch  Zusammenziehung  des  Muse,  orbicularis  an  einander  zu 
pressen.  Die  Lidspalte  wird  durch  die  sich  vordrängenden  beiden  wulstigen  Hälften 
des  Uebergangstheiles  geschlossen,  so  dass  die  vordere  Hälfte  des  Bindeliaiitsackes 
von  der  hinteren  gleichsam  abgeschnürt  wird  (Fig.  1).  Minder  Geübte  müssen  sich 
begnügen,  ein  Lid  nach  dem  anderen  umzustülpen ,  den  Kranken  nach  der  entgegen- 
gesetzten Richtung  blicken  und  die  Lidspalte  schliessen  zu  lassen,  um  mit  Beruhi- 
gung die  Aetzung  der  biosliegenden  Portionen  der  Bindehaut  vornehmen  zu  können. 

Um  zu  verliindern,  dass  hei  der  Rückstinpwig  der  Lider  unzersetzte 
Theile  des  AefzmiUels  die  Scleralbindehaut  und  Cornea  treffen  und  anätzen,  ist 
es  nothwendio-,  den  Ueberschuss  derselben  vorerst  durch  Aviederholte  Bestrei- 
cliungen  der  Aetzflächc  mittelst  eines  in  Wasser  getaucMen  Pinsels  ahzv- 
schtvemme.n.  Besonders  notliweudig  ist  dieses,  wenn  stärkere  Höllenstein- 
lösungen  oder  der  Lapis  mitigatus  in  Anwendung  gezogen  wurden  ;  doch 
dürfte  auch  bei  schwachen  Lösungen  die  ^'ernachlässigung  dieser  \oy- 
sichtsmassregel  nicht  ganz  ohne  Gefahr  sein. 

Eine  vorläufige  Neutralisafion  des  Ueberschnsses  durch  Bestreichung  der 
Aetzfläche  mit  KochsuIrJösung  ist  überflüssig,  wurde  aber  früher  allgemein  empfolden. 
Aetzungen  mit  Krtpfervitriolkrysta.Uen  fordern  eine  Abscliwemmung  des  Ueberschnsses 
nur,  wenn   einige  Neigung  zu  heftigen  Reizzuständen  vorhanden  ist. 

Das  bei  der  Abschwemmung  abtiiessende  Fluidum  beschädigt  die  Kleider 
und  Möbel  sehr  stark.  Vm  diese  Schäden  zu  verhüten,  ist  es  am  zweckmässigsten, 
dem  sitzenden  Kranken  ein  bis  über  das  Knie  herabreicliendes  Stück  Waclis- 
leinwand,  dessen  oberer  Rand  einen  Ausschnitt  hat,  um  den  Hals  zu  binden.  Der 
Arzt  sell)st  schützt  sich  am  besten  durch  eine  Schürze. 

Die  Einstäuhungen  mit  reizenden  Pulvern  werden  1 — 2mal  des  Tages, 
die  irritirenden  Salben  stets  nur  Imal  pro  die,  hingegen  die  schwachen 
adstringirenden  Collyrien  2 — 3 mal  und  wohl  auch  öfter  im  Tage  ange- 
wendet, je  nach  der  Grösse  der  zu  erzielenden  Wirkung  und  je  nach  der 
Reizempfänglichkeit  der  betreffenden  Theile.  Die  adstringirenden  Caiistica 
sind  stets  nur  1  Mal  des  Tages  zu  appliciren  und  sollen  dort,  wo  eine 
sehr  kräftige  Aetzung  im  Interesse  liegt,  oder  die  darauf  folgende  ßeaction 
eine  sehr  beträchtliche  ist,  selbst  erst  nacli  Ablauf  von  2  oder  mehr 
Tagen  wiederholt  werden. 

Ein  leichter  Reizzustand  folgt  immer  der  Anwendung  dieser  Alittel, 
auch  der  schwächeren,  ja  er  ist  nothwendig,  sollen  dieselben  ihre  Wirkung 
entfalten.  Hält  er  sich  in  den  Grenzen  der  Massigkeit  und  geht  er  rasch 
vorüber,  so  ist  gegen  ihn  nicht  anzukämpfen.  Wird  er  dagegen  durch 
heftige  nervöse  Erscheinungen  lästig  oder  erweiset  sich  die  Reaction  durch 
den  Grad  und  die  Dauer  der  Gefässsymptome  bedenklich ,  so  ist  die  An- 
wendung kalter   Ueberschläge  bis  zur  Tilgung  der    Gefahr  geboten. 

Nach  Aetzungen  ist  es  uiiter  allen  Umständen  rätlilich,  kalte  Ueber- 
schläge gebrauchen  zu  lassen,  da  es  hier  auch  darauf  ankommt,  die  Ab- 
stossung  der  Schorfe  zu  beschleunigen.  Wurde  stark  geätzt  ^  oder  ist  der 
Kranke  sehr  empfindlich  und  zu  Entzündungen  geneigt,  so  muss  die  Ah- 
stossung  der  Schorfe,  welche  gewöhnlich  innerhalb  1 — 2  Stunden  erfolgt, 
mit  Aufmerksamkeit  beobachtet  werden.  Nicht  selten  geschieht  es,  dass 
einzelne  Partien  des  Schorfes  sich  nur  theilweise  ablösen,  beim  Lidschlage 
sich  aufrollen  und  dann  als  fremde  Körper  übermässig  reizen.  Es  lässt 
sich  dieses  leicht  verhüten,  wenn  man  die  lose  hängenden  Schorfe  mit 
einem  Pinsel   oder  einem  feinen  Leinenlappen  abwischt. 


Quellen  ;   Haomostatit'clie  Verhältnisse.  Ol 

Nach  Aetzuvgen  verdient  übrigens  aueli  besondere  Aufmerksamkeit 
das  gar  niclit  seltene  ZasammenJäeben  eivzelner  Fallen  des  Uebergangstheiles. 
Wird  nämlich  stärker  geätzt,  so  kommen  nach  Abstossung  der  Aetzscborfe 
excoriirte  Fläclien  in  Berührung  und  verwachsen  am  Ende  wohl  auch 
völlig,  so  dass  die  IJindehaut  wesentlicli  verkürzt  wird.  Entdeckt  man  eine 
solche  A^rklebung,  so  muss  man  allsogleich  die  verklebten  Theile  durch 
den  Fingernagel,  eine  Eleifeder  u.  dgl.  trennen,  und  öfter  nachsehen,  ob 
die  N'erklebung  nicht  abermals  zu  Stande  gekommen  ist.  Es  gelingt  so 
leicht,   die  A^ei-wachsung  zu  hindern. 

Ist  die  Reactlon  nach  entsprechender  und  vorsichtiger  Anwendung 
eines  Reizmittels  ihrem  Grade  und  der  Dauer  nach  übermässig,  weicht  sie 
trotz  dem  eingeschlagenen  antiphlogistischen  Verfahren  nicht  im  Laufe 
einiger  Stunden,  so  ist  das  Mittel  zu  stark.  Man  thut  dann  gut,  mit  der 
Aviederholten  A]3plication  desselben  auszusetzen,  sich  nach  getilgter  Keaction 
anfangs  eines  schwächeren  Mittels  zu  bedienen  und  im  Falle  des  Bedarfes 
nur  ganz   allmälig  wieder  zu  kräftigeren    überzugehen. 

Quellen.  Haemostatische  Verhältnisse :  Mayrhofe.r,  Zeitschrift  der  Wien.  Aerzte. 
1860.  S.  7.37,  739.  —  Dor,  kl.  Monatbl.  18i-,5.  S.  .351;  A.  f.  0.  XIV.  1.  S.  13.  — 
MoDvik,  nacli  Snellen,  kl.  Monatbl.  186S.  S.  363.  —  SteHwar/,  der  intraoc.  Druck. 
Wien  1868.  S.  10,  17,  20—34,  63,  75  u.  f.  86  n.  f.;  Ophthalmologie,  I.  S.  313, 
Nr.  40;  S.  314-318.  —  Oraefe,  A.  f.  O.  I.  1.  S.  306—313,  382-390;  III.  2. 
S.  426,  432-437,  456;  XII.  2.  S.  207—211,  256—259;  VII.  2.  S.  29;  kl.  Monatbl. 
1868.  S.  212,  401.  —  Bovchut,  Gaz.  med.  de  Paris,  1868.  S.  695.  —  Hijjpel, 
Grünhagp.n,  A.  f.  O.  XIV.  3.  S.  219,  221—  258;  XV.  1.  S.  265,  273,  282,  284; 
kl.  Monatbl.  1868.  S.  384.  —  Memorski,  A.  f.  O.  XI.  2.  S.  79-112.  —  Donders, 
A.  f.  O.  1.  2.  S.  75  —  103:  kl.  Monatbl.  1864.  S.  434;  Anomalien  d.  Acc.  u.  Refr. 
Wien,  1866.  S.  486,  489,  490.  —  Vierordt,  LiiUin,  Dis.s.  Die  Wahrnehmung-  der 
chorioid.  Gefässe.  Tübingen.  1856.  S.  \\.  —  Berthnld,  R&i.  Wien.  med.  Presse  1867. 
S.  467.  —  Pope,  A.  f.  O.  I.  1.  S.  77.  —  Kussmaul,  Diss.  Untersuchungen  etc. 
Würzburg.  1855.  S.  12,  18,  25,  27,  40.  —  Trautvelter,  A.  f.  O.  XII.  1.  S.  95,  119, 
131,  132.  —  WeJjer,  kl.  Monatbl.  1868.  S.  395—399.  —  0.  Becker,  Wien.  med. 
Jahrb.  1863.  S.  159,  170;  186t.  S.  3.  —  Mauthnei;  Lehrb.  d.  Ophthscop.  Wien. 
1868.  S.  339,  340.  —  Wegner,  A.  f.  0.  XII.  2.  S.  10—21.  —  CL  Bernard,  A.  f.  0, 
XII.  2.  S.  18;  nach  Landois,  Eulenburg,  Wien.  med.  Wochensch.  1867.  S.  1010, 
1025,  1073;  Compt.  rend.  LV.  S.  382;  nach  Donders,  Anomalien,  S.  491;  nach 
Salkowski,  Zeitschr.  f.  rat.  Med.  XXIX.  S.  169.  —  Adamük,  kl.  Monatbl.  1868. 
S.  386,  390,  392;  Sitzungsber.  d.  Wien.  Akad.  d.  Wissensch.  LIX.  S.  1—16  ; 
Centralbl.  1866.  S.  562;  1867.  S.  434;  Annal.  d'ocul.  LVIII.  S.  8.  —  Enlenhurg, 
Landois,  Wien.  med.  Wochenschr.  1867.  S.  1074,  1140  —  Staub,  ibid.  S.  1140.  — 
Griesinger,  il)id.  —  Mannhardt,  kl.  Monatbl.  1866.  S.  18.  —  Tesfelin,  Canstatt'.s 
Jahresl)er.  KSliG.  II.  2.  S.  447.  —  Schiff,  Untersuchungen  zur  Piiys.  d.  Nervensj'st. 
Frankfurt,  1855.  S.  20—198;  Zeitschr.'  f.  rat.  Med.  XXIX.  S.  217;  nacli  Eulenbürg, 
Landois,  1.  c.  S.  1075.  —  Salkowski,  Zeitschr.  f.  rat.  Med.  XXIX.  S.  167-190; 
Centralbl.  1867.  S.  487.  —  Budge,  nach  Eulenburg,  Landois,  Wien.  med.  Wochen- 
schrift 1867,  S.  1009;  Die  Bewegung  der  Iris.  Braunschvveig,  1855.  S.  90  —  178.  — 
C.  Krause,  Handb.  d.  Anat.  2.  Aufl.  I.  S.  526.  —  //.  Mutter,  Würzburger  Verhandl. 
X.  vS.  179.  —  Scinoeigger,  A.  f.  O.  V.  2.  S.  216.  —  Saemisch,  ßeitr.  z.  phys.  imd 
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S.  105,  107.  —  Arlt  jnn.,  A.  f.  O.  XV.  1.  S.  305,  313.  —  E.  Wagner,  Würzbm-g. 
Verhandl.  X.  S.  XI — XIII.  —  Deiters,  nach  Rüdiger,  Anat.  d.  menschl.  Gehirnnerven. 
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Zeitschr.  f.  rat.  Med.  XXXII.  S.  605.  —  Büttner,  ibid.  XV.  S.  254,  268,  271.  — 
G.  Meissner,  ibid.  XXIX.  S.  96,  101.  —  Heymann,  kl.  Monatbl.  1863.  S.  204.  — 
Stanley,    Alison  etc..    nach    Schiff,    Untersuchungen     etc.    S.    97    u.   f.    —    Power, 


52  Indicatio  causalis  et  morbi:  Mydriatiea ;  Quellen. 

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Deutsche  Klinik.  1867.  Nr.  24.  —  Geissler,  Sclimidt's  Jahrb.  136.  Bd.  S.  74.  — 
Sfeffan,  kl.  Erfahruugen  u.  Stnd.  Erlangen.  1869.  S.  37,  88,  41,  44.  —  Magendie, 
11.  A.  nach  Budge,  d.  Beweg,  d.  Iris.  S.  93,  97.  —  Wintlier ,  Experimentalunter- 
snchungen  über  d.  Path.  d.  Flügelfelles.  Erlangen.  1866.  S.  33 — 48.  —  Samuel, 
nach  Wintlier,  1.  c.  S.  42;  nach  Eulenburg,  Landois,  1.  c.  S.  1075.  —  Mooren, 
oplith.  Beobachtungen,  Berlin,  1867.  S.  101.  —  Snellen,  Arch.  f.  path.  Anat.  XIII. 
S.  107;  Jarl.  Verslag.  IV.  S.  191;  kl.  Monatbl.  1864.  S.  242.  —  Snellen,  Rosow, 
Centralbl.  1867.  S.  774.  —  KnapiJ,  Canstatt's  Jahresber.  1863.  III.  S.  107.  — 
Danielssen,  Esmarch,  Baerensprung ,  nach  Steffan,  kl.  Erfahrungen.  S.  37,  38.  — 
Charcot,  Cotard,  Centralblatt  1866.  S.  360.  —  Naumann,  Prag.  Vierteljahrschrift 
77.  Bd.  S.  1,  13;  93.  Bd.  S.  133,  143,  151.  —  Löwen,  Centralbl.  1867.'  S.  56.  — 
Zillzer,  Deutsche  Klinik,  1865.  S.  127.  —  Voelchers,  Hense7i,  Experiinentalunter- 
suchung  etc.  Kiel.  1868.  S.  24;  Centralbl.  1866.  S.  722.  —  Coccius,  d.  Mechanismus 
d.  Acconiod.  Leipzig.  1868.  S.  74.  —  Förster,  kl.  Monatbl.  1864.  S.  368,  373.  — 
C'ramer,  Het  accomodatievermogeii.  Hai'lein.  1853.  S.  87.  —  Bezold,  Ludwig,  Thiry, 
nach  Hippel,  Grünhagen,  A.  f.  O.  XV.  1.  S.  266.  • —  Bezold,  Goetz,  Bloehauvi,  nach 
Hippel,  Grünhagen,  1.  c;  Centralbl.  1866.  S.  599;  1867  S.  241,  564.  —  Schneller, 
A.  f.  O.  III.  2.  S.  121.  —  Klehs,  Virchow's  Archiv.  XIX.  S.  346.  —  Leber,  Denk- 
schriften d.  Wien.  k.  Akad.  d.  Wiss.  24.  Bd.  S.  310. 

Causalindication :  Graefe,  A.  f.  O.  IX.  2.  S.  111.  —  Stavenhagen,  Klin. 
Beobachtgn.  Riga.  1868.  S.  75.  -  H.  Cohn,  Berlin,  kl.  Wochenschr.  1868.  Nr.  8; 
kl.  Monatbl.  1868.  S.  293.  —  Anheif,  A.  f.  O.  IH.  2.  S.  38.  —  Heymann,  Sussdorf, 
Sitzungsber.  d.  Gesell,  f.  Natur-  u.  Heilkd.  z.  Dresden.  1867.  S.  42,  45.  —  Jansen, 
FoUin,  Arch.  gen.  de  med.  1861.  II.  S.  26.  —  Virchow,  Handbuch  d.  spec.  Pathlg. 
u.  Therapie.  1.  Bd.  1854.  —  HelmhoUz,  phj's.  Optik  in  Karsten's  Encyklopädie  d. 
Physik,  IX.  S.  191  u.  s.  f.  — 

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AnatDinie  der  Hornliaut.  53 

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ERSTER  ABSCHNITT. 

Die  Entzündung  der  Hornhaut.     Keratitis. 


Anatomie.  Das  Hornhautgefüge  ist  dem  Wesen  nach  modificirtes  Binde- 
gewebe, besteht  gleich  diesem  aus  einer  fasei'igen  Grund-fubstanz  und  zahl- 
reiclien  eingelagerten  Zellen,  giebt  beim  Kochen  jedoch  keinen  Leim,  sondern 
einen  dem   Chondrln  nahestehenden  gelatinartigen  Körper  (Bums). 

Die  Gnmdsubstanz  (Fig.  2.  a)  wird  zusammeiigesetzfc  aus  feinsten  Fi- 
brillen, welche  sich  durch  mehr  gestreckten  Verlauf  und  starkes  Lichtbrechungs- 
vermögen von  gewöhnlichen  Bindegewebsfibrillen  unterscheiden  und  am 
Rande  der  Cornea  unmittelbar  in  die  faserigen  Elemente  der  Conjunctiva 
und  8clera  übei"gehen,  sich  gleichsam  in  letztere  umwandeln.  Die  Hornhaut- 
fibrilleii  vereinigen  sich  durch  Nebeneinanderlagerung  zu  überaus  durch- 
sichtigen breiten  und  platten  Fasern,  und  diese  durch  Juxtaposition  zu 
Lamellen,  welche  sich  über  grosse  Strecken  der  Cornea  verfolgen  lassen 
und  diesen  auf  senlirechten  Durchschnitten  ein  blätteriges  Aussehen  geben. 
Es  liegen  die  einzelnen  Lamellen  oder  Schichten  nämlich  im  Allgemeinen 
parallel  zu  der  Oberfläche  und  zu  einander,  nur  hie  und  da  schieben  sich 
dieselben  unter  spitzem  Winkel  zusammen.  Die  Faserrichtungen  in  zwei 
sich  deckenden  Schichten  kreuzen  sich  zumeist  unter  einem  rechten  Winkel. 
Die  Vereinigung  der  Fibrillen  zu  Fasern  und  Lamellen ,    so  wie  der  letz- 


54 


Anatomie  der  Hornhaat. 


teren  zu  einem  Ganzen  wird   durch  einen  alles  durchdringenden  Kitt  ver- 
mittelt,   welcher   eine    sehr   geringe  Dichtigkeit  besitzt  oder  gar  flüssig  ist 


Fig.  2. 


k   e    f 


m     n 


und    das  Licht    gleich    den  Fibrillen  stark  bricht  (Hcnle,  Engelmann,    C.  F. 
Müller,    Classen). 

Eingeschoben  zwischen  je  zwei  sich  deckende  Lamellen  liegen  gleich- 
mässic;  vei'theilt  und  in  mässisjen  Abständen  von  einander  die  Hornhaut- 
körjyerchen.  Es  sind  dies  senkrecht  zur  Hornhautoberfläche  plattgedrückte, 
bald  spindelige,  bald  mehr  linsenförmige  scharfeckige  Zellen  mit  bläschen- 
artigem Kerne  imd  körnerlosem  homogenen  Protoplasma.  Von  dem  Um- 
fange dieser  Zellen,  namentlich  von  den  Ecken  derselben,  gehen  eine  An- 
zahl baumartig  verästelter  Fortsätze  ab ,  welche  die  Grundsubstanz  nach 
den  verschiedensten  Richtungen  hin  durchsetzen,  zum  Theile  in  demselben 
Interlamellarraum  bleiben,  zum  Theile  die  vor-  oder  hinterlagernde  Schichte 
senkrecht  durchbrechen ,  um  entweder  frei  zu  enden  oder  aber  sich  mit 
ähnlichen  Fortsätzen  nachbarlicher  Zellen  desselben  oder  des  angrenzenden 
Zwischenschichtraumes  zu  verbinden  und  so  ein  die  ganze  Cornea  diirch- 
strickendes  Maschennetz  darzustellen.  Es  lassen  sich  die  sternförmigen 
Zellen  durch  gewisse  chemische  Vorgänge  von  der  Grundsubstanz  trennen, 
doch  werden  ihnen  und  ihren  Fortsätzen  fast  durchwegs  eigene  Membranen 
abgesprochen. 


Stratnm  Bowmani;  Membrana  Descemeti.  5ö 

Ausser    den   fixtn  Hornhautkörperchen  finden  sich  durch  das  Gefdge 

zerstreut   wecliselnde  Mengen  kleinerer  mit  den   Lijmphkörperchen  identischer 

Zellen   (Rtcklinyhausen,  Engdmann),   welche  fortwährend  ihre  Gestalt  ändern 

und    mit    grosser  Schnelligkeit    sich    nach    den   verschiedensten  Richtungen 

bewegen,   indem  sie  die  Lamellen  und  Fibrillen  auseinander  drängen. 

Ihre  Wanderungen  waren  der  Anlass  zur  Annahme  besonderer  Saftcanäle 
CReckling hausen,  Coknheim),  welche  die  Cornea  durchziehen  sollen.  Doch  bestehen 
derlei  Canäle  nicht,  die  Ortsveränderung  wird  durch  den  weichen  Kitt  ermöglicht, 
welcher  das  ganze  Horuhautgewebe  durchtränkt,  und  die  beim  Vorrücken  der  Zelle 
zurückbleibende  Spalte  allsogleich  füllt,  wählend  die  auseinander  gedrängten 
Fibrillen  hinter  der  Zelle  wieder  zusammenschliessen  ( EngelniannJ .  Diese  Spalt- 
barkeit erklärt  auch  die  eigenthünilichen  Gitterwerke,  welche  man  bei  Injectionen  in 
die  Corneahiihstanz  erhielt  (Harpeck,  Hartmann). 

In  den  vordersten ,  an  sternförmigen  Cornealkörperchen  besonders 
reichen  Schichten  der  Hornhaut  nehmen  die  Lamellen  an  Flächenausdeh- 
nung ab  und  verschränken  sich  mehr  unter  einander,  daher  die  durch  sie 
veranlasste  Streifung  senkrechter  Durchschiiitte  einen  zur  Oberfläche  mehr 
geneigten  Verlauf  nimmt.  Dabei  wächst  die  Dichtigkeit  des  Gefüges  nach 
vorne  liin,  die  Fibrillen,  welche  in  steil  gewundenen  Schlangenlinien  auf- 
steigen, versclilingen  und  verfilzen  sich  immer  mehr  und  stellen  schliesslich 
mit  Hilfe  des  chemisch  mehr  indifferenten  Kittes  ein  derbes  membran- 
artiges Gebilde  b  dar  (Iwanoff,  Engelmann),  welches  sich  mehr  oder  weniger 
schai'f  von  dem  unterlagerndeu  minder  dichten  HornhautgeAvebe  abgrenzt 
und  als  Stratum  Bowmani ,  vordere  Grenzschichte,  auch  Suhepithelialschichte 
und  äussere  Basalmembran  beschrieben  wird.  Ilire  Dicke  wechselt  sehr 
und  ist  nicht  selten  fast  verschwindend  klein  ;  in  anderen  Fällen  bildet  sie 
ein  ziemlich  mächtiges  Stratum  von  grosser  Durchsichtigkeit  und  ansehn- 
licher Resistenz  gegen  chemische  und  pathologische  Processe,  daher  sie 
früher  vielfach  für  eine  Glashaut  gehalten  wurde.  Sie  ist  für  die  Wander- 
zellen der  Cornea  durchgängig  flwanoff)  und  wird  mehrfach  von  Xerven- 
stämmen   durchbohrt. 

Xach  vorne  liegt  der  Bowman'sehen  Schichte  das  zarte  weiche, 
überaus  durchsichtige  Epithel  c  auf.  Sein  tiefstes  Stratum  besteht  aus 
cylinderförmigen  etwas  unregelmässigen  Zellen,  welche  senkrecht  zur  Ober- 
fläche gestellt  sind.  Die  vorderste  Lage  hat  ganz  den  Charakter  des 
Pflaster epithels.  In  den  Zwischenschichten  zeigen  die  Elemente  Uebergangs- 
fonnen  und  platten  sich,  je  weiter  sie  nach  vorne  liegen,  um  so  mehr  ab 
(Schalygen).  Zwischen  den  eigentlichen  Oberhautzellen  findet  man ,  vor- 
nehmlich in  der  Cylinderscliichte ,  seltener  in  den  mittleren  Stratis  und 
äusserst  selten  in  den  vordersten  Lagen ,  kleine  wandernde  Zellen  in  fort- 
währender Bewegung  und  stetem   Gestaltwcchsel   (Engelmann,   Iwanoff'j. 

Die  hintere  Fläche  der  Hornhaut  wird  von  der  Membrana  Descemeti 
oder  Demoursi  d  gedeckt,  welche  auch  innere  Basalmembran  oder  Wasser- 
haut heisst  und  an  der  der  Kammer  zugewendeten  Seite  ein  Stratum 
schöner  polygonaler  Epithelzellen  trägt.  Es  ist  diese  Haut  eine  Glashaut, 
anscheinend  vollkommen  structurlos ,  wasserhell ,  ziemlich  fest  und  so 
elastisch,  dass  sie,  von  der  Cornea  theilweise  losgelöst,  sich  sogleich  nach 
vorne  umrollt.  Auf  Querdurchschnitten  lässt  sie  oft  eine  parallele  Streifung 
erkennen,  welche  auf  einen  geschichteten  Bau  deutet. 

Neuester  Zeit  will  man  diesen  blätterigen  Bau  nachgewiesen  und  in  einzelnen 
Lamellen    gleich   jenen    der  Horuhautsubstanz    aus  feinsten  Fibrillen  zusammenge- 


56  Anatomie  der  Hornhaut;  Geßsse;  Nerven. 

setzt  gefunden  haben.  Die  Fibrillen  sollen  durch  einen  Kitt,  welcher  von  dem 
der  Cornealsubstanz  abweicht,  vereinigt  werden  und  am  Rande  der  Membran  aus- 
einander fahrend  theils  in  die  Sclerotica  übergehen,  theils  in  das  Aufhängeband 
der  Iris  ausstrahlen  (Tamamschef). 

Blutgefässe  finden  sich  nur  an  der  fötalen  Hornhaut  in  grösserer 
Menge.  Sie  bilden  Mer  in  der  Bowman'schen  Schichte  ein  ziemlich 
dichtes  Netz ,  welches  sich  jedoch  nicht  bis  in  die  Mitte  der  Cornea  zu 
erstrecken  scheint.  Gegen  das  Ende  des  Fötallebens  und  nach  der  Geburt 
Terkümmern  diese  Gefdsse  und  verschwiiiden  ganz  oder  bis  auf  geringe 
Spuren.  Nur  am  äussersten  Hornhautrande  bleiben  einige  Capillaren  zurück, 
die  unter  der  BoTrman'schen  Schichte  liegen  und  eine  oder  mehrere  Reihen 
von  Bögen  formiren.  Aiisserdem  kommen  noch  in  der  Substanz  der  Horn- 
haut ,  aber  nicht  constant ,  höchst  feine  Capillaren  Yor ,  welche  aus  der 
Sclerotica  stammen,  meistens  Xervenstämme  begleiten  und  Schlingen  bilden. 
Lymphgefässe  finden  sich  nur  am  Rande  der  äusseren  Fläche  der  Cornea, 
sie  gehören  also  wahrscheinlich  der  Bindehaut  an  (Teichmann,  Henle,  Engel- 
mann,   C.  F.   Müller). 

Die  Nerven  der  Cornea  (Cohnheim,  Köllil-er,  Engelmann,  Hoyer)  stammen 
zum  Theile  von  den  Conjunctivalnerven  (Peter möller),  zum  grössten  Theile 
aber  sind  sie  Endzweige  der  ISTervuli  ciliares.  Erstere  treten  vom  Limbus 
conjunctivalis  aus  direct  in  die  Hornhaut  über.  Letztere  hingegen  nehmen 
ihren  Weg  dahin  durch  den  vorderen  Umfang  der  Sclera.  Die  ISTerven 
werden,  nachdem  sie  in  das  Hornhautgefüge  gelangt  sind,  alsbald  marklo.-, 
vollkommen  hell  und  durchsichtig  und  verbreiten  sich  unter  vielen  Zwei- 
theilungen  und  Kreuzungen  vornehmlich  in  den  vordersten  Sclüchten,  wo 
sie  ein  unmittelbar  unter  dem  Bowman'schen  Stratum  gelegenes  dichtes 
Flechtwerk  bilden.  Ein  Theil  der  Stämmchen  geht  indessen  nach  hinten 
und  löst  sich  nahe  der  Descemeti  in  einen  durch  rechtwinkelige  Maschen 
und  Biegungen  ausgezeichneten  Plexus  auf  (Kölliker).  Von  dem  vorderen 
Flechtwerke  steigt  eine  Anzahl  von  Stämmchen  steil  empor ,  durchbohrt 
die  BoA\Tnan'sche  Schichte  und  zerfahrt  in  Fasern ,  welche  nach  allen 
Richtungen  liin  ausstrahlen,  vielfach  über  einander  hinweglaufen  und  so 
wieder  eine  Art  Geflecht  im  Epithelialstratum  selber  dai'stellen.  A'on  diesem 
Plexus  nun  gehen  zahlreiche  feinste  Fäden  nach  vorne  ab  und  dringen 
bis  in  die  vordersten  Oberhautlagen,  wo  sie  frei  zwischen  den  Zellen  ohne 
besondere  Endorgane  oder  Endplexus  verschwinden  (Kölliker,  Engelmann). 
Ein  Austreten  auf  die  freie  Oberfläche  des  Cornealepitheles  und  ein  Flottiren 
der  feinsten  Enden  in  der  die  Hornhaut  deckenden  Flüssigkeitsschichte 
(Cohnheim),  ist  kaum  anzunehmen. 

Jede  dunkelrandige  Faser  wird  von  einer  zarten  kernhaltigen,  eng- 
anüegenden  Scheide  umgeben.  Dieselbe  setzt  sich  immer  dünner  werdend 
auch  auf  die  blassen  Fasern  der  Geflechte  fort.  Die  Kerne,  anfangs  sehr 
zahlreich,  werden  mit  zunehmender  Entfernung  vom  Hornhautrande  seltener. 
Schliesslich  finden  sie  sich  fast  nur  mehr  in  den  Acliseln  der  Geflechte 
(Engelmann). 

Senile  Veränderungen.  Als  eine  Theilerscheinung  des  senilen  In- 
volutionsprocesses ,  als  Analogen  des  Weisswerdens  der  Haare ,  des  Aus- 
fallens der  Zähne  u.  s.  ^y.  ist  der  sogenannte  Greisenhogen,  Gerontnxon,  der 
Cornea  aufzufassen.  Er  findet  sich  in  der  Regel  nebeii  Verfettigung  der 
Augenmuskeln  und  der  Gefässe,  neben  Weitsichtigkeit  und  anderen  Zeichen 


Senile  Veränderungen;  Greisenbogen.  Ö7 

der  Involution  bei  TiCutcn,  welche  das  50.  Lcbcnsjuliv  überschritten  haben; 
kömmt  indessen  ancli  wohl  in  frühei'en  Tjebcnsperioden  vor,  besonders  im 
Gefolge  von  Kranklioiten,  welche  tief  in  die  N^ntritionsverhiiltnisse  eingreifen. 
In  niederen  EnticirMuvysfjraden  stellt  er  eine  melir  oberMücliliclie,  grau- 
liclic  bis  schnigweisse  Trübung  dar ,  welche  den  oberen  und  den  unteren 
Rand  der  Cornea  in  Gestalt  zweier  Mondsiehein  umfasst.  Bei  fortschreitender 
Entwicklung  nimmt  diese  Trül)uiig  an  Diclitigkcit  zu,  sie  dringt  tiefer  und 
tiefer,  bis  nahe  an  die  Descemeli,  die  ^londsicbeln  werden  breiter  und 
zugleich  auch  länger.  Die  Hörner  dei"  letzteren  nähern  sich  solcher- 
massen  und  üiessen  endlich  in  efnander.  Der  Greisenbogen  siellt  miii- 
mehr  einen  trüben  Kreis  dar,  dessen  oberer  und  unterer  Theil  bedeutend 
breiter ,  als  die  seitlichen  Bogenabschnitte  sind ,  daher  der  durchsichtige 
Theil  der  Cornea  eine  querelliptische  Figur  bildet.  Der  centrale  Hand 
des  Greisenbogens  ist  immer  verwaschen,  der  pei'iphere  Rand  aber  am 
meisten  trüb  und  scharf  abgesetzt.  Es  stösst  derselbe  niemals  an  den  Con- 
junctivalsaum  an,  zwischen  beiden  ist  stets  ein  bei  O'ö'"  breiter  Saum 
durchsichtiger  Cornealsubstanz  eingeschoben ,  welcher  den  Greisenbogen 
von  aussen  lier  umgibt.  Der  Limbus  cnnjunctivalis  erscheint  gleichfalls 
trübe  und  da  derselbe  oben  iind  unten  merklich  breiter  ist  als  an  den 
Seiten,  so  verstärkt  er  den  Eindruck,  als  hätte  die  Cornea  eine  querellip- 
tische Form. 

Die  Trübung  ist  der  Ausdruck  einer  im  Cornealgefüge  vor  sich  gehen- 
den fettigen  Degeneration  und  einer  damit  im  Zusammenhang  stehenden 
autfälligen  Zerklüftung  der  faserigen  Intercellularsubstanz. 

Bei  niederen  Entwickhuigsgraden,  also  aiifänglicli,  leiden  besonders  die  Horn- 
hautkörpeicheii.  Bei  iceiterer  Ansbildimii^  ei'sclieinen  sowohl  die  Lamellen  als  auch 
die  Iloinhautkörper  und  deren  Ausläufer  mit  zahllosen  stauhförmigen  Fetlmolekülen 
durchstreut,  und  das  Hornhautgefüge  selbst  zeigt  sich  auiitalleud  saftarm,  trocken, 
leicht  in  Lamellen  spaltbar,  so  dass  die  Faserung  zum  Vorschein  kömmt  und  die 
Objectpräparate  am  Kande  selbst  in  Fibrillen  zerfahren.  Am  weitesten  vorgeschritten 
sind  diese  Metamorphosen  immer  in  den  oberflächlichen  Schichten.  Je  weiter  nach 
hinten,  um  so  weniger  deutlich  treten  sie  hervor.  Das  Epithel  luid  die  Bowman'- 
sche  Scliiclite  pflegen  sich  dabei  nur  wenig  zu  verändern.  Bei  sehr  hochrjradigcr 
Senescenz  hat  man  indessen  eine  ganz  ähnliche  schichtenweise  Ablagerung  mole- 
kularen Fettes  in  der  angrenzenden  Zone  der  Bindehaut,  der  inneren  Ledcrhaut- 
lagen,  selbst  des  CiJiannuskels  und  der  C'iliarfortsätze  neben  atheromatöser  Entartung 
der  betreffenden   Gefässe  gesehen  (Arnold,  His,    WedlJ. 

Ausserdem  findet  man  in  senilen  Hornhäuten  nicht  selten  choloide  Massen  in 
gruppig  zusammengehäixfteu  Klümpcheu  durch  das  Gefüge  zerstreut  (WedlJ.  Selbst 
die  Desceme/i  verändert  sich  im  höheren  Alter.  Sie  wird  etwas  verdickt  und  dabei 
brücliiger,  spröder,  daher  sie  schwieriger  Falten  wirft  und  gerne  Risse  bekömmt, 
welche  theils  oberflächlich  sind,  theils  in  der  Dicke  der  Schichte  verlaufen.  Zugleich 
nehmen  die  icarziyen  Auflagerungen  von  Glassubstauz,  welche  am  Rande  der  Desce- 
met! schon  im  Mannesalter  sehr  gewöhnlicli  vorkommen,  ausserordentlich  zu  und 
rücken  wolil  gar  bis  zum  Ceiitrum  der  Membran  vor.  Sie  präsentiren  sich  als 
kugelsegmentähnliche,  flach  aufsitzende  oder  gestielte  stalaktitenförmige  hyaline 
Massen,  welche  häufig  molekulare  Körner  und  Kalkkügelchen,  seltener  Pigment 
enthalten  und  viele  Aehnlichkeit  mit  den  senilen  Verdickungen  der  inneren  Gefäss- 
schichte  darbieten  (H.  Müller,    Wedl). 

Nosologie.  Die  entzüirdlichen  Producte  der  Keratitis  werden  haupt- 
sächlich und  in  erster  Linie  durch  massenhafte  Einwanderung  weisser  Blut- 
körperchen (Cohnhelm) ,  weiterliin  aber  auch  durch  endogenetische  Verviel- 
fältigung derselben  (Recklinghausen,  Hofmann)  und  durch  Wucherung  der 
fixen  Zellen   (Hofmann,   Stricker)   beschafft. 


08  Keratitis  ;  Nosologie ;  Herpetische  Efflorescenzen. 

Die  FAnwanderung  erfolgt  tlieils  von  den  Gefässen  des  entzündlich 
angeschwollenen  Limbus  covjunctivalis ,  theils  von  den  erweiterten  Rand- 
schlingen der  Scleralgefässe  aus.  Die  auf  dem  ersteren  Wege  eingewanderten 
EilduugszcUen  bleiben  zumeist  in  dem  Epithelstratum,  während  die  anderen 
im  eigenthclien  Cornealgefiige  sich  anhäufen ,  gelegentlich  aber  auch  die 
Bowman'sche  Schichte  durchsetzen  und  mit  jenen  zusammenfliessen. 

Die  vom  Limhus  conjunctioalis  ausgehenden  Zellen  sammeln  sich  anfangs 
vorzugsweise  in  der  hintersten  Oberhautscliichte,  deren  cylindrische  Elemente  aus- 
einander gedrängt  und  schliesslich  durch  Wucherung  (Schalygenj  und  Verfettigung 
auch  wohl  gänzlich  vernichtet  werden,  so  dass  man  auf  grosse  Strecken  hin  zwischen 
dem  Bowman'schen  Stratum  und  den  oberflächlichen  noch  wenig  veränderten 
Epithelschichten  nur  eine  an  Dicke  sehr  wechselnde,  stellenweise  mächtige  Lage 
von  Bildungszellen  findet.  Weiterhin  dringt  ein  Theil  dieser  Zellen  allmälig  nach 
vorne  in  die  überlagernden  Oberhautschichten,  verwickelt  dieselben  mit  in  den  ent- 
zündlichen Process  und  entkleidet  sie  durch  Wucherung  oder  Verfettung  ihres 
epithelialen  Charakters.  Man  kann  dann  nur  mehr  ein  einheitliches  Lager  von 
Bildungszellen  unterscheiden,  dessen  unebene  Oberfläche  von  einer  dünnen  und 
durch  fleckweise  Abstossung  vielfach  lückenhaften  Schichte  platter  Zellen  gedeckt 
wird.  Eine  kleine  Quote  der  Bildungszellen  mag  dann  unter  Umständen  auch  wohl 
in  die  Bowman'sche  Membran  übergehen  und  deren  Textur  durch  Zerwerfung  der 
Elemente  verwischen  (Iicanoff). 

Die  von  den  Eandschlingen  der  Scleralgefässe  austretenden  Zellen  finden  in 
dem  alles  durchdringenden  weichen  Kitt  der  Cornealsubstanz  eine  bequeme  Bahn 
für  ihre  Wanderung.  Man  trifft  sie,  von  der  Cornealgrenze  gegen  den  Entzündungs- 
herd hin  fortschreitend,  in  stetig  wachsender  Menge  in  und  zwischen  den  einzelnen 
Schichten  angehäuft.  Streckenweise  lagern  sie  mitunter  vorzugsweise  in  Spalten, 
welche  sie  durch  Auseinanderdrängung  der  Fibrillen  sich  geschaffen  haben;  sie 
erscheinen  in  Reihen  geordnet,  welche  in  derselben  Schichte  parallel,  in  dem  dar- 
über und  darunter  gelegenen  Stratum  aber  unter  fast  rechtem  Winkel  streichen  und 
so  im  Ganzen  von  oben  gesehen  eine  Art  Gitterwerk  darstellen.  Anderorts  hin- 
gegen sammeln  sie  sich  zu  mehr  oder  minder  mächtigen  Zügen,  welche  baumartig 
verzweigt  und  vielfältig  mit  einander  anastomosirend  ein  ganz  unregelmässiges 
Maschenwerk  erzeugen,  welches  die  Grundsubstanz  nach  allen  Richtungen  durch- 
strickt und  lebhaft  an  die  Fortsätze  der  fixen  Iloruhautzelleu  erinnert.  Daneben 
fehlt  es  nicht  an  einzeln  stehenden  und  zu  formlosen  Gruppen  gehäuften  Bildungs- 
zellen sowie  an  Zellenhaufen,  welche  ihrer  Anordnung  und  sternförmigen  Gestalt 
nach  kaum  anders,  als  durch  Wucherung  der  fixen  Hornhautkörperchen  enstanden 
sein  können  (Uis;  Classen,  Wedlj.  Je  mehr  man  sich  indessen  dem  Centrum  des 
Entzündungsherdes  nähert,  um  so  undeutlicher,  verschwommener  werden  die  geschil- 
derten Formen,  die  Masse  der  sich  häufenden  Bildungszellen  verwischt  jede  Zeich- 
nung, es  präsentirt  sich  uiir  mehr  ein  Conglomerat  von  neoplastischen  Zellen,  in 
welchem  die  Grundsubstanz  nicht  mehr  zu  sondern  ist,  auch  wenn  sie  noch  nicht, 
wie  dies  oft  geschieht,  in  fettigem  Detritus  untergegangen  ist.  Liegt  dieses  Centrum 
nahe  au  der  Oberfläche,  so  sammeln  sich  die  Bildungszellen  in  grossen  Massen  so- 
wohl vor  als  hinter  der  Bowman'schen  Schichte  und  diese  bildet  eine  Zeit  lang 
eine  scharfe  Grenzscheide  zwischen  beiden  Lagern,  doch  bald  verfällt  auch  sie 
ihrem  Schicksale,  die  Bildungszellen  durchdringen  sie,  zerstören  sie  stellenweise 
und  bringen  so  beide  ueoplastischen  Schichten  in  unmittelbare  Berührung. 

Die  Hornhaut  kann  ausnahmsweise  ditrch  Entzündung  ihrer  Totalität 
nach  in  einen  Stock  wuchernder  Zellen  verwandelt  werden,  in  welchem 
man  die  normalen  Elemente  nicht  mehr  zu  unterscheiden  vermag.  Meistens 
aber  handelt  es  sich  blos  um  mehr  oder  minder  ausgebreitete ,  bald  ober- 
flächlich, bald  tief  sitzende  Herde  mit  sehr  verschwommenen  Grenzen,  während 
der  Kest  der  Cornea  entweder  normal  erscheint,  oder  doch  nur  unterge- 
ordnete Mengen  entzündlicher  Producte  führt.  Scharf  begrenzte  Herde  von 
typischer  Form  liefert  blos  der  herpetische  Process.  Die  Efflorescenzen  des- 
selben stellen  primär  kegelige  Haufen  von  Bildungszellen  dar,   deren  Körper 


Abscess;  Geschwür;  Onyx;  Keratitis  vasculosa.  o9 

zum  grossen  Theilo  in  den  tieferen  Epithelstratis  lagert,  die  rundliche 
Basis  nach  vorne  kehrt ,  mit  der  Spitze  aber  das  Bowman'sche  Stratum 
durchbricht  und  sich  in  einen  mit  Bildung-szeUen  dicht  besetzten  und  an- 
geschwollenen j^ervenstamm  fortsetzt  (Iwanoff).  Allmälig  sammelt  sich  eine 
grössere  oder  geringere  Menge  flüssiger  Intercellularsubstanz,  welche  dann 
die  wenig  veränderten  oberflächlichen  Epithelstrata  im  Bereich  der  Kegel- 
basis zu  einem  Bläschen  emporstaut,  oder  aber,  was  meistens  geschieht, 
durchreisst  und  so  eine  fast  kreisrunde  Excoriation  mit  infiltrirtem  Grunde 
erzeugt.  Weiterhin  wandert  eine  Anzahl  von  Zellen  wohl  auch  in  das 
umgebende  Gefüge  aus,  verwickelt  dieses  mit  in  den  Entzündungsprocess, 
der  Herd  wird  iimfangsreicher,  verliert  seine  typische  Form,  während  sich 
gleichzeitig  längs  dem  Zuge  des  erkrankten  Nerven  auf  wechselnde  Distanz 
hin  sowohl  über  als  unter  dem  Bowman'scheu  Stratum  massenhaft  Bil- 
dungszellen ansammeln  und  die  herpetischen  Efflorescenzen  solchermassen  mit 
einer  Keratitis  im  gewöhnlichen  Wortsinne  comhiniren. 

Die  weiteren  Veränderungen  der  entzündlichen  Producte  sind  sehr 
mannigfaltig. 

1.  Oft  verfettigt  die  überwiegende  Zahl  oder  die  Gesammtheit  der 
eingewanderten  und  durch  Wucherung  neugebildeten  Zellen  sammt  der  von 
ihnen  abgesetzten  mehr  minder  fibrinreichen  Intercellularsubstanz ,  es 
bildet  sich  Eiter  im  Gefüge  der  Hornhaut,  welches  bald  in  Mitleidenschaft 
gezogen,  trüb,  weich  wird  und  schliesslich  ebenfalls  zerfiillt,  in  eine  fettige 
Detritusmasse  aufgelöst  wird.  Von  der  Oberfläche  der  Cornea  stossen  sich 
derartige  Producte  bald  ab ,  da  die  Subepithelialschichte  im  Bereiche  des 
Eiterherdes  rasch  zerstört  wird.  Das  Eesultat  ist  ein  mehr  weniger  aus- 
gebreitetes Geschioür.  Im  Innern  der  Hornhaut  aber  Avird  der  Eiter  einige 
Zeit  lang  zurückgehalten  und  bildet  einen  Eiterherd,  welcher,  so  lange  er 
allseitig  von  Hornhautsubstanz  umschlossen  ist,  Abscess  genannt  wird.  Die 
blättrige  Textur  der  Cornea  gibt  dann  nicht  selten  die  Veranlassung,  dass 
ein  Theil  des  flüssigen  Eiters  sich  zwischen  den  Lamellen  senkt  und  sich  in 
einzelnen  Interlamellarräumen  nahe  der  unteren  Cornealgrenze  zu  grösseren 
Mengen  ansammelt,  einen  Onyx,  das  Analogen  der  Senkungsabscesse, 
darstellt. 

2.  Eben  so  oft  beschreiten  die  entzündlichen  Producte  den  Weg  zur 
Höhergestültung.  Besonders  neigen  dazu  oberflächlich  gelagei'te  Anhäufungen 
von  Bildungszellen.  Dieselben  sondern  sich  dann  rasch  in  zwei  Schichten, 
welche  mit  warzen-  oder  zapfenähnUchen  Buckeln  oder  Fortsätzen  in 
einander  greifen  und  meistens,  wenn  auch  nicht  allerorts,  sich  scharf  von 
einander  absetzen.  Die  Elemente  der  vorderen  Schichte  differenziren  sich 
nämlich  mehr  und  mehr  zu  Ex^ithehellen ,  während  die  Elemente  der  hin- 
teren Schichte  auswachsen  und  durch  den  Uebergang  in  Spindelforra  sowie 
durch  allmälige  Anbildung  einer  bald  streifig  werdenden  Intercelhdar Substanz 
bei'eits  an  Bindegewebe  oder  Cornealsubstanz  erinnern.  Dabei  machen  sich 
in  dieser  Granulationsschichte  bald  Gefässe  bemerklich,  welche  von  jenen 
des  Limbus  ausgehend  das  neoplastische  Zellenlager  unter  fortwährenden 
Theilungen  und  gegenseitigen  Anastomosen  in  centripetaler  Eichtung  durch- 
setzen iTud  schliesslich  ein  mehr  minder  dichtes  Netz  mit  groben  Stämmen 
darstellen,  welche  letztere  sich  constant  in  stark  erweiterte  Bindehautvenen 
fortsetzen. 


60  Keratitis;  Nosologie;  Gefässbildung;  Regeneration  des  Hornhautgofüges. 

Es  scheint,  als  ol)  das  Blut  anfänglich  blos  in  scharf  umgrenzten  Spalten 
zwischen  den  Elementen  der  Granulationsschichte  ströme,  da  eigentliche  Wandungen 
verhältnissmJissig  S])iit  sichtbar  werden  (Iwanojf).  Dieselben  erscheinen  dann  als 
verzweigte  Schläuelie,  welche  dicht  mit  spindeligen  Zellen  besetzt  sind  (His^  Nie- 
mefschelcj  und  kfinnen  sich  unter  Umständen  zu  einer  sehr  mächtigen  Adventitial- 
schichte  heranbilden.  Die  grösste  Mehrzahl  und  oft  auch  wohl  die  Gesammtheit  der 
neoplastischen  Gefässe  streicht  oherhalb  dem  Bowmaii'schen  Stratum  ,  wo  dieses 
noch  erhalten  ist.  Häufig  geht  das  letztere  aber  frühzeitig,  wenigstens  strecken- 
weise, unter  und  hört  so  auf  eine  Grenzscheide  für  die  die  ganze  Granulationsschicht 
durchstrickenden  Gefässe  abziTgeben.  Das  Blut,  welches  in  den  mit  freiem  Auge 
sichtbaren  neugebildeten  Gefässen  kreiset,  muss  nach  dem  Charakter  der  abfüh- 
renden Bindehautstämme  als  venöses  gelten,  trotz  seiner  heUrofJien  Färbung,  da 
diese  sich  aus  der  oberflächlichen  Lage  ei'klärt,  welche  eine  oxydirende  Einwirkung 
der  atmosphärischen  Luft  gestattet. 

Es  sticht  diese  Gefässbilduiig  im  Krankheitsbilde  so  auffällig  hervor, 
dass  man  sie  schon  seit  langem  als  das  Grundmerkraal  einer  eigenen  Form 
oberflächlicher  Hornhantentzündnngen ,  der  Keratitis  vasculosa ,  bezeichnet 
hat.  Die  geschilderten  A'erändernngen  der  Granulationsschichte  pflegen 
mit  der  Dauer  des  Processes  zuzunehmen.  Am  weitesten  vorgeschritten 
und  darum  auch  am  deutlichsten  findet  man  sie  daher  bei  längerem  Bestände 
chronisch  dahinschleichender  Entzündungen ,  besonders  wenn  die  Ileiz- 
erscheinungen  schon  in  den  Hintergrund  getreten  sind  und  der  Zustand 
mehr  den  Charakter  des  Pannus  trägt.  Dann  entwickelt  sich  das  Granu- 
lationsstratum  wohl  auch  zu  ivahrem  Bindegewebe,  in  welchem  mächtige 
Gefässstämme  mit  dicken  Adventitialschichten  sich  verzweigen. 

Im  eigentlichen  Hornhautgefüge  eingeschlossene  neugebildete  Elemente 
zeigen  im  Allgemeinen  eine  viel  geringere  Neigung  zur  Höhergestaltung 
und  Gefässbildung ,  es  wäre  denn,  dass  die  betreffenden  Strata  durch  ge- 
schwürige Processo  oder  durch  traumatische  Substanzverluste  der  darüber 
gelegenen  Schichten  nahe  an  die  Oberflache  gelangt  sind.  Dann  entwickelt 
sich  aus  diesen  neugebildeten  Elementen  unter  einer  mehr  weniger  dicken 
Epithellage  ganz  gewöhnlich  wahres  Hornhautgefüge ,  welches  die  gegebene 
Substanzlücke  mehr  oder  weniger  vollständig  ausfüllt  und  sonach  die  Ver- 
heilung  anbahnt.  Die  allbekannte  und  in  der  That  wunderbare  Regene- 
rationsfühigkeit  der  Cornea  beruht  wesentlich  auf  diesem  Vorgange.  Es 
wiederholt  sich  unter  solchen  Verhältnissen  nämlich  der  oben  bereits  aus- 
einandergesetzte Process.  Das  heilende  Geschioür  überzieht  sich  von  den 
Rändern  aus  und  mit  einer  Bildungszellenmasse ,  welche  sich  alsbald  in 
ein  Epitlielstratum  und  eine  Granulationsschichte  differenzirt ,  um  je  die 
entsprcclienden  Metamorphosen  durchzumachen    (Iwanof,   Schiess-  Gemuseus). 

Nicht  selten  wird  sowohl  das  neugebildete  Epithel,  als  das  die  Sub- 
stanzlücke ausfüllende  faserige  Ersatzgewebe  so  vollkommen  durchsichtig  und 
stimmt  auch  in  Bezug  auf  sein  histologisches  Verhalten  mit  dem  umgebenden 
normalen  Gefüge  so  vollständig  überein,  dass  eine  Unterscheidung  des  neu- 
gebildeten und  des  alten  schlechterdings  unmöglich  wird  und  sich  nicht 
einmal  die  Grenze  des  Ersatzgewebes  nacliweisen  lässt.  Häufiger  indessen 
erheben  sich  nur  die  tieferen  Lagen  des  Ersatzgewebes  zur  Dignität  nor- 
malen Hornhautgefüges ;  gegen  die  Oberfläche  hin  wird  die  Neoplasie  trüber 
und   trüber,  ja  gewinnt  wohl  gar  das  Ansehen  fibröser  Texturen. 

Der  Grund  dessen  liegt  in  molekularer  Trübung  der  neoplastischen  Inter- 
cellularsuhstanz,  hauptsächlich  aber  in  einer  gegen  die  Oberfläche  hin  wachsenden 
Anhäufung  von  spindelig  oder  faserförmig  ausgezogenen  Zellen,  welche  in  der  un- 
regelmässjgsten  Weise   durcheinander   geworfen   erscheinen   und    in  den   äussersten 


Regressive  Motamorplioscn;  Ilydromeiiinsitis.  ßl 

Lagen  so  dicht  godräiip,!:  sind,  dass  die  Intercollularsubstaiiz  last  o-auz  versclnvindet. 
Sehr  p;ew()hnlich  icömnit  es  in  einem  soh-lieii  Ersatzgewebe  auch  zur  Entwickhing 
ständiger  Gefusse  und  vielieiclit  sogar  zur  Neuliiklung  von  Nerven  (GonveaJ.  Erstere 
sind  die  spärlichen  Reste  der  in  der  Granulafcionsschichte  vorhanden  gewesenen 
Net:e  und  wolil  stets  mit  einer  Adventitia  bekleidet. 

Im  Falle,  als  das  heilende  Geschwür  in  nnmitt(!lbare  lierührung  mit  wahrem 
Bindegewebe  geräth,  sei  es  dass  es  an  den  Limbus  conjunctivalis  grenzt,  oder  einen 
Irisvorfall  umgibt,  geschieht  es  nicht  selten,  dass  oberflächliche  Strata  der  Neu- 
bildung ganz  dtiu  Charakter  schwannniger  Wmidtjramihitionen  annehmen  und  im 
iceiteren  Verlaufe  zu  malirein  lockeren  und  ziemlich  gefässreichcn  Bindegewebe  mit 
einem  mehr  minder  dicken  Belege  von  Epithelzellen  degeneriren. 

In  einzelnen  Fällen  findet  man  eingeschoben  zwischen  das  Epithel  und  die 
vordere  Grenzschichte,  vielleicht  auch  gan"  im  Epitliel  lagernd  und  dies  in  zwei 
Lagen  sondernd  (AlthofJ,  eine  mächtige  Schichte  streißgen  Gefüges ,  welches  von 
gestreckten  Kernen,  von  einer  grossen  Menge  haufenweise  gruppirter  choloider  Kugeln 
und  von  Gefässen  durchsetzt  ist.  Es  erscheint  diese  neugebildcte  Schichte  nicht 
allenthall)cn  gleich  dick,  sondern  tritt  an  einzelnen  Stellen  gefichwidstai-tig  heraus, 
an  anderen  zeigt  sie  Buchten,  in  welche  das  Epithel  hineingreift,  oder  ist  gar  unter- 
hrocheii.  Man  hat  derartige  Neoplasien  vornehmlich  im  Gefolge  von  tief  in  die 
Vegetationsverhältnisse  des  gesammten  Augapfels  eingreifenden,  sehr  langwierigen 
Entzündungsprocessen  beobachtet,  l)ei  sehr  chronischer  zur  Atrophie  führender  oder 
in  Schwund  bereits  übergegangener  Iridochorioidifis,  bei  chronischem  Glaucom  alter 
Leute  u.  s.  w.  (Wedl).  Doch  soll  sie  auch  bei  veraltetem  Pannus  (Donders)  vor- 
kommen und  mitunter  Cornealnai-hen  überkleiden  (KlehftJ.  Ueber  das  Wesen  dieser 
Auflagerungen  gehen  noch  die  Ansichten  auseinander,  doch  scheint  es  sich  um 
geschrumpfte  verödete  Partien  der  Granulationsschichte  zu  handeln. 

3.  In  sehr  vielen  Fällen  werden  die  neoplastisclien  Elemente,  auch 
"wenn  sie  sich  bereits  zn  höheren  Organisationsstufen  emporgeschwungen 
haben ,  regressiv ,  sobald  die  vorhandenen  Ernährungsstöi'ungen  zum  Aus- 
gleich gekommen  sind.  Wenn  der  Process  nicht  weit  gediehen  war  und 
die  Production  überhaupt  in  den  Grenzen  der  Massigkeit  geblieben  ist, 
bilden  sich  die  neoplastischen  Elemente  einfach  zurück;  im  anderen  Ealle 
aber  zerfallen  sie  gewöhnlich  theilweise  oder  ganz  in  lösliche  Substanzen, 
unter  welchen  sich  vornehmlich  das  Fett  auffällig  macht  und  welche  dann 
auf  dem  Wege  der  Resorption  mehr  weniger  vollständig  beseitigt  werden. 
Häufig  verkümmern  dieselben  wohl  auch  blos  und  schrumpfen.  In  diesem 
Zustande  findet  man  sie  dann  oft  nach  Jahren  neben  fettigem  Detritus  zu 
Nestern  vereiniget  in  den  Zwischenräumen  der  Faserlagen.  Es  scheint, 
als  ob  sie  durch  Schrumpfung  die  Fähigkeit  nicht  verlören,  unter  günstigen 
Umständen,  bei  Einwirkung  eines  neuen  Impulses,  sich  wieder  aufzublähen 
und  in  vorschreitender  Ilichtung  zu  gestalten,  oder  überhaupt  Tliätigkeiten 
zu  entfalten,  wie  sie  frischgebildete  Zellen  und  Kerne  äussern.  Es  sind 
diese  Nester  zurückgebildeter  Zellen  und  Kerne  der  anatomische  Grund- 
charakter gewisser    Cornealtrühungen  (Wedl). 

4.  Die  Membrana  Descemeti  anbelangend  ,  unterliegt  es  dermalen 
keinem  Zweifel  mehr,  dass  dieselbe  gleich  den  übrigen  Glashäuten  in 
gewissem  Sinne  der  Fmtzündung  fähig  sei.  In  der  zugehörigen  Zellenschichte 
wenigstens  ist  der  entzündliche  Process  mit  Eestimmtheit  nachgewiesen 
worden.  Es  erscheint  derselbe  bald  gleichm'dssig  über  das  gcsaramte 
Epithelstratum  der  Descemeti  ausgebreitet  und  bedingt  dann  auch  eine 
gleichm'dssige  Trübung  der  hinteren  Hornhautwand ;  bald  entwickelt  er  sicli 
in  kleineu  zerstreuten  Herden  mit  grösserer  Ueppigkeit  und  führt  zur  Bildung 
von  haufenweise  grnppirtcn  punld-  oder  knöfchenförmigm  rundlichen  Auf- 
lagerungen. 


62  Keratitis;  Nosologie;  Hydromeningitis  ;  Bhitextravasate. 

Der  Qualität  nach  sind  diese  Neoplasien  bisher  noch  nicht  genügend  er- 
forscht worden;  doch  ist  anzunehmen,  dass  sie  dem  jeweiligen  Charakter  der 
Entzündung  entsprechend  bald  diese  bald  jene  Elementarformen  darbieten,  unter 
Umständen  auch  zu  Eiter  zerfiiessen  können  und  im  Ganzen  mit  den  Wucherun^s- 
producten  anderer  Epitlielzellenlager  übereinkommen.  Auch  ist  es  sehr  wahr- 
scheinlich, dass  die  an  der  Descemeti  haftenden  blassen  nicht  immer  das  Totale 
der  Neubildung  präsentiren,  sondern  dass  unter  fortgesetzter  Wucherung  sich  mehr 
weniger  beträchtliclie  Mengen  des  I^xsudates  ahstossen  und  das  Kammer w asser 
merklich  trüben,  ja  auch  zur  Erzeugung  von  Hi/poiJyen  wesentlich  beitragen 
können.  Jedenfalls  hängen  die  disseminirten  Knötchen  nicht  selir  fest  an,  da  sie 
bei  der  Eröffnung  der  Vorderkammer  durch  den  rasch  abfliessenden  Hvimor  aqiieus 
öfters  abgelöst  und  nach  aussen  entleert  werden  (Hasner). 

Die  Wasserhautentzündung,  Hydromeningitis,  Keratitis  postica  (Hasner) 
tritt  übrigens  niemals  rein  und  selbstständig  auf,  sondern  ist  immer  an 
Keratitis  gebunden,  welelie  jede  beliebige  Form  darbieten  kann,  sich  jedoch 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  entweder  durch  blosse  diffuse  Trübung  der 
Cornea  propi-ia  oder  gleichfalls  durch  vorwaltende  Ablagerung  ihrer 
Producte  in  Icleinen  zerstreuten  Herden  auszeichnet  (Keratitis  punctata)  und 
ihrerseits  wieder  nur  in  Gesellschaft  von  chronischen,  den  Fortbestand 
des  Bulbus  sehr  bedrohenden  Entzündungen  der  Binnenorgane  zur  Beob- 
achtung kommt. 

In  wie  ferne  die  Substanz  der  Descemet'schen  Haut  und  überhaupt  die 
Glashäute  als  solche  an  der  Entzündung  activen  Antheil  nehmen,  ist  bislier  nicht 
aufgeklärt.  So  viel  stellt  fest,  dass  dieselben  unter  dem  Einflüsse  naclibarliciier 
Entzündungsherde  allmälig  verdünnt  werden  und  die  zarteren  unter  ihnen  wohl 
auch  ganz  zerfallen  können.  Doch  dürfte  dieser  Process  kaum  auf  eine  entzündliche 
Gewcbsalteration  zu  beziehen  sein.  Andererseits  findet  man  aber  jene  dem  Greisen- 
auge vornelnnlich  zukommenden  Verdickungen  und  hyalinen  drusigen  Auflage- 
rungen gar  nicht  selten  auch  neben  den  Ausgängen  oder  während  dem  Verlaufe 
heftiger  Entzündungen  der  Nachbarorgane  (Donders,  Coccius).  Sie  erweisen  sich 
dann  öfters  durch  ihre  auifällige  Weichheit  als  ganz  frisch  und  machen  soliin  ihre 
Abhängigkeit  von  der  Phlogose  sehr  wahrscheinlich.  Es  ist  dabei  ungewiss  ge- 
blieben, ob  diese  Alterationen  in  verschiedenen  Fällen  nicht  verschiedenen  Pro- 
cessen auf  Rechnung  kommen  und  ob  sie  wohl  auch  constant  denselben  morpho- 
logischen Charakter  besitzen. 

5.  Eine  besondere  Erwähnung  verdienen  noch  die  Blutaustretiingen, 
welche  bei  degenerativen  Processen  des  Auges,  namentlich  bei  schwerer 
Iridochorioditis,  nicht  ganz  selten  vorkommen.  Sie  präsentiren  sich  als 
büschelförmig  verzweigte  oder  den  Haufenwolken  ähnlich  geballte,  immer 
aber  blattartig  von  vorne  nacli  hinten  zusammengedrückte,  sehr  dunkel 
rothe  Massen,  welche  mit  einem  kurzen,  meist  dicken  Stiele  in  der 
Scleralgrcnze  festzuhaften  scheinen  und  sichtlich  im  eigentlichen  Hörn- 
hautgefüge  lagern.  Gewöhnlich  sind  sie  von  äusserst  kui'zer  Dauer,  indem 
ihre  anfänglich  scharfen  Grenzen  bald  auseinander  iiiessen  und  das  Blut 
sich  in  der  Umgebung  diffundirt  und  aufgesaugt  wird.  Ein  Theil  des- 
selben pflegt  sicli  jedocli  zu  senken  und  dann  an  der  unteren  Corneal- 
grenze  als  ein  onyxartiger,  nach  oben  scliarf  begrenzter,  mondsichelartiger 
Saum  längere  Zeit  sichtbar  zu  bleiben.  Es  kommen  Fälle  vor,  wo  dieser 
blutige  Onyx  den  queren  Meridian  der  Cornea  erreiclit  oder  gar  über- 
schreitet und  auch  wolil  wiederholt  sich  verkleinert  und  wieder  ansteigt. 
Es  scheint,  dass  man  diesen  Zustand  gewöhnlich  mit  dem  Hypohaema, 
den  Blutaustretmigen  in   den   Kammerraum,   verwechselt. 

Quellen.  Kölliker,  mikr.  Anat.  II,  Leipzig.  1854.  S.  608;  naturwiss.  Zeitschr. 
Würzburg.    VI.    30.    Juni.  1866.   —  Brücke,    Beschreibung  des  mensclil.   Augapfels. 


Keratitis  vasculosa  :  KranWieitslnld.  6o 

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S.  1  —  17. 


1.  Keratitis  vasciilosa. 

Krankheitsbild.  Charakteristisch  ist  neben  einer  mehr  oder  iceniger 
heftigen  Ciliarreizvng  eine  gleichmässig  stihige  oder  zarte  graue  wolkige  Trü- 
bung und  die  Entn-ickfhmg  von  Gefässen  an  der  ravh  geicordenen  Oberfläche 
der  Hornhaut. 

1.  Die  Cornealobei'fläche  trübt  sich  au  einer  oder  mehreren  Stellen 
in  gTÖRserem  oder  geringerem  Umfange  sulzähnlich  graulich,  verliert  ihre 
Glätte,  wird  matt,  rauh,  so  dass  die  Spiegelbilder  ganz  undeutlich,  facettirt 
oder  wie  zerworfen   aussehen. 

2.  Alsbald  treten  Gefässe  auf  welche  von  dem  Hornhautrande  gegen 
die  Mitte  hin  vordringen,  der  Trübung  gleichsam  nachrückend  ,  sich  unter 
einander  zu  einem  Xetze  verbinden  und  zuletzt  in  Form  feiner  End- 
zweigelchen verschwinden. 

Bisweilen  bersten  die  Gefässe  und  es  entstehen  kleine  Blutextravasate, 
welche  an  der  Oberfläche  der  Hornhaut  zwischen  den  Maschen  der  einzelnen 
Gefässchen  als  rotbe,  unregelmässig  begrenzte,  verwaschene  Flecke  sichtbar  werden. 


64  Keratitis  vascnlosa;  Krankheitsbild ;  Ursachen. 

In  den  tieferen  Schichten  wird  die  gleichzeitig  vorhandene  Gewebs- 
veränderung seltener  auffällig  und  nur  sehr  ausnahmsweise  entwickeln  sich 
daselbst  dem  freien  Auge  sichtbare   Gefässe. 

3.  Fast  immer  gehen  der  Gewebsalteration  Erscheinungen  der  Ciliar- 
reizung  voraus  und  begleiten  dieselbe  ihrem  ganzen  Verlaufe  nach. 
Gewöhnlich  erscheint  die  Conjunctiva  hulbi  von  einem  groben  Gvfüssuetze 
durchstrickt,  welches  sich  gegen  die  Cornea  hin  mehr  und  mehr  verdichtet 
und  an  deren  Grenze  in  eine  Unzahl  von  feinen  Zweigchen  zerfährt,  die 
sich  auf  dem  entzündlich  angeschwollenen  Limbus  conjunctivae  parallel  und 
dicht  neben  einander  lagern ,  so  dass  derselbe  einen  naliezu  gleichmässig 
scharlachroth  gefärbten  Raum  darstellt ,  welcher  einen  grösseren  oder 
kleineren  Bogen  der  Hornliautperipherie  überdeckt.  Unter  diesem  ober- 
flächlichen Gefassnetze  schimmert  ein  tieferes,  dem  Episcleralgewebe  zuge- 
höriges, höchst  fein  geädertes  rosiges  Gefässnetz  durch,  welches  gegen  die 
Hornhautgrenze  hin  sich  zu  einem  hellrothen  Kranze  verdichtet,  der  in 
Folge  seröser  Schwellung  des  Gefüges  nicht  selten  in  Gestalt  eines  Ring- 
wulstes über  die  Umgebung  hervortritt  und  unter  dem  Namen  GefässJcranz 
bekannt   ist. 

Die  Augengegend  fülilt  sich  dann  ifänner  an,  als  in  der  Norm,  selbst  wenn 
die  Lider  nicht  geröthet  und  geschwollen  sind,  was  übrigens  bei  den  höheren 
Intensitätsgraden  der  Ker.atitis  niclit  selten  der  Fall  ist.  Wenigstens  zeigen  die 
abfliessenden  Thränen  eine  Teniperaturerhöhnng. 

Die  Schmerzen  können  ganz  fehlen  und  überhaupt  in  allen  Graden 
schwanken,  auch  wohl  ganz  wüthend  werden.  Sie  strahlen  oft  längs  dem 
Nervus  frontalis,  seltener  nach  dem  Infraoi'bitalnerven  aus  und  sind  ge- 
wöhnlich mit  beträchtlicher  Verengerung  der  Pupille  vergesellschaftet,  welche 
einen  spas modischen  Charakter  darbietet  und  daher  in  der  Eegel  schwer 
oder  gar  nicht  durch  Mydriatica  behoben  wird. 

Ueberdies  findet  man  sie  in  der  Regel  mit  Lichtscheu  und  deren 
Attributen,  Thränenfluss  und  Lidkrampf,  gepaart,  ja  diese  sticht  in  vielen 
Fällen  durch  ihre  Intensität  und  Hartnäckigkeit  im  Krankheitsbilde  hervor. 
Die  Lichtscheu  kann  übrigens  auch  ohne  sondei-liche  Schmerzen  und  diese 
können  ohne  jene  im  Krankheitsbilde  der  Keratitis  vascnlosa  auftreten. 

4.  Die  Trübung  der  Hornhaut,  falls  sie  in  den  Bereich  der  Pupille 
hineinragt,  ist  natürlich  mit  einer  Störung  des  Gesichtes  verknüpft,  welche 
um  so  bedeutender  ist,  je  stärker  die  Gewebsalteration  der  Cornea  und 
ein  je  gi'össerer  Theil  der  Papille  von  der  Trübung  bedeckt  wird. 

Ursachen.  Die  Keratitis  vascnlosa  ist  sehr  häufig  blos  die  Be- 
gleiterin eines  auf  der  Hornhaut  verlaufendeii  herpetischen  Processes.  Auch 
kömmt  sie  sehr  oft  in  Combination  mit  Trachom  vor  und  hat  dann  die 
Bedeutung  eines  Cornealtraehoms,  d.  h.  einer  trachomatösen  Gewebs- 
wucherung der  Hornhaut.  Seltener  entsteht  sie  in  Folge  der  Fortpflanzung 
bei  anderen  Formen  der  Bindehautentzündung. 

Primär  entwickelt  sie  sich  in  Folge  der  mannigfaltigsten  äusseren 
Schädlielikeitseinwirkungen.  Besonders  solche  Schädlichkeiten,  welche  nur 
die  äussere  Oberfläche  der  Hornhaut  trefi'en ,  sind  ergiebige  Uuellen  der- 
selben. Vor  allen  müssen  hier  genannt  werden  mechanisch  reizende  Ein- 
wirkungen. Im  Bindehautsacke  oder  auf  der  Hornhaut  sitzende  fremde 
Körper,    Staubtheilchen,    nach     einwärts    gebogene     Cilien    u.   s.    w.    führen 


Verlauf;  Ausgänge.  •  65 

sehr  oft  biiuicii  kurzem  zu  heftigen  llornhautcntziinduiigen  und  unter- 
halten dieselben,  falls  sie  nicht  entfernt  werden.  Traumatische  Abschilfe- 
rungen des  Hornhautepithels  sind  um  so  wirksamere  Ursachen  des  Pro- 
cesses.  Nicht  weniger  oft  sind  chemische  lleizeinwirkungen :  Hauch,  scharfe 
Dämpfe,  ätzende  Flüssigkeiten,  hohe  Temperatui-grade  u.  s.  w.  als  nächste 
Veranlassungen  zu  betrachten.  Erwähnenswerth  ist  in  dieser  Beziehung 
ausserdem  die  unzeitige  Anwendung  zu  starker  Augenwässer,  reizender 
Salben  u.  s.  w.  bei  der  Behandlung  mannigfaltiger  anderweitiger  Ophthal- 
mien. Avxch  die  fortwährende  Einwirkung  der  atmosphärischen  Luft  auf 
die  durch  Verkürzung  der  Lider,  Ectropium,  wegen  Exophthalmus  u.  s.  w. 
blosgelegte  Oberfläche  des  Bulbus  ist  ein  wichtiges  ätiologisches  Moment. 
Uebcrdies  sind  als  mögliche  Ursachen  der  Keratitis  vasculosa  anzuführen: 
rascher  Temperaturwechsel,   Zugluft. 

Der  Verlauf  ist  in  jeder  Beziehung  ein  sehr  wechselvoller.  Wo 
das  Causalmoment  nur  vorübergehend  wirkte,  kann  der  Process  innerhalb 
einer  oder  weniger  Wochen  zum  Abschluss  gelangen ;  wohl  aber  auch 
bei  der  vernünftigsten  Therapie  lang  sich  hinschleppen.  Wo  die  Ursache 
nicht  entfernt  werden  kann ,  säumt  natürlich  auch  der  Eückgang  der 
Kranlvheit. 

Die  Keratitis  erklimmt  innerhalb  einiger  Tage  oder  Wochen  ihren 
Höhepunkt.  Auf  diesem  bleibt  sie  einige  Zeit,  bisweilen  wochenlang 
stehen,  während  die  Erscheinungen  der  Ciliarreizung  steigen  und  fallen. 
Endlich  treten  diese  letzteren  Symptome  mehr  zurück  und  die  Keratitis 
neigt  sich  der  Heilung  zu  oder  biegt  in  den  chronischen  Verlauf  ein, 
welcher  nicht  selten  Monate  in  Anspruch  nimmt. 

Ausgänge.  Der  gewöhnlichste  Ausgang  ist  der  in  Heilung.  Eine 
Keratitis  vasculosa,  welche  durch  eine  rasch  vorübergehende,  sich  nicht 
wiederholende  Ursache  angeregt  wurde  und  nicht  lange  besteht,  lässt  bei 
entsprechender  Therapie  mit  Wahrscheinlichkeit  auf  Heilung  hoffen ,  und 
zwar  in  nicht  langer  Zeit.  Langer  Bestand  der  Entzündung,  sehr  grosse 
Ausbreitung  und  beginnende  grauweisse  wolkige,  streifige,  iieckähnliche 
oder  punktförmige  Zeichnung  des  Herdes,  endlich  Schwierigkeit  oder  Un- 
mögliclikeit  das  veranlassende  Moment  rasch  zu  entfernen,  verschlimmern 
die  Prognose,  da  dann  sehr  oft  sogenannte  Epithelialtrübungen,  Sehnenflecke 
oder  Pannus  zurückbleiben. 

Das  Rückschreiten  des  Processes  kündigt  sich  in  der  Regel  zuerst 
durch  die  Lösung  des  Reflexkrampfes  an ,  welcher  die  Pupille  bisher  enge 
zusammengezogen  erhielt.  In  der  That  stellt  sich,  wenn  es  einmal  gelungen 
ist,  die  Pupille  durch  Atropin  zu  erweitern,  meistens  bald  eine  sehr  auffällige 
Abnahme  der  Schmerzen  und  der  Lichtscheu  ein;  die  Exacerbationen 
werden  milder  oder  bleiben  aus;  die  Thränen  verlieren  an  Wärme  und 
werden  sparsamer  abgesondert ;  das  Gefässnetz  rings  um  die  Hornhaut- 
grenze wird  schütterer;  die  Trübung  klärt  sich  vom  Umfange  gegen  das 
Centrum  des  Herdes  hin  auf  und  die  Gefässe  ziehen  sich  dem  ent- 
sprechend zurück.  Immerhin  bleibt  noch  längere  Zeit  eine  bedeutende 
Empfindlichkeit  des  Auges  übrig  und  es  bedarf  von  Seite  des  Arztes  und 
des    Kranken    der  grössten  Aufmerksamkeit,  um  Recidiven  zu  verhindern. 

st  eil  wag,  Augenheilkunde.  5 


QQ  Keratitis  vasculosa;  Behandlung. 

Bisweilen  stösst  sich  an  einer  oder  der  anderen  Stelle  des  Entzün- 
dungsherdes das  Epithel,  vielleicht  auch  die  Bownian'sche  Schichte  und 
das  unterlagernde  Stratum  neugebildeter  Zellen  los,  es  entseht  eine  Exco- 
riation  von  unregelmässiger  Gestalt  und  wechselnder  Ausdehnung.  Die 
Eeizwirkung  der  Thränen,  der  atmosphärischen  Luft  u.  s.  w.  scheint  an 
solchen  Stellen  eine  sehr  bedeutende  zu  sein;  denn  die  Injection  der 
tiefen  Gefässe,  die  Schmerzen  und  ganz  besonders  die  Lichtscheu  pflegen 
in  derlei  Fällen  ungewöhnlich  hohe  Grade  zu  erreichen  und  anzuhalten, 
bis  die  excoriirte  Stelle  sich  wieder  mit  einem  Epithelzellenlager  über- 
kleidet hat.  Nicht  gar  selten  kömmt  es  dann  auch  zu  einer  Steigerung 
des  Processes  und  einer  weiteren  Ausbreitung  desselben. 

In  gleicher  Weise  können  schlechtes  Verhalten  des  Kranken  und 
ungeeignete  Therapie  die  Veranlassung  abgeben,  dass  der  Process  an  In- 
und  Extensität  zunimmt.  Bisweilen  führen  derlei  schädliche  Einflüsse  zur 
Abscess-  oder  Geschioürsbüdung,  häufiger  jedoch  zur  Entwickelung  herpetischer 
Efflorescenzen.  Mitunter  pflanzt  sich  der  Process  wohl  gar  auf  die  Uvea 
fort  und  bedingt  eine  Iritis, 

Behandlung.  Erste  Aufgabe  ist  sorgfältigste  Untersuchung  des  Bul- 
bus und  seiner  nächsten  Umgebungen,  namentlich  des  Bindehautsackes 
und  der  Lidränder,  um  etwa  vorhandene  fremde  Körper,  nach  einwärts 
gebogene  Cilien ,  ein  Entropium  etc.  entdecken ,  und  so  die  Veranlassung 
zu  weiterer  Fortdauer  oder  Steigerung  des  Uebels  beseitigen  zu  können. 
Das  übrige  Verfahren  richtet  sich  hauptsächlich  nach  der  Intensität  des 
Processes  und  nach  den  begleitenden  Erscheinungen  im  Gefäss-  und 
Nervensysteme. 

1.  Wo  sich  bei  acutem  Verlaufe  der  Keratitis  vasculosa  die  entzünd- 
lichen Erscheinungen  in  den  Grenzen  der  Massigkeit  halten,  sowie  in  Fällen, 
in  welchen  sich  der  nervöse  Charakter  des  Processes  durch  unverhältniss- 
mässig  heftige  Lichtscheu  oder  Schmerzen  und  durch  relativ  ganz  geringe 
Entwickelung  der  Gefässsymptome  deutlich  ausspricht,  leisten  neben  richtig 
angepasstem  antiphlogistischen  Verhalten  des  Ki'anken  täglich  2 — 3  mal 
wiederholte  Einträufelungen  einer  Atropinlösung  und  der  Schutzverhand  am 
meisten.  Bei  grosser  Intensität  des  Entzündungsprocesses ,  namentlich  bei 
selir  hervorstechenden  Gefässsymptomen,  können  ausserdem  Blutegel  und, 
falls  eine  sehr  beträchtliche  locale  Temperaturerhöhung  nachweisbar  ist, 
auch  wohl  kurze  Zeit  hindurch  vorsichtig  angewendete  kalte  Ueberschläge 
zu  Hilfe  genommen  werden.  Machen  unerträgliche  Schmerzen  oder  über- 
mässige Lichtscheu  mit  heftigem  Lidki'ampfe  ein  symptomatisches  Einschreiten 
unbedingt  nothwendig,  um  allgemeinen  oder  localen  Gefahren  zu  begegnen, 
so  sind  hypodermatische  Einspritzungen   einer  Morphiumsolution  am  Platze. 

Die  oft  überaus  grosse  Intensität  lediglich  nervösei'  Erscheinungen  verleitet 
minder  Erfahrene  sehr  leicht  zu  kräftiger  Äntiphlogose,  insbesondere  zur  Application 
von  Blutegeln.  Es  ist  hiervor  dringend  zu  tcarnen.  Besonders  bei  schwächlichen 
Personen,  Weibern  und  Kindern  von  zartem  Körperbau,  ist  ein  solches  Verfahren 
wegen  seiner  Einwirkung  auf  die  Blutbeschaffenheit  und  den  allgemeinen  Ernährungs- 
process  sehr  nachtheilig,  ja  gar  nicht  selten  steigen  unter  zunehmendem  Erethismus 
die  nervösen  Symptome  erheblich. 

2.  Säumt  trotz  dem  Rückgänge  der  Beizerscheinungen  die  Äußiellung 
der  Cornea,  oder  wird  die  Keratitis  chronisch,  so  versuche  man  anfänglich 
vorsichtig  Einstäubungen  des  Calomel  in  den  Bindehautsack.  Folgt  hierauf 
eine  stärkere  Reizung,   so  ist   das  Mittel  noch  nicht  an  der  Zeit  und  einst- 


Herpes  corneae ;  Krankheitsbild  ;  Roaorptionsgeschwür.  67 

weilen  noch  auszusetzen.  Vertrügt  der  Kranlie  aber  die  Einstäubungen, 
so  sind  selbe  täglich  einmal ,  höchstens  zweimal  anzuwenden  und  dann 
allmälig  mit  der  kräftiger  wirkenden  gelben  Quecksilberoxydsalbe  zu  ver- 
tauschen. 

3.  Bei  tracJiomatöser  Keratitis  fällt  die  Nothwendigkeit,  eine  specielle 
Behandlung  einzuleiten,  weg.  Hier  thut  nach  Beschwichtigung  der  hefti- 
geren Reizerscheinungen  die  directe  Behandlung  des  Trachoms  durch  Aetz- 
mittcl  die  besten  Dienste,  die  Hornhauttrübung  schwindet  unter  deren  Ge- 
brauch in  der  Regel  weit  schneller ,  als  das  Trachom  selbst ,  falls  nicht 
Nebenverhältnisse  im  Wege  stehen. 


2.  Der  Herpes  corneae. 

Krankheitsbild.  Charakteristisch  ist  die  Entwickelung  umschriebener 
rundlicher  mohn-  bis  hirsekorngrosser  Entzündungsherde  in  den  oberflächlichen 
Schichten  der  Hornhant  und  das  Vorhandensein  einer  mehr  oder  tveniger  heftigen 
Ciliarreizung. 

1.  Die  herpetische  Efflorescenz  (S.  58)  erscheint  anfänglich  unter  der 
Gestalt  eines  rundlichen,  sulzig  trüblichen  Knötchens,  welches  bald  tiefer  bald 
seichter  in  die  Cornealsubstanz  eingebettet  ist  und  meisthin  etwas  über  die 
Vorderlläche  der  Hornhaut  hervorragt.  Bisweilen ,  nicht  immer ,  erhebt 
sich  an  der  Spitze  dieses  Knötchens  ein  kleines  flaches  Bläschen  mit  wasser- 
hellem Inhalte,  dessen  Wandung  von  Epithel  gebildet  wird.  Sehr  häufig 
berstet  dieses  Bläschen  unter  dem  Drucke  seines  Inhaltes,  bevor  es  noch 
zur  Wahrnehmung  gekommen  ist.  Man  findet  dann  an  seiner  Stelle  bald 
eine  seichte  Excoriation,  bald  einen  tiefer  in  das  Cornealgefüge  eindrin- 
genden Substanzverlust  mit  sulzig  trübem  Grunde ,  welcher  gewöhnlich  in 
kurzer  Zeit  eine  weissgraue  oder  weissgelbliche  Farbe  annimmt ,  so  dass 
der  Substanzverlust  das  Aussehen  eines  rundlichen  scharfbegrenzten  Ge- 
schwürchens mit  speckigem  oder  eiterigem  Belege  gewinnt.  In  anderen 
Fällen  kömmt  es  niemals  zur  Bläschenbildung,  das  sulzig  durchscheinende 
Knötchen  wird  rasch  ganz  trübe,  grauweiss  oder  gelblich  und  vei-harrt 
entweder  in  diesem  Zustande ,  oder  es  schmilzt  und  verwandelt  sich  so 
unter  Abstossung  der  Epitheldecke  in  ein  speckig  oder  eiterig  belegtes 
Geschwürchen  von  der  Grösse  und  Form  des  ursprünglichen  Knotens.  In 
vielen  Fällen  greift  dann  die  Entzündung  etwas  weiter ,  das  Knötchen 
oder  Geschwürchen  umsäumt  sich  mit  einem  trüben  Hofe.  Die  den  Hof 
bildende  trübe  Masse  zerfällt  auch  öfters  wieder  und  das  Geschwür  breitet 
sich  aus,  seine  ursprüngliche  Form  ändernd.  Nicht  selten  aber  stösst  sich 
alles  Trübe  völlig  ab ,  die  Efflorescenz  erscheint  unter  der  Gestalt  eines 
rundlichen  mehr  weniger  tiefgreifenden  Substanzverlustes  mit  völlig  glatten 
und  durchsichtigen  Wandungen,  die  keine  Spur  einer  entzündlichen  Alte- 
ration erkennen  lassen,   als   ein  sogenanntes  Resorptionsgeschwür. 

Die  Efflorescenzen  können  sich  an  jeder  Stelle  der  Hornhaut  entwickeln. 
Oft  findet  sich  nur  Eine  vor,  in  anderen  Fällen  stehen  viele  zerstreut 
herum.  Bisweilen  bilden  sie  wohl  auch  Gruppen.  Am  Limbus  conjunc- 
tivalis  reihen  sie  sich  häufig  an  einander  und  umsäumen  so  einen  grösseren 

5* 


68  Herpes  corneae;  Krankheitsbild;  herpetische  Brücke. 

oder  kleineren  Bogen  der  Cornealperipherie.  Sehr  oft  treten  sie  in  Com- 
hination  mit  dem  Herpes  conjunctivae  auf  und  bilden  mit  dessen  Efflores- 
cenzen  zusammenhängende  Gruppen.  Da  die  Efilorescenzen  sich  nicht  auf 
einmal,  sondern  nach  und  nach  zu  entwickeln  pflegen,  findet  man  sie  auf 
der  Cornea  und  Bindehaut  gewöhnlich  in  den  verschiedensten  Entwickelungs- 
stadien  begriffen. 

2.  Dem  Aufsehiessen  der  Efflorescenzen  geht  mit  seltenen  Ausnahmen 
immer  eine  erhebliche  Congestionirung  der  Bindehaut  und  Episclera  voran 
und  diese  begleitet  den  Process  seinem  ganzen  Verlaufe  nach.  Wo  eine 
grössere  Anzahl  zerstreuter  Efflorescenzen  zur  Entwickelung  kömmt  oder 
sich  vorbereitet,  ist  in  der  Eegel  die  Hj-perämie  der  Bindehaut  und  Epi- 
sclera eine  allgemeine.  Die  Conjunctiva  bulbi  ist  von  einem  grobmaschigen 
Gefässnetze  durchstrickt,  während  darunter  das  rosige  feinmaschige,  gegen 
die  Hornhautperipherie  sieh  mehr  und  mehr  verdichtende  Netz  der  Epi- 
scleralgefässe  deutlich  absticht.  "Wo  aber  nur  eine  oder  die  andere  Efflo- 
rescenz  oder  gedrängte  Efflorescenzengruppe  aufschiesst ,  dort  bleibt  auch 
häufig ,  wie  beim  Bindehautherpes ,  die  Hyperämie  auf  die  nächste  Um- 
gebung des  herpetisch  afficirten  Ciliarnerven zweiges  beschränkt,  es  wird 
nur  ein  grösserer  oder  kleinerer  Sector  der  Augapfelbindehaut  und  des 
darunter  gelegenen  Episcleralgefüges  injicirt.  Man  findet  dann  in  der  Con- 
junctiva bulbi  ein  mehr  oder  weniger  breites  Bündel  stark  ausgedehnter 
vielfach  verzweigter  Gefässe,  welche  aus  der  Uebergangsfalte  hervortreten 
und,  gegen  den  Hornhautrand  hin  streichend,  ein  unregelmässiges  Dreieck 
beschreiben,  dessen  Grundlinie  genau  meridional  zieht  und  dessen  Basis 
gegen  den  Uebergangstheil  hin  gerichtet  ist.  Sitzt  die  zugehörige  Efflo- 
rescenz  auf  dem  Bindehautsaum ,  so  bildet  sie  die  Spitze  des  Dreiecks. 
Falls  dieselbe  jedoch  vom  Corncalrande  entfernt  auf  der  Hornhaut  auf- 
schiesst, erscheint  die  Spitze  des  Dreiecks  an  der  Grenze  des  Limbus  con- 
junctivalis  abgeschnitten ;  die  Seiten  des  Dreiecks ,  verlängert  gedacht, 
würden  sich  aber  in  der  Efflorescenz  schneiden. 

Diese  Gefässinjection  ist  der  objective  Ausdruck  für  den  Eeizzustand, 
in  welchen  die  den  herpetisch  afficirten  Nervenast  (S.  59)  umgebenden 
Theile  längs  seines  Laufes  und  durch  ihn  versetzt  worden  sind.  In  der 
gefässlosen  Cornea  kann  diese  Irritation  äusserlich  nicht  zur  Wahrnehmung 
gelangen ;  daher  erscheint  bei  Efflorescenzen ,  welche  auf  der  Fläche  der 
Hornhaut  entfernt  vom  Limbus  stehen,  das  Gefässbündel  abgebrochen.  Die 
einfache  Reizung  steigert  sich  aber  bisweilen  zur  wahren  Entzündung  in 
der  Bindehaut ,  dem  Episcleralgewebe  und  der  Hornhaut.  Dann  treten 
auch  die  Erscheinungen  einer  Keratitis  vasculosa  deutlich  hervor.  Jener 
Theil  der  Cornea,  welcher  die  Efflorescenz  von  dem  abgestutzten  Ende 
des  Gefässbündels  trennt,  wird  sulzig  getrübt  und  bald  entwickeln  sich  auf 
ihm  Gefässe,  welche  mit  denen  des  hyperämirten  Conjunctivaltheiles  in 
Verbindung  stehen.  Es  verlängert  sich  gleichsam  das  Gefässbündel  der 
Bindehaut  bis  zur  Efflorescenz,  welche  nun  die  Spitze  des  vervollständigten 
Dreieckes  krönt.  Der  Cornealtheil  des  letzteren  wird  mit  dem  Namen  der 
„herpetischen  Brücke'^   bezeichnet. 

Wo  mehrere  Efflorescenzen  neben  einander  zur  Entwickeh^ng  kommen,  ver- 
schwimmen die  Gefiissbündel  unter    einander,  sowohl  in  der  Bindeliaut  als  Hornhaut 
und  verwischen  so  gemeiniglich  das  schulgerechte  Bild.    Doch  kommt  es  auch  vor 


Ursachen;  Zoster  ophtlialmicns.  69 

dass  mehrere  Efflorescenzen  zerstreut  nmherstehen  utid  juflo  mit    einem  gesonderten 
herpetisciien  Bündel  zusammenliängt. 

Nicht  selten  entwickelt  sich  vorläuli<j  eine  Keratitis  vasculosa  ,  breitet  sich 
allmälii^  aus  und  erst  später  schiessen  in  oder  ausserhalb  des  Entzündungsherdes 
die  heipetischen  Efflorescenzen  auf.  Da  geht  natürlich  das  Gefässbündel  ganz 
verloren  in  der  allgemeinen  llyijerämie.  Gleiches  gilt  scdbstvcirständlich,  wenn  sich 
der  Herpes  im  Verlaufe  einer  Conjiinctivalciitz'dndamj  entwickelt.  Dann  ist  das 
charakteristische  Gefässbündel  in  der  dichten  Injcction  der  Augapfelbindehaut  ganz 
unkenntlich  und  die  Diagnose  wird  allein  von  der  Existenz  der  eigenthümlichcn 
Efflorescenzen  abhängig. 

3.  In  der  Regel  kündigt  sich  der  Proccss  zuerst  durch  brennende  oder 
stechende  Schmerzen  im  Auge  und  durch  Lichtscheu  mit  deren  siotigen  Be- 
gleitern, Thränenfluss  und  Lidkrampf,  an.  Während  dem  Verlaufe  der 
Krankheit  wechselt  der  Grad  der  Schmerzen  und  der  Photophobie  ausser- 
ordentlich, so  dass  dieselben  mitunter  gar  nicht  beachtet  werden,  in  an- 
deren Fällen  aber  geradezu  unerträglich  scheinen  und  das  weithin  am 
meisten  hervorstechende  Symptom  abgeben,  gegen  welches  alle  anderen 
Erscheinungen  in  den  Hintergrund  treten. 

4.  Sehstörungen  werden  begründet  durch  die  üeberliuthung  der  Cornea 
mit  Thränen,  in  den  späteren  Stadien  öfters  durch  katarrhalische  Secrete, 
vorzüglich  aber  durch  etwaige  Ueberdeckung  eines  Theiles  der  Pupille  von 
Seite  der  Entzündungsherde. 

Ursachen.  Der  Herpes  corneae  wird  in  nicht  ganz  seltenen  Fällen 
als  Theilerscheinung  eines  über  grössere  oder  kleinere  Verzweigungsbezirke 
des  Trigeminus  ausgebreiteten  Gürtelausschlages  beobachtet.  Ein  solcher 
Zoster  kann  sich  ausnahmsweise  über  alle  drei  (Singer)  oder  über  zwei 
(de  Haen)  Hauptäste  des  Quintus  erstrecken ;  in  der  Regel  ist  er  auf  einen 
einzigen  Ast,  ja  auf  einzelne  Zweige  desselben  beschränkt.  Das  Auge  wird 
jedoch,  laut  zahlreichen  Ei'fahrungen  und  entsprechend  dem  anatomischen 
Verlaufe  der  oculopupillaren  Sympathicusfasern  (S.  9) ,  gewöhnlich  nur 
dann  in  Mitleidenschaft  gezogen ,  wenn  das  Gürtelexanthem  sich  im  Aus- 
strahlungsbezirke des  Nasociliarnerven  entwickelt  und  demgemäss  bis  an  die 
Nasenspitze  herabreicht  (Hutchinson).  Doch  kann  das  Auge  im  letzteren 
Falle  auch  frei  bleiben  (Hutchinson,  Steffan)  und  umgekehrt  an  einem  Zoster 
im  Gebiete  des  Stirn-  (Bowman,  Hebra,  Homer),  des  Thrünennerven  u.  s.  w. 
Antheil  nehmen;  ja  es  kommen  Fälle  vor,  wo  das  Ciliargebiet  stark  er- 
griffen ist  und  wo  sich  nebenbei  blos  einzelne  zerstreute  Gruppen  der 
charaktei'istischen  Efflorescenzen  an  den  Lidern  ixnd  den  angrenzenden 
Theilen  der  Joch-,  Wangen-  und  Schläfenhaut,  oder  an  der  Nasenseite  und 
Stirnhaut  etc.  vorfinden. 

Gestützt  auf  einige  Fälle,  in  welchen  sich  Gürtelausschläge  mit  entzündlichen 
Anschwellungen  der  betreff"enden  sympathischen  Sinnalganglien  in  Zusammenhang 
bringen  Hessen  (Bärensprung,  Charcot,  Cotard),  glauben  Manche,  den  Zoster  trigemini 
auf  gewisse  Erkrankungen  des  Ganglion  Gasseri  zurückführen  zu  müssen  (Bärcn- 
S2yrung),  während  Andere  den  Ausgangspunkt  des  Leidens  eher  in  die  Centra  des 
sympathischen  Nerven  versetzen  zu  dürfen  meinen  (Stefan).  Nach  pathologischen 
Untersuchungen  können  jedoch  auch  Erkrankungen  einzelner  'Nervenäste  (Danielsen, 
EsmarchJ,  ja  peripherer  Endzioeige  (hvanoff)  den  nächsten  Anlass  geben,  voraus- 
gesetzt, dass  sie  eben  sympathische  Röhren  führen ;  wobei  allerdings  die  Möglich- 
keit nicht  ausgeschlossen  ist,  dass  die  bezüglichen  entzündlichen  Veränderungen 
im  peripheren  Verlaufe  des  Nerven  schon  etwas  secundäres  sind;  jedenfalls  aber 
auch  der  Umstand  schwer  ins  Gewicht  fällt,  dass  einzelne  herpetische  Gruppen 
öfters  an  weit  von  einander  distanten  und  zu  ganz  verschiedenen  Nervengebieten  ge- 


70  Herpes  corneae;  Ursacten:  Zoster  ophthalmicns. 

hörigen  Stellen  zugleich  beobachtet  ■werden  (NiemeLschek)  nnd  sich  nur  schwer  anders, 
als  durch  zerstreute  Herde  des  Grnndleidens  erklären  lassen. 

Das  Äugenleiden  stellt  sich  meistens  erst  einige  Tage  nach  Beginn 
der  Hauternption  ein  und  beknndet  sich  in  einem  Theile  der  Fälle  ledig- 
lich durch  starke  Chemose  der  Lider  und  Bindehaut,  durch  Thränenfluss, 
Lichtscheu  und  heftige  Schmerzen.  Später  gesellt  sich  nicht  selten  eine 
leichte  Trübung  der  Cornea  und  öfters  auch  Iritis  dazu.  Letztere  führt 
gerne  zu  hinteren  Synechien.  Sie  kann  unter  Umständen  in  Iridochorioi- 
ditis  übergehen  und  sogar  den  Verlust  des  Auges  nach  sich  ziehen  (Hut- 
chinson). Das  Auge  verhält  sich  in  solchen  Fällen  ganz  analog ,  wie  die 
entzündeten  und  derb  infiltrirten  Hautpartien,  welche  die  einzelnen  Effl.0- 
rescenzgruppen  eines  Zoster  dorsopectoralis  unter  einander  verbinden.  Li 
anderen  Fällen  jedoch  treten  die  charakteristischen  Efßorescenzen  auch  auf 
der  Oberfläche  des  Bulbus  selber  hervor.  Man  hat  auf  der  Cornea  ein- 
zelne Phlyktenen  (Johnen),  meistens  aber  gruppig  gehäufte  oder  am  Limbus 
conjunctivahs  bogenförmig  aneinander  gereihte  umschriebene  rundliche' 
Exsudatherde  getroffen,  welche  jedoch  nur  äusserst  selten  in  ihrer  primären 
Form,  als  kleine  Knötchen  oder  Bläschen,  zur  Beobachtung  gekommen 
waren ,  sondern  meistens  schon  das  Epithel  abgestossen  hatten  und  sich 
nun  als  kleine  Ulcerationen  darstellten,  oder  bereits  zu  einem  grösseren  Ge- 
schwüre zusammengeflossen  waren,  welches  jedoch  öfters  noch  das  Her- 
vorgehen aus  einer  Mehrzahl  conßuirender  Herde  an  seiner  Form  erkennen 
liess.  Einzelne  Autoren  vergleichen  diese  „kleinen  Erweichungen  oder 
Geschwüre"  geradezu  mit  jenen,  welche  nach  Blattern  aufzutreten  pflegen 
(Bowman).  In  einem  Falle  hatte  sich  ein  kleiner  Exsudatknoten  auch  an 
dem  PupiUan-ande   der  entzündeten  Iris  gebildet   (Hutchinson). 

Es  ist  der  nosologische  Zusammenhang  des  Herpes  corneae  nnd  der  ver- 
schiedenen Zosterfoj-nien  schon  längst  bekannt,  ja  die  Beobachtung  mehrerer  Fälle 
von  Zoster  trigemini,  bei  welchen  sich  Gruppen  der  charakteristischen  Herpesefflores- 
cenzen  am  Limbus  und  in  der  Cornea  entwickelt  hatten,  hat  wesentlich  zur  rich- 
tigen Auffassung  nnd  Benennung  des  so  häufig  auftretenden,  aber  unter  den  mannig- 
faltigsten Namen  beschriebenen  Herpes  corneae  et  conjunctivae  beigetragen.  Doch 
ist  erst  in  jüngster  Zeit  dem  Zoster  trigemini  und  der  damit  öfters  verknüpften 
Ophthalmie  eine  grössere  Aufmerksamkeit  geschenkt  worden,  nachdem  Hutchinson 
durch  Veröffentlichung  einer  Reihe  von  Fällen  die  genauere  Kenntniss  der  von  ihm 
„Herpes  ophthalmictis'^  genannten  Krankheit  angebahnt  hatte. 

Nun  liegt  bereits  eine  grosse  Zahl  von  darauf  bezüglichen  Beobachtungen 
vor  (Hutchinson,  Boicman,  Steffan,  Jeffi-ies ,  Johnen).  Es  ergibt  sich  daraus,  dass 
dem  Herpes  ophthalmicns  in  der  Regel  höchst  intensive  Schmerzen  im  Bereiche  des 
ergriffenen  Trigeniinusastes  vorausgehen  nnd  gemeiniglich  mit  geringen  Remissionen 
während  dem  ganzen  Verlaufe  des  Processes  andauern,  ja  öfters  noch  wochenlang 
neben  Stumpfheit  des  Tastgefühles  fortbestehen,  nachdem  die  Hauternption  längst 
abgeheilt  ist.  Sie  sind  nicht  selten  von  so  erschütternder  Heftigkeit,  dass  man  zur 
Durchschneidung  des  betreffenden  Quintusastes  sich  aufgefordert  fühlte,  aber  leider 
damit  nur  einen  sehr  vorübergehenden  Erfolg  erzielte  (Bowman),  indem  das  Grund- 
leiden eben  in  unerreichbarer  Tiefe  seinen  Sitz  haben  mochte.  Doch  fehlen  mit- 
unter auch  die  Schmerzen,  es  äussert  sich  die  Mitleidenschaft  der  Trigeminusfasem 
nur  in  juckenden  Gefühlen  und  in  grosser  StumptTieit  gegen  äussere  Tasteindrücke. 
Einige  Tage  nach  Beginn  des  Leidens  kömmt  es  dann  zum  Ausbruch  des  Exan- 
themes.  Die  Haut  und  das  Unterhautbindegewebe  werden  unter  starker  Hyperämie 
nnd  Temperaturerhöhung  prall  intiltrirt,  so  dass  der  Zustand  viel  Aehnlichkeit  mit 
einem  Rothlaufe  gewinnt  und  leicht  damit  verwechselt  -werden  könnte,  wenn  nicht 
die  Geringfügigkeit  oder  das  gänzliche  Fehlen  der  Allgemeinerscheinungen,  das 
scharfe  Abschneiden  des  Herdes  an  der  JlitteUinie  des  Gesichtes  und  die  gewöhn- 
liche  Beschränkung   der    Geschwulst    auf   das    Gebiet   eines    einzelnen  Quintusastes 


Ursachen;  Verlauf;  Ophthalmia  morbillosa,  variolosa  etc.  71 

so  wie  die  charakteristische  Form  der  Efiflorescenzeii  genügende  Anhaltspunkte  für 
die  Diagnose  böten.  Was  die  Bläschengruppen  seihst  betrifft ,  so  pflegen  dieselben 
sich  in  tiefe  Geschwüre  zu  verwandeln,  welche  sich  mit  Borken  bedecken  und 
meistens  unverwischbare  Narben  zurücklassen. 

Es  verschwinden  diese  Fälle  der  Zahl  nach  gegen  jene,  in  welchen 
der  Herpes  corneae  selbstständig  auftritt,  ja  in  dieser  Form  ist  er  gerade- 
zu eine  der  allerhäufigsten  Augenkrankheiten.  Er  verhält  sich  dann  zum 
Zoster  trigemini  ähnlich,  wie  der  Herpes  labialis,  praeputialis  etc.  zu  den 
Gürtelausschlägen  der  bezüglichen    Regionen. 

Die  gewöhnlichsten  Veranlassungen  des  Processes  sind  äussere  Schäd- 
lichkeiten. Bei  directer  Einwirkung  auf  das  Auge  und  genügender  Inten- 
sität können  die  mannigfaltigsten^  mechanischen,  chemischen,  physikalischen  etc. 
Noxen,  welche  das  Ciliarnervensystem  in  einen  Zustand  von  Reizung  zu 
versetzen  im  Stande  sind ,  den  Ausbruch  herpetischer  Efflorescenzen  auf 
der  Hörn-  und  Bindehaut  bedingen. 

Häufig  pflanzen  sich  Heizungen  von  anderen  Zweigen  des  Nervus  quintus 
auf  die  sensitiven  Äugennerven  fort  und  werden  so  die  Ursache  von  herpe- 
tischen Eruptionen  auf  der  Bindehaut  und  Cornea.  Auf  diese  Weise  er- 
klärt sich  das  häufige  Vorkommen  des  Herpes  corneae  neben  Eczema, 
Impetigo  etc.  der  Wangenhaut ,  der  Nasenschleimhaut  u.  s.  w.  ,  eine 
Combination,  welche  die  älteren  Autoren  bestimmt  hat,  eine  eigene 
Ophthalmia  psorica,  impetiginosa,  serpiginosa  anzunehmen.  Diese  ist  eben 
nichts  als  ein  Herpes  conjunctivae  oder  corneae.  Nicht  minder  erklärt 
sich  aus  der  entzündlichen  Nervenerregung  theilweise  das  häufige  Auf- 
treten des  Herpes  im  Verlaufe  der  verschiedenen  Formen  der  Bindehaut- 
entzündung,  namentlich  des  Katarrhes  und   des    Trachoms. 

Indem  nicht  leicht  ein  Individuum  sich  der  Fülle  möglicherweise 
reizend  auf  das  Auge  einwirkender  SchädUclikeiten  ganz  zu  entziehen  im 
Stande  ist,  darf  es  nicht  wundern,  wenn  mau  den  Herpes  in  jedem 
Lehensalter,  bei  Individuen  der  verschiedensten  Lebensweise  und  Beschäftigung, 
in  jedem  Stande  und  Klima  findet.  Doch  ist  er  natürlich  häufiger,  wo  in 
den  klimatischen  Verhältnissen,  in  der  Lebensweise  und  Beschäftigung, 
eine  reichlichere  Quelle  solcher  Schädlichkeiten  gegeben  ist. 

Die  häufige  Mitwirkung  einer  Disposition  lässt  sich  jedoch  keineswegs 
abläugnen.  Im  Allgemeinen  kann  man  sagen ,  dass  Individuen  mit  sehr 
reizbarem  Nervensystem  ganz  besonders  zu  herpetischen  Erkrankungen  hin- 
neigen. In  der  That  erscheint  der  Herpes  bei  Kindern  mit  dem  sogenannten 
erethisch-scrophulösen  Habitus  in  überwiegend  grossem  proceutarischeu  Ver- 
hältnisse. Ebenso  findet  man  ihn  sehr  gewöhnlich  bei  schwächlichen, 
durch  Nahrungsmangel,  schwere  Kranklieiten  herabgekommenen  Individuen 
des  Jünglings-  uud  Manuesalters.  Nicht  minder  auffällig  ist  sein  häufiges 
Auftreten  im  Exsiccationsstadium  der  Masern ,  Blattern  und  des  Scharlachs. 
Er  entwickelt  sich  unter  solchen  Umständen  so  oft ,  dass  man  ihn  als 
Ophthalmia  morbillosa,   scarlatinosa,  variolosa  beschrieben  hat. 

Verlauf.  Der  herpetische  Process  als  solcher  ist  im  Allgemeinen 
ein  typischer.  Die  Scene  eröfinet  ein  dem  Grade  nach  wechselnder, 
brennender  oder  stechender  Schmerz  in  Verbindung  mit  Lichtscheu.  Als- 
bald tritt  die  charakteristische  Gefässinjection  in  der  Bindehaut  und  dem 
Episcleralgewebe     hervor    und    nach    1 — 2    Tagen    kann  man    bereits    das 


72  Herpes  corneae;  Verlauf;  Verhältniss  zur  Scrophulose. 

eigenthümliche  herpetische  Knötchen  bemerken,  welches  nun  während  der 
nächsten  Tage  seine  weiteren  Wandlungen  eingeht.  Mittlerweile  treten 
die  Erscheinungen  der  Gefäss-  und  Js'ervenreizung  allmälig  zurück  und 
der  herpetische  Process  als  solcher  gelangt  zum  Abschlüsse. 

Doch  ist  ein  solcher  Verlauf  in  der  Eegel  nur  dort  zu  gewärtigen, 
wo  beim  Mangel  einer  entschiedenen  Disposition  der  Process  durch  eine 
zufällige  äussere  Schädlichkeit  angeregt  wurde  und  der  Kranke  unter 
Verhältnissen  lebt,  welche  der  Heilung  günstig  sind.  Meisthin  macht  sich 
die  Neigung  zu  Nachschüben,  welche  dem  Herpes  überhaupt  eigenthümlich 
ist,  auch  hier  geltend.  Während  eine  Effloreseenz  aus  dem  Cyclus  der 
typischen  Vorgänge  heraustritt,  bereitet  sich  bereits  eine  andere  vor,  ein 
Nachschub  folgt  dem  andern,  die  Schmerzen  und  die  Lichtscheu,  die 
Gefassinjection  bestehen  fort  und  steigern  sich  wohl  auch,  und  so  wird 
der  Process,  auch  wenn  er  noch  nicht  mit  hypertrophirenden  Formen 
der  Bindehautentzündung  complicirt  worden  ist,  Wochen  und  Monate 
hinausgezogen. 

Das  fortwährende  Leiden  bleibt  dann  natürlich  nicht  ohne  Einfluss 
auf  die  Ernährung  des  Gesammtorganismus,  besonders  wenn  der  behan- 
delnde Arzt  durch  reichliche  Antiphlogose,  Entziehung  der  Nahrung, 
Xarcotica  u.  s.  w.  die  Constitution  des  Kranken  untergraben  hilft.  Autfälhge 
Blässe,  Schlaffheit,  Welkheit  der  äusseren  Haut  und  der  Muskeln,  ge- 
steigerte Empfindlichkeit  des  Nervensystems,  kurz  ein  Zustand,  welcher 
dem  so  vagen  Begriffe  der  Scrophulose  entspricht,  sind  die  nächsten 
Folgen.  Dazu  kommt  gar  nicht  selten  eine  Anschwellung  der  Nacken-  und 
Halsdrüsen,  das  Bild  der  Scrophulose  vervollständigend. 

Solche  Beobachtungen  waren  es  denn  auch ,  welche  die  Augenärzte  haupt- 
sächlich vermocht  haben,  dem  Herpes  corneae  eine  scrophulose  Basis  unterzustellen, 
und  dort,  wo  der  Herpes  in  anscheinend  ganz  gesunden  Individuen  auftritt,  eine 
Latenz  der  Scrophulose  anzunehmen.  Es  ist  die  Scrophulose  nach  dem  Mitgetheilten 
eben  nicht  selten  die  Folge  des  Processes,  und  wo  wirklich  die  Erscheinungen  der 
Scrophulose  dem  Herpes  vorangingen,  ist  der  letztere  nicht  eine  Localisation  der 
speciellen  Blutkrankheit,  sondern  steht  nur  mit  dem  nebenhergehenden  Erethismus 
des  Nervensystems  in  näherem  tirsächlichen  Verbände.  Was  die  Drüsengeschwülste 
betrifft,  muss  bemerkt  werden,  dass  sie  entschieden  am  liäufi:^sten  durch  den  Herpes 
bedingt  sind,  keineswegs  aber  durch  eine  scrophulose  Blutmischung;  sie  kommen 
nämlich  bei  den  stärksten  und  kräftigsten  Individuen  während  dem  Verlaufe  des 
Herpes  vor,  namentlich  wenn  derselbe  mit  einer  heftigen  Nerven-  und  Gefässreizung 
einhergelit.  Sie  stehen  zu  dem  Augenleiden  in  demselben  Verhältnisse,  wie  An- 
schwellungen der  Achseldrüseu  zu  Panaritien  u.  s.  w. 

Einen  ganz  eigenthümlichen  Verlauf  nimmt  der  Hei'pes  cornealis 
nicht  selten  hei  Kindern  mit  dem  sogenannten  scrophulös-erethischen  Habitus. 
Es  beginnt  die  Krankheit  mit  einer  ganz  exorbitanten  Lichtscheu,  welche 
mit  geringen  Remissionen  Tage  und  Wochen,  ja  Monate  anhält  und, 
vermöge  des  sie  begleitenden  Lidkrampfes,  die  Untersuchung  des  Auges 
höchst  schwierig  macht.  Oeffnet  man  die  Lidspalte  gewaltsam,  so  findet 
man  eine  ganz  unverhältnissmässig  gei'inge  Injection  der  Gefässe;  nur 
einzelne  zerstreute  Stämmchen  treten  deutlicher  hervor  und  rings  um  die 
Hornhaut  zeigt  sich  im  Episcleralgewebe  ein  zarter  schmaler  rosiger 
Saum.  Efflorescenzen  sind  bei  dem  Widerstand,  welchen  der  Kranke  der 
Untersuchung  entgegensetzt,  häufig  nicht  zu  entdecken.  Es  liegt  in  solchen 
Fällen  daher  nahe,  die  Lichtscheu  als  ein  für  sich  bestehendes  Leiden  an- 
zusehen und  dieses  ist  denn  auch  vielfach  geschehen.   Die  älteren  Augen- 


Scroplmlose  Lichtscliou  ;  Ausgiinge.  73 

ärztc  liabeii  diesen  Zustand  unter  dem  Namen  der  scrophul'ösen  TAchtscheu 
als  eine  specielle  Ki-ankheit  beschi'ioben.  Bei  genauerem  P.ingehen  wird 
man  jedoch  kaum  jemals  währi>nd  dem  ganzen  Verlauf  der  Krankheit 
die  charakteristischen  Kfflorescenzen  vermissen. 

Die  durch  die  Lidspalte  und  die  Nase  fortwährend  ablliessenden 
heissen  salzigen  Thränen  excoriiren  oft  die  von  ihnen  berührten  Theile 
und  veranlassen  durch  ilire  weitere  chemische  Einwirkung  heftige  Ent- 
zündungen, welche  sich  oft  unter  der  Form  pustulöser  Ausschläge  äussern. 
So  entwickelt  sich  häufig  während  dem  Verlaufe  eines  Herpes  cornealis, 
besonders  wenn  dieser  mit  heftiger  Lichtscheu  und  Thränenfluss  einher- 
gelit :  Dlepharadenitis  ciliaris,  Im])etigo  und  Eczem  der  Lid-  und  Wangen- 
haut,  der  Nasenöffnung  und  Lippen. 

Bei  dem  Eczem  der  Nase  dürften  übrigens  auch  noch  die  anatomischen 
Beziehungen  von  Wichtigkeit  sein,  vvelclie  zwischen  den  Ciliarnerven  inid  den 
Nerven  der  Schneider'schen  Haut  bestehen. 

Ausgänge.  1 .  Sehr  oft  endet  die  Krankheit  mit  vollständiger  Heilung. 
Am  meisten  lassen  dieses  erwarten  sehr  oberflächlich  gelagerte  Efflorescenzen 
von  geringem  Umfange.  Diese  bilden  sich  häufig  einfach  zurück  und  zwar 
entweder  rasch,  noch  bevor  alle  Reizerscheinungen  geschwmiden  sind ; 
oder  langsam,  allmälig,  d.  i.  im  Laufe  von  Wochen  oder  Monaten.  In 
anderen  Fällen  stösst  sich  der  obei-flächlich  lagernde  Knoten  ab,  nachdem 
er  vorläufig  erweicht  worden  ist.  Die  so  entstandene  Excoriation  oder 
seichte  Aushöhlung  der  Cornealoberfiäche  füllt  sich  mit  durchsichtigem 
Hornhautgefüge  wieder  aus,  überzieht  sich  mit  pellucidem  Epithel  und 
jede  Spur  der  Efflorescenz  ist  getilgt.  Nicht  selten  jedoch  ist  das  zuerst 
angebildete  Epithel  trüh,  wird  aber  später  von  nachrückenden  durchsich- 
tigen Zellen  ersetzt. 

2.  Tiefer  sitzende  und  umfang sreichere  Knoten  siiid  weit  ungünstiger. 
Selten  werden  sie  vollkommen  aufgesaugt,  so  dass  keine  Spur  einer  Trübung 
an  ihrer  Stelle  zurückbleibt.  Meistens  zerfallen  sie,  stossen  sich  ab,  es 
bildet  sich  ein  kleines  rundliches  Geschwürchen,  das  sich  im  weiteren 
Verlaufe  reinigt  und  eine  mehr  weniger  tiefe,  scharf  begrenzte  Exfoliation 
zurücklässt.  Der  durchsichtige  Boden  dieses  Substanzverlustes  hebt  sich 
dann  oft  ziemlich  rasch  durch  Neubildung  von  Cornealsubstanz ,  tritt 
allmälig  in  das  Niveau  der  Hornhautoberfläche  und  überzieht  sich  mit 
Epithel,  das  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  trüb  ist  und  öfters  lange  Zeit 
oder  für  immer  trüb  bleibt  und  einen  scharf  begrenzten,  hirse-  bis  hanf- 
korngrossen  Epithelialfleck  darstellt.  In  anderen  Fällen  ist  die  Regeneration 
eine  säumige,  die  Ausfüllung  der  Lücke  braucht  Wochen  und  Monate, 
während  dem  das  Auge  sehr  empfindlicli  und  zu  Reizzuständen  geneigt 
bleibt  ;  aus  der  Exfoliation  wird  ganz  allmälig  eine  einfache  Facette ,  ein 
flacher  Abschliff,  und  am  Ende  kömmt  es  entweder  zu  einem  herpetischen 
Epithelfleck,  welcher  sich  späterhin  nicht  immer  völlig  verwischt;  oder 
aber  es  entwickelt  sich  an  der  Stelle  der  Facette  eine  dichtere  Trübung, 
welche  ganz  das  Aussehen  eines  Sehnenfleckes  darbietet.  Nicht  selten  bilden 
sich  aber  solche  Flecke  auch  rasch  aus,  indem  sich  die  geschwürähnliche 
Substanzlücke  gleich  von  vorneherein  mit  trüber  Masse  ausfüllt,  welche 
ständig  wird.  Es  entsprechen  derartige  Flecke  in  Form  und  Grösse  den 
ehemaligen  Knoten,   sind  aber  flacher,  indem  von  dem  Boden  der  Substanz- 


74  Herpes  corneae  ;  Ausgänge. 

lücke  immer  etwas  durchsichtiges  Cornealgefüge  nachvmchert.      Man    findet 
sie  gewöhnlich  von  einem  verwaschenen  trüben  Hofe   umsäumt. 

3.  Die  Zerfiillniss  herpetischer  Knoten  wird  nicht  selten  die  Veran- 
lassung von  Durchbrüchen  der  Hornhaut.  In  manchen  Fällen  ist  die  Per- 
foration eine  ungemein  rasche.  Wenige  Stunden  genügen,  um  den  Knoten 
auszubilden  und  zur  Schmelzung  zu  bringen.  Gewöhnlich  aber  ist  der 
Gang  ein  langsamerer,  der  Knoten  besteht  mehrere  Tage,  ehe  es  zum 
Durchbruch  kommt. 

4.  Häufiger  ist  der  Durchbruch  eine  blos  mittelbare  Folge  des  Herpes. 
Um  den  zerfallenden  Knoten  herum  entzündet  sich  das  Gefüge  der  Horn- 
haut in  grösserem  oder  geringerem  Umfange,  die  neugebildeten  Elemente 
verfettigen,  zerfallen  und  so  entwickelt  sich  auf  dem  Boden  des  herpe- 
tischen Knotens  ein  secundäres  herpetisches  Geschwür,  das  in  allem  und 
jedem  mit  einem  primär  entstandenen  Geschwüre  übereinkommt,  den- 
selben Verlauf,  dieselben  Ausgänge  wie  dieses  und  darunter  auch  den 
Ausgang  in  Perforation  nimmt,  deren  Folgen  später  Gegenstand  der  Er- 
örterung sein   werden. 

5.  Die  den  herpetischen  Knoten  zusammensetzenden  Elemente  können 
übrigens  auch  sowohl  durch  pro-  als  regressive  Metamorphosen  ständige 
Formen  eingehen.  In  der  That  verwandeln  sich  die  Etflorescenzen  in  der 
Cornea  bisweilen  in  sehnen-  oder  knorpelähnliche  oder  in  kalkige  Massen, 
welche  zeitlebens  fortbestehen. 

6.  In  gleicher  Weise  werden  manchmal  auch  die  Producte  der  be- 
gleitenden Keratitis  vasculosa  ständig.  Die  herpetische  Brücke  liinterlässt 
nach  Ablauf  der  Reizerscheinungen  einen  ihr  in  Form  und  Umfang  ziem- 
lich entsprechenden  Epithelfleck,  eine  pannose  Trübung,  oder  wohl  auch 
eine  sehnenähnliche  Neubildung.  Hypertrophirt  gleichzeitig  der  zugehörige 
hypei'ämirte  Thcil  der  Bindehaut,  so  ist  die  erste  Anlage  zu  einem  wahren 
Flügelfell  gegeben,  welches  sonach  mit  unter  den  Ausgängen  des  Corneal- 
herpes  figurirt. 

7.  Bei  fortgesetzten  reichlichen  Nachschüben  kommt  es  bisweilen 
zum  Pannus  herpeticus,  von  dem  bei  Gelegenheit  des  Conjunctivalherpes 
die  Rede  sein  wird. 

8.  Endlich  verdient  Berücksichtigung,  dass  der  herpetische  Process 
nicht  immer  rein  und  unvermischt  besteht.  Sowie  er  im  Verlaufe  einer 
Keratitis  vasculosa  häufig  secundär  zu  Tage  kömmt,  so  breitet  sich  umge- 
kehrt die  herpetische  Brücke  öfters  aus  und  man  muss  dann  sagen,  der 
Cornealherpes  habe  sich  secundär  mit  einer  Keratitis  vasculosa  complicirt, 
welche  die  Ausgänge  des  Leidens  mannigfaltig  modificirt.  jS^icht  gar  selten, 
namentlich  bei  unzweckmässiger,  zu  reizender  Behandlung  oder  bei 
schlechtem   Verhalten  des  Kranken  kömmt   es  zur  Iritis. 

Viel  gewöhnlicher  jedoch  entwickelt  sich  im  Verlaufe  hartnäckiger 
herpetischer  Processe  ein  Katarrh  und  selbst  ein  wahres  Trachom  der 
Bindehaut.  Die  hyperämirte  und  besonders  im  Uebergangstheile  ödematös 
geschwellte  Bindehaut  lockert  sich  mehr  und  mehr  auf,  wird  schwammig 
und  gewinnt  am  Tarsaltheile  ein  eigenthümlich  rauhes  sammtähnliches 
Aussehen.  Sie  sondert  dabei  viel  Thränen  und  katarrhalischen  Schleim 
ab.    Wird  dann    der    entzündliche  Vorgang  durch  ungünstige  äussere  Ver- 


Behandlung.  75 

hiiltnisse  untorlialton  oder  gar  gesteigert,  so  treten,  vorzüglich  bei  Kr- 
waclisencn,  gerne  die  charakteristischen  Granulationen  hervor,  der  Herpes 
erscheint  coniplioirt  mit  Trachom.  Einmal  so  weit  gediehen,  geht  der 
Process  nur  mehr  sehr  schwor  zurück,  er  schwankt  fortwährend  zwischen 
Exacerbationen  und  Remissionen,  bei  welchen  ersteren  bald  die  vasciilären, 
bald  die  nervösen  Symptome  vorwiegen,  je  nachdem  die  hypertrophirende 
Bindehautentzündung  oder  der  herpetische  Process  mit  neuen  Nachschüben 
die  Oberhand  gewinnt.  Man  hat  guten  Grund  zur  Annahme,  dass  die 
mit  der  trachomatöscn  Wucherung  verknüpfte  Nervenroizung  die  Fort- 
dauer des  herpetischen  Leidens  wesentlich  begünstige  oder  gar  mitbe- 
gründe. Es  ergibt  sich  daraus  die  dringende  Mahnung,  bei  hartnäckigen 
und  besonders  bei  schon  länger  bestehenden  hei'petischcn  Processen  die 
Umstülpung  der  Lider  und  die  genaue  Untersuchung  der  Bindehaut  ja 
nicht  zu  versäumen. 

9.  Als  entferntere  Consequenzen  des  Herpes  corneae  sind,  vornehmlich 
bei  Kindern,  die  sogenannte  Amblyopia  ex  anopsia  und  der  Strabismus  zu 
fürchten. 

Betiandlung.  Das  Heilverfahren,  welches  beim  Herpes  corneae  ein- 
zuschlagen ist,  fällt  fast  vollständig  zusammen  mit  jenem,  welches  bei  der 
Keratitis  vasculosa  mit  Ei-folg  in  Anwendung  gebracht  wird  (S.  66),  da- 
her denn  auch  liier  darauf  verwiesen  wird.  Zu  bemerken  ist  nur ,  dass 
speciel  beim  Herpes  corneae  die  Anlegung  eines  Schutzverbandes  und  die 
täglich  1 — 2  Mal  xoiederholte  Einstäubung  von  Calomel  oder  Einstreichung 
der  gelben  Quecksilberoxydsalbe  in  den  Bindehautsack  als  eine  Art  Specificum 
empfohlen  wird.  Es  lässt  sich  auch  in  der  That  die  günstige  Wirkung 
dieser  Mittel  nicht  läugnen.  Doch  bewähren  sich  die  Reizmittel  eben 
nur,  wo  die  Erscheinungen  der  Gefass-  und  Nervenreizung  mehr  in  den 
Hintergrund  treten,  der  entzündliche  Process  also  bereits  seinen  Höhepunkt 
überschritten  hat  und  die  Mydriatica  ihre  volle  Wirkung  zu  erzielen,  eine 
maximale  Pupillenerweiterung  zu  bewerkstelligen  vermögen ;  vornehmlich 
aber,  wenn  es  darauf  ankömmt,  zurückgebliebene  oberflächliche  Trübungen 
der  Hornhaut  nach  Ablauf  des  eigentlichen  herpetischen  Processes  rascher 
zum  Verschwinden  zu  bringen.  Dagegen  sind  diese  Mittel  schädlich  oder 
wenigstens  gefährlich,  so  lange  der  Process  acut  verläuft  und  durch  die 
Intensität  der  Gefässreizung  einen  mehr  stheni sehen  Charakter  beurkundet ; 
da  wird  der  Reizzustand  dadurch  öfters  sichtlich  vermehrt. 

2.  Von  hoher  Wichtigkeit  ist  bei  der  Behandlung  des  Herpes 
cornealis  die  Berücksichtigung  etwa  sich  vorbereitender  oder  bereits  ent- 
wickelter eczematöser  und  impetiginöser  Ausschläge  der  Lid-  und  Wangen- 
haut, der  Naseneingänge  und  Lippen.  Am  häufigsten  beobachtet  man  sie 
bei  Kindern  und  überhaupt  bei  Individuen  mit  zarter  schlaffer  Haut.  Sie 
unterhalten  den  Process  und  machen  seinen  Verlauf  durch  Begünstigung 
fortwährender  Nachschübe  oft  sehr  langwierig. 

Will  man  die  EntvickeJung  derselben  verhüten,  so  ist  mimdiöse  Reinlichkeit  das 
erste  Erfordeniiss.  Ausserdem  empfiehlt  sich  zu  diesem  Zweclce  der  Schntzverband, 
da  er  vorerst  durcli  Fernhaltung  aller  von  aussen  her  einwirkenden  Schädlichkeiten 
den  Reizzustand  des  Auges  und  damit  auch  die  Thränenabsonderung  vermindert, 
da  er  weiters  das  beständige  Wischen  und  Reiben,  zu  welcliem  die  Kranken  durch 
den  Thränenfiuss  verleitet  werden,  unmöglich  macht,  und  da  endlich  die  Charpie 
die    abfliessenden  Thräuen    zum    grössteu    Theile  aufsaugt    und  so  die  allzugrosse 


76  Herpes  corneae;  Behandlung. 

Ueberfenchtung  der  Lider  und  der  Wangen  verhütet.  Soll  der  Schutzverband  seinem 
Zwecke  vollkommen  entsprechen,  so  muss  die  Charpie  mehrmals  des  Tages  rjeueck- 
selt  werden.  Vor  der  jedesmaligen  Anlegung  der  Binde  ist  es  nothwendig,  die 
Theile  durch  Betupfen,  nicht  durch  Wischen,  mittelst  eines  trockenen  oder  in 
laues  Wasser  getaucliten  Charpiebausches  gut  zu  reinigen.  Zeigen  sich  schon 
leichte  Excoriatlonen,  so  ist  es  vortheilhaft,  dieselben  vor  der  Application  des 
Verbandes  mit  einem  reinen  frischen  Fette,  Ungt.  commune,  Leberthran,  Cremor 
coelestis  oder  Glycerincreme  zu  bestreichen.  Wo  die  Naseneingänge  und  die 
Lippen  afficirt  erscheinen,  sind  dieselben  immer  mit  jenen  Salben  einzuschmieren, 
da  sie  durch  den  Verband  nicht  geschützt  werden  können.  Reicht  die  Reizung 
der  Nasenschleimhaut  weit  in  die  Nasenhöhle  hinein ,  so  dürfte  es  am  besten  sein, 
mit  Salhe  oder  Leberthran  bestrichene  Charpiewieken  in  die  Nasenlöcher  einzu- 
führen und  dieselben  öfters  des  Tages  zu  wechseln. 

Ist  das  Exanthem  als  solches  hereits  zum  Ausbruche  gekommen,  so  reichen 
diese  Mittel  nicht  mehr  zu,  um  den  Ausschlag  in  kurzer  Zeit  zu  tilgen.  In  solchen 
Fällen  muss  vorerst  auf  gehörige  Reinigung  der  betrefl'enden  Stellen  gesehen 
werden.  Sind  Krusten  vorhanden,  so  müssen  dieselben  durch  Bähungen  mit  lauem 
Wasser  oder  lauer  Milch  aufgeweicht  und  sodann  durcli  Abtupfen  entfernt  werden. 
Ist  der  Boden,  auf  w^elchem  sich  diese  Krusten  befanden,  stark  entzündet,  so  wird 
man  gut  thun,  vorerst  kalte  Ueberschläge  zu  appliciren,  vorausgesetzt,  dass  sich 
dieselben  leicht  anwenden  lassen.  Sind  die  Reizerscheinungen  etwas  zurückge- 
wichen, so  kann  man  zu  den  directen  Mitteln  übergehen.  Es  sind  dieses:  Lösungen 
aus  Nitrat.  Argent.  gr.  5—10,  aus  Sulfat.  Zinci  gr.  5,  aus  Sublimat  gr.  1  auf  die 
Unze  destillirten  Wassers;  Salben  aus  Florum  Zinci  draclim.  semis  oder  aus  Jod- 
scliwefel  drachm.  1  auf  die  L^nze  Ungt.  communis;  Stärke;  Bärlappsaraen;  Leber- 
thran u.  s.  w.  Die  Lösungen  werden  nach  vorhergehender  Reinigung  der  Theile 
entweder  mit  dem  Pinsel  aufgetragen  und  darüber  der  Schutzverband  angelegt, 
oder  es  wird  der  Charpiebausch  mit  der  Solution  stark  befeuchtet,  über  die 
afficirten  Stellen  ausgebreitet  und  daini  mit  der  Flanellbinde  befestigt.  Die  SaU/en 
werden  einfach  aufgeschmiert ,  die  Stärke  oder  das  Lijcopodium  mittelst  eines 
Banmwollenbausches  au/gestäubt  und  darüber  der  Schutzverband  angelegt.  Der 
Leberthran  dürfte  am  besten  in  der  Art  applicirt  werden ,  dass  man  damit  einen 
l'lanelllajipen  tränkt,  denselben  über  die  erkrankten  Hautstellen  ausbreitet  und 
darüber  sodann  den  Verband  auf  die  gewöhnliche  Weise  anlegt.  In  jedem  Falle 
müssen  diese  Mittel  öfters  des  Tages  frisch  applicirt  und  vor  jeder  Anwendung  die 
Theile  sorgfältig  gereinigt  werden.  Innerliche  Mittel  nützen  gegen  diese  Aus- 
schlüge gar  nichts. 

3.  Eben  so  belangreich  sind  in  Bezug  auf  Therapie  die  häufigen 
Complicafionen  des  Herpes  mit  Katarrh  und  Trachom  der  Bindehaut.  Starke 
katarrhalische  Absonderungen  und  namentlich  das  Trachom  beeinträch- 
tigen nämlich  sehr  wesenthch  die  günstigen  Wirkungen  des  Schutzver- 
bandes, ja  erfahren  unter  seiner  Anwendung  nicht  selten  eine  Steigerung, 
daher  sein  Gebrauch  auf  jene  Fälle  und  Verlaufsstadien  zu  beschränken 
ist,  in  welchen  die  Intensität  der  nervösen  Erscheinungen  denselben  gebie- 
terisch fordert.  Sonst  thut  man  besser,  bei  mehr  sthenischem  Charakter 
des  Processes  sich  mit  strengem  antiphlogistischen  Verhalten  und  Atropin- 
einträufelungen  zu  begnügen,  bis  das  Zurücktreten  der  heftigen  Gefäss- 
reizuug  den  Gebrauch  der  gelben  Quecksilbersalbe  gestattet.  Ist  dann 
der  herpetische  Process  getilgt  oder  hat  man  Grund  zur  Annahme,  der- 
selbe finde  in  dem  Katarrh  oder  Trachome  den  Anlass  zu  fortgesetzten 
Eecidiven,  so  ist  zu  Bestreichungen  der  Bindehaut  mit  Höllenstein- 
lösungen überzugehen. 

4.  Weitere  therapeutische  Aufgaben  fliessen  aus  den  mannigfaltigen 
Wandlungen,  welche  die  herpetischen  Efloreseenzen  im  Verlaufe  des  Processes, 
oder  nachdem  sie  aus  dem  Cyclus  der  typischen  Vorgänge  herausgetreten 
sind,  erleiden.  Die  betreffenden  Heilregeln  finden  in  den  weiteren  Ab- 
schnitten ihre  Erledigung. 


Behandlung;  Quellen.  77 

5.  Von  g-rösstor  Wichti<>;keii  ist  es,  namentlicli  b(ü  Kiiiderii,  nachdem 
der  entzündliclio  Proccss  im  Auge  zum  Abschluss  gekommen  ist,  auf  das 
genaueste  zu  untersuchen,  in  ivie  weit  jeder  einzelne  Bidbus  seine  Functions- 
tüchtiylceit  bewahrt  hat  und  wie  sicli  di(\selben  b(^i  ihn^m  gegonsoiligon  Zu- 
sammenwirken, beim  gemeinschaftlichen  Sehactc  verhalten.  Zeigt  sich  das 
eine  Auge  seiner  Aufgabe  nicht  mehr  gewachsen,  oder  wirkt  es  gar  störend 
auf  die  Deutlichkeit  der  Wahrnehmungen  beim  gemeinschaftlichen  Sehacte, 
so  können  niclit  früh  genug  ^"orkehrungen  getroffen  werden,  um  möglicher 
Weise  noch  den  missliclien  Folgen  eines  solchen  Zustandes,  der  Amblyopia 
ex  anopsia  oder  dem  Strabismus  des  stärker  afficirten  Auges ,  zuvorzu- 
kommen. Das  Verfahren,  um  diesen  üblen  Consequenzen  vorzubauen,  ist 
Gegenstand  der  Erörterung  in  den  über  Amblyopie  und  Strabismus  han- 
delnden Abschnitten. 

6.  In  Fällen,  in  welchen  das  Walten  einer  Disposition  sich  deutlich 
beurkundet ,  besonders  bei  Kindern  mit  dem  sogenannten  scrophulös- 
erethischen  Habitus ,  wird  man  in  der  Eegel  gezwungen  sein ,  neben  der 
örtlichen  Behandlung  eine  allgemeine  einzuleiten,  um  den  fortwährenden 
Nachschüben  und  den  von  Zeit  zu  Zeit  sich  wiederholenden  Ilecidiven 
zu  steuern. 

Die  allgemeine  Behandlung  zielt  zunächst  auf  Hebung  des  Ernährungs- 
zustandes des  gesammten  Körpers.  Nebenbei  hat  dieselbe  aber  noch  ganz 
besonders  auf  den  vorhandenen  Nervenerethismus  Ilücksicht  zu  nehmen  und 
dessen  Abstumpfung  durch  Abhärtung  des  Kranken  anzustreben.  Zu  diesem 
Zwecke  empfehlen  sich  ganz  besonders  kühle  Bäder,  am  besten  Flussbäder 
oder  Seebäder.  Wo  diese  nicht  anwendbar  sind  wegen  der  Jahreszeit  oder 
den  Lebensverhältnissen  der  Kranken,  sind  Wannenbäder  und  vorzüglich 
täglich  wiederholte  Abreibungen  des  Körpers  mit  einem  in  kaltes  Wasser 
getauchten  Badeschwamm  oder  Flanelllappen  vorzunehmen.  Man  wird 
dabei  die  Witterung  berücksichtigen  müssen  und,  falls  der  Kranice  die 
Temperatur  kalten  Wassers  nicht  ohne  Gefahr  vertragen  zu  können  scheint, 
von  lauen  Waschungen  allmülig  zu  kühleren  übergehen.  Am  besten  werden 
dieselben  Morgens  vorgenommen ,  worauf  der  Kranke  noch  einige  Zeit  im 
Bette  zubringen  soll.  Freunde  von  pharmaceutischen  Mitteln  können  den 
Wannenbädern  Abkochungen  von  Eichenrinde ,  Weidenrinde ,  Nussbaum- 
blättern,    bei  sehr    grosser  Blässe  auch  Tartras  Ferri  u.   s.  w.  beimischen. 

Quellen.  Stellwag,  Amnions  Zeitschrift  f.  Oplith.  IX.  S.  510;  Ophthalmologie  I. 
S.  90,  102.  —  Hiltermann,  Zeitschr.  f.  wissenach.  Therapie  IV.  1.  S.  50.  —  Blodig, 
Zeitschr.  d.  Wien.  Aerzte.  1860.  S.  728.  —  Hasner,  klin.  Vorles.  Piag.  1860.  S.  147; 
Entwurf  ein.  anat.  Begründg.  Prag.  1847.  S.  88.  —  Liebreich,  klin.  Monatbl.  1864. 
S.  393.  —  Gräfe,  A.  f.  O.  VI.  2.  S.  130;  X.  2.  S.  202.  —  Singer,  nach  Jeffries, 
Transact.  of  the  Amer.  oplith.  soc.  1869.  S.  86,  75,  90.  —  de  Haen  u.  A.  nach 
Steffan,  klin.  Erfahrungen.  S.  25.  —  Hutchinson,  Ophth.  Hosp.  Rep.  V.  S.  191; 
VI.  S.  181,  182,  263;  nach  Steffan,  klin.  Monatbl.  1868.  S.  30,  369.  —  Steffan,  kl. 
Monatbl.  1868.  S.  366;  klin.  Erfahrungen.  S.  26,  29.  43.  —  ßotünirt«,  Ophth.  Hosp. 
Rep.  VI.  S.  1.  Fall.  8;  V.  S.  1  ;  nach  Jeffries,  1.  c.  S.  85,  87.  —  Hehra,  nach  Steffan, 
kl.  Erfahrungen.  S.  29.  —  Homer,  kl.  Monatbl.  1868.  S.  371.  —  Bärensjmmg,  nach 
Steffan,  klin.  Erfahrungen.  S.  38,  40.    —    Charcot,   Cofard,    Centralbl.  1866.  S.  360. 

—  Danielsen,  Esmarch,  nach  Steffan,  kl.  Erfahrungen.  S.  37.  38.  —    Iwanqff,  nicht 
veröffentlichte  Zeichnungen.    —    Niemetschek,  Prag.  Vierteljahrschr.    101.  Bd.  S.  78. 

—  Johnen,  Deutsche  Klinik.  1868.  S.  228.  —  Pagenstecher,  kl.  Monatbl.  1868.  S.  371. 


78  Keratitis  punctata;  Hydromeningitis. 


3.  Keratitis  punctata  und  Hydromeningitis. 

Krankheitsbild..  Charakteristisch  ist  das  gruppenweise  Auftreten  kleiner 
rundlicher  grauer  Flecken  in  den  verschiedenen  Lagen  der  gleichmässig  sulz- 
ähnlich getrübten    Cornealsuh stanz    und   an   der  freien    Oberfläche   der   Descemeti. 

Die  Hornhaut  erscheint  stellenweise  oder  ihrer  ganzen  Ausdehnung 
nach  matt  grauKch  mit  einem  Stiche  ins  Gelbliche  oder  Grünliche.  Die 
Oberfläche  verliert  den  natürlichen  Glanz,  die  spiegelähnliche  Glätte;  bei 
gewissen  Stellungen  zum  Lichte  bemerkt  man  bisweilen  ein  Opalisiren, 
ähnlich  dem  Farbenspiele  alter  Fensterscheiben ,  und  bei  der  Betrachtung 
der  Hornhaut  aus  nächster  Nähe  zeigt  sich  die  Epithelschichte  rauh,  voll 
der  feinsten  Grübchen,  als  wäre  sie  mit  Nadeln  gestochen  worden.  Ausser- 
dem findet  man  Aggregate  kleiner ,  den  Umfang  eines  Mohnkorns  kaum 
überschreitender  rundlicher  Flecken  von  mattgrauer,  ins  Gelbliche  oder 
selbst  Bräunliche  spielender ,  sehr  selten  schwarzbi'auner  Farbe ,  welche 
bald  in  einer  und  derselben  Schichte  neben  einander ,  bald  aber  auch  in 
verschiedener  Tiefe  lagern ,  im  letzteren  Falle  sich  zum  Theile  gegenseitig 
decken  und  daher  dem  freien  Auge  zusammenzufliessen  scheinen.  Am  häu- 
figsten findet  man  sie  in  den  hinteren  Stratis  der  Cornea  und  an  der  freien 
Wand  der  Wasserhaut,  wo  sie  gerne  in  ausgedehntere  fleckige  Trübungen 
verschwimmen.  Doch  kommen  sie  auch  unmittelbar  unter  der  Bowman'- 
schen  Membran  und  in  jeder  beliebigen  anderen  Schichte  der  Cornea  propria 
vor.      Sie  sitzen  meistens  in  der  unteren  Hälfte  der  Hornhaut. 

Es  ist  übrigens  zweifelhaft,  ob  die  an  der  iiinteren  Wand  der  Descemeti 
nachgewiesenen  und  bisweilen  in  die  Kammer  prominirenden  Herde,  welche  zum 
Begriffe  einer  Hydromeningitis  oder  Keratitis  postica  gehören  und  jene  Knötchen- 
haufen,  welche  sich  in  den  verschiedenen  Lagen  der  Cornea  propria  entwickeln 
und  als  charakteristische  Merkmale  der  Keratitis  p)unctata  gelten,  zusammen  gehören 
imd  nur  als  verschiedene  Localis ationen  desselben  Processes  aufzufassen  seien.  That- 
säclilich  wird  jede  dieser  beiden  Formen  für  sich  beobachtet.  Doch  treten  sie  auch 
wieder  häutig  genug  in  Gemeinschaft  aiif  und  dieser  Umstand,  sowie  die  grosse 
Uebereiustimmung  heider  in  ihrem  ganzen  Verhalten,  macht  eine  Trenwmg  vor  ge- 
nauerer Einsicht  in  die  Wesenheit  des  zu  Grunde  liegenden  Processes  schwierig 
und  praktisch  unnutzhar. 

Die  Congestionserscheinungen  sind  in  der  Regel  sehr  unerheblich  und 
beschränken  sich  meistens  auf  einen  schmalen  Kranz  injicirter  Gefässe  in 
der  vordersten  Zone  des  Episcleralgewebes.  Schmerz  und  Lichtscheu  fehlen 
sehr  häufig  ganz.  Dafür  begleitet  den  Process  constant  eine  sehr  auf- 
fällige Störung  des  Sehvermögens.  Diese  rührt  einerseits  von  der  Trübung 
der  Cornea  her,  andererseits  aber  von  der  in  der  Regel  nachweisbaren 
Mitleidenschaft  der  intraocularen  Gebilde. 

Die  Keratitis  punctata  ist  nämlich  nur  selten  eine  für  sich  bestehende 
Krankheit ,  meistens  tritt  sie  blos  als  Theilerscheinung  eines  tief  in  die 
Organisationsverhältnisse  des  Bulbus  eingreifenden  entzündlichen  Processes 
auf.  In  erster  Linie  sind  die  L-idochorioiditis,  und  zwar  vornehmlich  die 
chronisch  verlaufenden  und  gerne  zum  Schwunde  führenden  Formen  der- 
selben als  häufige  Begleiter  zu  nennen.  Darum  sind  denn  auch  flockige 
Trübungen  des  Kammerwassers  und  des  Glaskörpers,  Auflagei'ungen  auf  die 
Vorderkapsel    und  hintere  Synechien    so    gewöhnliche  Nebenerscheinungen, 


Keratitis  diffusa;  KrankhoitHliild.  79 

dass  sie  vielseitig  als  zum  Kranlcheitshilde  der  Keratitis  punctata  und  Hydro- 
meningitis  gehörig  aufgefasst  werden. 

Ursachen.  Insoferno  die  fragliche  Krankheit  in  den  meisten  Fällen 
nur  eine  semmdäre  oder  Nebenaffection  darstellt,  fällt  ihre  Aetiologie  grössten- 
theils  mit  jener  des  Grundleidens  zusammen.  Doch  will  man  in  gewissen 
Dyscrasien,  namentlich  in  constitutioneller  erworbener  oder  hereditärer  (Hut- 
chinson) Syphilis,  in  Chlorose  und  Anaemie,  sowie  in  der  Scrophulose  dispo- 
nirende  Momente  für  das  Auftreten  der  punktförmigen  Exsudate  beobachtet 
haben.  Auch  sollen  Weiber  mehr  als  Männer,  und  Kinder  am  wenigsten 
zur  Keratitis  punctata  und   Hydromeningitis  disponiren  (Hasner). 

Verlauf  und  Ausgänge.  Der  Verlauf  ist  wohl  immer  ein  sehr 
chronischer,  Wochen  und  Monate  vergehen  bisweilen,  ohne  dass  sich  in  der 
Hornhaut  erhebliche  Veränderungen  erkennen  lassen.  Mitunter  erfolgt  in 
unregelmässigen  Zeiträumen  eine  schubweise  Vermehi'ung  oder  eine  theil- 
weise  Resorption  der  Exsudatherde.  Man  hat  übrigens  auch  wohl  eine 
gänzliche  Heilung  der  Krankheit  beobachtet.  Namentlich  die  an  der  hinteren 
Fläche  der  Wasserhaut  lagernden  Producthaufen  sollen  leicht  verschwinden, 
wenn  das  Gruudleiden  getilgt  wird.  Dagegen  werden  die  in  den  tieferen 
Schichten  der  Cornea  propria  lagernden  iieckweisen  Ablagerungen  gerne 
ständig.  Uebrigens  wird  die  Prognose  vorwaltend  von  den  Aifectionen  der 
Binnenorgane  des  Bulbus  beherrscht  und  diese  gestalten  sie  im  Ganzen  zu 
keiner  günstigen. 

Die  Behandlung  ist  mehr  auf  das  Gesammtleiden  des  Augapfels  und 
etwa  vorhandene  Dyscrasien  zu  richten.  Eine  specielle  Therapie  für  die 
Keratitis  punctata  und  Hydromeningitis  ist  kaum  am  Platze.  Doch  soll 
das  Atrojyin  nützen  und  bei  gleichzeitiger  Ti'übung  des  Kammerwassers  wird 
die  Paracentesis  corneae  gelobt,  indem  sie  die  Abstossung  der  Exsudat- 
herde von  der  Hinterwand  der  Descemeti  begünstiget  (Hasner). 

Quellen.  Hutchinson,  Clin.  Memoir.  S.  154.  —  Hasner,  klin.  Vorträge. 
S.  170,  171. 


4.   Keratitis  parenchyniatosa  oder  diffusa. 

Krankheitsbild.  Das  bestimmende  Merkmal  derselben  ist  eine  unter 
entzündlichen  Erscheinungen  auftretende  massige  Infiltration  der  Hornhaut  mit 
einem  opaken  grauiceissen  oder  gelblichweissen  Producte,  welches  wenig  Neigung 
zum  eitrigen  Zerfalle  zeigt  und  sich  in  umfangsr eiche,  wolkig  umgrenzte  Herde 
zu  sammeln  pflegt. 

Die  entzündliche  Gewebswucherung  äussert  sich  vorerst  in  einer 
leichten  sulzähnlichen  oder  nebligen  Trübung ,  welche  meistens  peripher  be- 
ginnt, sich  aber  von  Tag  zu  Tag  mehr  gegen  das  Centrum  und  am  Ende 
oft  über  die  ganze  Hornhaut  ausbreitet.  Im  weiteren  Verlaufe  treten  in 
den  bisher  noch  durchsichtig  gebliebenen  oder  bereits  matt  gewordenen 
entzündeten  Partien  der  Hornhaut  zarte  grauliche  loolkenähnliche  Trübungen 
von  grösserer  oder  geringerer  Ausdehnung  auf,  welche  sichtlich  in  ver- 
schiedenen Scliichten  der  Substanz  lagern.  Alsbald  verdichten  sich  stellen- 
weise diese  Trübungen ,  während  sie  sich  an  anderen  Stellen  etwas  auf- 
hellen.     So   entstehen  nahezu    oder  völlig   undurchsichtige,    milchweisse  oder 


80  Keratitis  diffasa ;  Krantheitsbild :  ürsaclien- 

geJblichxceisse  Flecke  von  verschiedener  Gestalt  und  Grösse ,  deren  Eänder 
sich  wolkenähnlieh  verwaschen.  Besonders  häufig  bildet  sich  in  der  Mitte 
der  Hornhaut  ein  mächtiger,  oft  bis  3"'  im  Durchmesser  haltender  scheiben- 
förmiger Herd,  auch  wohl  ein  geschlossener  oder  unterbrochener  King,  welcher 
hei  wechselnder  Lichtung  das  Centrum  der  Cornea  umgürtet,  einen  ziem- 
lich scharfen  äusseren ,  und  einen  ohne  deutliche  Grenze  in  die  wolkige 
Trübung  der  Hornhautmitte  sich  verwaschenden  Innenrand  zeigt.  Falls 
die  Hornhaut  ihrer  Totalität  nach  entzündet  ist.  kann  es  auch  geschehen, 
dass  dieselbe  ihrer  ganzen  Masse  nach  undurchsichtig,  grauweiss  wird  und 
selbst  merklich  anschwillt. 

Selten  verläuft  die  Krankheit  oJme  Gefässbildung  in  den  tieferen 
Schichten  der  Cornea.  Gewöhnlich  zeigen  sich  alsbald  nach  Entwickelung 
der  eigenthümlichen  Herde  zarte  feine  Aestchen.  die  von  der  dem  Eande 
des  Exsudatherdes  nächsten  Portion  der  Seleralgrenze  gegen  diesen  hin- 
streichen.  sich  dabei  öfter  kreuzen,  damit  ihre  Lagerung  in  verschiedenen 
Schichten  der  Cornea  propria  bekunden  und  bisweilen  so  dicht  an  einander 
gedrängt  sind ,  dass  sie  dem  freien  Auge  wie  ein  gleichmässig  geröthetes 
Band  oder  wie  ein  Blutextravasat  erscheinen.  Am  Eande  des  Exsudat- 
herdes selbst  lösen  sie  sich  auf  zu  einem  mehr  oder  weniger  dichten  Netze, 
welches  die  Peripherie  des  Herdes  in  wechselnder  Ausdehnung  und  wohl 
auch  rings  umsäumt. 

Die  Oberfläche  der  Hornhaut  bewahrt  hierbei  nicht  selten  ihren  spie- 
gelnden Glanz.  Oefter  indessen  erscheint  dieselbe  matt ,  wie  angehaucht 
oder  wie  mit  Xadeln  zerstochen  und  auch  mit  neugebildeten  Gefäs^netzen 
übersponnen,  die  Keratitis  diffusa  ist  mit  einer  vasculosa  combinirt. 

Die  übrigen  subjecfiven  Symptome,  Schmerzen  und  Lichtscheu  sowie 
die  Hyperämie  in  der  Bindehaut  und  Episclera  sind  wandelbar  in  allen 
Graden  und  stehen  öfters  zur  Grösse  und  latensität  der  eigentlichen  Ge- 
webswucherung in  keinem  Terhältnisse,  ja  sie  können  nahezu  ganz  fehlen. 

Dass  Triibsehen  diesen  Zustand  begleite ,  falls  der  Entzündungsherd 
in  den  Bereich  der  Pupille  hineinragt,  versteht  sich  von  selbst.  Bei  sehr 
geringer  oder  fast  fehlender  Ciliarreizung  ist  es  gewöhnlich  dasjenige 
Symptom,  welches  den  Kranken  aufinerksam  macht  und  ärztliche  Hilfe  zu 
suchen  bestimmt. 

Ursachen.  Als  nächste  Veranlassung  können  die  mannigfaltigsten 
äusseren  Schädlichkeiten  wirken.  Oefter  jedoch  tritt  die  diffuse  Keratitis 
ohne  alle  eruirbare  äussere  Ursache  auf,  ja  dies  scheint  die  Regel  zu  sein. 
Viele  glauben  in  dem  fraglichen  Leiden  die  Localisation  einer  Dyscrasie 
erbhcken  zu  müssen .  oder  sehen  in  der  Scrophulose  oder  Tuberculose 
(Maekenzie,  Ärlt) ,  in  ererbter  (Hutchinson,  Secondij  oder  constitutioneller 
Syphilis  wenigstens  ein  die  Entwickelung  der  Keratitis  ditfusa  sehr  begün- 
stigendes Moment.  Es  lässt  sich  hierüber  noch  streiten.  So  viel  ist  gewiss, 
dass  die  Krankheit  in  jedem  Alter,  bei  beiden  Geschlechtern  und  bei  den 
verschiedensten  Constitutionen  beobachtet  wird;  dass  sie  jedoch  bei  kleinen 
Kindern  und  bei  Erwachsenen  jenseits  der  40  Jahre  seltener  auftritt,  während 
junge  Leute  von  12 — 25  Jahren  das  grösste  Contingent  liefern.  Auch 
sollen  Mädclien  mehr  disponiren  als  Knaben  und  besonders  gracile  schwäch- 
liche blutarme,  in  der  körperlichen  Entwickelung  ztxrückgebliebene  und  be- 
ziehungsweise auch   dysmenorrhoische  Ladividuen  ergriffen  werden  (Hasner). 


Verlauf;  Ausgänge;  BeLandlung.  81 

Verlauf.  Gewöhnlich  geheu  der  sichtbaren  Exsudatbildung  mehi-ere 
Tage  lang  die  Erscheinungen  der  Ciliarreizung,  Gefässinjection,  Schmerzen 
und  Lichtscheu  mit  ihren  Attributen  voran.  Anfänglich  sind  dieselben 
meistens  sehr  auifällig,  mitunter  sogar  überaus  stark  entwickelt.  Mit  dem 
Fortschritte  der  Producthilduny  püegen  sie  sich  aber  allmälig  zu  ermässigen 
und  wohl  auch  gänzlich  zurückzuweichen ;  obgleich  es  hinwiederum  nicht 
an  Fällen  fehlt,  wo  sie  den  ganzen  Verlauf  der  Krankheit  hindurch  mit 
Exacerbationen  und  Remissionen  eine  bedeutende  Intensität  bewahren  oder 
unerhehUch  erscheinen.  Uaahliängig  von  diesen  Verschiedenheiten  fördert  der 
Entzündungsprocess  bald  massenhafte,  bald  geringfügige  Productmengen  und 
erkümmt  seinen  Höhenpunkt  innerhalb  kürzerer  oder  längerer  Zeiträume, 
im  Laufe  von  Tagen  oder  Wochen.  Daselbst  angelangt,  pflegt  der  Process 
Wochen  und  Monate  lang  mit  wechselnder  Intensität  der  Ciliarreizung  an- 
zudauern ,  ehe  er  rückgängig  zu  werden  beginnt.  Die  Rückbildung  der 
Infiltrate  ist  in  der  Regel  eine  langsame  und  kann  auch  viele  Monate  in 
Anspruch  nehmen.  Fälle  mit  sehr  stark  entwickelten  Gefässsymptomen  pflegen 
jedoch  im  Allgemeinen  rascher  abzulaufen,  als  solche,  wo  diese  mehr  zurück- 
treten. Nicht  minder  ist  bei  Kindern  die  Dauer  des  Leidens  gewöhnlich 
eine  kürzere,   als  bei  Individuen  in  und  jenseits  der  Pubertätsperiode. 

Die  Krankheit  bleibt  übrigens  nicht  oft  auf  Ein  Auge  beschränkt; 
meistens  werden  beide  Augen  kurz  nach  einander  ergriffen.  Auch  recidivirt 
das  Leiden  gerne.  Mitunter  combinirt  es  sich  mit  Iritis,  Tridochorioiditis 
oder  mit  anderen  Formen  der  Keratitis.  Man  hat  in  solchen  complicirten 
Fällen  wiederholt  ein  sehr  autfälliges  Weichioerden  des  Bulbus  beobachtet 
(Tetzer)  und  dies  zwar  selbst  dort,  wo  die  Erscheinungen  nicht  darnach 
angethan  waren,  dass  man  bereits  eine  Degeneration  der  tieferen  Bulbus- 
organe  annehmen  konnte,  um  so  weniger,  als  sich  das  Auge  häufig  binnen 
kurzem  wieder  vollständig  erholte.  Man  fand  sich  daher  veranlasst ,  das 
Leiden  mit  Störungen  der  trojyhischen  Nerven  in  Zusammenhang  zu  biüngeu, 
die  Welkheit  des  Bulbus  aus  einer  Art   Secretionsneurose  zu  erklären  (Gräfe). 

Ausgänge.  Die  Keratitis  diff'usa  wird  bei  gehörigem  Verhalten  des 
Kranken  und  richtiger  Therapie  häufig  zur  Heilung  gebracht,  indem  erstlich 
die  Reizerscheinungen  im  Ciliarsysteme  sich  mindern  und  schwinden,  dann 
die  Exsudatherde  sich  lockern,  aufhellen,  in  kleinere  Flecke  zerfallen  iiud 
endlich  völlig  aufgelöst  werden,  ohne  Spuren  zu  liinterlassen.  Leichte  graue 
ivolkige  Trübungen  hellen  sich  begreiflicher  Weise  sicherer  und  rascher  auf, 
als  ganz  undurchsichtige  figurirte  Herde,  und  frische  Productmassen  leichter, 
als  seit  vielen  Monaten  bestehende.  Doch  kommen  bei  richtigem  thera- 
peutischen Vorgehen  auch  die  scheinbar  ungünstigeren  Fälle  nicht  ganz 
selten  zu  einer  vollständigen  Heilung ,  namentlich  wenn  sie  mit  stärkerer 
Cüiarinjection  einhergingen.  Abgesehen  hiervon  ist  bei  Kindern  die  Prognosis 
immer  weit  günstiger.  Bei  diesen  schwinden  öfters  Trübungen,  welche 
vermöge  ihrer  Intensität  und  des  langen  Bestandes  bei  Erwachsenen  wenig 
Aussicht  auf  Heilung  übrig  lassen.  Völlige  Normalität  der  übrigen  Bulbus- 
theile  zählt  nicht  minder  zu  den  Bedingungen  der  Heilung.  Wo  diese 
durch  die  Entzündung  ebenfalls  stärker  mitgenommen  worden  sind,  ist  die 
Prognose  auch  in  Bezug  auf  die  Hornhaut  weniger  günstig. 

Die  Behandlung  hat  die  entzündliche  Gewebswucherung  zu  be- 
schränken, etwa  vorhandene  übermässige  Nervenerreguugen  zu  beschwichtigen 

st  eil  wag,  Augenheilkunde.  6 


82  Keratitis  suppurativa;  Krankheitsbild. 

und  den  rückgängigen  Metamorphosen  der  neugebildeten  Elemente  den  Weg 
zu  bahnen.  Ist  ein  allgemeines  Leiden  vorhanden ,  welches  den  örtlichen 
Process  möglicher  Weise  beeinflussen  kann,  so  muss  selbstverständlich  auch 
diesem  die  gebührende  therapeutische  Berücksichtigung  werden.  Die  Mittel, 
um  den  ersten  beiden  Indicatiouen  gerecht  zu  werden ,  sind  von  denen 
nicht  verschieden,  welche  bei  der  Keratitis  vasculosa  mit  Erfolg  angewendet 
werden,  leisten  bei  der  diffusen  Art  aber  entschieden  weniger. 

In  neuerer  Zeit  hat  man,  namentlich  in  frischen  Fällen,  von  der  Paraceiitesis 
corneae  günstige  Wirkungen  gesehen,  indem  der  sonst  so  schleppend  verlaufende 
Process  innerhalb  8  —  14  Tagen  zur  Heilung  gebracht  wurde.  Bei  vascularisirender 
Keratitis  diffusa  mit  sehr  beträchtlicher  Ciliarreizung  und  bei  Complication  mit 
Iritis  scheint  dieses  Verfahren  jedoch  wenig  zu  leisten  (Hasner).  —  In  einzelnen 
Fällen  von  sehr  chronisch  verlaufender  und  ohne  erhebliche  Gefässeinspritzung 
einhergehender  Keratitis  diffusa  hat  man  von  der  Application  warmer  Umschlüge 
Nutzen  gesehen.  Gelang  es,  den  Bindehautsack  in  massigem  Grade  an  der  Ent- 
zündung zu  betheiligen,  so  erfolgte  die  völlige  Heilung  bisweilen  in  überi'aschend 
kurzer  Zeit  (Gräfe,  Secondi). 

Nähert  sich  der  entzündliche  Process  seinein  Abschlüsse  oder  ist  er  be- 
reits an  diesem  angelangt,  so  stellt  sich  häufig  die  Aufgabe,  die  sätimige 
Aufhellung  der  Trübungen  zu  beschleunigen.  Einstäubungen  von  Calomel  und 
Einstreichungen  der  gelben  Quecksilber  oxydsalbe  empfehlen  sich  dann  ganz 
besonders.  Stärkere  Reizmittel,  Opiumtinctur,  Lösungen  von  Kupfervitriol 
in  Glycerin  (Roosbroeck)  etc.  darf  man  erst  dann  mit  Vorsicht  anwenden, 
wenn  die  Reizerscheinungen  und  die  krankhafte  Empfindlichkeit  des  Auges 
ganz  geschwunden  sind.     Besser  werden  sie  gemieden. 

Quellen.  Mackenzie,  Prakt.  Abhandlung  über  die  Krankheiten  des  Auges. 
Weimar  1832.  S.  407.  —  Arlt,  Krankheiten  des  Auges.  Prag,  1851.  I.  S.  183.  — 
Hasner,  Kliu.  Vorträge  Prag,  1860.  S.  IGO,  162,  163  und  Prager  med.  Wochenschrift 
1864.  Nro.  1.  —  Hutchinson,  A  clinical  memoir  etc.  London,  1863.  S.  26.  —  Secondi, 
Clinica  ocul.  di  Genova.  Torino,  1865.  S.  13.  —  Gräfe,  A.  f.  O.  VL  2.  S.  133. 
XII.  2.  S.  259.  —  Sämisch  und  Pagensfecher,  kl.  Beobacht.  Wiesbaden,  1862.  II ; 
S.  109.  —  Roosbroeck,  kl.  Monatbl.  1863.  S.  493.  —  Tetzer,  Wien.  Augenklinik 
Ber.  S.  47,  50. 


5.  Keratitis  suppurativa. 

Krankheitsbild.  Eiterherde  in  der  Cornea  kennzeichnen  sich  durch  ihre 
dichte  lYübung  und  durch  die  in  ihrem  Inneren  vor  sich  gehende  Zerfallung 
und  Auflösung  der  Hornhautsubstanz  in  fettigkörnigen  Detritus. 

Die  Erscheinungen  der  Ciliarreizung,  welche  der  Hornhauteiterung  vor- 
angehen und  sie  begleiten ,  variiren  in  allen  Graden.  Bald  schlagen  die 
G efässsymptome  vor,  bald  die  Symptome  der  Nervenreizung,  bald  halten  sich 
beide  bei  hoher  Intensität  das  Gleichgewicht,  bald  aber  treten  sie  fast 
gänzlich  zurück,  die  Hyperämie  ist  eine  überaus  geringe  und  die  Symptome 
der  Nerveiierregung  fehlen  ganz.  Es  stehen  diese  Verschiedenheiten  in 
einigem  Zitsammenhange  mit  den  ursächlichen  Momenten  der  Eiterung  und 
finden  ihre  nähere  Erörterung  bei  der  Beschreibung  des  Verlaufes  der 
Keratitis  suppurativa. 

Der  Eiterherd  selbst  charakterisirt  sich  bald  als  ein  Abscess,  bald  als 
ein  offenes  Geschwür,  indem  er  einmal  in  dem  Parenchym  der  Hornhaut 
eingeschlossen  ist,  das  andere  Mal    aber  eine    nach  aussen  mündende  Sub- 


Hypopyum-Keratitis ;  Abscess.  83 

stanzlücke  (larstcUt.     Dazu    kömmt  dann    noch  die  Eitersenkung   in  Gestalt 
des  07iyx  und  des  Hypojjyum. 

In  Bezug-  auf  das  Letztere  stellt  es  sich  nämlich  immer  mehr  heraus, 
dass  die  in  der  Kammer  sich  sammelnden  Eitermassen ,  abgeselien  von 
Dur chhr Hellen  der  Cornealnhscesse  nach  hinten,  nicht  allein  von  Gewebs- 
wucherungen der  Iris  abgeleitet  werden  können ,  sondern  eine  wesentliche 
Quelle  in  entzündlichen  Prolificationcn  des  Wasserhautepithel  es  finden.  Es 
ist  diese  suppurativa  Hydromeningitis  allerdings  häufig  an  Iritis  geknüpft, 
welche  ihrerseits  wieder  sehr  gewöhnlich  in-  und  extensive  Formen  der 
Keraliiis  suppurativa  begleitet ;  doch  bildet  die  Iritis  keine  nothwendige 
Voraussetzung  des  Hypopyum.  Man  findet  derartige  Entzündungen  der 
Descemeti  in  der  Regel  neben  breiten,  sehr  ausgedehnten  Geschwüren  mit 
weissgelb  infiltrirtem  Rande  und  überhaupt  bei  allen  umfangreichen  und 
tiefgreifenden ,  mit  starker  Ciliarreizung  einhergehenden  Eiterherden  der 
Cornea  (Hypopyum-Keratitis,   Roser). 

A.  Der  Abscess  stellt  sich  äusserlich  als  eine  in  die  Hornhautsubstanz 
eingeschobene  Schichte  einer  opaken ,  gelblichweissen  oder  eitergelben, 
selten  von  beigemischtem  Blute  röthlich  oder  rostähnlich  gefärbten  Sub- 
stanz dar. 

Partielle  Abscesse,  falls  sie  nahe  dem  Centrum  der  Cornea  sitzen, 
erscheinen  meisthin  von  unregelmässig  rundlichem  Umfange;  falls  sie  der 
Peripherie  der  Cornea  näher  liegen  oder  an  sie  anstossen,  ist  ihr  Umriss 
gewöhnlich  nierenförmig  oder  gleicht  einem  Kreisabschnitte.  Der  Hand 
eines  solchen  partiellen  Abscesses  ist  oft  sehr  scharf,  oft  aber  geht  er 
in  einen  weissgrau  gefärbten  Saum  über,  welcher  sich  allmälig  in  eine 
grauliche,  wolkige  und  weiterhin  in  eine  sulzige  Trübung  auflöst.  Reicht 
diese  Trübung  bis  zur  Peripherie  der  Cornea,  so  findet  man  in  derselben 
wohl  auch  neugebildete  Gefässe.  Die  den  Abscess  von  voraeher  deckenden 
Hornhautschichten  sind  oft  wenig  verändert  und  deren  Oberfläche  er- 
scheint spiegelglatt.  In  anderen  Fällen  jedoch  zeigen  sie  sich  in  wechseln- 
dem Grade  getrübt,  bisweilen  auch  vascularisirt  und  von  mattem  rauhen 
Epithel  überkleidet. 

Der  Eiterherd  ist  in  seinem  Centrum  gewöhnlich  am  dicksten  und 
greift  daselbst  nicht  selten  nahezu  durch  die  ganze  Dicke  der  Hornhaut. 
Gegen  seine  Peripherie  hin  aber  verschmächtigt  er  sich  in  der  Regel 
bedeutend  und  endet,  falls  er  scharf  begrenzt  ist,  meistens  mit  einem 
schneideartig  zugeschlifFenen  Rande.  Er  lagert  häufig  in  den  mittelsten 
Schichtlagen  der  Hornhaut,  so  dass  er  nach  vorne  und  rückwärts  von 
einem  fast  gleich  dicken  Stratum  eiterfreier  Hornhautsubstanz  gedeckt 
erscheint.  Bisweilen  sitzt  er  aber  auch  in  den  hintersten  Blättern  der 
Cornea  oder  erscheint  gar  theilweise  zwischengeschoben  zwischen  Cornea 
und  Descemeti.  Endlich  kommen  nicht  selten  Fälle  vor,  in  welchen  die 
vorderen  Lamellen  die  Hauptmasse   des  Eiters    einschliessen. 

Bei  dem  Totalabscesse  der  Cornea,  dem  sogenannten  Vortex  purulenfus, 
erscheint  die  Cornea  in  einen  weissgelbcn  oder  eitergelben  Pfropf  ver- 
wandelt, dessen  Rand  bis  nahe  an  die  Sclera  stösst  und  dessen  gewöhn- 
lich schon  getrübte,  matt  angelaufene  Oberfläche  bedeutend  über  das 
normale    Niveau     hervorragt,   eine    Verdickung   der  Hornhaut  beurkundend. 

6* 


o4  Keratitis  suppurativa;  Krankheitsbild ;  Abscess. 

In  den  ersten  Stadien  ist  der  Inhalt  eines  Abseesses  nieisthin  nicht 
flüssig.  Sticht  man  den  Eiterherd  an,  so  iiiesst  nichts  heraus,  die  Wund- 
flächen  erscheinen  gelblichweiss  und  rauh  von  kleinen  Klümpchen  einer 
ziemlich  cohärenten  Masse,  welche  sich  als  Conglomerat  von  Kernen  und 
fettigkörnigem  Detritus  ergibt.  Die  Zeriliessung  in  Eiter  beginnt  meisthiu 
im  Centrum  des  Herdes,  öfters  indessen  auch  an  mehreren  Stellen  zu- 
gleich, es  bilden  sich  kleine  Eiterherde  in  der  starren  Masse  ,  die  sich  all- 
mälig  ausdehnen  und  zusammenfliessen.  In  manchen  Fällen  jedoch  ist 
das  Stadium  der  Starrheit  ausnehmend  kurz,  kaum  merkhch,  schon  sehr 
frühzeitig  ist  die  ganze  Masse  in  einen  dünnflüssigen  Eiter  aufgelöst,  der 
sich  bei  einem  Einstiche  rasch  entleert  und  bisweilen  selbst  geradezu 
hervorspritzt.  Es  gibt  kein  verlässliches  Zeichen,  welches,  so  lange  der 
Abscess  noch  geschlossen  ist,  die  Starrheit  oder  flüssige  Beschatfenheit  des 
Productes  immer  erkennen  Hesse. 

An  senkrechten  Durchschnitten  sieht  man  leicht,  dass  die  Eitermasse 
des  Abseesses  nicht  Einen  compacten  Klumpen  bilde,  etwa  in  der  Art, 
wie  bei  Abscessen  im  Unterhautbindegewebe ,  in  Muskeln  u.  s.  w.  Viel- 
mehr erscheint  das  Product  in  mehr  weniger  dicken  Scheiben  zwischen 
die  Faserschichten  der  Cornea  eingelagert,  der  Eiterherd  besteht  aus  ab- 
wechselnden Schichten  von  Entzündungsproduct   und   Faserlamellen. 

Die  Eiterscliicliten  sind  übrigens  nicht  alle  von  gleicher  Ausdehnung  und 
ihre  Centra  liegen  nicht  in  Einem  Radius  der  Hornhaut,  daher  der  Abscess  häufig 
ein  ganz  luiregelmässig  blätteriges  Aussehen  bekömmt.  Namentlich  gilt  dieses  von 
dem  eigentlichen  Centrum  des  Eiterherdes,  denn  hier  liegt  eben  eine  grosse  An- 
zahl von  Eiterschichten  über  einander.  Gegen  dessen  Grenze  hin  nimmt  die  Zahl 
der  letzteren  sehr  ab  und  oft  findet  man  daselbst  nur  eine  oder  die  andere  meist 
sehr  dicke  Lage  Eiter,  welche  Einen  Zvvischenblattraum  auf  eine  weite  Strecke 
hin  ausgedehnt  hat. 

Die  den  Eiferherd  durchsetzenden  Corneallamellen  scheinen  anfänglich,  beson- 
ders in  gewissen  Fällen,  an  dem  Processe  nur  wenig  Antheil  zu  nehmen,  indem  sie 
kaiim  merkliche  Veränderungen  zeigen.  Früher  oder  später  aber  beginnen  sie  sich 
ebenfalls  zu  trüben  und  zerfallen  endlich  unter  fortschreitender  Verflüssigung  des 
Entznndungsproductes  in  fettigkörnigen  Detritus,  Communicationen  zwischen  den 
einzelnen  Eiterlagen  vermittelnd.  Doch  auch  die  Lamellen  zerfallen  nicht  immer 
an  hinter  einander  gelegenen  Stellen,  sondern  jede  in  einem  anderen  Stücke  ihres 
in  dem  Eiterherde  eingeschlossenen  Theiles.  Der  eigentliche  Abscess  besteht  dann 
aus  über  einander  geschichteten  Eiterlagen,  welche  durch  regellos  zerstreute,  bald 
grössere  bald  kleinere  zackig  buchtige  Löcher  in  den  trennenden  Corneallamellen 
mit  einander  zusammenhängen.  Im  weiteren  Verlaiife  erst,  bald  früher  bald  später, 
schmelzen  diese  einspringenden  Faserlagen  mehr  zusammen  und  die  Abscesshöhle 
wird  so  eine  mehr  einheitliche. 

Der  Eiter  steht  im  Abscesse  unter  einem  gewissen  Drucke,  imd  drückt 
natürlich  selbst  auf  seine  Umgebungen.  In  Folge  dessen  tritt  der  flüssige 
Eiter  gerne  über  die  Grenze  des  Entzündungsherdes  hinaus  zwischen  die 
Cornealblätter  und  baucht  bei  massiger  Ablagerung  wohl  auch  die  vordere 
oder  hintere  Abscesswand  merklich  hervor.  Auch  steht  ohne  Zweifel  die 
bei  grossen  und  rasch  entstandenen  Abscessen  nicht  gar  selten  vorkom- 
mende brandige  Zerstörung  einzelner  Partien  des  Entzündungsherdes  damit 
in  einem  näheren  Zusammenhange. 

B.  Ausser  dem  Drucke  wirkt  auch  noch  die  Schwere  des  Eiters.  Da- 
her kömmt  es,  dass  sich  der  Eiter  bisweilen  zwischen  einzelnen  Lamellen 
der  Cornea  nach  abwärts  senkt  und  daselbst  sammelt,  die  betreffenden 
Hornhaut blätter  in  stets  wachsendem  Umfange  auseinander  drängend.  Man 


Onyx;  Hypopymn. 


85 


nennt  diesen  Zustand,  welcher  dieselbe  Bedeutung  wie  Eitersenkungen 
zwischen  Muskelfascien  u.  s.  w.  hat,  seiner  Aehnliclikeit  mit  der  Lunula 
der  Nägel  halber   Onyx^    Unguis,   Nagel. 

Der  Onyx  (Fig.  3  a)   lagert  in  der  Regel  in  den  ^'^-  ^• 

mittleren  Tuterlamellarräumcn.  Er  nimmt  immer  die 
tiefste  Stelle  derselben  ein.  Sein  unterer  der  Corneal- 
grenze  concentrischer  Rand  b  stösst  nicht  direct  an 
die  Sclera  an,  sondern  ist  von  deren  vorderer  Grenze 
stets  durch  einen  schmalen,  von  dem  Lirabus  con- 
junctivalis  gedeckten  Saum  getrennt.  Der  obere  Rand 
c  ist  geradlinig  oder  concav,  seltener  convex,  häufig 
nicht  völlig  scharf  begrenzt,  bildet  aber  stets  eine 
schneideälinliche  Kante.  Der  Onyx  stellt,  den  anatomischen 
Verhältnissen  entsprechend,  nämlich  fast  constant  eine 
blattartige  Schichte  dar,  welche  zwischen  die  Corneal- 
lamellen  eingeschoben  ist,  und  welche  man  bei  seitlicher 
Betrachtung  durch  die  ganze  Dicke  der  Kammer  von 
der  Iris  getrennt  findet. 

Dieser  bedeutende  Abstand  der  nach  vorne 
convexen  Eiterschichte  und  der  schneideähnliche  obere 
Rand ,  an  welchem  vorbei  man  die  tiefer  gelegenen 
Theile  der  Iris  deutlich  übersehen  kann,  sind  die 
Merkmale,  welche  den  Onyx  von  dem  Hypopyon  d  leicht 
unterscheiden  lassen.  Das  letztere  liegt  nämlich  der  Iris  an  und  bietet  von 
oben  gesehen  eine  der  Dicke  der  Vorderkammer  entsprechende  scharf 
begrenzte,  wenn  auch  oft  unregelmässige  Fläche  dar.  Ein  weiteres  solches 
unterscheidendes  Symptom  ist  die  im  Allgemeinen  grössere  Verschieblichkeit 
des  Hypopyon  bei  Seitenbewegungen  des  Kopfes.  Es  ist  dasselbe  indessen 
von  geringerer  Bedeutung,  da  auch  Onyces  bisweilen  leicht  ihren  Ort  ver- 
ändern und  umgekehrt  Hypopyen  nicht  gar  selten  vorkommen,  welche 
vermöge  des  überwiegenden  Gehaltes  an  mehr  starren  Elementen  nahezu 
fixirt  sind.  Am  schwierigsten  pflegt  die  Diagnosis  zu  sein,  wenn  Onyx 
und  Hypopyon  zugleich  auftreten  und  gleiche  Höhen  erreichen.  Das 
Vorhandensein  des  Onyx  lässt  sich  dann  bisweilen  nur  aus  der  geringen 
Dicke  der  vorlagernden  durchsichtigen  Hornhautscliichte  und  aus  der  Existenz 
eines    Abscesses  oder  Geschwüres  in  der  Cornea  errathen. 

In  einzehien  seltenen  Fällen  kömmt  der  Diagnosis  übrigens  die  Wahrnehm- 
barkeit des  Verbindtmgscanales  zwischen  Geschwür  oder'  Abscess  e  und  Onyx  zu 
Hilfe.  Es  erscheint  derselbe  als  ein  schmaler  eiterfarbiger  oder  trüber  Strang, 
welcher  in  ganz  luiregelmässigem  zackigen  Verlaufe  von  der  unteren  Peripherie  des 
Abscesses  zur  oberen  des  Nagels  hinzieht.  Es  besteht  derselbe  wohl  immer,  wenn 
er  auch  nicht  stets  nachweisbar  ist.  Bisweilen  kann  man  durch  Druck  auf  die 
untere  Hälfte  der  Cornea  dieses  sonst  unsichtbare  Kanälchen  mit  Eiter  füllen  und 
dasselbe,  indem  der  Eiter  in  die  Abscesshöhle  zurückgetrieben  wird,  zur  Wahr- 
nehmung  bringen. 

Die  Grösse  des  Onyx  ist  ausserordentlich  wandelbar.  Oft  präsentirt 
er  sich  als  ein  sehr  schmales  kaum  wahrnehmbares  eitergelbes  Säumchen, 
welches  wenig  über  den  Rand  des  Limbus  conjunctivalis  hervorragt  und 
ein  geübtes  Auge  voraussetzt,  um  gesehen  zu  werden.  In  anderen  Fällen 
ist    der    senkrechte    Durchmesser    desselben   1 — 2  Linien  lang.     Bisweilen 


86  Keratitis  suppurativa;  Krankheitsbild;  Geschwür. 

fliesst  der  obere  Eand  des  Onyx  sogar  mit  der  unteren  Peripherie  des 
Abscesses  zusammen,  ja  es  gibt' Fälle,  wo  beim  Sitze  des  letzteren  an 
der  obersten  Partie  der  Hornhaut  diese  fast  ilirer-  ganzen  Fläche  nach  von 
einem  Onyx  in  ein  vorderes  und  liinteres  Blatt  abgetheilt  erscheint. 

C.  Hornhautgeschwüre  kommen  sehr  häufig  vor.  Sie  entwickeln  sich 
in  den  meisten  Fällen  primär,  d.  h.  ohne  dass  ein  Abscess  vorangeht. 
Ein  Theil  der  Hornhaut  einschliessig  seiner  vorderen  Scliichten  trübt  sich 
sulzähnlich,  graulich  oder  eitergelb,  seine  Oberfläche  wird  matt,  gewinnt 
ein  eigenthümlich  gelockertes  rauhes  Ansehen,  zerfällt  und  stösst  sich  ab, 
eine  Substanzlücke  liinterlassend,  welche  bei  weiterem  Vorschreiten  des 
Processes  sich  allmälig  ausbreitet. 

Jeder  Theil  der  Hornhaut  kann  den  Sitz  eines  Geschwüres  abgeben. 
Dessen  Grösse  ist  selu*  verschieden.  Es  gibt  Geschwüre ,  welche  kaum 
einem  Hanfkorne  an  Umfang  gleichkommen  und  andere,  welche  über  den 
grössten  Theil  oder  über  die  ganze  Hornhaut  ausgedehnt  sind.  Die  Ver- 
schwärung  dringt  oft  nicht  über  die  vorderen  Cornealschichten  ein ;  während 
in  anderen  Fällen,  selbst  bei  geringerem  Umfange  des  Geschwüres,  dessen 
Boden  bis  nahe  an  die  Descemeti  eingetieft  oder  gar  durchbrochen  erscheint, 
so  dass  die  Kammer  mit  der  Aussenwelt  durch  eine  Oeffnung  der  Horn- 
haut in   Verbindung  tritt. 

Die  grösste  Mannigfaltigkeit  bietet  aber  die  äussere  Gestalt  dar.  Cen- 
trale Geschwüre  haben  gewöhnlich  eine  rundliche  oder  ovale  Form,  seltener 
sind  ihre  Contouren  unregelmässig,  winkelig,  buchtig.  Periphere  Geschwüre 
liingegen  erscheinen  bei  grösserer  Ausdehnung  oft  laneett-,  uieren-,  halb- 
mond-   oder  mondsichelförmig. 

Die  Ränder  sind  iu  der  Regel  flach,  das  Geschwür  gleiclit  einer  Mulde,  deren 
Boden  allseitig  fast  Tinmerklicli ,  unter  einem  sehr  stumpfen  iind  abgerundeten 
Winkel,  in  die  Hornhaiitoberfiäche  übergeht,  so  dass  die  Grenze  des  Geschwüres 
eine  undeutliche  wird.  In  anderen  Fällen  aber  fallen  die  Münder  des  Geschwüres 
steil  ab  oder  stehen  geradezu  senkrecht  auf  der  Cornealoberfläche  und  dem  Boden 
der  Substanzlücke.  Die  Flächen  der  Ränder  und  des  Bodens  sind  öfters  glatt,  ohne 
auffällige  Erhabenheiten.  Ebenso  oft  jedoch  erscheinen  dieselben  bei  mulden- 
förmigen Geschwüren  tre2ypenan'tig  oder  aufgehlättert.  Bei  steilen  Geschwüren  sind 
sie  bisweilen  fetzig,  wie  angefressen,  oder  wohl  auch  überhängend.  Der  Boden  des 
Geschwüres  als  Ganzes  ist  meistens  concav  und  glatt,  oder  von  kleinen  Hügelchen 
rai;h  uneben.  Bei  umfangreichen  und  tiefgreifenden  Geschwüren  wird  derselbe  in- 
dessen nicht  gar  selten  durch  den  intraocularen  Druck  7iach  vorne  getrieben  und 
tritt  blasenartig  über  die  Ränder  hervor.  Er  ist  häufig  von  einem  speckähnlichen 
oder  schmierigen,  eiterigen,  graulich-trüben  oder  sulzigen  Producte  in  wechselnder- 
Menge  überdeckt.  Die  Unterlage  und  die  Ränder  des  Geschwüres  erscheinen  meistens 
auf  eine  grössere  oder  geringere  Entfernung  hin  eitergelb,  grau  oder  sulzähnlich 
getrübt,  indem  die  Productbildung  in  dem  Umkreise  des  Geschwüres  fortdauert 
oder  gar  noch  weiter  schreitet. 

Oefters  zeigen  sich  auf  dem  getrübten  Boden  des  Geschwüres  auch 
Gefässe,  besonders  dann ,  wenn  sich  in  den  nachbarlichen  Portionen  der 
Cornea  eine  Keratitis  vasculosa  entwickelt  hat.  In  der  That  ist  die  Gefäss- 
entwickelitng  rings  um  die  Peripherie  des  Geschwüres  nicht  selten  eine 
ungemein  reichliche,  ein  dicht  gewebter  Kranz  unter  einander  verschlungener 
Gefässe  umgibt  die  vereiternde  Stelle ,  aber  nur  eine  kleine  Anzahl  von 
Zweigchen  überschreitet  den  Geschwürsrand ,  um  sich  unter  dem  Belege 
des  Geschwürbodens  zu  verlieren. 

Sitzt  das  Geschwür  nahe  der  Hornhautperipherie,  so  dass  ein  Eand- 
theil  desselben    mit  dem  Limbus    conjunctivalis    in  Berührung   steht,    oder 


Ursachen;  Neuroparalysis ;  Enkephalitis  infantilis.  87 

ist  das  Geschwür  bereits  durchgebroclicn  und  ein  Thoil  der  Iris  vorgefallen, 
so  erheben  sich  auf  dem  Boden  desselben  nicht  selten  Graimlatlonen,  welche 
bei  forts(;hreitondcr  Wucherung  schwanimähnlich  hervortreten  und  durch 
ihre  Flcischfarbe  sowie  durch  die  Neigung  zu  Hämorrhagien  einen  sehr 
grossen  Gefässreichthum  vcrrathen. 

Doch  kommen  auch  wiederum  Fälle  genug  vor,  wo  in  Folge  der 
raschen  Abstossung  des  Eiters  jede  Trübung  im  Bereiche  des  Geschwüres 
fehlt,  dieses  also  eine  Substanzliicke  mit  völlig  durehsichdyem  Grunde  und 
Rändern  darstellt. 

Ziemlich  oft  findet  sich  neben  Geschwüren,  wenn  dieselben  nicht  gerade 
in  der  Nähe  des  unteren  Hornhautrandes  sitzen,  der  Onyx.  Der  zwischen 
den  Lamellen  der  Gcschwürsränder  sich  entwickelnde  Eiter  senkt  sich,  die 
Blätter  auseinander  reissend ,    und  sammelt  sich    an  der  tiefsten  Stelle  an. 

Ursachen.  1 .  Es  sind  zum  Theile  dieselben  reizenden  Schädlichkeiten, 
welche  auch  die  anderen  Formen  der  Kei'atitis  begründen  können.  Zweifels- 
ohne kann  eine  grosse  Intensität,  eine  längere  Dauer  oder  öftere  Wieder- 
holung einer  Schädlichkeit  die  Wucherung  ausnehmend  begünstigen  und 
sohin  auch  den  Uebergang  des  Processes  in  Eiterung  veranlassen.  Allein 
es  reicht  diese  Erklärung  nicht  für  alle  Fälle  aus.  Häufig  folgen  ausge- 
breitete Verschwäruugen  auf  sehr  wnschrUnld  einwirkende  Schädlichkeiten 
von  verhält iiissmässig  geringer  Intensität  und  kurzer  Dauer,  ohne  dass  sich 
in  der  Constitution  des  Individuums  ein  genügender  Grund  dafür  auffinden 
lässt.  Obenan  müssen  in  dieser  Beziehung  gestellt  werden  chemische  und 
mechanische  Eingriffe  aller  Art,  besonders  aber  Verletzungen  der  eigentlichen 
Hornhautsubstanz ,  Verbrühungen  derselben  und  Anätzungen  durch  Kalk 
(Gouvea).  Die  Keratitis  suppurativa  ist  einer  der  bittersten  Feinde  aller 
Augenoperationen,  bei  welchen  die  Hornhaut  verwundet  wird.  Erschütterungen 
der  Cornea  führen  oft,  gerissene,  gequetschte  und  vornehmlich  verunreinigte 
Wunden  gewöhnlich  zur  Vereiterung.  Diese  ist  häufig  das  Jlittel ,  um 
steckengebliebene /remrfe  Körper  loszutrennen  und  zur  Abstossung  zu  bringen. 

2.  Eine  ganz  eigenthümliche  Art  der  Hornhautentzündung  ist  die 
neuroparalijtische  {^.  10).  Bei  unvollständiger  J^wümw^  der  betreff'enden  Nerven- 
zweige kömmt  sie  überhaupt  selten  vor,  bleibt  meistens  partiel,  steigert  sich 
gewöhnlich  nicht  bis  zur  wirklichen  eitrigen  Zerfällniss ,  sondern  bleibt  auf 
der  Stufe  der  einfachen  Infiltration  stehen  und  wird  häufig  wieder  rück- 
gängig. Bei  totaler  Lähmung  sämmtlicher  zum  Bulbus  ziehender  Quintus- 
zweige  aber  wird  die  Vereiterung  der  Hornhaut  ziemlich  oft  beobachtet. 
Die  Cornea  ist  dann  meistens  ihrer  ganzen  Grösse  nach  ergriffen.  Sie  trübt 
sich  erstlich  sulzähnlich,  dann  wolkig  grau,  milchweiss  und  endlich  eiter- 
gelb, schwillt  stark  an  und  zerfällt  in  grösserem  oder  geringerem  Umfange, 
Geschwüre  bildend. 

Zu  den  ejitfernteren  Ursachen  des  Leidens  zählt  alles,  was  die  Leitung 

im  fünften  Nerven    zu    beschränken    oder    gänzlich    aufzuheben  im  Stande 

ist :    Erkrankungen  seiner  Centraltheile,   Traumen,   Geschwulstbildungen  am 

Schädelgrunde  n.  s.  w.   und  vornehmlich    die   Meningitis   basilaris    in    ihren 

verscliiedenen  Formen,  einschliesslich  der  epidemischen  Cerebrospinalmeningitis 

(Canstatt,   Schirmer). 

Eine  besondere  Erwägung  verdient  in  dieser  Beziehung  eine  eigenthümliche 
Form  der  infantilen  Enkephalitis,  welche  sich  durch  ausgedehnte  Verfettigung  und 
Hyperämie   der   weissen   Hirnsubstanz,    besonders   der  Grosshirnheraisphären,    aus- 


38  Keratitis  suppurativa;  Ursachen;  Allgemeinkrankheiten. 

zeichnet  und  gerne  zur  Schrumpfung  und  Induration  führt  {Virchow,  Kleis).  Die- 
selbe scheint  selten,  dann  aber  mit  einem  epidemischen  Anstriche  aufzutreten,  ver- 
läuft chronisch,  fieberlos  und  ohne  auffällige  Hirnsymptome,  führt  jedoch  bald  zu 
progressivem  Marasmus  mit  mehr  oder  weniger  deutlichen  Störungen  der  Verdaiiung 
und  Assimilation,  um  schliesslich  unter  Erschöpfung  und  bronchopneumonischeu 
Erscheinungen  fast  constant  zu  tödten.  Das  Leiden  ergreift  sehr  selten  Kinder  in 
den  ersten  Lebenswochen,  meistens  sind  es  Individuen  zwischen  dem  2. — 6.  Lebeus- 
monate.  Dieselben,  bisher  anscheinend  gesund ,  beginnen  zu  kränkeln  und  immer 
mehr  zu  verfallen,  ohne  dass  eine  bestimmte  Allgemeinkrankheit  oder  ein  Organ- 
leiden deutlich  hervorträte.  Bald  stellt  sich  auf  einem  und  nach  Ablauf  weniger 
Wochen  auch  auf  dem  anderen  Auge  etwas  Lichtscheu,  leichtes  Thräneu  und  ge- 
ringe Injection  der  Episcleralgefässe  ein,  worauf  sich  eine  umschriebene  Stelle  der 
Cornea  graugelb  trübt  und  eitrig  zerfällt.  Das  Geschwür  greift  dann  unaufhaltsam 
oder  höchstens  mit  kleinen  Stillständen  immer  weiter  nach  Tiefe  und  Breite,  wäh- 
rend die  Bindehaut,  so  weit  sie  in  äh:  Lidspalte  blosliegt ,  trocken  und  schilfrig 
wird.  Binnen  kurzem  participirt  auch  die  Iris ,  ja  sämmtliche  Binnenorgane ,  das 
Auge  geht  durch  Panophthalmitis  zu  Grunde ,  wenn  nicht  früher  schon  der  Tod 
dem  Processe  ein  Ende  gemacht  hat  (Frank,  Fischer,   Graefe,  Hirschherg). 

Auch  während  dem  Verlaufe  schwerer  AUgemeinh-anJcheiien ,  des  Typhus, 
Scharlachs  etc.,  kommen  mitunter  Hornhaixtvei'schwärungen  vor,  welchen  man  eine 
neuroparalytische  Basis  unterschieben  könnte  (Arlt,  Graefe).  Doch  weichen  sie  in 
ihrem  acuten  Verlaufe  und  in  den  begleitenden  Erscheinungen  von  dem  eben  ge- 
schilderten Symptomcomplexe  sehr  ab  und  man  thut  vielleicht  besser ,  sie  den 
metastatischen  Formen  anzureihen. 

Dagegen  tragen  die  Hornhautverschwärungen,  welche  in  den  späteren  Stadien 
und  in  den  Naclikrankheiten  der  epidemischen  Cholera  öfters  beobachtet  werden, 
den  neuroparalytischen  Charakter  sehr  deutlich  zur  Schau.  Sie  sind  immer  mit 
acuter  Xerose  des  Lidspaltentheiles  der  Bindehaut  verknüpft  luid  zwar  erklärt  sich 
diese  Vertrocknung  aus  der  Stockung  der  Thränensecretion  und  des  Lidschlages, 
weiterhin  aber  aus  der  Sensibilitätsabnahme  des  Trigeminus  und  der  davon  ab- 
hängigen Schwächung  der  Reflexströmungen  (Graefe). 

Auch  bei  der  anästhelischen  Form  des  Lupus  (Spedahked)  macht  sich  die  Läh- 
mung des  Trigeminusstammes  durch  die  Ophthalmia  neuroparalytica  geltend  (Riegler, 
Bock,  Danielsen,  Crishobn).  Endlich  scheint  bei  der  Zuckerruhr  sehr  ausnahmsweise 
ein  solches  Localleiden  auftreten  zu  können  (Simrock) ;  wenigstens  wurden  in  ihren 
späteren  Perioden  gar  nicht  selten  Lähmungen  der  verschiedensten  Nervenbezirke 
beobachtet  (Seegen) ,  welche  geeigneten  Falles  eine  Ophthalmie  der  fraglichen  Art 
wohl  zu  erklären  vermögen. 

Ausserdem  sind  locale  Anaestheslrungen  der  Ciliamerven  als  mögliche 
pathogenetische  ilomente  zu  nennen.  Die  Verschwärungen  der  Cornea, 
welche  man  bei  Glaucomen,  bei  ausgebreiteten  Sclerochorioidalstaphylomen,  bei 
rasch  entstandenem ,  namentlich  bei  Basedow'schen  Exophthalmus  u.  s.  w. 
neben  beträchtlicher  Abstumpfung  der  Gefühlsnerven  findet ,  werden  in  der 
That  vielseitig  der  neuroparalytischen  Ophthalmie  zugezählt  und  aus  der 
Leitungshemmung  der  gezerrten  oder  gänzüch  unterbrochenen  Ciliarzweige 
abgeleitet  (Graefe). 

3.  Sehr  häufig  entwickelt  sich  die  Keratitis  suppurativa  neben  oder 
im  Gefolge  der  eitrigen  Panophthalmitis  (siehe  diese)  sowie  überhaupt  massiger 
Ablagerungen  von  Eiter  oder  Blut  im  Bereiche  der  Vordei-lcammer ,  und 
vermittelt  dann  den  Durchbruch  und  die  Entleerung  der  krankhaften  Pro- 
ducte.  Solehe  Panophthalmien  können  wieder  die  Bedeutung  primärer  oder 
seeundärer  AfFectionen  haben  imd  im  letzteren  Falle  mit  gewissen  Blut- 
erkranknngen :  Pyämie,  Tuberculose,  Typhus,  Puerperium,  Eotz,  anomal  ver- 
laufenden Exanthemen  u.  s.  w.  zusammenhängen,  indem  dieselben  entweder 
ursprünglich  sich  in  den  Hirnhäuten  localisiren  und  die  Entzündung  an  den 
Sehnervenscheiden    gegen    und    in    das  Auge  fortschreitet ,    oder    indem  das 


Verlauf;  Neuropavalytisclie  Form.  89 

Allgemeiuleiden  in  den  Biuneuorganen  gleich  von  vorneherein  einen   seihst- 
ständigen  Herd  begründet. 

4.  Nicht  selten  geht  die  Keratitis  suppurativa  aus  anderen  Formen  der 
Horiihautentzündun;/  durch  Steigerung  des  Wucherungspro cesses  liervor.  Bei 
der  Keratitis  diffusa  geschieht  dieses  nur  sehr  ausnahmsweise,  häufiger  bei 
der  vasculären  Form  und  am  häufigsten  beim  Herpes,  dessen  Effloresccnzcn 
sich  durch  Ausbreitung  des  Entzündungsherdes  gerne  in  Geschwüre  ver- 
wandeln ,  wclclie  niclit  mehr  den  herpetischen  Cliarakter  tragen ,  sondern 
mit  den  primär  entstandenen  vollkommen  übereinstimmen.  Ausserdem 
werden  brandige  oder  nekrohiotisclie  Partien  der  Hornhaut  gleich  fremden 
Körpern  von  Eiterherden  umgrenzt  und  so  die  Abstossung  des  lebens- 
unfähig Gewordenen  beschleunigt,   die  Heilung  angebahnt. 

5.  Endlich  kömmt  es  häufig  zur  Hornhauteitcrung  im  Verlaufe  der 
Blennorrhoe ,  Pyorrhoe,  der  Syndesmitis  diphtherica ,  membranosa ,  überhaupt 
jeder  Bindehautentzündung,  welche  mit  grosser  Intensität  auftritt  und  unter 
namhafter  Hyperämie ,  Schwellung  iind  Temperaturerhöhung  einhergeht. 
Es  pflanzt  sich  nämlich  der  Process  von  der  Conjunctiva  auf  die  Hornhaut 
fort  und  führt  in  der  letzteren  zu  ausgebreiteten  Verschwärungen. 

Der  Verlauf  der  Keratitis  suppurativa  ist  in  hohem  Grade  variabel. 
Er  wird  ziemlich  deutlich  von  den  ätiologischen  Momenten  des  Processes 
beeinflusst. 

1.  Wahrhaft  rapid  ist  er  in  der  Eegel  bei  jenen  Formen,  welche  in 

der    Localisation    gewisser  Ällgemeinleiden    (3.)    begründet    sind.      Innerhalb 

weniger  Stunden ,    eines  oder  zweier  Tage ,    ist  oft  die  ganze  Hornhaut  in 

einen    Vortex  purulentus  umgewandelt ,    welcher  rasch  zeriliesst ,   oder  aber 

zur  Absterbung    führt.     Merkwürdiger    Weise    sind    hierbei   die    Sj^mptome 

der  Reizung    nicht    immer  sehr    hervorstechend.      Sie    können  vielmehr   in 

allen  Graden  variiren  und  sind  oft  kaum  merklich. 

Die  Keratitis  suppurativa,  welehe  im  Laufe  solcher  Bluterkrankungen  auf- 
tritt, ist  übrigens  nicht  iiothwendig  an  massenhafte  Ergüsse  von  Eiter  in  den  Binnen- 
organen des  Augapfels  gebunden  und  noch  weniger  constant  eine  totale.  Oefters 
entwickelt  sich  in  derselben  höchst  acuten  Weise  und  mit  oder  ohne  auffällige 
Reizsyraptome  nur  ein  Abscess  oder  Geschwür  von  beschränktem  Umfange.  Diese 
können  sich  nun  allerdings  schnell  auslireiten  und  in  kurzem  zur  Hornliautphthise 
führen;  nicht  selten  bleibt  aber  der  Eiterherd,  wenn  einmal  der  erste  Schub  vorüber 
ist,  ein  mehr  ximgrenzter  und  verläuft  fürder  nach  der  Weise  anderer  ätiologischer 
Formen  der  Keratitis  suppurativa,  um  endlich  wie  diese  zur  Heilung  oder  Ver- 
narbung zu  gelangen.  Es  sind  dies  die  Fälle ,  welche  man  auf  neuroparalytinche 
Grundlage  zu  beziehen  geneigt  ist. 

2.  Nicht  minder  rasch  entwickeln  sich  Abscesse  und  Geschwüre  bei 
der  Blennorrhoe,   der  Syndesmitis  membranosa  iind  diphtherica. 

3.  Die  neuroparaly tische  Form  ist  im  Allgemeinen  eine  mehr  chronische. 
Es  kommen  allerdings  Fälle  vor ,  wo  die  Hornhaut  sich  i^asch  trübt  und 
innerhalb  weniger  Tage  durch  Eiterung  völlig  zerstört  wird.  Dies  sind 
aber  Ausnahmen.  Meistens  besteht  die  Paralyse  längere  Zeit,  ohne  dass  die 
Cornea  Zeichen  einer  Veränderung  darbietet,  ja  es  ist  das  Hornhautleiden 
gar  nicht  einmal  eine  nothwendige  Folge.  Kömmt  es  endlich  dazu ,  so 
bestehen  die  Entzündungsherde  nicht  selten  Wochen  und  Monate  lang  un- 
verändert fort,  gehen  wohl  auch  zeitweise  wieder  zurück,  treten  abermals 
hervor  u.  s.  f. ;  oder  es  entwickeln  sich  an  ihrer  Stelle  Geschwüre  von 
ausnehmend  chronischem  Verlaufe  und  geringer  Neigung  zur  Ausbreitung, 


90  Keratitis  suppurativa;  Verlauf. 

ja  Öfters  zeigen  diese  Geschwüre  sogar  deutlich  das  Streben  zu  vernarben, 
brechen  aber  wieder  auf  und  so  geht  es  fort,  bis  der  Process  an  der 
Cornea  zum  Abschluss  gekommen  ist. 

4.  Am  meisten  wechselt  der  Verlauf  bei  jenen  Formen  der  Keratitis 
suppurativa,  welche  scheinbar  spontan  oder  in  Folge  äusserer  Schädlich- 
keiten primär  auftreten.  Bald  ist  er  ein  überaus  langwieriger,  Wochen  in 
Anspruch  nehmender  und  zwischen  zeitweiligen  Exacerbationen  und  Re- 
missionen schwankender;  bald  ein  höchst  acuter,  so  dass  innerhalb  weniger 
Stunden,  eines  oder  zweier  Tage  ein  mehr  weniger  ausgebreiteter  xVbscess 
oder  ein  Geschwür  gebildet,  oder  wohl  auch  die  ganze  Hornhaut  in  einen 
Eiterstock  verwandelt  ist. 

Die  Reizerscheinungen  im  Bereiche  der  ciliaren  Gefässe  und  Nerven  sind 
dabei  mitunter  ausnehmend  gering.  Es  kommen  Fälle  vor,  wo  trotz  massen- 
hafter Eiterbildung  in  der  Cornea  die  Bindehaut  und  das  cpisclerale 
Gewebe  kaum  merklich  injicirt,  die  örtliche  Wärmeentwickelung  fast  normal 
ist  und  Schmerzen  gänzlich  fehlen.  In  anderen  Fällen  entwickelt  sich  der 
Herd  allerdings  iinter,  heftigen,  selbst  stürmischen  Irritationsphänomenen, 
doch  erschöpfen  sich  diese  sehr  rasch  und  der  Process  gewinnt  einen  auf- 
fällig torpiden  Charakter.  Aehnlich  den  sogenannten  Congestionsabscessen, 
kalten  Abscessen  und  Geschwüren  an  anderen  Körpertheilen  püegen  derlei 
reizlose  Eiterherde  in  der  Hornhaut  scharf  begrenzt  zu  sein,  sich  rasch 
in  die  Tiefe  und  auch  der  Fläche  nach  auszubreiten  und  selbst  die  ganze 
Cornea  zu  zerstören.  Sie  compliciren  sich  gerne  mit  Iritis  und  es  kömmt 
dann  nicht  gar  selten  zu  massenhaften  Hypopyen.  Das  Hinzutreten  hef- 
tigerer Eeizsymptome  ist  gewöhnlich  ein  gutes  Zeichen,  es  deutet  den 
Beginn  einer  begrenzenden  Reaction  an  und  diese  äussert  sich  auch 
meistens  durch  graue   Trübung  im  Umkreise  des  Eiterherdes. 

In  der  Regel  jedoch  sind  die  vasculären  und  nervösen  Reizsymptome 
während  des  ganzen  Verlaufes  selu*  deutlich  ausgeprägt.  Besonders  wo 
eine  auffällige  ätissere  Schädlichkeit  die  Veranlassung  abgegeben  hat,  pflegt 
die  Hyperämie  im  episcleralen  Gefüge  und  der  Bindehaut,  die  örtliche 
Wärmeentwickelung,  Schmerz  und  Lichtscheu  in  hohen  und  höchsten 
Graden  zu  wandeln ;  obgleich  es  auch  hier  wiederum  nicht  an  Beispielen 
fehlt,  in  welchen  nach  einer  V^erletzung,  z.  B.  nach  einer  Staaroperation, 
die  Cornea  unter  sehr  geringen  Reizerscheinungen  i'asch  vereitert.  Bei  alten 
decrepiden  Individuen  wird  dieses  nicht  gar  seltea    beobachtet. 

Ausgänge.  A.  Der  Abscess  ist  der  Heilung  durch  Resorption  fähig. 
Bei  kleinen  Abscessen,  namentlich  im  Kindesalter,  ist  die  vollständige  Auf- 
saugung nichts  ganz  Ungewöhnliches.  Je  grösser  aber  der  Eiterherd  und 
je  älter  das  Individuum  ist,  um  so  seltener  kömmt  es  zu  einem  solchen 
günstigen  Ausgange.  Falls  der  Eiter  auch  wirklich  nicht  zum  Durchbruche 
gelangt  und  allmälig  der  Zersetzung  und  Resorption  verfällt,  bleiben  doch 
in  der  Regel  ausgebreitete  und  dichte  leucomatöse  Trübungen  zurück. 
Diese  kommen  dann  theils  metamorphosirten  Resten  des  Eiters  auf  Rechnung, 
theils  neoplastischem  Gefüge,  welches  letztere  für  die  im  Inneren  des  Herdes 
zu  Grunde  gegangenen  Gewebstheile  Ersatz  leistet.  War  der  Abscess 
von  beträchtlichem  Umfange,  so  schrumpft  nebenbei  gewöhnlich  die  Cornea 
ihrer  ganzen  Ausdehnung  nach  und  verwandelt  sich  in  einen  trüben 
sehnenähnlichen    Knopf,    welcher    die    sehr    verengte    und    unregelmässige 


Ausgäuge  des  Abscesses  und  Onyx.  pX 

SclcralöfFming  dos  in  Scliwund  überp;ehouden  Bulbus  schliesst.  Bis- 
weilen setzt  sich  in  solchen  rüUen  ein  Theil  des  Eiters  in  eine  fettip;- 
kalkige  Masse  um,  welche  späterhin  nach  Art  eines  Concrementes  in  die 
getrübte   Coriiealpartio  eingesprengt    erscheint. 

Es  werden  übrigens  diese  Ausgänge  bei  hl<'nnorvhoischcn,pyori-hoischen  etc. 
Abscessen  und  dort,  avo  der  Eiterherd  der  Cornea  als  Theilerscheinung 
eines  Allgemeinleidens  auftritt,   kaum  jemals  beobachtet. 

Oftmals,  besonders  in  Eällen  der  letzteren  Art,  wird  die  Cornea  in 
der  ganzen  Dicke  und  Ausdehnung  des  Eiterherdes  rasch  zerstört,  somit  ein 
offenes  und  meistens  auch  x>erforirendes  Geschwür  gesetzt,  welches  sich  ent- 
weder alsbald  reiniget  und  vernarbt,  oder  nach  allen  Richtungen  lueiter 
greift  und  am  Ende  einen  grossen  Theil  oder  die  ganze  Cornea  consumirt. 

Bisweilen  scheint  dann  der  Process  mehr  mit  der  Nen-ohiose  übereinzu- 
kommen, die  Hornhaut  löst  sicli  in  einen  grauen  schmierigen  Brei  auf,  welclun- 
der  Iris  einige  Zeit  aufgelagert  bleibt,  ehe  er  sich  abstösst,  und  mit  Eiter  wenig 
Aehnlichkeit  hat.  In  anderen  Fällen  sti7^bt  die  Cornea  loohl  auch  völlig  ab  und 
verwandelt  sich  in  einen  missfärbigen,  übel  riechenden,  schmierigen,  oder  trockenen 
rissigen  Brandschorf,  welcher  sich  später  losstösst.  üie  weiteren  Folgen  sind 
dann  die  dei-  Phthisis  corneae. 

Bei  weitem  in  den  allermeisten  Fällen  geht  die  Schmelzung  im 
Eiterherde  langsamer  vor  sich,  es  bilden  sich  an  einer  oder  mehreren 
Stellen  des  Abscesses  Eiterhöhlen,  welche  allmälig  zu  grösseren  Hohl- 
räumen zusammenfliessen  und  durchbrechen.  Jlitunter  perforirt  der  Abscess 
nach  hinten,  der  Eiter  entleert  sich  theilweise  in  die  Kammer  und  erst 
später  geht  die  Vorderwand  der  Eiterhöhle  zu  Grunde  (Weber).  In  der 
Regel  jedoch  wird  zuerst  die  vordere  Wand  des  Abscesses  zerstört,  der 
Eiterstock  verwandelt  sich  in  ein  Hohlgeschwür,  welches  unter  fortschrei- 
tender Schmelzung  seiner  Wandungen  in  ein  offenes  Geschwür  übergeht , 
häufig  perforirt  und  nicht  selten  auch  zur  Phthisis  corneae  oder  zur 
Schrumpfung   führt. 

B.  Der  Onyx  an  sich  ist  von  relativ  geringerer  Bedeutung.  Wenn 
die  Eitersenkung  nicht  eine  sehr  massenhafte  ist,  so  schwindet  der  Nagel 
häufig  sehr  rasch  und  die  betreffende  Partie  der  Cornea  wird  in  der 
Regel  wieder  vollJcommen   durchsichtig. 

Es  ist  dieses  Schwinden  des  versenkten  Eiters  keineswegs  allein  auf  Resorp- 
tion zu  beziehen,  zum  grossen  Theile  kömmt  es  sicherlich  auf  Rechnung  einer 
wirklichen  Entleerung  nach  aussen.  Der  Onyx  steht  nämlich  durch  einen  Kanal  im 
Hornhautgefüge  mit  dem  Eiterherde  in  Verbindung,  und  öffnet  sich  dieser  nach 
aussen  oder  ist  er  von  vorneherein  ein  offenes  Geschwür,  so  stellt  einem  Ausfliessen 
des  Eiters  aus  der  Onyxhöhle  nichts  im  Wege. 

Bei  sehr  umfangreichen  Nägeln  ist  die  Prognose  weniger  günstig.  Da 
bleiben  in  der  Regel  leucomatöse  Trübungen  zurück,  indem  die  den  ver- 
senkten Eiter  einschliessenden  Faserblätter  dann  meistens  ziemlich  hart 
mitgenommen  werden,  ausserdem  aber  auch  ein  Theil  des  Eiters  sich  in 
unlösliche  kalhigfettige  Massen  umsetzt  und  in  dem  trüben  Gefüge  gleich- 
sam incapsulirt  wird.  In  Folge  dieser  Theilnahme  der  Lamellen  bricht  ein 
solcher  grosser  Onyx  wohl  auch  durch  und  verwandelt  sich  in  ein  Geschwür, 
das  allmälig  mit  dem  ursprünglichen  Herde  der  Eiterbildung  zusammen- 
fliesst  und  die  Zei-störung  mit  ihren  Folgen  vergrössert.  Bei  grossen  Nägeln 
bleibt  übrigens  die  weitläufige  Trennung  der  Cornealblätter  nicht  ohne 
Einfluss  auf  die  Ernährung  und  kann  eine  durch  die  Keratitis  an  sich 
vorbereitete   Atrophie  oder  Nekrose  etc.   fördern. 


92  Keratitis  suppurativa;  Ausgänge  des  Geschwilres;  Keratocele. 

C.  Das  offene  Geschwür  kann  1.  heilen,  ohie  dass  es  nothwendig  zu 
einer  Trübung  kömmt.  Bei  Kindern  namentlich  werden  unter  günstigen 
Verhältnissen  öfters  ausgedehnte  und  selbst  tiefgreifende  Geschwüre  von 
muldenförmiger  Gestalt  durch  pellucide  Hornhautsubstanz  völlig  wieder  aus- 
gefüllt und  spurlos  verstrichen ;  oder  sie  hinterlassen  nur  eine  ganz  ober- 
flächliche grauweisse  wolkenähnliche  Trübung,  welche  mit  der  Zeit,  bei 
fortsclireitendem  Wachsthume  der  Hornhaut,  sich  mehr  und  mehr  aufzu- 
hellen lind  am  Ende  wolil  auch  ganz  unkenntlich  zu  werden  vermag.  Bei 
Erwachsenen  lässt  sich  ein  solcher  Ausgang  nur  dann  hoffen,  wenn  das 
Geschwür  ein  oberflächliches,  wenig  ausgedehntes,  muldenförmiges,  mit  sehr 
flachen  Eändern  und  Grunde  ist.  Und  selbst  da  entwickelt  sich  oft  eine 
oberflächliche  Trübung,  welche  nach  einer  ungenügenden  theilweisen  Auf- 
hellung ständig  wird.  Im  Allgemeinen  pflegt  die  Trübung  bei  übrigens 
gleichen  Verhältnissen  um  so  ausgedehnter  und  dichter  zu  werden,  je  rascher 
das  Geschwür  sich  ausfüllt,  je  rapider  also  der  Gewebswucherungsprocess, 
welcher  die  Regeneration  vermittelt,    einherschreitet. 

2.  Bei  Geschwüren  mit  steil  abfallenden  Eändern  überhaupt,  sowie 
bei  sehr  ausgebreiteten  oder  tiefgreifenden  muldenförmigen  Geschwüren 
Erwachsener  wird  fast  immer  nur  ewi  Theil  der  Substanzlücke  durch 
pellucides  Cornealgefüge  ersetzt,  den  Eest  des  Substanzverlustes  füllt  grau- 
weisses  Gewebe.  Es  entsteht  so  ein  mehr  weniger  dicker  Sehnenfleck  oder 
eine  der  Form  nach  dem  geschwürigen  Substanzverluste  entsprechende  sehnen- 
ähnliche  Narbe. 

3.  Die  gefässreichen  schwammigen  Neubildungen  aiif  gramdirenden 
Geschwüren  wandeln  sich  im  weiteren  Vorlaufe  in  eine  sogenannte  Epithe- 
Ualnarbe  oder  in  eine  lockere  bindegewebige  Narbe  um,  welche  letztere  bei 
peripheren  Geschwüren  gleichsam  eine  Fortsetzung  der  Conjunctiva  bildet 
und     bei     starker    Schrumpfung    zu   einem  falschen  Flügelfelle    führen  kann. 

4.  Bei     Geschwüren  von  sehr  geringem   Umfange  wird,    wenn  die    Ver- 
schtoärung    sehr    tief,    bis  nahe  an  die  Descemet!,  gegriffen  hat,    der  über- 
aus   dünne   Geschwürsboden    in  Ge- 

^'S-  ^-  stalt    einer    convexeu  hanfkorn-  bis 

erbsengrossen  Blase  (Fig.  4  et)  her- 
vorgetrieben, welche  wegen  ihrer 
Dünnwandigkeit  in  hohem  Grade 
durchsichtig  zu  sein  pflegt,  wenig- 
stens am  Scheitel.  Man  hat  diesen 
Zustand  Keratocele ,  Hornhautbruch, 
Hernia  corneae  genannt.  Er  führt 
fast  immer  zum  Durchbruche  und  seinen  Folgen.  Mitunter  reisst  die  Blase 
ein,  das  Kammerwasser  entleert  sich,  die  Eissränder  verwachsen  aber  wieder, 
die  Blase  tritt  neuerdings  hervor,  um  abermals  zu  bersten  u.  s.  w.  In 
seltenen  Fällen  indessen  geschieht  es  aixch  wohl,  dass  die  Blasenwand  in 
Folge  fortgesetzter  Wucherung  der  oberflächlichen  Corneallagen  sich  all- 
mälig  verstärkt  und  am  Ende  in  ein  dickes  Stratum  von  Narbenmasse 
übergeht,  welches  mehr  und  mehr  schrumpft  und  so  die  Blase  wieder 
abflacht,  dass  sohin  der  Hornhautbruch  mit  Hinterlassung  einer  flachen 
Narbe   heilt. 


Keratectasia  uicerativa;  Durchl>ruch.  93 

4.  Bei  Geschwüren  von  grossem  Umfange  bedai'f  es  nicht  einer  po  be- 
deutenden Abtenfung,  um  Kc.tasicn  des  Bodens  zu  ei'möglichon ;  unter 
günstigen  Umständen  gedeiht  die  Ausdehnung  bisweilen  zu  holien  Graden, 
ohne  dass  das  Geschwür  ein  tiefgreifendes  war.  Oft  erscheint  der  Grund 
des  Geschwm'es  nur  leicht  vorgewölbt  (Fig.  4  h).  In  anderen  Fällen  tritt 
er  hlasenühnlich  heraus  und  zwar  so  stark,  dass  die  Schliessung  der  Lid- 
spalte erschwert  oder  gehindert  wird.  Man  belegt  diesen  Zustand  mit  dem 
Namen  der  idcerativen  Keratectasie.  Meistens  kömmt  es  unter  solchen  Um- 
ständen bald  zum  Durchbruche.  Unter  günstigen  Umständen  reinigt  sich 
jedoch  der  ectatische  Geschwürsgrund,  die  Gewebswuchei'uug  verliei't  mehr 
und  mehr  an  Intensität  und  die  neugebildeten  Elemente  beginnen  sich 
höher  zu  gestalten.  Die  vordere  Wand  der  Blase  wird  in  Folge  dessen  von 
einem  mehr  weniger  dicken  Stratum  neoplastischer  trüber  Corneal Substanz 
und  einem  trüben  Epithellager  überkleidet  und  die  Ectasie  selbst  in  Gestalt 
eines  „narbigen  Cornealstaphylomes'^  ständig.  Bisweilen  wird  indessen  durch 
die  Schrumpfung  und  Verdichtung  des  neugebildeten  oberflächlichen  Stratum 
auch  eine  Abflachung,  wenn  nicht  gar  eine  Verstreichung  der  Ectasie, 
ermöglichet. 

6.  Grosse  und  besonders  tiefgreifende  Geschwüre  führen  übrigens 
auch  nicht  selten  zu  Verkrümmungen  der  gesummten  Cornea  und  setzen  da- 
mit sehr  bedeutende  Functionsstörungen  des  Auges.  Indem  sich  nämlich 
der  Geschwürsboden  ausdehnt,  verlieren  die  umgebenden  nicht  verschwärteu 
Theile  ihren  Halt  und  werden  aus  ihrer  natürlichen  Stellung  herausgedrängt, 
nach  vorne  getrieben.  In  anderen  Fällen  jedoch  flacht  sich  die  ganze  Cornea 
ab,   indem  die  Narbe  schrumpft  und  ihre  Umgebungen  mit  sich  zieht. 

7.  J)  ex  Durchbruch  diXo\\iuxü.  so  mehr,  je  tiefer  das  Geschwür  eingreift  und 
je  grösser  sein  Umfang  ist.  Bei  Geschwüren,  welche  bis  nahe  an  die 
Descemet!  reichen,  ist  die  Perforation  fast  Regel.  Dieselbe  erfolgt  sehr 
.häufig  spontan.  Bei  weniger  tief  greifenden  Geschwüren  jedoch  geben  meistens 
momentane  Steigerungen  des  Binnendruckes  (S.  7),  wie  selbe  durch  plötz- 
liche respiratorische  Circulationsstörungen  oder  associirte  gleichzeitige 
kräftige  Zusammenziehungen  der  geraden  Augenmixskeln  gesetzt  werden, 
die  nächste  Veranlassung  ab.  Intensive,  besonders  krampfhafte  Anstren- 
gungen der  Rumpfmuskeln,  das  Auflieben  einer  schweren  Last,  starkes 
Bücken,  Niesen,  Husten,  Erbrechen,  heftiges  Pressen  bei  schwerem  Stuhl- 
gange u.   s.   w.   sind  gewöhnlich  die  entfernteren  Ursachen. 

Im  Momente  der  Perforation  entleert  sich,  falls  die  Durclibruchsöfl'nung 
eine  kleine  ist,  in  der  Regel  nur  das  Kammerwasser  und ,  indem  sich  der 
Glaskörper  unter  dem  Drucke  der  Augenmuskeln  nach  vorne  drängt,  wird 
die  Iris  sammt  der  Linse  an  die  Hinterwand  der  Cornea  angedrückt.  Ein 
Vorfall  der  Regenbogenhaut  ist  in  diesem  Augenblicke  bei  kleiner  Durch- 
bruchsöffnung nur  da?m  möglich,  wenn  das  perforirende  Geschwür  au  der 
äussersten  Peripherie  der  Hornhaut  gelegen  ist ;  ausserdem  aber,  wenn  ent- 
weder die  Linse  fehlt,  oder  wenn  die  Zonula  geborsten  ist,  was  bei  ^^ert- 
pheren  Cornealperforationen  bisweilen  im  Momente  des  Einreissens  des 
Geschwürbodens  geschieht. 

Bei  ganz  peripheren  Durclibrüchen  ist  uämlich  die  Üichtzing,  in  welcher  das 
Kammerwasser  nach  aiissen  strömt,  der  Irisoherfläche  nahezu  parallel.  In  Folge  der 
Reibung  wird  dann  leicht  gleich  im  ersten  Momente  der  der  Oeffnvmg  entsprechende 


94  Keratitis  suppurativa;  Ausgänge. 

Randtheil  der  Pupille  von  dei-  Linse  ahgelidhen  und  die  zugehörige  Portion  der 
Iris  von  dem  Kammerwasser  in  das  Loch  hineingetrieben.  Liegt  die  Perforations- 
öffniing  etwas  loeiter  entfernt  von  dem  Rande  der  Hornhaut,  so  kann  von  Seite  des 
Kammerwassers  ein  Prolapsus  im  Momente  des  Durchbruches  nicht  veranlasst 
werden,  da  hinter  der  Iris  niir  ein  Minivmm  jener  Flüssigkeit  vorhanden  ist,  das 
in  der  Vorderkammei-  befindliche  Flnidum  aber  in  einer  auf  die  FLäche  der  Iris 
fast  senkrechten  Richtung  oder  doch  unter  einem  grossen  Winkel  ausströmt,  die 
Regenbogenhaut  demnach  eher  vom  Loche  tveggestossen  werden  muss.  Ist  jedoch 
die  Linse  abhanden  gekommen  oder  die  Zonida  gehorsten,  so  gestalten  sich  die 
Verhältnisse  anders.  Dann  findet  nämlich  der  Glaskörper  Gelegenheit  in  die  Horn- 
hautöffnung einzudringen  und  die  Irisportion,  welche  letztere  verlegt,  vor  sich  her 
in  das  Loch  zu  treiben. 

Mit  der  Entleerung  des  Kammerwassers  wird  der  intraoculare  Druck 
Null;  dem  Seitendrucke  des  kreisenden  Blutes  steht  in  den  Binnengefässen 
des  Augapfels  nur  mehr  die  mechanische  llesistenz  und  die  muskuläre 
Contractionsfähigkeit  der  Gefässhäute  entgegen.  Haben  diese  gelitten,  so 
kömmt  es  leicht  zur  Berstung  und  es  wird  eine  Chorioidal-  oder  Netzhaut- 
hlutung  veranlasst,  welche  schwere  Folgen  haben  kann.  Bei  Normalität  der 
Gefässwaudungen  sind  diese  Zufälle  nicht  zu  fürchten ;  da  kömmt  es 
höchstens  zu  einer  A^isdehnung  der  Gefässe  und  weiterhin  vielleicht  zu 
passiven  Hyperämien  der  Chorioidea  und  Netzhaut,  welche  unter  Umständen 
allerdings  auch  manche  sehr  bedauerliche  Processe    anzubahnen  vermögen. 

a)  Eeisst  der  Geschwürshoden  einfach  durch,  ist  derselbe  noch  von 
einiger  Dicke  und  sind  die  tiefsten  Schichten  desselben  nicht  bereits  selbst 
in  Verschwärung  begriffen,  so  können  die  Eissränder  wieder  mit  einander 
in  Berührung  kommen  und  xjer  primam  intentionem  verwachsen.  Dann 
sammelt  sich  das  Kammerwasser  wieder,  die  Iris  mit  der  Linse  treten  in 
ihre  normale  Stellung  zurück  und  der  Zustand  gleicht  abermals  dem  vor 
der  Perforation.  Iklitunter  durchbricht  ein  Geschwür  mehrmals  und  schliesst 
sich  immer  wieder;  am  Ende  heilt  es  gerade  so,  als  ob  keine  Perforation 
stattgefunden  hätte. 

h)  Ist  die  Durchhruchsöffnuvg  eine  sehr  Meine  riindliche  geschwürige, 
oder  verheilt  ein  Einriss  nur  theilweise  per  primam  intentionem,  so  ge- 
schieht es  häufig,  dass  der  an  der  Oeffnung  fixirte  Theil  der  Vorderkapsel 
oder  Ii'is  auf  entzündlichem  Wege  mit  den  Rändern  des  Durchbruches  ver- 
loächst  und  so,  ohne  eigentlich  in  die  Wunde  selbst  einzudringen,  zur  Stopfung 
derselben  beiträgt,  worauf  die  Kammer  unter  Ansammlung  des  Humor 
aqueus  sich  wieder  herstellt. 

Ist  der  Durchhruch  ein  centraler,  so  wird  in  der  Hegel  ein  Theil  der 
Vorderkapselmitte  an  die  Wundränder  angelöthet^  während  die  Iris  frei 
bleibt.  Sobald  das  Kammerwasser  sich  dann  sammelt,  drückt  es  die  Linse 
nach  hinten.  Oefters  reisst  sich  die  Kapsel  von  dem  in  der  Durchbruchs- 
öffnung gelegenen  Pfropfe  völlig  los  oder  zieht  nur  einen  kleinen  Theil  des 
letzteren  mit  sich,  das  Loch  in  der  Hornhaut  bleibt  gestopft,  trotzdem  der 
Krystallkörper  in  seine  normale  Stellung  zurückgetreten  ist.  In  anderen 
Fällen  folgt  der  Pfropf  seiner  ganzen  Masse  nach  der  Linse,  die  Oeifnung 
ist  wieder  hergestellt,  das  Kammerwasser  fliesst  abermals  aus  und  so 
wiederholt  sich  der  Durchbruch  ein  oder  mehrere  Male,  bis  der  Pfropf 
endlich  hinlänglich  an  Grösse  und  Dichtigkeit  zugenommen  hat,  überdies 
aber  auch  fest  an  den  Wundi'ändern  haftet ,  so  dass  er  der  zui'ückwei- 
chenden    Linse    nur    theilweise    zu  folgen  vermag.     Das    Cornealgeschwür 


Irisanlieftung;  Vordere  Synechie. 


95 


heilt  dann  mit,  seltener  ohne  Hinterlassung  einer  Narbe  oder  oberflächlichen 
Trübung.  Der  etwa  auf  der  Vordc.rkapsel  sitzen  gebliebene  l'fropflheil 
schwindet  häufig  auf  dem  Wege  der  Resorption,  so  dass  die  Linse  wieder 
völlig  normal  erscheint.  Mitunter  wird  derselbe  aber  auch  ständig,  die  Mitte 
der  Yorderkapsel  bleibt  getrübt.  Ocfters  zerfällt  auch  die  dahinter  gelegene 
Portion  der  Linsensubstanz,  verkalkt  und  das  Resultat  ist  ein  sogenannter 
Centrallcapselstaar. 

Perforirt  die  Cornea  in  einiger  Ent-  ^'''S-  ■''• 

fernung  vom  Centrum,  so  wird  bei  Meiner 
hinterer  Durchbruchsöffnung  ein  Theil 
des  Pupillarrandes  oder  der  Breite  der  Iris 
angelöthet  (Fig.  5).  Doch  auch  diese  wird 
häufig  loieder  frei.  Mit  der  Herstellung 
des  Kammerraumes  beginnen  nämlich 
die  Irismuskeln  wieder  zu  wirken  und 
ziehen  im  Vereine  mit  der  Elasticität 
des  gespannten  Irisgewebes  den  an  der 
liinteren  Hornhautwand  angehefteten  Iristheil  nach  hinten.  Die  Lostren- 
nung erfolgt  bei  dem  geringen  Umfange  der  Verwachsung  in  der  Regel 
um  so  leichter,  als  die  aus  ihrer  normalen  Lage  gerückte  Partie  der  Längs- 
fasern und  der  Sphincter  pupillae  so  auf  den  Anheftungspunkt  c  der  Iris 
wirken,  dass  ihre  Kräfte  a  h  sich  nahezu  summiren  und  ihre  Resultirende 
d  fast  radiär  zur  Krümmung  der  durchbrochenen  Hornhautstelle  nach 
hinten  läuft.  Oefters  bleibt  keine  Spur  der  ehemaligen  Verwachsung  zurück. 
In  anderen  Fällen  findet  man  später  nur  ein  kleines  Häufchen  Irispigment 
an  der  durchgreifenden  Hornhautnarbe.  Bisweilen  wird  unter  dem  Zuge 
der  Iris  der  verbindende  Pfropftheil  zu  einem  oder  mehreren  Fäden  aus- 
gesponnen, welche  später  einreissen  und  verschwinden;  oder  aber  fortbe- 
stehen und  zwischen  der  hintersten  Portion  der  Cornealnarbe  und  der  Iris 
ausgespannt  bleiben.  Endlich  kommen  auch  Fälle  vor,  in  welchen  die 
Verlöthung  ständig  ivird,  die  Iris  also  ihre  normwidrige  Stellung  beibehält. 
Man  nennt  diesen   Zustand   eine  partielle  vordere  Synechie. 

c)  Bei  Durchbrüchen,  deren  hintere  Oejfnung  den  Umfang  eines  Ilirse- 
koriies  überschreitet,   pflegen  die  weiteren  Folgen  etwas  verschieden  zu  sein. 

Perforirt  die  Cornea  in  der  Mitte,  so  können  die  Ausgänge  allerdings 
den  vorhin  erwähnten  ähnlich  oder  gleich  werden.  Meistens  aber  verwächst 
ein  Theil  oder  der  ganze  Pvpillarrand  (Fig.  6)  mit  Fig.  e. 

den  Seiten  des  Pfropfes,  da  die  Pupille  bei  dem 
Durchbruche  Avegen  Verminderung  des  intraocu- 
laren  Druckes  sich  sehr  verengert  nnd  ihr  Mand 
sohin  mit  der  das  Cornealloch  stopfenden  neo- 
plastischen Masse  in  unmittelbare  Berührung  "' 
kömmt.  Die  Kapsel,  deren  Mitteltheil  a  an  die  Ränder  der  Perforations- 
öffnung angelöthet  wird ,  kann  durch  den  Druck  des  sich  sammelnden 
Kammerwassers  später  wieder  losgerissen  loerden  und  durch  Resorption  des 
ihr  etwa  aufsitzenden  Pfropftheiles  sogar  wieder  ihre  normale  Pellucidität 
erlangen.  Immer  aber  bleibt  unter  solchen  Verhältnissen  das  Sehvermögen 
sehr  beschränkt  oder  wird  gar  aufgehoben,  selbst  wenn  der  Pupillarrand 
unter  dem    Zuge  der  Trislängsrauskeln   sich   theilweise  wieder  frei   gemacht 


96 


Keratitis  suppurativa;  Ausgänge;  Irisvorfall. 


hätte,  indem  der  Rest  der  Pupille  ganz  oder  zum  grössten  Theile  hinter 
die  Trübung  fällt,  welche  das  Hornhautgeschwür  bei  seiner  Heilung  zurück- 
lässt.  Mcht  selten  jedoch  ist  die  Resistenz  des  Pfropfes  genügend  gross, 
um  dem  Drucke  des  sich  sammelnden  Kammerwassers  Widerstand  zu  leisten, 
die  Linse  bleibt  mit  der  Hornhaut  verbunden  und  die  Kammer  stellt  sich 
nicht  wieder  vollkommen  her. 

Bricht  die  Hornhaut  in  grösserer  Entfernung  von  ihrem  Centrum  durch, 
so  fällt  nach  Abfluss  des  Kammerwassers  wegen  der  raschen  Verengerung 
des  Sehloches  der  Pupillarrand  gewöhnlich  jenseits  der  Lücke,  es  legt  sich 
ein  Theil  aus  der  Breite  der  Iris  an  die  liintere  Cornealöffnung  und  wird 
daselbst  durch  den  von  hinten  andrängenden  Krystall-  und  Glaskörper 
festgehalten.  Die  Iris  verlegt  also  die  Oeffnung ,  ohne  sie  völlig  zu 
schliessen,  das  Kammerwasser  hat  freien  AbÜuss.  So  lange  dieser  ermög- 
lichet ist,  bleibt  der  Zustand  derselbe,  wenn  die  Verschwärung  nicht  weiter 
schreitet.  Früher  oder  später  beginnt  ein  entzündlicher  Process  in  der 
blosgelcgten  Irispartie  und  in  Folge  dessen  wird  dieselbe  ringsum  mit  den 
Rändern  der  Perforationsöffnung  verlöthet,  letztere  also  geschlossen.  ISTun 
sammelt  sich  wässerige  Feuchtigkeit  im  Kammerraume,  die  Linse  tritt  zu- 
rück, die  L-ismuskeln  können  wieder  wirken.  Falls  die  Vereinio-ung  der 
Iris  mit  der  Cornea  nicht  schon  eine  zu  feste  geworden  ist,  reisst  sich  die 
Iris  wieder  theilweise  los,  das  Kammerwasser  entleert  sich  abermals  und 
so  geht  es  fort ,  bisweilen  Wochen  lang.  Endlich  wird  die  Verwachsung 
eine  so  innige,  dass  die  Muskelkraft  der  Iris  zur  Trennung  nicht  mehr 
zureicht.  Der  sich  sammelnde  Humor  aqueus  übt  nun  einen  Druck  auf 
die  Hinterwand  der  Hornhaut  und  der  blosgelcgten  Irispartie  aus,  welche  letz- 
tere vor  der  Oeffnung  gleichwie  an  einem  Rahmen  ausgespannt  ist.  Dieser 
Druck  genügt  in  der  Regel,  um  die  fragliche  Irisportion  auszudehnen  und 
blasenähnlich  hervorzutreiben,    es  entwickelt  sich  ein  Irisvorfall ,  Prolapsus 

iridis  (Fig.  7).  Derselbe  erreicht  öfters 
kaum  die  Grösse  eines  Hirsekornes, 
in  anderen  Fällen  übersteigt  er  den 
Umfang  einer  grossen  Erbse.  Die 
Wandungen  der  Blase  sind  immer 
sehr  dünn ,  und  darum  scheint  der 
wenig  erleuchtete  Augengrund  schwarz 
durch. 

IHe  allmälige  Vergrösserung  der  Blase  kömmt  nämlicli  sum  grössten  Theile 
auf  die  Ausdehnung  des  gleich  ursprünglich  blosgelegteii  und  ringsum  festgelötheten 
Iristheiles.  Ein  Zuzug  von  Irissubstanz  findet  nur  insoferne  statt,  als  imter  dem 
bedeutenden  Drucke,  welcher  auf  die  Blase  von  hintenber  wirkt,  das  verlöthende 
NevgehiJde  gezerrt  wird  und  vielleicht  etwas  nachgibt.  Dieses  Nachgehen  ist  aber 
in  der  Regel  ein  sehr  unbedeutendes,  da  der  Widerstand  der  Verbindungsmasse  sehr 
erhöht  wird  durch  die  Wirkung  a  h  der  Irismuskeln,  welche  die  Regenbogenhaut 
gespannt  erhalten  und  von  dem  Loche  wegzuziehen  streben. 

Nicht  selten  berstet  die  Blase,  besonders  wenn  ihr  Umfang  ein  ziem- 
lich grosser  ist ,  denn  mit  der  Flächenausdehnung  des  Prolapsus  wächst 
der  Quotient  des  auf  ihn  wirkenden  intraocularen  Druckes.  Xach  erfolgtem 
Durchbruche  verlöthen  die  Rissränder  öfters  wieder,  die  Blase  tritt  neuer- 
dings hervor,  berstet  nochmals  u.  s.  w.  Endlich  werden  nach  einer  Per- 
foration die  zusammengefalteten  Blasenwände  durch  entzündliche  Producte 
zu  einem  dicken  Pfropfe  vereiniget,  welcher  sich  mehr  und  mehr  verdichtet 


Fig.  7. 


Vorfall  des  Pupillarrandes.  97 

und  nach  Verschluss  der  Oeffnung  dem  Drucke  des  Humor  aqueus  ge- 
nügenden Widerstand  leistet,  daher  zu  einer  flachen  durchy reifenden  Comeal- 
narbe  wird,  in  welcher  der  prolabirte  Iristheil  völlig  untevgclit  und  nur 
einige  Häufchen  körnigen  schwärzlichen  l'igmentos  zurücklässt.  Am  hin- 
teren Umfange  der  Narbe  hängt  die  Regenbogenhaut  dann  ringsum  fest. 
Die  Pupille  ist  unter  solchen  Umständen  immer  frei,  höchstens  etwas 
verzogen,  meistens  auch  sehr  beweglich  und,  da  das  Narbencentrum  jen- 
seits ihres  Randes  steht ,  wird  dieselbe  gewöhnlich  nur  theilweise  von  der 
Cornealtrübung  überdeckt;  häufig  fällt  sogar  das  ffcmze  Sehloch  gegenüber 
einer  völlig  durchsichtigen  Poi'tion  der  Hornhaut.  Das  Sehvermögen  wird  bei 
Vorfällen  eines  Theiles  aiis  der  Breite  der  Iris  also  höchstens  beschränkt, 
nicht  aber  völlig  aufgehoben ,  und  die  Beschränkung  ist  oft  nicht  sowolil 
die  Folge  einer  Ueberdeckung  der  Pupille,  als  vielmehr  der  durch  die  An- 
löthung  beeinträchtigten  Functionstüchtigkeit  der  Iris  selber. 

Weit  weniger  günstig  gestalten  sich  die  Verhältnisse,  wenn  ein  Theil 
des  Pupillarrandes  an  die  Durchbruchsöffnung  gelangt.  Es  kann  dieses 
gleich  im  Momente  der  Perforation  geschehen.  Eben  so  oft  geschieht  es 
aber  auch  erst  in  weiterer  Folge ,  nachdem  ursprünglich  nur  ein  Theil  aus 
der  Breite  der  Iris  biosgelegt  worden  war,  und  zwar  ist  das  fragliche  Er- 
eigniss  dann  einmal  das  Resultat  einer  Vergrösserung  des  Loches  wegen 
foi'tschreitender  Verschwärung ;  das  andere  Mal  aber  findet  es  seine  nächste 
Veranlassung  in  der  pax'tiellen  Schmelzung  jeuer  Producte,  welche  den  bios- 
gelegten Breitentheil  der  Regenbogenhaut  an  die  Geschwürsränder  anlöthen. 
Es  wird  in  letzterem  Falle  nämlich  die  an  die  Lochränder  angeheftete 
L'ispartie  unter  dem  Drucke  des  Kammerwassers  leicht  losgerissen  und  der 
betreffende  Theil  des  Pupillarrandes  von  dem  nach  aussen  strömenden 
Humor  aqueus  in  die  Perforationsöffnung  hinein  getrieben. 

Schreitet  nach  einem  solchen  Vorgange  die  Verschwärung  nicht  loeiter, 
so  wird  das  biosgelegte  oder  vorgefallene  Stück  der  Pupillarzone  durch 
entzündliche  Producte  an  die  Lochränder  angeklebt  und  der  Rest  der  Oett- 
nung  durch  einen  Pfropf  geschlossen  (Fig.  8) ,  welcher  nach  hinten  mit 
der  Linse  oder  mit  dem  anliegenden  Theile  des  Glaskörpers  in  Verbindung 
tritt.  Weiterhin  verdichtet  sich,  während  die  Linse  unter  dem  Drucke  des 
sich  sammelnden  Kammerwassers  wieder  frei  p.     g 

wird,    die   neugebildete    Masse    allmälig    zu 


einer  Narbe,  mit  welcher  natürlich  der  be- 
treffende Theil  der  Pupillarzone  der  Iris 
verwachsen  bleibt.  Das  Sehloch  erscheint 
dann  im  Verhältnisse  zur  Grösse  des  einge- 
lötheten  Bogentheiles  des  Pupillarrandes  verkleinert  und  der  Rest  desselben 
fällt  theilweise  oder  ganz  hinter  die  Cornealnarbe ,  woraus  begreiflicher 
Weise  eine  sehr  bedeutende  Beeinträchtigung  oder  völlige  Aufhebung  des  Seh- 
vermögens resultirt. 

Viel  trägt  zu  diesen  üblen  Folgen  der  Umstand  bei,  dass  während 
dem  Abflüsse  des  Kammerwassers  ,die  Pupille  sich  sehr  verengt  und  sohin 
selbst  bei  kleiner  Oeffnung  der  Hornhaut  ein  verhältnissmässig  grosser  Theil 
des  Pupillarrandes  an  das  Loch  gelangt  und  daselbst  fixirt  werden  kann. 
Ueberdies  kömmt  in  Betracht,  dass  nach  erfolgter  Stopfung  der  Perforations- 
öffnung die  Irismuskeln  sogleich  zu  spielen  beginnen,  der  Kreismuskel  nun- 

SteUwag,   Augenheilkunde.  7 


98  Keratitis  suppurativa;  Ausgänge. 

mehr  aber  an  dem  Pfropfe  einen  fixen  Punkt  gewonnen  hat,  geyen  welchen 
er  hinzieht.  Er  bringt  auf  diese  Weise  neue  und  neue  Portionen  des 
Pupillarrandes  in  die  Nähe  des  Pfropfes  und  macht  deren  Verlöthung  mög- 
lich ,  besonders  wenn  gleiclizeitig  das  Ii'isgefüge  in  grösserer  Ausdehnung 
in  entzündliche  ;^ßtleidenschaft  geräth.  In  der  That  sieht  man  bei  der- 
artigen Bloslegungen  eines  Theiles  des  Pupillarrandes  und  bei  nachträg- 
licher Anheftung  desselben  an  die  Cornea  öfters,  namentlich  bei  peripheren 
Durehbrüchen,  dass  die  entgegengesetzte  Hälfte  der  Iris  gegen  das  Hornhaut- 
loch hin  gezerrt  und  das  Centrum  der  Pupille  in  gleicher  Eichtung  yer- 
schoben  wii'd.  Die  Gestalt  des  Sehloches  wii'd  dabei  länglich,  selbst  spalt- 
fdrmig,  und  der  von  der  Perforationsöffnung  entfernteste  Eandtheil  desselben 
nähert  sich  der  letzteren  melrr  und  mehr:  ja  in  einzelnen  Fällen  tritt  er 
geradezu  bis  zu  dem  Pfropfe  heran ,  verlöthet  mit  ilxm  und  so  wird  die 
Pupille  völlig  geschlossen. 

Ist  das  blosgelegte  Stück  der  Pnpillarzone  von  einiger  Breite ,  hat  also  die 
Durchbrucbsöffiiung  einen  ziemlichen  Durchmesser  und  fällt  der  Pupillarraudtheil 
nahe  an  den  centralen  Umfang  des  Hornhaiitloches :  so  kann  nach  erfolgter  Ver- 
löthung die  blosgelegte  Irispartie  hlasenförniig  ausgedehnt  werden,  während  ihr  Eand- 
theil mit  dem  centralen  Umfange  der  Hornhautöflnung  in  Berührung  bleibt.  In 
einzelnen  Fällen  geschieht  es  auch  wohl,  dass  nicht  nur  die  fragliche  Portion  der 
Iris,  sondern  auch  ein  Theil  des  Pfropfes  ausgedehnt  wird,  welcher  die  blosgelegte 
Portion  des  Pupillarrandes  lixirt,  dass  sich  also  ein  Prolapsus  entwickelt,  dessen 
centrale  Partie  aus  neugebildeter  Masse  besteht. 

d)  Bei  Durchhrüchen ,  deren  hintere  Oeffnung  den  Umfang  einer  Erbse 
üherschreitet,  gelangt  fast  immer,  selbst  bei  peripherer  Lage  des  Geschwüres, 
ein  Theil  des  Pupillarrandes  in  den  Bereich  des  Loches.  Die  blosgelegte 
Ii'isportion  wird  dann  dui'ch  die  nach  vorne  rückende  Linse  an  der  Hinter- 
wand der  Cornea  fixirt,  entzündet  sich  und  verwächst  ringsum  mit  den 
Eändern  des  Durchbruches,  während  gleichzeitig  die  verengte  Pupille  durch 
einen  ExiSudatpfropf  geschlossen  wird ,  welcher  einerseits  an  der  Vorder- 
kapsel, andererseits  an  dem  Lochrande  der  Hornhaut  festhaftet.  Es  ent- 
wickeln sich  dann  auf  der  biosgelegten  Irisportion  bald  Granulationen, 
welche  sich  allmälig  verdichten  und  die  Horuliautlücke  narbig  schliessen. 
„.     -  Häufig  wird  der  blosgelegte  Ii'istheil 

nach  erfolgter  Verlöthung  mit  den  Eän- 
dern des  Durchbruches  durch  den  von 
hinten  andrängenden  Humor  aqueus  aus- 
gedehnt und  in  Gestalt  einer  erbsen-  bis 
bohnengrossen  Blase  hervorgetrieben ,  es 
entsteht  ein  umfangreicher  Prolapsus  iridis 
(Fig.  9) ,  welchen  man  mit  dem  Namen  eines  partiellen  Irisstaphglomes  zu 
bezeichnen  pflegt.  Es  kann  diese  Blase  bersten  und  die  zusammengefalteten 
Wände  derselben  können  dann  zur  Grundlage  einer  flachen  Narbe  werden. 
Oft  besteht  aber  die  Blase  fort,  die  ectatischen  Wandungen  wuchern  und 
wandeln  sich  in  ein  dichtes  Narbengefüge  um,  man  hat  ein  partielles  Nai-ben- 
staphyloni  vor  sich. 

Nicht  selten  entleert  sich  bei  so  grosser  Oeffnung  im  Momente  des 
Durchbruches  oder  später  die  Linse  und  ein  Theil  des  Glaskörpers.  Der 
Augapfel  sinkt  dann  zusammen,  seine  Wände  falten  sich  und  in  Folge  der 
gänzlichen  Aufhebung  des  intraocularen  Druckes  entwickeln  sich  sehr  be- 
deutende  Hyperämien   der   Uvea  und  Netzhaut.      Gewöhnlich  schliesst  sich   die 


PartiüUes  Irisstiiphyloia;  l'hthisis  corneae.  99 

Perforationsöffnuuy  innerhalb  einiger  Tage,  indem  wegen  dem  Zusammen- 
sinken des  Augapfels  die  lländer  des  Loches  in  der  Hornhaut  sich  nähern 
und  die  Ocffnung  selbst  durch  die  prolabirto  Irisportion  thcilweise  gestopft 
wird,  überdies  aber  die  Pupille  alsbald  obliterirt.  Weiterhin  verwächst 
die  vorgefallene  Kegenbogenhautpartie  mit  den  Uurchbruchsrändern  und 
wird  zur  Grundlage  einer  mehr  weniger  dicken  und  dichten  Hornhautnarbe. 
Diese  kann  ebenfalls  ectatisch  werden,  es  kann  ein  partielles  Narhenstaphylom 
resultiren.  Meisthin  aber  hleAht  die  Narbe  flach,  ja  gewöhnlich  schrumpft 
auch  der  7iicht  verschwärte  Theil  der  Hornhaut,  die  vordere  Hälfte  des 
Bulbus  flacht  sich  ab,  der  Augapfel  loird  atrophisch.  In  ziemlich  vielen 
Fällen  kömmt  es  nach  der  theilwciscn  Entleerung  des  Augapfels  wohl  gar 
zu  sehr  intensiven  Entzündumjen  in  dessen  Innerem.  Die  bedeutende  Hyperämie, 
welche  aus  der  Aufhebung  des  intraocularen  Druckes  resultirt  und  öfters 
zu  parenchymatösen  Blutungen  führt,  ist  ein  wichtiges  vorbereitendes 
Moment.  In  einem  solchen  Falle  vereitert  dann  häufig  der  liest  der  Cornea, 
die  Iris ,  ja  selbst  ein  grosser  Theil  der  Ader-  und  Netzhaut ,  der  Eiter 
entleert  sich  und  der  solchermassen  phthisisch  gewordene  Bulbus  schrumpft 
am  Ende  auf  einen  kleinen  unregelmässig  gestalteten  Stumpf  von  Erbsen- 
bis  Bohnen-   oder  Haselnussgrösse  zusammen. 

Ausnahmsweise  stürzt  im  Momente  des  Durchbruehes  der  Glaskörper  mit 
solcher  Gewalt  hervor,  dass  ein  Tlieil  der  an  seiner  äusseren  Wand  haftenden 
Netzhaut  von  der  Ora  serrata  losgerissen  wird,  prolahirt  und  in  die  Narhe  ehigelöthet 
wird.  Bei  vorläixliger  Erlirankung  der  Aderhaut  kömmt  es  wolil  auch  zu  mäclitigen 
Blutergüssen  im  Inneren  des  Auges.  In  einzelnen  Fällen  ergiesst  sich  eine  so  grosse 
Menge  Bhit  zwisclien  Choriuidea  und  Sclera,  dass  erstere  ringsum  von  letzterer 
losgelöst,  ja  wohl  auch  ein  Theil  des  Oiliarmuskels  abgesprengt  wird  und  das  Blut 
nach  aussen  fliesst.  Was  zurückbleilit,  gerinnt  und  organisirt,  während  der  Bulbus 
mehr  und  mehr  dem  Schwunde  verfallt,  zu  dicken  Schwarten. 

e)  Geht  die  Hornhaut  yrösstentheils  oder  ganz  durch  Vereiterung,  Nekro- 
hiose  oder  Brand  zu  Grunde,  so  entleert  sich  die  Linse  und  ein  Theil  des 
Glaskörpers  natürlich  um  so  leichter.  Phthisis  des  Augapfels  ist  daher  eine 
sehr  gewöhnliche  Folge   dieses  Ereignisses. 

Es  kommen  indessen  auch  Fälle  vor,  wo  die  Linse  in  ihrer  normalen 
Verbindung  mit  dem  Strahlenkörper  bleibt  und  ihre  Integrität  bewahrt,  oder 
wo  blos  die  Vorderkapsel  eingerissen  wird  und  der  Linsenkern  sich  ent- 
leert. Es  erscheint  dann  die  Kegenbogenhaut  hinter  der  normwidrigen 
Oeffnung  ausgespannt,  die  Pupille  ist  sehr  verengt  und  wird  binnen  kur- 
zem durch  einen  neoplastischen  Pfropf  geschlossen ,  welcher  hinten  mit 
dem  Centrum  der  Vorderkapsel  verschmilzt.  Indem  die  Iris  sich  entzündet, 
lockert  sie  sich  auf,  schwillt  an,  wird  gefässreicher  und  es  erheben  sich 
an  ihrer  Oberfläche  Fleischwärzchen ,  durch  welche  die  äusserste  Zone  der 
Regenbogenhaut  mit  den  geschwürigen  Kändern  des  Durchbruches  ver- 
einiget wird.  Später  verdichtet  sich  diese  Neubildung  zu  einer  Narbe, 
welche  mehr  und  melu*  schrumpft  und  sich  auf  ein  rundliches  oder  ovales 
Scheibchen  von  dem  Umfange  einer  Erbse  zusammenzieht.  Die  Vorderzone 
der  Sclera  wird  so  gegen  die  optische  Axe  liin  gezerrt  und  nicht  selten 
sehr  bedeutend  abgeflacht,   während  der  Bulbus  als    Ganzes  atrophirt. 

Es  geschieht  übrigens  auch  nicht  selten,  dass  die  blosliegende  Iris 
nacli  Verschluss  des  Sehloches  und  Verlöthung  seines  Randes  mit  der 
Vorderkapsel  theüweise  oder  ganz  durch  das  sich  wieder  sammelnde  Kam- 
merwasser ausgedehnt  und  in  Gestalt  einer  gewaltigen  Blase  über  die  Ebene 

7* 


100 


Keratitis  suppurativa;  Ausgänge;  totales  Irisstapliylom. 


Fig.   10. 


der  vorderen  Scleralöffnuiig    hervorgebaucht  wird.     Man  nennt  diesen  Zu- 
stand  totales  Irisstapliylom. 

Wird  die  Iris  ihrem  ganzen  Umfange  nach  ectatisch,  so  erscheint  das 
Zenith  der  Blase  in  der  Regel  genabelt   (Fig.    10),    indem  der  die  Pupille 

schliessende  Pfropf  sich  nicht  so  stark 
ausdehnt,  als  die  Irissubstanz  selbst. 
Es  setzt  dieser  Ausgang  natürlich  vor- 
aus, dass  sich  der  Pfropf  entweder  von 
der  ^^orderkapsel  wieder  gelöst  habe, 
oder  dass  die  Zonula  geborsten  und 
die  Linse  dem  Pfropfe  nach  vorne  in  die 
Concavität  des  Staphyloms  gefolgt  sei. 
Wo  die  Vorderkapsel  ihre  normale  Stellung  bewahrt  und  der  Pupillar- 
rand  der  Iris  sich  von  ihr  nicht  losgerissen  hat,  können  blos  ein  oder 
mehrere  Theile  der  blosgelegten  Iris  ausgebaucht  werden,  während  der  Rest 
der  Regenbogenhaut  und  ihre  Pupillarzone  in  ihrer  normalen  Lage  ver- 
harren und  sich  allmälig  in  eine  flache  j^arbe  verwandeln.  Das  Staphylom 
erscheint  dann  meist  wulstähnlich. 

In  einem  oder  dem  anderen  Falle  ist  die  Ausdehnung  der  ectatischen 
Iris  nicht  an  allen  Stellen  eine  völlig  gleichmässige.  Mcht  selten  bilden 
sich  vorläufig  Adhäsionen  zwischen  der  hinteren  Irisfläche  und  der  Vorder- 
kapsel und  die  verbindenden  bindegewebigen  IS^eugebilde  setzen  der  aus- 
dehnenden Gewalt  des  Kammerwassers  einen  grösseren  Widerstand  ent- 
gegen; sie  werden  dann  erst  zu  Fäden  ausgesponnen,  ehe  sie  einreissen 
und  bedingen  so  an  der  Oberfläche  des  Staphyloms  Einziehungen.  In 
anderen  Fällen  wuchert  das  Irisgewebe  selbst  sehr  stark  und  an  einzelnen 
Stellen  der  Blase  bilden  sich  sehnige  Flecke  oder  Stränge,  welche  weniger 
dehnbar    sind.     In   beiden    Fällen    erscheint   (Fig.   11)    die    Oberfläche    des 

Staphyloms  uneben  hügelig ,  mit  ein- 
springenden sich  vielfach  kreuzenden 
Furchen,  die  Ectasie  gewinnt  eine  ent- 
fernte Aehnlichkeit  mit  einer  Beeren- 
traube, daher  der  Name  :  Traubenstaphy- 
lom,   Staphyloma  iridis  racemosum. 

Das  Staphylom  der  Iris  kann  bersten 
und  sich  wieder  füllen,  oder  aber  nach 
erfolgter  Berstung  zusammengefaltet 
bleiben  und  zur  Grundlage  einer  flachen  Narbe  werden.  Oft  jedoch  wuchern 
die  Wände  des  Ii'isstaphyloms  fort  und  wandeln  sich  in  eine  mehr  weniger 
dicke  Narbenmembran  um,  die  ständig  ist,  es  hat  sich  das  Irisstaphj-lom  in 
ein  totales  Narbenstaphylom  der  Hornhaut  umgebildet.  Der  Bulbus  bleibt 
dann  in  der  Regel  vergrössert ,  obgleich  die  inneren  Theile  desselben 
atrophiren. 

Behandlung.  Die  Aufgaben  der  Therapie  beziehen  sich  zum  Theile 
auf  die  Beschränkung  und  Unterdrückung  der  Suppuratlon;  zum  Theile 
haben  sie  die  Bedingungen  für  einen  möglichst  günstigen  Verheilungsmodus 
der  Substanzlücke  herbeizuführen;  zum  Theile  endhch  zielen  sie  auf  Ver- 
hütung der  mannigfaltigen  secundären  Zufälle  und  auf  möglichste  Ver- 
kleinerung der  daraus  hervorgehenden  Schäden. 


Fig.  11. 


Behandlung;  Antiphlogose.  101 

1.  Um  der  Eiterbildung  und  damit  der  fortschreitenden  Zerstörung  des 
Hornhautgefiiges  zu  steuern,  gelten  im  Allgemeinen  ähnliche  therapeutische 
Grundsätze,  wie  bei  den  übrigen  Eormen  der  Keratitis.  Vor  allem  anderen 
muss    natürlich    die     Beseitigting  des  cansalen   Momentes    angestrebt    werden. 

Es  wird  in  dieser  Bezieliuno-  bisweilen  die  Entfernung  eingedrungener  Fremd- 
körjjer,  am  Bullms  streitender  Wimpern  n.  s.  w.  nothwendig  sein.  Bei  Kalkver- 
hvennungen  scheint  die  Abtragung-  des  Schorfes  geboten  zu  sein,  da  von  demselben 
aus  der  Kalk  in  die  unterlagernden  Horuhautscliichten  eindringt  und  zur  Aus- 
bildung sehr  dichter  opaker  Narben  Veranlassung  gibt  (Gouvea).  Bei  der  neuro- 
2>arah/tische7i  Form  ist  die  Ap])lication  eines  Schutzverbandes,  welcher  äussere 
Schädlichkeiten  abhält  und  der  Vertrocknung  entgegen  zu  arbeiten  vermag ,  erfor- 
derlich. Er  reicht  hier  in  der  Regel  hin,  um  vorhandene  Infiltrate  zur  Resorption, 
offene  Geschwüre  aber  zur  Vernarbung  zu  bringen. 

Die  Indicatio  morhi  Avird  wesentlich  von  der  Intensität  der  vorhan- 
denen Beizers cheiinui gen  bestimmt  : 

a)  Wenn  der  Process  unter  stürmischen  Erscheinungen  der  Gefäss- 
und  Nervenreizung  auftritt  und  so  lange  er  unter  höchstgradig  entwickelter, 
vorwiegend  arterieller  Hyperämie,  chemotischer  Schwellung  der  nachbarlichen 
gefässreichen  Theile,  sp  wie  unter  sehr  starker  örtlicher  Temperaturerhöhung 
einherschreitet :  sind  strenges  antiphlogistisches  Verhalten,  örtliche  Wärme- 
entziehungen und  nach  Umständen  locale  Blutentleerungen  am  Platze.  Ausser- 
dem sind  täglich  mehrraal  wiederholte  Atropineinträufelungen  und  bei 
oxcessiver  Schmerzhaftigkeit  des  Leidens  hypodermatische  Einspritzungen 
von  Morphiums olutionen  geboten. 

h)  Wo  sich  sowohl  Gefäss-  als  Nervensymptome  in  den  Grenzen 
der  Massigkeit  bewegen,  genügen  neben  entsprechendem  Verhalten  des 
Kranken  der  Schutzverhand  und  täglich  1 — 2mal  wiederholte  Einträu- 
felungen der  AtropinlÖsung  vollkommen.  Doch  ist  das  Mydriaticum  be- 
denklich, falls  der  Stand  des  Eiterherdes  ein  solcher  ist,  dass  im  Falle 
eines  Cornealdurchbruches  bei  weitem  Sehloch  ein  Vorfall  des  Pupillarrandes 
zu  befürchten  steht,  und  wird  dann,  wo   es  thunlich  ist,  besser  gemieden. 

cj  Entwickelt  sich  der  Eiterherd  unter  relativ  geringer  Gefässreizung, 
dagegen  aber  höchst  intensiver  Ciliarneurose,  so  sind  mit  dem  Schutzverbande 
und  mit  energischer  Anwendung  des  Atropins  hypodermatische  Einsprit- 
zungen von  Morphium  zu  verbinden.  Genügt  auch  dies  nicht,  um  die 
heftigen  Nervensymptome  zu  mindern,  so  kann  man,  ein  ganz  verlässliches 
Wartpersonale  vorausgesetzt,  zeitweise  und  abwechselnd  mit  dem  Schutz- 
verbande Ueberschläge  mit  in  laues  Wasser  oder  Camillenaufguss  von  etwa 
30  Grad  Reaumur  getauchten  Compressen  versuchen.  Nebenbei  sind  die 
Atropineinträufelungen  fortzusetzen.  Sobald  aber  die  Ciliarneurose  zurück- 
tritt, die  Schmerzen  gelindert  oder  beseitigt  sind,  müssen  die  lauen  Ueber- 
schläge aufgegeben  werden.  Eine  zu  lange  Fortsetzung  derselben  pflegt 
starke  Conjunctivalhj^perämien  nach  sich  zu  ziehen  und  kann  selbst  zu 
ernsteren  Bindehautatfectionen,  möglicher  Weise  wohl  auch  zu  ungebühr- . 
lieber  Vermehrung  der  Hornhauteiterung  führen  (Graefe,  Classen,  Staven- 
hagen). 

Man  wird  mit  diesen  Verfahrungsweisen  in  den  allenneisten  Fällen 
vollkommen  auslangen.  Doch  kömmt  es  auch  wohl  vor,  dass  die  ge- 
nannten Mittel  ohne  erheblichen  Erfolg  bleiben  oder  dass  wohl  die  Reiz- 
erscheinungen, namentlich  die  höchst  peinliche  Ciliarneurose,  zurücktreten. 


102  Keratitis  suppurativa;  Behandlung;  Entleerung  des  Aljscesses. 

die  Eiterbildung  und  die  damit  verbundene  Zerstörung  aber  nach  wie  vor 
ihren  Fortgang  nimmt,  das  Product  sich  immer  weiter  in  die  angrenzen- 
den Hornhautbezirke  hineinschiebt  und  deren  Zerfall  begründet,  der 
Herd  sich  also  nach  Fläche  und  Tiefe  hin  ausbreitet,  sich  schliesslich 
auch  mit  Ii-itis  und  oft  auch  mit  Hypopyumbildung  combinirt  und  den 
völligen  Verlust  des  Auges  durch  Phthlsis  der  Cornea  oder  durch  suppurative 
Panoplithalmitis  anbahnt. 

Es  erklärt  sich  dieser  Widerstand  des  Processes  gegen  sonst  wh'k- 
same  ^Mittel  zum  Theile  daraus,  dass  die  Resorption  bei  grösseren  Eiter- 
infiltrationen Schwierigkeiten  findet  und  überhaupt  nicht  rasch  gefiug  er- 
folgen kann,  dass  das  Product  daher  in  der  Regel  dem  Durchbruche  zu- 
strebt, diesen  aber  keineswegs  immer  auf  dem  Icürzesten  Wege  erzielt, 
sondern  häufig  erst,  nachdem  der  Eiter  vom  ursprünglichen  Herde  aus 
sich  weitliin  ditfuudirt  und  die  Cornealsubstanz  in  grossem  Umfange  zerstört 
hat.  Anderseits  kömmt  in  Betracht,  dass  die  fortschreitenden  Zerstörungen 
in  und  um  den  ursprünglichen  Herd  herum  nicht  allein  auf  Rechnung 
der  Entzündung  und  etwaiger  schmelzender  Eigenscliaften  des  Infiltrates 
zu  schreiben  sind,  sondern  zum  Theile  auch  auf  den  beträchtücheu  Druck 
bezogen  werden  müssen,  unter  welchem  sich  das  infiltrirte  Gefüge  des 
Herdes  sowie  dessen  nächste  Umgebung  befinden.  Wie  misslich  aber  ein 
hoher  äusserer  Druck  auf  die  Vegetationsverhältnisse  infiltrirter  Gewebe 
einwirkt,  ist  genügsam   erwiesen. 

Es  ergibt  sich  hieraus  unmittelbar  die  Indication,  Eiterherde,  bei 
welchen  sich  die  erwähnten  Uebelstände  fühlbar  machen,  zu  entleeren  oder 
wenigstens  durch  Entspannung  der  Cornea  unter  günstigere  Lebensbedin- 
gungen zu  setzen.  In  der  That  ist  es  ein  alter  Erfahrungssatz,  dass 
Eiterungsprocesse  in  der  Cornea,  wenn  sie  unter  noch  so  stürmischen  Er- 
scheinungen einhergehen,  unmittelbar  nach  erfolgtem  Durchbruche  und  Vor- 
falle eines  Iristheiles  sich  rasch  zum  Guten  zu  wenden  pflegen,  nicht 
mehr  weiter  schreiten,  sondern  abstossen,  was  nicht  zu  erhalten  ist,  den 
Boden  des  Geschwüres  reinigen  und  so  zur  Heilung  sich  anscliicken.  Es 
käme  also  darauf  an,  diesen  natürlichen  Vorgang  nachzualimen,  dabei  aber 
jeden  ferneren  Substanzverlust  und  den  Vorfall  der  Iris  zu  vermeiden. 
Das  Mittel  dazu  liegt  in  der  Paracentesis    corneae. 

Speciel  erscheint  diese  Operation  angezeigt  bei  umfangreichen  Ahscessen 
und  Nägeln  überhaupt ;  bei  Abscessen,  welche  nach  hinten  durchgebrochen 
sind,  sich  rasch  aber  wieder  füllen  und  grosse  oS^eigung  zur  Flächenaus- 
dehnung und  Eitersenkung  beurkunden;  bei  Eiterherden  jeder  Art,  wenn  sie 
unter  intensiver  Gefäss-  und  Nervenreizung  einherschreiten  und  wenn  ver- 
möge der  Massenhaftigkeit  des  aufgehäuften  Infiltrates  die  Gewebstheile 
einem  starken  Drucke  ausgesetzt  erscheinen.  Das  Auftreten  von  Eiter 
im  Kammerraume  oder  gar  in  den  tieferen  Theilen  der  Augapfelhöhle  ver- 
schärft die  Indication,  ja  macht  sie  zu  einer  absoluten. 

Der  Zweck  der  Operation  ist  nach  dem  Vorhergehenden  keineswee^s  blos  die 
directe  Entleerimg  des  Infiltrates.  Wäre  es  so,  so  würde  die  Operation  in  den 
meisten  Fällen  nichts  fruchten.  Namentlich  bei  Abscessen  findet  sich  nämlich  flüssiger 
cntleeruno-sfähiofer  Eiter  nur  selten  zu  einer  Zeit,  in  welcher  die  Paracentese  noch 
als  Vorbauungsmassregel  gegen  fortschreitende  Zerstörung  der  Cornea  dienen  kann 
(S.  84).  Trotzdem  ist  auch  in  diesen  Fällen  der  Erfolg  der  Paracentese  oft  ein 
lohnender.  Die  Schmerzen  werden  meistens   gemildert   oder  gänzlich  beseitiget  und 


Paracentesis  corneae;  Iridoktomie ;  Querspaltnng  des  Eiterherdes.  103 

häufig  wird  auch  noch  dem  Fortschreiten  des  Abscesses  sowie  der  Zerstörung  der 
eigentlichen  Hornhnntclcinentc  iin  Inneren  des  Eiterherdes  Einhalt  getlian.  Es 
steht  übrigens  sogar  fest,  dass  man  ganz  ähnliche  Resultate  erzielen  kann,  wenn 
der  Einstich  ausserhalh  des  Abscesses  in  (jemmder  Ilorniiautsubstanz  gemacht  wird. 
Es  spricht  dieses  gegen  die  neuerlich  urgirte  (Weher)  Nothwendigkeit,  den 
Inhalt  des  Abscesses  um  jeden  Preis  %u  entleeren. 

Ist  ein  Absooss  durch  die  Paraccntese  oder  spontane  lluptur  der 
Anssenwand  theilwcise  oder  ganz  entleert  worden  und  zeigt  sich  nun  dessen 
vordere  Wand  sehr  dünn,  faltet  sie  sich  vielleicht  gar  und  sinlct  sie  ein, 
ist  also  wenig  Hoffnung  vorhanden,  dieselbe  zu  erhalten:  so  ist  es  klug, 
dieselbe  mittelst  des  scharfen  Randes  eines  Daviel'schen  Löffels  abzutragen, 
die  Abscesshöhle  demnach  in  ein  offenes  Geschwür  zu  verwandeln.  Es 
wird  solehermassen  der  Heilungsprocess  wesentlich  beschleunigt  und  meistens 
resultiren  auch  weniger  dichte  und  weniger  ausgebreitete  Trübungen.  Die 
weitere  Behandlung  fällt  mit  jener  primärer  Geschwüre  zusammen. 

Im  Ganzen  soll  man  sich  bei  der  Vornahme  der  Operation  stets  vor 
Augen  halten,  dass  die  zur  Paracentesis  auffordernden  krankhaften  Zustände 
an  und  für  sich  schwere  seien  und  dass  die  Operation  keineswegs  eine 
Gewähr  für  den  günstigen  Ausgang  biete,  dass  vielmehr  der  Process  trotz 
derselben  fortschreiten   und  traurige  Folgen  setzen  könne. 

Viel  trägt  zu  diesen  Misserfolgen  ohne  Zweifel  der  Umstand  bei, 
dass  die  Wunde  sich  sehr  leicht  wieder  schliesst,  die  ungünstigen  Verhält- 
nisse also  viel  zu  rasch  wiederkehren,  als  dass  der  Ausgleich  der  vorhan- 
denen Störungen  schon  gesichert  sein  könnte.  Es  ergibt  sich  daraus  die 
Aufgabe,  die  Wunde  der  Hornhaut  fhunlichst  breit  anzulegen,  und  im  Dring- 
lichkeitsfalle öfters  mittelst  eines  Daviel'schen  Löffels  oder  einer  Spatel 
zu  lüften. 

Die  öftere  Unzulänglichkeit  einer  elnjnaligen  Paracentese,  besonders  wenn 
die  Stichöffnung  klein  ausgefallen  ist,  hat  zu  einer  Zeit,  wo  man  die  Iris  der 
unljerufenen  Einmischung  in  die  heterogensten  Krankheitsprocesse  zieh,  auch  zu 
Versuchen  mit  der  L-ideJdomie  geführt  (Qraefe,  Mooren,  Classen).  Die  Ergebnisse 
sind  im  Ganzen  hefriedigend  ausgefallen,  was  sich  aus  der  längeren  Wunde  und 
der  schwierigeren  Consolidirung  der  nachträglichen  Verlöthung  erklärt,  ohne  dass 
die  Irisvcrstümmlung  dabei  irgend  etwas  zu  thun  hätte.  In  Uebereinstimmung  da- 
mit  wird  denn  auch  jetzt  der  pherixjhere  Linearschnitt,  welcher  mit  dem  schmalen 
Staarmesser  ausgeführt  wird,  dem  Lanzenstiche  vorgezogen  (Qraefe).  Immerhin 
hat  auch  die  Iridektomie  nicht  allen  billigen  Erwartungen    entsprochen  (Saemisch). 

In  neuester  Zeit  glaubt  man  nun  das  richtige  Mittel  in  einer  ausgielAgen 
Querspaltung  des  Eiterherdes  gefunden  zu  haben.  Es  soll  bei  OescJnvüren,  welche 
eine  ausgesprochene  Neigung  zur  Ausdehnung  in  die  Fläche,  besonders  nach  Einer 
Seite  hin,  äussern  und  sich  gerne  mit  Iritis  paaren,  bei  genügender  Fixation  des 
Bulbus  lind  der  Lider  ein  Graefe'sches  Staarmesser  am  äusseren  Rande  des  Ge- 
schwüres innerhalb  der  noch  gesunden  Hornhautsubstanz  eingestossen,  rasch  durch 
die  vordere  Kammer  geführt  und  am  jenseitigen  Geschwürsrande  wieder  durch  das 
gesunde  Cornealgefüge  so  ausgestochen  werden,  dass  der  Geschwürsboden  nachher 
unter  sägenden  Bewegungen  in  seinem  grössten  Durchmesser  durchschnitten, 
gleichsam  halbirt  werde.  Das  Auge  soll  hierauf  blos  mit  einer  Compresse  gedeckt 
und  mit  Atropin  in  geeigneter  Dosis  behandelt  werden.  Da  die  Wunde  aber  schon 
binnen  einer  Stunde  oder  gar  früher  sich  wieder  schliesst,  soll  zur  Sicherung  des 
Effectes  anfänglich  zweimal  des  Tages,  später  in  längeren  Zwischenräumen  die 
Verlöthung  durch  ein  spatelähnliches  Instrument  wieder  gelöst  werden,  bis  der 
Process  entschieden  rückgängig  geworden  ist  (Saemisch).  Die  Erfolge  dieser 
Methode  werden  ausserordentlich  gelol)t.  Doch  müssen  selbstverständlich  die  Er- 
gebnisse von  Controlversuchen  abgewartet  werden,  ehe  man  sich  ein  Urtheil  dar- 
über bilden  kann,  ob  und  wann  das  Verfahren  der  Paracentesis  im  engeren  Wort- 


104  Keratitis  supparativa;  Behandlung;  Warme  üeberschläge. 

sinne    gegenüber  wirkliche  Vortlieile  bietet    und    die   grösseren  Gefahren  einer  um 
so  viel  eingreifenderen  Operation   aufwiegt. 

Nach  der  Paracentesis  corneae  ist  der  Schutzverband  anzulegen  und 
Bettlage  des  Kranken,  überhaupt  strenges  antiphlogistisches  Verhalten, 
allenfalls  mit  öfters  wiederholten  Einträufelungen  von  Atropinlösung  anzu- 
ordnen. Sollte  aber  die  Atisdehnung  des  Eiterherdes  und  die  Intensität  der 
Entzilndungserscheinungen  jede  Hoffnung  auf  den  Fortbestand  eines  zur 
Anlegung  einer  künstlichen  Pupille  genügenden  Theiles  der  Cornea  ab- 
schneiden, so  ist  es  gerathen,  durch  Üeberschläge  mit  in  laues  Wasser 
getauchten  Compressen  oder  durch  Cataplasmen  die  Eiterbildung  zu  fördern 
und  so  zu  hindern,  dass  der  Suppurationsprocess.  sich  Wochen  lange 
hinausziehe  und  am  Ende  gar  das  Allgemeinbefinden  des  Kranken  gefährde. 
Bei  Tofalabscessen  der  Cornea,  namentlich  wenn  sie  als  Theilerscheinung 
einer  eiterigen  Fanophthalmitis  auftreten,  ist  ein  solches  Verfahren  nach 
der  Paracentese  und  theilweisen  Entleerung  des  Eiters  aus  dem  Bulbus 
ganz  besonders  zu   empfehlen. 

d)  Bei  ganz  reizlosen,  trotzdem  aber  rasch  nach  allen  Richtungen,  beson- 
ders nach  der  Fläche  sich  atisdehnenden  Eiterherden  pflegen  bei  voraus- 
sichtlich sorgfältigster  Application  latie  Üeberschläge  abwechselnd  mit  dem 
Schutzverhande  und  nebenbei  Einträufelungen  von  Atropinsolutionen  gute 
Dienste  zu  leisten.  Unter  ihrer  Anwendung  stellt  sich  gewöhnlich  als- 
bald einige  Reaction  ein,  die  Conjunctiva  und  das  Episcleralgewebe  injiciren 
sich  und  schwellen  etwas  an,  das  Auge  wird  empfindlicher  und  rings  um 
den  Eiterherd  bildet  sich  eine  graue  trübe  Demarcationslinie,  über  welche 
der  Eiter  nur  schwer  mehr  vordringt. 

Im  Allgemeinen  gilt  als  Regel,  dass  die  Üeberschläge  um  so  wärmer  ge- 
nommen werden,  je  geringer  die  Reizerscheinungen  sind.  Doch  soll  ihre  Temperatur 
niemals  32  Grad  Reaumur  übersteigen.  In  dem  Masse,  als  sich  Reaction  einstellt, 
soll  die  Wärme  vermindert  und  weiterhin  der  Schutzverband  mit  dem  Atropin  allein 
benützt  werden.  Im  Falle  als  die  Reaction  nach  den  lauen  Ueberschlägen  eine 
ganz  tingehiihrlich  heftige  würde,  wird  man  vielleicht  gar  zu  kalten  Ueberschlägen, 
Blutegeln  etc.  greifen  müssen.  Das  Vorhandensein  von  Iritis  und  Hypopyon  contra- 
indicirt  bei  Abgang  der  Reizsymptome  die  Anwendung  der  feuchten  Wärme  nicht. 
Auch  hat  das  ätiologische  Moment  durchaus  keinen  Einfluss  auf  die  Indications- 
grenzen  (Graefe).  Bei  minder  sorgsamen  Kranken  und  Wärtern  bringen  laue 
Üeberschläge  indessen  gerne  Schaden  und  werden  vortheilhaft  durch  den  Schutz- 
verband ersetzt. 

e)  Bei  chronischen  Geschioüren ,  welche  unter  sehr  geringen  E-eizer- 
scheinungen  wochenlang  fortbestehen,  fortwährend  geringe  Mengen  Eiter 
absondern  und,  jedes  Heiltriebes  entbehrend,  an  Tiefe  und  Umfang  stetig 
zunehmen,  sowie 

f)  Bei  ulcerativen  Substanzlücken,  welche  nach  erfolgter  Beinigung 
nicht  die  mindeste  Neigung  zur  Ausfüllung  verrathen  und  bei  gänzlichem 
Mangel  aller  Reizsymptome  wochenlange  unverändert  bleiben :  sind  reizende 
Mittel  mit  der  nöthigen  Vorsicht  örtlich  anzuwenden.  Ihr  Zweck  ist  An- 
regung des  Ernährungsprocesses  in  der  Hornhaut,  um  so  die  Regeneration 
neuen  Cornealgefüges  zu  beschleunigen.  Am  meisten  empfehlen  sich  die 
gelbe  Quecksilberoxydsalbe  und  Einpinselungen  von  reiner  oder  verdünnter 
Opiumtinctur.      Laue  Ueberscliläge  leisten  hier   wenig. 

Mit  Nachdruck  ist  zu  warnen  vor  der  Anwendung  von  Bleiioässern  sowie 
vor  der  Einträufelung  von  mit  Laudanum  versetzten  Collyrien  aus  Bleizucker, 
Höllenstein,    Zink-    und    Kupfervitriol.     Es    bilden    diese    Lösungen    gerne  Nieder- 


Nachbehandlung;  specielle  Indicationen  bei  Geschwüren.  105 

schlage  auf  dem  Boden  des  Geschwüres,  welche  überaus  fest  haften,  den  letzteren 
bei  längerem  Gebrauche  incrustiren  und,  indem  sie  von  Granulationen  ül)erwucliert 
werden,  sich  bisweilen    förmlich    inkapsuliren,    intensive  Trübunp;en  zurücklassend. 

Noch  gefährlicher  ist  die  Application  eigenilichev  Cau.if.ica,  liesonders  des 
viel  gerühmten  Höllensteinen.  Selbst  die  vorsichtigste  und  leiseste  Berührung  des 
Geschwürsbodens  mit  Ilöl/enstein  in  Substanz  pflegt  vermöge  der  leichten  Löslich- 
keit des  reinen  Lapis  Infernalis  verhältnissmässlg  sehr  bedeutende  Zerstörungen 
nach  sich  zu  ziehen  und  somit  das  Geschwür  nach  Umfang  und  Tiefe  mächtig  zu 
vergrössern.  L^eberdles  ist  die  Keaction  auf  solche  Eingrift'c  in  der  Regel  eine 
sehr  heftige  und  in  P'olge  dessen  wird  die  Eiterung  vermehrt  statt  vermindert, 
die  Substanzlücke  wächst  hinterher  meistens  schneller  als  zuvor. 

2.  Hat  der  entzündliche  Process  seinen  Höhepunkt  überschritten  und 
neigt  er  unter  Abnahme  der  hegleitenden  Heizer  scheinungen  entschieden  zum 
Abschlüsse  hin,  erweitern  sich  die  Grenzen  des  Eiterherdes  nicht  mehr, 
verengern  sie  sich  im  Gegentheile,  indem  bei  geschlossenen  Abscessen  viel- 
leicht die  Anfsaugung  einen  raschen  Aufschwung  nimmt,  bei  offenen  Ge- 
schwüren aber  der  Grund  sich  allmälig  reiniget  und  gleichzeitig  durch 
Regeneration  des  verlorenen  Gewebes  wieder  gehoben  wird :  so  ist,  wenn 
sonst  keine  Rücksichten  zu  beobachten  sind,  jedes  stark  eingreifende  Kur- 
verfahren unnütz  und  kann  sogar  die  Heikmg  stören ;  dann  hat  sich  die 
l^ehandlung  mehr  auf  die  Abicehr  möglicher  schädlicher  Einflüsse  zu  be- 
schränken, zu  welchem  Ende  eine  entsprechende  Augendiät,  insbesondere 
das  Tragen  eines  Schutzverbandes,  anzuordnen  ist.  Erst  wenn  die  Empfind- 
lichkeit des  Auges  völlig  beseitiget  und  der  Substanzverlust  in  der  Horn- 
liaut  vollständig  ausgefüllt  und  mit  Epithel  überkleidet  ist ,  darf  der 
Kranke  allmälig  und  unter  grosser  Vorsicht  zu  seiner  gewohnten  Lebens- 
weise zurückkehren. 

Bleibt  nach  Schliessung  der  Substanzlücke  eine  Trübung  zurück ,  so  ist 
der  Versuch,  durch  Einstäubung  von  Calomel  und  weitei'hin  durch  die 
gelbe  Quecksilberoxydsalbe  eine  Aufhellung  zu  bewerkstelligen,  gerecht- 
fertigt. Immer  sind  diese  Mittel  mit  grosser  Vorsieht  und  anfänglich  nur 
probeweise  in   Gebrauch  zu  ziehen. 

3.  Ausser  diesen  mehr  all  geineinen  Indicationen  werden  durch  die 
speciellen  Verhältnisse  der  verschiedenen  Herdformen  eine  Reihe  von  Sonder- 
anzeigen begründet,  deren  genaue  Erfüllung  nicht  minder  nothwendig  ist, 
soll  die  ganze  Behandlung  den  oben  erwähnten  Grundaufgaben  mir  einiger- 
massen  genügen. 

Bei  offenen  Ge.schwUren  ist ,  abgesehen  von  den  bereits  erörterten 
Indicationen,  noch  besonders  auf  etwaige  Vorbauchungen  des  Geschwürsbodens 
und   auf  Durchbrüche  Rücksicht  zu  nehmen. 

In  Anbetracht  dessen  muss,  da  Mittel  fehlen,  um  die  Widerstands- 
kraft der  verdünnten  Cornealpartie  rechtzeitig  zu  erhöhen^  mit  der  grösstcn 
Sorgfalt  auf  Vermeidung  momentaner  Steigerungen  des  intraocularen  Druckes 
hingewirkt  werden.  In  dieser  Beziehung  leistet  der  Schutzverband  erfah- 
rungsgemäss  die  besten  Dienste.  Allerdings  erhöht  er  das  Totale  des 
intraocularen  Druckes ;  allein  indem  er  direct  auf  die  Vorderwand  des 
Augapfels  wirkt,  neutralisirt  er  den  Binnendruck  theilweise  gerade  an  jener 
Stelle,  an  welcher  derselbe  von  üebel  sein  könnte.  Ausserdem  ist  es 
von  der  grössten  Wichtigkeit,  gleichzeitige  kräftige  Zusammenziehungen  der 
geraden  Augenmuskeln  zu   verhindern.      Zu  diesem  Ende  ist  grösste  Körper- 


106  Keratitis  snppurativa;  Behandlung;  Geschwüre. 

ruhe,  am  besten  horizontale  Bettlage,  anzuempfehlen  und  insbesondere 
das  Fiessen,  Husten,  Erbrechen,  schwerer  Stuhlgang,  Schreien,  starkes 
Bücken  u.  s.  w.  zu  vermeiden. 

Bei  grossen,  tief  greifenden  Geschwüren  genügt  dies  indessen  nicht 
immer,  um  Durchbrüche  hintanzuhalten.  Steht  daher  ein  solcher  in  naher 
Aussicht,  so  kann  man  nach  Torläufiger  Erweiterung  der  Pupille  die  Para- 
centese  der  dünnsten  Stelle  des  Geschwürsbodens  oder,  falls  ein  umfangs- 
reicher  centraler  Eiterherd  das  Zurückbleiben  einer  dichten  Narbe  und  so- 
hin  die  spätere  Nothwendigkeit  einer  künstlichen  Pupillenbildung  mit 
Gewissheit  erwarten  lässt,  auch  wohl  gleich  eine  Iridektomie  versuchen. 
Es  wird  solchermassen  bisweilen  verliindert,  dass  ein  langer  Einriss  erfolgt 
und  die  Oeffnung  sodann  unter  fortschreitendem  Zerfall  des  Geschwürs- 
grundes sich  erweitert. 

Bei  ängstlichen  und  widerspänstigen  Kranken  ist  es  vortlieilhaft,  die 
Operation  während  der  Narliose  vorzunehmen,  um  kräftige  Contractionen  der 
Augenmuskehi  auszuschliessen.  Die  Narkotisirung  sell)st  muss  eingeleitet  werden, 
während  ein  Druckverband  die  Augen  schliesst,  weil  die  Eeactionen  des  Kranken 
im  Halbrausche  oft  sehr  heftig  sind.  Im  Ganzen  wird  mau  dabei  grosse 
Schwierigkeiten  finden  und  oft  geschieht  es,  dass  der  Geschwürsgrund  in  Folge 
der  starken  Muskelcontractionen  berstet,  ehe  man  zum  Schnitte  kömmt  oder  diesen 
vollenden  kann. 

Nach  erfolgter  künstlicher  oder  spontaner  Perforation  bleiben  antiphlo- 
gistisches Verhalten  des  Kranken,  insbesondere  aber  grösste  Körperruhe 
nebst  der  Anlegung  eines  Compressivverhandes  strenge  indicirt.  Der  Druck- 
verband hat  in  diesem  Falle  auch  den  Zweck,  den  auf  Null  gesetzten 
intraocularen  Druck  einigermassen  zu  erhöhen  und  so  die  Neigung  zu 
passiven  Congestionen,  Blutergüssen  und  Entzündungen  im  Inneren  des 
Augapfels  zu  vermindern. 

Eine  zweite,  höchst  loichtige  und  niemals  zu  vernachlässigende  Massregel 
ist  die  Entfernung  des  Pupillarrandes  aus  dem  Bereiche  der  dünnsten  Stelle 
des  Geschwürsbodens.  Wo  immer  eine  Perforation  sich  als  wahrscheinlich 
oder  auch  nur  als  möglich  darstellt,  ebenso  wie  dort,  wo  dieselbe  künstlich 
herbeigeführt  werden  soll,  muss  dem  Umstände  vorsorglich  Rechnung  ge- 
tragen werden ,  dass  Anlöthungen  und  Vorfalle  des  Pupillarrandes  das 
Auge  als  Sehorgan  in  weit  höherem  Grade  gefährden,  als  Anheftungen 
eines  Theiles  aus  der  Breite  der  Iris  oder  der  Vorderkapsel  an  die  Ge- 
schwürsränder der  Cornea  (S.   97). 

Bei  kleineren  Geschwüren  und  überhaupt  in  Fällen,  in  welchen  der 
Geschwürsboden  nur  an  einer  engumschriebenen  Stelle  sehr  tief  eingesenkt 
ist  und  den  Durchbruch  droht,  lässt  sich  dieser  Anforderung  leicht  Ge- 
nüge leisten.  Steht  ein  solches  Geschwür  oder  der  dünnste  Bodentheil 
einer  umfangreicheren  TJlceration  nahe  oder  in  dem  Centrum  der  Hornhaut, 
so  muss  die  Pupille  möglicJist  loeit  gehalten  werden.  Bei  peripheren  Ge- 
schwüren ist  das  Sehloch  möglichst  zu  verengern.  Ist  die  Perforation  unge- 
fähr in  der  Mitte  eines  Meridians  der  Cornea  zu  erwarten,  so  kann  die 
Pupille  sowohl  sehr  weit,  als  sehr  enge  gehalten  werden.  Insoferne  aber 
die  Mittel  zur  dauernden  Erweiterung  des  Sehloches  verlässlicher  sind,  als 
jene  zur  Verengerung,   so  ist  die  Dilatation  unbedingt  vorzuziehen. 

Um  die  Pupille  zu  erweitern  und  möglichst  weit  zu  erhalten,  dienen 
bekanntlich  die  Mydriatica ;  um  das  Gegentheil  herbeizuführen ,  aber  die 
Calabarpräparate. 


Specielle  Indicationen  bei  Geschwüren.  107 

Ist  der  Durchhruch  bereits  erfolgt  iiud  liegt  ein  vom  Sehlochrande  ent- 
fernterer Theil  der  Irishreite  an  oder  in  dem  Loche,  so  darf  unter  Ivoincr 
Bcdingamg  die  Functionstüchtigkeit  des  Sphincters  durch  Mydriatica  ge- 
schwächt werden,  vielmehr  ist  dort,  wo  eine  leicht  reizende  Wirkung  nicht 
bedenklich  erscheint  ,  die  Contraction  des  Schliesst^iuskels  durch  Calübar- 
j}räparate  zu  verstärken.  In  allen  anderen  Fällen  aber  muss  Atropin  ange- 
tvendet  iverden,  iim  den  Pupillarrand  weit  vom  Loche  entfernt  zu  erhalten 
und  die  Verlöthung  grösserer  Portionen  desselben  mit  dem  Exsudatpfropfc 
zu  verhindern. 

Bei  2)eripherer  und  sehr  kleiner  Durclibruc-lisfJftnuiig  ist  die  volle  Wirksamkeit 
des  Sehliessmuskels  insüierne  von  grossem  Wertlie,  als  sie  nach  WiederherstelUing 
eines  Kammerraumes  die  Lostrennung  der  angeklebten  Regenbogenhaut  von  der 
Wundöft'nung  erleichtert.  Bei  rimfamjreicheren  Perforationen  aber,  wo  die  Bildung 
einer  vorderen  Synechie  nicht  zu  vermeiden  ist,  unterstützt  sie  die  verlöthende 
Masse  in  ihrem  Widerstände  gegen  den  Zug,  welchen  die  blosgelegte  und  vom 
Kammerwasser  nach  vorne  gedrängte  Irispartie  auf  diese  Masse  ausübt;  sie  vermag 
daher  wiedei'holte  Eröflnuugen  der  Kammer  zu  ei'schweren  und  insbesondere  zu 
verhüten,  dass  erst  nachträglich  ein  Theil  des  Piipillarrandes  in  die  Oefl'nung  ge- 
trieben werde. 

Baucht  sich  dann  der  Vorfall  stark  hervor  und  vergrössert  sich  die 
Blase  mehr  und  mehr,  so  ist  wegen  der  relativen  Zunahme  des  auf  ihre 
Hinterwand  wirkenden  Druckes  die  Möglichkeit  gegeben ,  dass  trotz  der 
Contraction  des  Sphincters  die  verlöthende  Neubildung  nachgibt  und  der 
Pupillarrand  in  das  Loch  gelange.  Um  dieses  zu  vermeiden,  muss  die  Iris- 
blase durch  eine  flach  auf  die  Hornhaut  aufgelegte,  nach  der  Fläche  gekrümmte 
Schere  abgekappt  werden,  worauf  der  Druckverband  bis  zur  völligen  Ver- 
heilung  der  Oeffnung  getragen  werden  soll. 

Das  Aetzen  des  vorgefallenen  Theiles  der  Iris  ist  jedenfalls  in  hohem  Grade 
bedenklich.  Die  darauf  folgende  Reaction  ist  meistens  eine  sehr  heftige  und  nicht 
selten  kömmt  es  zu  verderblichen  Iritiden.  Auch  das  Einträufeln  von  Opiumtinctur 
ist  schädlich,  da  wegen  der  heftigen  Schmerzen,  welche  dieses  Mittel  verursacht, 
gewöhnlich  sehr  kräftige  Contractionen  der  Augenmuskeln  angeregt  werden  luid  so 
die  Veranlassung  zu  Veryj-nsserungen  des  Vorfalles,  zu  neHerllchen  D^irchhrüchen  und 
selbst  zu  einem  Prolapsus  des  Piqnllarrandes  gegeben  werden  kann.  Ganz  erfolg- 
los und  wegen  der  bedevitenden  mechanisciien  Reizwirkung  axxch  gefährlich  sind 
Versuche,  einen  bestehenden  Irisvorfall  mittelst  Sonden  oder  anderen  Instrumenten 
zurückzubringen. 

Bei  umfangreichen  Geschwüren,  bei  welchen  ein  Durchbruch  mit  loeiter 
rundlicher  Oeffmmg  zu  befürchten  ist,  sind  stets  Mydriatica  anzuwenden.  Den 
Pupillari'and  ganz  aus  dem  Bereiche  des  künftigen  Durchbruches  zu  bringen, 
dürfte  allerdings  nur  selten  gelingen.  Der  Vortheil,  welchen  die  Mj^driasis 
bietet,  liegt  dann  darin,  dass  bei  weiter  Pupille  möglicher  Weise  ein  relativ 
kleinerer  Bogentheil  des  Pupillarrandes  an  die  Oeffnung  gelangt  und  daselbst 
anheilt ,  als  bei  gleichweitem  Durchbruche  und  enger  Pupille ;  dass  also 
dadurch  einer  Schliessung  oder  einer  völligen  Verdeckung  der  Sehe  von  Seite 
der  zu  erwartenden    ausgedehnten  Cornealnarbe  wirksam  vorgebeugt  wird. 

Ist  die  Hornhaut  schon  in  grösserem  Umfange  durchbrochen  und  ein  an- 
sehnliches Stück  der  Iris  mit  seinem  Pupiüartheile  blosgelegt,  so  handelt  es 
sich  vornehmlich  darum,  der  Vorbauchung  des  blosgelegten  Iristheiles,  also 
der  Staphylombildung  und  der  häufig  damit  verbundenen  Verkrümmung  der 
nicht  zerstörten  Theile  der  Cornea,  zu  begegnen.  Der  Schutzverband  ist 
imter  solchen  Verhältnissen  ganz  unentbehrlich.     Er  muss  bis  zur  völligen 


108 


Keratitis  suppurativa;  Paracentesis  corneae. 


Consolidation    der  iS'arbe    getragen    und  jede  Verschiebung    desselben   sorg- 
fältig vermieden  werden. 

Ist  ein  Irisstaphylom  schon  entwickelt,  so  ist  die  Abtragung  oder  Spal- 
tung desselben  erforderlich.   (Siehe  Therapie  des  ISTarbenstaphyloms.) 

Ist  die  Linse  und  ein  Theil  des  Glashörpers  schon  entleert,  so  handelt 
es  sich  nur  mehr  darum ,  durch  einen  Druckverband  und  zweckmässiges 
Verhalten  des  Kranken  weitere  Schädliclikeiten  von  dem  Auge  fernzuhalten, 
um  den  Vereiterungsprocess  möglichst  einzudämmen  und  abzukürzen.  Geräth 
aber  dennoch  die  Phthisis  bulbi  in  vollen  Gang,  so  ist  es  das  Klügste,  dui*ch 
warme  IJeberschläge  die  Eiterung  möglichst  zu  beschleunigen  iind  den  Ab- 
schluss  des  Processes  solchermassen  zu  fördern. 

Die  Eröffnung  der  Kammer,   Paracentesis  corneae. 

Anzeigen.  Die  Operation  erscheint  indicirt :  a.  Bei  umfangreicheren 
Eiterherden  in  der  Hornhaut,  wenn  es  sich  darum  handelt,  flüssige  Producte 
zu  entleeren  oder  einen  auf  die  Gewebstheile  des  Herdes  wirkenden  gefähr- 
lichen Driiclc  zu  beseitigen^  oder  der  Vorbatichung  und  dem  Durchrisse  eines 
Geschwürsbodens  zu  steuern,  b.  Um  im  Kammerraume  angesammelte  grössere 
^Mengen  von  Eiter,  Blut,  geblähten  Staarresten  etc.  zu  entfernen,  c.  Viel- 
leicht bei   der   Keratitis  diffusa,   um  zu   entspannen. 

Vor  nicht  Langem  wollte  man  in  systematischen  und  der  Zahl  nach  ganz 
unbegrenzten  Wiederholungen  der  Paracentesis  eine  Art  Wundermittel  gefunden 
haben ,  dessen  Einflnss  auf  die  Vegetationsverhältnisse  des  Auges  bei  fast  allen 
mögliehen  Krankheiten  Heilwirkungen  erzielt,  beginnende  Stasen  und  Atrophien 
behebt,  Cataracten  heilt,  Glaucome  beseitigt  etc.  (Sperino).  Vorurtheilsfreie  Ver- 
suche haben  jedoch  diese  überschwenglichen  Hoffnungen  alsbald  wieder  zerstört 
und  das  Verfahren  als  ein  unzioeckmässiges  herausgestellt. 

Verfahren.  Behufs  der  Operation  wird  der  Kranke  in  horizontale 
Bettlage  gebracht.      Während    die  Lidränder  bei    möglichst  weit   geöffneter 

Lidspalte  fixirt  werden,  stösst  man 
ein  Lanzenmesser  schief  durch  den 
Eiterherd  (Fig.  12)  in  die  Kammer, 
so  dass  eine  1  V2"' — 2'"  lange, 
lineare ,  nach  der  Eichtung  einer 
Sehne  ziehende  ,  durchdringende 
Wunde  gebildet  wird.  Der  Einstich 
soll  immer  in  einiger  Entfernung 
von  der  Hornhautgrenze  und  schief 
auf  die  beiden  Oberflächen  der 
Cornea  geführt  werden  ,  weil  auf 
solche  Weise  am  sichersten  dem 
Vorfalle  der  Iris  vorgebeugt  wird. 
Es  braucht  nicht  erst  erwähnt  zu 
werden,  dass  das  Messer,  sobald  es 
die  Descemeti  durchdrungen  hat, 
gewendet  werden  muss ,  um  Ver- 
letzungen der  Vorderkapsel  zu  verhindern. 

Unmittelbar  nach  der  Operation  ist  ein  sicher  und  gut  passender  Druck- 
verband anzulegen ,  für  absolute  Körperruhe  des  Kranken  im  Bette  zu 
sorgen  und  überhaupt  so  vorzugehen,    wie  nach  der  künstlichen  Pupillen- 


Pannus;  Pathologie.  109 

bildung.     Nacli   zwei  Tagen    ist    gewöliulich    die  Wunde  verheilt    und    die 

durch  die  Operation  gesetzte  Gefahr  beseitigt. 

Quellen.  Böser,  A.  f.  O.  II.  2.  S.  151.  —  A.  Weher  ibid.  VIII.  1.  S.  322, 
331.  —  Graefe  ibid.  II.  2.  S.  241;  III.  2.  S.  437;  VI.  2.  S.  135,  142;  IX.  2.  S.  147; 
X.  2.  S.  204;  XII.  2.  S.  118,  203,  2ö0;  XIV.  3.  S.  140.  —  Siimisch  u.  Pagenstecher, 
kl.  Beobacht.  Wiesbaden,  1862.  II.  S,  99.  —  Hasner,  Entwurf  einer  anat.  Begründ. 
der  Augenkr.  Prag,  1847.  S.  109;  KI.  Vorträge  Prag,  18C0.  S.  165  u.  171.  — 
Junge,  A.  f.  O.  V.  2.  S.  200.  —  Sperino,  Etudc.s  clin.  .sur  revacuation  de  riiumeur 
aq.  Tnrin.  1862  und  kl.  Monatbl.  1863.  S.  87.  —  Stellwag,  Amnion's  Zeitschr.  f. 
Ophth.  IX.  S.  490;  Zeitschr.  der  Wiener  Aerzte.  1856.  S.  181;  0])litlialm.  I.  S.  314, 
Nota  50  u.  f.  —  Gouvea,  Archiv  f.  Aug.-  u.  Ohrenheilkd.  I.  S.  lOG,  120.  —  Can- 
statt,  Annal.  d'ocul.  III.  S.  157.  —  Schirmer,  klin.  Monatbl.  1865.  S.  275.  — 
Virchow,  Kiels,  A.  f.  O.  XII.  2.  S.  254,  255.  —  Frank,  Casper's  Wochenschr.  1846. 
Nr.  45.  —  Fischer,  Lehrbuch.  S.  275.  —  Hirschherg,  kl.  Monatbl.  1868.  S.  282.  — 
Arlt,  Lehrbuch.  I.  S.  211.  —  Riegler,  die  Türkei  und  ihre  Bewohner.  Wien.  II.  S. 
110.  —  Bock,  Danielsen,  Traite  de  la  Spedalsked.  Paris.  1848.  S.  271.  —  Crisholvi, 
Virchow's  Jahresbericht.  1868.  IL  491.  —  Simrock,  kl.  Monatbl.  1863.  S.  123 ;  Can- 
statt's  Jahresber.  1863.  IIL  S.  107.  —  Seegen,  Wien.  med.  Wochenschr.  1866.  Nr. 
23—25.  —  Classen,  A.  f.  O.  XIII.  2.  S.  506,  508.  —  Stavenhagen,  kl.  Beobachtgn. 
S.  59.  —  Mooren,  ophth.  Beiträge.  S.  99,  100,  181.  —  Saemisch,  das  Ulcus  corneae 
serpens.  Bonn  1870.  S.  11,  12  u.  f. 


Folgezustände  der  Keratitis. 
1.  Pannus. 

Pathologie.  Im  Allgemeinen  versteht  man  unter  Pannus  eine  toenig 
veränderliche,  von  Gefässen  durchsponnene  oberflächliche  Trübung  der  Cornea. 
Es  wird  daher  auch  vielfach  die  chronische  Keratitis  in  den  BegriflP  des 
Pannus  eingeschlossen.  Streng  genommen  ist  aber  der  Pannus  das  Product 
einer  bereits  abgelaufenen  Entzündung,  in  welchem  die  Gewebswucherung  als 
solche ,  die  Bildung  neuer  krankhafter  Elemente ,  in  den  Hintergrund  ge- 
treten ist  und  der  Ernährungsprocess  sich  mehr  auf  die  Erhaltung  oder 
blosse  Höhergestaltung  der  durch  die  Entzündung  gesetzten  Neoplasie  be- 
schränkt. Wo  die  Entzündung  als  solche  auffallend  hervortritt,  sollte  man 
daher  nicht  einfach  von  Pannus ,  sondern  von  einem  entzündeten  Pannus, 
von  einer  Keratitis  pannosa  sprechen. 

Bei  den  niederen  Graden  des  Pannus,  dem  sogenannten  Pannus  tenuis,  finden 
sich  dieselben  pathologisch -anatomischen  Veränderungen,  wie  bei  der  Keratitis 
vasculosa  (S.  59) ;  nur  sind  die  Elemente  in  ihrer  Höhergestaltung  schon  weiter 
vorgescliritten.  Bei  höhergradigem  Pannus,  dem  Pannus  crassus ,  stösst  man  unter 
dem  sehr  verdickten  und  unregelmässig  geschichteten  Epithel  immer  auf  ein  mehr 
minder  mächtiges  Stratum  von  bindegewebigem  Charakter,  welches  von  neugebildeten 
und  mit  deutlichen,  zum  Theile  sogar  mit  dicken  Wandungen  versehenen  Gefässen 
durchsponnen  wird.  Das  tmter  der  oft  selu'  lückenhaften  Bowman'schen  Schichte 
gelegene  Stratum  dicht  an  einander  gedrängter  ncoplastischer  Zellen  hat  sich  gleich- 
falls schon  in  Bindegewebe  umgewandelt,  oder  beurkundet  wenigstens  die  Neigung 
dazu  durch  starke  Streckung  der  answachsenden  Zellen  und  Entwickelung  einer 
streifigen  Intercellularsubstanz.  Es  führt  eben  solche  neiigebildete  Gefässe,  die  theil- 
weise  unter  grossen  Winkeln  in  die  Tiefe  dringen  und  in  dem  von  Zellenanhäufungen 
getrübten  Cornealgefüge  verschwinden  (Wedl,  Iwanojf). 

Krankheitsbild.  Der  Pannus  tenuis  ist  in  der  Eegel  auf  einzelne 
Theile  der  Cornea  beschränkt  und  stimmt  in  relativ  frischen  Fällen  seiner 
äusseren  Erscheinung  nach  mit  der  Keratitis  vasculosa  superficialis  überein. 


110  Pannus;  Krankheitsbild. 

Hier  wie  dort  findet  mau  dasselbe  sulzähiiliche  trübe  Aussehen,  dieselbe 
Eauhigkeit  der  scheinbar  aufgelockerten  Oberfläche  und  dieselben  centri- 
petal  ziehenden,  vielfach  unter  einander  anastomosirenden  Gefässe.  In 
veralteten  Fallen  aber  erscheint  die  Oberfläche  der  Cornea  weniaier  rauh, 
obgleich  matt  und  statt  der  sulzähnlichen  zeigt  sich  eine  mehr  grauweisse, 
am  Rande  streifig  wolkig  verschwommene,  von  Gefässen  durchwebte  Trübung. 

Der  Pannus  crassus,  carnosus  oder  sarcomatosus,  ist  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  über  die  ganze  Hornhaut  ausgedehnt.  In  frischeren  Fällen  stellt 
er  sich  als  eine  mehr  weniger  dicke,  oberflächlich  rauhe  und  matt  glän- 
zende, lockere,  sulzähnlich  durchscheinende,  graugelbliche  oder  röthliche, 
mit  einem  Netze  grober  Gefässe  durchsponnene  oder  wegen  übergrossem 
Gefässreichthume  gleichmässig  blutrothe  und  leicht  blvitende  Schichte  dar, 
welche  die  Hornhaut  von  vorneher  überzieht  und  mit  dem  Limbus  con- 
junctivalis  unmittelbar  zusammenhängt.  In  höchstentwickelten  Fällen  wuchern 
aus  der  Oberfläche  dieses  pannösen  Stratums  dichtgedrängte  fleischioärzchen- 
ähnliche  Auswüchse  von  verscliiedenem  Caliber  hervor,  die  Cornea  gewinnt 
das  Aussehen  einer  granulirenden  Wundfläche.  In  Fällen  älteren  Datums 
schrumpft  diese  lockere  Masse ,  die  warzigen  Erhabenheiten  verlieren 
sich,  die  Oberfläche  der  Cornea  wird  weniger  rauh,  matt  sehnenglänzend, 
die  pannöse  Schichte  verwandelt  sich  allmälig  in  einen  dichten  derben 
sehnenähnlichen  Uebcrzug,  welcher  seinerseits  -wieder  in  manchen  Fällen  von 
lockerem  Bindegewebe  überkleidet  wird ,  das  unmittelbar  mit  dem  Limbus 
conjunctivalis  zusammenhängt  und  gleichsam  eine  Fortsetzung  der  Binde- 
haut darstellt. 

Die  pannösen  Gefässe  der  Cornea  sammeln  sich  am  Hornhautrande  in 
dicke  wenig  verzweigte  Stämme,  welche  zum  grossen  Theile  im  eigentlichen 
Conjunctivalgewehe  selbst  liegen  und  in  unregelmässigem  Zuge  gegen  die 
Uebergangsfalte  der  Conjunctiva  Irin  streichen,  wo  sie  sich  in  das  Orbital- 
gefüge  einsenken.  Sie  sind  mit  der  Bindehaut  an  der  Oberfläche  des 
Bulbus  verschieblich.  Im  Episcleralgewebe  finden  sich  grobe  ausgedehnte 
Gefässstämme  nur  in  einiger  Entfernung  von  der  Cornealgrenze. 

Ueberhaupt  ist  beim  reinen  Pannus  das  Episcleralgewebe  der  Regel 
nach  nur  in  geringem  Grade  injicirt.  Ebenso  fehlen  meistens  heftigere 
Schmerzen  und  Lichtscheu,  der  Kranke  wird  dafür  sehr  durch  die  Trübung 
des  Gesichtes  belästigt. 

Hierin  und  in  der  Stabilität  der  Erscheinungen  liegt  das  hauptsäch- 
lichste Unterscheidungsmerkmal  des  Pannus  und  der  Keratitis  vasculosa 
superficialis.  Wo  das  Episcleralgewebe  stai-k  injicirt ,  von  einem  dichten 
Gefässnetze  rings  um  die  Cornea  durchwebt  erscheint,  örtliche  Temperatur- 
erhöhung, reichliche  Absonderung  heisser  Thränen,  Schmerzen  und  Licht- 
scheu sich  geltend  machen :  dort  hat  man  es  nicht  sowohl  mit  einem 
reinen  Pannus,  sondern  entweder  mit  einer  Keratitis  im  engeren  Wortsinne 
zu  thun,  oder  aber  mit  einem  Pannus,  neben  und  in  welchem  sich  aus 
irgend  welcher  Veranlassung  neuerdings  eine  eigentliche  Entzündung  ent- 
wickelt hat. 

Einige  Besonderheiten  des  Ki'ankheitsbildes  resultiren  ausserdem  noch 
aus  der  Yerschiedenlieit  des  pathogenetischen  Momentes. 

Ursachen.  1.  In  den  meisten  Fällen  hat  der  Pannus  die  Bedeutung 
eines    Cornealtrachomes    und    findet   sich    in    Gesellschaft    einer    Ophthalmia 


Ursaclieii;  Paunus  liachuin. ,  Iraumul.,  herpef.;  Verlauf.  111 

graaulosa;  der  trachomatöse  Wucherungsprocess  hat  sich  von  der  Binde- 
haut durch  den  Limbus  conjunctivalis  auf  die  mit  letzterem  in  unmittel- 
barem Zusammenhange  stehenden  obertlächlichon  Htrata  der  Hornhaut-  fort- 
gepÜanzt  und  daselbst  jene  Veränderungen  gesetzt,  welche  mit  dem  Namen 
Pannus  bezeichnet  werden.  Das  vorhin  entwickelte  IJild  des  l*annus  passt 
vornehmlich  auf  diese  Form,  ja  der  Pannus  crassus  kömmt  in  der  ge- 
schilderten  Gestalt  fast  nur  neben  hochgradigem  Bindehauttrachome  vor. 

Die  Keratitis,  aus  welcher  der  Painnis  sich  entwickelt,  tritt  öfters  fast  gleich- 
zeitig mit  dem  Bindehauttrachome  oder  doch  in  den  ersten  Stadien  des  letzteren 
auf.  Ebenso  oft  indessen  kömmt  der  Pannus  auch  S2i'dl  zu  Stande,  ja  nicht  selten 
bildet  er  sich  erst  neben  veralteten  Bindehauttrachomen  aus.  Die  nächste  Veran- 
lassung zu  seiner  Entwickelung  sind  nicht  selten  rein  äusserlidte  Verhältnisse,  z.  B 
eine  fortgesetzte  zvi  stark  reizende  Behandlung,  die  Einwärtskehrung  von  Wimpern 
u.  s.  w.  Oftmals  sind  auch  ausgebreitete  Bindehautnarhen,  sie  mögen  nun  entweder 
unmittelbar  durch  Schrumpfung  der  trachomatösen  Conjunctiva,  oder  durch  Aetz- 
wunden  bedingt  worden  sein,  als  die  nächste  Ursache  des  Pannus  aufzufassen. 
Diese  Narben  beleidigen  nämlich  die  Hornhaut  einerseits  direct  nach  Art  fremder 
Körper  durch  die  Rauhigkeit  ihrer  Oberfläche;  andererseits  unterhalten  sie  Reiz- 
zustände am  Auge  durch  die  nebenhergehende  Verminderung  der  Absonderungen 
und  somit  durch  verstärkte  Reibung  zwischen  dem  Conjunctivalsacke  und  der  Ober- 
fläche des  Bulbus  beim  Lidschlage.  Die  solchermassen  begründeten  Fälle  von 
Pannus  bilden  gleichsam  einen  Uehergang  vom  Pannus  trachomatosus  zum  traumaticus. 

2.  Der  reine  Pannus  trarimaticus  wird  hegriindet  durch  die  fortgesetzte 
Einwirkung  mechanischer  oder  chemischer  Schädlichkeiten  auf  die  Horn- 
haut. Die  gewöhnlichsten  Veranlassungen  sind  :  nach  einwärts  gekrümmte 
oder  durch  Entropium  mit  der  Cornea  in  Berührung  gebrachte  Cilien, 
fremde  in  dem  Conjunctivalsacke  haftende  Körper,  unzweckmässige  fort- 
gesetzte Anwendung  scliarfer  Salben,  CoUyrien  etc.,  sowie  die  stetige  Ein- 
wirkung der  atmosphärischen  Luft  bei  Verkürzungen  der  Lider,  bei  Ectro- 
pium, Lagophthalmus,  Exophthalmus. 

Mechanische  Schädlichkeiten ,  welche  omr  auf  einen  Theil  der  Cornea  ein- 
wirken, haben  sehr  oft  nur  einen  partiellen  Pannus  im  Gefolge,  wenigstens  tritt  die 
pannöse  Gewebswucherung  an  der  der  Reizwij-kung  direct  ausgesetzten  Portion  der 
Cornea  viel  auffälliger  hervor. 

Als  Eigenthümlichkeit  dieser  Form  des  Pannus  ist  übrigens  zu  erwähnen, 
dass  neben  dem  oberflächlichen  gefässhaltigen  pannösen  Stratum  sehr  häufig  leuco- 
matöse  Trübungen  der  tieferen  Hornhautschichteu  beobachtet  werden. 

3.  Eine  dritte  Species  des  Pannus  ist  der  Pannus  herpeticus.  Dieser 
ist  das  Resiiltat  andauernder  herpetischer  Processe  auf  der  Hornhaut.  Er 
präsentirt  sich  meistens  unter  der  Form  des  Pannus  temils  und  ist  dann 
häufig  auf  die  Cornea  beschränkt.  Erreicht  er  den  Grad  eines  Pannus 
crassus,  so  ist  er  meistens  mit  herpetischem  Bindehautpannus  gepaart.  Das 
charakteristische  Merkmal  dieser  Specialform  sind  die  in  das  pauuöse  Stra- 
tum eingestreuten  eigenthümlichen  herpetischen  Knoten,  Narben,  Exfolia- 
tionen und  frischen  Eftiorescenzen.  Er  kömmt  sehr  oft  in  Combination 
mit  dem  trachomatösen  Pannus  neben  veraltetem  Trachom  vor. 

Verlauf.  Der  Pannus,  sich  selbst  überlassen,  besteht  oft  Monate  und 
Jahre  lang  ziemlich  unverändert  fort  und  schreitet  nur  sehr  langsam  seinen 
endlichen  Ausgängen  zu.  Wichtig  sind  in  prognostischer  und  therapeuti- 
scher Beziehung  die  entzündlichen  Episoden,  welche  sich  im  Verlaufe  des 
Pannus  jeglicher  Art  so  häufig  geltend  machen  und  unter  ungünstigen 
Verhältnissen  trotz  aller  Therapie  immer  wiederkehren ,  den  Kranken  im 
höchsten  Grade  peinigen  und  am  Ende  zu  unheilbaren  Schäden  füloi'en. 


112  Pannus  ;  Ausgänge  ;  Pannus  siccus. 

Ausgänge.  Der  Pannus  jeglichen  Grades  kann  möglicher  Weise  toII- 
ständig  und  ohne  Trübung  zu  hinterlassen  heilen ,  vorausgesetzt ,  dass  er 
nicht  veraltet  ist.  Spontan  heilt  indessen  nur  der  Pannus  tenuis ,  wenn, 
so  lange  er  frisch  ist,  die  ätiologischen  Momente  völlig  beseitigt  werden 
und  beziehungsweise  auch  sonst  günstige  Verhältnisse  mitwirken. 

Wo  die  Umstände  der  Heilung  weniger  förderlich  sind ,  verwandelt 
sich  der  Pannus  in  eine  gefässarme  oberflächliche  Macula,  in  einen  Sehnen- 
fleclc,  oder  gar  in  ein  fibröses  häutiges  Gebilde,  welches  die  Hornhautober- 
fläche überdeckt  und  gleichsam  eine  Fortsetzung  der  Bindehaut  darstellt. 
Bisweilen  ist  in  Fällen  der  letzteren  Art  auch  die  Conjunctiva  in  ähnlicher 
Weise  entartet  und  der  sehnige  Ueberzug  der  Cornea  erscheint  dann  eigen- 
thümlich  trocken,  seine  Oberfläche  seidenglänzend  oder  schilferig  matt,  ein 
Zustand,  den  man  mit  dem  Namen  Pannus  siccus  belegt  hat  und  welcher 
in  der  Regel  die  Theilerscheinung  eines  Xerophthalmus  abgibt.  Auch 
kömmt  es  vor,  dass  unter  häufigeren  Recidiven  des  entzündlichen  Processes 
die  pannöse  Cornea  am  Ende  ausgedehnt,  blasig  vorgetrieben  wird,  ein 
Zustand ,    welchen  man   mit  dem  Namen   Keratectasia  ex  panno  belegt   hat. 

Im  Allgemeinen  kann  man  sagen,  die  Prognose  sei  um  so  günstiger, 
je  dünner  der  Pannus  und  je  jünger  derselbe  ist.  Veraltete,  selbst  sehr 
dünne  Panni  liinterlassen  fast  immer  eine  oberflächliche  Macula.  Ebenso 
heilt  auch  der  Pannus  crassus  nicht  leicht  vollständig;  eine  oberflächliche 
epitheliale  oder  sehnige  Trübung  bleibt  häufig  zurück,  selbst  dann,  wenn 
die  pannöse  Schichte  erst  kurze  Zeit  besteht ,  also  noch  sulzähnlich  er- 
scheint, die  Therapie  eine  völlig  entsprechende  ist  und  der  Kranke  sich 
unter  beziehungsweise  günstigen  Umständen  befindet. 

Unter  den  einzelnen  Specialformen  des  Pannus  gewährt  der  trachoma- 
tosus  bei  übrigens  gleichen  Umständen  die  meiste  Aussicht  auf  vollständige 
Heilung.  Unter  geeignetem  Kurverfahren  schwindet  der  Pannus  meistens 
rascher,  als  das  Trachom  selbst  und  wenn  die  pannöse  Schichte  nicht  gar 
zu  dick  ist  oder  schon  zu  lange  besteht,  wird  die  Hornhaut  gewöhnlich 
wieder  völlig  durchsichtig  oder  behält  doch  nur  eine  ganz  oberflächliche 
dünne  wolkige  Trübung.  Doch  gilt  dieses  alles  nur  dort,  wo  die  Binde- 
haut nicht  bereits  von  Narben  durchsetzt  oder  gar  in  grosser  Ausbreitung 
geschrumpft  ist.  In  Fällen  letzterer  Art  wird  selbst  der  Pannus  tenuis  in 
der  Regel  nur  auf  einen  gefässarmen  Hornhautfleck  reducirt  und  kehrt 
über  kurz  oder  lang  wieder. 

Beim  Pannus  traumaticus  kommen  in  prognostischer  Beziehung  neben 
dem  eigentlichen  Pannus  noch  die  leucomatösen  Trübungen  der  tieferen 
Cornealschichten  in  Betracht.  Diese  wiederstehen  ganz  gewöhnlich  der 
Therapie  oder  werden  doch  nur  vermindert,  ohne  sich  völlig  beseitigen 
zu  lassen,  und  stören  fortan  das  Sehvermögen  sehr  bedeutend.  Den  Pan- 
nus als  solchen  anbelangend,  kömmt  alles  auf  die  grössere  oder  geringere 
Schwierigkeit  der  Entfernung  des  ursächlichen  Momentes  und  der  Her- 
stellung normaler  Verhältnisse  in  den  Nachb artheilen  der  Cornea  an.  Erst 
dann,  wenn  dieses  gelungen  ist,  gewinnen  die  oben  erwähnten  Verhältnisse 
eine  selbstständige  prognostische  Bedeutung. 

Aehnliches  gilt  auch  vom  Pannus  herpelicus.  Ausser  der  grösseren 
oder  geringeren  Leichtigkeit ,  künftigen  herpetischen  Eruptionen  vorzu- 
bauen, kömmt  nocli    die  Zahl ,    der  Sitz    und    die   Form    der  vorhandenen 


Bcliamllniii!::  Roizonile  Mittel.  113 

herpetischen  Efflovei=icenzcn  iind  ihrer  Folgezuständc  in  Rechnung.  Der 
Pannun  kann  sclnvindon ,  ohne  dass  der  Kranke  wegen  den  dui'ch  die 
Efflorescenzen  bedingten  Trübungen  der  Cornea  einen  sonderlichen  Gewinn 
daraus  zu   ziolien   vermag. 

Behandlung.  1.  Das  Hauptaugenmerk  muss  vorerst  immer  mif  Be- 
seitigung des  ursarhliclien  Momentes  gelichtet  sein.  Beim  traumatischen  Pannus 
werden  in  der  Hegel  operative  Eingriffe  mannigfaltiger  Art  der  directen 
Kur  des  Hornhautleidens  vorangehen  müssen.  Beim  herpetischen  Pannus 
tritt  die  Nothwendigkeit  hervor,  den  sich  etwa  noch  immer  wiederholenden 
frischen  Eruptionen  und  insbesondere  der  vorhandenen  Disposition  eine 
richtige  Therapie  entgegenzusetzen.  Beim  Pannus  trachomatosus  endlich  ist 
ein  specielles  Kurverfahren  meistens  überflüssig,  es  genügt  die  Behandlung 
des  Bindehautti'achoms  nach  der  später  anzugebenden  Methode  ,  um  auch 
das  Cornealtrachom  zum  Schwinden  zu  bringen,  oder  doch  auf  einen  mög- 
lichst günstigen  Zustand   zurückzuführen. 

2.  Gegen  den  Pannus  als  solchen  haben  sich  nach  Entfernung  der 
pathogenetischen  Momente  locale  Reizmittel  am  meisten  bewährt  und  eine 
Unzahl  derselben  steht  seit  undenklichen  Zeiten  im  Gebrauche  (S.  45). 
Es  scheint,  als  ob  durch  deren  Reizwii'kung  in  der  pannösen  Schichte  der 
Zerfall  und  die  Auflösung  der  Elemente  in  leicht  resorbirbare  Stoffe  be- 
günstigt, zum  Theile  wohl  auch  deren  Abstossung  gefördert  würde.  Es 
sind  darunter  besonders  zu  erwähnen :  Einstäubungen  von  Calomel ,  Ein- 
streichung  von  Salben  aus  gelbem  (iuecksilberoxj^de ,  aus  weissem  Präci- 
pitate ;  Einpinselungen  von  reiner  oder  mit  Wasser  verdünnter  Opiura- 
tinctur  etc.  Im  Allgemeinen  taugen  alle  Mittel,  welche  einen  massigen  und 
dem    Grade  nach  hemessharen  Reiz  auf   das  Auge  auszuüben  im  Stande  sind. 

3.  Das  eigentliche  Feld  für  derlei  einfache  Reizmittel  ist  der  Pannus 
tenuis  in  seinen  verschiedenen  Altersstadien  und  Uebergängen  zur  Macula 
corneae.  Beim  Pannus  crassus,  namentlich  höherer  Grade,  reichen  sie  nicht 
immer  aus  und  werden  dann  mit  Yortheil  ersetzt  durch  wahre  Caustica, 
welche  neben  der  reizenden  auch  noch  eine  zerstörende  Wii'kung  entfalten. 
Man  kann  diese  Mittel  mit  um  so  grösserer  Beruhigung  anwenden,  je  dicker 
das  pannöse  Stratum  ist,  denn  um  so  weniger  läuft  man  Gefahr,  die  etwa 
noch  restitutionsfähigen   Schichten   der  Cornea  propria   zu  beleidigen. 

Unter  den  hierzu  verwendbaren  Mitteln  gebührt  jedenfalls  dem  Höllen- 
steine der  Vorzug,  da  er  relativ  zu  seiner  chemischen  Kraft  am  wenigsten 
reizt  und  seine  Wirkung  sich  am  leichtesten  beschränken  lässt.  Je  nach 
dem  Grade  des  Pannus  crassus  und  je  nach  der  Derbheit  der  pannösen 
Schichte  werden  schwächere  oder  stärkere  Lösungen  von  gr.  10 — 30  ad 
unc.  unam  Aq.  dest.,  bei  fleischivärzchenähnlichen  Rauhigkeiten  der  Corneal- 
oberfläche  am  besten  der  Lapis  infernal,  mitigatus  in  Stangenform  benützt. 
Erstere  werden  mittelst  des  Pinsels  aufgetragen,  der  letztere  aber  vorsichtig 
und  leise  über  die  pannöse  Schichte  hingestrichen  und  sodann  mit  lauem 
Wasser  der  Ueberschuss  des  Aetzmittels  abgeschwemmt.  Ist  gleichzeitig 
ein  Conjunctivaltrachom  gegeben,  so  wird  natürlich  die  Aetzung  der  Binde- 
haut mit  der  der  trachomatösen  Cornea  verbunden.  Bei  auffälligem  Torpor, 
insbesondere  bei  bedeutender  Erschlaffung  der  Theile ,  wie  sie  gerne  nach 
Ablauf  eines  hochgradigen  Trachoms  zurückbleibt,    sind   directe  Aetzungen 

stell  wag,  Augenheilkunde.  8 


114  Pannus:   Beliandlung :  Scarification  u.  Umsclineidnng  der  Bindehaut. 

der  pannösen  Cornea  und  der  Bindehaut  mit  Kiystallen  von  Sulfas  Cupri 
zeitweise  der  Anwendung  des  Höllensteins  vorzuziehen  (S.  49). 

Die  mehrfach  empfohlene  Bestreichung  der  pannösen  Cornea  mit  neutralem 
essigsauren  Blei  dürfte  so  wenig  wie  beim  Bindehauttrachome  Empfehlung  verdienen. 
Nicht  ohne  Gefahr  mag  die  Anwendung  von  saurem  salpetersuvren  Quecksilheroxyd 
in  einer  Lösung  mit  gleichen  Theilen  Wasser  sein  (Warlomont).  Weniger  gefähr- 
lich, aber  kaum  von  sonderlichem  Nutzen,  ist  die  Aq.  Chlori,  welche  in  Fällen  ver- 
alteten trachomatosen  Pannus  empfohlen  wird,  wo  die  anderen  metallischen  Topica 
nicht  vertragen  werden  (Graefe). 

Vor  einiger  Zeit  erfreute  sich  eines  besonderen  Rufes  in  der  Behandlung 
des  Pannus  die  Caiiterisafion  des  Limhns  conjuncfivalis  mit  Höllenstein  (Sanson). 
Offenbar  ist  nur  die  reizende  Wirkung  dieses  Verfahrens  das  Medium  der  günstigen 
Erfolge.  Auch  die  Aussclmeidung  sowie  die  Scarification  der  mit  der  pannösen 
Schichte  in  Zusammenhang  stehenden  starken  Gefässstäninie  der  Bindehaut  (Scarpa) 
wurde  vielseitig  und  zu  verschiedenen  Zeiten  wiederholt  gerühmt,  immer  aber 
wieder  verlassen.  Neuerlich  ist  die  Aussclmeidung  der  gesammten  Vorderzone  der 
Conjimcfiva  hulhi  (Scarpa,  Kiiclder)  sehr  in  Schwung  gekommen.  Man  lobt  von  ihr 
besonders  die  Raschheit  der  Erfolge  und  völlige  Ungefährlichkeit.  Man  wendet  sie 
jedoch  meisthin  in  Fällen  an,  in  welchen  die  vorgenannten  unhhdigen  Methoden 
ausreichen.  Bei  hochgradigem  veralteten  und  hartnäckigen  Pannus  lässt  eine  ein- 
./flc/te  .i4?/.9.9c/tJ!e;VZ?/7?^  der  vorderen  Bindehautzone  in  der  Regel  im  Stiche;  die  Wunde 
aber  nach  völliger  Ausscherung  des  in  ihren  Bereich  fallenden  Theiles  des  Epi- 
scleralgewebes  mit  H'öllensfein  nachdrücklich  zu  ätzen,  wie  Manche  anrathen  (Bertravdi, 
FtirnariJ ,  muss  dermalen,  trotz  aller  Betheuerungen  völliger  Gefahrlosigkeit  von 
Seite  der  Erfinder,  noch  für  sehr  hedevklich  erklärt  werden. 

4.  Es  mögen  nun  einfach  reizende  oder  caustische  Mittel  in  Gebrauch 
gezogen  werden ,  so  ist  niemals  ausser  Acht  zu  lassen  ,  dass  dieselben  bei 
unvorsichtiger  Gebahrung  intensive  Reizzustände  hervorzurufen,  vorhandene 
Irritationen  zu  steigern  und  durch  Anregung  neuer  Gewebswucherung  den 
Pannus  nach  Dicke  und  Ausbreitung  zu  steigern  vermögen.  Wo  immer 
demnach  eine  starke  Injection  der  Conjunctiva  bulbi  und  besonders  der 
episcleraleu  Gefässnetze,  örtliche  Temperaturerhöhung,  Empfindliclikeit  des 
Auges,  Schmerzen,  Lichtscheu  und  reichlichere  Absonderung  warmer  Thränen 
das  Gegebensein  eines  heftigeren  Reizzustandes  vei'rathen ,  ist  die  Appücation 
der  genannten  Mittel  gefährlich  und  durch  Antiphlogosis,  d.  i.  durch  jenes 
Kurverfahi-en  zu  ersetzen ,  welches  bei  der  Keratitis  vasculosa  mit  Erfolg 
in  Anwendung  kömmt.  Es  ist  dabei  gleichgiltig,  ob  die  Keratitis,  welche 
dem  Pannus  voranging,  noch  nicht  ganz  abgelaufen  ist ;  oder  ob  sich  durch 
jene  Zeichen  eine  der  entzündlichen  Episoden ,  wie  sie  im  Verlaufe  des 
Pannus  so  oft  vorkommen,  beurkundet;  oder  ob  eine  zuföllige  äussere 
Ursache,  ein  zu  heftiger  therapeutischer  Eingriff  u.  s.  w.  vorübergehend 
eine  lebhaftere  Reizung  veranlasst  hat.  Fehlen  aber  solche  Erscheiimngen, 
so  ist  es  in  Berücksichtigung  der  verschiedenen  individuellen  Ei-regbarkeit 
räthlich,  mit  den  schwächeren  Mitteln  und  mit  schwächeren  Dosen  zu  heginnen 
und  nur  allmälig  zu  den  stärkeren  überzugehen,  kräftige  Mittel  anfänglich 
in  längeren  Zwischenpausen  zu  appliciren  und  ihre  Anwendung  nach  und 
nach  häufiger  zu  wiederholen,  immer  aber  sogleich  auszusetzen  und  mit 
der  Antiphlogose  zu  vertauschen,  wenn  sich  auf  ihren  Gebrauch  eine  starke 
und  länger  dauernde  Eeactiou  einstellt. 

5.  Mcht  gar  selten  stösst  man  auf  Fälle,  namentlich  von  veraltetem 
Pannus  trachomatosus,  in  welchen  die  Rückbildung  der  Neoplasie,  nachdem 
sie  bis  zu  einem  gewissen  Punkte  gediehen  ist,  nicht  mehr  fortschreitet, 
und  eine  iceitcre  Aufhellung  der  Cornea  trotz  ausdauerndem  und  rationellem 
Kurverfahren  nicht  mehr  zu  erzielen  ist,  indem  sich  die  Theile  au  gewisse 


Einimiifung  der  lilonnorrhoe.  llö 

Gi'ade  von  therapeutischer  Reizwirkung  geioöhnt  haben,  der  Uebergang  zu 
kräftigeren  Mittohi  aber  die  Integi'ität  der  Cornea  und  Conjunctiva  entweder 
direct  gofiilirdot,  oder  sich  jedesmal  durch  Erregung  heftiger  und  verderb- 
licher Kntzündungen  straft.  Jn  solchen  FüIUmi  kann  man  durcli  längeres 
Aussetzen  des  irritirenden  Verfahrens  die  Empfängliclilveit  für  die  früher  gut 
vertragenen  drittel  erliöhen  und  letztere  wieder  heilbringend  machen.  Rascher 
und  sicherer  gelangt^  man  bisweilen  zum  Ziele ,  wenn  man  ivarme  Ueber- 
schläge  (von  28 — 32  Grad  Ileavimur)  oder  Cataplasmen  auf  die  geschlossenen 
Lider  applicirt,  bis  die  Bindehaut  in  einen  Zustand  massiger  entzündlicher 
Schioellung  gerathen  ist.  Es  quillt  dann  nämlich  auch  die  pannose  Schichte 
auf,  sie  wird  saftreicher,  zum  Zerfall  und  zur  Auflösung  in  resoi'ptions- 
fähige  Bestandtlieile  geneigter.  In  der  That  hellt  sich  in  Folge  eines 
solchen  künstlich  erzeugten  Entzündungszustandes  die  pannose  Schichte 
mitunter  in  sehr  beträchtlichem  Grade  auf;  jedenfalls  aber  kann  man  dann 
von  der  Wiederaufnahme  und  dem  consequenten  Gebrauche  der  oben  er- 
wähnten ]\fittel  eine  kräftigere  Wirkung  erwarten  (Graefe,    Stavenhagen). 

T).  Versagt  auch  diese  Methode,  so  bleibt  behufs  der  Auflockerung  des 
Gefüges  und  der  Förderung  der  E.esorptionsfahigkeit  nur  mehr  Ein  Mittel 
übrig,  die  Einimpfimg  der  Ophthalmoblennorrhoe  in  den  Bindehautsack.  Die 
Beobachtung,  dass  selbst  lange  bestehende  und  allen  anderen  Mitteln  hart- 
näckig trotzende  höchstgTadige  Panni  durch  eine  zufallig  veranlasste  Binde- 
hau tblennorrhoe  rasch  und  vollständig  zum  Schwinden  gebracht  werden 
können,  hat  sclion  vor  nahezu  einem  halben  Jahrhundert  auf  dieses  Ver- 
fahren  geleitet   (Fried.   Jäger,   Piringer,   Hairion,    Walker,   Mooren). 

Die  Anzeigen  für  die  Einimpfung  belangend  kömmt  in  Betracht,  dass 
es  nicht  in  der  Willkür  des  Arztes  liege,  durch  die  Wahl  des  Impfstoffes 
oder  durch  eine  gewisse  Manipulation  den  Grad  oder  die  Intensität  der 
künstlich  erzeugten  krankhaften  Zustände  in  voraus  zu  bemessen  und  dass 
auch  einfache  Blennorrhöen,  obwohl  sie  hochgradig  pannose  Hornhäute  er- 
fahrungsmässig  weniger  bedrohen  als  normale ,  in  einem  keineswegs  uner- 
heblichen procentarischen  Verhältnisse  zu  theilweisen  Verschwärungen  und 
selbst  zur  Fhf.hisis  der  Cornea  führen ,  die  Therapie  sei ,  welche  sie  wolle. 
Auch  verdient  der  Umstand  Berücksichtigung ,  dass  pannose  Hornhäute 
unter  dem  Einflüsse  heftiger  Entzündungen  nicht  ungerne  ectatisch  werden 
und  dass  eine  durch  Einimpfung  hervorgerufene  Syndesmitis  leicht  in 
Trachom  übergehen  kann.  Die  Einimpfung  der  Blennorrhoe  ist  und  bleibt 
demnach  ein  heroisches  ^Mittel,  dessen  Benützung  nur  durch  die  äusserste 
Noth,  durch  die  bereits  erwiesene  Unzulänglichkeit  der  übr'igen  Methoden  ge- 
rech/fertigt  werden   kann. 

Dem  entsprechend  kann  die  Inoculation  der  Blennorrhoe  überhaupt 
nur  bei  dem  höchntgradig  entwickelten  und  überdies  sehr  veralteten  Pannus 
crassus  in  Frage  kommen. 

In  dem  Vorhandensein  von  Cornealgeschwüren  liegt  eine  Gegenanzeige. 
Der  Verschwärungsprocess  schreitet  während  der  Blennorrhoe  nämlich  gerne 
weiter  und  kann  selbst  zur  Phthisis  corneae  führen.  Erfolglos  bleibt  das 
Mittel  bei  sehniger  Entartung  der  Bindehaut  und  zwar  oft  schon  darum,  weil 
das  Contagium  nicht  fängt. 

Es  ist  klug,  den  Ansteckungsstoff  wo  möglich  von  Blennorrhöen  mit  relativ 
gi'mstigem  Cliarakter ,  am  besten  von  der  Ophthalmoblennorrhoea  neonatorum  zu 
entnehmen.     Allzugrosse  Aengstlichkeit  in  der  Wahl  des  Anstecknngsstoffes  ist  in- 

8* 


116  Pannns  :  Bphandhing' :  Hornhaiitflecke. 

dessen  keineswegs  notliwendig.  Man  hat  wiederholt  mit  dem  besten  Erfolge  den 
Eiter  einer  Pyorrhoe,  ja  selbst  eines  Harnröhrentrippers  eingeimpft,  ohne  anf  die 
Qualität  des  Stoffes  und  anf  das  Alter  oder  den  Grad  der  das  Contaginm  liefernden 
Krankheit  sonderlich  Rücksicht  zn  nehmen.  Es  ist  ja  eben  Aufgabe,  eine  int.e^isive 
Blennorrhoe  zu  erzeugen.  Nimmt  man  das  Secret  einer  gar  zu  milden  Blennorrhoe, 
so  läuft  man  Gefahr,  dass  das  Contaginm  nicht  hafte  oder  doch  nicht  eine 
Blennorrhoe  von  ausreichend  hoher  Intensität  erzeuge,  dass  man  also  die  Inocu- 
lation  öfter  wiederholen  muss  und  am  Ende  ist  man  erst  nicht  vor  einer  Pyorrhoe 
der  schlimmsten  Art  gesichert,  da  die  Intensität  und  der  ganze  Charakter  der 
durch  Ansteckung  hervorgerufenen  Affection  durchaus  nicht  mit  der  Qualität  des 
Ansteckungsstoffes  in  einem  festen  Verhältniss  steht. 

Die  Einimpfung  geschieht  am  besten  durch  einen  Pinsel  oder  ein 
Schwämmchen ,  mittelst  welchem  man  das  ansteckende  Product  bei  umge- 
stülptem unteren  Lide  auf  den  Uebergangstheil  der  Bindehaut  aufträgt. 
Es  genügt  zu  diesem  Zwecke  ein  ganz  geringes  Quantum  des  Impfstoffes. 
Am  sichersten  haftet  derselbe,  wenn  er  unmittelbar  von  der  absondernden 
Fläche  auf   die   Conjunctiva  des    pannösen  Auges  gebracht  wird    (Piringer). 

Wo  dieses  nicht  thunlich  ist,  wird  der  Eiter  nach  Art  der  Vaccine  zwischen 
zwei  Glasplatten  eingeschlossen  und  vor  der  Vertrocknung  gesichert,  um  dann  ver- 
wendet zu  werden.  Es  verträgt  der  Eiter  eine  ziemlich  starke  Verdünnung  mit 
Wasser;  doch  wird  dadurch  seine  Ansteckungsfähigkeit  bedeutend  vermindert. 
Ebenso  verliert  er  an  Wirksamkeit  durch  längere  Aufljewahrung  und  Vertrocknung. 
Haftet  das  Contagium  nicht,  so  muss  die  Inocnlation  wiederholt  werden.  Manch- 
mal ist  man  gezwungen,  den  Eiter  mit  der  Lancelte  in  die  Conjunctiva  einzuimpfen 
(Pi7-inger). 

Im  Falle  der  Haftung  des  Contagiums  entwickelt  sich  die  Blennorrhoe 
in  der  Regel  binnen  wenigen  Stunden,  längstens  innerhalb  1 — 3  Tagen. 
Man  muss  sie  bis  zu  einem  höheren  Grade  ansteigen  lassen ,  dann  aber 
muss  die  in  solchen  Fällen  übliche  Therapie  ihrem  ganzen  Umfange  nach 
gehandhabt  werden. 

Sehr  oft  schwindet  während  dem  Verlaufe  der  eingeimpften  Blennorrhoe  die 
pannöse  Schichte  nur  theilweise,  der  Rest  aber  wird  i;nter  der  vorhin  geschilderten 
]5ehandlung  leicht  getilgt.  Wo  dieses  nicht  gelingt,  wird  von  Einigen  die  Wieder- 
holung der  Inocnlation  anempfohlen,  da  Fälle  bekannt  sind,  in  welchen  die  zweite, 
dritte,  ja  fünfte  Inocnlation  erst  das  leistete,  was  die  erste  Einimpfung  vergeblich 
erwarten  Hess. 

Quellen.  Hin,  Beiträge  zur  Histologie  der  Hornhaut.  Basel.  1856.  S.  107  u. 
109.  —  Wedl,  Atlas,  Cornea  Sclera.  —  C.  Ritter,  A.  f.  O.  IV.  1.  S.  355.  —  Hasner, 
kl.  Vorlesgn.  Prag.  18G0.  S.  157.  —  Coccius,  lieber  Glaucom,  Entzündg.  etc.  Leijizig. 
1859.  S.  .SO.  —  A7-It,  kl.  Montbl.  18G4.  S.  426.  —  WarJomont  et  TenteUn,  Traite 
prat.  des  mal.  d.  yeux.  Paris.  1857.  II.  S.  164.  —  Graefe,  A.  f.  O,  VI.  2.  S.  146; 
X.  2.  S.  199.  —  Booshroeck,  kl.  Montbl.  1863.  S.  492.  —  Critchetl,  ibid.  1864.  S. 
393.  —  Bader,  Laioson,  Ophth-.  Hosp.  Reports  IV.  1 ;  VI.  1  und  Canstatt's  Jahres- 
bericht 1863.  III.  S.  122  und  123.  —  Secondi,  Clinica  ocul.  di  Genova.  Torino, 
1865.  S.  12.  —  Williams,  Compte  rendu  du  congres  d'ophth.  Paris.  1863.  S.  137. 
—  Hairion  ibid.  S.  179.  —  Furnari  ibid.  S.  193.  —  Sanson,  Scatjxi,  Küchler,  Ber- 
trandi  ibid.  S.  181  und  Desmarres,  Traite  d,  mal.  d.  yeux.  Paris.  1847.  S.  231.  — 
H.  Walker  nach  Hairion  1.  c.  S.  187.  —  Piringer,  Wien.  med.  Jahrb.  Neueste 
Folge.  XV.  S.  183;  Die  Blennorrhoe  am  Menschenauge.  Graz.  1841.  S.  42,  43,  77, 
103,  112,  118,  124,  210,  250,  255,  257,  295.  —  Iwanoß]  Pagenstecher's  klin.  Beob- 
achtgn.  III.  S.  130  n.  f.  —  Stavenhagen,  kl.  Erfahrungen  S.  54.  —  Mooren,  ophth. 
Beiträge.  S.  87. 

2.  Die  Hornliaiitflecke,  Maculae  corneae. 

Pathologie.  Die  Honihautilecke  sind  als  Neubildungen  im  engeren 
Wortsinne  aufzufassen  und  stellen  constant  das  Ergebniss  eines  entzündlichen. 
Processes  dar.      Man  unterscheidet : 


Lcncom ;  Ilcrpetissrlio  Knoten;  K|)illH'lialfli'ck.  117 

1 .  Parenchymatöse  Flecke.  Sic  sind  ausserordentlich  mannigfaltig;  in 
Bezug  auf  ihre  ävissere  Erscheinung. 

<f)  In  einzelnen  Fällen  ist  die  Trübung  der  Cornea  eine  allgemeine, 
die  Hornhaut  zeigt  sich  ihrer  ganzen  Dicke  und  ihrem  ganzen  Umfange 
nach  mehr  weniger  gleiclimässig  bläulich  oder  weiss  gefärbt  und  ist  durch- 
scheinend nach  Art  eines  Milchglases ,  während  die  Oberfläche  ihren  nor- 
malen  Glanz  bewahrt  hat  (Totales  Leucom). 

h)   In  anderen  Fällen  findet  man  in    dem   eigentlichen  Cornealgefügc 

fläehenartig    oder    nach     allen    Dimensionen     ausgebreitete ,     rauchähnliche, 

bläulich    durchscheinende    Trübungen;     oder    dichtere,    figurirte,   weissliche 

Wolken ;   oder  wolkig  umgrenzte,   ganz  opake,   gelblichweisse,   selbst  kreide- 

weisse  Flecke,   Streifen,    mondsichelförmige    Gestalten  u.   s.  w.     Es     gehen 

diese    „partiellen  Leucome"    gleichwie   die  totalen  meistens  aus  einer   diffusen 

Keratitis  hervor. 

Es  werden  derlei  Trübungen,  zumal  die  dichteren,  veranlasst  durch  menis- 
coide  Nester  einer  undurchsichtigen  grumosen  Substanz,  welche  inselförmig  in  das 
eigentliche  Getuge  der  Cornea  eingesprengt  sind.  Es  erweiset  sich  die  gruinose 
Sutjstanz  zusammengesetzt  aus  geschrumpften  Kernen,  welche  in  einer  fettiginole- 
kularen,  öfters  schiiuitzig  gelbbraun  pigmentirten,  feinkörnigen  Grundmassc  Lagern. 
Ueberdies  macht  sich  streckenweise  auch  noch  eine  Verfettigung  der  Intercellular- 
siibstanz  in  sehr  aiiflfälliger  Weise  geltend,  die  Lamellen  erscheinen  wie  angestäubt 
und  von  einer  Unmasse  fettiger  Körner  wie  dnrchsäet  (Wedl). 

c)  Rundliche,  scharf  begrenzte  oder  von  einem  wolkigen  Hofe  um- 
gebene, mohn-  bis  hirsekorngrosse,  hiorpel-  oder  kalkartige  Knoten,  welche 
ihrer  Hauptmasse  nach  immer  in  den  oberflächlichen  Schichten  der  Horn- 
haut lagern,  nach  hinten  aber  sich  mehr  weniger  tief  in  das  Cornealge- 
fUge  einsenken.  Es  sind  dieses  veraltete,  obsolescirte,  bisweilen  schon 
verkreidete  herpetische  Knoten.  Sie  stehen  bald  einzeln,  bald  in  grösserer 
Anzahl  zerstreut  oder  in  Gruppen  gehäuft  auf  der  Hornhaut.  In  letzterem 
Falle  werden  sie  gewöhnlich  durch  einen  Sehnenfleck  oder  eine  lockere 
bindegewebige  Neubildung  unter  einander  vereinigt. 

d)  Kreisrunde,  flache,  scliarfbegrenzte,  grauliche,  weisse,  gelbliche 
bis  braune  Flecke  vom  Umfange  eines  Mohn-  bis  Hirsekornes ,  welche  in 
die  verschiedensten  Schichtlager  der  Cornea  eingesprengt  erscheinen,  in 
den  hintersten  Stratis  und  an  der  freien  Wasserhautoberfläche  aber  am 
meisten  gehäuft  zu  sein  pflegen.  Es  sind  dieses  ständige  Productreste  der 
Keratitis  punctata. 

2.  Epithelialßecke,  Maculae  epitheliales,  d.  i,  ganz  oberflächliche,  rauch-, 
nebel-  oder  wolkeuartige  halbdurchsichtige  Trübungen  von  bläulicher  oder 
grauer  Farbe  mit  verwaschenen  unbestimmten  Grenzen.  Sie  sind  oft  so 
fein,  dass  selbst  ein  scharfes  und  geübtes  Auge  Mühe  hat,  dieselben  zu 
erkennen.  Bei  schief  auffallendem,  namentlich  durch  eine  Loupe  concen- 
trirtem  Lichte  treten  jedoch  auch  die  zartesten  sehr  deutlich  hervor.  In 
der  Mehrzahl  der  Fälle  bedarf  es  solcher  Hilfsmittel  nicht,  die  Trübung 
ist  auffällig  und  selbst  in  Distanz  bemerkbar.  In  dem  gesättigteren  Theile 
der  Trübung  macht  sich  in  der  Kegel  eine  bedeutende  Abnahme  des 
normalen  Hornhautglanzes  geltend,  das  Spiegelbild  erscheint  matt,  undeutlich, 
mit  verschwommenen  oder  verzerrten  Umrissen,  oder  es  fehlt  ganz.  Mit- 
unter zeigt  sich  an  diesen  Stellen  bei  gewissen  Lagen  zur  Lichtquelle  ein 
seidenähnlicher    Schimmer    oder    gar    ein    Schillern    in    matten    Regenbogen- 


118  Honiliautflecke ;  Pathologie ;  Selinenflecke. 

färben.      Bei  der  Untersuchung-  mit  der  Loupe  lässt  sich  dann  immer  eine 
ansehnliche  Raxihigkeit  an  der  Oberfläche  nachweisen. 

3.  Sehnenflecke,  Maculae  fihrosae.  Sie  erscheinen  dem  freien  Auge 
in  der  Gestalt  eines  sehnigen  Häutchens  von  grösserer  oder  geringerer 
Dicke,  welches  die  Cornealvorderfläche  in  verschiedener  Ausdehnung  über- 
kleidet und  bisweilen  auch  etwas  über  das  Niveau  derselben  hervorragt. 
Geringe  Grade  von  Durchscheinbarkeit  bis  zu  völliger  Opacität,  milch- 
weisse  bis  kreideweisse  Färbung,  sehniger  seidenähnlicher,  mitunter  perl- 
mutterartiger opalisirender  Glanz  und  Derbheit  des  Gefüges  sind  die 
übrigen  physikalischen  Eigenschaften.  Die  Grenzen  sind  in  den  meisten 
Fällen  verwaschen,  indem  ein  wolkiger  Epithelialfleck  die  sehnenähnliche 
Neubildung  umsäumt.  Falls  der  Sehnenfleck  unmittelbar  oder  mittelbar 
durch  den  Epithelialfleck  an  den  Bindehautsaum  stösst,  ziehen  gewöhnlich 
ein  oder  mehrere  Gefässe  aus  der  Conjunctiva  auf  seine  Vorderfläche  her- 
über, um  sich  daselbst  zu  verzweigen.  Dadurch  erlangt  der  Sehnenfleck 
die  Fähigkeit,   auf  Verletzungen  durch  Hämorrhagien  zu  reagiren. 

Der  Epithelialfleck  sowohl  als  der  Sehnenfleck  sind  in  vielen  Fällen 
der  ständige  Ausgang  einer  Keratitis  vasculosa  superficialis  oder  eines  Pannus. 
In  anderen  Fällen  aber  gehen  sie  erfahrungsmässig  aus  ulcerösen  Substanz- 
verlusten hervor,  indem  die  Lücke  durch  Regeneration  von  durchsichtigem 
oder  nur  an  der  äussersten  Oberfläche  trüb  bleibendem  Hornhautgefüge 
ausgefüllt  wird. 

Qualitativ  sind  der  Epithelfleck  und  der  Sehnenfleck  von  einander  nicht 
verschieden.  Sie  differiren  blos  in  der  Flüchtigkeit  der  neoplastischcn  Scliichte. 
So  weit  diese  reicht  und  auch  wohl  über  sie  hinaus,  erscheint  das  Epithel  ungleich- 
massig  verdickt,  unregelmässig  geschichtet,  seine  Elemente  sind  durch  fettigmole- 
kulare Masse  getrübt  und  öfters  so  innig  vmter  einander  verbacken ,  dass  deren 
Contouren  schwer  zu  erkennen  sind.  Ist  die  Macula  aus  einer  Keratitis  vasculosa 
oder  aus  einem  Pannus  tenuis  hervorgegangen,  so  kann  das  Bovvraan'sche  Stratum 
und  die  eigentliche  Cornealsubstanz  in  riormalevi  Zustande  betroffen  werden 
(SchaJygenj.  Hat  sich  der  Fleck  aljer  auf  dem  Boden  eines  verheilenden  Geschwüres 
gebildet,  so  fehlt  in  seinem  Bereiche  die  Bowman'sche  Membran  und  das  Epithel 
lagert  unmif'telbar  auf  der  Neubildung  auf.  Diese  füllt  gleichsam  eine  Lücke  in 
den  oberflächlichen  Schichten  der  Cornea  aus  und  besteht  zum  grossen  Theile 
aus  stark  ausgezogenen,  theilweise  sogar  faserförmigen  Kernen,  welche,  überaus 
dicht  aneinander  gedrängt,  sich  gegenseitig  decken  und  so  wellenartige  Züge 
bilden.  Es  lagern  diese  Kerne  in  einer  trüben,  von  Fettmolekülen  durchstreuten 
faserigen  Intercellularsubstanz.  Mitunter  kann  man  in  der  Neubildung  noch 
neoplastische  Gefässe,  oder  deren  Reste  in  Gestalt  dichterer  Stränge  von  faseriger 
Textur,  welche  von  Kernen  und  öfters  auch  von  Pigmentklumpen  besetzt  siiul,  er- 
kennen. Die  Grenzen  der  Neubildung  sind  oft  ziemlich  scliarf.  Mitunter  gehen 
von  derselben  trübe  streifige  Züge  in  die  umgebenden  durchsichtigen  Theile  der 
Cornea  hinein.  Ganz  gewöhnlich  findet  man  neben  Epithel-  und  Sehnenflecken 
auch  noch  2^<^renchymatöse  Trübungen  mit  den  oben  geschilderten  Charakteren 
( WedlJ. 

4.  Einfache  Hornhautnarben.  Ihre  Trennung  von  den  Flecken  im 
engeren  Wortsinne  ist  eine  rein  künstliche,  da  diese  sehr  oft  als  Narben 
functioniren.  Der  Unterschied  liegt  einzig  und  allein  in  der  Dicke,  in  der 
Köiperlichkeit   der  neoplastischen  Ersatzmasse. 

Die  Grösse  und  Form  der  Narbe  hängt  zum  grossen  Theile  von  der 
Gestalt  und  Ausdehnung  der  SubstanzZwc/ce  ab,  auf  deren  Boden  das  Er- 
satzgewebc  zur  Entwickelung  kommt.  Einen  wirklichen  Abklatsch  der 
Lücke  bildet  indessen  die  Narbe  nur    selten,    da    unter  günstigen   Verhält- 


Einfai-ho  uiiil  liiiidorjt^wcMge  Narbe.  119 

nissen  am  C! runde  des  Substanzvorlustes  in  der  Regel  pellucides  Hornhaut- 
gcfUgc  regenerirt  nnd  dalior  nur  ein  TlieU  der  Jjiicke  von  trüber  neopla- 
stischer Masse  ausgefViUt  wird. 

In  den  meisten  Fällen  sind  die  Narben  inncrlialb  des  Paronchyms 
der  Cornea  von  parenchi/matösen  Trübungen  umgeben,  welche  theils  auf 
neugebildetes,  nicht  völlig  durchsichtig  gewordenes  CornealgefUge,  theils 
auf  nesterartige  Einlagerungen  von  Zellenmassen  und  fettig  molekulare 
Trübung  der  Intercellularsubstanz  zu  beziehen  sind.  Au  der  Oberfläche 
aber  breitet  sich  die  Narbe  meistens  in  einen  Sehnenfleck  aus,  welcher 
seinerseits  wieder  von  einem  Epithelflecke  umschlossen  wird  und  durch 
diesen  sich  gleichsam  mit  der  normalen  Umgebung  verwäscht.  Nach  der 
textuellen  Verschiedenheit  des  Ersatzgewebes  unterscheidet  man  : 

a)  Sehnenähnliche  Narben.  Abgesehen  von  der  Körperlichkeit  der- 
selben, vermöge  welcher  sie  mehr  weniger  tief  in  die  eigentliche  Horn- 
hautsubstanz, selbst  bis  auf  die  Descemeti  und  durch  diese  hindurch 
reichen,  stimmt  ihr  Aussehen  nahe  zusammen  mit  jenem  des  Sehnenfleckes. 
Die  äussere  Gestalt  der  Narbe  ist  ungemein  wandelbar  je  nach  der  Form 
der  ursprünglichen  Substanzlücke;  sie  ist  eine  andere  nach  Stich-,  Schnitt-, 
Lappen-,  Lochwunden,  eine  andere  nach  partiellen  Verschwärungen  des 
Hornhautgefüges. 

Das  Mikroskop  zeigt  dieselben  Veränderungen ,  wie  bei  tief  greifenden 
Sehnenflecken.  Mitunter  hat  man  in  sehr  alten  Narben  auch  choloide  Körner- 
kugehi  massenhaft  eingelagert  gesehen  (Wedl). 

b)  Die  bindegewebige  Narbe.  Sie  charakterisirt  sich  durch  laxes 
langfaseriges ,  in  Falten  aufhebbares  Gefüge ,  welches  von  einem  mehr 
weniger  dichten  Gefässnetze  durchzogen  und  so  befähigt  ist ,  auf  äussere 
ßeizeinwirkungen  und  Traumen  durch  Hyperämie  und  Blutungen  zu 
reagiren.  Es  stimmt  diese  Neubildung  im  ganzen  äusseren  Verhalten 
mit  lockerem  Bindegewebe,  insonderheit  mit  der  Conjunctiva,  nahe  über- 
ein. Oefters  indessen  erscheint  die  bindegewebige  Narbe  von  dichten 
derben  sehnenähnlichen  Strängen  und  Blättern  durchsetzt. 

Das  lockere  bindegewebige  Neugebilde  verdichtet  sich  gegen  die  Tiefe  hin 
gewöhnlich  zu  einem  Stratum  sehnigen  derben  Gefiiges,  welches  den  Grund  der 
Cornealsubstanzlücke  auskleidet.  Dieser  dichtere  Theil  der  Narbe  geht  seiner- 
seits wieder  gegen  die  Tiefe  hin  in  trübes  und  weiter  in  diirclisichtiges  regene- 
rirtes  Hornhautgewebe  über  und  durch  letzteres  hängt  die  ganze  Neoplasie  mit 
den  normalen  Elementen  der  Hornhaut  zusammen.  Darum  ex'scheiut  die  Narbe 
innerhalb  der  Dicke  der  Hornhaut  immer  von  einer  wolkig  verwaschenen  parenchy- 
matösen Trüljung  umgeben.  An  der  Oberfläclie  veidaufen  ihre  Grenzen  in  einen 
Öehnenfleck,    welcher    seinerseits  wieder  von    einem  Epithelialflecke  umsäumt  wird. 

Die  einfache  bindegewebige  Narbe  ist  immer  randständig  und  hängt 
unmittelbar  mit  der  Conjunctiva  zusammen ;  sie  stellt  gleichsam  eine  Fort- 
setzung derselben  dar,  welche  sich  über  die  Peripherie  der  Cornea  hinüber- 
zieht, um  daselbst  eine  Substanzlücke  mehr  weniger  vollständig  auszu- 
füllen. Es  setzt  die  bindegewebige  Narbe  nämlich  ein  granuUrendes  Horn- 
hautgeschwür voraus;  Fleischwärzchen  aber  entwickeln  sich  auf  dem  Boden 
eines  nicht  durchbohrenden  Cornealgeschwüres  nur,  wenn  dieses  mit  einem 
Theile  seines  Randes  an  den  Limbus  conjunctivalis  ansteht. 

Nicht  selten  präsentirt  sich  die  einfache  bindegewebige  Narbe  als 
Cornealtheil   eines  unechten  Flügelfelles. 


120  Hornli autflecke;  Pathologie;  EpithelialnaiVie ;  Vordere  Synechie. 

c)  Die  Epithelialnarbe  stellt  eine  völlig  undurchsichtige  Neubildung 
von  weissgrauer,  weiss  und  gelb  gesprenkelter,  oder  ganz  rostgelber  bis 
rostbrauner  Farbe  vor,  welche  sich  leicht  in  Gestalt  einer  fettig  griesig 
anzufühlenden ,  körnigschuppigen  oder  blätterig  scholligen ,  leicht  zer- 
bröckelnden Masse  vom  Grunde  der  von  ihr  ausgefüllten  Substanzlücke 
abschaben  lässt. 

Es  besteht  diese  Masse  zum  grössten  Theile  aus  Epithelplatten  in  verschie- 
denen Stadien  der  Zerfällniss  und  aus  einer  molekularen  organischen  Grundsub- 
stanz, in  welcher  freies  Fett,  Cholestearinkry stalle,  Kalksalzdrusen  und  in  Pigment- 
metamorphose begrifl'ene  Blutkörperchen  neben  bereits  fertigem  verschiedenfarbigen 
Pigmente  in  wechselnden  Massenverhältnissen  eingemischt  sind.  Es  ruht  diese 
Masse  auf  einem  lockeren  bindegewebigen  oder  derben  sehnigen  Stratum,  welches 
den  Grund  der  Substanzliicke  auskleidet  und  durch  eine  Schichte  neoplastischen 
Hornhautgefüges  mit  den  normalen  umgebenden  Cornealpartien  zusammenhängt. 
Darum  erscheint  auch  die  Epithelialnarbe  von  einer  parenchymatösen  Trübung 
und  an  der  Oberfläche  von  einem  Sehnenflecke  umsäumt,  welcher  letztere  sich 
wieder  in  einen  Epithelfleck  verwäscht. 

So  wie  die  bindegewebige  Narbe  geht  auch  die  Epithelialnarbe  con- 
stant  aus  Fleischwärzchen  hervor,  setzt  also  ein  granuUrendes  Geschwür 
voraus  und  findet  sich  darum  immer  am  Rande  der  Cornea,  wenn  das 
Geschwür  nicht  ein  perforirendes  und  mit  einem  Prolapsus  iridis  compli- 
cirt  war. 

5.  Mit  vorderer  Synechie  gepaarte  Narben.  Es  sind  diese  gleich  den 
einfachen  Narben  in  der  bei  weitem  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  von 
sehnenähnlichem  Aussehen,  seltener  ei'scheinen  sie  als  lockere ,  bindegewebige 
oder  epitheliale  Narben. 

Das  Hauptmerkmal  liegt  in  dem  constanten  Durchgreifen  der  Narbe 
durch  die  ganze  Dicke  der  Cornea  und  in  der  Einlöthung  einer  grösseren 
oder  kleineren  Portion  der  Regenbogenhaut,  welche  letztere  sich  durch  die 
Lageveränderung  der  Iris,  durch  deren  theilweises  Herantreten  an  die 
hintere  Wand  der  Cornea  und  durch  die  damit  im  Zusammenhange  stehende 
Verzerrung  oder  gar  Verschliessung  der  Pupille,  endlich  durch  den  Pigment- 
gehalt  und  die  darin  begründete  theilweise  dunkle  Färbung  der  Narben- 
masse beurkundet.  Der  Umfang  und  die  äussere  Form  des  Narbenkörpers 
hängen  natürlich  von  der  Grösse  und  Gestalt  der  ursprünglichen  Substanz- 
lücke ab  und  variiren  gleichwie  bei  der  einfachen  Cornealnarbe  ungemein 
stark. 

Das  anatomische  Verhalten  der  Narbe  wechselt  übrigens  auch  noch  nach  der 
Grösse  und  Form  der  hinteren  Durchbruchsöffnung, 

Ist  diese  sehr  enge,  so  hat  die  vorgefallene  Irisportion  ursprünglich  die  Ge- 
stalt einer  gestielten  Blase  oder  Halskrause,  indem  deren  Hintertheil  von  den 
Rändern  des  Loches  zusammengeschnürt  wird.  Unter  zunehmender  Schrumpfung 
der  Narbenmasse  wird  aber  bald  auch  die  vordere  Partie  des  Prolapsus  comprimirt 
und  geht  textuel  vmter.  Es  hat  dann  nachträglich  das  Ansehen,  als  wäre  die  Iris 
einfach  an  das  hintere  Ende  der  durchbohrenden  Narbe  angelöthet.  Bei  der  genauen 
Untersuchung  der  letzteren  findet  man  jedoch  die  Reste  der  vorgefallenen  Irisportion 
in  Gestalt  einer  grösseren  oder  geringeren  Menge  von  braunem  bis  schwarzem 
Pigment,  welches,  theils  in  körnigen  Haufen,  theils  in  Zellen  eingeschlossen,  der 
trüben  Neubildung  eingesprengt  ist.  Je  nach  der  mehr  rundlichen  oder  (bei 
Schnittwunden)  linearen  Form  des  Durchbruchkanales  bildet  die  Pigmentmasse 
eine  Art  Strang  oder  eine  blattähnliche  Figur,  welche  die  Narbe  von  hinten  nach 
vorne  durchsetzt  und  oft  bis  an  die  Epithelschichte  reicht,  wo  dann  an  der  vorderen 
Fläche  der  Narbe  und  meist  in  dem  Mittelpunkte  ihrer   vorderen  Ausbreitung  eine 


Myiokephalun ;  ViTknöchormif;,  Voikiilkiiii},'  der  Cornea.  \2\ 

braun  oder  schwarz  gefärbte  Stelle  sich  bemerklich  macht.    Bei  tiefgreifenden  sehr 

ausgedehnten    Geschwüren    fällt    die    Iris    bisweilen    au    mehreren  Stellen    des  Gc- 

pjo-.    13.  schwürsgrundes     vor      und     dem      entspre- 

a  chend  rindet    man  dann  auch  an  der  Narbe 

eine  Mehrzahl  solcher    pigmcntirter  Stellen. 

--^■''^''^^S-SvSS^^^^^^ /  Clavus  oder   Myiokephalon  ist   die    alte    Be- 

^'  ^^^^^^^^^^^W.  Zeichnung    für  diese  Zustände. 

y^'^      ,)  ^■"*^   ö^^n  War   die    hintere   Durchhruchsöffnung 

^^ "^  ^^\    >"^'.        weiter    und    hatte    sich    ein  Stück    aus  der 

^^^i''        Breite    der    Iris    vor    der    Oeffnung    ausge- 
^  spannt,  so  findet  man    die   Narbe   (Fig.  13) 

späterhin  oft  an  der  Hinterfläche  ausgehöhlt,  während  die  vordere  Fläche  derselben 
im  normalen  Niveau  der  Cornealvorderfläche  streicht.  Die  auf  dem  prolabirten 
Iristheile  entwickelte  Neubildung  deutet  dadurch  die  ehemalige  blasige  Form  des 
Vorfalles  an.  Am  Rande  der  hinteren  concaven  Fläche  der  Nai'be  haftet  ringsum 
die  Regenbogenhaut  fest  an  und  hängt  mit  einem  zarten,  structurlosen ,  stark  pig- 
mentirten  Häutchen  a  zusammen,  welches  die  Grube  auskleidet  und  als  Ueber- 
bleibsel  des  Tapetes  der  vorgefallenen  Irisportion  aufzufassen  ist.  An  dem  Rand- 
tlieile  der  Narbe  selbst  stösst  man  in  der  Regel  auf  zusammengefaltete,  sonst  unver- 
änderte Fetzen  der  Descemeti.  Die  durch  das  Geschwür  biosgelegten  Theile  dieser 
Haut  werden  im  Momente  des  Durchbruches  nämlich  eingerissen,  später  durch  die 
nach  vorne  gedrängte  Irisportion  umgeschlagen  und  dann  in  die  Narbeumasse  ein- 
gehüllt. Ist  die  Irishlase  geborsten,  ehe  es  zur  Narbenbildung  kam,  oder  aber  ent- 
wickelt sich  die  Narbe  auf  einem  Vorfalle  des  Pupillarrandes,  so  ist  von  jener 
Concavität  an  der  hinteren  Narbenwand  nichts  zu  merken,  im  Gegentheile  pflegt 
dann  die  Neiibildung  pfropfartig  nach  hinten  in  den  Kainmerraiim  vorzusxningen  und 
sich  in  Gestalt  von  Sehnenstreifen  auf  die  nachbarlichen  Portionen  der  Iris  fort- 
zusetzen. Sehr  oft  steht  dann  auch  die  Vorderkapsel  mit  der  Narhe  in  Verbin- 
dung;  die  letztere  deckt  einen  Theil  der  ersteren  und  führt  in  Folge  der  damit 
verknüpften  Nutritionsstörung  gerne  zu  cataractöser  Verbildung  der  Linse. 

Bei  sehr  weiter  Durchbruchsöffnung,  wo  also  ein  grosser  Theil  der  Iris  sammt 
seiner  Pupillarzone  blosgelegt  wurde,  erscheint  die  Pupille  fast  immer  geschlossen 
und  das  Centrum  der  Kapsel  mit  der  Narbe  verwachsen ,  während  der  Rest  der 
hinteren  Narbenfläche  von  jenem  pigmentirten  Häutchen  überkleidet  und  dadurch 
von  dem  Krystallkörper  geschieden  wird. 

Bei  durchgreifenden  Narben,  welche  sich  auf  breiten  Irisvorfällen  entwickelt 
haben,  ist  das  Narbengewebe  fast  immer  seiner  ganzen  Masse  nach  reichlich  durch- 
setzt von  dunklem  Pigment,  welches  theils  frei  in  Haufen  gruppirt  lagert,  theils  in 
verkümmerten  Zellen  eingeschlossen  ist.  Die  hinteren,  vorzugsweise  aus  dem  ent- 
zündeten Irisgewebe  hervorgegangenen  Schichten  der  Narbe  pflegen  in  solchen 
Fällen  den  bindegewebigen  Charakter  zu  zeigen ;  die  Intercellularsubstanz  ist  mehr 
weniger  deutlich  wellig  streifig  und  von  stark  ausgezogenen  Zellen  durchstrickt, 
welche  durch  ihre  baumartig  verzweigten  Ausläufer  netzartig  verbunden  sind  und 
nebst  zahlreichen  Kernen  Pigment  in  wechselnder  Menge  und  Farbe  führen.  In 
dem  oft  sehr  dicken  auflagernden  Epithelstratum  hat  man  Stachelzellen  gefunden 
(Czerny). 

6.  Verknöcherungen.  Osteoide  Massen  kommen  in  der  Hornhaut  nur  äusserst 
selten  vor.  Man  findet  sie  immer  nur  in  Gestalt  dünner  zarter  Platten  oder 
Schuppen  eingesprengt  in  dicke  sehnige  Narben,  mit  deren  Gefiige  ihre  rauhe 
Oberfläche  fest  verbunden  ist.  Sie  werden  daher  nur  am  Cadaver  gefunden,  am 
liebenden  verschwinden  sie  in  der  Narbenmasse.  Sie  charakterisiren  sich  durch 
eine  homogene  oder  parallel  streifige  organische  Grundlage  und  durch  wechselnden 
Gehalt  an  Knochenkörperchen  und   Kalksalzkörnern. 

7.  Verkalkungen  treten  unter  zwei  verschiedenen  Formen  auf,  einmal  als 
steinähnliche  derbe  spröde  solide,  aus  erdigen  und  alkalinischen  Salzen  nebst 
organischer  streifiger  Grundsubstanz  bestehende  Massen,  welche  sich  von  dem 
Osteoide  nur  durch  den  Abgang  von  Knochenkörperchen  unterscheiden;  das  andere 
Mal  als  ein  fettig  sandiger  Brei,  in  welchem  freie  Salze,  Fettkörnchen,  Cholestearin- 
krystalle  und  zerfallene  grumose  organische  Substanz  in  sehr  verschiedenen  Ver- 
hältnissen unter  einander  gemengt  sind. 


122  Hornhautflecke;  Pathologie;  Metallincrustationen. 

Beide  Formen  kommen  gleich  dem  Osteoide  in  sehnenälinlichen  und  binde- 
gewebigen Narben  eingesprengt  vor.  Bisweilen  erscheinen  sie  in  Form  von  rund- 
lichen Knoten,  welche  von  einer  parenchymatösen  Trübung  umgeben  in  den  vor- 
deren Schichten  der  Cornea  sitzen.  Im  letzteren  Falle  präsentiren  sie  regressiv 
metamorphosirte  herpetische  Knoten.  Ausserdem  finden  sie  sich  in  seltenen  Fällen 
als  ständiger  Ausgang  von  Cornealahscessen,  welche  ohne  zu  durchbohren  und  ihren 
Inhalt  zu  entleeren  verkalkt  sind.  Die  Neubildung  erscheint  dann  als  ein  völlig 
undurchsichtiger,  kreideweisser ,  rostgelb  bis  braun  gefleckter,  gewöhnlich  linsen- 
förmiger Körper,  welcher,  in  die  Dicke  der  Hornhaut  eingeschaltet,  sowohl  nach 
vorne  als  nacli  hinten  von  trübem  Horuhautgefüge  überkleidet  wird.  Nach  Kalk- 
■verhrenmingen  zeigt  sich  sowohl  in  der  Narbe,  als  in  dem  umgebenden  trüben  Ge- 
füge  Kalk  in  Molekularforra  (Guuvea). 

8.  Metallincrustationen.  Wenn  Bleizuckerlösungen  und  andere  metallsalzige, 
mit  Opiumpräparaten  versetzte  Solutionen  bei  Vorhandensein  von  Hornhautge- 
schwüren als  Collyrien  angewendet  werden,  so  fällen  sich  gewisse  Bestandtheile 
heraus,  incrustiren  den  Geschwürsboden,  wachsen  bei  fortgesetztem  Gebrauche  zu 
dicken  Schichten  an  und  werden  endlich  von  seitlich  aus  den  Geschwürsrändern 
hervorwaclisenden  Granulationen  übersponnen  und  gleichsam  überhäutet.  Es  er- 
scheint dann  in  der  Folge  an  der  Stelle  des  ehemaligen  Geschwüres  ein  meistens 
erhabener,  dicker  und  daher  in  das  Cornealparenchym  etwas  eingesenkter,  voll- 
kommen undurchsichtiger,  kreideweisser  oder  aber  gelblicher,  an  der  Oberfläclie 
nicht  selten  opalisircnder  Fleck  mit  scharfen  oder  wolkig  verschwommenen,  von 
Gefässen  durchzogenen  Rändern  (Cunier).  Bei  der  anatomischen  Untersuchung 
findet  man  unter  der  aus  blossen  Epithelplatten  gebildeten  Decke  eine  Schichte 
gelblicher,  lichtbrauner  bis  dunkelbrauner,  erdiggriesiger ,  leicht  zerbröckelnder 
Substanz  ohne  Spur  einer  Organisation.  Diese  Masse  ruht  auf  einer  trüben  Schichte, 
welche  den  Grund  einer  niuldenartigen  Substanzlücke  in  dem  Gefüge  der  Cornea 
überkleidet  und  öfters  von   Gefässen  durchzogen  wird. 

Begleitende  Erscheinungen.  Sehstörungen  sind  constante  Begleiter 
aller  jener  Trübungen,  welche,  ivenii  auch  nur  mit  einem  kleinen  Theile,  in 
den  Bereich  der  Pupille  fallen.  Es  finden  dieselben  eine  sehr  ergiebige 
Quelle  in  der  Zerstreuung,  Reflexion  und  Absorption,  welche  das  auf  die 
Trübung  fallende  äussere  Licht  erleidet. 

Dadurch  wird  einerseits  die  Intensität  des  von  den  Objecten  ausgehenden 
und  die  Netzhaut  treffenden  directen  Lichtes,  somit  der  scheinbare  Glanz  der  Netz- 
hautbilder geschwächt.  Andererseits  gelangt  ein  Theil  des  in  der  Cornealtrübung 
zerstreuten  Lichtes  auf  die  Retina,  wird  da.selbst  wahrgenommen  und  in  Gestalt 
eines  weissen  oder  grauen  Nebels,  einer  Wolke  u.  s.  w.  nach  aussen  projicirt.  Da 
aber  die  einzelnen  lichtenipfindenden  Elemente  gleichzeitige  verschiedenartige  Ein- 
drücke zu  sondern  nicht  im  Stande  sind,  vielmehr  immer  2u  Einem  gemischten  Ein- 
drucke verschmelzen,  so  scheint  es  dem  Kranken,  als  läge  jene  Wolke  oder  jeuer 
Nebel  zwischen  dem  Objecte  und  dem  Auge ,  oder  als  wäre  das  Object  davon 
umhüllt. 

Die  Grösse  der  Sehstörung  hängt  hauptsächlich  von  dem  Verhältnisse  ab ,  in 
welchem  die  Intensitäten  der  beiden  gleichzeitigen  Eindrücke  zu  einander  stehen. 
Sie  ist  um  so  bedeutender,  je  weniger  der  positive  oder  negative  (Schatten-)  Ein- 
druck der  Objectbilder  den  Eindruck  überwiegt,  welchen  das  von  der  Corneal- 
trübung ausgehende  zerstreute  Licht  auf  die  NetzhauJ:elemente    ausübt. 

Träfe  immer  mir  directes  Licht  die  Hornhaut,  so  müsste  in  concretem  Falle 
sich  ein  ziemlich  constantes  Verhältniss  zwischen  den  Intensitäten  der  beiden  frag- 
lichen Eindrücke  geltend  machen.  In  Wirklichkeit  trifft  aber  neben  dem  directen 
Lichte  der  Objecte  immer  auch  diffuses  Licht  die  Cornea  und  verstärkt  im  Ver- 
hältnisse zu  seiner  Intensität  die  Helligkeit  des  von  der  Trübung  ausgehenden 
Spectnim,  vermindert  solchermassen  also  noch  weiter  in  mittelharer  Weise  den  Ein- 
druck der  eigentlichen  Objectbilder. 

Bei  zai'ten  nebeligen  Trübungen  ist  dieses  Spectrum  gewöhnlich  die  Haupt- 
ursache  der  Sehstörung.  Bei  dichten  Trübungen  jedoch,  welche  nur  tvenig  oder 
gar  kein  Licht  durchlassen,  kömmt  das  Spectrum  nur  dan^i  in  Rechnung,  wenn 
Jiandtheile  derselben  in  den  Bereich  der  Pupille  fallen.    Es  sind  dichte  Trübungen 


Sehstörungon.  1 23 

nämlich  nur  sehr  ausnahmsweise  völlig  scharf  beg;renzt,  ihr  Rand  verdrascht  sich 
vielmehr  in  der  Regel  sehr  allinälig  und  läuft  sonacii  in  eine  mehr  weniger  breite 
Zone  aus,  welche  auft'allendes  Licht  zerstreut  und  in  diesem  Znstande  durchtreten 
lässt.  Abgesclien  hiervon  wird  die  Sehstörung  unter  solchen  Umstäuden  ceteris 
paribus  zumeist  dmch  die  Venninderunij  der  Ilelüykcit  der  Netzliauthilder  verur.saclit 
und  steht  insoferne  im  Verhältnisse  zur  Dichtigkeit  und  Grösse  des  der  Pupille 
gegenüberstehenden  Theiles  der  Kenärübnng ;  sie  erreicht  also  das  Maximum,  es 
werden,  wenigstens  von  den  in  der  Mitte  des  Gesichtsfeldes  gelegenen  Objecten, 
gar  keine  Bilder  mehr  auf  der  Netzhaut  entworfen,  wenn  ein  solcher  dichter  Fleck 
die  <janze  Pupille  deckt. 

Weitere  Quellen  findet  die  Sehstöriing  unter  den  fraglichen  A^ei'liält- 
nissen  in  etwaigen  Rauhiykeitcn  der  Epithelschichte,  in  Verkrümmunge7i  der 
Cornea  und,  bei  umfangsreiclien  vorderen  Synechien  der  Iris,  nicht  selten 
auch  in  Schiefstellungen  des  Krystalles.  Ausserdem  kommt  bei  Gegebensein 
vorderer  Synechien  auch  noch  die  Beschränkimg  des  Accommodationsver- 
mögens  in  Betracht.  Der  Grad  der  Sehstörung  ist  darum  im  concreten 
Falle  häufig  ein  viel  bedeutenderer,  als  der  Trübung  an  sich  entspricht ; 
bei  Unebenheiten  des  Epithelialstratums  und  namentlich  bei  Verkrüm- 
mungen der  Cornea  erscheint  das  Gesicht  oftmals  sogar  in  einer  Weise 
beeinträchtigt ,  dass  man  bei  ungenügender  Untersuchung  versucht  sein 
könnte,  eine  Amblj^opie  zu  Grunde  zu  legen.   (Siehe  irregulär.  Astigmatismus.) 

Um  diese  Sehstörungen  wenigstens  theilweise  zu  beseitigen,  pflegen 
mit  Maculis  behaftete  Individuen  beim  monocidaren  Sehen  mit  dem  kranken 
Auge ,  falls  es  sich  um  scharfe  und  deutliche  Wahrnehmungen,  namentlich 
von  kleinen  oder  fernen  Objecten  handelt,  alles  Mögliche  anziiwcnden,  auf 
dass  der  Eindruck  der  Objectbilder  vergrössert  und  die  Intensität  des 
diffusen  Lichtes  verkleinert  werde. 

Sie  halten  die  Objecte  so  nahe  dem  Auge,  als  es  der  Grad  ihres  Accommo- 
dationsvermögens  gestattet,  indem  sie  dadurch,  unbeschadet  dem  scheinbaren  Glänze, 
die  Netzhautljilder  vergrössern  und  die  Zahl  der  erregten  Netzhautelemente  ver- 
mehren ;  sie  kehren  dem  Fenster  oder  überhaupt  der  Quelle  des  Lichtes  den  Rücken, 
während  sie  die  Objecte  selbst  in  die  möglichst  günstige  Beleuchtung  bringen;  sie 
kneipen  die  Lidspalte  zu,  halten  die  Hände  vor  die  Augen,  oder  sehen  durch  die 
nicht  ganz  geschlossene  Faust,  um  von  dem  das  Auge  treffenden  diffusen  Lichte  so 
viel  als  möglich  abzuschneiden.  Am  besten  aber  erreichen  sie  diesen  ihren  Zweck 
durch  vor  das  Auge  gehaltene,    mit  einem    kleinen  Loche  versehene  Diaphragmen. 

Beim  binocularen  Sehen  werden  die  auf  entsprechende  Stellen  beider 
Netzhäute  gemachten  Eindrücke  im  Sensorium  commune  zu  Einem  der 
Intensität  nach  verstärkten  Eindrucke  summirt.  Ist  daher  das  eine  Auge 
in  seiner  Function  völlig  unbeirrt,  das  andere  aber  mit  einem  in  das  Be- 
reich der  Pupille  fallenden  Hornhautflecke  behaftet ,  so  muss  sich  beim 
binocularen  Sehen  das  über  die  Netzhaut  des  kranken  Auges  ergossene 
zerstreute  Licht  auch  in  dem  verschmolzenen  Eindrucke  beider  Augen 
geltend  machen  und   die  Gesichtsobjecte  in  Nebel  gehüllt  erscheinen  lassen. 

Gleich  wie  beim  monocularen  Sehen  tritt  die  darin  begründete  Seh- 
störung besonders  stark  beim  Fixiren  von  Objecten  hervor,  wenn  es  sich 
also  darum  handelt,  scharfe  und  deutliche  Wahrnehmungen  zu  gewinnen. 
Die  Kranken  sagen,  das  trübe  Auge  blende  das  gesunde  und  sind  oft  beim 
Schreiben,  Lesen  u.  s.  w.  genöthigt,  das  kranke  Auge  zu  schliessen.  Bei 
nicht  fixirtem  Blicke  hingegen  unterstützt  das  kranke  Auge  das  gesunde 
wesentlich,  indem  es  eben  die  Intensität  der  Eindrücke  des  letzteren  ver- 
stärkt und  ausserdem  das  Gesichtsfeld  um  ein  Bedeutendes  erweitert  •  voraus- 
gesetzt   natürlich ,    dass    der  Hornhautfleck    nicht  vermöge    seiner  Opacität 


124  Jloruliautflecke ;  Ausgänge. 

den  Durchgang  einer  genügenden  Menge  directer  Strahlen  unmöglich  macht 
und   entweder  die  ganze  Pupille   oder  die  cmssere  Hälfte  derselben  überdeckt. 

Wo  die  Pupille  von  einem  sehr  dicken  Flecke  ganz  überkleidet  wird,  fällt 
die  positive  Störung  des  Sehactes  vfegen  der  geringen  Intensität  des  durchge- 
lassenen Lichtes  ganz  weg,  es  ist,  als  ob  das  gesunde  Auge  allein  functionirte.  Wo 
aber  nur  die  äussere  Hälfte  der  Pupille  von  einem  derartigen  Flecke  bedeckt  ist, 
können  jene  Objecte  nur  schwach  oder  gar  nicht  wahrgenommen  werden,  welche 
weit  ab  von  der  optischen  Axe  nach  der  Seite  der  Trübung  hin  gelegen  sind,  das 
Gesichtsfeld  ist  nacli  dieser  Seite  liin  wie  bei  einem  Einäugigen  beschränkt  und 
der  Kranke  stösst  häufig  an. 

Im  Falle ,  als  beide  Augen  mit  Hornhautflecken  behaftet  sind ,  welche 
jedoch  die  Wahrnehmung  äusserer  Objecte  vermöge  ihrer  Dichtigkeit  und 
Ausbreitung  nicht  aufheben,  ist  natürlich  die  Sehstöruug  um  so  bedeu- 
tender. Der  Kranke  benützt  dann  vornehmlich  das  bessere  Auge,  d.  i. 
jenes ,  welches  schärfere  und  deutlichere  Wahrnehmungen  gestattet  und 
sucht  beim  Fixiren  von  Objecten  das  schwächere  Auge  vom  Sehacte  aus- 
zuschliessen. 

Ausgänge.  Die  Hornhautflecke  sind  gewisser  Veränderungen  fähig 
und  insoferne  lässt  sich  von  Ausgängen  dei'selben  sprechen. 

1 .  Am  meisten  veränderlich  sind  die  epithelialen  und  die  verschie- 
denen Formen  der  lyarenchymatösen  Flecke.  ]3eide  diese  Arten  der  Trübung 
können  spontan  und  unter  dem  Einflüsse  gewisser  therapeutischer  Mittel 
durch  Resorption  und  beziehungsweise  durch  Abstossung  oberflächlicher 
Epithelialschichten  verschwinden.  Im  Allgemeinen  kann  man  sagen,  die 
Aussicht  auf  Heilung  sei  um  so  grösser,  je  jünger  derlei  Flecke  sind.  Kurz 
nach  Ablauf  des  ihrer  Entwickelung  zu  Grunde  liegenden  Entzündungs- 
processes  ist  daher  der  günstigste  Zeitpunkt  für  die  Behandlung.  Alte, 
seit  Monaten  oder  Jahren  bestehende  derartige  Trübungen  hingegen  er- 
weisen sich  in  der  Hegel  sehr  hartnäckig,  gleichviel  ob  dieselben  dick  oder 
dünn ,  gross  oder  klein  sind ;  auch  die  feinsten ,  dem  freien  Auge  kaum 
wahrnehmbaren  j^ebelflecke  trotzen  dann  fast  immer  jeder  Therapie. 

Man  hat  Grund  anzunehmen,  dass  aus  Geschwüren  resultirende  Trü- 
bungen der  fraglichen  Art  weniger  geneigt  sind  zur  Aufhellung,  als  solche, 
welche  aus  einer  einfachen  Keratitis  parenchymatosa  oder  vasculosa  super- 
ficialis hervorgehen. 

Bei  Kindern  ist  die  Prognose  eine  vielmal  günstigere ,  als  bei  Er- 
wachsenen. Bei  ersteren  hellen  sich  im  Laufe  der  Zeiten  oft  umfangreiche 
Trübungen  fast  gänzlich  auf,  welche  auf  tiefgreifenden  und  selbst  durch- 
bohrenden Geschwüren  zur  Entwickelung  gekommen  sind. 

Es  ist  nicht  unwahrscheinlich ,  dass  das  Wachsthum  der  Cornea  dabei  von 
Einfluss  sei.  Einerseits  wird  dadurch  die  Trübung  auf  einen  grösseren  Flächen- 
raum vertheilt,  sohin  verdünnt  und  subjectiv  nnd  objectiv  weniger  wahrnehmbar; 
andererseits  wächst  mit  der  Vertheilung  der  Neoplasie  die  Zahl  der  Berührungs- 
punkte, welche  dem  umgebenden  gesunden  Cornealparenchyme  geboten  werden  luid 
somit  auch  der  Effect  eintretender  Resorptionsju'ocesse. 

2.  Sehnenflecke  und  Narben  im  engeren  Wortsinne,  gleichviel  welches 
ihr  histologischer  Charakter  ist,  entbehren  der  Fähigkeit,  sich  in  durchsichtiges 
Cornealgefüge  umzuwandeln,  obgleich  sie  bisweilen  einen  ziemlichen  Grad 
von  Diaphanität  erreichen.  Doch  werden  dieselben  fast  immer  von  aus- 
gebreiteten parenchymatösen  Trübungen  und  Epithelialflecken  umsäumt,  welche 
spontan    oder    unter   geeigneter  Therapie    aufgehellt  werden   können.     Auf 


Knopfähnliflu'  Narlicn:  Narbt'iikoraliti.'i:  Myopie;  Strabismus.  125 

diese  Weise  -werden  derartige  Trübungen  öfters  ansehnlich  verldeinert  und 
damit  auch  ihr  Kinfluss  auf  das   Sehen  geschwächt. 

Selincntlecke  niul  hesoiulei'R  aelmie:e  Narben  vertrrös.sern  sich  liisweileii  dnrcli 
fortgesetzte  Gewebswucherung  zu  knöpf  artigen  Mausen  i  welche  ihrem  äusseren  An- 
sehen nach  viel  Aehnlichkeit  mit  Staphylomen  haben,  sich  von  diesen  ajjer  durch 
ihre  Solidität  unterscheiden.  E.s  sind  massige,  sehnige  oder  knorpelartige  Aus- 
wüchse, die  bisweilen   f^anz  ansehnlich   die   Cornealvorderfläche   ülierragon. 

Die  Sehnentiecke  und  die  sehnigen  Narben  Icönuen  übrigens  auch 
vereitern.  Diese  Narhenkeratitis  (Hasner)  entwickelt  sich  und  verläuft  meistens 
unter  den  Erscheinungen  heftiger  ciliarer  Gefäss-  und  Nervenreizung;  die 
Narbe  und  ihre  Umgebung  schwellen  durch  Infiltration  etwas  an,  während 
das  wuchernde  Epithel  rauh  und  trüb  wird.  Bald  zeigt  sich  dann  auch 
die  Earbe  der  Narbe  gesättigter  grau  oder  gelblich  und  es  beginnen  sich 
obertlächliche  Lagen  abzustossen ,  wodurch  ein  mehr  weniger  tiefes  und 
auso-ebreitetes  Geschwür  mit  unregelmässi2;em  Rande  und  Boden  2;esetzt 
wird,  welches  im  günstigen  Falle  immer  wieder  durch  trübe  Narbenmasse 
ausgefüllt  wird. 

Frische  und  ra.9if?ständige  Narben  sind  zur  Vereiterung  mehr  geneigt,  als  alte 
centrale.  Die  Ursache  der  Verschwärung  können  die  mannigfaltigsten  äusseren 
Schädlichkeitseinwirkungen  abgeben.  Besonders  sind  Verletzungen  der  Narbe ,  zu- 
fällige und  ojjerative,  als  häufige  Veranlassungen  zu  nennen.  Bei  kränklichen, 
schwächlichen,  sehr  irritablen  Personen  soll  die  Disposition  vornehmlich  ausge- 
sprochen sein  (Hasner), 

AiTch  herpetische  Efflorescenzen  entwickeln  sich  mitunter  im  Bereiche  sehnen- 
ähnlicher Neubildungen  auf  der  Hornhaut.  Sie  verschwären  ebenfalls  gerne  xind 
setzen  bisweilen  durch  Ausbreitung  des  ursprünglichen  Entzündungsherdes  grosse 
Substanzverluste. 

3.  Kreidige  und  osteoide  Neoplasien  sowie  Metallincrustationen  sind  ständig 
im  engeren  Wortsinne.  Doch  lassen  die  letzteren  gleich  den  Sehnenflecken  und 
nicht  durchbohrenden  Narben  die,  wenn  auch  schwache,  Möglichkeit  einer  Heilung 
oder  Besserung  ülnüg.  Die  Erfahrung  hat  nämlich  gezeigt,  dass  in  einigen  wenigen 
Fällen  nach  Ausschneidung  dieser  Gebilde  die  Suljstanzlücke  durch  neoplastisches 
Cornealgefüge  ausgefüllt  und  dieses  beträchtlich  aufgehellt  wurde. 

4.  Eine  Reihe  höchst  verderblicher  Folgezustände  gehört  mehr  auf 
Rechnung  der  durch  jene   Trübungen  bedingten    Sehstörung. 

So  kömmt  es  nicht  selten  zu  ziemlich  hochgradiger  Myopie ,  wenn 
der  Kranke  ein  oder  beide  mit  Cornealtiecken  behafteten  Augen  zum 
Scharfsehen ,  besonders  kleinerer  Objecte ,  anzustrengen  bemüssiget  wird. 
Er  ist  dann  nämlich  gezwungen,  diese  Gegenstände  dem  Auge  weit  mehr 
zu  nähern,  als  es  bei  normaler  Cornea  nöthig  wäre;  bei  Vorhandeiisein 
von  nur  einiger  Disposition  führt  aber  fortgesetzte  angestrengte  Accommo- 
dationsthätigkeit  leicht  zu  den  der  Kurzsichtigkeit  zu  Grunde  liegenden 
Veränderungen  im  Bau  des  Atigapfels  oder  der  Linse. 

Diese  stai'ken  Accommodationsanstrengungen  begründen  übrigens  auch 

gar    nicht    selten    slrabotische  Abiveichungen    des    schivächeren   Auges    und   bei 

Kindern    mit  dichten  beiderseitigen  Hoi'nhautilecken    kömmt    es  sogar  öfters 

zum  Nystagimis.      Ferner    führen  Hornhauttrübungen    oft    zur    sogenannten 

Amblyopia    ex   anopsia,    indem    der    Kranke    allmälig    lernt,    beim    scharfen 

Fixiren    nur  mehr    mit  dem    gesunden    oder    besseren  Auge    zu  sehen  und 

das  andere  zu  vernachlässigen,    wo   dann  allmälig  das  Accommodationsver- 

mögen  verloren  geht  und  die  Energie  der  Netzhaut  abnimmt. 

Um  den  Strabismus  oder  die  Amblyopia  ex  anopsia  zu  setzen,  bedarf  es 
keineswegs  ständiger  Hornhautflecke;  diese  können  wieder  schwinden,  ohne  dass 
die  während  ihrem  Bestände  zur  Entwicklung  gekommenen  Uebel  behoben  würden. 


126  Homliautflecke ;  Behandlung. 

Behandlung.  Deren  Aufgaben  sind :  a)  Durch  Bethätigung  des 
Resorptionsprocesses  und  durch  Beförderung  der  Epithelabstossung  die  Auf- 
hellung der  Trübungen  anzuregen  und  zu  beschleunigen  und,  wo  eine  völlige 
Beseitigung  derselben  der  Natur  der  Sache  nach  unthunlich  ist,  wenigstens 
den  Umfang  der  Trübung  zu  verkleinern;  b)  bei  ständigen  unverbesserlichen 
Trübungen  die  Sehstörung  möglichst  zu  beschränken,  also  die  Intensität  des 
durchgelassenen  zerstreuten  Lichtes  herabzusetzen,  den  scheinbaren  Glanz 
der  Netzhautbilder  aber  zu  erhöhen  und  wo  es  Noth  thut,  den  directen 
Strahlen  neiie  Wege  zu  eröffnen;  c)  endlich  den  mittelbaren  Folgen  der  Seh- 
störung vorzubauen. 

1.  Um  der  ersten  Indication  zu  entsprechen,  stehen  der  Therapie  eine 
Unzahl  altbewährter  empirischer  Mittel  zu  Gebote.  Alle  haben  das  ge- 
meinsam, dass  sie,  direct  auf  das  Auge  einwirkend,  einen  Iteizzustand  her- 
vorrufen. Dass  dadurch  die  Abstossung  der  Epithelien  gefördert  wird, 
ist  eine  ausgemachte  Sache.  In  welcher  Weise  der  Reizzustand  aber  die 
Resorption  bethätigt ,  ist  nicht  klar ;  möglich ,  dass  durch  die  Hyperämie 
der  Theile  und  die  damit  bedingte  Vermehrung  der  Stoffzufuhr  eine  Art 
Aufweichung  der  neoplastischen  Elemente  erzielt  und  die  Zerfällniss  imd 
Resorption  bogünstigt  wird.  Tliatsache  ist,  dass  die  Erzeugung  eines  solchen 
Reizzustandes  die  unerlässliche  Bedingung  für  einen  wirklichen  therapeutischen 
Elfolg  abgibt  und  dass  die  kräftigsten  bekaitnten  resoi-ptionsbefördernden 
Mittel,  das  Quecksilber,  das  Jod  u.  s.  w.  wenn  sie  nicht  direct  auf  die 
Binde-   und   Hornliaut  applicirt  werden,  jede    Wirkung  versagen. 

Am  häufigst  en  werden  in  Anwendung  gebracht :  Einstäubungen  von 
Calomel;  Einstreichungen  der  gelben  und  rothe.n  Quecksilberoxydsalbe,  der 
Jodsalb'e,  der  Opiumtinctur ;  Einträufelungen  orZs/r«ff//rejir/er  Collyrien ;  leichte 
Aetzungen  der  Bindehaut  mit  Kupfervitriol  oder  Höllensteinlösungen. 

Vor  Zeiten  hat  man  zu  gleichem  Behufe  Wasaerdämpfe  mittelst  eines  Trichters 
an  flen  Angapfel  geleitet,  warmen  Qnittenschleim  oder  Malvenanfguss  in  den  Binde- 
hautsack eingeträufelt,  feine  Oelc  oder  Fette  mit  einem  Pinsel  eingestrichen,  Ochsen- 
oder Fischgalle,  Aalrutenleherö!,  Vipernfett,  Bärenfett  etc.,  wässerige  Lösungen  von 
manclierlei  Extracten  eingepinselt.  Besonders  als  vorbereitende  Mittel  waren  die 
genannten  Stoffe  beliebt,  indem  man  sich  vorstellte,  dass  durch  deren  Anwendung 
die  Theile  gleichsam  erweicht  und  für  die  kräftige  Wirkung  der  Resorbentien 
günstig  gestimmt  würden.  Auch  hrenzliche  und  ätherische  Oele  wurden  früher  sehr 
oft  in  Anwendung  gezogen,  z.  B.  das  Wachholderöl,  das  Papieröl,  das  Sal  volatile 
cornn  cervi  n.  s.  w.  Einige  Zeit  hindurch  war  die  Elecfricüät  sehr  iu  Mode  (Cru- 
sell,  Mackenzie) .  Letzthin  sind  Einslänhungen  von  Glaubersalz  in  Pulverform  (de  LucaJ 
und  bei  tiefgreifenden  nicht  vascnlarisirten  Trübungen  suhconjunctivale  Injectionen 
von  Kochsalzlösungen  (RothmnndJ  empfohlen  worden. 

Alle  diese  und  noch  viele  andere  Mittel  leisten,  zweckmässig  ange- 
wendet, in  geeigneten  Fällen  vortreffliche  Dienste.  Wenn  einige  derselben 
mehr  als  andere  im  Gebrauche  sind,  so  liegt  der  Grund  davon  nicht  etwa 
in  einer  eigenthümlichen  Wirkung  derselben,  sondern  in  ihrer  leichteren 
AppUcationsweise  und  besonders  in  der  Möglichkeit ,  die  Grösse  des  durch 
sie  bedingten  Reizzustandes  bemessen  und  den  jeweiligen  Verhältnissen  an- 
passen, nach  Belieben  verstärken  oder  schwächen  zu  können.  So  sind 
Einstäubitngen  von  Calomel  ihrer  überaus  geringen  reizenden  Wirkung  wegen 
ganz  besonders  bei  frischen  Maculis  und  überhaupt  dort  am  Platze,  wo  die 
Empfindlichkeit  des  Auges  noch  bedeutend  und  Entzündungen  zu  fürchten 
sind.  Die  gelbe  Quecksilberoxydsalbe  empfiehlt  sich ,  wo  man  einer  kräf- 
tigeren Wirkung  bedarf   und    die  Reizbarkeit    des  Auges    eine  massige  ist. 


Keizendo  Mitfei:  Abrasio  Corneae.  127 

Dio  adstringirenden  CoUyrien  wci'flen  am  besten  bei  Vorliandenscin  einer 
katavrlialischcn  ErschlaiTunii;  der  Eindehaut  in  Anwendung  gezof!;en.  Die 
Actzungen  mit  Kupfervitriolkrj'stallen  oder  mit  Höllensteinlösungen  finden 
ihre  Anzeige  bei  Complication  der  Hornhauttrübung  mit  einer  hyper- 
trophirenden   Gewcbswucheruiig  der  Conjunctiva. 

Im  Allgemeinen  wird  man  gut  thun,  die  Kur  mit  schwächeren  Mitteln 
zu  beginnen  und  im  Falle  des  Bedarfes  die  Dosis  zu  steigern  oder  zu  stär- 
keren Mitteln  überzugehen.  Eeagirt  das  Auge  auf  das  angewendete  Mittel 
gar  nicht  oder  doch  iwvc  in  sehr  geringer  Stärke,  so  muss  die  Dosis  gesteigert 
oder  zu  einem  anderen  kräftigeren  IVIittel  Zuflucht  genommen  werden.  Oft 
gescliieht  es,  dass  nach  längerer  Anwendung  eines  an  und  für  sich  genug- 
sam starken  Mittels  die  J^mpfänglichkeit  des  Auges  gleichsam  abgestumpft 
und  dieses  nicht  mehr  gereizt  wird.  Dann  ist  es  gut,  von  Zeit  zu  Zeit 
mit  der  Behandlung  auszusetzen.  Das  Mittel  leistet  dann  wieder  gute 
Dienste.  Auch  kann  man  in  einzelnen  Fällen  die  Wirksamkeit  der  Mittel 
dadurch  erhöhen,  dass  man  die  Theile  durch  Anwendung  laiter  Ueberschlä'ge 
oder  Catniilasmen  in  einen  Zustand  entzündlicher  Schwelluiig  und  Lockerung 
versetzt,  indem  unter  solchen  Vei'hältnissen  die  Zerfällung  und  Resorption 
wesentlich  erleichtert  werden.    (S.    115). 

Von  grosser  Wichtigkeit  ist  es,  den  durch  das  Mittel  bedingten 
Reizzustand  innerhalb  der  Grenzen  der  Massigkeit  zu  bannen.  Ist  die 
Irritation  an  i;nd  für  sich  nicht  sehr  bedeutend,  so  genügt  es,  den  Kranken 
während  ihrer  Dauer  in  einem  massig  erleuchteten  Zimmer  zii  halten 
und  jede  mögliche  ^'eranlassung  zu  weiteren  Steigerungen  des  Reizzu- 
standes, z.  B.  Anstrengung  der  Augen,  das  Tabakrauchen,  u.  s.  w.  sorg- 
sam zu  verhindern.  Bei  intensiver  hervortretenden  Reizsymptomen  sind  nebst- 
bei  kalte  Ueberschläge  angezeigt.  Sind  diese  Erscheinungen  geschwimden, 
so  f^iUt  die  Nothwendigkeit  weg,  den  Kranken  durch  allzuscharfe  Vor- 
schi-iften  zu  beengen.  Es  genügt,  intensivere  Reizeinwirlaxngen  von  dem 
Auge  fern  zu  halten. 

Gar  oft,  besonders  bei  dichten  Trübungen,  versagen  am  Ende  die  erwähnten 
Mittel  trotz  ver.stärkter  Dosis  und  mannigfaltigem  Wechsel  jede  Wirkung.  Manche 
Oculisten  erwarten  dann  noch  von  anderen,  zum  Theile  sehr  heroischen  therapeu- 
tischen  Eingrift'en   günstige   Erfolge. 

Directe  Versuche  mit  künstlichen  Einimpfungen  der  Blennorrhoe  haben  bei 
Hornhautflecken  keine  günstigen  Ergehnisse  geliefert  (Piringer).  Doch  ist  nicht 
zu  läugnen,  dass  in  Folge  zufüUig  angeregter  Eiterflüsse  mitunter  sehr  hartnäckige 
oberflächliche  Maculae  getilgt  werden. 

Die  Scarification  und  Excision  der  von  der  Bindehaut  zur  Cornealneubildung 
liinzielienden  Gefässe  ist  meistens  ohne  Erfolg.  Dagegen  wirkt  die  Scarißcation 
der  trüben  Stelle  an  sich  (Weller,  Demours)  oder  in  Verbindung  mit  den  obener- 
wähnten pharmaceutischen  Eingriffen  als  ein  energischer  Reiz.  Es  steht  jedoch 
sehr  dahin,  ob  die  Scarification  dort,  wo  die  reizenden  Salben,  Pulver,  Wässer  u.  s.  w. 
unzixreicheud  befunden  werden,  so  viel  leisten  kann,  dass  dadurch  die  mit  ihr  ver- 
bundene Gefahr  heftiger  und  verderblicher  Entzündungen  genugsam  aufgewogen  wird. 

Ungleich  wichtiger  ist  die  Abrasio  corneae,  welche  auf  zweifache  Weise 
geübt  wird,  durch  Abschaben  der  oberflächlichen  trüben  Schichten  und  durch  Ab- 
tragen derselben  in  grösseren  zusammenhängenden  Stücken.  Beide  Methoden  fussen 
auf  der  Beobachtung,  dass  solchermassen  gesetzte  Substanzverluste  in  einzelnen 
Fällen  durch  neugebildetes  Gefüge  wieder  ausgeglichen  werden,  welches  in  Bezug 
auf  seine  Durchsichtigkeit  der  normalen  Hornhautsubstanz  nahe  kömmt. 

rt)  Die  Abschabung  oder  Abkratzung  wird  mittelst  der  Schneide  eines  Staar- 
messers  oder  eines  Lanzenmessers,  wolil  auch  mit  einer  Staarnadel  bewerkstelliget 


128  HornhautfleoVe:  Behandlung;  Abrasio  Corneae. 

indem  ni,in  in  älinlicher  Weise  verfährt,  wie  beim  Radiren  auf  Papier.  Diese 
Operation  ist  oft  sehr  schmerzliaft  und  wird  daher  mit  Vortheil  wälirend  der 
Narkose  vorgenommen.  Selten  gelingt  es,  in  kurzer  Zeit  die  trüben  Gebilde  völlig 
oder  doch  grösstentheils  zu  entfernen ;  längeres  Kratzen  schliesst  aber  eine  bedeu- 
tende Gefahr  in  sich,  da  es  gerne  heftige  und  sehr  verderbliche  Entzündungen 
anregt.  Darum  ist  es  vortheilhafter,  die  Operation  in  öfteren  kürzeren  und  durch 
lange  Zwischenpausen  getrennten  Sitzungen  zu  wiederholen,  umsomehr,  als  sich 
nach  jeder  Abrasion  immer  wieder  ein  Theil  trüben  Gefüges  entwickelt,  wälirend 
der  Boden  des  Substanzverlustes  sich  allmälig  hebt.  Bei  Mefallinmistationen ,  bei 
Epithelialnarhen  und  oberflächlichen  fettigkalkigen  Neubildungen  befriediget  diese 
Methode  am  meisten. 

h)  Die  Ahtragimg  erfordert  ein  dünnes  Staar-  oder  Lanzenmesser,  welches 
bei  fixirtem  Bulbus  unter  den  trüben  oberflä'chlichen  Schichten  durch  die  Dicke 
der  Hornhaut  geführt  wird,  so  dass  jene  Strata  in  Gestalt  eines  dünnen  Lappens 
losgetrennt  werden,  welcher  letztere  dann  mit  der  Pincette  gefasst  und  durrh 
weitere  Messerzüge  abgelöst  wird.  Auch  diese  Methode  muss  wegen  der  Nach- 
bildung trüher  Strata  in  vielen  Fällen  öfters  wiederholt  werden.  Bei  dichten  ober- 
flächlichen Sehnenflecken,  namentlich  wenn  dieselben  etwas  über  die  Oberfläche  der 
Cornea  hervorragen,  ohne  tief  in  die  Substanz  der  Cornea  einzudringen,  pflegt  die 
Abtragung  am  meisten  zu  leisten  (Mead,  Larrey,  Wardrop,  Weiler,  Oidz,  Mackenzie). 

Beide  Methoden  sind  nicht  ohne  Gefahr,  Bei  zarter  und  schonender  Aus- 
führung kömmt  es  freilich  ziemlich  oft  nicht  einmal  zu  einer  erheblichen  Reaction. 
Doch  hat  man  andererseits  als  Folge  der  Operation  Keratitis  suppui-ativa,  Iritis 
vind  selbst  Panophthalmitis  beobachtet.  Man  darf  daher  wohl  sagen,  die  Ahrasio 
sei  nur  dort  am  Platze,  wo  Cornealtrübungen  der  oberwähnten  Art  vermöge  ihrer 
Lage  und  Grösse  das  Gesicht  fast  auf  die  Wahrnehmung  von  Hell  und  Dunkel 
beschränken  und  wo  auf  keine  andere  Weise,  als  durch  Aufhellung  der  Trübung, 
ein  gewisser  Grad  von  Sehvermögen  hergestellt  werden  kann. 

2.  Bind  die  Mittel  zur  weiteren  Verkleinerung  und  Aufhellung  der 
Trübung  erschöpft,  oder  liegt  eine  unverbesserliche  Obscuration  der  Cornea 
Tor,  so  kommt  es  darauf  an,  den  störenden  Einfliiss  derselben  auf  das  Sehen 
zu  vermindern,  oder  wohl  auch  neue  Wege  für  das  von  den  Gesichtsobjecten 
zum  Auge  kommende  Lacht  zu   eröffnen. 

Bei  zarten  nebeligen  Trübungen  wird  sich  ein  darauf  hinzielendes  Heil- 
verfahren vornehmlich  dann  lohnen,  wenn  das  betreffende  Auge  das  allein 
functionstüchtige  oder  doch  das  bessere  ist  und  die  Verhältnisse  des  Kranken 
ganz  scharfe  und  deutliche  Wahrnelimungeii  nothwendig  machen.  Die 
Hauptaufgabe  zielt  dahin,  das  von  der  Trübung  ausgehende  Spectrum 
unbeschadet    der    erforderlichen    Helligkeit    der   Netzhautbilder    abzublenden. 

Bei  dichten  Trübungen,  deren  Kern  nur  wenig  oder  gar  kein  directes 
JAehi  durchlässt  und  welche  darum  auch  die  Helligkeit  der  Netzhautbilder 
in  sehr  empfindlicher  W^eise  zu  beeinträchtigen  pflegen,  sind  therapeutische 
Hilfen  fast  durcligängig  dringlich  und  auch  wohl  absolut  geboten.  Ihr  vor- 
nehralichster  Zweck  ist  Erweiterung  des  vorliandenen  oder  Beschaffung 
eines  neuen  Weges  für  directes  Licht,  nebenbei  aber  gewöhnlich  auch 
Deckung  des   lichtzerstreuenden  Saumes  der  Trübung. 

\Vcitere  nicht  minder  belangreiche  Indicationen  stellen  in  Fällen  der 
einen  und  anderen  Art  oberflächliche  Rauhigkeiten  und  Verkrümmungen  der 
Cornea  so  wie  etwaige  Schiefstellungen  des  Krystalles.  Es  gehen  diese 
Aufgaben  im  Allgemeinen  darauf  hinaus ,  die  unregelmässig  gebrochenen 
Strahlen  thunlichst  abzublenden,  dagegen  für  das  directe  Licht  einen 
Weg  zu  bahnen,  welclier  in  Bezug  auf  Refractionsverhältnisse  der  Norm 
möglichst  nahe  kömmt. 


Stenopaeische  Brillen;  Verlagerung  der  Pupille;  Iridectoraie.  129 

a.  Wo  ein  nicht  zu  kleiner  Theil  der  Pupille  hinter  dui'chsichtigen , 
oder  doch  nur  neblig  getrübten  Hornhautpartien  lagert,  auch  wenn  diese 
abnorm  gekrümmt  wären,  leistet  ein  dicht  vor  das  Auge  gehaltenes  planes 
Diaphragma  mit  kleinem   centralen  Loche  erspriessliche  Dienste   (Travers). 

Leider  haben  solche  Blenden  den  Uebelstand,  dass  sie  mit  dem  seitlichen 
diffitxen  Lichte,  welches  die  Erleuchtuntrsintensität  des  Spectrum  bedeutend  steigert, 
immer  auch  einen  grossen  Theil  des  directen  und  regulär  gebrochenen  Lichtes  ab- 
blenden ,  also  die  Helligkeit  der  Netzhauthilder  sehr  beeinträchtigen.  Ausserdem 
heschränken  sie  das  Gesichtsfeld  in  der  misslichsten  Weise,  sie  ermöglichen  blos 
eine  genauere  Wahrnehmung  von  j?i  der  Mitte  des  Gesichtsfeldes  gelegenen  fixirten 
Objecten,  können  also  keineswegs  beim  Herumgehen  des  Kranken  und  überhaupt 
bei  Bewegungen  imd  raschem  Wechsel  der  Objecte  verwendet  werden.  Sie  sind 
also  blos  ein  Nothf)ehelf  zur  zeitweiligen  Steigerung  der  Deutlichkeit  der  Wahr- 
nehmungen, und  selbstverständlich  nur  zum  monoctdaren  Sehen  verwendbar.  Bei 
den  stenopäischen  Brillen,  d.  i.  ovalen  im  Centrum  durchbrochenen  Schalen  (Ritterich, 
D anders ,  Wijngaarden,  Schauenhurg),  welche  vor  dem  Auge  befestigt  werden,  tritt 
diese  Beschränkung  des  Gesichtsfeldes  vermöge  der  grösseren  Entfernung  des 
Loches  von  dem  Centrum  der  Cornea  noch  viel  mehr  hervor,  daher  sie  weniger 
taugen,  als  flache,  in  Monokelform  gefertigte  durchbohrte  Blenden. 

h.  Viel  vollständiger  und  sicherer  entspräche  den  oben  aufgestellten 
Indicationen  die  operative  Verlagerung  der  Pupille.  Es  wird  dadurch 
nämlich  die  Pupille  in  Gestalt  einer  stenopäisch  wirkenden  Spalte  verzogen 
und  gegen  den  Prolapsus  hin  verrückt.  Ist  die  Trübung  und  oberflächliche 
Rauhigkeit  der  Cornea  nicht  gar  zu  ausgebreitet,  so  wird  es  bei  richtiger 
Wahl  des  Operationsfeldes  in  der  Regel  nicht  schwer  sein,  die  Pupille 
ihrer  Totalität  nach  oder  zum  grossen  Theile  hinter  vollkommen  durch- 
sichtige und  oberflächlich  glatte,  vielleicht  annähernd  richtig  gekrümmte 
Cornealpariien  zu  verlagern,  das  von  der  Trübung  zerstreute  und  das  von 
den  Rauhigkeiten  und  verkrümmten  Stellen  unregelmässig  gebrochene  directe 
Licht  also  ganz  oder  zum  grossen  Theile  von  hinten  her  durch  die  Iris 
abzublenden,  iind  so  die  Deutliclikeit  und  Schärfe  der  Netzhautbilder  in 
directer  und  mittelbarer  Welse  zu  steigern.  Leidei  ist  das  fragliche  Ver- 
fahren nicht  ohne  Gefahr  und  findet  im  concreten  Falle  nicht  immer  die 
Bedingungen,  auf  dass  es  seine  Leistungsfähigkeit  nach  allen  Richtungen 
entfalten  könnte. 

c.  In  Anbetracht  dessen  thut  man  in  der  Regel  besser,  auf  die 
ohnehin  nur  unvollständig  erreichbaren  Vortheile  der  Verlagerung  zu  ver- 
zichten und  durch  Beschaffung  eines  iveiten  Durchlasses  für  directes  Licht 
an  möglichst  günstigen  Stellen  die  Helligkeit  der  Netzhautbilder  zu  steigern, 
also  die  Iridectomie  zu  wählen.  Wo  die  Verhältnisse  nicht  gar  zu  ungünstig 
sind,  ist  dieses  im  Ganzen  eine  sehr  lohnende  Operation.  Es  gelingt  nicht 
selten,  durch  sie  ziemlich  hohe  Grade  von  Functionstüchtigkeit  herzu- 
stellen. Wo  die  Y^i'hiiltnisse  sehr  ungünstige  sind,  die  Cornea  stark  ver- 
krümmt oder  nur  ein  kleiner,  ausschliesslich  peripherer  Theil  derselben 
für  directe  Strahlen  passirbar  ist  etc.,  lassen  sich  glänzende  Resultate 
freilich  nicht  erwarten  und  man  muss  dieses  vor  der  Operation  wohl 
erwägen  und  prognostisch  verwerthen.  Es  liegt  indessen  auf  der  Hand, 
dass  solche  minder  günstige  Verhältnisse  die  Operation  nicht  überflüssig 
oder  werthlos  machen. 

Der  normale  Fortbestand  des  anderen  Auges  schwächt  die  Indication 
für  ein  operatives   Verfahren,   sei  es  Pupillenverlageruug    oder  Iridectomie, 

stell  w  ag,  Augenheilkunde.  9 


230  Hornhautflecke;  Behandlung,  tünstliche  Pupillenhildung-. 

nicht,    selbst    wenn     blos    Aussicht    auf    ein  beschränktes  Sehvermögen  ge- 
geben wäre. 

In  (1er  Verstärkung  der  Lichteindrücke  und  in  der  Erweiteriing  des  gemein- 
schaftlichen Gesichtsfeldes  liegen  der  Vortheile  genug,  um  die  Operation  lohnend 
zu  machen.  Lässt  sich  gar  die  Herstellung  eines  heträcJdUchen  Grades  von  Seh- 
schärfe hoffen,  so  ist  darin  eine  directe  Autforderung  gegeben,  mit  der  Operation 
nicht  zu  zaudern,  damit  das  kranke  Aiige  mittlerweile  nicht  vernachlässigt  und 
durch  Mangel  an  Uebung  in  seiner  Function  stüchtigkeit  geschädigt  werde. 

Wo  vollends  das  andere  Auge  zum  Sehen  unbrauchbar  geworden  ist, 
erscheint  die  Operation  auch  unter  den  ungünstigsten  Aussichten  geboten, 
da  schon  eine  geringe  Verbesserung  des  Sehvermögens,  die  Befähigung 
des  Auges,  grössere  Objecte  in  Schattenumrissen  zu  erkennen ,  und  selbst 
die  einfache  Verstärkung  der  Lichteindrücke  für  den  Kranken  ein  Ge- 
winn ist. 

Als  Regel  gilt,  dass,  wo  es  nur  immer  thunlich  ist,  die  Pupille 
möglichst  nahe  dem  Centrum  anzulegen  sei.  Bei  peripheren  Synechien  eines 
grossen  Theiles  des  Pupillarrandes,  wo  die  Iris  nach  der  iS^arbe  hin  gezerrt 
ist,  kömmt  man  öfters  in  die  Gelegenheit,  dieser  Regel  genügen  zu 
können.  Bei  centralen  Trübungen  der  Hornhaut  wird  die  künstliche  Pupille 
immer  eine  excentrische  oder  periphere  sein  müssen.  Dann  ist,  wo  die 
Wahl  frei  steht,  der  innere  untere  Quadrant  der  Cornea  der  geeignetste 
Platz  für  die  Pupille. 

Es  kömmt  hier  in  Betracht  erstens,  dass  die  Sehaxe  mit  der  Hornhautaxe 
einen  Winkel  einschliesst  und  die  Cornea  in  der  Regel  nach  innen  und  etwas  nach 
unten  von  deren  Centrum  schneidet,  zweitens  dass  beim  Fixiren  stets  die  Sehaxe 
dem  betrachteten  Objecte  zugewendet  werden  muss,  damit  dessen  Bild  auf  den 
gelben  Fleck  treffe.  Wird  demnach  die  künstliche  Pupille  einem  anderen  als  dem 
inneren  unteren  Quadranten  der  Hornhaut  entsprechend  angelegt,  so  sind  alle 
Lichtstrahlen,  welche  durch  das  neue  Sehloch  ins  Innere  des  Auges  gelangen 
können,  als  Randstrahlen  aufzufassen,  welche  um  so  schiefer  auf  die  brechenden 
Flächen  fallen,  je  weiter  die  künstliche  Pnpille  von  dem  inneren  unteren  Horn- 
hautquadranten  entfernt  ist.  Unter  solchen  Umständen  muss  sich  schon  bei 
normaler  Krümmung  der  Hornhaut  die  sphärische  und  chromatische  Aberration  sehr 
fühlbar  machen,  bei  anomaler  Wölbung  der  Hornhaut  aber  die  Abweichung  des 
Lichtes  im  höchsten  Grade  störend  werden.  Dazu  kömmt,  dass  von  den  Licht- 
strahlen, welche  auf  den  der  Pupille  gegenüber  liegenden  Cornealtheil  treffen, 
vermöge  der  Grösse  ihres  Einfallswinkels  ein  grosser  Theil  reflectirt  und  auch 
wohl  zerstreut  und  absorhirt  wird,  sonach  die  Netzhautbilder  einen  Ausfall  an 
Helligkeit  erleiden  land  bei  Vorhandensein  auch  ganz  schwacher  Trübungen  durch 
ein  Spectrum  in  ihrer  Deutlichkeit  geschädiget  werden  müssen. 

Es  ist  hierauf  nicht  blos  in  jenen  Fällen  zu  achten,  in  welchen  es 
sich  einfach  um  Herstellung  eines  möglichst  guten  monocularen  Sehver- 
mögens handelt,  sondern  auch  dort,  wo  bei  Functionstüchtigkeit  des 
anderen  Auges  Aussicht  auf  Zurückführung  beider  Bulbi  zum  gemeinschaft- 
lichen Sehact  gegeben  ist.  Bei  veralteten  und  namentlich  aus  der  Jugend 
stammenden  centralen  ausgebreiteten  Flecken  ist  diese  Hoffnung  jedoch 
stets  eine  sehr  geringe,  daher  es  besser  gerathen  scheint,  mehr  Rücksicht 
auf  Erweiterung  des  gemeinschaftlichen  Sehfeldes  zu  nehmen ,  die  künstliche 
Pupille  also  nach  aussen  anzulegen. 

Im  Allgemeinen  kann  man  mit  um  so  mehr  Grund  atif  die  Herstellung  des 
gemeinschaftlichen  Sehactes  durch  die  Operation  zählen,  je  günstiger  die  Verhältnisse 
für  die  Erzielung  scharfer  Netzhautbilder  sind.  Excentrische  Pupillen ,  dem  äusseren 
oder  oberen  Theile  der  Hornhaut  entsprechend,  und  besonders  ganz  x>friphere 
Sehlöcher  lassen  selten  oder  niemals  einen    gemeinschaftlichen    Sehact  aufkommen. 


Sclerectomie;  Oornealtransplantatioii ;  Oporat.  Lösung  vord.  Synechien.  131 

Nach  oJten  ang-elegte  künstliche  Pupillen  werden  gewöhnlich  zum  grossen 
Theile  von  dem  oberen  Lide  gedeckt  und  dadurch  in  ihren  Leistungen  beschränkt. 
Man  ist  gezwungen,  durch  Rücklagcrung  des  o))eren  geraden  Angennmskcls  diesem 
Uebelstande  zn  steviern.  Durch  die  Tenotomie  wird  die  Wirkungsfäliigkcit  des 
Muskels  nämlich  geschwächt  und  die  Visirlinie  unter  die  Horizontale  geneigt.  Um 
die  optische  Axe  belmfs  der  Fixation  eines  Objectes  in  die  richtige  Stellung  zu 
bringen,  nmss  daher  auf  den  Rectus  superior  ein  stärkerer  Willonsimpuls  geleitet 
werden,  als  in  der  Norm  nothwendig  wäre.  Dieser  Impuls  trifft  aber  immer  gleich- 
zeitig den  functionel  innig  verbundenen  Aufhebemuskel  des  oberen  Lides,  daher 
denn  auch  dieses  bei  der  Einstellung  des  Auges  auf  ein  Object  mehr  gehoben 
wird  als  s  onst,  und  das  ist  eben  der  Zweck. 

d)  In  Fällen,  in  welchen  die  ganze  Hornhaut  getrübt  ist,  hat  man  vorge- 
schlagen, den  Lichistrahlen  durch  die  Sclerotica  einen  Weg  zu  bahnen  (Autenrietli), 
Hornhäute  von  Thieren  zu  transplantiren  (Himly,  WufeerJ,  oder  durch  Einheilung 
eines  nach  Art  der  HeindhnÖ2jfe  geformten  Glases  in  einen  SjJalt  der  getrübten 
Cornea  ein  künstliches  Fenster  herzustellen  (Ntissbaum) .  Es  sind  diese  Versuche 
sämmtlich  misslungen.  Ein  Fall  liegt  indessen  vor,  wo  ein  eingeheiltes  Glas  drei 
Monate  nach  seiner  Einlegung  noch  haftete,  durchsichtig  geblieben  war  und  das 
Sehen  ermöglichte  (Heusser). 

e)  Um  2}artieUe  vordere  Synechien  zu  lösen,  dient  ein  der  Corelyse  analoges 
Verfahren.  Es  wird  nämlich  nach  thunlichster  Erweiterung  der  Pupille  durch 
starke  Atropinlösungen  ein  Lanzenmesser  im  Meridian  der  Verwachsung  in  die 
Hornhaut  so  eingestochen,  dass  beim  Vorschieben  der  Klinge  der  anhaftende  Theil 
der  Iris  knapp  an  der  Narbe  unter  die  Schneide  fällt.  Was  dann  etwa  noch 
übrig  bleibt,  kann  mittelst  des  bei  der  Corelyse  gebräuchlichen  Hakens  losgerissen 
werden.  Wiederholte  Einträufelungen  starker  Atropinlösungen  müssen  hierauf  die 
Pupille  thunlichst  weit  und  die  Wundränder  der  Iris  möglichst  auseinander  halten. 
Es  ist  diese  Methode  in  Bezug  auf  ihren  Effect  jedoch  keineswegs  eine  sehr  sichere 
und  lohnet  überhaupt  nur  selten  die  Mühe  und  Gefahr.  Bei  centralen,  mit  vorderer 
Synechie  des  Pupillarrandes  gepaarten  Narben  kann  durch  die  Lösung  der  Ver- 
wachsung nur  selten  die  Nothwendigkeit  der  Coremorphose  aufgehoben  werden. 
Bei  excentrischen  und  peripheren  Synechien,  welche  den  Durchmesser  der  Pupille 
nur  wenig  beeinträchtigen  und  bei  welchen  nur  ein  kleiner  Theil  des  Sehloches 
von  der  narbigen  Trübung  gedeckt  erscheint,  hat  die  Lösung  kaum  irgend  welchen 
erheblichen  Vortheil. 

3.  Die  dritte  ludication  zielt  darauf  hin,  den  mittelbaren  Folgen  der 
Sehstörung ,  der  Entwickelung  der  Kurzsichtigkeit ,  der  A.mblyopie,  des 
Strabismus  etc.  liindernd  in  den  Weg  zu  treten.  (Das  hierzu  erspriess- 
liche  Verfahren  ist  Gegenstand  der  Erörterung  in  den  diesen  Zuständen 
gewidmeten  Capiteln). 

Quellen.  Wedl,  Atlas,  Cornea  Sclera.  —  Klebs,  A.  f.  O.  XL  2.  S.  237.  — 
Stellwaq,  Ophth.  I.  S.  42,  218,  226,  293,  295,  303  u.  322.  —  Cunier,  Ann.  d'ocul. 
X.  S.  264,  XIII.  S.  255.  —  Knapp,  kl.  Mouatbl.  1864.  S.  304.  —  Piringer,  Die 
Blenn.  am  Menschenauge.  Graz.  1841.  S.  261.  —  Beer,  Lehre  von  den  Augnkhten. 
Wien.  1817.  II.  S.  95.  —  Arlt,  Krankheiten  des  Auges.  Prag.  L  S.  269.  —  Both- 
mund,  kl.  Monatbl.  1866.  S.  161.  —  Crusell,  lieber  den  Galvanismus  etc.  Peters- 
burg. 1841.  —  Mackenzie,  Traite  d.  mal.  des  yeux.  Traduit  p.  Warlomont  et  Testelin. 
Paris.  1857.  II.  S.  156.  —  Weller,  Deinours  nach  Desmarres,  Traite  des  mal.  d. 
yeux.  Paris.  1847.  S.  332.  —  Rtiete,  Lehrbuch  der  Ophth.  Braunschweig  1853.  II. 
S.  262.  —  Mead  nach  Ruete  ibid.    —     Gulz,  Oesterr.    Wochenschrift  1842.    Nr.  24. 

—  Älalgaigne,    Ann.  d'ocul.    XIII.    S.  212.   —   Desmarres,  ibid.  IX.    S.  96;  X.   S.   1. 

—  Hasner,  Entwurf  einer  anat.  Begründg.  etc.  Prag.  1847.  S.  123  und  kl.  Vor- 
träge. S.  152,  205.  —  Travers,  Mackenzie's  Abhandlung  über  die  Kkhtn.  d.  Auges. 
Weimar.  1832.  S.  513.  —  Ritterich  nach  Th.  Ruete  Lehrbuch.  II.  S.  265.  — 
Schauenhurg,  Die  künstliche  Pupille  vor  und  in  dem  Auge.  Berlin.  1854  u.  deutsche 
Klinik  1854.  —  Donders  und  Wijngaarden,  A.  f.  O.  I,  1.  S.  251.  —  Graefe.  ibid. 
II.  2.  S.  177.  —  B.  Euete,  kl.  Monatbl.  1865.  S.  239.  —  Autenriefh,  Tübinger 
Blätter  für  Naturwissenschaft.  I.  S.  88.  —  C.  Himly,  Kkhtn.  und  Missbildgn.  des 
m.  Auges.    Berlin.  1843.    II.    S.    58,  60.  —    Wutzer,    Zeitschrift  f.  Ophth.  I.  S.  486 


132  Staphylome ;   Nosologie. 

und  V.  S.  323.  —  Nusshaum,  Ueber  die  Behandlung  der  Hornhauttrübungen  etc. 
München  1856  und  deutsche  Klinik  1853.  Nr.  34.  —  Heusser,  ärtzl.  Intelligenzblatt 
etc.  1860.  Nr.  24.  —  Schalygen,  A.  f.  O,  XII.  1.  S.  93.  —  Czerny,  Wien.  Augen- 
klinik. Ber.  S.  190.  —  Gouvea,  Arch.  f.  Aug.  und  Ohrenheilkunde,  I.  1.  S.  120.  — 
de  Luca,    Gaz.    med.  de  Paris.  1867.  S.  360.  — 


3.  Ectasieu  oder  Staphylome. 

Nosologie.  Auf  dass  sich  innerhalb  der  vorderen  Scleralöffnung  ein 
Staphylom  entwickeln  könne ,  ist  erste  und  unerlässliche  Bedingung  die 
Ahnahme  der  normalen  Resistenz  des  Cornealgefüges,  oder  dessen  Ersatz 
durch  ein,  wenigstens  zeitweilig,  nachgiebigei'es  ausdehnsames  Gewebe. 
Zweite  Gi'undbedingung  ist  eine  gewisse  Drucktcii-kung  von  Seite  des 
Augapfelinhaltes,  Termöge  welcher  der  betreffende  Augapfelwandtheil  in 
eine  seine  Widerstandskraft  überbietende  Spannung  versetzt  wird.  Letztere 
Bedingung  schliesst  das  Abhandensein  jeder  noch,  so  feinen  Oeffnung  in 
irgend  einem  Theile  der  Bulbuswand  in  sich  und  setzt  voraus,  dass  die 
Mutterorgane  der  dioptrischen  Feuchtigkeiten  in  ihrer  secretorischen 
Thätigkeit  nicht  ungebührlich  stark  beirrt  seien.  Die  Druckwirkung  der 
vier  geraden  Augenmuskeln  ist  ein  hochwichtiges  förderndes  Moment  der 
Staphylombildung,   aber  keine  unerlässliche  Bedingung. 

Die  Besistenzverminderung  der  Cornea  ist  bisweilen  die  Folge  einer 
entzündlichen  Auflockerung  des  Hornhautgefüges  oder  eines  angeborenen 
Bildungsfehlers.  Erreicht  sie  einen  so  hohen  Grad,  dass  der  intraoculare 
Druck  mindestens  zeitweilig  das  Uebergewicht  gewinnt,  so  resultirt  eine 
Ausdehnung  der  Hornhautsubstauz  als  solcher,  ein  eigentliches  Hornhaut- 
staphylom.  Häufiger  ist  die  Abnahme  des  Widerstandes  begründet  in 
stellenweiser  oder  totaler  Zerstörung  der  vorderen  Corneallamellen.  Die 
biosgelegten  hinteren  Hornhautschichten  werden  dann  öfters  unter  dem 
Einflüsse  des  intraocularen  Dnickes  ausgedehnt,  vorgebaucht,  es  entwickelt 
sich  eine  ulcerative  Keratectasie,  welche  unter  allmäliger  Anbikliing  eines 
neoplastischen,  mehr  weniger  trüben,  selbst  narbenähnlichen  Ueberzuges 
in  ein  narbiges  Homhautstaphylom  übergehen  kann.  In  den  meisten  Fällen 
endUch  liegt  der  Staphylombildung  ein  umfangreicher  Durchbruch  oder 
eine  gänzliche  Zerstörung  der  Cornea  zu  Grunde.  Die  biosgelegte  Iris 
tritt  an  die  Oetfnung,  schliesst  sie  unter  Verlöthung  mit  den  Durchbruchs- 
ränderu,  wird  hervorgebaucht,  ein  Staphyloma  iridis  bildend,  welches  dann 
unter  Entwickelung  von  Xarbenmasse  in  und  auf  seiner  Wandung  in  ein 
eigentliches  Narbenstaphylom  übergeht. 

Eine  strenge  Scheidung  dieser  drei  Grundformen  des  Staphyloms  ist 
nur  in  der  Theorie  möglich.  In  der  Wirkliclikeit  verschwimmen  deren 
Grenzen  durch  zahlreiche   Zwischenformen. 

a.    Das  Hornhautstaphy lom. 

Pathologie.  Der  Begriff  des  Staphyloma  corneae  wird  am  schärfsten 
durch  das  Synonym :  ^Ectasia  corneae,  Ansdehnung  der  Hornhaut"  bezeichnet, 
da  es  die  Substantia  propria  corneae  als  dasjenige  Gebilde  andeutet, 
welches  die  Ausdehnung  und  Flächenvergrösserung  erlitten  hat. 


Horiiliaiit.staiilivIi>in  :   Kiiiflii'üniiK  :  Kraiikheitshild.  133 

Mail  unterscheidet  Auscle]inunp:en  ohne  typischen  Charakter,  bei  welchen 
die  entziindliche  Grundlage  sowolil  in  der  Anamnese  als  in  den  begleitenden 
Erscheinungen  oß'en  zu  Tage  liegt.  In  ihren  niederen  Graden  werden  sie 
als  Hornhautectasien  im  engeren  Wortsinne  beschrieben.  In  den  höchsten 
(Jraden  sind  sie  stets  mit  Ectasien  der  vorderen  Scleralzone  oder  der 
Lederhaut  als  Ganzen  verknüpft  und  demnach  als  Theilerscheinung  des 
sogenannten  Hydrophthalmus  anterior  oder  des  Totalstaijhjloms  des  Bulbus 
aufzufassen.     (Siehe  Scierochorioidalstaphylome.) 

Ilmen  gegenüber  stehen  Ectasien  von  mehr  typischer  Form,  welche 
ihren  letzten  Grund  bald  in  gewissen  Hemmungshildungen,  bald  in  entzünd- 
lichen Processen  zu  haben  scheinen,  bei  welchen  jedoch  die  Merkmale  der 
etwa  vorausgegangenen  ursächlichen  Entzündung  sehr  in  den  Hintergrund 
treten  oder  völlig  fehlen.  Hierher  gehören  der  Keratoconus ,  die  Cornea 
conica  oder  das  kegelige  Hornhautslnphylom  und  der  Keratoglohus,  die  Cornea 
glohosa  oder  das  kugelige  Hornhautstaphylom,   auch  Buphthalmus  genannt. 

Die  Ausdehnung  geschieht  stets  auf  Kosten  der  Hornliautdicke.  Beim  Kerato- 
glohus ist  die  Cornea  gleichraässig  verdünnt,  kaum  papierdick  und  nach  hinten  von 
der  ebenfalls  ausgedehnten  und  verdünnten  Wasserhaut  überkleidet.  Bei  der  Cornea 
conica  fand  man  die  Peripherie  der  Hornhaut  bald  verdickt,  bald  von  normaler 
Dicke.  In  der  Mitte  jedoch,  entsprechend  dem  hervorragendsten  Theile  des  Staphy- 
loms,  erschien  die  Cornea  sehr  verdünnt,  von  der  Dicke  eines  Postpapiers.  An 
der  vorderen  Fläche  war  der  Uebergang  der  beiden  verschieden  mächtigen  Zonen 
der  Hornhaut  unmerklich,  an  der  hinteren  Fläche  aber  ein  2}lötzlichev ,  so  dass  der 
centrale  verdünnte  Theil  ringsum  wie  von  einem  Wulste  umgeben  schien  (M.  Jaeger, 
Walker,  Middlemore,  Cappelletti). 

Krankheitsbild.  Es  ist  dieses  ein  anderes  je  nach  der  Art  des 
Staphyloms  und  nach  dem  Grade,  bis  zu  welchem  es  bereits  gediehen  ist. 

1.  Niedere  Grade  der  Ausdehnung,  welcher  Art  sie  auch  seien,  ent- 
gehen leicht  selbst  dem  geübten  Beobachter,  wenn  er  sich  nicht  feinerer 
diagnostischer  Hilfsmittel  bedient ,  da  sie  keine  autfällige  Abweichung  in 
der  Grösse  und  Gestalt  der  Cornea  begründen.  Doch  macht  sich  der  daran 
geknüpfte  irreguläre  Astigmatismus  für  den  Kranken  überaus  fühlbar,  be- 
sonders wenn  das  Auge  früher  normal  functionirte.  Es  wird  nämlich  das 
Sehen  in  die  Ferne  immer  verschwommener,  ohne  dass  sphärische  oder 
cylindrische  Gläser  eine  wesentliche  Verbesserung  zu  erzielen  im  Stande 
wären.  Scharf  contrastirende  feinere  entfernte  Gegenstände  zeigen  sich 
dabei  meistens  vervielfältigt.  Weiterhin  wird  auch  das  Nahesehen  immer 
beschwerlicher,  der  Kranke  muss  die  Objecte  mehr  als  früher  dem  Auge 
nähern ,  ohne  dadurch  zur  vollen  Deutlichkeit  und  Schärfe  der  Wahr- 
nehmungen zu  gelangen,  ja  gar  oft  wird  dabei  auch  die  Polyopie  in  hohem 
Grade  lästig.  Man  ist  dann  leicht  verführt,  eine  Amblyopie  als  Grund 
unterzustellen,  doch  bietet  das  Vermögen,  selbst  sehr  nahe  stehende  Farben- 
töne von  einander  zu  unterscheiden,  und  besonders  die  autfällige  Ver- 
besserung des  Sehens,  welche  durch  runde  Schirmlöcher  sowie  durch  Zu- 
kneipen  der  Lider  erzielt  wird,  einen  genügenden  Anhalt  für  die  Diife- 
rentialdiagnose. 

Die  Unregelmässigkeit  der  Hornhautkrümmung  offenbart  sich  aber 
auch  im  ophthalmoscopischen  Bilde.  Man  übersieht  immer  nur  einen  kleinen 
Theil  des  Augengruudes.  Die  Gefässe  und  der  Umfang  der  Papille  er- 
scheinen nach  verschiedenen  Richtungen  verbogen,  bald  da  bald  dort  ver- 
breitert und  wieder  verengt    und  von  sehr    wechselnder  Deutliclikeit  ihrer 


XS"!  ,  Hornhautstai^hylom ;  Kiaiikheitsbild;  Keratectasie. 

Contouren.  Nicht  selten  sieht  man  ein  Gefäss  an  der  einen  Seite  des 
Sehfeldes  ausserordentlich  verdünnt  aus  der  verschwommenen  Grenze  heraus- 
treten, allmälig  deutlicher  und  dabei  dicker  werden,  um  schliesslich  auf 
der  anderen  Seite  mächtig  verbreitert  das  Gesichtsfeld  wieder  zu  verlassen. 
Die  geringste  Verschiebung  der  Spiegelaxe  oder  des  kranken  Auges  bedingt 
ganz  unverhältnissmässige  Verrückungen  und  Verzerrungen  der  wahrge- 
nommenen Bilder,  so  zwar,  dass  oft  die  Gefässe  und  die  Grenzen  des  Seh- 
nerveneintrittcs  förmlich  durcheinander  zu  wirbeln  scheinen. 

Auch  die  Reflexe  der  Hornhmitvorderfläche  erleiden  entsprechende  Ver- 
änderungen. Doch  pflegen  dieselben  nicht  so  auifällig  zu  sein  vermöge 
der  Kleinheit  der  Bilder.  Ist  die  Verkrümmung  aber  eine  mehr  kegelige 
oder  eigentlich  hyperboloide ,  wie  dies  beim  Keratoconus  der  Fall  ist ,  so 
liefern  die  Reflexe  nicht  minder  gute  diagnostische  Hilfsmittel.  Leitet  man 
ein  solches  Reflexbild  auf  den  Scheitel  des  Kegels,  so  erscheint  es  sehr 
verkleinert ,  ohne  auffällige  Verzerrung.  Doch  augenblicklich ,  oft  mit 
einem  Rucke,  wird  es  nach  der  Richtung  des  Meridians  in  die  Länge  ge- 
zogen, wenn  man  die  Stellung  des  Auges  zur  Lichtquelle  um  ein  Kleines 
verändert. 

Die  erwähnten  dioptrischen  und  katoptrischen  Erscheinungen  treten 
begreiflicher  Weise  nur  dort  deutlich  hervor,  wo  die  ectatische  Cornea 
ihre  Durchsichtigheit  wenigstens  grösstentheils  bewahrt  hat.  Solche  Fälle 
bilden  aber  gerade  die  Minderzahl.  Bei  der  Keratectasie  im  engeren  Wort- 
sinne ist  die  Cornea  in  der  Regel  von  dichten  Trübungen  und  Narben  be- 
setzt. Auch  bei  dem  Keratoconus  ist  eine  durchsichtige  Spitze  Ausnahme 
und  beim  Keratoglohus  erscheint  die  Cornea  recht  oft  von  leichten  wol- 
kigen Trübungen  durchsetzt ,  mitunter  sogar  ziemlich  gleichmässig  und 
dicht  getrübt.  Dazu  kommen  betreö's  der  Sehstörungen  sehr  oft  noch  die 
Folgen  intraocularer  Entzündungsprocesse  und  anderer  die  Function  des 
lichtempfindenden  Apparates  sehr  herabsetzender  Momente,  so  dass  dann 
die  Diagnose  niederer  Grade  recht  schwer  wird. 

2.  Bei  den  höheren  Entwickelungsgraden  sind  alle  Symptome  potenzirt. 
Die  Cornea  erscheint,  namentlich  bei  seitlicher  Betrachtung  des  Auges, 
deutlich  hervorgewölbt ,  ihr  Zenith  tritt  um  ein  Bedeutendes  über  die 
Ebene  der  vorderen  Scleralöffnung  hervor  und  dem  entsprechend  zeigt  sich 
die    Vorderkammer  ansehnlich  erweitert. 

a.  Bei  der  Keratectasie  im  engeren  Wortsinne  ist  die  Ausdehnung  bald 
eine  ziemlich  gleichmässige ,  wo  dann  die  Wölbung  hippelförmig  erscheint ; 
bald  ist  sie  eine  ungleichmässige ,  oder  auf  einen  Theil  der  Hornhaut  be- 
schränkte, in  welchem  Falle  die  Cornea  sich  der  stumpfen  Kegelform  nähert 
und  sich  entweder  nach  allen  Seiten  gleichmässig  oder  ungleichmässig  ab- 
dacht, je  nachdem  der  Scheitel  der  Wölbung  der  Mitte  oder  einem  Seiten- 
theile  des  Organes  entspricht. 

b.  Bei  dem  Keratoconus  ist  die  Vorwölbung  immer  eine  kegelige  oder 
eigentlich  mehr  hyperboloide,  indem  die  Seitenwandungen  in  der  Richtung 
der  Meridiane  nicht  geradlinig,  sondern  mehr  oder  weniger  convex  sind. 
Doch  gehören  sie  keiner  regulären  Curve  an,  sondern  zeigen  in  den  ver- 
schiedenen Meridianen  und  in  den  einzelnen  Theilen  desselben  Meridianes 
sehr  abweichende  Kinimmungen  (Brewster).  Das  Staphylom  springt  bis- 
weilen so  stark  hervor,   dass  es  schon  bei  geschlossener  Lidspalte  merklich 


Keratoconns ;  Keratoglobus.  135 

wird  oder  gar  den  Lidsclilag-  beirrt.  Die  ubgcstumpftc  Spitze  des  Kegels 
fällt  öfters  mit  dem  Centrum  der  Cox'nca  zusammen.  Letztere  erhebt  sich 
dann  von  allen  Punkten  der  Peripherie  unter  einem  gleichen  Winkel  zu 
dem  Zenith,  die  Cornea  erscheint  glocken-  oder  hutähnlich  gewölbt.  Ebenso 
oft  ist  die  Lage  des  Zenithes  aber  eine  excentrische  und  danii  fällt-  die 
Wandung  des  Staphyloms  an  verschiedenen  Stellen  in  ungleicher  Steilheil 
ab.  Die  Spitze  des  Kegels  ist  oft  ganz  dtirchsichtig,  häufiger  aber  getrübt, 
neblig  wolkig  oder  opak ,  einem  Epithel-  oder  Sehnenflecke  ähnlich  ,  bis- 
weilen selbst  narbig.  Die  Seitenflächen  des  Staphyloms  sind  in  der  Regel 
vollkommen  durchsichtig,  glatt  und  spiegelnd;  das  Gegentheil  ist  immer 
auf  zufällige  Complicationen  zu  schreiben,  welche  mit  dem  Keratoconus  in 
keinem  näheren  Verbände  stehen. 

Die  Augenspiegel-  und  Reflexbilder  zeigen  bei  wechselnder  Stellung  der  Kegel- 
axe zur  Lichtquelle  die  obenerwähnten  Veränderungen  der  Grösse ,  Gestalt  und 
Lage  natürlich  in  gesteigertem  Masse.  Wird  die  Kegelaxe  der  Lichtquelle  gerade 
zugewendet,  so  wird  an  einer  gewissen  Zone  der  Seitenwandungen  der  Einfalls- 
winkel des  Lichtes  leicht  den  Grenzwerth  erreichen  oder  gar  überschreiten,  also 
alles  Licht  reflectirt  werden.  Die  Folge  ist  das  Erscheinen  eines  leuchtenden  Ringes 
(Ammon,  Knapj)).  Mitunter  ist  die  Reflexion  eine  so  bedeutende,  dass  die  kegelige 
Cornea  nach  Art  eines  Krystalles  funkelt. 

Das  Sehuermögen  ist  bei  stärker  entwickeltem  Keratoconus  immer 
überaus  stark  beeinträchtigt,  und  kann  auch  durch  Schirmlöcher,  Zukneipen 
der  Lider  und  durch  Seitenstellung  der  Objecte  (Mackenzie)  nur  sehr  un- 
vollkommen gebessert  werden.  In  sehr  hochgradigen  Fällen  genügt  das 
Auge  häufig  kaum,  um  dem  Kranken  die  Selbstführung  zu  gestatten.  Die 
in  der  Axe  des  Kegels  gelegenen  Objecte  entschwinden  nämlich  der  Wahr- 
nehmung und  nur  seitlich  im  Gesichtsfelde  gelegene  Gegenstände  werden 
noch  in  ihren  gröberen  Umrissen  erkannt;  daher  der  Kranke  denn  auch 
bei  dem  Versuche ,  ein  Object  zu  fixiren ,  demselben  die  Seitenwandungen 
des  Kegels  zuzuwenden  pflegt.  Sehr  oft  beschränkt  sich  das  Sehvermögen 
wohl  gar  auf  die  blosse  Unterscheidung  von  Hell  und  Dunkel  sowie  der  ein- 
zelnen Farben,  oder  es  ist  auch  jede  Spur  von  Lichtempfindung  geschwunden, 
der  Keratoconus  ist  mit  Amaurosis  combinirt. 

c.  Beim  Keratoglobus  wölbt  sich  die  Hornhaut  kuppelartig  hervor. 
Im  Beginne  ist  die  Einsattelung  zwischen  Cornea  und  Sclera  noch  eine 
sehr  scharfe.  Allmälig  aber  dehnt  sich  auch  die  vordere  Lederhautzone 
aus,  wird  bläulich  durchscheinend,  während  jene  Grenzrinne  immer  mehr 
sich  verstreicht  und  schliesslich  ganz  verschwindet.  Die  Cornea  hat  nun 
bedeutend  an  Fläche  und  Umfang  gewonnen.  Dieselbe  bewahrt  in  reinen 
Fällen  nicht  selten  den  spiegelnden  Glanz  ihrer  Oberfläche  und  die  nor- 
male Durchsichtigkeit  ihres  Gefüges.  Bisweilen  erscheint  sie  etwas  grünlich 
und  rauchähnlich  trüb ,  namentlich  an  ihrer  Peripherie ,  so  dass  sie  sich 
nur  undeutlich  von  der  Sclerotica  abgrenzt.  Oft  jedoch  finden  sich  auch 
ausgebreitete  leucomatose  Trübungen,  ja  es  kommen  genug  Fälle  vor  ,  wo 
das  Hornhautgefüge  seiner  Totalität  nach  völlig  undurchsichtig ,  dicht 
wolkig  oder  gar  sehnenähnlich  getrübt  ist.  Die  Vorderkammer  zeigt  sich 
der  enormen  Ausdehnung  der  Cornea  entsprechend  nach  Tiefe  und  Breite 
ausserordentlich  vergrössert ;  die  Iris  ist  sehr  verbreitert,  gemeiniglich  etwas 
verfärbt ;  die  Pupille  mittelweit,  sehr  träge  oder  gar  nicht  beweglich  ;  die 
Linse  wie  das  Kammerwasser  meistens  völlig  durchsichtig,  seltener  cataractös, 
bisweilen  wegen  Dehnung    oder    theilweiser  Berstung    der  Zonula    ectopirt 


136  Hornhautstaphylom ;  Ursachen. 

und  schwankend ;  der  Glaskörper  ist  öfters  verflüssigt ;  der  Hintergrund 
des  Auges  wenig  verändert ,  höchstens  eine  leichte  Atrophie  des  Tapetes 
bekundend.  An  dem  Sehnerveneintritt  hat  man  wiederholt  eine  sehr  ent- 
wickelte totale  Excavation  nachgewiesen  und  dieselbe  mit  einer  Erhöhung 
des  intraocularen  Druckes  in  Zusammenhang  gebracht,  welche  sich  in  der 
Mehrzahl   der  Fälle  durch  auffällige  Härte   des  Bulbus  offenbaren  soll. 

Das  Sehvermögen  des  Aiiges  ist  immer  sehr  herabgesetzt,  doch  keines- 
wegs häufig  ganz  erloschen.  In  einzelnen  Fällen  hat  man  Einschränkungen 
des  Gesichtsfeldes  beobachtet.  Der  Refractionszustand  des  Auges  ist  in 
Uebereinstimraung  mit  der  bedeutenden  Vei'längerung  des  Hornhautradius 
niemals  hochgradig  myopisch,  ja  nicht  einmal  stets  myopisch  (Muralt). 

Die  Beweglichkeit  des  Auges  ist  wegen  der  Integrität  des  hinteren 
Bulbusumfanges  nicht  merklich  beirrt.  Doch  kann  durch  die  relative  Enge 
der  von  dem  Staphylom  weit  auseinander  gesperrten  Lidspalte  und  durch 
die  starke  Spannung  der  Lider  bei  höehstgradiger  Entwickelung  des  Kerato- 
globus   die  Excursionsfäliigkeit  ohne   Zweifel  leiden. 

Ursachen.  Die  Keratectasie  im  engeren  Wortsinne  ist  thatsächlich  in 
der  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  das  Resultat  einer  intensiven  und  aus- 
gebreiteten Keratitis  vasculosa.  Besonders  oft  entwickelt  sie  sich  während 
dem  Verlaufe  eines  hochgradigen  trachomatösen  oder  herpetischen  Pannus  und 
führt  dann  den  Namen  Keratectasia  ex  panno.  Häufige  luid  heftige  ent- 
zündliche Anfälle  machen  ganz  vorzüglich  disponirt  zu  derlei  Ausdehnungen. 
Selten  ist  eine  diffuse  Keratitis  oder  eine  partielle  Verschwärung  der  Cornea 
die  nächste  Ursache  der  Ectasie. 

Auch  bei  dem  Keratoconus  spielt  die  Entzündung  eine  wichtige  Rolle. 
Abgesehen  von  directen  Beobachtungen  (Buete ,  Graefe ,  Mackenzie ,  Sichel) 
spricht  das  häufige  Vorkommen  von  Trübungen,  namentlich  an  der  Spitze 
des  Kegels,  für  die  Begründung  durch  entzündliche  Gewebslockerung,  zumal 
als  derlei  Obscurationen  oft  schon  im  ersten  Beginne  des  Staphyloms  be- 
stehen. Doch  kann  die  Entzündung  nicht  die  einzige  Quelle  sein,  da  das 
conische  Staphj^lom  öfters  zur  Entwicklung  kömmt,  ohne  dass  sich  in  irgend 
einem  Stadium  des  Verlaufes  Erscheinungen  geltend  machen,  welche  auf 
den  Bestand  oder  auf  die  fx'ühere  Existenz  eines  solchen  Processes  Schlüsse 
erlauben.  Es  liegt  offenbar  sehr  nahe,  den  Ausgangspunkt  des  Leidens 
unter  solchen  Umständen  in  der  anatomisch  nachgewiesenen  Verdünnung 
des  Cornealcentrums  zu  suchen  und  diese  auf  eine  ursprüngliche  Missbildung 
zurückzuführen. 

Für  die  Annahme  eines  Entwickelung sfehlers  als  disponirenden  Momentes 
spricht  übrigens,  dass  die  Cornea  conica  öfters  als  ein  angeborener  und  selbst  ererbter 
Zustand  beobachtet  worden  ist  und  gar  nicht  selten  mit  anderen  Bildungsanomalien 
des  Auges  und  des  Kopfes  verknüpft  erscheint  (Amman).  Auch  der  Umstand  ist 
dieser  Ansicht  günstig,  dass  das  Leiden  selten  mo7iocular  bleibt,  sondern  in  der 
Regel  ein  Auge  nach  dem  anderen  befällt  oder  gleich  von  vorneherein  binocular 
auftritt,  was  beim  Keratoglobus  nicht  der  Fall  ist. 

In  Betreff  des  Keratoglobus  gilt  Aehnliches.  Auch  hier  weisen  mit- 
unter Veränderungen  der  Binnenorgane  deutlich  auf  vorausgegangene  tiefe 
Entzündungen  hin,  welche,  wenn  der  Zustand  angeboren  (Ammon,  Jüngken, 
Muralt)  vorkömmt ,  in  der  Foetalperiode  abgelaufen  sein  können.  Doch 
finden  sich  auch  Fälle,  wo  die  Merkmale  solcher  Entzündungen  fehlen,  man 
also  auf  andere  Quellen  angewiesen  ist.  Der  häufige  Bestand  einer  glau- 
comatosen  Excavation  in  Verbindung  mit  gesteigerter  Bulbusresistenz  haben 


Verlauf;   Ausgänge.  137 

zur  Annahme  einer  Vermehrun«:^  des  Einnendruckos  als  nächsten  Grund 
geführt  (Mitralt).  Allein  da  beim  Glaucom  selbst  die  beträchtlichsten  Er- 
höhungen des  intraocularen  Druckes  eine  Dehnung  der  Cornea  und  der 
äusseren  Scleralschichten  zu  bewerkstelligen  nicht  vermögen ,  so  liegt  es 
auf  der  Hand ,  dass  auch  beim  Keratoglobus  noch  ein  weiteres  ]\Ioment, 
nämlich  Eesistenzverminderung  der  Bulhuskapsd.,  mitwirken  müsse  und  für 
diese  muss  wieder  eine  das  Gewebe  lockernde  Entzündung  oder  eine  ur- 
sprünglich mangelhafte  Anlage ,  also  eine  Art  Missbildung ,  als  Erklärungs- 
grund in  Anspruch  genommen  werden  (Muralt). 

Verlauf  und  Ausgänge.  Das  Cornealstaphylom  entwickelt  sich  in 
der  Regel  überaus  langsam.  Die  ersten  Anfänge  desselben  werden  ihrer 
Geringfügigkeit  halber  oft  übersehen  und  die  darauf  fussenden  Sehstörungen 
gerne  anderen  Ursachen  als  der  beginnenden  Ectasie  zugeschrieben.  80 
besteht  eine  unbedeutende  Ausdehnung  öfters  Monate  und  Jahre  lang  uner- 
kannt fort  und  wächst  allmälig ,  bis  sie  endlich  auffällt ;  oder  aber  sie 
tritt  plötzlich  nach  einer  intercurrenten  Keratitis,  nach  heftigem  Husten, 
Erbrechen,  Schreien  u.  s.  w.  hervor,  der  Vermuthung  Raum  gebend,  sie 
sei  nun  erst  in  Folge  dieser  Verhältnisse  entstanden.  Selbst  in  jenen  Fällen, 
in  welchen  eine  sehr  eclatante  Entzündung  durch  Gewebslockerung  den 
Boden  für  die  Ausdehnung  vorbereitet  hat ,  geschieht  es  oft ,  dass  die 
mittlerweile  entstandene  Ectasie  der  Beobachtung  entgeht  und  erst  nach 
längerem  allmäligen  Wachsthume  zur  Wahrnehmung  kömmt. 

Doch  kommen  auch  Fälle  vor,  in  welchen  die  Ectasie  schon  während 
dem  Bestände  der  Entzündung  ziemlich  hohe  Grade  erreicht.  Besonders 
gilt  dieses  von   der  sogenannten   Keratectesia  ex  panno. 

Nicht  selten  ist  die  Ausbildung  des  Cornealstaphyloms  eine  vielfich 
unterbrochene,  die  Ectasie  gedeiht  bis  zu  einem  bestimmten  Grade,  bleibt 
Monate  und  selbst  Jahre  lang  stehen  und  schreitet  dann  mit  oder  ohne 
merkliche  Veranlassung  wieder  vorwärts. 

Die  Ausbildung  Ms  zu  den  höchsten  Entwickelungsgraden  ist  jedoch 
keineswegs  eine  Nothivendigkeit.  Die  Ectasie  kann  auf  jeder  beliebigen  Evo- 
lutionsstufe stehen  bleiben,  ständig  werden.  80  kommen  Fälle  von  Kerat- 
ectasie  vor,  die  seit  vielen  Jahren  unverändert  geblieben  sind  und  eine 
weitere  Ausbildung  zum  Keratoconus  und  Keratoglobus  nicht  erwarten  lassen. 

Bei  höhergradigem  Keratoconus  pflegt  sich  die  stumpfe  Spitze ,  wenn 
sie  nicht  schon  von  vorneherein  getrübt  ist,  allmälig  wolkig  zu  trüben. 
Der  Grund  hiervon  dürfte  in  dem  Umstände  liegen ,  dass  bei  dem  Lid- 
schlage die  Thränen  nicht  über  die  Kegelspitze  geleitet  werden  und  diese 
lim  so  leichter  durch  Vertrocknung  leiden  muss,  als  der  Kegelscheitel  nur 
schwer  von  den  Lidern  bedeckt  werden  kann,  daher  der  atmosphärischen 
Luft  mehr  ausgesetzt  ist,   als  das  Zeuith  einer  normalen   Cornea. 

Niemals,  ausser  in  Folge  der  Einwirkung  mechanischer  Gewalten,  ist 
bei  der  Keratectasie  und  Cornea  conica  (Wardrop)  eine  Berstung  des  aus- 
gedehnten Hornhauttheiles  beobachtet  worden.  Die  Existenz  eines  Corneal- 
staphyloms der  genannten  Arten  schliesst  indessen  die  Entwickelung  einer 
intensiven,  zur  Verschwärung  oder  zum  Schwund  führenden  Entzündung 
nicht  aus  und  insoferne  gehört  die  Phthisis  und  die  Atrophie  des  Bulbus 
unter  solchen  Verhältnissen  zu  den  Möglichkeiten.  Beim  Keratoglobus  der  höch- 
sten Entwickelungsgrade  sind  Berstungen  schon  öfters  vorgekommen  (Muralt). 


138  Hornhautstaphylom ;  Behandlung;  Iridectomie ;  Keratectomie  und  Aetzung. 

Eine  spontane  Heilung  der  verschiedenen  Formen  des  Cornealstaphy- 
loms  ist  bisher  nicht  mit  Sicherheit  erwiesen  worden. 

Die  Behandlung  bezweckt  zuvörderst  die  Verhütung  der  Ausdehnung. 
Im  Falle  ein  Cornealstaphylom  bereits  in  Entwickelung  begriffen  ist ,  hat 
sie  die  Aufgabe,  den  Normalzustand  herzustellen,  oder  wenigstens  die  Ectasie 
in  ihrem  Fortschreiten  aufzuhalten.  Versagt  sie  jedocli  auch  liier,  so  bleibt 
ihr  nichts  übrig,  als  die  mit  der  Ectasie  verknüpften  Sehstörungen  auf  ein 
möglichst  kleines  Mass  zurückzuführen. 

1 .  Die  erste  Indication  fordert  einerseits  die  richtige  Behandlung  des 
der  Resistenzverminderung  zu  Grunde  liegenden  krankhaften  Processes,  und 
wird  insoweit  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  auf  entsprechende  Antiphlogose 
gerichtet  sein.  Andererseits  aber  fordert  sie  Herabsetzung  oder  theilweise 
Neutralisation  des  auf  die  Hinterwand  der  Cornea  wirkenden  Druckes.  In 
dieser  Hinsicht  ist  möglichste  Abspannung  der  Augenmuskeln  und  namentlich 
die  Vermeidung  alles  dessen  geboten ,  was  die  letzteren  zu  gleichzeitigen 
kräftigeren  Contractionen  anregen  könnte  (S.  105).  Auch  ein  entsprechend 
angelegter  Druckverband  kann  Erspriessliches  leisten.  Hat  man  indessen 
Grund,  die  Gefahr  der  Ausdehnung  als  eine  sehr  drohende  zu  erachten,  sei 
es,  dass  die  Geivebslockerung  in  sehr  auffälligem  Grade  hervortritt  oder  gar 
nebenbei  auch  noch  eine  sehr  starke  Spannung  der  Augenkapsel  durch  ab- 
norme Härte  des  Bulbus  zum  Ausdruck  kömmt,  so  thut  man  besser,  so- 
gleich eine  Iridectomie  vorzunehmen   (Graefe). 

In  neuester  Zeit  will  man  davon  beim  Keratoglohus  nicht  ungünstige  Re- 
sultate gesehen  haben.  Doch  ist  diese  Operation  hier  sehr  gefährlich,  indem  die 
Wunde  sich  schwer  schliesst,  durch  die  Zonulalücken  gerne  Glaskörper  entweicht, 
auch  öfters  Blutaustrctungen  in  das  Corpus  vitreum  zu  Stande  kommen  und  sich 
bisweilen  Hyalitis  entwickelt.  Mehrere  Bulbi  sind  nach  der  Iridectomie  durch  Ver- 
eiterung zu  Grunde  gegangen  (Muralt). 

2.  Der  zweiten  und  Hauptindication,  welche  soxi  Herstellung  der  normalen 
Krümmung  gerichtet  ist,  hat  man  beim  Keratoconus  durch  Erzeugung  einer 
schrumpfenden  iVarbe  an  der  Kegelspitze  zu  entsprechen  gesucht.  Behufs 
dessen  wurde  der  Scheitel  des  Staphyloms  in  Intervallen  von  mehreren 
Tagen  wiederholt  mit  einem  fein  zugespitzten  Höllensteinstifte  nachdrück- 
lich cauterisirt  iind  wo  dieses  nicht  ausreichte,  die  Cornea  zeitweilig  punctirt 
(Sichel).  In  neuerer  Zeit  hat  man  diese  Methode  mit  der  Keratectomie 
combinirt.  Es  soll  nämlich  an  der  Spitze  des  Kegels  mit  einem  sehr 
schmalen  und  dünnen  Messerchen  vorerst  ein  Schnitt  durch  die  Dicke  der 
Membran  geführt  werden,  ohne  zu  perforiren,  der  so  gebildete  Lappen  darauf 
mit  der  Schere  abgetragen  und  die  Wundfläche  mit  einem  fein  zuge- 
spitzten mitigirten  Lapisstängelchen  an  mehreren  Puncten  geätzt  werden. 
Wenn  vier  bis  fünf  Aetzungen  nicht  ausreichen ,  um  einen  genügenden 
Reizzustand  und  eine  ergiebige  Exsudation  hervorzurufen,  so  soll  die 
Kegelspitze  mehrmals  paracentesirt  werden.  Als  jS^achkur  wird  Atropin 
und  der  Schutzverband  empfohlen;  im  Falle  jedoch  die  Entzündung  eine 
bedenkliche  Höhe  erreicht  und  Verschivärung  droht,  sollen  laue  aromatische 
Umschläge  angewandt  werden  (Graefe).  Die  Schlusserfolge  dieses  Ver- 
fahrens werden  von  mehreren  Seiten  sehr  gelobt  (Homer,  Carter,  Ed.  Meyer, 
Secondi),  indem  mit  der  Schrumpfung  der  Narbe  wirklich  eine  bessere 
und  mehr  gleichmässige  Krümmung  der  Cornea  erzielt  und  das  Sehver- 
mögen bedeutend  gehoben  worden  sein  soll.   Doch  hat  man  diesen  Gewinn 


Paracentesis  corneae;  Verlagerung  der  Pupille  139 

melirmals  durch  sehr  bedrohliche  P]ntzündun<j;en  der  lieferen  Binnenorg:ano, 
Iritis  mit  Hypopyiim,  Iridochorioiditis  u.  s.  w.  erkauft.  Das  Verfahren 
ist  also  kein  yefahrloses  und  überdies  auch  ein  schwer  durchführbares,  indem 
die  äusserste  Verdünnung  der  Keg-clspitze  Flächenschnitte  ohne  zu  per- 
foriren  nicht  leicht  zulässt.  Es  liegt  jedoch  auf  der  Hand,  dass  eine 
einfache  Ahschahunc)  des  Epithels  das  Gleiche  leisten  müsste. 

Andere  haben  das  gleiche  Ziel  durch  wiederholte  Paracentesen  der  Cornea 
(Wardrop),  dnrch  die  intraoculare  Myotomie  (Hancock,  Coursserant),  ja  selbst  durch 
die  so  gefährliche  Extraction  der  durch-ncldicjen  Linse  (Adams)  zu  erreichen  ge- 
strebt. Mehr  Beaclitung  verdient  jedenfalls  der  Vorschlag,  bei  hochgradig  ent- 
wickeltem Keratoconus  durch  Ausschneidung  eines  Stückes  aus  dem  Staphylomfiisse 
und  durch  nachträgliclie  Begünstigung  der  Ausbildung  einer  flachen  Narbe  der 
Cornea  ihre  normale  Krümmung  annähernd  wiederzugeben  (Pari).  Hat  man  doch 
ein  spontanes  Zurückgehen  des  Keratoconus  in  Folge  eines  perforirenden  und  mit 
Prolapsus  iridis  heilenden  umfangsreichen  peripheren  Hornhaut fjeschwüres  beobachtet 
(Heymann).  Besser  dürfte  es  jedoch  sein,  einen  lanzettUchen  Lappen  mit  meridional 
gestellter  Längsaxe  aus  der  verdünnten  Kegelspitze  auszuschneiden.  Diese  Wund- 
form bietet  einer  raschen  Vernarbung  die  günstigsten  Bedingungen,  indem  die 
Wuudränder  sich  sehr  leicht  einander  nähern  können ,  wenn  die  Cornea  coliabirt 
ist.  Einen  Vorfall  der  Iris  mit  bedeutender  Verziehung  oder  Verschliessung  der 
Pupille  wird  man  allerdings  kaum  verhindern  können.  Dieses  hat  indessen  nicht 
viel  auf  sich.  Eine  nachträgliche  Coremorphose  stellt  den  Weg  für  die  Licht- 
strahlen leicht  wieder  her.  Um  nach  erfolgter  Excision  die  Wiederausdehnung 
der  Narbe  zu  verhüten,  muss  bis  zur  erfolgten  Consolidation  des  neoplastischen 
Gewebes  ein  Druckvei-band  getragen  werden. 

3.  Die  dritte  Indication  bezieht  sich  auf  die  Herstellung  möglichst 
reiner  und  scharfer  lichtstarker  Netzhautbilder,  hauptsächlich  also  auf  die 
Neutralisation  des  optischen  Effectes  der  bestehenden  und  unheilbar  gewor- 
denen Verkrümmuns:  der  Hornhaut.  Am  vollständigsten  würde  diesen 
Anforderungen  durch  eine  Verlagerung  der  Pupille  in  der  Richtung  eines 
annähernd  normal  gekrümmten  Cornealmeridians  entsprochen.  In  der 
That  ist  dieses  Verfahren  bereits  wiederholt  mit  gutem  Erfolge  ausgeführt 
worden  (Benders ,  Tyrrel).  Einzelne  haben  sogar  eine  doppelseitige  Ver- 
lagerung der  Pupille  (Bowman),  d.  i.  die  Verzerrung  des  Sehloches  in 
eine  über  den  ganzen  Durchmesser  der  Cornea  reichende  stenopäische 
Spalte  empfohlen.  Doch  sind  derlei  Operationen  wegen  der  damit  ver- 
knüpften Zerrimg  und  Dehnung  der  Iris  nicht  ohne  Gefahr ;  daher  man 
sich  besser  mit  der  weniger  leistenden  Iridectomie  begnügt.  Die  dabei 
etwa  noch  fortbestehenden  Refractionsfehler  lassen  sich  durch  Cylindergläser 
oder  stenopäische  Blenden  bis  zu  einem  gewissen   Grade  abschwächen. 

Quellen.  M.  Jaeger,  Zeitschrift  f.  Ophth.  I.  S.  544.  —  Walker,  Principles  of 
ophth.  surgery.  London,  1834.  S.  80.  —  Middleviore,  Treatise  on  the  diseases  of 
tlie  hum.  eye.  London,  1835.  I.  S.  532,  nach  Mackenzie's  Traite.  II.  S.  233.  — 
Cappelletti,  Wiener  med.  Wochenschrift.  1842.  Nr.  14.  —  Stelhoag,  Ophth.  I. 
S.  260,  268  358,  Nota  253;  IL  S.  984.  —  Pickford,  Dublin  Journ.  1844.  Jan.  — 
C.  Himly,  Krankh.  und  Missbild.  d.  m.  Auges.  Berlin.  1843.  IL  S.  74  mid  S.  192. 
—  Jüngken,  nach  Himly  ibid.  u.  Lehrbuch.  S.  541.  —  Adams,  Journ.  of  science  and 
arts.  1817.  IL  S.  403  nach  Mackenzie's  Traite.  IL  S.  238.  —  Amman,  Zeitschrift 
f.  Ophth.  I.  S.  122  und  klinische  Darstelhuigen  etc.  I.  Taf.  3.  —  Mackenzie,  Ab- 
handlung über  die  Krankh.  des  Auges.  Weimar,  1832.  S.  511;  Traite  d.  mal.  des 
yeux.  Traduit  p.  Warlomont  et  Testelin.  Paris  1857.  IL  S.  235.  —  Wardro2}, 
Essays  on  the  morb.  anat,  etc.  London,  1819.  S.  131  u.  f.  —  Brewster  nach 
Wardrop  ibid.  S.  132.  —  Tyi-rell,  Pract.  works  on  the  diseases  of  the  eye.  London. 
1840.  I.  S.  277  nach  Mackenzie's  Traite.  11,  S.  239.  —  Pari  nach  C.  Ruete  Lehr- 
buch   IL    S.    270.     —    Chelius,    Handbuch    der    Augenheilkde.    Stuttgart,    1839.  II. 


140 


Narbiges  Hornhautstaphylom ;  Pathologie;  Krankheitsbild. 


S.  378.  —  Knapp,  klin.  Monatbl.  1864.  S.  313.  —  Bowman  ibid.  1863.  S.  85  5 
Ophth.  Hosp.  Rep.  1859.  IX.  S.  154.  —  Graefe.  A.  f.  O.  I.  1.  S.  297;  IV.  2, 
S.  271;  XII  2.  S.  215;  XV.  3.  S.  136;  Berliner  kliu.  Wochenschrift  1868.  Nr.  23, 
24.  —  Donders  A.  f.  O.  VII.  1.  S.  194.  —  Hasner,  kl.  Vorträge.  S.  135.  — 
Hancock,  Lancet.  1860.  —  Manthner,  Lehrb.  d.  Ophthscop.  S.  158.  —  Mtiralf, 
über  Hvdrophthalmus  congenitns.  Zürich,  1869.  S.  36 — 59.  —  Ruete,  Lehrbuch  II. 
S.  254.  —  Sichel,  Mackenzie's  Traite.  II  S.  237.  —  Homer,  kl.  Monatbl.  1869.  S.  139. 
—  Carter,  Lancet.  1869.  I.  S.  189.  —  Ed.  Meyer,  Virchow's  Jahresbericht.  1868. 
II.  S.  490.  —  Secondi,  Snlla  cnra  del  Cherarotocono.  Genova.  1869.  S.  20.  — 
Hancock,  Coursserant,  Annal.  d'ocul.  XLIV.  S.  243.  —  Heymann,  Ojjhthalmolo- 
gisches.  Leipzig.  1868.  S.  20.— 


b.    Das  narbige    Hornhautstaphylom. 


Fig.    14. 


Pathologie.  Man  kann  diese  Form  des  Staphyloms  als  die  Aus- 
dehnung eines  mit  Narhengefüge  überzogenen  Cornealtheiles  definii'en.  Sie  ist 
nämlich  nichts  anderes,  als  ein  übernarbter  ectatischer  Geschiuürsboden,  eine 
ständig  gewordene  ulcerafive  Keratectasie. 

Sie  setzt  ein  umfangreicheres  muldenförmiges  Geschwür  voraus,  dessen 
Boden  entweder  gleich  ursprünglich  oder  erst  im  Verlaufe  der  Narbenbildung 
ausgedehnt  worden  ist.  Der  dünnste  Theil  des  Geschwürsbodens  wird  am 
meisten  ausgedehnt  und  bildet  später  das  Zenith  des  Staphyloms  (Fig.  14). 
Derselbe  hat  oft  kaum  die  Dicke  eines 
Schreibpapieres.  Von  hier  aus  aber 
steigt  die  Dicke  der  Staphylomwand, 
um  am  Fusse  der  Blase  die  Norm  zu 
erreichen. 

Das  Zenith  wird  in  der  Regel  fast 
ausschliesslich  von  Narbensiihstanz  gebildet, 
wenigstens  ist  die  allenfällige  Unterlage 
von    eigentlicher  Cornealsubstanz    so  dünn, 

dass  sie  der  Beobachtung  entgeht.  An  den  Seitenwundunyen  des  Staphyloms  hin- 
gegen lässt  sich  in  der  Regel  noch  ein  mehr  weniger  dickes  Stratum  durchsich- 
tigen Hornhautgefüges  als  Unterlage  der  trüben  Narbe  deutlich  unterscheiden.  Die 
Hinterwand  des  nicht  ectatischen  Cornealtheiles  sowie  des  Staphj'loms  wird  von 
der  Wasserhaut  überzogen.  Gegen  das  Zenith  hin  pflegt  sich  diese  Membran  sehr 
zu  verdünnen.  Oft  scheint  sie  daselbst  sogar  völlig  zu  fehlen,  so  dass  der  dünne 
Narbentheil  biosliegt.  Es  mangelt  aber  unter  solchen  Umständen  der  Ueberzug 
von  atrophischem  Jrwgewebe  und  dadurch  unterscheidet  sich  diese  Staphylomart 
von  dem  eigentlichen  A^aröenstaphylome.  Es  kann  wohl  eine  vordere  Synechie  be- 
stehen, doch  bildet  der  angeheftete  Iristheil  nicht  die  Basis,  auf  welcher  das 
Narbengewebe  gleichsam  ruht.  Der  das  Staphylom  umgebende  nicht  ausgedehnte 
Cornealtheil  ist  häufig  in  sehr  auflalliger  Weise  nach  mannigfaltigen  Richtungen 
hin  verkrümmt,  nicht  selten  auch  mit  oberflächlichen  und  parenchymatösen  Trü- 
bungen behaftet. 

Krankh.eitsbild,  Die  Vorwölbung  des  narbigen  Cornealtheiles  ist  in 
der  Regel  sehr  stark  ausgeprägt.  Falls  die  Narbe  das  Centrum  der  Cornea 
einnimmt,  flacht  sich  deren  Wölbung  meistens  nach  allen  Seiten  hin  ziem- 
lich gleichförmig  steil  oder  sanft  ab,  um  mit  den  ausser  dem  Bereiche 
der  Narbe  gelegenen ,  getrübten  oder  pelluciden,  oft  ebenfalls  deutlich 
verkrümmten,  peripheren  Theilen  der  Hornhaut  zu  verschmelzen.  Bei 
mehr  peripherer  Lage  der  Narbe  aber  pflegt  die  dem  Scleralrande  zuge- 
kehrte Wandung  der  narbigen  Blase  steil  abzufallen,  während  die  übrigen 
Seiten    derselben    nur    eine    geringe  Abdachung  zeigen.     Ist    die  Iris  frei, 


Verlauf;  Ausgänge;  Behandlung.  141 

80  erscheint  die  Vorderkammer  der  Grösse  der  Pjctaaie  entsprechend  er- 
weitert. Bei  Gegebensein  einer  vorderen  Synechie  aber  findet  man  die 
Iris  gegen  die  Narbe  hin  gezogen,  der  Cornea  genähert.  Das  Sehvermögen 
ist  immer  sehr  beeinträchtiget,  selbst  dann,  wenn  die  Iris  frei  und  die 
Pupille  durchsichtigen  Cornealtheilen  gegenüber  gelagert  ist,  indem  diese 
in   der  Regel  stark  verkrümmt  sind. 

Verlauf  und  Ausgänge.  Die  Entwicke.hing  ist  bald  eine  rasche  und 
erfolgt  noch  während  dem  Verlaufe  des  Entzündungsprocesses ;  bald  ist 
sie  eine  langsame,  beginnt  erst  nach  Ablauf  des  letzteren  und  schreitet  mit 
Unterbrechungen  vorwärts. 

Eine  spontane  Heilung  ist  nicht  zu  erwarten.  Berstungen  hingegen 
kommen  bei  geringer  Dicke  des  Staphylomzenithes  nicht  selten  vor.  Von 
grosser  praktischer  Wichtigkeit  sind  die  im  Verlaufe  des  narbigen  Corneal- 
staphyloms  nicht  seltenen  und  in  längereu  oder  kürzeren  Intervallen  sich 
wiederholenden  Anfälle  von  Entzündung  und  Ciliarneurose.  Sie  werden  am 
öftesten  beobachtet,  wenn  die  Ectasie  mit  vorderer  Synechie  gepaart  ist 
und  es  spielt  dann  die  Zerrung  der  Regenbogenhaut  dabei  wahrscheinlich 
eine  wichtige  Rolle.  Diese  Entzündungen,  welche  sich  bald  als  Keratitis, 
bald  als  Keratoiritis  oder  Tridokyklitis  beurkunden,  bedingen  oft  ein  Fort- 
schreiten der  Ectasie,  bisweilen  weitere  Verschwärungen  der  Hornhaut  oder 
der  Narbe,  Verwachsungen  der  Pupille  etc.  und  gehen  am  Ende  wohl  gar 
auf  die  tieferen  Binnenorgane  des  Bulbus,  ja  mitunter  auf  den  zweiten  Aug- 
apfel über,   daselbst  eine  sympathische  Ophthalmie  begründend. 

Behandlung.  Bei  kleinen  umschriebenen  Ectasien  genügt,  wenn  der 
Rest  der  Hornhaut  nicht  gar  zu  sehr  verkrümmt  ist,  öfters  die  Verlagerung 
der  Pupille  oder  die  Iridectomie,  um  einen  befriedigenden  Grad  von  Seh- 
vermögen herzustellen. 

In  manchen  Fällen  wird  durch  die  Iridectomie  in  Verbindung  mit  dem 
methodischen  Tragen  des  Druckverbandes  das  partielle  Staphylom  und  die  Ver- 
krümmung der  umgebenden  Hornhauttheile  auch  wesentlich  gemindert. 

Bei  stärker  vorspringenden  oder  umfangreicheren  Staphj^lomen  dieser 
Art  muss  die  Ii'idectomie  stets  mit  der  Spaltung  oder  Abtragung  der  ecta- 
tisehen  Partie  verbunden  werden.   (Siehe  Therapie  des    Narbenstaphyloms). 

Oeftere  Anfälle  von  Entzündung  und  Ciliarneurose  machen  die  unge- 
säumte Durchführung  der  Operation  dringend  nothwendig,  damit  die  Horn- 
haut nicht  in  immer  grösserem  Umfange  getrübt  und  für  eine  künstliche 
Pupille  unbrauchbar  werde,  damit  die  Iris  nicht  leide  u.  s.  w.  Wieder- 
holen sich  trotz  der  Operation  die  Anfälle  und  sind  die  Binnenorgane  des 
Auges  schon  stark  mitgenommen,  droht  vielleicht  gar  schon  dem  zweiten 
Bulbus  Gefahr,  so  ist  bisweilen  die  Enucleation  des  Augapfels  gerecht- 
fertigt. Steht  aber  unter  solchen  Umständen  die  sympathische  Erkrankung 
des  zweiten  Auges  nicht  zu  fürchten  und  ist  die  Einlegung  eines  künst- 
lichen Auges  mit  täuschendem  Erfolge  sehr  wünschenswerth,  so  kann  man 
statt  der  Enucleation  die  Vereiterung  des  Bulbus  einleiten.  (Siehe  Sclero- 
chorioidalstaphylom) . 


142 


Narbenstaphylom ;  Pathologie. 


Fig.    1,5. 


c.  Das    Narbenstaphylom. 

Pathologie.  Das  Narbenstaphylom  oder  die  ISTarbenectasie  ist  eine 
blasenförmig  über  das  Niveau  der  normalen  Hornhautwölbung  hervorge- 
triebene  durchgreifende  Narbe,  mit  anderen  Worten  ein  Staphylom,  dessen 
"Wandung  zum  grössten  Theile  und  der  ganzen  Dicke  nach  von  Karbensub- 
stanz gebildet  wird.  Vom  genetischen  Standpunkte  aus  lässt  sieh  dasselbe 
als  ein  durch  Uehernarhung  ständig  gewordener  blasig  ausgedehnter  Prolapsus 
iridis,   oder  als  ein  übernarbtes  Regenbogenhautstaphylom  betrachten. 

Es  setzt  unter  allen  Terhältnissen  eine  im  grösseren  Umfange  pene- 
trirende  Substanzlücke  der  Cornea  und  deren  Schliessung  durch  vorgefallene 
Iris  und  neoplastisches  Gefüge  voraus.  Je  nachdem  nun  diese  Nai'be  blos 
einen  in  Verlust  gerathenen  Theil  der  Cornea  oder  die  Hornhaut  als  Ganzes 
ersetzt,   führt  der  Zustand   den  Namen  partielles  oder  totales  Narbenstaphylom. 

Die  Ectasie  geht  so  wie  allerwärts  auch  bei  dem  Narbengefüge 
auf  Kosten  der  Dicke.  Darum  erscheint  auch  die  Wandung  des  Staphyloms 
häufig  sehr  dünn  (Fig.  15),  besonders  am  Scheitel,  welcher  nicht  selten 
kaum  die  Dicke  eines  gewölmlichen  Schreibpapieres  erreicht. 

Die  Ausdehnung  schlies.ü  indessen 
die  forlgesetzte  Gewebswucherung  nicht 
aus,  und  darum  kommen  auch  nicht 
selten  Fälle  vor,  in  welchen  die  sehnige 
Wandung  des  Staphyloms  der  normalen 
Cornea  an  Dicke  nicht  nur  nicht  nach- 
steht, sondern  dieselbe  vielmehr  bedeu- 
tend, um  das  Doppelte  und  selbst  Mehr- 
fache, übertrifft  (Fig.  16).  Namentlich 
bei     sehr     grossen     Narbenstaphylomen, 

welche  nur  schwer  oder  gar  nicht  von  den  Lidern  gedeckt  werden  können, 
ist  ein  solcher  Befund  nichts  ganz  Ungewöhnliches.  Einzelne  Theile  der 
Wandung,  am  öftesten  der  Scheitel,  erreichen  dann  bisweilen  eine  ganz 
erstaunliche  Mächtigkeit,  so  dass  sie  die  Operation  wesentlich  erschweren. 
Ohne  Zweifel  ist  die  stete  Einwirkung  äusserer  Schädlichkeiten  und  der 
dadurch  unterhaltene  Reizzustand  ein  wesentliches  ätiologisches  Moment 
dieser  Substauzzunahme. 

Die  Oberfläche  des  Narbenstaphyloins  wird  von  trüben  Epithelzellen  gedeckt. 
Es  liäixfen  sich  dieselben  bisweilen  zu  einem  Stratum  von  ansehnlicher  Dicke 
^Fig.  16  a)  und  pflegen  dann  in  den 
oberflächlichsten  Schichten  den  Charakter 
der  Stachel-  oder  Rißzellen  zu  tragen 
(Czerny,  Schiess-Oemusens).  Nicht  selten 
finden  sich  in  solchen  mächtigen  Epider- 
mislagern  Kalkkörner  eingestreut.  Ge- 
wöhnlich aber  sind  die  oberflächlichen 
Schichten  mit  einer  grossen  Menge  von 
körnigem,  aus  den  Meibomischen  Drüsen 
stammenden  Fette  gemischt. 

Unter  der  Epithelschichte  findet 
sich  ausnahmsweise  ein  dünnes  Stratum 
lockeren  gefässreichen  Bindegewebes  b, 
welches  eine  Fortsetzung  der  Conjunctiva 
darzustellen  scheint.  In  der  Regel  jedoch 
lagert  das  Epithel  immittelbar  auf  dem  dichten  Narbenkörper.  Dessen  Gefüge  ent- 
hält   oft  zahlreiche     Gefüsse,    welche    Netze  bilden    und  im  Falle  einer  Verletzung 


Pathologische  Anatomie.  143 

ziemlich  reichliche  parenchymatöse  BUitunp;en  veranlassen  können.  In  den  hinteren 
Schichten  pflegt  es  tlieils  freies,  theils  in  sternförmigen  Zellen  eingeschlossenes 
Pigment  in  wechselnden  Mengen  zu  führen,  Mitnntcu-  linden  sich  osteoide  Schuppen 
eingelagert. 

Am  Fusse  des  Staphyloms  steht  die  octatischc  Neoplasie  fast  immer  mit 
nicht  verschwärten  Rosten  der  Cornea  c  in  Verl)indnng,  höclist  selten  mit  dem 
Rande  der  Sclera  seihst.  Die  Art  der  Verhindimi]  zwischen  dem  Narbonkörper  und 
dem  Hornhantreste  ist  nun  gleichwie  bei  einfachen  durchgreifenden  Cornealnarben 
eine  verschiedene,  je  nachdem  das  Geschwür  mit  steil  abfallenden  oder  mit  all- 
mälig  zugeschärften  Rändern  ausgestattet  war.  Im  ersten  Falle  nämlicli  ist  der 
Uebergang  der  neoplastischen  Masse  in  die  getrübte  Cornealsubstanz  e,i\\  plötzlicher, 
im  letzteren  Falle  aber  schiebt  sich  das  Narbengefüge  unter  zunehmender  Ver- 
dünnung über  den  zugeschärften  ehemaligen  Geschwürsrand  hinül)er,  der  Fuss  des 
Staphyloms  zeigt  nach  vorne  ein  narbiges,  nach  hinten  ein  von  ursprünglicher 
Cornealsubstanz  gebildetes  Stratum  und  verliei't  sich  auf  diesem  allmälig  in  einen 
Sehnenfleck,  welcher  seinerseits  wieder  in  einen  Epithelialfleck  auslaufen  kann, 
wenn  ein  genügend  grosser  Theil  der  Cornea  erhalten  blieb. 

Die  hintere  Oberfläche  der  Staphylomwand  ist  bald  glatt,  bald  grubig  buchtig. 
Fast  constant  scheint  sie  überzogen  von  einem  zarten,  leicht  zerreisslichen,  struc- 
turlosen,  von  eingelagerten  Pigmentkörnern  braun  gefleckten  und  gestreiften  Häut- 
chen d,  welches  mit  der  Narbenmasse  so  innig  zusammenhängt,  dass  es  nur 
flockenweise  losgetrennt  werden  kann.  Es  ist  dieses  ein  Ueberbleibsel  jenes  Iris- 
theiles,  welcher  durch  den  Substanzverlust  der  Cornea  blosgelegt  worden  ist,  und 
auf  welchem  sich  die  nunmehr  ectatische  Narbe  entwickelt  hat.  Bei  totalen  und 
bei  partiellen  centralen  Narbenstaphylomen  ist  an  diesem  Häutchen  noch  bisweilen 
die  Pupille  durch  eine  grössere  Pigmentanhäufung  angedeutet. 

An  der  hinteren  Oberfläche  des  Staphylom/?iÄ«es  finden  sich  immer  Beste  der 
Descemeti.  Dieselben  sind  bisweilen  knäuelförmig  zusammengefaltet  und  hängen 
einfach  der  Narbe  an  oder  sind  in  dieselbe  eingelöthet.  Gewöhnlich  aber  wird 
der  Staphylomfuss  von  jener  Glashaut  förmlich  überkleidet,  indem  dieselbe  sich 
von  der  Hinterfläche  der  die  ectatische  Narbe  umgebenden  Cornealportionen  nach 
vorne  umschlägt  und  so  an  die  Seitenwandung  des  Staphyloms  gelangt,  wo  ihre 
fetzigen  Durchbriichsränder  sich  alsbald  in  das  Narbengefüge  einsenken.  Nur  bei 
Narbenstaphylomen,  welche  auf  midden förmigen  perforirenden  Geschwüren  zur  Ent- 
wickelung  gekommen  sind,  geht  dieser  glashäutige  Ueberzug  an  der  hinteren 
Staphylomwand  weiter  hinauf,  so  loeit  nämlich,  als  sich  noch  die  hinteren  Schichten 
der  Hornhaut  erhalten  haben. 

So  weit  die  Descemeti  reicht,  liegt  die  Iris  der  Staphylomwand  nur  an ,  ohne 
mit  ihr  verwachsen  zu  sein;  die  Verirachsung  beginnt  erst  dort,  wo  die  Descemeti 
aufhört,  oder  in  der  Narbe  verschwindet.  Oft  erscheinen  die  freien  Regenbogen- 
hautportionen durch  vorausgegangene  Entzündungen  in  ihrem  Gefüge  verändert, 
von  sehnigen  Fortsätzen  der  Narbe  überkleidet,  von  einem  sehnigen  Balkenwerke 
durchsetzt  und  atrophirt.  Eben  so  oft,  wenn  nicht  öfter,  bewahren  aber  diese 
Regenbogenhautreste  ihre  volle  Integrität. 

Die  Höhlung  des  Nai-benstajjhyloms  ist  in  der  Regel  mit  Kammerwasser  gefüllt 
und  präsentirt  eigentlich  eine  enorm  erweiterte  hintere  Kammer.  In  sehr  seltenen 
Fällen  jedoch  findet  man  auch  totale  Narbenstaphylome,  die  ein  mehr  weniger 
dichtes  sehniges  Balkenrcerk  umschliessen,  welches  allenthalben  mit  der  Narbenwand 
in  Verbindung  steht  und  dessen  Maschenräume  mit  einer  krümlichen  käsigen,  gelb- 
lichen bis  rostfarbenen,  blutroth  oder  braun  gestriemten  Masse  angefüllt  erscheinen. 
Genauere  Untersuchungen  haben  in  dieser  Masse  eine  formlose  organische  mole- 
kulirte  Grundlage,  Kerne  und  Zellen  in  verschiedenen  Entwicklungsstadien,  frische 
und  in  Zerfall  begriff'ene  Blutkörperchen,  Fettkugeln,  Cholestearinkrystalle  und 
Kalkdrusen  nachgewiesen.  Diese  Masse  scheint  diirch  die  peripheren  Theile  der 
Cornea  durch  und  gibt  denselben  von  aussen  ein  eigenthümliches,  gelb,  roth  und 
braun  geflecktes  Ansehen. 

Der  Krystallkörper  besteht  öfters,  namentlich  bei  partiellen  Narbenstaphy- 
lomen, im  Zustande  völliger  Integrität.  Oft  jedoch  ist  er  bereits  cataractös  oder 
gar  schon  siliquirt  und  wird  dann  bei  Forttiestand  der  Zonnla  bisweilen  durch  das 
Corpus  vitreum   blasig  nach   vorne    gebaucht   (Fig.  17  und  18).     Die  Schrumpfung 


144 


Narlenstaphylom;   Krankheitsbild. 


des  Kiystallkörpers  ist  bald  die  Folge  staariger  Metamorphosen  der  Linsensubstanz, 
bald  aber  rührt  sie  zum  Theile  daher,  dass  bei  dem  Durchbruche  des  Corneal- 
geschwüres  der  Linsenkern  entleert  wurde,  während  die  geborstene  Kapsel  in  ihrer 
Verbindung  blieb  und  ihre  Risswunde  später  durch  Exsudate  oder  verkalkendes 
Staarmagma  zur  Schliessung  gelangte.  Doch  fehlt  auch  bisweilen  die  Linse,  da  sie 
bei  umfangreichen  Cornealdurchbrüchen  sich  gerne  sammt  einem  Theile  des  Glas- 
körpers entleert.  Auch  kommen  Fälle  vor,  in  welchen  die  meistens  cataractöse  und 
häufig  aiif  ein  kleines  Kliimpchen  geschrumpfte  Linse  in  der  Concavität  des  Staphy- 
lovischeitels  haftend  gefunden  wird.  Der  Krystallkörper  tritt  nämlich  öfters  in  orga- 
nische Verbindung  mit  dem  die  Pupille  schliessenden  Pfropf;  wenn  sich  die  Narbe 
später  ausdehnt,  sprengt  sie  die  Zonula  und  reisst  die  Linse  mit  sich  nach  vorne. 
In  beiden  letzteren  Fällen  bildet  die  Höhle  des  Slaphyloins  imd  der  hintere  Augen- 
raum eine  einzige  zusammenhängende  Cavität,  welche  von  einem  dem  Humor  aqueus 
ähnlichen  Fluidum  gefüllt  wird.  Verletzungen  der  Bulbuskapsel  machen  dieses 
Fluidum  vollständig  abfliessen  und  den  Bulbus  zusammensinken. 

Krankheitsbild.  1 .  Was  zuerst  das  partielle  Narbenstaphylom  anbe- 
langt, so  ist  dasselbe  in  seiner  äusseren  Gestalt  ein  wesentlich  yerschiedenes, 
je  nachdem  es  sich  awi  rundlichen  lochartigen  steilrandigen  Cornealdurch- 
brüchen, oder  auf  perforirenden  muldenförmigen  Geschwüren  entwickelt,  hat. 
Im  ersteren  Falle    präsentirt  es  sich  gewöhnlich  als   eine  rundliche,   erbsen- 


Fig.  17. 


bis  bohnengrosse ,  trübwandige  Blase, 
welche  sich  steil  über  die  umgebenden, 
mehr  weniger  Ycrkrümmten  Partien 
der  Cornea  erhebt  und  an  ihrem  Fusse 
gar  nicht  selten  halsartig  eingeschnürt 
ist  (Fig.  17).  Im  zweiten  Falle  fehlt 
diese  halsartige  Einschnürung  des  Sta- 
phylomfusses,  die  ectatisehe  ISTarbe  dacht 
sich  ganz  allmälig  in  die  umgebenden 
gleichfalls  verkrümmten  Hornhauttheile  ab.  Je  nach  der  centralen  oder 
peripheren  Lagerung  des  Staphyloms  ist  die  Verkrümmung  der  seinen 
Fuss  umgebenden  Cornealportionen  ringsum  eine  mehr  gleichmässige  (Fig.  18) 
oder  ungleichmässige   (Fig.    19). 


Fig.  18. 


Fig.  19. 


Kleinere  Staphylome  dieser  Art  werden  gewöhnlich  von  den  Lidern 
leicht  bedeckt  und  daher  bei  jedem  Lidschlage  hinlänglich  befeuchtet.  Hire 
Oberfläche  erscheint  deswegen  glatt  und  spiegelnd;  die  Wandung  selbst  ist 
sehnigweiss  und  trüb ,  bei  grösserer  Dünnlieit  aber  auch  wohl  diaphan. 
Staphylome  von  grösserem  Umfange,  welche  weit  aus  der  Lidspalte  heiwor- 
ragen,  deren  Schliessung  hindern  und  sohin  auch  nicht  gehörig  befeuchtet 
werden  können,  haben  immer  eine  matte,  oft  schilferige  und  überdies  von 
gelblichen  oder  bräunlichen  Krusten  vertrockneter  Bindehautsecrete  bedeckte 
OberÜäche.     Die  das  Staphylom  umgebenden  Cornealtheile  sind    in  grösserer 


Gratliförmiges  und  totales  Nartenstaphylom ;  Ursaclion.  145 

oder  geringerer  Ausdehnung  parenchymatös  getrübt.  Sehr  oft  setzt  sich 
die  Narbe  auf  denselben  unter  der  GcstaU>  eines  Rehncnileckcs  eine 
Strecke  weit  fort  und  verläuft  endlich  in  einen  wolkigen  epithelialen 
Saani.  Immer  liegt  die  Iris  rings  um  den  Fuss  des  Staphyloms  hart 
an  der  hinteren  Cornealfläche  an.  Bei  peripheren  Narbenstaphylomen, 
welche  sich  auf  blosgelegten  Theilen  aus  der  Breite  der  Iris  entwickelt 
haben,  kann  die  Pupille  völlig  frei  sein,  so  dass  nur  die  Verkrümmung 
der  vorliegenden  Cornealportionen  eine  Sehstöruug  bedingt.  Bei  centralen 
derartigen  Staphylomen  und  überhaupt,  wo  ein  Theil  des  Pupillari'andes 
mit  der  Narbe  in  Verwachsung  getreten  ist,  erscheint  das  Sehloch  in  der 
Regel  völlig  geschlossen,  die  Pupille  fehlt  und  das  Auge  unterscheidet  blos 
Licht  und  Finsterniss. 

Eine  eigenthümliche  Form  von  partiellen  Narbenstaphylomen  resultirt  bisweilen 
aas  durchgreifenden  mondsichelföjvnigen  Geschwüren  oder  Lappenwunden^  wie  letztere 
behufs  der  Staarextraction  gebildet  werden. 

Es    entwickelt    sich   ein   wulstförmiger   Pro-  '^" 

lapsns  iridis,  welcher  allmälig  übernarbt, 
dabei  seine  Convexität  verliert  und  sich  in 
eine  ebene,  senkrecht  aus  dem  Scleralrande 
emporsteigende  Wand  (Fig.  20  a)  umwandelt, 
die  sich  vinter  einem  scharfen  Winkel  mit 
dem  von  der  Wunde  umschriebenen ,  klap- 
penförmig  nach  vorne  getriebenen  und  ab- 
geflachten Lappen  verbindet.  Ein  solches 
Staphylom  besitzt  keine  Spitze,  sondern 
einen  bogenförmigen   Grath. 

2.  Das  totale  Narbenstaphylom  erreicht  oft  enorme  Grössen ,  bis  zum 
Umfang  einer  türkischen  Haselnuss  und  selbst  einer  Kastanie.  Seiner  Ge- 
stalt nach  gleicht  es  bald  einem  Kegel,  bald  einem  halben  Ei;  bald  ist  es 
ganz  unregelmässig  geformt,  indem  einzelne  Theile  der  sehnenähnlichen 
und  opaken  Wandung  mehr  ausgedehnt  wurden,  als  die  anderen  und  nun 
über  diese  hügel-  oder  wulstähnlich  hervortreten.  Sehr  gewöhnlich  er- 
scheint der  Fuss  des  Staphyloms  halsartig  eingeschnürt,  indem  die  vordere 
Scleralöffnung  meistens  an  der  Ectasie  keinen  Antheil  nimmt. 

Derselbe  erhebt  sich  übrigens  nicht  immer  in  seinem  ganzen  Umfange  direct 
aus  dem  Rande  der  vorderen  Scleralöffnung,  sondern  nur  an  einem  kleinen  Theile 
seiner  Peripherie;  der  Rest  der  letzteren  wird  von  einem  mehr  weniger  breiten 
mondsichelförmigen  Narbenstreifen  umsäumt,  welcher  in  der  Ebene  der  vorderen 
Scleralöffnung  liegt.  Da  die  Spitze  des  Staphyloms  sich  immer  in  die  Lidspalte 
stellt,  so  ist  es  klar,  dass  der  Bulbus  innerhalb  der  Orbita  eine  Drehung  erleiden, 
dass  die  optische  Axe ,  welche  mit  der  Staphylomaxe  nicht  zusammenfällt,  nach 
aussen  verlängert,  ein  oder  das  andere  Lid  schneiden  muss. 

Ursachen.  Die  Entwicklung  eines  Narbenstaphyloms  setzt  einen 
durchgreifenden  Substanzverlust  der  Cornea  von  einiger  Flächenausdehnung 
voraus.  In  der  Regel  sind  es  Verschw'drungsprocesse,  welche  Narbenstaphy- 
lome  im  Gefolge  haben ;  selten  bildet  eine  brandige  Absterbung  der  Horn- 
haut den  Ausgangspunkt  des  fraglichen  Zustandes.  Oefters  entwickelt  sich 
das  Narbenstaphylom  im  Bereiche  einer  Lochwunde,  wie  sie  durch  Ab- 
tragung einer  gleichen  oder  anderen  Form  des  Staphyloms  gesetzt  wird 
und  repräsentirt  dann  gleichsam  eine  Recidive.  Auch  Lappenwunden ,  wie 
sie  zum  Behufe  der  Staarextraction  angelegt  werden,  führen  bisweilen  zur 
Staphylombildung. 

stellwag,  Augenheilkunde.  10 


14b  Narbenstaphylom ;  Yerlauf:  Ausgänge. 

Verlaxif  und  Ausgänge.  Das  Xarbenstaphylom  ist  fast  constant  nur 
ein  "weiterer  Ent-R^cklungsgrad  des  sogenannten  Irissfaphyloms.  Die  Um- 
wandlung des  letzteren  in  ein  Xarbenstaphrlom  geht  oft  rasch,  innerhalb 
■weniger  Wochen,  ebenso  oft  aber  auch  überans  langsam  von  Statten.  Es 
ist  nämlich  die  Gewebswucherung  in  dem  biosgelegten  Iristheile  bald  eine 
überaus  üppige,  so  dass  dieser  schon  nach  wenigen  Tagen  in  ein  schwam- 
miges fleischwärzchenähnliehes  Gebilde  von  beträchtlicher  Dicke  metamor- 
phosirt  erseheint ;  bald  aber  ist  sie  eine  ausnehmend  säumige,  in  der  Art, 
dass  nach  Wochen  und  Monate  langem  Bestände  die  Wandungen  des  Iris- 
staphyloms  fast  ihre  frühere  Zartheit  und  Transparenz  erhalten  haben  und 
nur  hier  und  da  einzelne  Flecke  oder  netzartig  verzweigte  Streifen  von 
sehnigem  Gefiige  erkennen  lassen. 

Es  kommen  indessen  auch  Fälle  vor ,  in  welchen  der  vorgefallene 
Iristheil  vorerst  eine  Zeitlang  reichlich  producirt,  bisweilen  sogar  aufiallig 
granulirt  und  stellenweise  den  Charakter  des  Sehnengewebes  annimmt,  ehe 
er  sich  nach  aussen  baucht ,  ectatisch  wird ,  sei  es ,  weil  bis  dahin  eine 
feine  Oefinung  in  der  Bulbuswand  dem  Kammerwasser  den  Ahfluss  ge- 
stattete, oder  weil  dieses  in  geringerer  Menge  abgesondert  und  in  ent- 
sprechender Quantität  durch  den  Prolapsus  transfundirt  worden   ist. 

Einmal  als  wahres  Xarbenstaphylom  entwickelt ,  wächst  die  Ectasie 
meistens  nur  sehr  langsam  und  mit  vielen  Fnt erbrechungen.  Dafür  aber 
pflegen  die  Wandungen  allmälig  an  Dicke  zuzunehmen ,  namentlich  wenn 
das  Staphylom  bereits  zur  Lidspalte  herausragt ,  wo  in  Folge  der  fort- 
während einwirkenden  reizenden  Schädlichkeiten  sehr  häufig  Eeizzustände 
im  Bulbus  veranlasst  und  unterhalten  werden.  Hat  die  Staphylomwand 
solchermassen  eine  gewisse  Dicke  erreicht,  so  ist  eine  weitere  Ausdehnung 
wohl  kaum  mehr  wahrscheinlich  ;  immerhin  aber  lässt  sich  eine  beträcht- 
liche Zunahme  des  äusseren  ümfanges  durch  Massenvermehrung  des  Js^arben- 
gefüges,  insbesondere  aber  durch  Anhäufung  von  Epithelschichten  denken. 
Abgesehen  hievon  sind  derlei  dickwandige  Staphylome  im  eigentlichsten 
Wortsinue  ständig,  sie  bestehen  zeitlebens ,  indem  sie  weder  einer  spon- 
tanen Heilung  fähig  sind ,  noch  eine  Berstung  ermöglichen.  Doch  kömmt 
es  manchmal  vor,  dass  die  Wandung  theüweise  verschwürt,  nach  partieller 
oder  totaler  Entleerung  der  Bulbuscontenta  zusammensinkt  und  sich  in  eine 
flache  Xarbe  verwandelt,   oder  dass  der  Bulbus  durch  Eiterung  zerstört  wird. 

Dünnicandige  und  besonders  junge  Staphvlome  hingegen  bersten  häufig. 
Eine  von  aussen  her  einwirkende  mechanische  Schädlichkeit,  eine  kräftige 
Zusammenziehung  der  geraden  Augenmuskeln  reicht  oft  hin ,  um  dieses 
Ereigniss  zu  veranlassen.  Nach  erfolgter  Berstung  entleert  sich  entweder 
nur  der  Humor  aqueus ,  oder  aber  ein  grosser  Theil  der  Bulbuscontenta. 
Im  ersten  Falle  sinkt  blos  das  Staphylom ,  im  zweiten  der  ganze  Bulbus 
zusammen.  Es  können  die  Eissränder  sich  dann  wieder  vereinigen  und 
der  frühere  Zustand  hergestellt  werden.  Bisweilen,  namentlich  wenn  nach 
erfolgter  Berstung  ein  Compressiwerband  angelegt  wird,  geschieht  es  in- 
dessen auch,  dass  die  zusammengefalteten  Wände  des  Staphyloms  durch 
entzündliche  Producta  unter  einander  verkleben  und .  in  einen  dicken 
Knäuel  vereinigt ,  zu  einer  flachen  resistenten  Narbe  verwachsen.  Es  ist 
dieses  der  einzige  mögliche  Weg  zu  einer  relativen  spontanen  Heilung. 
Xicht   selt«n    indessen   treten    nach    grossentheils    erfolgter  Entleerung    der 


Behandlung;  Operationen.  147 

Bulbusliöhle  massenhafte  Blutergüsse  ein,  oder  es  entwickeln  sich  auch 
ohnedem  heftige  Eutzüiulungen ,  welche  den  Bulbus  der  Atrophie  oder 
Phthise  zuführen. 

Es  darf  übrigens  nicht  übergangen  werden,  dass  auch  bei  Narben- 
staphj'lomen  die  inneren  Bulbusorgane  entweder  gleich  ursprünglich  oder 
im  späteren  Verlaufe  und  während  des  alhnäligen  Wachsthumes  gerne  in 
entzündliche  Mitleidenschaft  gezogen  werden.  Die  längere,  durch  den  Ver- 
schwärungsprocess  der  Hornhaut  bedingte  Aufhebung  des  intraoculai'en 
Druckes,  Zerrungen  der  theilweise  mit  der  Narbe  verbundenen  Iris,  die 
Aufblähung  einer  etwa  cataractös  zerfallenden  Linse ,  äussere  Schädlich- 
keiten ,  welche  den  von  den  Lidern  nicht  ganz  gedeckten  Bulbus  treffen 
u.  s.  w.,  sind  ergiebige  Quellen  für  dei'lei  AflPectionen.  Diese  werden  dann 
sehr  oft  die  Ursache  sich  öfters  wiederholender  Reizzustände,  unerträglicher 
Ciliarneurosen  und  führen  unter  grosser  Empfindlichkeit  der  Ciliargegend 
und  namhafter  Steigerung  des  intraocularen  Druckes  nicht  selten  zu 
glaucomähnlichen  Zuständen  oder  zu  staphylomatösen  Ausdehnungen  der  Sclera 
und  Chorioidea,  können  bei  vorhandener  Disposition  den  Process  auf  sym- 
pathischem Wege  wohl  auch  auf  das  andere  Auge  hinüberspielen  und  dieses 
gefährden. 

Die  Behandlung  hat  in  erster  Linie  die  Umwandlung  der  ectatischen 
Narbe  in  eine  flache  und  wo  möglich  die  Herstellung  eines  gewissen  Grades 
von  Sehvermögen  anzustreben.  In  zweiter  Linie  bezweckt  sie,  Anfällen  von 
Entzündung  und  Ciliarneurose  entgegen  zu  treten  und  die  damit  verknüpften 
Gefahren  zu  bannen. 

Die  Verflachung  des  Staphyloms  wird  je  nach  den  gegebenen  Verhält- 
nissen bald  durch  Spaltung,  bald  durch  Abtragung  des  ectatischen  Narben- 
theiles ,  bald  endlich  durch  Ausschneidung  eines  elliptischen  Narbenstückes 
und  durch  Vereinigung  der  Wundränder  mittelst  einer  Knopfnaht  zu 
bewerkstelligen  sein. 

Die  erstgenannten  beiden  Operationsmethoden  sind  bei  einigermassen 
umfangreichen  Narbenstaphylomen  stets  mit  der  Entleerung  der  Linse  zu  ver- 
knüpfen, in  der  Weise,  dass  unmittelbar  nach  der  Spaltung  oder  Abtragung 
der  ectatischen  Wandting  die  Kapsel  nach  verschiedenen  Richtungen  ein- 
geschnitten und,  was  sich  dann  von  der  Linse  nicht  spontan  entleert,  durch 
den  Daviel'schen  Löffel  hervorgeholt  wird.  Es  ist  dieses  nothwendig,  weil 
bei  grösseren  Narbenstaphylomen  die  Spaltung  und  Abtragung  kaum  durch- 
geführt werden  kann ,  ohne  dass  der  Krystallkörper  verletzt  würde  oder 
aber  die  ohnehin  meistens  gedehnte  Zonula  unter  dem  Drucke  der  Augen- 
muskeln risse ;  weil  die  Operation  also  fast  immer  zur  Cataractbildung  führt 
und  die  Aufblähung  einer  staarig  zerfallenden  Linse,  besonders  nach  Ver- 
letzung der  Kapsel,  eine  sehr  ergiebige  Quelle  von  heftigen  Eeizzuständen 
und  Entzündungen  ist,  welche  sehr  oft  den  Bulbus  zur  Vereiterung  bringen, 
den  Zweck  der  Operation  also  vereiteln  oder  doch  gefährden.  Zudem  ist 
in  Fällen  der  fraglichen  Art  die  Herstellung  eines  nur  einigermassen  be- 
friedigenden Sehvermögens  ohnehin  kaum  anzuhoffen  oder  ganz  unmöglich, 
die  Beseitigung  der  Linse  also   ohne  irgend  welchem  Schaden. 

Bei  kleinen  umschriebenen  Narbenstaphylomen,  bei  welchen  die  Integrität 
eines  grösseren  Hornhauttheiles  die  Wiederherstellung  eines  gewissen  Grades 
von  Functionstüchtigkeit    des  Auges  gestattet,    ist  die  Linse  wo  möglieh  zu 

10* 


148 


Narbenstaphylom ;  Behandlung;  Spaltung. 


Fig.  21. 


schonen,  dafür  aber  eine  ausgiebige  Irideetomie  Yorzmiehmen.    Dieselbe  wird 

am    besten    unmittelbar    vor  der    Spaltung    oder  Abtragung    der    ectatischen 

Narbe  ausgeführt    und    zwar    ist    selbstTerständKch  jene  Stelle    zu  wählen, 

welche    den    besten  optischen  Erfolg   verspricht  (S.   130).     Der  Zweck    der 

Irideetomie  liegt  jedoch  keineswegs  blos  darin,   einen  Durchgang  für  directes 

Licht    zu    schaffen,     sondern   auch    in    der    Beseitigung  jener    Reizquellen, 

welche  in  der  Zerrung  der  Iris  von  Seite  einer  ectatischen  oder  sich  wieder 

vorbauchenden,   bereits  operirten  Narbe  gelegen  sind. 

Sollte  bei  ii-gend  einem  Acte  der  Operation  die  Linse  verletzt,  oder  in  sfaa- 
ngem  Zustande  getroffen  werden,  so  ist  auch  hier  deren  Entleerung  geboten. 

Wo  sich  öfters  Anfälle  von  Entzündung  oder  Ciliameurose  geltend 
machen,  erscheint  die  Indication  zur  Operation  verschärft  und  unter  Um- 
ständen (S.  147)  sogar  auf  Vereiterung  oder   Enucleation  des  Bulbus  gerichtet. 

1 .  Die  Spaltung  des  Staphy- 
loms,  auch  Inscision  genannt,  ist 
eine  Halbirung  der  ectatischen 
Narbe  nach  der  Eichtung  des 
Meridians  (Küchler).  Dieselbe  be- 
zweckt zunächst  das  Staphylom 
durch  Entleerung  des  Kammer- 
wassers oder  eines  Theiles  der  ge- 
sammten  Bulbuscontenta  zusam- 
menfallen zu  machen  und  den 
beiden  Hälften  desselben,  indem 
sie  sich  falten  und  theilweise  über 
einander  legen ,  Gelegenheit  zu 
geben,  in  dieser  Lage  mit  ein- 
ander zu  verwachsen;  also  eine 
Grundlage  herzustellen,  auf  wel- 
cher unter  fortgesetzter  Gewebs- 
wucherung eine  resistente  flache 
Narbe  zu  Stande  kommen  kann. 

Die  Operation  wird  am  besten  bei  liegender  Stellung  des  Kranken 
ausgeführt ,  während  ein  xlssistent  den  Kopf  des  Kranken  und  die  Lider 
bei  möglichst  weiter  Oeffnung  ihrer  Spalte  fixirt.  Je  nach  dem  Umfange 
des  Staphyloms  wird  ein  Staarmesser  oder  Staphylommesser  benützt.  Das- 
selbe wird  (Fig.  21)  mit  nach  dem  Scheitel  des  Staphyloms  gerichteter 
Schneide  hart  an  der  Grenze  der  Ectasie  durch  den  Fuss  des  Staphyloms 
in  dessen  grösstem  Durchmesser  hindurchgestossen  und  in  einem  oder  zwei 
Zügen  durch  das  Zenith  des  Staphyloms  geführt ,  so  dass  dieses  seiner 
ganzen  Höhe  nach  in  zwei  nahezu  gleiche  Hälften  getrennt  wird.  Unmittel- 
bar nach  der  Operation  wird  die  Lidspalte  mittelst  zweier  Streifen  e)iglischen 
Pflasters  geschlossen ,  darüber  ein  Compressivverband  angelegt  und  dafür 
gesorgt,  dass  derselbe  sich  nicht  etwa  verrücke.  Der  Kranke  hat  hierauf 
2 — 3  Tage  bei  Rückenlage  und  antiphlogistischem  Regimen  im  Bette  zu 
verbleiben ,  während  welcher  Zeit  der  Verband  öfters  zu  erneuern  ist. 
Nach  Ablauf  dieses  Termins  kann  dem  Kranken  mehr  Freiheit  gewährt 
werden,  er  kann  sich  im  Zimmer  ergehen;  der  Verband  ist  aber  immer 
so  lange  zu  tragen,   bis  die  Narbe   die  gewünschte  Resistenz  erlangt  hat. 


Abtragung  dos  Staphyloms. 


149 


Der  Compressivverband  hat  ausser  der  Verhinderung  der  nachträglichen  Ent- 
leerung der  Bulbuscontenta  einen  doppelten  Zweck.  Erstens  vermindert  er  die 
Gefahren,  welche  die  völlige  Aufhebung  des  intraocxdaren  Druckes  begründet. 
Andererseits  erhält  er  die  zusammengefalteten  und  zum  Theile  über  einander  ge- 
lagerten beiden  Hälften  des  Staphyloms  in  dieser  ihrer  Stellung  und  begünstigt  so 
ihre  ungestörte  und  rasche  Vernarbung.  Der  gleichzeitige  Verschluss  der  Lidspalte 
durch  Streifen  englischen  Pflasters  ist  von  der  Klugheit  geboten,  besonders  bei  nicht 
ganz  verlässlichen  Kranken,  da  ein  monoctdarev  Druckverband  nicht  ganz  sicher 
haftet,  leicht  verschoben  und  unwirksam  wird ;  ein  hinocularer  Druckverband  aber 
dem  Patienten  auf  die  Dauer  unerträglich  würde. 

Die  Inscision  findet  ihre  Anzeige  nur  bei  dünnwandigen  NarbenstapJiglomen. 

Am  mcisteu    leistet    sie    bei  partiellen  derartigen  Ectasieu    und    namoutlich 

bei  Irisstaphylomen.    Hier  dürfte  sie  die  Exscision  au  Wirksamkeit  erreichen, 

wenn  nicht  übertreffen,   da  sie  nicht  eine  völlige  Neubildung  einer  genügend 

resistenten,   also   ansehnlich  dicken  Narbe  verlangt,   sondern  für  diese  eine 

ziemlich  massige  Grundlage   erhält,   so  dass  eine  blosse  Verklebung  der  über 

einander  gelagerten  Wandhälften  und  eine  relativ  geringfügige  Verstärkung 

derselben  durch  neoplastisches  Gefüge  genügt. 

Dickwandige  Staphylome  sinken  nach  ihrer  Halbirung  nicht  völlig  ein  und 
ilu-e  beiden  Hälften  lassen  sich  auch  durch  einen  Druckverband  nicht  leicht  nieder- 
halten. Die  Herstellung  einer  flachen  Narbe  unterliegt  dabei  also  einigen  Schwierig- 
keiten, um  so  mehr,  als  die  dicke  Epidermisschichte  dieser  Staphylome  der  Ver- 
wachsung der  beiden  Hälften  ungünstig  ist.  Die  Entleerung  der  Linse  und  des 
Glaskörpers  mit  so  begründetem  Collapsus  des  Bulbus,  im  Nothfalle  auch  das 
Offenhalten  der  Wunde  durch  wiederholte  Trennung  der  schon  zu  Stande  gekom- 
menen Verwachsungen,  kann  nun  wohl  diese  Schwierigkeiten  beheben  und  alsbald 
die  Schrumpfung  der  Staphylomwand  und  deren  Vereinigung  zu  einer  dei'ben 
flachen  Narbe  anbahnen.  Es  scheint  jedoch,  als  ob  trotzdem  der  Erfolg  dieser 
Methode  häufig  hinter  den  gehegten  Erwartungen  zurückbliebe,  da  fast  allenthalben 
unter  solchen  Verhältnissen  der  Abtragung  des  Staphyloms  weitaus  der  Vorzug  ge- 
geben wird. 

2.  Die  Abtragung  des  Staphyloms  oder  die  Exscision  bezweckt  die 
theilweise  oder  gänzliche  Entfernung  des  ectatischen  Augapfelwandtheiles 
und  in  zweiter  Eeihe  die  Schliessung  der  solchermassen  gesetzten  Lücke 
durch  eine  resistente  flache  Narbe. 
Sie  wird  am  besten  bei  liegender 
Stellung  des  Kranken  in  zwei 
Momenten  ausgeführt,  deren  erstes 
die  Trennung  des  Staphyloms  von 
seiner  Basis  in  ungefähr  zwei 
Drittheilen  der  Peripherie ,  das 
zweite  aber  die  Durchschneidung 
der  noch  vorhandenen  Brücke  (Beer), 
oder  die  weit  vortheilhaftere  Bil- 
dung eines  Lappens  aus  der  Staphy- 
lomwand (Scarpa)  zur  Aufgabe 
hat,  eines  Lappens ,  welcher  die 
Lichtung  des  Staphylomfusses  zu 
decken  und  als  Grundlage  einer 
flachen  Narbe  zu  dienen  im 
Stande  ist. 

Zu  diesem  Ende  wird  (Fig.  22)  bei  weit  geöffneter  Lidspalte  und 
durch    einen   Assistenten    fixirteu    Lidern    ein    Staarmesser ,    bei    grösserem 


Fis.  22. 


loO  Nartenstaphylom ;  Behandlung;  Verheilungsmodus. 

Umfange  des  Staphyloms  aber  ein  Staphylommesser,  mit  in  der  Ebene  des 
Staphylomfusses  gelegener  Klinge  etwas  über  dem  grössten  Durchmesser  der 
BlasenöfFnung  ein-  und  durchgestossen  und  in  einem  oder  zwei  Zügen  hart 
an  der  Grenze  der  Ectasie  nach  aussen  geführt;  hierauf  die  mittlerweile 
zusammengesunkene  Staphylomwand  mit  einer  Pincette  gefasst  und  mittelst 
einer  nach  der  Fläche  gekrümmten  Schere  im  Niveau  des  Staphylomfusses 
losgetrennt,  oder  aber  aus  derselben  ein  Lappen  ausgeschnitten,  welcher  in 
Form  und  Grösse  der  Oeffnung  des  Staphylomfusses  nahezu  entspricht. 
Hierauf  wird  die  Lidspalte  mittelst  Streifen  englischen  Pflasters  geschlossen 
und  ein  Druckverband  angelegt.  Die  Nachbehandlung  ist  dieselbe,  wie 
bei  der  Inscision  des  Staphyloms. 

Man  hat  die  Abtragung  des  Staphyloms  mittelst  eines  dem  Tonsillotom  ähn- 
lichen Instrumentes  empfohlen  (Arcoleo).  Doch  erlaubt  dieses  keine  genaue  Dosirung 
und  setzt  stets  eine  kreisförmige  Lochwunde,  welche  schwierig  und  spät  zur  Ver- 
narbung gelangt. 

Bei  der  Abtragung  Meiner  Narbenstaphylome  entleert  sich  meistens  blos  das 
Kammerwasser,  so  dass  die  Linse  in  die  Wundöffnung  ti'itt  und  diese  verlegt,  ohne 
aus  ihrem  Zusammenhange  mit  der  Zonula  gerissen  zu  werden.  Bei  grösserem 
Umfange  der  ectatischen  Narbe  aber  tritt  in  der  Regel  auch  der  Krystallkörper, 
falls  er  überhaupt  noch  vorhanden  ist,  heraus,  und  zwar  meistens  in  zerstückeltem 
Zustande ,  da  derselbe  schon  während  des  Einstiches  in  die  Schnittebene  hervor- 
gedrängt und  so  von  dem  Messer  getroffen  wird.  Es  legt  sich  dann  ein  Theil  des 
Olasköi-pers  unter  der  Form  einer  wasserhellen  flachen  Blase  in  die  Lochwunde. 
Häufiger  jedoch  entleert  sich  mit  dem  Krystall  ein  Theil  des  Glaskörpers  oder  das 
denselben  ersetzende  Fluidum.  Wo  die  Linse  schon  bei  dem  geschwürigen  Durch- 
bruche der  Cornea  entleert  wurde,  ist  dieses  letztere  ein  fast  constantes  Ereigniss. 

Wo  sich  Mos  das  Kaminerwasser  mit  oder  ohne  der  Linse  entleert,  sinkt  der 
Bulbus  nicht  zusammen,  sondern  behält  unter  der  Wirkung  der  geraden  Augen- 
muskeln einen  gewissen  Grad  von  Spannung.  Wurde  ein  Lappen  gebildet,  so  findet 
derselbe  an  der  Linse  oder  dem  blosliegenden  Theile  des  Glaskörpers  eine  Stütze, 
auf  welcher  lagernd  er  mit  den  Rändern  der  Wunde  leicht  verwachsen  und  unter 
fortgesetzter  Gewebswucherung  zu  einer  derben  Narbe  werden  kann.  Falls  aber  das 
Staphylom  gänzlich  abgetragen  wurde,  können  unter  günstigen  Verhältnissen  in  Folge 
der  sich  alsbald  einstellenden  Entzündung  die  Wundränder  mit  der  Linse  oder  dem 
Glaskörper  verlöthen,  indem  sich  die  zwischen  denselben  laufende  meniscoide  Rinne 
mit  einer  graulich  weissen  Neubildung  füllt,  welche  von  den  Wundrändern  ausgeht 
und  sich  in  Gestalt  eines  mehr  weniger  breiten  Saumes  gleich  dem  Falze  eines 
Uhrglases  unter  allmäliger  Zuschärfung  aia  der  Convexität  des  biosliegenden  diop- 
trischen  Mediums  emporschlägt.  Es  bleibt  dann  eine  Zeit  lang  das  Zenith  jener 
Blase  durchsichtig  und  ermöglichet  oft  die  Wahrnehmung  äusserer  grösserer  Ob- 
jecte,  Hoffnungen  in  dem  Kranken  anregend,  welche  nur  zu  bald  bitter  getäuscht 
werden.  Einerseits  verkleinert  sich  nämlich  die  Lochwunde  unter  Zuziehung  der 
Ränder,  andererseits  aber  verbreitert  sich  der  neoplastiche  Saum  und  der  letzte  Rest 
des  blosliegenden  Krystall-  oder  Glaskörpertheiles  wird  endlich  von  der  Neubildung 
gedeckt.  Es  bedarf  nur  mehr  einer  fortgesetzten  Prolification,  um  endlich  an  der 
Stelle  der  Lochwunde  eine  derbe,  genügend  dicke  und  resistente  flache  Narbe  her- 
zustellen, die  aber  gewöhnlich  an  Umfang  der  ehemaligen  Substanzlücke  nachsteht. 
Die  Consolidation  einer  solchen  Narbe  erfordert,  was  wohl  zu  erwägen  ist,  immer 
viele  Wochen,  oft  mehrere  Monate.  Häufig  bleibt  in  der  Mitte  des  bereits  abge- 
flachten und  sehr  geschrumpften  Ersatzgefüges  eine  sehr  kleine,  kaum  merkbare 
Lücke  zurück,  die  nur  mit  einem  sehr  dünnen  Häutchen  geschlossen  ist.  Diese 
nun  berstet  bei  einigermassen  unvorsichtigen  Kranken,  namentlich  wenn  der  Ver- 
band verschoben  wird  oder  mechanische  Gewalten  auf  den  Bulbus  wirken,  sehr 
leicht  und  veranlasst  so  in  späten  Perioden  der  Reconvalescenz  den  Austritt  des 
Glaskörpers  mit  allen  seinen  Gefahren.  Es  ist  dieses  übermässige  Verzögern  eines 
beruhigenden  Heilungszustandes  und  die  damit  verbundene  Nothwendigkeit,  den 
Verband  lange  Zeit  zu  tragen,  ein  gewichtiger  Grund,  die  Abtragung  des  ganzen 
Staphyloms  zu  Gunsten  der  Lappenbildung  aufzugeben. 


Ausscliuoidun;;  mit   Knopliiahl. 


151 


Entleert  sich  ein  grosser  Theil  des  Coi'pus  vitreum  oder  seiner  Ersatzßüssigkeit, 
so  sinkt  der  Bulbus  zusammen  und  niclit  selten  sehrumpft  er,  nachdem  die  Schlies- 
sung der  Lochwuude  gelungen  ist,  in  Folge  ausgebreiteter  Entzüiulungen  und  darin 
begründeter  Atrophie  der  bluthältigen  Organe,  auf  die  Hälfte  seines  normalen 
Volumens  und  darunter.  Oft  kömmt  es  dann  auch  zur  Suppuration ,  welche  in 
kürzerer  oder  längerer  Zeit,  bisweilen  erst  nach  wochenlangen  schweren  Leiden 
des  Kranken,  zum  Abschlüsse  gelangt,  den  Bulbus  nahezu  consumirt  und  auf  ein 
winziges  Knöitfchen  reducirt,  überdies  aber  auch  sympathisch  den  anderen,  vielleicht 
disponirten  Bulbus  gefährden  und  möglicher  Weise  durch  Veranlassung  einer  Pyäraie 
sogar  tödtlich  werden  kann. 

Die  Ursache  dieser  heftigen  Entzündungen  liegt  sehr  oft  zum  grossen  Theile 
in  massenhaften  intraocidaren  Bluttmgen,  welche  in  der  plötzlichen  Aufhebung  des 
intraocularen  Druckes  begründet  sind.  Sie  werden  am  öftesten  beobachtet,  wo  der 
entzündliche  Process  sich  auf  die  Aderhaut  fortgepflanzt  hat  oder  das  Narben- 
staphylom  gar  schon  mit  Sclerochorioidalectasien  gepaart  erscheint. 

3.  Die  Ausschneidung  eines  elliptischen  Narbenstilckes  und  die  Vereinigung 
der  Wundränder  durch  die  Knopfnaht  hat  die  Aufgabe,  die  mit  der  Ab- 
tragung des  Staphyloms  verknüpfte  Gefahr  der  Entleerung  der  Linse  und 
des  Glaskörpers  zu  umgehen,  die  Verwachsung  der  Wunde  in  der  kürzesten 
Zeit  zu  ermöglichen  und  einen  festen  elastischen  beweglichen  Stumpf  zu 
bilden,  welcher  die  Einlegung  eines  künstlichen  Auges  mit  Aussicht  auf 
täuschenden  Erfolg  gestattet   (Critchett). 

Die    Operation     soll 
stets    in    der    Narkose    des  ^'^'  ^^' 

Kranken  ausgeführt  werden. 
Nach  gehöriger  Lagerung 
des  letzteren  und  Pixirung 
der  Lider  durch  den  Assis- 
tenten oder  einen  Snowden'- 
schen  Augenlidhalter  wer- 
den (Fig.  23)  4—5  kleine 
halbkreisförmige  Nadeln  in 
einer  Reihe  an  der  oberen 
und  unteren  Grenze  des 
Staphyloms  durch  die  Nac/i- 
hartheile  gestossen  und  mitt- 
lerweile liegen  gelassen.  Ist 
dies  geschehen ,  so  wird 
etwas  vor  der  Ansatzlinie 
des  inneren  geraden  Augen- 
muskels die  Lederhaut  mit- 
telst eines  Messers  eröffnet 
nnd  so  eine  bei  2'"  lange 
meridionale  Wunde  gesetzt, 
von  deren  innerem  Winkel 
aus  man  mittelst  einer  klei- 
nen Schere  ein  elliptisches 
Stück  aus  der  Staphylom- 
wand  ausschneidet.  Ein- 
facher ist  es,    den  Lappen 

nach  unten  hin  gleich  mit  dem  Messer  abzugrenzen,  indem  man  dieses  schräg  auf 
den  horizontalen  Meridian  in  den  vorderen  Scleralgürtel  einstösst  und  wagrecht  in 
der  Staphylomhöhe  fortschiebt,  um  dann  am  jenseitigen  Fusse  der  Ectasie  in  der 
Lederhaut  auszustechen  und  den  Schnitt  in  langem  Zuge  zu  vollenden.  Der  Lappen 
muss  hierauf  mit  der  Pincette  gefasst  und  mittelst  der  Schere  abgetragen  werden. 
Die  erforderliche  Grösse  desselben  wechselt  je  nach  dem  Umfange  des  Staphyloms. 
Es  ist  durchaus  nicht  nothwendig,  die  ectatische  Narbe  ganz  auszuschneiden,  die 
Wundränder  also  in  die  Lederhaut  zu  verlegen,  da  auch  angefrischte  Ränder  der 
ersteren  leicht  ohne  Eiterung  verwachsen.  Behufs  richtiger  Vereinigung  hat  die 
Längsaxe   des  gebildeten  Lappens   stets  senkrecht    auf  der  Richtung    der  Nadeln  zu 


152 


Nartenstaphylom ;  Behandluug' ;  Aussclineidung  mit  KnopfnaM. 


Fig.  24 


stehen,  so  wie  denn  auch  seine  Langseiten  immer  innerhalb  der  Ein-  und  Äusstichs- 
punkte  der  Nadeln  zu  liegen  haben.  Ist  der  Lappen  entfernt  und  die  Linse  be- 
seitigt, so  werden  die  vorläufig  mit  einem  Seidenfaden  annirten  Nadeln  vollends 
durchgestossen  und  die  Fäden  geknüpft,  dabei  aber  für  eine  richtige  Adaption  der 
Wundränder  wohl  gesorgt.  Die  Nähte  sollen  einige  Wochen  liegen  bleiben  und 
sind,  falls  sie  nicht  spontan  abgestosseu  werden,  nach  gehöriger  Verlöthung  der 
Wunde  herauszunehmen. 

Als  ein  besonderer  Vortheil  dieser  Operation  wird  gerühmt,  dass  sich  die 
Grösse  des  Stumpfes  i-eguliren  lasse,  was  bei  Einlegung  eines  künstlichen  Auges 
von  Werth  ist.  Auch  soll  es  in  ihrem  Gefolge  verhältnissmässig  seltener  zur  Suppu- 
ration  kommen,  als  bei  der  Abtragung  des  ganzen  Staphyloms.  Der  grösste  Vor- 
theil liegt  jedenfalls  darin,  dass  dem  Kranken  das  höchst  lästige  lange  Tragen  des 
Druckverbandes  erspart  wird.  Die  Linse  schonen  zu  wollen ,  ist  gefährlich ,  wenn 
überhaiipt  thunlich. 

Die  Durchführung  der  Nadeln  durch  den  Ciliarkörper  und  das  lange  Ver- 
weilen der  Fäden  in  den  Stichkanälen  ist  übrigens  nicht  ohne  Gefahr.  Man  hat 
in  Folge  dessen  öfters  sehr  heftige  Entzündungen  der  tiefen  Binnenorgane  und 
selbst  sympathische  Betheiligung  des  anderen  Auges  beobachtet.  Es  wird  neuerer 
Zeit  daher  empfohlen ,  die  Naht  durch  die  Bindehaut  zu  legen.  Es  wird  zu  diesem 
Behufe  2'" — 3'"  über   dem  Rande   der  Staphylombasis   iind   ein   wenig  nach   innen 

vom  verticalen  Meridian,  eine  feine  Nadel  einge- 
stochen, unter  der  Bindehaut  quer  nach  der  Nase 
zu  geführt  und  vertical  über  dem  inneren  Rande 
der  Staphylombasis  wieder  ausgestochen ;  hierauf 
wird  dieselbe  Nadel  mit  demselben  Faden  so  durch 
die  Bindehaut  unterhalb  des  Staphylomes  durch- 
geführt, dass  ihr  Einstich  senkrecht  unter  dem 
inneren  Staphylomrande,  ihr  Ausstich  in  der  Nähe 
des  verticalen  Meridians  erfolgt.  Eine  zweite 
Nadel  wird  in  ähnlicher  Weise  nach  aussen  vom 
verticalen  Meridiane  durch  die  Bindehaut  über  und 
unter  dem  Staphylom  durchgeführt.  Man  sucht 
von  der  Bindehaut  und  dem  Episcleralgewebe  so 
viel  als  möglich  beim  Durchstechen  der  Nadel  zu 
fassen,  damit  sich  die  Conjunctiva  möglichst  wenig 
über  die  Sclera  verschiebe  und  diese  kräftig  nach 
der  Mitte  der  Lidspalte  hinziehe.  Hierauf  werden 
die  Fäden  zurückgeschlagen,  das  Staphylom  abge- 
tragen und  sodann  die  beiden  Enden  jedes  Fadens 
zugezogen  und  geknüpft  (Fig.  24)  (Knapp). 

Selbstverständlich  passen  diese  Methoden 
blos  bei  nahezu  totalen  Narbenstaphylomen,  nament- 
lich solchen  mit  dicken  Wandungen  oder  gar  knojffähilich  verdicktem  Zenithe,  wo 
eine  Herstellung  des  Sehvermögens  nicht  mehr  möglich  ist  und  es  sich  nur  um  die 
Änbilduug  eines  zur  Prothese  geeigneten  Stumpfes  handelt.  Auch  entsprechen  sie 
bei  Comhination  der  Narbenectasie  mit  einem  Sclerochorioidalstaphylom.  Kömmt  es 
unter  solchen  Umständen  zur    Vereiterung,  so  ist  nicht  viel  verloren. 

Quellen.  Beer,  Lehre  von  den  Augenkrankheiten.  Wien,  1817.  II.  S.  216.  — 
Scarpa,  Trattato  delle  pr.  malattie  d.  occhi.  Pavia,  1816.  II.  S.  156.  —  Küchler, 
Eine  neue  operat.  Heilmethode  der  sämmtl,  wahren  Hornhautstaph.  Braunschweig, 
1845.  —  Chelius,  Zur  Lehre  von  den  Staphylomen  des  Auges.  Heidelberg,  1858.  — 
Critchett,  Ophth.  Hosp.  Reports  IV.  1.  S.  1  u.  kl.  Monatbl.  1864.  S.  32.  —  Secondi, 
Clinica  oc.  di  Genova.  Torino,  1865.  S.  22.  —  Tetzer,  Wien.  Med.  Jahrb.  1866.  4. 
S.  15.  —  0.  Becker  ibid.  S.  16,  20.  —  Czermj,  Wien.  Augenklinik.  Bericht.  S.  190. 
—  M.  Schultze,  Centralblatt  f.  die  med.  Wissensch.  1864.  Nro.  12,  17.  —  Virchow 
ibid.  Nro.  15,  19.  —  Schiess-Gemuseus,  kl.  Monatbl.  1868.  S,  98.  —  Arcoleo,  Nuovo 
processo  di  staphilotomia.  Palermo,  1869.  —  Knapp,  A.  f.  O.  XIV.  1.  S.  273. 


Anatomie  des  Glaskörpers.  153 


ZWEITER  ABSCHNITT. 

Die  Entzündung  des  Glaskörpers,  Hyalitis. 


Anatomie.  Der  Glaskörper,  Corpus  vitreura,  wird  dem  Schleimgewebe 
(Virchoiu)  oder  dem  gallertartigen  Bindegewehe  (KölUker)  zugezählt.  Er  ist 
vollkommen  structurlos ,  entbehrt  der  Gefässe  und  Nerven ,  führt  jedoch 
eine  Anzahl  von  Kernen  und  Zellen ,  welche  mit  den  Ernährungsverhält- 
nissen des  Organes  in  näherem  Bezüge  stehen ,  zumeist  in  den  peripheren 
Schichten  lagern  und  zum  Theile  der  umhüllenden  Grenzhaut  von  Innen 
her  aufsitzen ,  daher  auch  mitunter  in  der  Bedeutung  eines  Epithels  auf- 
gefasst  werden  (C.  Bitter).  Zuweilen  stösst  mau  im  Inneren  des  Glaskörpers 
auf  einzelne  Fasern  oder  ganze  Bündel  bindegewebigen  Charakters ,  welche 
für  Reste  der  foetalen  Gefiisse  gehalten  werden  (Henle).  Der  Stoffwechsel 
wird  durch  die  Gefösse  der  Netzhaut  und  Uvea  vermittelt. 

Der  Glaskörper  scheint  nicht  jeder  Spur  von  Organisation  zu  entbehren.  An 
geeigneten  Präparaten  ist  eine  etwas  derbere  Rinde  und  ein  Kern  zu  unterscheiden. 
Die  erstere  lässt  concentrisclie  Schichten  von  wandelbarer  Dicke  erkennen,  welche 
an  der  Ora  serrata  beginnend  den  Kern  nach  Art  eines  vorn  offenen  Bechers  um- 
schliessen.  In  letzterem  läuft  von  vorne  nach  hinten  eine  mehrfach  verzweigte 
Längsspalte,  an  welcher  eine  Ausweitung  das  Rudiment  des  Cloquet' sehen  Camales 
darstellt  (Stilling).  An  Glaskörpern,  welche  durch  gewisse  Reagentien  gehärtet 
worden  sind,  tritt  die  zwiebelartige  Schichtung  der  Rinde  besonders  deutlich  hervor 
(Hannover)  und  statt  jener  Längsspalte  erscheint  eine  radiäre  Streifung  ähnlich  der 
einer  Apfelsine  (Brücke).  Es  drückt  sich  darin  blos  die  SpaltJjarkeit  des  Glaskörpers 
aus ;  denn  eigentliche  Membranen  als  Scheidewände  bestehen  sicherlich  nicht  (H. 
Müller,  Doncan,  KölUker,  Iwanoff), 

Die  Zellen  sind  im  foetalen  Glaskörper  sehr  reichlich  vertreten.  Sie  erscheinen 
hier  in  ziemlich  regelmässigen  Abständen  durch  das  ganze  Corpus  vitreum  vertheit 
(Virchow).  Nach  der  Geburt  nehmen  sie  an  Zahl  sehr  ab  und  verschwinden  mit 
fortschreitendem  Alter  im  Innern  des  Orgaues  bis  auf  wenige.  Es  sind  theils  ovale 
platte  Kerne ,  theils  runde  oder  ovale  feinkörnige  Kernzellen  mit  cytoidem  Cha- 
rakter, theils  grössere  mehrkernige  Zellen  mit  deutlicher  gesonderter  Hülle  (Henle). 
Sie  finden  sich  besonders  in  der  Nähe  der  Ora  serrata,  hinter  der  Linse  und  vor 
dem  Sehnerveneintritte  (Klebs).  Die  Existenz  spindeliger  und  sternförmiger,  mit 
verzweigten  Ausläufern  verseliener  und  bisweilen  reihenweise  gelagerter  Zellen 
(Virchow,  C.  0.  Weber)  wird  noch  vielfältig  angezweifelt.  Dasselbe  gilt  von  den 
Physaliphoren,  d.  i.  runden  Zellen  mit  oder  ohne  Aixsläufern,  welche  in  ihrem 
Inneren  oder  der  Aussenwand  aufsitzend  kleine  rundliche  wasserhelle  Bläschen 
führen  und  bei  der  Schleimbereitung  eine  Rolle  spielen  sollen  (Iwanoff). 

Auch  über  den  Bestand  eines  Fasergerüstes  (Boimnan,  Iwanoff)  im  foetalen 
Glaskörper  sind  die  Acten  noch  nicht  geschlossen.  Doch  ist  dasselbe  durch  den 
ursprünglichen  Bestand  zahlreicher  Verästelungen  der  Arteria  hyaloida,  wenigstens 
iüx  frühe  Perioden  des  embryonalen  Lebens,  sein-  wahrscheinlich  gemacht.  Auch 
sprechen  manche  Hemmungsbildungen  des  Auges  dafür.  So  fand  man  bei  Coloboma 
oculi  von  der  Scleralraphe  in  der  Nähe  des  Strahlenkranzes  ausgehend  einen  seh- 
nigen Fortsatz,  welcher  sich  an  der  dislocirten  Linse  festsetzte  (Arnold).  In  einem 
anderen  derartigen  Falle  war  der  Glaskörperspalt  ausgefüllt  von  einem  mächtigen 
sehnigen  gefässhältigen  Kamme,  welcher  mit  breiter  Basis  am  unteren  Rande  der 
Papilla  optica  entsprang ,  sich  allmälig  verschmächtigte ,  am  vorderen  Rande  des 
Coloboms  festsetzte,  von  hier  aber  sich  kegelig  ausbreitete  und  die  hintere  Fläche 
des  Krystallkörpers  schalenartig  in  sich  aufnahm. 


154 


Glaskörper;  Anatomie;  Art.  hyaloidea  persistans. 


Der  centrale  Stamm  der  Glaskörpergefösse  geht  immer  erst  iu  den  letzten 
Perioden  des  foetalen  Lebens  zu  Grunde.  Beim  Kalb  und  Pferde  jedoch  bleibt 
ein  strangförmiger  oder  zapfenartiger  sehniger  Rest  desselben  lange  nach  der 
Geburt  noch  sichtbar  (H.  Müller).  Aber  auch  beim  Menschen  sind  Rudimente 
ophthalmoskopisch  und  am  Cadaver  nachgewiesen  worden.  Es  zeigten  sich  dieselben 
iu  einem  speciellen  Falle  sowohl  an  Lebenden,  als  nach  erfolgtem  Tode  im 
anatomischen  Präparate  in  Gestalt  eines  1'"  langen  rundlichen  Stranges,  welcher 
in  beiden  Äugen  von  der  Gefässpforte  der  Sehnervenscheibe  ausgehend  in  den 
Glaskörper  hineinragte  und  sich  pinselförmig  in  einer  dichten  wolkigen  Trübung 
desselben  audöste.  In  anderen  Fällen  erschien  das  Rudiment  als  ein  kurzer 
sehniger  Zapfen  (Meissner)  oder  als  ein  fibröser  Strang,  welcher  von  der  Papille 
bis  zur  Hinterwand  der  Linse  reichte  und  sich  hier  in  eine  flache  Trübung  aus- 
breitete (Tottssaint,  Liebreich,  Saemlsch,  Mooren,  Stör). 


Fig.   25. 


% 


"H 


-^-; 


Mitunter  findet  man  neben 
solchen  Resten  der  Arteria  hyaloi- 
dea ganz  eigenthümliche  halb- 
durchscheinende, stark  grün  schat- 
tirte,  graue,  buckeiförmige  Her- 
vorragungen am  Äugengrunde, 
welche  ihrer  Wesenheit  nach  nicht 
aufgeklärt  sind  und  vielleicht 
Ueberbleibsel  der  bindegewebigen 
fötalen  Glaskörperanlage  sind.  Es 
lagern  dieselben  vorzugsweise  um 
den  Sehnerven  herum  (0.  Beckei-), 
oder  in  der  Richtung  der  embryo- 
nalen Augenspalte.  Sie  scheinen 
von  der  Netzhaut  überkleidet  zu 
werden.  Wenigstens  ziehen  sich 
einzelne  Gefässe  der  letzteren  über 
ihren  Körper  hin  und  erscheinen 
in  den  Falten  der  Oberfläche  ge- 
knickt und  verschoben  (Fig.  25j. 
Einmal  hat  man  die  Arteria 
hyaloidea  am  Lebenden  noch  mit 
Blut  gefüllt  gesehen  (Zehender). 
Es  erinnert  dieser  Fall  an  einen 
anderen,  in  welchem  von  der  Papille  ausgehend  eine  dünne,  gefässartig  scharf 
begrenzte  Blutsäule  gegen  das  Centrum  der  Hinterkapsel  hinlief  und  sich  hier  in 
ein  kleines  scheibenförmiges  Extravasat  ausbreitete.  Au  dem  Blutstrange  Hessen 
sich  durchaus  keine  Wandungen  entdecken,  daher  derselbe  für  eine  JEins-pritzung 
des  Cloquefschen  Canales,  dessen  künstliche  Injection  den  Anatomen  thatsächlich 
öfters  gelungen  ist,  erklärt  wurde.  Neuester  Zeit  werden  nun  wirklich  Gründe 
für  das  Offenstehen  des  Canales  vorgebracht  (Stilling)  und  in  Einem  Falle  soll  der- 
selbe beiderseits  ophthalmoscopisch  als  ein  bei  gewissem  Lichteiufalle  völlig  durch- 
sichtiger, bei  anderen  Spiegelstellungen  aber  ganz  dunkler  Strang  zu  erkennen 
gewesen  sein  {Wecker). 

Die  gallertähnliche  Glassubstanz  (Vitrina)  wird  nach  hinten  von  der 
Membrana  limitans  retinae,  nach  vorne  aber  von  dem  hinteren  Blatte  der 
Zonula  und  Kapsel  umschlossen.  Eine  eigene  Membrana  hyaloidea  besteht 
nicht,  sondern  "wurde  wo  man  eine  solche  gefunden  zu  haben  glaubte,  von 
der  abgelösten  inneren  Grenzhaut  der  Retina  vorgetäuscht  (Henle,  Iwanoff). 

Der  Glaskörper  hängt  eben  mit  der  Letzteren  fest  zusammen,  daher  be- 
sonders in  minder  frischen  Augen  die  Limitans  bei  der  Präparation  dem  Ersteren 
leicht  folgt.  Die  auf  der  äusseren  Fläche  der  vermeintlichen  Hyaloidea  beob- 
achteten Schüppchen,  welche  mehrfach  als  Epithel  gedeutet  wurden  (Hannover, 
Finkbeiner),  sind  wahrscheinlich  nichts  Anderes,  als  Spuren  vou  abgerissenen 
Enden  der  Radiärfasem  (Henle,  Iwanoff). 


Anatomie  der  Zomüa;  Potit'scher  Canal;  Senile  Veränderungen.  loo 

Die  Zonula  beginnt  schon  jenseits  der  Ora  sei'rata,  etwas  vor  dem 
Gleicher,  in  Gestalt  einer  Lage  höchst  feiner  raeridional  streichender 
Fasern,  welche  sich  zum  Theil  in  den  Glaskörper  hinein  verfolgen  lassen 
(Henle)  und  in  ihrem  ganzen  Laufe  durch  einen  homogenen  Kitt  zu  einer 
Platte  verbunden  sind.  Diese  Platte  hängt  mit  dem  Ciliarthcile  der 
Retina  und  dem  Tapete,  ja  selbst  mit  der  Glashaut  der  Strahlenfortsätze 
(Heiberg)  innig  zusammen.  Sie  theilt  sich  im  Bereiche  des  Corpus  ciUare 
in  zwei  Blätter  (Fig.  2.  S.  54  e,  /)  deren  hinteres  zur  hinteren,  das  vordere 
aber  hauptsächlich  'zur  vorderen  Kapselhälfte  hingeht  und  damit  ver- 
schmilzt. Es  wird  so  zwischen  den  beiden  Blättern  der  Zonula  und  dem 
Kapselrande  der  Petit'sche  Kanal  gebildet,  welcher  im  Leben  jedoch  gleich 
den  serösen  Höhlen  leer  und  collabirt  sein  dürfte,  insoferne  die  beiden 
Zonulaplatten  sich  gegenseitig  zu  berühren  scheinen   (Henle). 

Die  Zonulafasern  sind  anfänglich  weit  geschwungen  oder  wellig  geschlängelt 
und  tragen  den  Charakter  des  Binde-  oder  elastischen  Gewebes.  Im  Bereiche  der 
vorderen  Platte  ändern  sie  jedoch  bald  ihr  Aussehen.  Es  treten  hier  nämlich, 
dieselben  zum  grössten  Theile  ersetzend,  steife  glatte  wasserhelle,  sehr  scharf- 
randige  und  ausserordentlich  dehnbare  Fasern  von  wechselndem  Durchmesser  auf, 
welche  der  Zonula  vom  histologischen  Standpunkte  aus  ein  ganz  eigenthümliches 
Gepräge  verleihen.  Es  sind  diese  Fasern  in  Büschel  geordnet,  welche,  indem  die 
Fasern  pinself6rmi(j  auseinanderfahren,  gegen  den  Kapselrand  sich  verbreitern  und 
dann  flächenartig  an  dem  letzteren  sich  festsetzen.  Der  grösste  Theil  dieser  Fasern 
trifft  auf  die  Randpartie  der  vorderen  Kapselhälfte,  ein  kleinerer  auf  die  Peripherie 
der  hinteren  Kapselhälfte.  Ein  senkrecht  und  meridional  durch  die  Zonula  geführter 
Schnitt  ergibt  daher  immer  eine  fächerartige  Figur ,  deren  concaver  centraler  Rand 
von  der  vorderen  imd  hinteren  Kapsel  gebildet  wird.  Es  ist  also  jene  Zikzaklinie, 
welche  als  Marke  des  Strahlenblättcheus  bezeichnet  wurde  und  sich  abwechselnd 
von  der  vorderen  auf  die  hintere  Kapsel  schlängelt,  nur  die  vordere  Grenze  des 
flächenartigen  Zonidaansatzes  (Henle,  Heiberg,  Ed.  Jaeger). 

Der  Bestand  quergestreifter  Muskelfasern  (Finkheiner,  Heiberg)  in  der  Zonula 
ist  zum  mindesten  sehr  zweifelhaft. 

Senile  Veränderungen.  Im  Qlaskörjper  äussert  sich  die  senile  Involution  durch 
schwach  milchige  Trübung,  welche  besonders  deutlich  in  der  vorderen  äusse7-en 
Partie  des  Organes  hervortritt  und  durch  einen  zarten  Niederschlag  einer  albumi- 
nösen,  sehr  fein  molekulirten,  schmutzig  gelblichen  Masse  bedingt  wird,  in  der 
Gruppen  von  Fettkörnern  lagern,  welche  letztere  durch  fettigen  Zerfall  der  dem 
Glaskörper  eigenen  Zellen  zu  erklären  sind  (Wedl).  Es  führt  dieser  senile  Ver- 
fettungsprocess  nicht  selten  zur  völligen  Auflösung  des  Glaskörpers  (Synchysis). 
Diese  beginnt  immer  im  hinteren  Theile,  greift  aber  allmälig  um  sich,  ohne  dass 
sich  eine  deutliche  Grenze  zwischen  den  bereits  verflüssigten  und  den  noch  normal 
consistenten,  verfettigende  Zellen  enthaltenden  Glaskörperpartien  nachweisen  Hesse 
(Iwanoff). 

Im  Bereiche  der  Zonula  soll  sich  die  senile  Involution  zuweilen  durch 
Verlust  der  Faserung  beurkunden  und  die  elastische  Dehnbarkeit  so  weit  vermin- 
dern, dass  spontane  Berstungen  mit  consecutiver  Lösung  des  Krystallkörpers  aus 
seinen  Verbindungen  sehr  begünstigt  werden  (H.  Müller).  Auch  Auflagerungen 
choloider  und  zum  Theil  kalkiger  Massen  kommen  vor,  scheinen  aber  mehr  den 
Veränderungen  der  auflagernden  Gebilde  zuzugehören. 

Nosologie.  Als  anatomischer  Grundcharakter  der  Hyalitis  lässt  sich 
die  massenhafte  Einwanderung  weisser  Blutkörperchen  aus  den  Gefässen 
der  umgebenden  Organe  (C.  Ritter,  Iwanoff,  Blix),  die  Prolification  der- 
selben und  wahrscheinlich  auch  der  dem  Glaskörper  zugehörigen  Zellen 
der  Vitrina   bezeichnen. 

Im  Ganzen  scheinen  abnorme  Zellenanhäufungen  im  Glaskörper  ein  sehr 
gewöhnliches  Vorkommniss  zu  sein;  wenigstens  hat  man  alle  Ursache,  die  so  unge- 
mein   verbreiteten    beweglichen    und    manche  fixe  Scotome   (siehe  diese)  auf  Massen- 


156  Glaskörper;  Nosologie;  Hyalitis  suppur.,  hypertroph. 

Vermehrung  der  fraglichen  Elemente  zu  beziehen.  Gemeiniglich  jedoch  werden 
die  den  Scotomen  zu  Grunde  liegenden  Processe,  da  sie  keine  ohjectiv  auffälligen 
Veränderungen  des  Glaskörpers  im  Gefolge  haben  und  auch  wohl  des  j^ositiven 
Nachweises  entbehren,  in  den  Begriff  der  Hyalitis  nicht  eingeschlossen;  vielmehr 
pflegt  man  zur  Diagnose  der  Glaskörperentzündung,  gleichwie  zu  jener  der  Kera- 
titis, ein  tnakroskojjisch  nachweisbares  Product,  also  eine  massenhafte  Neubildung, 
zu  fordern. 

Die  Hyalitis  ist  häufig  partiel  und  dann ,  wenn  nicht  Traumen  die 
Veranlassung  gegeben  haben,  in  der  Eegel  auf  die  peripheren  Theile  des 
Corpus  vitreum  beschränkt.  Eben  so  oft  indessen  ist  der  Glaskörper  seiner 
Totalität  nach  entzündet.  Die  an  die  Ciliarfortsätze  und  Netzhaut  gren- 
zenden, sowie  die  mit  dem  Sehnerveneintritte  organisch  verbundenen 
Portionen  pflegen  sich  dann  durch  reichlichere  Anhäufung  der  Producte 
auszuzeichnen.  Wo  der  Vordertheil  des  Glaskörpers  ergriffen  ist,  leidet 
die  Zonula  zumeist  mit,  sie  erscheint  von  denselben  neoplastischen  Elementen 
überlagert  und  durchdrungen,  diese  wuchern  von  den  das  Strahlenblättchen 
deckenden  gefässhältigen  Theilen  in  das  Corpus  vitreum  gleichsam  hinein 
und  füllen  bisweilen  in  dichten  Massen  den  Petit'schen  Kanal  und  die 
tellerförmige   Grube   (Alf.    Graefe). 

Der  Charakter  der  Hyaütis  ist  je  nach  den  gegebenen  Umständen 
ein  sehr  verschiedener.  Häufig  ist  die  Entzündung  suppurativ.  Ausnahms- 
weise hat  sie  wohl  auch  die  Bedeutung  einer  Tuberkelausscheidung.  Am 
gewöhnlichsten  jedoch  ist  ihi'e  Tendenz  auf  Hypertrophie  gerichtet,  die 
neugebildeten  Elemente  sind  zum  Theile  in  evidenter  Höhergestaltung  be- 
griffen, oder  haben  sich  unter  dem  Einflüsse  nachbarlicher  Gebilde  bereits 
grossen  Theiles  in  Bindegewebe  umgewandelt. 

Bei  der  eitrigen  und  der  sehr  seltenen  tuherculosen  Form  der  Hyalitis  ist 
wohl  in  der  Regel  der  gesammte  Glaskörper  betheiligt  und  die  Neubildung  eine 
überaus  massenhafte.  Doch  kommen  auch  umschriebene  Eiterhei-de,  besonders  um 
fremde  eingedrungene  Körper  herum,  vor  (0-raefe,  Donders,  Ruete).  Das  Product 
der  suppurativen  Hyalitis  sind  Eiterkörperchen  gemischt  mit  fettigem  Detritus,  Fett- 
körnchenkugeln und  einer  je  nach  Umständen  sehr  variablen  Menge  von  in 
Theilung ,  in  Verfettigung  oder  Nekrose  begriffenen  Kernen.  Daneben  erscheinen 
mitunter  in  sehr  untergeordneter  Quantität  Gruppen  sich  höhergestaüender  Zellen 
und  Bündel  neoplastischen  Bindegeivebes ,  oft  auch  schon  kleine  Gefässe,  welche 
mit  jenen  der  Netzhaut  zusammenhängen.  Diese  Producte  drängen  sich  stellen- 
weise so  enge  an  einander,  dass  die  Vitrina  zwischen  ihnen  völlig  verschwindet 
und  das  Ganze  ein  käseähnliches  Aussehen  gewinnt.  Sie  bilden  an  der  Peripherie 
des  Glaskörpers  öfters  onächti'ge  Schwarten,  welche  die  hintere  Fläche  der  Ciliar- 
fortsätze und  der  Linse,  so  wie  die  innere  Wand  der  Netzhaut  theilweise  oder 
ganz  überziehen,  nach  dem  Centrum  hin  jedoch  sich  in  ein  Gemisch  von  Knollen, 
Balken  oder  Blättern  auflösen,  die  in  den  eitrig  infiltrirten  Kern  des  Glaskörpers 
hineinragen  oder  nur  mehr  von  verflüssigten  Resten  des  letzteren  und  losen  Eiter- 
flocken umspült  werden. 

Die  hypertrophirende  Form  der  Hyalitis  ist  öfter  partiel  und  in  der  Regel 
weniger  productiv.  Als  unmittelbares  Ergebniss  derselben  findet  man  anfänglich 
oft  blos  spärlich  zerstreute  Gruppen  von  rundlichen  Zellen,  umschlossen  von  höchst 
feinen  molekidaren  Niederschlägen  und  fettig  körnigen  Massen,  welche  der  Vitrina 
auf  grössere  oder  geringere  Entfernung  hin  ein  feinkörniges  oder  undeutlich  strei- 
figes Aussehen  geben  und  dieselbe  dem  freien  Auge  getrübt  erscheinen  lassen. 
Häufiger  aber  trift't  man  in  der  entzündlich  getrübten  Glaskörpersubstanz  neben 
Nestern  neuer  Zellen  Productanhäufungen,  in  welchen  sich  die  mannigfaltigsten 
Uebergänge  von  einfachen  oder  mehrkeiiiigen,  runden,  polygonalen  und  spindeligen 
granulirten  Zellen  zu  anderen  nachweisen  lassen,  welche  den  Charakter  loahrer 
Bindegeioebsköiper  tragen,  während  die  umgebende  Intercellular Substanz  bereits 
deutlich  die  lockig  wellige  Faserung  erkennen  lässt. 


Regressive  Metamorphosen.  157 

Das  solcliermasseii  zu  Stande  gekommene  Bindegewebe  dient  bisweilen  blos 
als  Gerüst  und  Hülle  für  Zellen  der  mannigfaltigsten  Art  und  stellt  im  Vereine 
mit  den  letzteren  painllenühnUche  Auswüchse  von  ovaler  oder  gestreckter  kolbiger 
Gestalt  dar,  die  sich  mitunter  astälmlich  verzweigen  und  makroskopisch  als  in  die 
trübe  Vitrina  eingesprengte  Tüpfel  oder  netzartige  Figuren  zur  Wahrnehmung 
kommen  (C.  0.  Webe?',  WedlJ.  An  anderen  Stellen  treten  diese  Elemente  dichter 
aneinander  und  construiren  so  balken-  oder  liautähnliche  Blätter,  welche  bald  frei 
in  den  Glaskörper  hineinragen,  bald  sich  mannigfaltig  interferiren  und  Netzwerke 
bilden,  bald  den  Glaskörper  nach  dieser  oder  jener  Seite  hin  scharf  abgrenzen, 
bald  endlich  eingedrungene  fremde  Körper  kapselartig  umschliessen. 

In  den  meisten  Fällen  ist  das  neugebildete  Bindegewebe  von  mehr  minder 
zahlreichen  Gefässen  durchstrickt,  deren  Stämme  constant  mit  den  Arterien  und 
Venen  der  umliegenden  vascularisirten  Organe,  der  Ciliarfortsätze,  der  Netzhaut  oder 
Sehnervenpapille,  anastomosiren.  Bisweilen  erkennt  man  sogar  noch  die  ersten 
Anlagen  derselben  in  Gestalt  kolben-  oder  sprossenähnlicher  Auswüchse,  welche, 
von  den  Gefässen  der  genannten  Organe  ausgehend,  in  den  Glasköi-per  gleichsam 
hineinwachsen  und  sich  hier  durch  bündelweise  Aneinanderlagerung  gestreckter 
neoplastischer    Zellen    weiter  und    weiter    fortsetzen    (C.  O.    Weber,    Wedl,  Czerny). 

Ueberhaupt  steht  die  ganze  Entwickelung  des  Bindegewebes  in  näherem 
Bezüge  zu  den  umliegenden  Organen.  Ein  Theil  desselben  ist  fast  immer  mit 
dem  Stroma  der  letzteren  verbunden  und  oft  hat  es  ganz  das  Ansehen,  als  ob  das 
Bindegewebe  geradezu  von  aussen  her  in  den  Glaskörper  vordränge.  Die  im 
Vordertheile  des  Glaskörpers  vorfindigen  bindegewebigen  Neoplasien  bekunden 
diesen  Nexus  übrigens  häufig  noch  durch  starke  Pigmentirung  der  zelligen  Elemente. 

Nicht  immer  jedoch  gelangen  die  Producte  der  Entzündung  zu 
höheren  Entwicklungsformen.  Ziemlich  oft  werden  sie ,  nachdem  sie  sich 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  ausgebildet  haben,  wieder  rückgängig,  zer- 
fallen in  lösliche  Substanzen  und  werden  auf  dem  Wege  der  Resorptioii 
entfernt  ,  oder  gehen  durch  die  regressive  Metamorphose  in  ständige 
Formen  über. 

So  stösst  man  gar  nicht  selten  auf  einzelne  Zellen  und  Zellengruppen, 
welche  durch  reichlichen  Gehalt  körnigen  Fette^f  den  Beginn  ihres  Zerfalles  ver- 
rathen ,  oder  sich  theilweise  schon  in  Fettkörnerkugeln  verwandelt  haben.  Oft 
haben  sich  solche  Gruppen  sogar  förmlich  zersetzt  und  stellen  nur  mehr  ganz 
unregelmässige  Haufen  vor,  in  welchen  fettiger  Detritus  mit  mehr  oder  weniger 
Pigment  das  Hauptconstituens  bildet.  Anderwärts  trifft  man  einzelne  oder  gruppirte 
Zellen,  welche  durch  Aufnahme  einer  dichten  und  chemisch  sehr  indifferenten  Masse 
in  fettig  glänzende,  deutlich  geschichtete  und  radiatim  zerklOftende,  solide  Körper 
übergegangen  sind,  die  im  polarisirten  Lichte  ein  helles  Kreuz  im  dunklen  Felde 
zeigen  (Wedl).  Daneben  erscheinen  oft  Nester  von  Cholestearinki-ystallen,  Haufen 
körnigen  Pigmentes  und  Gruppen  kernähnlicher,  an  kohlensaurem  Kalke  reicher 
Gebilde,  welche  letztere  bisweilen  auch  rosenkranzartig  an  einander  gereiht  sind 
i;nd  so  Schnüre  bilden,  die  sich  zum  Theile  mannigfaltig  verästeln  und  mitunter 
auch  netzartige  Figuren  darstellen.  Es  lagern  diese  Producte  der  regressiven 
Metamorphose  meistens  in  fein  molekidirter  und  öfters  mit  Fettköruchen  reichlich 
durchstreuter,  mitunter  auch  deutlich  streifiger  und  trüber  Vitrina.  In  einzelnen 
Fällen  deuten  in  spitzen  Winkeln  zu  einander  gestellte  Züge  elainähnlicher, 
grösserer  und  kleinerer  Körner  auf  den  Untergang  einer  faserigen  Textur.  In  der 
Regel  jedoch  erhalten  sich  ausgebildete  bindegeivebige  Elemente  lange  und  finden 
sich  in  ihrer  ursprünglichen  Form  neben  den  Ergebnissen  der  Zellenrückbildung, 
oft  bis  in  die  fernsten  Stadien.  Sie  pflegen  sich  dann  durch  Schrumpfung  zu 
verdichten.     Mitunter  nehmen  sie  auch  Kalk  auf  oder  verknöchern   sogar  theilweise. 

Mehr  zufällig,  immerhin  aber  ziemlich  häufig,  sind  Beimischungen  variabler 
Mengen  von  frischen  oder  bereits  in  Pigmentr)ietamorphose  begriffenen,  extravasirten 
Blutkörperchen.  Auf  deren  Rechnung  gehört  nicht  selten  ein  grosser  Theil  der 
neben  den  Ausgängen  der  Hyalitis  vorfindlichen  Pigmenthaufen. 

Ursachen.  Die  Hyalitis  steht  meistentheils  im  Abhängigkeitsverhält- 
nisse zu  Entzündungen  der  den    Glaskörper  lungehenden  vascularisirten  Organe. 


158  Hyalitis;  Ursachen;  Eingedrungene  fremde  Körper. 

Es  gilt  dieses  mit  einer  gewissen  Beschränkung  sogar  von  den  die  Scotome 
veranlassenden  Wucherungen,  um  so  mehr  aber  von  der  Hyalitis  im  engeren 
Wortsinne.  "\"ornehmlich  sind  es  sehr  acut  auftretende  und  mit  einem 
hohen  Grade  von  Intensität  verlaufende,  besonders  also  suppurative  Formen 
der  Chorioiditis ,  Irido-Kyklitis ,  Dictyitis ,  an  welchen  der  Glaskörper  in 
sehr  auffälliger  Weise  Antheil  nimmt,  indem  er,  dem  Charakter  des 
Processes  entsprechend,  mehr  weniger  massenhaft  Eiter  producirt.  Doch 
auch  minder  intensive,  ja  selbst  scJileichende  chronische  Entzündungen  der 
genannten  Organe  ziehen  oft  den  Glaskörper  in  Mitleidenschaft,  ja  gewisse 
Formen  derselben,  das  Glaucom,  die  chronische  Iridochorioiditis  und  Neu- 
roretinitis  verlaufen  sogar  nur  selten  ohne  Betheiligung  des  Glaskörpers, 
daher  Trübungen  desselben  zu  den  charakteristischen  Symptomen  dieser 
Krankheitsfoi'men  gezählt  werden.  Das  Endergebniss  der  Hyalitis  sind  in 
Fällen  der  letzteren  Art  meistens  bindegewebige  oder  verfettigende  und  verkal- 
kende Neubildungen. 

Auf  traumatische  Eingriffe  reagirt  der  Glaskörper  im  Ganzen  wenig 
(Pagenstecher)  und  wenn  sich  in  Folge  deren  Hyahtis  entwickelt,  so  steht 
dieselbe  mit  der  Verletzung  in  der  Regel  wohl  nur  in  mittelbarem  ätiolo- 
gischen Zusammenhang;  das  nächste  pathogenetische  Moment  sind  Entzün- 
dungen  der  umliegenden  vascularisirten  Organe;  der  Glaskörper  betheiligt  sich 
ei'st,  nachdem  diese  letzteren  ihre  entzündliche  Affection  ganz  unzweifel- 
haft bekundet  haben,  und  die  Hyalitis  wird  davon  in  der  entschiedensten 
Weise  beeinflusst. 

Es  sind  die  Entzündungen  der  umliegenden  Organe  übrigens  nicht 
immer  deutlich  ausgesprochen.  Glaskörpervorfälle,  wie  selbe  bei  manchen 
Operationen,  z.  B.  bei  der  Staarextraction,  vorkommen,  führen  oft  zu 
ausgebreiteten  diffusen  und  membranösen  Trübungen  der  Vitrina,  ohjie 
dass  sich  in  der  Netzhaut  und  Uvea  nothwendig  entzündliche  Erscheinungen 
geltend  machen.  Wenn  fremde  Körper,  Entozoen,  Linsentheile,  Blutextra- 
vasate  u.  s.  w.  in  den  Glaskörper  tief  eingedrungen  sind,  so  umhüllen  sich 
dieselben  gar  nicht  selten  überaus  rasch  mit  Eiter  oder  mit  membran- 
artigen Neubildungen ,  welche  mit  den  umliegenden  Organen  eine  Zeit 
lang  in  keinem  nachweisbaren  Zusammenhange  stehen ,  ja  in  einzelnen 
Fällen  werden  solche  Eindringlinge  wohl  auch  dauernd  incapsidirt,  ohne 
dass  die  gefässhaltigen  Hüllen  des  Corpus  vitreum  in  ilirer  Functions- 
tüchtigkeit  wesentlich  geschädigt  würden  (Kittel,  Soelberg  Wells).  Bei 
deprimirten  Staarkernen  ist  eine  solche  Incapsulation  ohne  Betheilung  der 
Netz-  und  Aderhaut  sogar  die  Bedingung  des  günstigen  operativen  Erfolges. 

Fremde  Körper,  besonders  Slahlsplitter  und  Trümmer  von  Zündhütchen, 
welche  in  die  Bulbushöhle  eindringen,  durchschlagen  ausnahmsweise  die  hintere 
Wand  des  Augapfels,  um  sich  dann  im  Orbitalgefüge,  in  einem  Muskel  u.  s.  w. 
festzusetzen  (Berlin,  Stavenhagen).  Oefter  bleiben  sie  in  der  Hinterwand  des 
Auges  stecken  und  können  dann  bisweilen  eine  Zeit  lang  ophthalmoscopisch  wahr- 
genommen werden  (Jacohi).  In  der  allergrössten  Mehrzahl  der  Fälle  jedoch 
dringen  sie  blos  in  die  Retina  und  Chorioidea  ein,  springen  dann  aber  wieder 
zurück,  eine  haarfeine  kleine  Spalte  hinterlassend,  und  senken  sich  hierauf  zu 
Boden.  Man  findet  dieselben  daher  gewöhnlich  am  iintersten  Theile  des  Augen- 
grundes, und  zwar  etwas  vor  dem  Aequator  hulbi,  indem  eben  die  Visirebene  in 
der  Regel  nach  abwärts  gerichtet  ist  und  jene  Stelle  somit  den  tiefsten  Punkt  der 
Bulbushöhle  abgibt.  Gewöhnlich  stellen  sich  unter  solchen  Umständen  bald  Blut- 
extravusate  ein,   die   von    der  Wunde  der  Netz-  und  Aderhaut   aus  den  Glaskörper 


Blutextravasato  des  Glaskörpers.  159 

nach  den  verscliicdeiiston  Richtungen,  besonders  aber  länj^s  des  Wniidkanales, 
durchsetzen.  Meistens  l'olfj,'t  dann  rasch  eilriye  CUorioiditis  mit  dichter  Trübung 
des  Glaskörpers.  In  anderen  Fällen  ist  aber  die  Reaction  eine  weniger  intensive, 
die  Netzhaut  und  Chorioidea  erleiden  verhältnissinässig  geringe  Veränderungen,  nur  in 
der  Nähe  der  Wunde  und  um  den  gesenkten  Fremdkörper  herum  bilden  sich  rasch 
neblige  Trübungen,  welche  sich  alsliald  verdichten,  an  ihren  Grenzen  ein  Ijlättriges 
fädiges  Aussehen  gewinnen,  und  bisweilen  noch  den  Gang,  welchen  der  Splitter 
im  Glaskörper  nahm,  an  einem  beide  Stellen  verbindenden  trüben  Streifen  oder 
Bande  ganz  deutlich  erkennen  lassen.  Der  so  gedockte;  Eindringling  ist  dann  selbst- 
verständlicli  objoctiv  nicht  mehr  nachweisbar;  doch  verrätli  er  sich  häufig  durch 
eine  UnterhrecJmng  hn  ohern  Theil  des  G esichtsif ekles ,  welche  späterhin,  wenn  die 
Chorioiditis  bereits  Fortschritte  gemacht  hat,  mehr  und  mehr  in  der  allgemeinen 
Verfinsterung  aufgeht  (Berlin). 

Blutextravasate  sind  im  Glaskörper  eine  nicht  ganz  seltene  Erscheinung.  Sie 
rühren  bisweilen  von  neoplastischen  Glaskörpergefässen  her  und  sind  dann  meistens 
an  ausgebreitete  Degenerationen  der  Binnenorgane  geknüpft.  In  anderen  Fällen 
stammen  sie  aus  den  Netzhaut-  oder  selbst  aus  den  Chorioidalgefässen.  Die  Ursache 
ist  dann  gewöhnlich  ein  Trauma,  ein  das  Auge  direct  treffender  Stoss,  Schlag  oder 
eine  vom  Schädelgerüste  fortgepflanzte  Erschütterung.  Doch  kömmt  es  mitunter 
auch  spontan  zu  derartigen  Gefässberstungen  und  in  einzelnen  Fällen  hat  man 
sogar  ein  periodisches  Wiederkehren  derselben  beobachtet.  Es  unterliegt  wohl 
keinem  Zweifel,  dass  Gefiisserkrankungen  hierbei  mit  im  Spiele  sind;  hier  und  da 
deuten  gleichzeitige  apoplektische  Anfälle  (Rothmund)  oder  das  Vorausgehen  häufigen 
Nasenblutens  (Graefe)  iinmittelbar  darauf  hin. 

Die  Hämorrhagie  kündigt  sich  durch  eine  gänzliche  oder  theilweise  Verdun- 
kelung des  Gesichtsfeldes  an,  welche  entweder  2^fötzlich  hervortritt  oder  sich  alhnälig 
entwickelt,  ausbreitet  und  auch  wohl  den  Ort  verändert,  je  nachdem  nämlich  das 
Blut  gleich  von  vorneherein  in  den  Pupillarbezirk  des  Glaskörpers  gelangt,  oder 
nur  allmälig  gegen  denselben  vordringt  und  unter  fortgesetzter  Resorption  der 
Vitrina  weitere  Räume  erfüllt.  Die  mit  dem  Bluteintritt  verbundene  oder  etwa 
schon  durch  ein  voraiisgegangenes  Trauma  veranlasste  Zerklüftung  oder  Zertrüm- 
merung des  Corpus  vitreum  Ijegünstigt  selir  das  Schwanken  seiner  Theile  in  grossen 
Excursionen.  So  kömmt  es,  dass  die  von  den  Extravasaten  herrührenden,  bisweilen 
roth  durchschimmernden  Schatten  bei  raschen  Bewegungen  des  Auges  oft  in  un- 
regelmässige Schwingungen  gerathen,  sich  im  Gesichtsfelde  gleichsam  herumrollen. 
Hat  sich  das  Blut  bereits  gesenkt,  so  treten  die  Schatten  wohl  auch  blos  bei 
solchen  Bewegungen  hervor,  um  bei  eingetretener  Ruhe  wieder  zu  verschwinden, 
oder  sie  machen  sich  nur  bei  gewissen  Stellungen  des  Auges  bemerklich.  Durch 
den  Augenspiegel  oder  mit  Hilfe  seitlicher  Beleuchtung  sind  die  Extravasate  un- 
schwer objecfiv  nachzuweisen. 

Sie  verschwinden  im  Laufe  einiger  Wochen  öfters  gänzlich,  naclidem  sie 
sich  in  kleinere  Haufen  und  Punkte  aufgelöst  haben.  Häufiger  jedoch  hinterlassen 
sie  mehr  weniger  stark  pigmentirte,  verschieden  geformte,  bindegewebige  Trübungen 
der  Vitrina,  ja  nicht  selten  führt  die  durch  das  Trauma  oder  durch  die  hämorrha- 
gische Zerklüftung  des  Glaskörpers  als  solche  veranlasste  Entzündung  zur  sehnigen 
Degeneration  des  Corpus  vitreum  mit  Netzhautabhebung,  oder  sie  wird  suppurativ 
und  zerstört  den  Bixlbus  unter  den  Erscheinungen  der  eitrigen  Panophthalmitis. 
Es  ist  ein  solcher  Ausgang,  abgesehen  von  in-  und  extensiven  Verletzungen  des 
Auges,  besonders  zu  fürchten  bei  öfter  wiederholten  Ergüssen  (Förster),  so  wie 
dort,  wo  die  Aderhautgefässe  die  Quelle  abgeben  und  sonach  die  Netzhaut  gleich 
ursprünglich  durch  das  Trauma,  oder  durch  das  hinter  ihr  sich  ansammelnde  Blut 
durchrissen  wurde.  Doch  ist  ai^ch  in  solchen  Fällen  eine,  wenigstens  relative 
Heilung  nicht  ausgeschlossen  (Graefe,  Becker). 

Krankheitsbild.  Die  objective  Wahrnehmbarkeit  der  durch  Hyalitis 
gesetzten  Veränderungen  setzt  die  Durchsichtigkeit  der  vorderen  dioptri- 
schen  Medien  voraus.  Dies  geht  aber  sehr  häufig  frühzeitig  verloren.  Gerade 
in  den  Fällen ,  in  welchen  die  Hyalitis  mit  massenhaften  Producten  auf- 
tritt, pflegt  die  Einsicht  in  das  Innere  des  Auges  gehindert  zu  sein  und 
zwar  bei  der  suppurativen  Form  durch  eitrige  Infiltration  der  Cornea, 
Hypopyon,   hintere  Synechien  und    die  Resultate  einer  Capsulitis ;    bei  der 


160  Hyalitis;  Krankheitsbild. 

chronischen  Form  aber  durch  KapselaufLagerungen ,  Pupillarabschluss  oder 
durch  staarige  Trübung  der  Linse.  Im  Ganzen  genommen  ist  das  Bild  der 
Hyalitis  nur  selten  ein  reines,  fast  immer  liegen  nebenbei  Symptome  vor, 
welche  der  begleitenden  und  wohl  auch  begründenden  Neuroretinitis, 
Chorioiditis,  Kyklitis  u.  s.  w.   zugehören. 

Abgesehen  hiervon  äussert  sich  die  Hyalitis  objectiv  durch  diffuse 
oder  figurirte  Trübungen  im  Inneren  des  Glaskörpers,  welche  ihrer  Aus- 
dehnung und  Dichtigkeit  nach  wesentlich  von  dem  Charakter  des  Pro- 
cesses  abhängen. 

1.  Die  eisten  Anfänge  und  niedersten  Grade  der  Hyalitis  sind  meistens 
nur  mit  Zuhilfenahme  des  Augenspiegels  nachzuweisen,  zumal  bei  enger 
Pupille,  wo  die  Neubildung  zu  wenig  Licht  reliectirt,  um  die  normale 
Schwärze  der  Pupille  zu  beeinflussen.  Durch  den  Augenspiegel  zeigen 
sich  die  entzündeten  Theile  des  Glaskörpers  als  ein  diffuser  feiner  und 
lichter  Nebel,  welcher  sich  in  grösserem  oder  geringerem  Abstände  hinter 
der  Pupille  ausbreitet  und  die  Gefässe  der  Netzhaut,  den  Sehnerveneintritt 
u.  s.  w.  nur  in  verschwommenen  Umrissen  erkennen  lässt.  Namentlich  bei 
gewissen  Einfallswinkeln  des  vom  Spiegel  reflectirten  Lichtes  tritt  der 
Nebel  deutlich  in  die  Erscheinung  und  concentrirt  sich  wohl  auch  schon 
hier  und  da  zu  dichteren  Tüpfeln,  verschwommenen  Flecken,  Streifen, 
Blättern. 

2.  Ist  der  Process  weiter  gediehen,  so  wird  die  Trübung  natürlich  viel 

auffälliger    und    man    gewahrt    in    der  Regel    schon  mit  freiem  Auge  etwa 

vorhandene  figurirte   Bindegewehsneuhildungen    mit  ihren  Beimischungen  von 

Pigment    und  Cholestearin.  Es  scliimmern  diese  öfters  nur  ganz  undeutlich 

aus  der  diffusen  Trübung  heraus;  in  andern  Fällen  jedoch  ist  ihr    Detail, 

besonders  mit  Zuhilfenahme  des  Augenspiegels,  ganz  deutlich  zu  erkennen, 

indem  sie  über  die  Grenzen  der  nebelig  getrübten  Partien  des  Glaskörpers 

heraustreten.     So   findet   man,    vorzüglich    an    den    peripheren  Theilen    des 

Glaskörpers    und    an    seiner    Vorderzone ,    öfters    gelbliche    oder   weissliche 

zarte    Tüpfel,  unregelmässige  wolkig   begrenzte  Flocken,    mannigfaltig  unter 

einander    verschlungene    Fäden    und    Netzwerke,    eingebettet    in    eine    zarte 

florige  Trübung.      In  anderen  Fällen  zeigen  sich  neben  oder  ohne  solchen 

Gebilden  Balken    oder  Blätter  von    ziemhch  gesättigter  weissgelblicher ,    im 

Augenspiegelbilde   oft    fast    schwarzer  Farbe,    welche  den  Glaskörper  nach 

verschiedenen  Eichtungen  hin  durchsetzen  und,    indem  sie  sich  theilweise 

durchkreuzen,   öfters  Fachwerke  construiren.     In  einzelnen  Fällen  kommen 

sogar  Gefässe  in  Sicht,  welche   sich  nach    den   verschiedensten  Richtungen 

verzweigen  (Coccius,    0.  Becker,  Sämisch).     Alle  diese    entoptischen  Körper 

pflegen  sehr  beweglich  zu  sein,   bei   raschen  Wendungen  des  Auges  lebhaft 

zu  schwingen  oder  förmlich  durcheinander  zu  wirbeln  und  dies,   ohne  dass 

der  Glaskörper  verflüssigt  wäre. 

Man  sieht  diese  Trübungen  am  besten,  wenn  man  bei  der  Untersuchung  im 
umgekehrten  Bilde  die  Loupe  so  weit  vom  Auge  wegrückt,  dass  die  Cornea  und 
Iris  deutlich  hervortreten  (Schioeigger) ,  oder  wenn  man  den  binocularen  Spiegel 
benützt  (Knapp). 

Ist  ein  fremder  Körper,  ein  Linsenfragment  etc.  in  den  Glaskörper 
gedrungen,  so  sieht  man  öfters  den  ersteren  und  den  ganzen  Wundkanal 
von  einer  dichten  Hülle  kapselähnlich  umgeben,  aus  welcher  zahlreiche, 
wolkig   oder   streifig    begrenzte    Balken    und  Blätter    ausgehen  und  welche 


Aiisgäiigo;  Synchy.sis;  Alihuhuupf  lins  (ilaslcöipois.  161 

das  Corpus  peregrinum  mit  seiner  eigenthümlichen  Farbe  nur  undeutlich 
oder  gar  nicht  durchscheinen  lässt. 

3.  Wo  die  vorderen  dioptrischen  Medien  ihre  Durchsichtigkeit  erhal- 
ten haben  und  der  Wahrnehmung  objectiven  Lichtes  kein  Hinderniss  in 
dem  Wege  steht,  machen  sich  die  Herde  der  Hyalitis  auch  subjectiv  bemerkbar 
durch  einen  mehr  oder  weniger  dichten  Nebel,  welcher  das  Gesichtsfeld 
deckt,  beziehungsweise  auch  durch  dunkle  Schatten,  welche  in  Grösse,  Form 
und  Lage  den  figurirten  Neubildungen  entsprechen  und  sich  von  den 
eigentlichen  Scotomen  (Siehe  diese)  nur  durch  den  Mangel  der  charakteristi- 
schen Detailzeichnungen  unterscheiden. 

Ausgänge.  Die  Producte  der  Hyalitis  sind  im  Allgemeinen  um  so 
weniger  veränderlich,  je   höher  sie  sich  bereits  oi'ganisirt  haben. 

1.  Diffuse  Trübungen  des  Glaskörpers  sind,  besonders  anfänglich,  sehr 
wandelbar.  Sie  entwickeln  sich  oft  überaus  rasch  und  breiten  sich  in  kür- 
zester Zeit  über  den  ganzen  Glaskörper  aus ;  verschwinden  aber  eben  so 
schnell,  um  abermals  hervorzutreten  u.  s.  f.  Geht  die  Entzündung  der  als 
Mutterorgane  fungirenden  vascularisirten  Hüllen  des  Glaskörpers  zurück  und 
werden  die  Nutritionsverhältnisse  im  Innern  des  Augapfels  dauernd  günstig 
gestaltet,  so  gelangt  auch  das  Corpus  vitreum  häufig  wieder  zur  vollen  Nor- 
malität. Wiederholen  sich  aber  solche  Entzündungen  öfters,  oder  werden  die 
Muttei'organe  durch  den  Process  wesentlich  alterirt,  so  trägt  auch  der  Glas- 
körper in  der  Regel  beträchtliche  Schäden  davon. 

a)  In  manchen  Fällen  löst  sich  der  Glaskörper  in  eine  serumäknliche 
Flüssigkeit  auf,  welche  eine  wechselnde  Menge  von  regressiv  metamorpho- 
sirten  Resten  der  entzündlichen  Neoplasien:  Zellenhaufen,  Gerinnsel,  Pig- 
mentklumpen, einzelne  und  zusammengebackene  Cholestearinkrystalle,  Fett- 
kugeln u.  s.  w.  enthält.  Es  verräth  sich  dieser  Zustand,  die  Synchysis, 
gewöhnlich  durch  excursive  Schwankungen  der  Iris  und  Linse,  so  wie  durch 
überaus  auffällige  ophthalmoscopische  Erscheinungen.  Es  senken  sich  nämlich 
bei  völliger  Ruhe  des  Augapfels  die  erwähnten  undurchsichtigen  Körper  gänz- 
lich auf  die  tiefste  Stelle  des  Augengrundes  nieder  und  verschwinden  sohin 
aus  dem  Gesichtsfelde  des  beobachtenden  und  beobachteten  Auges.  Bei  einer 
raschen  Bewegung  aber  wirbeln  sie  empor,  schiessen  nach  den  verschieden- 
sten Richtungen  hin  und  her   und  fallen   dann  allmälig  wieder   zu  Boden. 

Im  Falle  als  das  Cholestearin  in  der  Flüssigkeit  sehr  reichlich  vertreten  ist, 
geben  die  stark  glitzernden  Körper  ein  überaus  schönes  Bild,  welches  in  besonders 
entwickelter  Form  mit  dem  Sprühen  von  Funken  oder  mit  Sternschnuppen  verglichen 
werden  kann.  Das  Phänomen  kömmt  bei  sonst  fuuctionstüchtiger  Netzhaut  auch  dem 
Kranken  in  Gestalt  von  plötzlich  aufleuchtenden  Sternen  oder  eines  Funkenregens 
zur  Wahrnehmung.  Oefters  finden  sich  nebenbei  Cholestearinnester  in  der  Vorder- 
kammer. Man  nennt  den  Zustand  Synchysis  scintillans  (Desmarres). 

Die  Synchyse  gefährdet  das  Auge  sehr,  indem  sie  meistens  zur  Cataracta 
führt  und  oftmals  Veranlassung  von  theilweisen  oder  gänzlichen  Losreissuugen  des 
Krystallkörpers  wird.  Sie  macht  Staaroperationen  sehr  gefährlich,  besonders  die 
Extraction  und  Depression. 

h)  In  anderen  Fällen  verdichtet  sich  der  Glaskörper  und  schrumpft.  Indem 
er  sich  dann  von  der  hinteren  Augenwand  zurückzieht,  wird  er,  wo  er  nicht 
zu  fest  mit  den  unterlagernden  Häuten  verwachsen  ist,  von  der  Limitans  re- 
tinae abgetrennt  und  die  so  entstandene  Lücke  durch  ein  fibriuhältiges,  mit 
jungen  Zellen  nur  selten  reichlicher  gemischtes  seröses  Product  ausgefüllt. 

Es  kommen  solche  Abhebungen  des  Glasköipers  am  häufigsten  vor  und 
erreichen  die  höchsten  Grade,  wo   grössere  Mengen  eines  zur  Höhergestaltung 

stell  wag,  Augenlieilkuudi'.  11 


162 


Hyalitis ;  Ausgänge";  Schrumpfung. 


hinneigenden  entzündlichen  Exsudates  in  das  Corpus  vitreum  abgelagert 
worden  ist,  im  Gefolge  von  wie  immer  begründeter  primärer  oder  secun- 
därer  Iridochorioiditis,  namentlich  wo  fremde,  Körper  oder  deprimirte  Cataracten 
im  hinteren  Augenraume  sich  zur  Incapsulation  anschicken   (Iwanoff). 

Bei  fortgesetzter  Schrumpfung;  zieht  sich  der  Glaskörper  in  solchen  Fällen 
immer  mehr  von  der  Limitans  zurück,  der  serumerfüllte  Raum  wird  grösser  und 
grösser,  bis  endlich  das  verdichtete,  faserstreifig  gewordene  Gefüge  des  Corpus 
vitreum  nach  Hinten  hin  nur  mehr  mit  der  Papille,  mit  der  durch  ein  Trauma  gesetz- 
ten Narbe  der  Netz-  und  Aderhaut,  oder  mit  der  fibrösen  Hülle  eines  eingedrun- 
genen Fremdkörpers  zusammenhängt.  Bisweilen  wird  unter  dem  mächtigen  Zuge 
der  schrumpfenden  Neubildung  sogar  die  Verbindung  mit  dem  Sehnerveneintritte 
gelöst.  Der  degenerirte  Glaskörper  präsentirt  sich  dann  unter  der  Form  eines  sulzi- 
gen, von  einem  sehnigen  Balkenwerk  durchstrickten  Klumpens  oder  Kuchens,  wel- 
cher der  Zonula  und  Linse  von  Hinten  her  auflagert. 

Ist  jedoch  der  Glaskörper  in  Folge  der  voi'ausgegangenen  Entzün- 
dungen streckenweise  oder  seinem  ganzen  Umfange  nach  inniger  mit  der  Netz- 
haut verwachsen,  so  muss  bei  zunehmender  Volumsverminderung  des  ersteren 
schliesslich  auch  die  letztere  dem  Zuge  folgen,  es  resultirt  eine  comhinirte  Ab- 
hebung des  Glaskörpers  und  der  Netzhaut  oder  eine  Abhebung  der  gesammten 
Netzhaut  allein,  welche  immer  weiter  greift,  so  dass  die  Retina  schliesslich 
nur  mehr  an  der  Ora  serrata  und  am  Sehnerveneintritte  mit  den  Wan- 
dungen des  hinteren  Augenraumes  zusammenhängt. 

^^'  ^^-  Man    findet    dann  von  der  entzündlich 

verdickten  Retina  mehr  weniger  eng  umhüllt 
den  Glaskörper  in  eine  dichte,  oft  wahrhaft 
sehnen'dhnliche  Masse  verwandelt  (Fig.  26  a), 
welche  neben  Nestern  mannigfaltig  umstalte- 
ter  Zellen  und  Kerne  häufig  auch  viel  Pig- 
ment führt  und  durch  flockiges  Bindegewebe 
mit  dem  Ciliarkörper  verwachsen  ist.  Es 
breitet  sich  diese  sehnige  Masse  schalenartig 
aus  und  bildet  so  gleichsam  eine  Unterlage, 
auf  welcher  die  Strahlenfortsätze  und  die 
Linse  eingesenkt  liegen.  Aus  dem  Centrum 
der  Schale  tritt  ein  stielförmiger  solider,  oder 
aus  verzweigten  Balken  bestehender  Fortsatz  h 
nach  hinten,  um  mit  dem  Centrum  der  Papille 
des  Sehnerven  zu  verwachsen.  Schale  und 
Stiel  werden  immer  von  der  abgehobenen 
und  in  Gestalt  eines  Trichters  zusammenge- 
falteten Netzhaut  c  umhüllt.  Die  Schale  ver- 
knöchert bisweilen  und  tritt  an  ihren  Rändern 
in  unmittelbaren  Zusammenhang  mit  einer 
knöchernen  Kapsel  d,  deren  Aussenwand  im- 
mittelbar  an  der  Chorioidea  anliegt  und  deren 
Höhle  von  einem  Fluidum  gefüllt  ist,  das 
die  becherförmig  zusammengefaltete  Netzhaut 
umspült,  und  an  proteinigen  Stoffen  und  deren 
Derivaten  sehr  reich  zu  sein  pflegt. 

Nicht  selten  geljeu  Vereiterungen  der 
Cornea  und  Verlust  der  Linse  die  Veranlassung 
zu  einem  derartigen  Vorgange  im  Inneren 
des  Auges.  Dann  findet  man  (Fig.  27)  den  von 
der  zusammengefalteten  Netzhaut  umhüllten, 
bindegewebig  entarteten  Glaskörper  a  nach 
vornehin  in  unmittelbarer  Verbindung  mit  einer 
sehnigen  Haut  h,  welche  die  Reste  der  Iris  c 

und   die    Ciliarfortsätze    überkleidet   und   in    ihrem   Centrum    innig    zusammenhängt 

mit  der  die  Cornea  ersetzenden  flachen  Narbe  d. 


a..- 


l.. 


Primäre  Glaskörperabhebungen.  163 

In  einem  Falle  war  durch  den  Zug,  welchen  der  schrumpfende  Glaskörper 
ai;t'  die  Papille  ausübte,  diese  zapfen  förmig  nach  vorne  in  den  hintern  Augenraum 
hineingezerrt  und  die  inneren  Schichten  der  trichterartig  abgelösten  Netzhaut  rings 
um  den  Sehnerveneintritt  von  den  äusseren  abgelöst  worden  (Iwanoff). 

Es  sind  derlei  Glaskörperabhebungen,  welche  in  der  Schrumpfung 
der  sehnig  degenerirenden  Vitrlna  ihre  Veranlassung  finden,  als  secundäre 
wohl  zu  untersclieiden  von  anderen,  so  zu  sagen  primären,  bei  welchen 
das  Corpus  vitreum  durch  ein  von  den  unterlagernden  Häuten  geliefertes 
entzündliches  Product  oder  seröses  Transsudat  von  der  Liniitans  retinae 
einfach  weggedrängt  und  abgelöst  worden  ist.  Es  sind  solche  Abhebungen, 
wenigstens  anfänglich,  in  der  Regel  auf  sehr  enge  Grenzen  beschränkt  und 
das  Gefüge  des  Corpus  vitreum  dabei  nur  wenig  verändert,  höchstens  etwas 
reicher  an  jugendlichen  Zellen. 

Man  findet  diesen  Zustand,  bisweilen  neben  kleinen  blasigen  Empor- 
treibungen  der  retinalen  Grenzhaut,  im  Gefolge  von  Panophthalmitis  suppu- 
rativa, nephritischer  Netzhautentziindung  (Knapp,  Berlin,  Iwanoff).  Das  ab- 
lösende Exsudat  pflegt  dann  grössere  Mengen  geformter  Elemente  zu 
enthalten.  In  der  Regel  jedoch  sind  derlei  primäre  Abhebungen  bedingt 
durch  vermehrte  Filtration  wegen  normwidrig  vermindertem  intraoculären 
Drucke,  sei  es  dass  die  Bulbuskapsel  ausgedehnt  oder  ihr  Inhalt  vermindert 
und  so  ein  Raum  geschaffen  worden  ist,  welcher  durch  Flüssigkeit  ausge- 
füllt werden  muss,  um  das  haemostatische  Gleichgewicht  im  Binnenraume 
wieder  herzustellen,  oder  doch  wenigstens  anzustreben.  In  der  That  lassen 
sich  derleiprjmäre  Glaskörperabhebungen  gewöhnlich  nachweisen  im  Bereiche 
grösserer  hinterer  Scleralstaphylome  und  bei  allen  Arten  von  Sclerochorioidal- 
staphylomen.  Sie  entwickeln  sich  weiters  ausserordentlich  gerne  in  Folge  grosser 
und  plötzlicher  Verminderung  der  Binnenmedien,  namentlich  nach  Glas- 
körperverlusten,  wie  selbe  öfters  bei  Staarextractionen  (Gouvea)  und  bei 
geschwürigen  oder  traumatischen  Durchbrüchen  der  Hornhaut  vorkommen 
(Iwanoff) . 

Es  mögen  solche  Glaskörperabhebungen  in  Fällen,  wo  die  Veranlassung 
zu  entzündlichen  Processen  fehlt,  besonders  bei  Staphyloma  posticum,  lange 
Zeit  bestehen,  ohne  sich  in  irgend  einer  Weise  geltend  zu  machen.  \  Wo 
aber  entzündliche  Processe  hinzutreten,  sie  mögen  nun  durch  die  Grundursache 
des  ganzen  Leidens  mitbedingt  sein,  oder  ihre  Quelle  in  der  späteren  Ein- 
wirkung von  Schädlichkeiten  finden:  da  kömmt  es  nicht  selten  secundär 
zu  Verwachsungen  des  Glaskörpers  mit  seiner  Umgebung  und  zur  bindege- 
webigen Degeneration,  welche  dann  weiter  durch  die  Schrumpfung  nicht 
nur  die  Glaskörperabhebung  bedeutend  vergrössern,  sondern  sich  mit  einer 
Amotio  retinae  combiniren  und  so  einen  Zustand  herbeiführen  kann,  welcher 
von  den  oben  geschilderten  secundären  Abhebungen  nicht  mehr  zu  unter- 
scheiden ist  (Iwanoff). 

2.  Nicht  jede  bindegewebige  Neubildung  im  Glaskörper  jedoch  führt 
nothwendig  zur  Synchyse  oder  zur  Abhebung.  Vielmehr  bestehen  häufig 
die  mannigfaltigsten  fädigen,  flockigen,  balkenähnlichenund  membranösen  Trü- 
bungen des  Corpus  vitreum  lange  Jahre,  ohne  dass  das  letztere  weitere 
erhebliche  Veränderungen  einginge. 

Massigere  Bindegewebsneubildungen  trifi"t  man  relativ  am  häufigsten 
in  Gestalt  figurirter  oder  unregelmässig  begrenzter,  sehnenartig  glänzender 
Flecken  der  Mitte  der  Hinterkapsel  flach  anlagernd.   Man  nennt  sie  Polarstaare 

11* 


\Q4:  Hyalitis;  Ausgänge:  Polarstaar;  Cataracta  hyaloidea. 

schlechtweg  oder  hintere  Polar  Cataracten.  Falls  sie  aber  die  ganze  hintere 
Krystallfläche  schalenartig  decken,  heissen  sie  Glaskörper staar,  Cataracta 
hyaloidea.  Es  kommen  Fälle  vor,  wo  die  vorderste  Zone  des  Glaskörpers 
in  einem  bindegewebigen  Neugebilde  völlig  aufgegangen  ist  und  die  Linse 
in  der  Concavität  einer  sehnenähnlichen  Scheidewand  zu  liegen  scheint, 
welche  den  liinteren  Augenraum  von  dem  vorderen  völlig  abschliesst. 

Der  Polarstaar  scheint  vielfältig  mit  dem  hinteren  Kapselstaare  zusammen- 
geworfen zu  werden ,  wozu  allerdings  beiträgt ,  dass  beide  zuweilen  comhinirt  vor- 
kommen. Doch  sind  sie  wesentlich  verschiedene  Zustände,  indem  der  läutere  Kapsel- 
staar  seinen  Sitz  innerhalb  der  Kapselhöhle  selbst  hat  und  aus  Wucherungen  oder 
dem  Zerfalle  von  Elementen  hervorgeht,  welche  ganz  eigentlich  der  Linse  zuge- 
hören. Demgemäss  zeigt  denn  auch  der  hintere  Kapselstaar  bei  schiefer  Beleuchtung 
stets  eine  rauhe,  oft  körnige  Oberfläche  oder  ragt  gar  in  den  Krystall  hinein, 
während  dem  Polarstaar  eine  glänzende  glatte  Vorderfläche  zukömmt,  welche  sich 
genau  dem  hinteren  Umfange  der  Linse  anschmiegt. 

Der  Polarstaar  ist  übrigens  gewiss  nicht  immer  entzündlichen  Ursprunges, 
auf  Hyalitis  beruhend.  Obgleich  er  sich  nämlich  in  Gesellschaft  von  anderweitigen 
Veränderungen  des  Bulbus ,  welche  auf  ausgebreitete  Wucherungsprocesse  deuten, 
vorzugsiveise  findet,  kömmt  er  doch  auch  oft  genug  in  Augen  vor,  in  welchen  weder 
der  Zustand  der  einzelnen  Organe,  noch  die  Anamnese  Anhaltspunkte  für  eine  Be- 
gründung durch  Entzündung  bieten.  Er  dürfte  dann  angehören  sein.  Es  ist  dies 
um  so  wahrscheinlicher,  als  er  gerne  neben  verschiedenen  Bildlingsmängeln  des 
Bulbus ,  neben  sehr  stark  ausgesprochenem  Lang-  oder  Rundbau,  neben  typischer 
Pigmententartung  der  Netzhaut,  neben  Coloboma  oculi,  Mikrophthalmus  u.  s.  w. 
auftritt  und  meistens  hinocidar  ist.  Ausserdem  spricht  für  eine  solche  Annahme, 
dass  er  öfter  mit  Nystagmus  einhergeht,  einem  Uebel,  welches  fast  ausschliesslich 
aus  Sehstörungen  in  den  frühesten  Jugendperioden  sich  entwickelt.  Es  liegt  die 
Vermuthung  nahe,  dass  sein  nächster  Grund  in  einer  unvollständigen  Rückbildung 
der  Arteria  hyaloidea  und  der  an  der  Hinterwand  des  Krystalles  sich  verzweigenden 
Aeste  derselben  zu  suchen  sei  (Amnion).  Es  macht  sich  in  seinem  Gefüge  nämlich 
mitunter  eine  starke  Pigmentirung  geltend;  ausnahmsweise  sind  darin  noch  blut- 
gefüllte Gefässe  getroflen  worden  (Hasner),  ja  in  einem  Falle  bei  einer  Ziege  konnte 
man  die  Arteria  hyaloidea  von  der  Papille  bis  zum  Polarstaare  verfolgen  (H.  Müller). 

Die  Polarcataracta  führt  in  späteren  Lebenspei'ioden  gerne  zum  Totalstaare. 
Ihre  operative  Beseitigung  ist  sehr  schwierig  und,  so  lange  die  Linse  ihre  Durch- 
sichtigkeit bewahrt,  überaus  gefährlich. 

3.  Bei  eitriger  Infiltration  des  Glaskörpers  kömmt  es  meistens  zu  förm- 
licher Schmelzung,  es  bildet  sich  im  Inneren  des  Bulbus  eine  Quantität  Eiter, 
welche  in  der  Eegel  durchbricht,  indem  die  Cornea  oder  Sclera  ebenfalls 
entzündet  wird  und  schmilzt,  oder  gar  brandig  abstirbt.  Der  Bulbus  geht 
dann  durch  Phthisis  zu  Grunde.  Manchmal  jedoch  atrophirt  er  ohne  vor- 
läufigen Durchbruch   und  schrumpft. 

Die  Behandlung  fällt  im  Allgemeinen  mit  jener  des  eigentlichen 
Grundleidens,  der  A'etzhaut-  und  Aderhautentzündung,  zusammen.  Es  sei 
daher  nur  erwähnt,  dass  bei  frischen  entzündlichen  ditfusen  Glaskörpertrü- 
bungen, wenn  sie  nicht  etwa  Nebenerscheinungen  des  Glaucoms  sind,  wel- 
ches seine  besonderen  Indicationen  stellt,  die  Schmierkur  sich  als  ein  ganz 
besonders  wirksames  Mittel  empfiehlt. 

Organisirte  membranöse  oder  balkenähnliche  Bindegeivebsneubildungen,  wie 
selbe  nach  intensiveren  Glaskörperentzündungen,  Blutaustritt  u.  s.  w.  öfter 
vorkommen  und  sowohl  durch  Beeinträchtigung  des  Sehvermögens  als  auch 
durch  ihre  Rückwirkung  auf  die  Netzhaut  in  hohem  Grade  verderblich 
werden  können,  legen  den  Versuch  nahe,  dieselben  mittelst  zarter  Sichel- 
nadeln durch  Scleronyxis  zu  zerschneiden  oder  zu  zerreissen,  und  so  eine 
Zurückziehung    der    einzelnen     Segmente    in    centrifugaler    Richtung    anzu- 


Fohiiiifllniif,' ;  Quellen.  165 

bahnen  (Graefe).  Die  bisherigen  Erfahrungen  scheinen,  was  Durchführbar- 
keit und  Resultate  belangt,  zu  einem  solchen  Vorgange  in  geeigneten  Fällen 
aufzumuntoru. 

Quellen.  Anatomie:  Brücke,  anat.  Boschreih,  des  m.  Auges.  Berlin,  1847.  S.  31, 
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A.  f.  O.  L  1.  S.  351,  357,  IL  2.  S.  277,  IIL  2.  S.  337,  340,  347,  349,  352,  IX.  2. 
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Congres  ophth.  Paris.  1868.  S.  121;  kl.  Monatbl.  1868.  S.  297.  —  Schweiger  A.  f.  O. 
V.  2.  S.  221,  227;  VL  2.  S.  259,  261,  272,  276;  IX.  1.  S.  199;  Vorlesungen  über 
den  Gebrauch  des  Augenspiegels.  Berlin,  1864.  S.  51;  kl.  Monatbl.  1864.  S.  326.  — 
Pagenstecher  A.f.O.  VII.  1.  S.  92,  114;  Centralbl.  1869.  S.  676.  —  aÄi«e)- A.f.O.VIIL  1, 
S.  12,  52.  —  Schiess- Gemiiseus  ibid.  IX.  1.  S.  39;  XL  1.  S.  143,  154,  168.  —  Jacobson 
ibid  XL  2.  S.  152.  —  Kittel,  Allg.  Wiener  med.  Zeitg.  1864.  Nro.  43—45.  — 
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Galezowsky,  Ann.  d'oc.  51.  Bd.  S.  125.  —  Desmarres  ibid.  14.  Bd.  S.  220  u.  Traite 
des  mal.  d.  yeux.  Paris,  1847.  S.  665.  —  K7iapp.  kl.  MonatbL  1863.  S.  320; 
Congres  ophth.  Paris  1868,  S.  122;  A.  f.  O.  XIII.  1.  S.  138,  162.  —  Schauenburg, 
Ueber  Cholestearinbildung  im  m.  Auge.  Erlangen,  1852.  —  Seidel,  Wiener  med. 
Wochenschrift  1851.  Nro.  34,  35.  —  Rydel,  Tetzer,  0.  Becker,  Wien.  med.  Jahrb. 
1866.  4.  S.  60,  63,  65.—  Czerny,  Wien.  med.  Jahrb.  1867.  1.  S.  33,  41.  —  Berlin, 
A.f.O.  XIIL  2.  S.  283,  287,  298;  XIV.  2.  S.  275;  Arch.  f.  Aug.  und  Ohrhlkde.  I. 
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Lehrb.  der  Ophthscop.  S.  151.  —   Gouvea,  A.  f.  O.  XV.  1.  S.  245. 


166  Sehnerv;  Anatomie. 

DRITTER  ABSCHNITT. 

Entzündung  des  Sehnerven,  Neuritis  optica. 


Anatomie.  Der  Sehuerve  entspringt  mit  einer  vorderen  Wurzel  aus 
dem  Thalamus  opticus,  mit  einer  hinteren  aus  der  Vierhügelregion  und  erhält 
ausserdem  noch  Fasern  von  den  knieförmigeu  Körpern,  von  der  Substantia 
perforata  antica,  dem  Tuber  cinereum  und  der  Lamina  terminalis.  Er  steht 
durch  einige  Faserbündel  in  directer  Verbindung  mit  den  Hintersträngen  des 
Rückenmarkes  und  der  grauen  Substanz  der  Hirnrinde.  Sein  Stamm  tritt  als 
Tractus  opticus  oder  Stria  optica  an  der  hinteren  unteren  Fläche  des  Seh- 
hügels aus  dem  Gehirne  hervor  und  streicht  in  Gestalt  eines  flachen  Ban- 
des, die  Hirnschenkel  kreuzend ,  ohne  Neurilem ,  blos  von  der  weichen 
Hirnhaut  umsponnen,  an  der  Seite  des  Tuber  cinereum  nach  vorne,  um 
sich  vor  dem  Trichter  theilweise  mit  dem  Tractus  der  anderen  Seite  im 
Chiasma  zu  vereinigen. 

Dieses  im  Vereine  mit  den  beiden  Vordertheilen  der  Striae  umfasst 
den  Boden  der  dritten  Gehirnkammer  nach  vorne  und  aussen.  Von  seinen 
Seitentheilen  gehen  die  beiden  eigentlichen  Sehnerven  ab,  welche,  mit  Neuri- 
lem bekleidet,  über  die  beiden  Segmente  der  Arteria  corporis  callosi  hinü- 
ber ziemlich  divergent  zu  den  beiden  Sehlöchern  laufen.  An  deren  Vorder- 
seite werden  die  Sehnerven  von  einer  fibrösen  Scheide,  deren  äusserer  Theil 
eine  Fortsetzung  der  Periorbita  ist,  überzogen  und  begeben  sich  in  etwas 
geschlängeltem  Laufe  zum  Augapfel,  um  sich  nach  innen  und  unten  von 
dem  Centrum  der  hinteren  Scleralhälfte  zu  inseriren. 

Im  Chiasma  findet  eine  theilweise  Kreuzung  der  Nervenfasern  statt. 
Es  geht  nämlich  von  der  inneren  Seite  eines  jeden  Tractus  ein  Bündel 
von  Nervenfasern  zum  Sehnerven  der  anderen  Seite  und  mit  diesem  zur 
inneren  Hälfte  der  Netzhaut.  Der  grösste  Theil  der  Fasern  jedes  einzelnen 
Tractus  bleibt  jedoch  auf  derselben  Seite  imd  streicht  durch  den  äusseren 
Theil  des  Chiasma  zum  Opticus,  um  sich  in  der  äusseren  Hälfte  der  Ketina 
auszubreiten. 

Ausserdem  finden  sich  im  Chiasma  noch  Nervenfasern  von  ganz  differenter 
Verlaufsweise.  Eine  Anzahl  derselben  entspringt  von  der  Lamina  terminalis  cinerea, 
schlingt  sich  über  den  vorderen  Rand  des  Chiasma  an  dessen  untere  Fläche  und 
kehrt,  an  dem  hinteren  Rande  vorbeiziehend,  nach  oben  ziirück,  um  sich  im  grauen 
Höcker  und  Trichter  zu  verlieren  (Comviissura  ansata).  Eine  andere  Portion  von 
Nervenfasern  geht  von  dem  innersten  Rande  des  Tractus  zum  hinteren  Rande  des 
Chiasma  und  läuft  an  der  inneren  Seite  des  anderen  Tractus  vi^ieder  zurück.  In 
gleicher  Weise  geht  auch  ein  Bündel  von  Nervenfasern  von  dem  einen  Sehnerven 
an  der  vorderen  Seite  des  Chiasma  zum  anderen  Opticus  (Commissura  arcuata  posterior 
et  anterior,  (Hannover,  Bowman). 

Die  fibröse  Scheide  des  orbitalen  Sehnervenstückes  lässt  sich  in  zwei 
feste  bindegewebige,  mit  elastischen  Elementen  untermischte  Schichten  tren- 
nen, eine  äussere  dickere  a  (Fig.  28.  Nach  einem  Präparat  von  Czerny), 
welche  reiche  Nervenplexus  enthält  (Sappey),  und  eine  innere  dünnere  b. 
Zwischen  beiden  findet  sich  eine  zarte  Lage  c  lockeren  Bindegewebes  mit 
einzelnen    eingelagerten  Fettzellen,    welche   Lage    sich    nach   vorne    bis   in 


Bindegewebsring ;  Lamina  cribrosa. 


167 


Fiff.   28. 


die  Dicke  der  Lederhaut  d  fortsetzt.  Das  äussere  Stratum  der  fibrösen  Scheide 
gellt  nämlich  ununtci'brochcn  und  unter  stumpfem  Winkel  in  die  hinteren 
und  mittleren  Lagen  der  hinteren  Scleralhälfte  über.  Die  innere  Schichte 
der  Scheide  aber,  welche  das  Neurilem  vorstellt,  dringt  nach  vorne  bis  zur 
intraocidaren  Fläche  der  Sclerotica  und  biegt  daselbst  unter  mehr  spitzem 
Winkel  in  die  vorderen  Lagen  der  Lederhaut  ein.  Es  wird  so  am 
Foramen  optictim  sclerae  ein  etwas  vorspringender  Hand,  der  Bindegewehs- 
oder  Scheidenring  (Ed.  Jaeger),  gebildet,  an  welchem  sich  der  Rand  der 
hinteren  Oeffnung,  der  Aderhaut  e  durch  faseriges  Gewebe  anheftet.  Nach 
hinten  weitet  sich  die  Scleralötfnung  etwas  aus.  Sie  wird  von  dem  Vorder- 
theile  des  Sehnerven  völlig  ausgefüllt. 

Von  der  inneren  Fläche 
des  Neurilcms  geht  im  ganzen 
Laufe  des  Sehnerven  eine  grosse 
Anzahl  von  festen  sehnigen 
Fortsätzen  ab ,  welche  die 
einzelnen  Bündel  des  Markes 
umhüllen  und  in  welchen  sich 
die  Vasa  nutrientia  und  die 
Nerven  des  Markes  verzweigen. 
Nach  vorne  hin ,  nahe  der 
Sclerotica,  sind  diese  Fortsätze 
oder  „inneren  Nervenscheiden" 
reichlicher  und  werden  durch 
ein  dichtes  Maschenwerk  von 
elastischen  Elementen  verstärkt, 
welche  von  der  dicken  sehni- 
gen Scheide  der  Arteria  centralis  retinae  h  ausgehen,  sich  mit  analogen, 
von  der  Sclera  kommenden  Fasern  verbinden  und  so  eine  siebförmig 
durchlöcherte  Haut,  die  sogenannte  Lamina  cribrosa  f  darstellen.  Diese 
schliesst  das  Foramen  opticum  sclerae  mit  etwas  nach  hinten  gerichteter 
Convexität,  gewährt  den  Sehnervenfaserbündeln  und  den  sie  begleitenden 
Scheiden  aber  den  Durchtritt.     Sie  enthält  oft  Gruppen  von  Pigmentzellen. 

Jenseits  der  Lamina  cribrosa  treten  die  Bündel  der  Sehnervenfasern 
mehr  auseinander  (Cauda  equina  nervi  optici  g),  bleiben  aber  von  binde- 
gewebigen Scheiden,  welche  hier  durchsichtig  werden,  bis  in  die  eigent- 
liche Netzhaut  i,  deren  Stabscliichte  durch  k  angedeutet  ist,  umhüllt.  In 
den  Lücken  derselben  findet  man  eine  grössere  Anzahl  von  freien  Kernen 
oder  kleinen  Zellen,  welche  ihrem  ganzen  Wesen  nach  einige  Aehnlichkeit 
mit  den  im  Glaskörper  vorfindigen  Zellenbildungen  darbieten  und  auch 
in  einem  näherem  Bezug  zu  dem  Glaskörper  selbst  stehen  dürften.  An 
der  betreffenden  Stelle  fehlt  nämlich  die  Limitans,  die  Glaskörper- 
substanz lagert  unmittellbai"  auf  dem  von  weichem  Bindegewebe  durch- 
zogenen Zellenneste.  Die  Limitans  entwickelt  sich  erst  in  einiger 
Entfernung  vom  Centrum,  durch  das  ZusammenÜiessen  der  bindege- 
webigen Fasern  (Klebs) .  Die  Nervenröhren  werden  daselbst  marklos, 
gleich  den  Scheiden  durchsichtig  und  hell,  gelbUch  oder  graulich,  und 
nehmen  ganz  den  Charakter  der  feinsten  Röhren  in  den  Centralorganen 
an.  Der  Kopf  des  Sehnerven   wird   sonach  in  einem  gewissen  Grade  durch- 


168 


Sehnerv :  Anatomie  :  Ang-ebonie  Excavationen. 


scheinend,  so  dass  im  ophthalmoskopischen  Bilde  die  Lamina  cribrosa   zur 

Wahrnehmung  kömmt.  , 

Es  ist  diese  Grenze  zwischen  pelhicidem  und  trübem  Gewebe  jedoch  nicht 
immer  eine  ganz  scharfe  und  an  die  Siehhaui  gebundene.  Mitunter  werden  die  opti- 
schen Nervenröhren  bis  in  die  Netzhaut  hinein  von  ihren  Markscheiden  begleitet, 
namentlich  die  jje?'yj/ier  im  Nervenstamme  streichenden.  Auch  kömmt  es  vor,  dass 
die  inneren  Nervenscheiden  theilweise ,  besonders  an  der  peripheren  Zone  des 
Nervenkopfes  ihre  Trübheit  bewahren.  Umgekehrt  findet  man  Fälle,  wo  die  cen- 
tralen Theile  des  Nervenkopfes  absolut  stärker  durchsichtig  sind,  als  in  der  Norm, 
oder  wo  die  Röhren  schon  vor  ihrem  Durchtritte  durch  die  Lamina  cribrosa  ihre 
Markscheide  ver-loren  haben.  Im  Äiigens^iiegelhilde  präsentiren  sich  diese  anatomischen 
Varianten  in  der  Gestalt  von  Aiishöhhingen  des  Nervenhopfes.  Sie  werden  darum 
auch  als  „scheinbare  ayigeborene  Excavationen"'  beschrieben  (Ed.  Jaeger). 

Die  Sehnervenfasern  sammt  ihren  Hüllen  erheben  sich,  ehe  sie  in 
die  Netzhaut  eintreten,  merklich  über  das  Mveau  der  inneren  Scleralfläche 
und  bilden  so  einen  kleinen  Vorsprung,  die  Papilla  nervi  optici.  Diese  er- 
scheint am  Cadaver  öfters  schüsseiförmig  mit  etwas  aufgeworfenen  Rändern, 
häufiger  ist  sie  genabelt,  oder  zeigt  gar  eine  trichter-  oder  napfförmige  Ver- 
tiefung, eine  „loirkliche  angeborene  Excavation^^  (Ed.  Jaeger,  H.  Müller).  Die- 
selbe liegt  immer  näher  dem  Nasenrande. 

Es  sind  solche  ivirkliche  angeborne  Excavationen  meistens  nicht  tief,  sie  reichen 
nur  selten  über  die  Choroidalebene  nach  hinten,  lassen  dafür  aber  an  ihrem  Rande 
die  Umbiegung  der  Gefässe  deutlich  erkennen,  wodurch  sie  sich  wesentlich  von 
den  scheinbaren  Excavationen  unterscheiden.  Doch  kommen  beide  Formen  der  Aus- 
höhlung wohl  auch  combinirt  vor,  indem  eine  wirkliche  angeborene  umfangsreiche 
Excavation  sich  theilweise  durch  pellucides  Gewebe  a  ausgefüllt  erweiset.  (Fig.  29 
nach  Ed.  Jaeger). 


Fig.;;29. 


Die  centrale  Schlagader  ent- 
springt bald  direct  von  der  Arteria 
ophthalmica,  bald  ist  sie  ein  Zweig 
eines  Ciliar-  oder  Muskelastes.  Sie 
bohrt  sich  einige  Linien  hinter 
der  Sclerotica  schief  durch  die 
Scheiden  und  das  Mark  des  Seh- 
nerven und  läuft  dann,  eingehüllt 
von  einer  sehr  mächtigen  Adven- 
titia,  von  welcher  allenthalben 
zahlreiche  Fasern  ins  innere  Neu- 
rilem  ausstrahlen ,  gewöhnlich 
ohne  abzuzweigen,  nach  vorne 
bis  in  die  Papille.  Innerhalb  der  Masse  der  letzteren  theilt  sie  sich  in 
zwei  Hauptäste,  deren  einer  nach  oben,  der  andere  nach  unten  zieht  und 
meistens  noch  im  Bereiche  der  Papille  oder  nahe  dem  Rande  derselben 
eine  weitere  Zweitheilung  eingeht,  so  dass  vier  Hauptäste  in  divergenter 
Richtung  in  die  Netzhaut  eintreten. 

Die  Netzhautvenen  sammeln  sich  in  Uebereinstimmung  mit  den  Arterien 
gewöhnlich  in  zwei  obere  und  zwei  untere  Hauptäste,  welche  in  convergiren- 
der  Richtung  der  Mitte  des  Sehnerveneintrittes  zustreben.  Gewöhnlich 
vereinigen  sich  diese  vier  Hauptäste  nahe  der  Papille  oder  auf  dieser 
in  zioei  Hauptstämme,  welche  dann  an  einem  Punkte  neben  der  Arterie  zu- 
sammenfliessen  oder  getrennt  bis  zur  Siebhaut  laufen,  um  sich  dort  zu  ver- 
binden. 


ßefasse:  Augenspie^elbild.  160 

Bisweilen  geschiciit  es  auch,  dass  alle  vier  Hauptvencn  in  grösserer  oder 
geringerer  Entfernung  von  dem  Arterienstamme  in  die  Substanz  der  Papille  ein- 
treten i^nd  sich  erst  weiter  hinten  im  Kopfe  des  Sehnerven  verhindert,,  oder  möglicher 
Weise  wohl  auch  ohne  get/enseitigen  Zusammenhang  aus  der  Scheide  des  Sehnerven 
heraustreten  und  sich  in  die  orbitalen  Stämmchen  ergiessen. 

In  keinem  Falle  ist  die  Vena  centralis  mit  der  Arterie  in  Einer  Scheide 
eingesclilossen  und  in  der  Regel  verlässt  die  erstere  schon  nahe  an  der  Hinter- 
wand der  Sclorotica  den  Nervus  opticus.  Sie  geht  meistens  unmittelbar 
in  den  Sinus  cavernosus  über,  steht  dann  jedoch  immer  durch  mehrere 
Aeste  mit  den  beiden  Venis  opthalmicis  in  Verbindung,  communicirt  also 
auch  mit  der  Vena  facialis  anterior  (Sesemann). 

Immer  findet  sich  neben  den  Hauptästen  der  Centralgefässe  eine 
grosse  Anzahl  Icleiner  arterieller  und  venöser  Zweige  im  Bereiche  der  Papille. 
Es  anastomosiren  dieselben  vielfach  mit  den  Gefässen  der  Netz-  und  Ader- 
haut und  stellen  so  eine  vasculare  Verbindung  zwischen  dem  Ciliar-  und 
Netzhautgefässsysteme  her  (Leber). 

Sie  liegen  bald  höher,  bald  tiefer  in  der  Masse  der  Papille.  Ihre  Stäramchen 
passiren  die  Lamina  cribrosa  theilweise  entfernt,  theilweise  in  nächster  Nähe  von 
den  Hauptgefässen;  theilweise  endlich  gehen  sie  erst  im  Bereiche  der  Papille  aus 
den  Centralgefässen  und  dem  hinteren  Scleralkranze  (Leber)  hervor.  Mit  Ausnahme 
der  letztgenannten  Aestchen  sind  sie  zumeist  Ausläufer  der  a^'teriellen  und  venösen 
Nährgefässe  des  Sehnerven.  Die  meiste^i  der  Nährgefässe  entspringen  aus  den  Ciliar- 
und  Muskelarterien,  bohren  sich  mit  einzelnen  Nervenästchen  in  die  Scheiden  ein, 
lind  dringen  endlich  mit  den  faserigen  Fortsätzen  der  inneren  Scheide  ins  Mark 
des  Opticus. 

Im  Stamme  und  besonders  in  der  inneren  Scheide  des  Opticus  sollen  die 
Lijmphgefässe  sehr  reichlich  sein  und  mehr  unabhängig  von  den  Blutgefässen  ver- 
laufen. Man  hält  sie  für  die  Abzugskanäle  der  retinalen  Lymphwege.  (His).  In  der 
Lamina  cribrosa  sollen  die  Lymphgefässe  ein  dichtes  Netz  bilden,  welches  mit  dem 
Zwischenscheidenraume  in  Verbindung  steht  (H.  Schmidt).  Dieser  letztere  aber 
wird  für  einen  mit  Endothel  überkleideten  Lymphraum  erklärt,  welcher  mit  dem 
Arachnoidalraume  der  Schädelhöhle  zusammenhängt  (Schwalbe). 

Ophthalmoskopisches  "Bild.  1.  Der  Sehner  ceneintritt  stellt  sich  bei 
der  Untersuchung  mit  dem  Augenspiegel  als  eine  helle,  von  der  Umgebung- 
stark  abstechende,  rundliche  Scheibe  dar,  auf  welcher  man  die  centreden 
Stücke   der  Netzhautgefässstämme  nach  oben  und  unten  streichen  sieht. 

Die  Scheibe  ist  selten  völlig  kreisrund,  öfters  leicht  oval  mit  senkrecht  ge- 
stellter Längsaxe,  bisweilen  an  einer  oder  der  anderen  Seite  etwas  abgeflacht  oder 
ausgebuchtet.  Der  Winkel,  in  welchem  sie  jeweilig  zur  Visirlinie  steht,  hat  auf  die 
Form,  in  welcher  sie  sich  dem  untersuchenden  Auge  präsentirt,  einen  sehr  bedeuten- 
den Einfluss  und  kann  leicht  zu  Täuschungen  Veranlassung  geben. 

Die  Scheibe  ist  meistens  scharf  contourirt,  da  ihre  Grenzmarke,  der 
Rand  der  hinteren  Aderhautöffnung,  nur  durch  die  pellucide  Sehnervenaus- 
breitung gedeckt  wird.  Dieser  Chorioidalrand  ist  öfters  stellenweise  oder 
seiner  ganzen  Ausdehnung  nach  von  dunklem  Pigmente  eingesäumt;  daher 
man  denn  auch,  namentlich  bei  dunkelhaarigen  Individuen,  an  der  Grenze 
des  Sehnerveneintrittes  öfters  einen  schwarz-  oder  braunkömigen  Streifen  fin- 
det, welcher  einen  Bogeutheil,  oder  auch  die  gesammte  Peripherie  der 
Scheibe  umgibt.  Ausserdem  findet  man  die  Sehnervenscheibe  ziemlich  oft 
von  einem  hellen  weisgelblichen  Ring,  dem  Bindegewebs-  oder  Scheidenring 
(Fig.  H,  N),  umgeben,  welcher  bei  verschiedenen  Menschen  eine  verschie- 
dene Breite  hat,  übrigens  auch  in  demselben  Falle  an  verschiedenen  Stellen 
in  der  Breite  wechselt  und  oft  sogar  auf  eine  schmale  mondsichelförmige 
Figur  reducirt  ist,  welche  den  äusseren  Scheibenumfang  einfasst. 


170  Sehnerv;  Augenspiegelbild ;  Gefässvertheilung. 

Es  hebt  sich  dieser  Ring  oder  die  Sichel,  besonders  im  aufrechten  Bilde, 
von  der  Umgebung  deutlich  ab,  so  dass  man  eine  ChorioidaJgrenze  und  eine  Scleral- 
oder  innere  Grenze  unterscheiden  kann.  Letztere  ist  unter  normalen  Verhältnissen 
gemeiniglich  nicht  sehr  scharf,  tritt  aber  bei  materiellen  Veränderungen  des  Nerven- 
kopfes um  so  schärfer  hervor.  Die  Chorioidalgrenze  hingegen  ist  gewöhnlich  sehr 
stark  markirt,  und  oft  mit  Pigment  besetzt. 

Die  Scheibe  ist  im  Normalzustande  beiderseits  immer  gleich  gross.  Die  Grösse 
des  wahrgenommenen  Bildes  aber  variirt  sehr  nach  den  Einstellungen  des  unter- 
suchenden und  untersuchten  Auges,  und  mittelbar  nach  der  Brechung  der 
Strahlen  in  dem  dioptrischen   Apparate  des  verwendeten  Augenspiegels. 

Die  Farbe  enthält  im  Normalzustande  stets  einen  ausgeprägten  röth- 
lichen  Ton,  welcher  von  den  zahlreichen,  in  der  Papille  verzweigten  Ge- 
fässen  herrührt.  Die  Grundfarbe  ist  gewöhnlich  gelblichweiss,  oft  jedoch 
auch  graugelblich,  hell  bräunlichgrau  oder  schwach  bläulich.  Bei  dunkel- 
haarigen Individuen  mit  stark  pigmentirter  Chorioidea  erscheint  die  Farbe 
meistens  wegen  der  Contrastwirkung  viel  heller,  als    bei  blonden. 

Uebrigens  hat  auf  die  Farbe  der  Papille  auch  die  Farbe  des  Lampenlichtes, 
des  Spiegelglases,  die  mehr  weniger  schiefe  Beleuchtung  u.  s.  w.  einen  sehr  merk- 
lichen Einfluss.  Namentlich  tritt  die  röthliche  Farbe  an  der  nasalen  Hälfte  der 
Papille  und  an  den  peripheren  Theilen,  zumal  zwischen  den  grossen  Gefässen,  hervor. 
Sie  ist  hier  bisweilen  so  intensiv,  dass  bei  Abgang  des  Bindegewebsriuges  der  Seh- 
nerv nur  wenig  von  dem  umgebenden  Augengrunde  absticht. 

Sehr  oft  findet  man  den  Sehnerveneintritt  auch  ungleichm'dssig  gefdrht,  von 
mehr  minder  deutlichen,  grauen  oder  graubläulichen,  am  gewöhnlichsten  aber  von 
schmutzig  bräunlichen,  ivolkenähnlichen  Zeichnungen  bedeckt,  zwischen  welchen  ein 
mit  dem  Bindegewebsringe  in  Verbindung  stehendes  Netzwerk  hellerer  Str-eifen  lagert. 
Diese  helleren  Streifen  sind  von  der  Lamina  cribrosa  und  den  inneren  Nervenscheiden, 
die  wolkigen  grauen  Zeichnungen  von  den  Nervenrohren  (Ed.  Jaeger)  und  zum  Theil 
vielleicht  von  Anhäufungen  clioloider  Massen  (Liehreich)  bedingt.  In  sehr  seltenen 
Fällen  erscheint  in  dem  Gefüge  der  Papille  massenhaft  Pigment.  Es  ist  dasselbe 
meistens  pathologisch  und  gewöhnlich  auf  Blutextravasate  zurückzuführen.  Doch 
kömmt  es  auch  als  Product  ursprünglicher  Bildung  vor  und  ist  an  starke  Pigmen- 
tirung  der  Uvea  gebunden     (Liebreich,  Knapp,  Hirschherg,  Pagenstecher). 

2.  Die  Gefässstämme  treten  strahlenförmig  aus  dem  Centrum  der 
Scheibe  oder  etwas  nach  innen  davon  heraus,  gehen  in  einem  nach  vorne 
convexen  Bogen  gegen  die  Peripherie  des  Sehnerveneintrittes  und  senken 
sich  dann  in  das  ISTetzhautgeflige  ein.  Man  kann  sie  vermöge  der  grossen 
Pellucidität  der  Nervenröhren  meistens  in  dem  ganzen  Bereiche  der  Papille 
vollkommen  scharf  und  deutlich  wahrnehmen.  Bei  etwas  stärkerer  Trübung 
der  Scheibe  aber  erscheint  ihr  centraler  Theil,  von  der  Siebhaut  bis  zur 
Oberfläche  der  Papille,  sehr  umflort  matt  und  minder  scharf  begrenzt,  man 
sieht  deutlich ,  dass  das  Gefässstück  nur  allmälig  aus  der  trüben  Masse 
an  die  Oberfläche  dringt  imd  um  so  schärfer  sich  markirt,  je  weiter  es 
sich  von  der  Lamina  cribrosa  entfernt. 

Die  Arterienstämme  sind  doppelt  contourirt,  heller  gefärbt  und  schmäler, 

verlaufen    mehr    gestreckt   und    zeigen    ihrer   runden    Lichtung   halber   an 

der   einen  Seite    öfters    eine    helle  Linie,   eine  Art  Catacaiistica.  Die   Venen 

sind  dunkler,  breiter,  mehr  geschlängelt  und  entbehren  ihrer  platten  Form 

wegen  jener  lichten  Begrenzungslinie. 

Der  Stamm  der  Artei-ie  tritt  öfters  ungetheilt  bis  nahe  an  die  Oberfläche  hervor, 
um  sich  dann  in  zwei  Hauptäste  zu  theilen,  welche  mit  dem  ersten  ein  T  formiren. 
In  anderen  Fällen  erfolgt  die  Theilung  schon  in  der  Gefässpforte  der  Lamina 
cribrosa,  es  treten  die  beiden  Hauptäste  schon  von  diesem  Punkte  aus  nach  oben 
und  unten  und,  falls  die  überlagernde  Masse  der  Papille  sehr  trüb  ist,  kann  es 
sogar    den   Anschein    haben,    als    kämen    die    beiden   Hauptäste    aus   verschiedenen 


Angeborene  Excavation.  171 

Löchern  der  Siebhaut  heraus.  Bisweilen  erscheint  der  eine  Hauptast  wie  ein  Zweig 
des  anderen,  in  welclien  sich  der  Stamm  fortsetzt.  Meistens  tlieilen  sich  diese 
Hauptäste  schon  innerhalb  des  Sehnerveneintrittes  dichotomisch. 

Der  Stamm  der  Venen  liegt  neben  jenem  der  Arterie.  Oft  jedoch  vereinigen 
sich  die  vier  Hauptveneu  erst  in  der  Nähe  der  Gefässpforte  zu  zwei  Stämmen, 
oder  aber  es  treten  alle  vier  Hauptvenen  getrennt  und  in  einiger  Entfernung  von 
einander  in  die  Siebhautlöcher  ein. 

Aus  den  Hauptästen  der  Venen  und  Arterien  entspringen  häufig  noch  inner- 
halb der  Papille  kleine  Seitenäste,  die  sich  in  den  verschiedensten  Richtungen  zur 
Netzhaut  begeben.  Ausserdem  erscheinen  an  den  differentesten  Punkten  kleine 
Gefässchen,  welche  aus  der  Tiefe  kommen  und  bisweilen  ein  dichtes  Netz  oder 
eine  Art  Convolut  bilden,  das  den  Sehnerveneintritt  theilweise  deckt  und  die  Haupt- 
äste verhüllt. 

3.  Vou  grösster  praktischer  Wichtigkeit  sind  die  angeborenen  oder 
physiologischen  Excavationen  des  Sehnerveneintrittes.  Sie  kommen  ungemein 
häufig  vor,  finden  sich  ebensowohl  im  Auge  der  Neugeborenen  als  in  jenem 
Erwachsener  und  bestehen  in  der  Regel  ohne  sonderliche  Veränderungen 
zeitlebens  fort.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  sind  sie  sehr  flach  und  klein,  daher 
auch  schwierig  nachzuweisen.  Nicht  selten  jedoch  sind  ihre  scheinbaren 
oder  ivirklichen  Dimensionen  auch  sehr  ansehnlich  und  sie  treten  dann  im 
ophthalmoskopischen  Bilde   sehr  auff'ällig  hervor. 

Es  stellt  sich  die  Aushöhlung  als  eine  im  Bereiche  der  Gefässpforte 
gelegene,  tnehr  durchscheinende  und  hellere,  weissliche  oder  weissgelbliche 
Stelle  dar,  welche  von  der  bedeutend  dunkleren,  meistens  autfällig  gerötheten 
und  dem  übrigen  Augengrunde  oft  gleichgefärbten  Randzone  der  Nerven- 
scheibe  stark  absticht  (Fig  Ä,  N).  Der  Form  nach  ist  diese  Stelle  bald 
rundlich;  bald  oval  oder  länglich  mit  horizontaler  oder  schräg  nach  aussen 
und  abwärts  gerichteter  Längsaxe ;  selten  spaltevförmig;  ausnahmsweise  wohl 
auch  buchtig.  Der  Durchmesser  der  wirklichen  oder  scheinbaren  Eingangs- 
öfFnung  ist  oft  nur  ein  kleiner  Theil  des  Diameters  der  Papille ;  in  anderen 
Fällen  ist  derselbe  aber  so  gross,  dass  die  dunklere  Randzoue  der  Opticus- 
scheibe  nur  einen  schmalen  Ring  darstellt.  Die  Grenze  der  Excavation  ist 
im  Augenspiegelbilde  nicht  immer  eine  ganz  scharfe.  Bei  seichten  mulden- 
förmigen Aushöhlungen  verwäscht  sich  die  dunklere  Farbe  der  Randzone 
ganz  allmälig  in  die  hellere  des  Scheibencentrums.  Bei  trichtrigen  Excava- 
tionen mit  steil  abfallenden  Wänden  jedoch  ist  der  TJebergang  ein  sehr 
rascher,  die  Grenzlinie  eine  sehr  scharfe.  Mitunter  bemerkt  man  hinter  der- 
selben einen  dunklen  Schattensaum,  die  Excavation  gewinnt  ein  ampullenartiges 
Aussehen  mit  halsartig  eingeschnürter  Eingangsötfnung  und  ausgeweiteter 
Höhlung.  Der  Grund  der  Höhlung  selbst  zeigt  sich  bald  glatt,  bald  nach 
Art  der  normalen  Papille  von  Gruben  und  Zwischenleisten  uneben. 

Sehr  charakteristisch  ist  übrigens  auch  noch  das  Verhalten  der  cen- 
tralen Gefässstücke,  da  die  Excavation  auf  deren  Verlauf  einen  sehr  merk- 
baren Eintluss  nimmt.  Bei  muldenförmigen  oder  kleinen  trichterförmigen,  so 
wie  überhaupt  bei  allen  scheinbaren  Excavationen,  findet  man  die  ]\Iittel- 
stücke  der  Gefässe  blos  leicht  bogig  gekrümmt;  sie  senken  sich  unter  einer 
mehr  weniger  stark  ausgeprägten  Curve  nach  hinten  in  die  Gefässpforte 
ein  und  erscheinen  daselbst  vermöge  ihrer  sehr  schiefen  Projection  bedeutend 
dunkler  gefärbt.  Bei  umfangreicheren  wirklichen  Aushöhlungen  mit  steil  abfal- 
lenden Seitenwandungen  biegen  die  Gefässe  jedoch  an  der  Eingangsötfnung 
der  Excavation  plötzlich  um,  sie  zeigen  daselbst  eine  ganz  auffällige  Knickung 
und,  weil  das  nach  hinten  streichende  Gefässstück  die  eingeschlossene  Blut- 


172  Sehnerv;  Augenspiegelbild :  Pulsphänomene. 

säule  in  der  Längsaxe  präsentirt,  auch  eine  viel  dunklere  Färbung  (Fig.  N). 
Bei  ampullenförmigen  Excavationen  mit  verengerter  Eingangsöffnung  sieht 
man  die  Gefässe  hinter  der  Knickung  häufig  verschoben  oder  gar  durch  den 
dunklen  Schattenring  unterbrochen,  so  dass  es  schwer  wird,  die  zusammen- 
gehörigen Gefässstücke  aufzufinden,  besonders  da  die  an  den  Seitenwan- 
dungen der  Excavation  verlaufenden  Theile  durch  schräge  und  kurze  Seiten- 
äste plexusartig  unter  einander  verbunden  zu  sein  pflegen. 

Uebrigens  sind  im  Bereiche  der  Excavation  die  Gefässe  keineswegs 
immer  deutlich  zu  verfolgen.  Oefters  fehlen  sie  scheinbar  ganz,  die  Netz- 
hautgefässe  biegen  am  Rande  der  Höhlung  schnabelförmig  iim  und  ver- 
schwinden plötzlich,  indem  sie  sich  in  das  die  Excavation  begrenzende  trübe 
Gewebe  des  Xervenkopfes  einsenken.  In  anderen  Fällen  erscheinen  die 
Gefiisse  im  Bereiche  der  Excavation  wie  von  einem  trüben  Schleier  gedeckt, 
sie  präsentiren  sich  als  zart  rosig  gefärbte,  undeutlich  begrenzte  bandartige 
Streifen,  welche  von  der  Gefässpforte  zur  Eingangsöffnung  der  Excavation 
ziehen. 

4.  Ein  eigenthümliches  ophthalmoskopisches  Phänomen  ist  das  Pul- 
siren der  Hauptäste  der  centralen  Gefässe.  Es  ist  immer  nur  im  Bereiche 
der  Papille  wahrzunehmen  und  erstreckt  sich  wohl  nuj  sehr  ausnahmsweise 
über  deren  Grenze  hinaus. 

Der  Venenpuls  (Trigf,  Coccius)  ist  eine  constante  physiologische  Erschei- 
nung (Dondersj,  doch  im  Normalzustände  nicht  immer  leicht  zu  ermitteln. 
Wo  er  scheinbar  fehlt,  kann  er  durch  einen  auf  die  Seitenfläche  des  Bulbus 
ausgeübten  anhaltenden  massigen  Druck  sichtbar  gemacht  werden.  Er  äussert 
sich  in  einer  abwechselnd  stärkeren  oder  schwächeren  Füllung  der  betreffenden 
Stammtheile.  Die  Verengerung  derselben  beginnt  an  der  Gefässpforte,  etwas 
vor  der  Diastole  der  Arteria  centralis  und  schreitet  gegen  die  Peripherie 
des  Sehnerveneintrittes  fort.  Die  Diastole  der  Venen  hingegen  beginnt  peri- 
pher, unmittelbar  nach  dem  Radialpulse  und  rückt  in  centripetaler  Eichtung 
vorwärts.  Wird  der  Fingerdruck  gesteigert,  so  nimmt  auch  die  Deutlichkeit 
des  Venenpulses  zu  land  beurkundet  sich  dann  oft  in  einer  alternirenden 
völligen  Entleerung  und    Wiederfüllung   der  betreffenden   Gefässstücke. 

Es  weicht  bei  dei'  Venensystole  ein  Theil  des  enthalteneu  Blutes  durch  die 
Gefässpforte  nach  aussen,  der  andere  Theil  aber  wird  unter  centrifugal  fortschrei- 
tender Abplattung  der  Venenäste  gegen  das  Capillarnetz  hin  zurückgestaut.  Bei  der 
Y enendiastole  aber  erfolgt  die  Füllung  und  sofortige  Erweiterung  von  der  Peripherie 
aus  und  schreitet  gegen  die  Gefässpforte  hin  vorwärts.  Bei  sehr  entwickeltem 
Venenpulse  sieht  man  im  Papillartheile  der  Hauptäste  die  Blutsäule  deutlich  auf- 
i;nd  abschwanken,  ihr  centrales  Ende  ist  scharf  begrenzt,  je  nach  Umständen 
senkrecht  oder  kegelig  abgeschnitten  und  hebt  sich  sohin  sehr  deutlich  von  den 
Umrissen  des   comprimirten  blutleeren  Gefässtheiles  ab. 

Der  Arterienpuls  (Ed.  Jaeger)  ist  unter  normalen  Verhältnissen  nicht 
sichtbar,  obgleich  er  sicherlich  besteht.  Es  bewegt  sich  nämlich  die  mit 
jeder  Herzsystole  herantretende  arterielle  Blutwelle  zu  rasch  und  mit  zu 
geringer  seitlicher  Exciu'sion  durch  die  ganze  Länge  des  jeweilig  in  Sicht 
befindlichen  Gefässstückes,  als  dass  die  Caliberschwankung  des  letzteren 
zur  Wahrnehmung  gebracht  werden  könnte.  Um  den  Arterienpuls  künstlich 
zur  Erscheinung  zu  bringen,  bedarf  es  eines  starken  äusseren  Druckes,  aus- 
genommen den  Fall,  dass  die  Arterien  sehr  rigide  sind,  wo  schon  ein  leiser 
Druck  genügt  (Graeje).  Sein  sichtbares  Auftreten  ist  stets  an  Verdunkelung 
des   Gesichtsfeldes   gebunden    (Donders).    Er   zeigt    sich   bald   in    einem,  bald 


Pulsphäiiomeiip.  1 73 

in  allen  Hauptästen  der  centralen  Netzhautschlagader  und  bekundet  sich 
durch  eine  rhythmisch  abwechselnde  Füllung  und  Etitleertmc/  der  im  Selinerven- 
eintritte  gelegenen  Thoile  der  Arterienäste.  Die  arterielle  Diastole  beginnt 
gleichzeitig  mit  dem  liadialjmlse  und  schleppt  etwas  liinter  dem  Carotiden- 
pulse  nach.  Sie  zeigt  sich  als  ein  stossweises  rasches  Eindringen  einer 
Blutsäule  in  das  vorher  verengte  oder  leere  Arterienstück.  Die  darauf  fol- 
gende Systole  nimmt  weit  mehr  Zeit  in  Anspruch  und  äussert  sich  durch 
eine  langsame  centrifugale  theilweise  oder  gänzliche  Entleerung  des  Gefäss- 
abschnittes. 

Gelangt  mit  der  andrängenden  arteriellen  Blutwelle  ein  fjrösseres  Blutquantuvi 
in  das  Innere  des  Angapfels,  so  sollte  folgerecht  der  intraoculare  Druck  um  ein 
Entsprechendes  steigen.  Dies  ist  aber  nicht  der  Fall.  Es  pflanzt  sich  nämlich  der 
Druck  jeder  einzelnen  eindringenden  arteriellen  Blutwelle  rascher  durch  den  Glas- 
körper, als  durch  die  CapiUaren  auf  die  Venen  fort,  ja  die  Uebertragung  des  Druckes 
durch  den  Glaskörper  ist  eine  fast  unmittelbare,  was  die  Zeit  anbelangt.  Ehe  also 
die  positive  Welle  bis  in  die  Venen  dringt,  Iiat  sie  bereits  den  beschleunigten 
Austritt  einer  proportionalen  Menge  venösen  Blutes  veranlasst,  es  beginnt  gleich- 
zeitig mit  der  Arteriendiastole  eine  Venensystole ,  beide  erreichen  in  demselben  Mo- 
mente ihre  Höhe  und  sinken  wieder  zu  einem  Miriimum  herab.  Es  wird  also  das 
intraoculare  Blittqvantum  und  der  intraoculare  Druck  durch  die  Arteriendiastole 
nicht  verändert.  Die  mehrseitig  beobachtete  Pulsation  des  gesavimten  Aug- 
apfels (Graefe,  Coccius)  ist  wahrscheinlich  eine  von  den  Orbitalgefässen  fort- 
gepflanzte. 

Der  von  der  arteriellen  Blutwelle  auf  den  Inhalt  und  die  Hülle  des  Augapfels 
übertrageyie  Druck  wirkt  auf  die  einzelnen  Venenahschnitte  im  Verhältnisse  zur  Grösse 
ihrer  Oberfläche.  Es  ist  daher  klar,  dass  die  Wirkung  sich  am  ersten  iind  kräftig- 
sten an  den  platten  Enden  der  venösen  Hauptäste  geltend  machen  müsse  und  zwar 
um  so  sicherer,  als  in  den  Venen  das  Blut  mit  \\m  so  grösserer  Leichtigkeit  strömt 
und  allen  von  aussen  kommenden  Impulsen  folgen  kann,  je  weiter  ihre  Lichtung 
ist.  Es  concentrirt  sich  also  gleichsam  der  sichtbare  mechanische  Effect  der  über 
die  ganze  arterielle  Seite  des  Binnenstromgebietes  vertheilten  arteriellen  Blutwelle 
auf  die  centralen  Venenstiicke,  dieselben  werden  zusammengedrückt  und  so  eine 
rasche  Entleerung  der  der  Gefässpforte  zunächst  liegenden  und  eine  Mückstauung 
der  entfernteren  Theile  der  Blutsäule  bewerkstelligt.  Mittlerweile  pflanzt  sich  aber 
der  Stoss  der  arteriellen  Blutweile  durch  die  Capillaren  in  die  Venen  fort  und 
treibt  die  gestaute  Blutsäule  vorwärts,  die  centralen  Venenstücke  füllen  sich  wieder, 
werden  diastolisch  erweitei-t,  während  gleichzeitig  die  Arteria  centralis  ihre  systolischen 
Phasen  durchläuft  und  so  den  Raum  für  die  Venendiastole  schaffet. 

Der  Venenpuls  ist  also  von  dem  arteriellen  Pulse  abhängig,  die  sichtbare 
Wirkung  der  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  unsichtbaren  arteriellen  Puls- 
bewegungen, und  bringt  den  auf  Stetigkeit  der  intraocularen  Blutmenge 
und  der  im  Innern  des  Auges  herrschenden  Druckverhältnisse  gerichteten 
Regulirungsact  (S.   3)   objectiv  zur  Anschauung   (Memorski). 

Ist  nun  aber  der  Venenpuls  der  mechanische  Effect  des  arteriellen 
Pulses,  so  liegt  es  auf  der  Hand,  dass  er  um  so  auffälliger  werden,  dass  die 
in  den  centralen  Venenstücken  eingeschlossene  Blutsäule  mit  um  so  grösseren 
Amplituden  schwanken  müsse,  je  grösser  der  Unterschied  des  Seitendruckes 
ist,  welchen  die  arterielle  Blutwelle  während  der  Diastole  und  der  Systole 
der  Binnenschlagadern  atif  den  Inhalt  und  die  Kapsel  des  Bulbus  überträgt, 
je  ungleichmässiger  also  das  Blut  in  den  Binnenarterien  strömt,  je  mehr  der 
regulatorische  Einlluss  der  elastisch  dehnbaren  Arterienwandungen  in  und 
ausserhalb   des  Bulbus   beschränkt  ist. 

In  der  That  fehlt  ein  sehr  excursiver  spontaner  Venenpuls  niemals, 
wo  die  Pulsschwankungeu  in  den  Arterien  sich  bis  zur  Sichtbarkeit  gestei- 
gert haben,  oder  doch  unter  Beihülfe  eines  leichten  äusseren  Druckes  wahr- 


174  Seliuerv;  Augenspiegelbild;  Pulspkänomeiie. 

uehmbar  gemacht  werden  könueu,  und  umgekehrt  ist  ein  sehr  ausgespro- 
chener spontaner  Venenpuls  in  der  Regel  an  spontanen  oder  doch  leicht 
hervorzurufenden  Arterienpuls  gebunden. 

Nicht  minder  bestätigt  die  klinische  Erfahrung,  dass  Rigidität  der 
Aeste  und  des  Stammes  der  Arteria  ophthalmica  ein  die  Pulsphänomene 
wesentlich  begünstigender  Factor  sei  und  dass  in  gleicher  Weise  Starrheit 
der  Bulbuskapsel  unter  den  pathogenetischen  Momenten  der  fraglichen  Er- 
scheinung eine  wichtige  Rolle  spiele. 

Es  unterliegt  nämlich  kaum  einem  Zweifel ,  dass  der  der  Bulbuskapsel 
eigenthümliche,  wenn  auch  geringe,  Grad  elastischer  Dehvhar/ceif.  die  Contractilität 
der  Gefässwandungen  bei  der  Regulirung  der  arteriellen  Blutströmiing  unterstütze, 
indem  der  durch  den  Bulbusinhalt  auf  die  Augenkapsel  übertragene  intravasadare 
Seitendruck  durch  dassellje  Medium  auf  die  äusseren  Gefässwandungen  rücJavirken 
muss.  Dies  schliesst  aber  die  Nothweudigkeit  in  sich,  dass  der  Verhist  oder  die 
Verminderung  der  elastischen  Dehnbarkeit  der  Bulbuskapsel  die  rhythmischen 
Schwankungen  der  arteriellen  Blutsäule  und  folgerecht  die  Auffälligkeil  der  intra- 
ocularen  Pulsbewegungen  vergrössere. 

Derselbe  Umstand  erklärt  überdies  den  höchst  bedeutenden  Einfluss, 
welchen  erfahrungsmässig  Steigerungen  des  intraocularen  Druckes  auf  das 
Hervortreten  und  die  Grösse  der  Pulsbewegungen  nehmen.  Es  ist  eben  die 
elastische  Dehnbarkeit  der  Bulbuskapsel  eine  sehr  beschränkte,  sie  nimmt 
in  dem  Masse  ab  und  die  Augapfelhülle  gewinnt  beziehungsweise  mid 
gegenüber  spannenden  Kräften  die  Eigenschaften  starrer  Wandungen  in  dem 
Grade,  in  welchem  die  Dehnbarkeit  bereits  in  Anspruch  genommen  und 
die  Spannung  ihrem  Maximum  näher  gerückt  ist. 

Dieses  Verhalten  der  Bulbuskapsel  ist  nun  al^ch  einer  der  Gründe,  warum 
ein  von  Aussen  auf  den  Augapfel  einwirkender  kräftiger  Druck  das  Pulsphänomen 
in  seiner  Auffälligkeit  steigert.  Anderseits  kömmt  hierbei  aber  noch  in  Betracht, 
dass  der  äussere  Druck  von  der  Kapsel  und  dem  Inhalte  des  Bull)us  auf  die 
misseren  Wandungen  der  Binnengefässe  übertragen  und  somit  der  Widerstand  ver- 
mehrt wird,  welchen  das  in  den  Arterien  an  den  Augapfel  herantretende  Blut  bei 
seinem  Eindringen  in  das  Binnenstromgebiet  findet.  Erreicht  der  äussere  Druck  eine 
gewisse  Höhe ,  so  geschieht  es  leicht ,  dass  die  Systole  der  extraocularen  Arterien- 
stämme nicht  mehr  zureicht,  um  das  Blut  in  conlinuirlichem  Strome  durch  die 
Gefässpforte  in  der  Lamina  cribrosa  durchzutreiben,  dass  die  Einspritzung  der 
Arteria  centralis  vielmehr  nur  unter  der  unmittelbaren  Druckwirkung  der  Herzsystole, 
also  stossweise  erfolgen  kann.  Wird  aber  der  Druck  noch  weiter  gesteigert,  so  ver- 
mag das  artei'ielle  Blut  nicht  mehr  während  der  ganzen  Dauer  der  Arteriendiastole 
einzuströmen,  die  Binnenschlagadern  füllen  sich  nur  für  einen  Augenblick  während 
dem  Maximum  der  positiven  Welle  unvollkommen,  ihre  Diastole  wird  immer  kürzer 
und  unvollständiger,  die  Systole  immer  länger  und  ausserdem  fallen  diese  Phasen 
mit  den  gleichen  Phasen  des  Venenpulses  zusammen,  es  wird  in  den  Schlag-  und 
den  Blutadern  Diastole  und  Systole  isochronisch,  indem  die  Gefässwandungen  im 
Maximum  der  positiven  Welle,  von  Innen  und  Aussen  mächtig  gedrückt  und  gleich- 
sam eingeklemmt  zwischen  incompressible  Flüssigkeiten ,  die  Rolle  starrer  Rohren 
spielen,  so  dass  der  Stoss  der  arteriellen  Blutwellen  sich  durch  die  Capillaren 
nnmiftelhar  auf  das  in  den  Venen  enthaltene  Blut  fortpflanzt  und  dieses  vor  sich 
her  treibt.  Bei  dem  stärksten  äusseren  Druclce  endlich  wird  die  arterielle  Blutwelle 
gar  nicht  mehr  eindringen  können ,  es  wird  der  Ein-  iind  der  Austritt  des  Blutes 
ganz  sistirt,  die  centralen  Stücke  der  Arterien  und  Venen  erscheinen  leer,  zusammen- 
gedrückt und  nur  in  den  letzteren  macht  sich  bisweilen  noch  ein  wenig  excursives 
Auf-  und  Absteigen  der  Blutsäule  bemerkbar. 

Nosologie.  Die  Entzündung  geht  ivahrscheinlich  immer  von  den  Hüllen 
der  Nervenbündel  aus;  man  findet  dieselben  wenigstens  immer  zuerst  und 
am  auffälligsten  verändert,  von  dichten  Gefässnetzen  durchstrickt  oder  gleich- 
massig  geröthet,  öfters  auch  von  Blutextravasaten  gefleckt  und  von  ent- 
zündlichen Producten  durchdrungen,  aufgequollen  und  gelockert.  Die  primi- 


Nosologie;  Hydrops  nervi  optici.  175 

tiven  Nervenröhren  zeigen,  wenn  der  Process  nicht  gar  zu  rapid  einhergeht 
und  durch  massenhafte  Productbihlur.gen  oder  in  Folge  reichlicher  Blut- 
ergüsse eine  förmliche  Zertrümmerung  des  Gefüges  verursacht,  oft  erst 
ziemlich  spät  eine  auffällige  Theilnahme,  indem  sie  entweder  ilir  Mark 
verlieren,   durchscheinend  und  varicös  werden,   oder  verfettigen. 

Die  innere  Scheide  und  namentlicli  das  Stratum  lockeren  Bindegewebes, 
welches  zwischen  den  beiden  Scheiden  des  Orbitalsiiickcs  des  Opticus  ge- 
lagert ist,  erscheint  meistens  ebenfalls  in  Entzündung  begriffen.  Dasselbe 
gilt  auch  von  den  meningealen  Hüllen  des  Schädelstückes,  weniger  oft  aber 
von   der  äusseren  Scheide  des  Sehnerven. 

Die  Qualität  und  Quantität  des  Productes  wechselt  einigermassen  nach 
der  Intensität  des  entzündlichen  Processes.  In  vielen  Fällen  entwickelt  es 
sich  nur  in  geringer  Menge  und  bleibt  bei  grosser  Armuth  an  Kernen  und 
Zellen  in  ziemlich  hohem  Grade  dtirchscheinend. 

Es  theilt  diese  Eigenschaft  dem  neurilematischen  Muttergewebe  mit,  welches 
dadurch  ein  eigenthümliches  suh'ühnliches  Aussehen  gewinnt.  Für  das  freie  Auge 
wird  in  Folge  dessen  das  Gefüge  nur  wenig  verändert,  es  erscheint  blos  aufgequollen 
und  etwas  saftreicher.  Namentlich  im  Bereiche  der  Papille  ist  vermöge  der  natür- 
lichen Durchsclieinbarkeit  der  Elemente  die  Alteration  so  wenig  auffällig,  dass  sie 
leicht  übersehen  werden  kann,  wenn  nicht  die  begleitende  HyiJerämie  oder  etwa 
vorhandene  Extravasate  auf  das  Leiden  aufmerksam  machen.  Späterhhi  nehmen 
indessen  auch  die  Nervenröhren  in  sichtbarer  Weise  Antheil,  ihr  Mark  wird  durch- 
scheinend, sie  heben  sich  nur  wenig  mehr  von  der  sulzigen  Hülle  ab  und  gehen 
endlich  formet  gänzlich  unter,  der  betreffende  Theil  des  Nervenstammes  ist  scheinbar 
oder  wirklich  gelatinös  degenerirt  und  diaphan  geworden. 

Häufiger  jedoch  ist  die  Zellen-  und  Kernbildung  eine  iveit  ergiebigere, 
ein  Theil  der  angehäuften  Formelemente  verfettiget  und  wird  in  wech- 
selndem Massenverhältnisse  in  Körnchenzellen  und  Körnchenhaufen  umgewan- 
delt, während  sich  gleichzeitig  choloide  Massen  in  variabler  Menge  ent- 
wickeln. Das  Product  erscheint  demnach  von  vorneherein  mehr  trüb,  molken- 
oder  sogar  eiterähnlich. 

Die  von  dem  infiltrirten  Neurilem  eingeschlossenen  Nervenbündel  pflegen  unter 
solchen  Umständen  sehr  bald  ihre  Theilnahme  durch  Verfettigung,  durch  Auflösung 
in  reihenweise  an  einander  gelagerte  Fettkörner  und  endlichen  gänzlichen  Zerfall 
zu  verrathen.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  durch  ein  solches  Product  die  sonst 
durchscheinende  Papille  wesentlich  getrübt  werden  müsse.  In  den  markhältigen 
Theilen  des  Opticus  indessen  bedingt  es  nicht  nothwendig  sehr  in  die  Augen  sprin- 
gende Veränderungen,  das  betreffende  Stück  des  Sehnerven  erscheint  dem  freien 
Auge  höchstens  etwas  hyperämirt,  blutig  gesprenkelt,  aufgelockert,  mehr  weniger 
matsch. 

Mitunter  ist  die  Entzündung  wohl  auch  eine  stürmische  und  überaus 
üppige,  die  Nervenröhren  und  ihre  bindegewebigen  Hüllen  gehen  in  ihr 
ganz  unter,  man  findet  den  Opticus  an  der  erkrankten  Stelle  in  eine  mehr 
weniger  consistente  Eitermasse  verwandelt,  in  welcher  sich  nur  mehr  Trüm- 
mer der  Nervenröhren    und  des    uecrosirten  Neurilems    nachweisen    lassen. 

In  seltenen  Fällen  schwillt  das  Interstiiialgewebe  mächtig  auf  in  Folge  massen- 
hafter InfilfrafÄon  eines  durchsichtigen,  oder  von  Molekülen  und  Fettkörnern  getrüb- 
ten, sulzähnlichen  oder  sehr  dünnflüssigen  und  serumartigen  Productes.  Im  Schädel- 
stücke häuft  sich  ausnahmsweise  dieses  seröse  Product  in  so  enormen  Mengen,  dass 
dassselbe  zur  Dicke  eines  kleinen  Mannsfingers  aufgetrieben  wird  (Hydrops  nervi 
optici).  Daneben  machen  sich  dann  Kernwucherungen  und  deren  weitere  Derivate, 
insbesondere  Körnchenzellen,  weiterhin  varicöse  Ausdehnungen  und  Verfettungen  der 
Nervenröhren,  Hypertrophie  und  theilweiser  fettiger  Zerfall  des  Bindegeicebes  geltend. 
Es  wurde  dieser  Zustand  bisher  immer  mit  hochgradigem  und  meistens  entzündlichen 
Oedem  der  basalen  Hirnhäute  verknüpft  gefunden,  welches  seinerseits  gewöhnlich, 
aber  nicht  immer  (Manz),  mit  Brighf sehen  Nierenleiden  oder  Tuberkulose  zusammen- 


176  Xenritis  optica:  Nosologie;  Blntextravasatp. 

hing  und  neben  anderweitigen  Serumanhäufungen  einherging.  Es  ist  der  in  Rede 
stehende  Hydrops  nervi  optici  nicht  zu  verwechseln  mit  dem  öfter  vorkommenden 
entzündlichen  Oedevi  der  Papille  (Heymann)  und  mit  serösen  Infiltrationen  der 
orbitalen  Zicischenscheidenschichte  (Animon). 

'SvüL  sehr  ausnahmsweise  erscheint  der  Process  an  einer  bestimmten 
Stelle  des  jS'erren  auf  einzelne  Bündel  beschränkt.  Fast  immer  zeigt  sich  der 
Nerre  seiner  ganzen  Dicke  nach  in  den  entzündlichen  Vorgang  verwickelt. 
Doch  kommt  es  sehr  oft  vor,  dass  an  einem  und  demselben  Durchschnitte 
der  Grad  der  Alteration  an  verschiedenen  Punkten  ein  sehr  verschiedener 
ist,  so  dass  einzelne  Bündel  bereits  völhg  vernichtet  sind,  während  andere 
noch  wenig  mitgenommen  und  bis  zu  einem  gewissen  Grade  functions- 
tüchtig  sein  können. 

Oefters  findet  maii  beide  Sehnerven  ihrer  ganzen  Länge  nach  in  ent- 
zündUcher  Gewebswucherung  begritfen  und  kann,  dem  eigenthümüchen 
Producte  nachgehend,  den  Lauf  der  beiden  Tractus  in  das  Gehirn  hinein 
bis  in  die  knieförmigen  Körper  verfolgen,  wo  die  charakteristischen  Altera- 
tionen meistens  mit  scharfer  Grenze  aufhören  (Türck).  Der  Grad  der  krank- 
haften Gewebsveränderung  pflegt  dann  an  den  beiden  Xerven  und  an  den 
verschiedenen  Abschnitten  eines  und  desselben  Kerven  ein  sehr  verschie- 
dener zu  sein.  Ausnahmsweise  bleibt  der  entzündliche  Process  wohl  auch 
auf  die  eine  Stria  oder  auf  das  Chiasma  und  beide  Tractus  beschränkt. 
Am  häufigsten  jedoch  ist  blos  der  eine  oder  andere  eigentliche  Sehnerve  affi- 
cirt  und  bleibt  es  oft  zeitlebens,  indem  sich  der  Process  in  der  Yorder- 
hälfte  des  entsprechenden  Seitentheiles  des  Chiasma  in  scharfem,  nach  hinten 
gerichteten  Bogen,   oder  in  einer  verwaschenen  Linie  begrenzt. 

Wenn  das   Orbitalstilck  des  Sehnerven  entzündet  ist,   sei  es,   dass  der 

Process  gleich  von  vorneherein  daselbst  seinen  Sitz  aufgeschlagen  hat,   oder 

dass  er  sich  von  der  Schädelhöhle  aus  dahin  fortgepflanzt  hat  (Neuritis  des- 

cendens,)  so    zeigt  sich   fast  constant  der  Nervenkopf  mitergriffen.    Derselbe 

schwillt  rings  um  die  Gefässpforte  zu  einem  Kreiswulste  an,   über  welchen 

die  Centralstücke  der  Xetzhautadern  in  einem  gewöhnlich  sehr  deutlichen, 

nach    vorne    convexen  Bogen  liinüberstreichen.   Zugleich    erscheint  die  Pa- 

pille  von    dem  Infiltrate  stark  getrübt,  von  dem    eingespritzten    feinen  Ge- 

fässnetze  geröthet  und  öfters  auch  von  hämorrhagischen  Extravasaten  gefleckt. 

In  den  allermeisten  Fällen  bleibt  übrigens  die  Entzündung  auf  den  Xerven- 

kopf  7iicht   beschränkt,    sie  greift    auf  die  Netzhaxit  über,   der  Process  stellt 

sich    objectiv   unter   der   Form    der   Neuro dictyitis    dar  (Siehe    diese).   Falls 

aber   das   Schädelstück  der  ergriffene  Theil  ist    und,  was   oft  geschieht,   die 

Gewebswucherung  nicht  am  Sehnerven  herab  gegen  den  Augapfel  hin  sich 

ausbreitet:    pflegt    das    Orbitalstück   und    der  Kopf  des   Xerven  sammt    der 

Faser-  und  Ganglienschichte    der  Xetzhaut  zu  atrophiren,    der  Process  tritt 

objectiv  unter  der  Gestalt  des  reinen   Sehnerven-   und  Netzhautschwundes,   suh- 

jectiv  aber  in  Form  einer  Cerebralamaiirose  (Siehe  diese)  in  die  Erscheinung. 

In  sehr  seltenen  Ausnahmsfällen  hat  man  mächtige  Bhdextravasate  im  orbi- 
talen Theile  des  Sehnerven  beobachtet.  Das  Blut  hatte  sich  bald  in  den  Zicischen- 
scheideni-aum  ergossen  und  die  äussere  Scheide  spindelförmig  aufgebläht  (Ig.  Mei/r, 
Knapp);  bald  war  es  in  den  Xervenstamm  selbst  ausgetreten  und  hatte  dessen 
Gefüge  auf  eine  gewisse  Strecke  hin  förmlich  zertrümmert  (His,  Leher,  Hirschberg). 
Man  glaubt ,  dass  derlei  Hämorrhagien  durch  Diffusion  des  Blutfarbstoffes  und 
dessen  weitere  Zersetzung  zu  den  bisweilen  vorkommenden  reichlichen  Pigmenta- 
tionen  der  Papille  Veranlassung  geben  können  (Knapip),  wogegen  jedoch  der  Um- 
stand   spricht,    dass    massige  Blutextravasate    im    Bereiche    des    Sehnerveneintrittes 


Quellen;  Netzhantentzündung.  177 

sehr  gewöhnlich  durch  Resorption  völlig'  und  ohne  eine  Spur  zu  hinterlassen  getilgt 
werden  (Wecker). 

Quellen:  KölUker,  Mikr.  Anatomie.  Leipzig,  1852.  II.  1.  S.  480;  II.  2.  S. 
670.  —  Bowman,  Lectures  on  thc  parts  etc.  London,  1849  und  Kölliker  1.  c.  — 
J.  Wagner,  Ueber  den  Ursprung  der  Sehnervenfasern.  Dorpat.  1862.  S.  21,  — 
Hannover,  Das  Auge.  Leipzig,  1852.  S.  1.  —  Henle,  Handbuch  der  Anat.  Braun- 
schweig, 1806.  11.  ;•}.  S.  582.  —  Sappey,  Centralbl.  1868.  S.  421.  —  Animon,  Pra- 
ger Vierteljahrschrift,  1860.  I.  S.  132;  A.  f.  0.  VI.  1.  S.  15,  17,  33.  —  Klehs,  Vir- 
chow's  Arcliiv.  19.  Bd.  S.  321,  335.  —  Bonders,  A.  f.  O.  I.  2.  S.  75,  83,  90.  — 
Graefe,  ibid.  I.  1.  S.  375,  382;  I.  2.  S.  299,  302.  —  Förster,  ibid.  III.  2.  S.  86.  — 
H.  Müller,  ibid.  IV.  2.  S.  3,  10.  —  Liehreich,  ibid.  IV.  2.  S.  295;  Atlas.  Tafel  12. 
Fig.  3;  kl.  Monatbl.  1864.  S.  229;  1868.  S.  426.  —  Leher,  Denkschrift,  d.  k.  Akad. 
24.  Bd.  S.  318;  A.  f.  O.  XIV.  2.  S.  169,  333,  .343,  357;  kl.  Monatbl.  1868.  S.  302, 
309.  —  His ,  Beiträge  z.  norm.  u.  path.  Histolog.  der  Cornea.  Basel.  1856.  S.  132; 
kl.  Monatbl.  1867.  S.  133,  135.  —  Ed.  Jaeger,  Wiener  med.  Wochenschrift  1854. 
Nro.  3 — 5;  Staar  und  Staaroperationen.  Wien,  1854.  S.  105;  Beiträge  zur  Pathol. 
des  Auges.  Wien.  1855,  Taf.  1  ;  Einstellungen  des  dioptr.  Apparates.  Wien,  1861. 
S.  30,  48,  52.  —  Knapp,  Canstatt's  Jahresbericht  1864.  III.  S.  158;  A.  f.  O.  XIV. 
1.  S.  252.  —  Mauthner,  Lehrb.  d.  Ophthalmoscopie,  S.  252.  —  Sesemann,  Arch. 
f.  Anat.  u.  Phys.  1869.  S.  170.  —  Pagensteclier,  A.  f.  O.  XV,  1.  S.  243.  —  Trigt, 
Nederl,  Lancet  3.  Ser.  2.  Jahrg.  S.  456;  Der  Augenspiegel,  übersetzt  von  Schauen- 
burg.  Lahr,  1854,  S.  49.  —  Coccius,  Ueber  die  Anwendung  des  Augenspiegels. 
Leipzig,  1853,  S,  3;  Ueber  Glaucom,  Entzündung  etc,  Leipzig,  1859.  S.  13.  — 
Schweigger,  Vorlesungen  über  den  Gebrauch  des  Augenspiegels,  Berlin,  1864.  S.  70, 
142.  —  Zander,  Der  Augenspiegel,  Leipzig,  1862.  S.  86.  —  Mayrhofer,  Zeitschrift 
der  Wiener  Aerzte.  1860.  Nro.  47.  —  Memorski,  A.  f.  O.  XL  2.  S.  84,  104,  112. 
—  Türck,  Sitzungsberichte  der  Wiener  kais.  Akad.  IX.  S.  231;  Zeitschrift  der 
Wiener  Aerzte.  1852.  IL  S.  301.  —  Stelhcag,  Ophth.  IL  S.  567,  617,  619.  —  Wedl, 
Atlas.  Retina-Opticus.  —  Heymann,  kl.  Monatbl.  1864.  S.  273.  —  Manz,  ibid.  1865. 
S.  280.  —  Hirschherg,  ibid.  1868.  S.  426;  1869.  S.  74.  —  Wecker,  ibid.  1868.  S. 
204.  —  Ig.  Meyr,  Beiträge  z.  Augenheilkunde.  Wien.  1850.  S.  24.  —  Schwalhe,  Arch. 
für  mik.  Anat.  VI.  S.  47,  —  H.  Schmidt,  A.  f.  0.  XV.  2.  S.  192, 


VIERTER  ABSCHNITT. 

Entzündung  der  Netzhaut,  Dictyitis,  Retinitis. 


Anatomie.  Die  Netzhaut  lagert  faltenlos  zwischen  der  Pigment- 
schichte der  Chorioidea  und  dem  Glaskörper ,  mit  welchem  ihre  innere 
Grenzschichte  im  Leben  verklebt  ist,  Ihre  eigentlichen  Grenzen  sind  nach 
hinten  der  Rand  des  Sehnerven  ei ntri ttes ,  nach  vorne  die  Ora  serrata,  in 
deren  Bereich  sie  fest  mit  der  Aderhaut  verwachsen  ist. 

Man  unterscheidet  allerdings  noch  eine  Pars  ciUaris  retinae  und 
diese  ist  wirklich  eine  Fortsetzung  der  ISTetzhaut ,  trägt  aber  nicht  mehr 
den  nervösen  Charakter,  sondern  besteht  aus  einer  Schichte  von  verlän- 
gerten Zellen,  welche  den  Zonulafasern  auflagern  und  als  verkürzte  Stütz- 
fasern erkannt  worden  sind   (H.   Müller,   Klebs). 

Die  Netzhaut  ist  nicht  ganz  vollkommen  durchsichtig.  Am  hinteren 
Ende  der  optischen  Axe,  im  horizontalen  Meridian,  etwa  anderthalb  Linien 
vom  äusseren  Rande  des  Sehnerveneintrittes  entfernt,  liegt  der  gelbe  Fleck, 
Macula    lutea,    der    empfindlichste  Theil    der  Retina.    Es    ist    dieser   Fleck 

stellwag,  Augenheilkunde.  12 


178 


Netzliaut;  Anatomie;  Nervöse  Elemente. 


Fig.  30. 


quer  oval ,  in  seiner  Grösse  etwas  wandelbar.  Seine  Mitte  ist  in  Gestalt 
einer  kleinen  Grube,  Fovea  centralis,  ausgehöhlt  und  ringsum  erscheint 
die  Netzhaut  wallartig  aufgetrieben. 

Die  E-etina  besteht  zum  Theile  aus  nervösen  Elementen,  zum  Theile 
aus  modificirtem  Bindegewehe,  welches  jene  einhüllt,  unter  einander  zusam- 
menhält und  in  ihrer  gegenseitigen  Lage  sichert.  Im  Centrum  herrscht 
das  Nervengewehe,  an  der  Peripherie  aber  das  hindegeivehige  Stützwerk  vor. 
Streng  genommen  und  namentlich  vom  genetischen  Standpunkte  aus  betrachtet, 
gehört  auch  das  Aderhauttapet  zur  Retina.  Es  geht  dasselbe  nämlich  allein  (BaJju- 
chin,  M.  Schnitze,  Barkan,  HaaseJ  oder  in  Verbindung  mit  der  Stabschichte  (Kölli- 
ker)  aus  dem  äusseren  Blatte  der  secundären  Augenblase  hervor,  während  alle 
anderen  Lagen  sich  aus  der  inneren  Lamelle  jenes  foetalen  Gebildes  entwickeln. 

Die  nervösen  Elemente  gestalten  sich  in  den  verscliiedenen  Schich- 
ten der  Netzhaut  sehr  mannigfaltig.  Man  unterscheidet  musivische  Schichten, 
welche  eine  nahe  Beziehung  zu  dem  specifischen  Reize  des  Gesichtssinnes 
haben,  und  eigentlich  nervöse  Schichten,  deren  Elemente  mit  den  in  allen 
Theilen  des  centralen  Nervensystems  vorkommenden  übereinstimmen  (Heule, 
Meynert)  und  die  bezüglichen  Strata  mit  einem  flächenartig  ausgebreiteten 
Hirnganglion  zu  vergleichen  erlauben  (Kölliker) ,  um  so  mehr ,  als  sie  ur- 
sprünglich einen  Theil  der  Gehirnmasse  darstellen  und  erst  später  durch 
zwischengeschobene  Theile  davon  getrennt  werden,  um  fürder  selbstständig 
fortzubestehen. 

Im  Allgemeinen  unterscheidet  man  in  der  Netzhaut  acht  Schichten, 
welche    von    aussen    nach    innen    gezählt    folgende    sind :     Die    Stab  -    oder 

Zapfenschichte  (Eig.  30  a),  die  äussere 
Grenzschichte  oder  Limitans  externa  h, 
die  äussere  Körnerschichte  c ,  die  Zwi- 
schenhörnerschichte  d,  auch  äussere  Faser- 
scliichte  oder  Membrana  fenestrata  ge- 
nannt, die  innere  Körnerschichte  e,  auch 
Körnerzellenscliichte  oder  äussere  gan- 
gliöse  Schichte  genannt ,  weiter  die 
granulöse  Schichte  f  oder  innere  Easer- 
schichte,  die  Ganglienzellenschichte  g  oder 
innere  gangliöse  Schichte,  die  Nerven- 
faserschichte h  und  endlich  die  innere 
Grenzschichte  i  oder  Limitans  interna. 

Als  eigentlich  nervöse  Schichten 
gelten  die  Stabschichte,  die  beiden  Kör- 
nerschichten, die  Ganglienzellen-  und  Ner- 
venfaser  schichte. 

Die  Stäbe  und  Zajifen  zerfallen  in 
Aussen-  und  Innenglieder,  welche  Gebilde 
von  total  verschiedener  Natur,  auch  diflfe- 
rentem  chemischen  Verhalten  (Braun,  M. 
Schnitze,  Hasse)  sind  ixnd  durch  eine  dünne 
Schichte  eines  besonderen  schwach  licht- 
brechenden Kittes  mit  einander  verl)unden 
werden.  In  beiden  findet  sich  dieselbe 
schwach  lichtbrechende  Grundlage  mit  darin  eingelagerten  stärker  licht])rechenden 
Molekülen  und  einer  dichteren  äusseren  Hülle.  Die  molekulare  Substanz  häuft  sich 
in  den  Aussengliedern  zu  einer  Anzahl  planparalleler,  messbar  dicker  Plättchen, 
welche  durch  unmessbar  dünne  Schichten  der  minder  stark  brechenden  Grundsubstanz 


Bindegewebige' Elemente.  179 

von  einander  fjetrennt  sind  (M.  Schulze).  Der  sogenannte  BiUer'sche  Faden,  welcher 
in  der  Axe  der  Ausseiii;'lieder  liegen  soll  (C.  Ritter,  Hensen),  besteht  nicht  (M. 
Schuhe).  In  den  Imien<jUe<lern  der  Zapfen  (W.  Krause)  und  der  Stäbe  (M.  Schnitze) 
häuft  sich  die  stärker  lichtbrechende  Molckularsubstanz  zu  planconvexeu  halb- 
kugeligen oder  abgestutzt  kegeligen  Körpern  von  homogener  Beschaffenheit.  Die- 
selben lagern  am  äussei-n  Ende  der  Innenglieder  und  wenden  ihre  ebene  Fläche 
den  Aussengliedern  zu.  Von  der  convexen  Fläche  geht  ein  zarter  feiner  Faden 
in  der  Axe  nach  einwärts  (C.  Ritter,  Hasse,  Manz),  um  sich  unmittelbar  oder  mit- 
telbar mit  den  äusseren  Körnern  in  Verbindung  zu  setzen.  An  der  Oberfläche  der 
Innenglieder  ist  eine  höchst  zarte  Längsstreifung  zu  bemerken,  welche  sich  eine 
Strecke  weit  auf  die  Aussenglieder  fortsetzt.  Es  rührt  dieselbe  von  überaus  feinen 
Fäden  her,  welche  von  der  Stab-  vxnd  Zapfenfaser  ausgehend  und  die  äussere 
Grenzhaut  durchbrechend  die  Innenglieder  der  genannten  Elemente  kelchartig 
umfassen  und  in  einer  sehr  losen  Spirale  streichend  auf  die  Aussenglieder  über- 
gehen, deren  inneren  Theil  sie  gleich  einer  Röhre  umschliessen.  Es  wäre  möglich, 
dass  dieselben  nervösen  Charakters  seien  und  aus  der  Spaltung  der  Stab-  iind 
Zapfenfasern  hei'vorgehen  (M.  Schnitze).  Die  äusseren  Körner  sind  Ellipsoide,  welche 
mit  der  langen  Axe  senkrecht  auf  die  Ebene  der  Retina  gestellt  sind  und  zu 
mehreren  in  einer  Reihe  hintereinander  liegen.  In  frischem  Zustande  erscheinen 
sie  quer  gestreift  (TIenle)  und  lassen  die  schichtweise  Uebereinanderlagerung 
scheibenförmiger  Ausammlungen  chemisch  verschiedener  Snlistanzen  vermuthen. 
Eine  Anzahl  dieser  Körner  liegt  in  Ausweitungen  der  Innenglieder  der  Stäbe  und 
Zapfen,  welche  dann  die  äussere  Grenzhaut  durchboliren.  Es  sind  diese  „Stab- 
U7id  Zapfenkörner'^  etwas  grösser  als  die  übrigen  Köi-ner  und  bilden  an  der  äusseren 
Grenzliaut  bisweilen  eine  eigene  Lage  (Henle).  Die  meisten  Stäbe  jedoch  spitzen 
sich  am  iiinern  Ende  in  einen  zarten  blassen,  den  Axencylindern  ähnlichen,  oft 
auch  varicösen  Faden  zu,  welcher  die  Limitans  externa  durchbrechend  in  die 
äussere  Körnerschichte  gelangt,  sich  hier  wiederholt  ausweitet,  um  ein  Korn  in 
sich  aufzunehmen  und  bis  zur  Zwischenkörnerschichte  hinläuft.  An  der  Grenze  der 
letzteren  schwillt  das  Ende  der  Stabfasern  knopfförmig  an  und  geht  dann  wieder 
in  einen  sehr  zarten  Faden  über,  welcher  die  Zwischenkörnerschichte  durchdringt 
(Hasse)  und  wahrscheinlich  mit  den  inneren  Körnern  in  Verbindung  tritt  (Steinlin), 
Aehnliches  gilt  von  den  Zapfenfasern,  welche  an  der  Grenze  der  Zwischenkörner- 
schichte in  breitkegelige  molekulirte  Körper  anschwellen,  aus  denen  drei  oder 
mehrere  Fäden  in  die  Zwischenkörnerschichte  austreten  und  von  da  zu  den  innern 
Körnern  gelangen.  Die  letzteren  sind  rundliche  kleine  Zellen  mit  grossem  Kerne, 
welche  bipolaren  Ganglienzellen  ähneln.  Die  inneren  Fortsätze  derselben  dringen 
durch  die  granulirte  Schichte,  wo  sie  Plexus  bilden  (M.  SchuUze)  und  verbinden 
sich  dann  wahrscheinlich  mit  den  multipolaren  Elementen  der  Ganglienzellenschichte 
(Hulke,  Manz).  Die  Ganglioizellen  haben  einen  trüblichen  Inhalt  und  einen  schön 
entwickelten  Kern.  Von  jeder  Ganglienzelle  geht  ein  starker  Fortsatz  nach  innen 
und  setzt  sich  hier  in  die  Nervenfasern  fort.  Die  Nervenfasern  der  Retina  sind 
den  blassen  Fasern  des  Gehirnes  völlig  analog,  durchsichtig,  homogen.  Sie  werden 
von  Manchen  als  blosse  Axencylinder  aufgefasst  (M.  Schnitze),  welche  beim  Durch- 
tritte durch  die  Siebmeml)ran  ihre  Markscheide  verloren  haben.  Es  spricht  für 
diese  Ansicht  unter  Anderem  der  Umstand ,  dass  die  Fasern  ausnahmsweise  ihre 
Markscheide  bis  in  die  Retina  hinein  behalten  oder,  nachdem  sie  das  Cribrum 
passirt  haben,  für  eine  Strecke  wieder  gewinnen  (H.  Müller,  Virchoio,  Reckling- 
hausen) und  dichte ,  flächenartige  Trübungen  der  Netzhaut  mit  entsprechenden 
Functionsstörungen  begründen.  Es  liegen  diese  Nervenfasern  in  der  nächsten  Um- 
gebung der  Papille  in  Bündel  geordnet  noch  dicht  über  einander,  zerfahren  aber, 
indem  sie  in  die  Netzhaut  ausstrahlen,  mehr  und  mehr  und  lassen  nahe  der 
Peripherie  schon  beträchtliche  Lücken  zwischen  sich. 

Der  hindegewehige  Theil ,  die  Bindestibstanz  der  Retina ,  durchdringt 
alle  Schichten  bis  zu  dem  Stratum  bacillosum,  dessen  Elemente  von  einer 
ganz  wasserhellen,  festen,  dehnbaren,  zähen  und  elastischen  Masse  zusam- 
mengehalten werden  (Henle). 

Die  innere  Limitans  i  trägt  im  Allgemeinen  die  Charaktere  einer  Glashaut 
(Kölliker).  Sie  wird  durch  feste  Verkittung  der  dem  retinalen  Bindegewebe  eigenen 
kernhaltigen  Faserzellen  gebildet  (G  Ritter).  Jede  dieser  Faserzellen  soll  nur  zum 
Theile,    meistens    sogar   nur    zur   kleineren   Hälfte,    in    der  Grenzhaut  liegen,    der 

12* 


230  Netzhaut;  Anatomie;  Macula  lutea;  Gefässe. 

Rest  derselben  aber  sich  unter  einem  Winkel  gegen  das  Innere  der  Netzhaut  ab- 
biegen und,  indem  er  sich  mit  anderen  Faserzellen  verbindet,  bei  der  Bildung  der 
Müller'schen  Stützfasern  concurriren.  Die  inneren  Enden  dieser  Stützfasern  er- 
scheinen kegelig,  die  einzelnen  Faserzellen  treten  hier  eben  erst  zusammen,  um 
sich  zu  dünneren  Strängen  zu  vereinigen ,  welche  vielfach  durch  Nebenäste  mit 
einander  anastomosiren  und  so  ein  Fachwerk  darstellen ,  in  welchem  die  Nerven- 
fasern und  die  Ganglienzellen  eingebettet  liegen.  Es  setzen  sich  die  Stützfasern  in 
die  granulwte  Schichte  fort,  und  sind  hier  deutlich  als  Fäden  zu  erkennen,  welche 
überall  mit  grösseren  und  kleineren  unregelmässigen  Stacheln  besetzt  sind,  in 
denen  man  Molekularkörner  sieht.  Die  Lücken  füllt  eine  homogene,  granulirte 
Grundsubstanz,  welche  mit  den  Radialfasern  zusammenhängt.  In  der  inneren  Kör- 
nerschichte zeigen  sich  die  Radialfaseru  als  schmälere  und  breitere  Fasern,  welche 
mit  ihren  zackigen  Ausläufern  die  Körner  und  Nervenfäden  wie  Kapseln  um- 
schliessen  und  alle  Zwischenräume  ausfüllen.  Sie  erscheinen  leicht  körnig  getrübt, 
und  führen  rundliche  oder  spindelige  Kernzellen  ohne  Fortsätze  (Hasse).  In  der 
Zwischenkörnerschichte  werden  die  Zwischenräume  der  Radialfasern  durch  grosse 
platte  multipolare  und,  namentlich  bei  jugendlichen  Thieren,  kernhaltige  Zellen 
bindegewebigen  Charakters  gefüllt,  welche  sowohl  untereinander  als  mit  den  Radial- 
fasern innig  zusammenhängen,  selbst  viele  Lücken  zeigen,  und  Lücken  zwischen 
sich  lassen,  in  welchen  die  nervösen  Elemente  lagern.  Die  Lückenhaftigkeit  dieses 
Gefüges  hat  der  fraglichen  Schichte  den  Namen  Membrana  fenestrata  (W.  Krause) 
verschafft.  In  der  äusseren  Körnerschichte  verhält  sich  das  Gefüge  ähnlich  wie  in 
der  inneren.  Die  Radialfasern  durchsetzen  die  Schichte  unter  dendritischen  Ver- 
zweigungen, führen  aber  keine  Kemzellen.  Sie  umschliessen  alle  Körner  und 
Nervenfasern  scheidig,  füllen  alle  Lücken  und  schliessen  endlich  an  der  äusseren 
Grenze  der  Körnerschichte  in  einer  Ebene  ab,  indem  sie  hier  wieder  zu  einer 
dichteren  Haut,  der  Limitans  externa  (M.  Schulf.se)  verschmelzen.  Diese  bildet 
jedoch  nur  an  der  Peripherie  der  Netzhaut  eine  geschlossene  Schichte  ,  ist  sonst 
aber  gleich  einem  Eierbrette  vielfach  durchlöchert,  und  gestattet  so  durch  seine 
Lücken  die  Verbindung  der  Stabschichtelemente  mit  den  Körnern. 

Im  Bereiche  der  Macula  lutea ,  wo  die  jSTetzhaut  inniger  mit  der 
Chorioidea  oder  eigentlich  mit  deren  'Tapet  verbunden  ist,  erscheint  die 
Zusammensetzung  des  Organes  etwas  abweichend. 

Die  Nervenfaserschichte  ist  daselbst  sehr  reducirt,  deren  Bündel  umgreifen 
den  gelben  Fleck  in  Bögen  und  scheinen  nur  eine  einfache  Lage  von  Fasern  über 
dessen  Oberfläche  hinzusenden  (Henle).  Dafür  ist  die  Ganglienzellenschiclife  dicker 
als  anderswo,  deren  Elemente  sind  hier  kleiner  und  in  mehrfachen  Lagen,  bis  zu 
acht,  über  einander  gehäuft  (H.  Müller).  Die  granulirte  Schichte  m.angelt  und  die 
innere  Körnerschichte  ist  sehr  verschmächtigt.  Die  ZwiscJienkörnerschichte  hingegen 
ist  wiederum  sehr  entwickelt  und  besteht  zum  grössten  Theile  aus  nervösen  Ver- 
bindungsfäden, welche  alle  aus  einem  Punkte  in  der  Mitte  des  gelben  Fleckes  und 
aus  dessen  äusseren  Schichten  auszustrahlen  und  in  einem  leichten  Bogen  in  den 
horizontalen  Verlauf  überzugehen  scheinen  (Henle).  Die  äussere  Körnerschichte  ist 
mächtig.  Die  Stäbe  werden  von  gestreckten,  dicht  an  einander  gedrängten  Zapfen 
ersetzt  und  treten  erst  jenseits  der  Fovea  auf,  um  gegen  die  Peripherie  hin  an 
Zahl  zu  wachsen. 

Die  Gefässe  der  Netzhaut  sind  Zweige  der  Arteria  und  Vena  centralis, 
deren  Stämme  in  dem  Sehnerven  lagern.  Man  unterscheidet  zwei  obere 
und  zwei  untere  arterielle  und  venöse,  zusammen  also  8  Hauptäste  nebst 
mehreren  kleinen  Zweigen,  welche  strahlenförmig  gegen  die  Peripherie  der 
Retina  streichen ,  sich  auf  diesem  Wege  vielfach  verästeln  und  am  Ende 
schlingenförmig  umbiegen,  ein  dichtes  Maschenwerk  mit  rundlichen  Lücken 
bildend.  Es  überschreiten  diese  Gefässe  niemals  die  Ora  serrata.  Sie 
stehen  durch  viele  sehr  zarte  Zweigchen  mit  den  Ernährungsgefässen  des 
Sehnerven  und  mittelbar  durch  diese  mit  dem  hinteren  Scleralkranz  und 
den  Gefässen  der  Aderhaut  in  Verbindung.  Doch  ist  letztere  zumeist  eine 
arterielle  (Leber). 


Augenspiegelbild ;  trübe  Opticusausbreitung. 


181 


Die  Haiipfstämme  streielien  sänimtlich  üher  der  eigentlichen  Nervenfaser- 
schichte  und  dringen  höclistcns  in  diesellie  ein,  oline  sie  nacli  hinten  zu  über- 
schreiten. Die  weiteren  Verzweigangeu  derselben  durchsetzen  das  bindegewebige 
Gerüste  bis  in  die  innere  Faserschichte,  höchstens  bis  zur  Körnerzellenschichte. 
Die  mu/iivischen  Schichten  sind  absolut  i/efiLidos.  Auch  in  den  gelhen  Fleck  treten 
Capiliaren  ein,  nur  die  Fovea  centralis-  dürfte  gefässlos  sein.  LymphcjefäsKe  sollen 
die  grösseren  Vetienstäimnie  der  Netzhaut  allenthalben  netzartig  umspinnen ,  die 
Arterien  aber  nur  streifenweise  begleiten  und  durch  die  Siebhaut  hindurchtretend 
mit  den   Lymphwegoii   des   Opticus   sich   verbinden  (Hi-^). 

Ophthalmoskopische  Erscheinungen.  Die  Netzhaut  ist  allerdings 
nicht  vollkommen  pellucid ,  immerhin  aber  durchsichtig  genug ,  um  sich 
dem  Blicke  des  minder  geübten  Porschers  zu  entziehen.  Derselbe  erkennt 
nur  die  in  der  Retina  streichenden,  baumartig  verzweigten  Gefässe,  welche 
sich  scharf  abheben  von  dem  hintergelegenen  gelbrothen  Augengrunde 
und  sich  theilweise  durch  ihre  doppelte  Contourirung,  hellere  Färbung, 
geringere  Breite  und  den  gestreckten  Verlauf  als  Arterien,  theilweise  durch 
ihre  dunklere  Farbe,  grössere  Breite  und  geschlängelten  Decurs  als  Venen 
darstellen.  Bei  starker  Erleuchtung  des  Augengrundes  und  besonders  bei 
schiefem  Auifallen  des  Lichtes  wird  es  indessen  nicht  sehr  schwer,  die 
Netzhaut  als  solche  in  Form  eines  höchst  zarten  bläulichweissen  Nebels 
zu  erblicken,   welcher  den  Augengrund  überkleidet. 

Sehr  pigmentreiche  Augen  sind  hierzu  besonders  geeignet,  weniger  die 
farbstoffarmen  blonder  Individuen.  Am  auffälligsten  ist  diese  Trübung  in  der 
nächsten  Umgebung  des  Sehnerven  und  häufig  so  bedeutend,  dass  die  Papille  wie 
verschwommen  und  in  ihrem  Durchmesser  wegen  undeutlicher  Begrenzung  ver- 
grössert  erscheint,  dass  überdies  aber  auch  die  Gefässe  sich  sehr  merklich  ver- 
schleiert zeigen.  Es  ist  unter  solchen  Verhältnissen  oft  sogar  möglich,  die  einzelnen 
Bündel  der  Opticusausstrahlung  in  Form  feiner  radiärer  Streifen  wahrzunehmen 
(Liebreich). 

Ausnahmsweise  erscheint  die  Netzhaut  iu  der  Umgebung  der  Papille  sehr 
intensiv  weissgrau  getrübt  und  völlig  opak,  es  zeigt  sich  daselbst  ein  mächtiger, 
etwas  erhabener  Fleck  mit  zackiger  oder  flammigstrahliger  Grenze ,  welcher  die 
Aderhaut,  so  weit  er  reicht,  völlig  deckt,  die  Papille  aber  frei  lässt  oder  doch 
nur  theilweise  überkleidet.  Sehr  selten  umgibt  ein  solcher  Fleck  ringsum  den 
Sehnerveneintritt,    meistens  beschränkt  er  sich  auf  Theile  des    Umfang  es ,    ist  dann 


Fig.  31. 


J^-r 


K 


A 


aber  auch  bisweilen  doppelt  (Fig.  31) 
oder  mehrfach.  Niemals  verfolgt  er 
die  Richtung  gegen  die  Macula  lutea. 
Die  Gefässe  streichen  bald  frei  über 
die     Oberfläche     desselben     hinweg, 

bald  tauchen  sie  mehr  oder  weniger  /        ,  ^ 

tief  in  denselben  ein  und  erscheinen         ^-      '  /  .^  -:^ 

daher  streckenweise  verschleiert  oder       /^^-^ 
gänzlich  unterbrochen.    Die  Ursache      /       ,    '  ^  '""^^^^ 

dieser  Anomalie  ist,  dass  die  Ner-  / 
venfasern  ihre  Markscheide,  welche 
sie  beim  Eintritte  in  die  Siebmem- 
bran zu  verlieren  pflegen,  in  ein- 
zelnen Fällen  uneder  geiuinnen,  nach- 
dem sie  von  der  Papille  in  die  Netz- 
haut übergegangen  sind,  oder  über- 
haupt erst  in  letzterer  durchsichtig 
werden  (H.  Müller).  Es  bedingen 
derlei  Zustände  nur  bei  sehr  bedeu- 
tender Ausdehnung  eine  amaurotische 
Gesichtsschioäche ,  meistens  veran- 
lassen sie  blos  eine  Vergrösserung 
des  blinden  Fleckes  (0.  Becker,  Blhiitz),  und  dieses  zwar  aus  dem  Grunde,  weil  die 
trüben  Nervenfasern   die   lichtempfindenden  Elemente    der  Stabschichte    decken    und 


182         Netzhaut;  Augenspiegelbild;  Reflexphaenomene ;  Macula  lutea;  Senile  Veränderungen. 

sonacli  die  Entwerfuug  von  Objectbilderu  auf  diesem  Stratum,  so  weit  sie  reiclieu, 
unmöglich  machen.  Jenseits  der  Grenzen  des  trüben  Fleckes  functionirt  die  Netz- 
haut ganz  normal.  Der  Zustand  ist  immer  angehören.  Er  wurde  wiederholt  an 
Kindern,  darunter  bei  zwei  Schwestern,  bisher  aber  noch  niemals  bei  Neugeborenen 
beobachtet  ( MauthnerJ. 

In  seltenen  Fällen  sieht  man  im  Bereiche  der  Netzhaut  eigenthümliche 
Reflexe,  welche  bisher  eine  befriedigende  Erklärung  nicht  zulassen.  Es  sind  bald 
schlangenartige  Lichtstreifen,  welche  sich  an  der  Seite  der  Gefässe  hinziehen  und 
bei  den  Bewegungen  des  Sjiiegels  von  einer  Stelle  zur  andern  hinüberspringen, 
streckenweise  ein  Gefäss  auch  wohl  gänzlich  decken  (Schirmer);  bald  sind  es  je 
nach  der  Stellung  des  Spiegels  an  Umfang  und  Form  wechselnde  silbei-artig 
blinkende  Flächen  mit  dunkleren  Schatten,  welche  mit  Eisblumen  verglichen  wurden 
(Schirmer)  und  ganz  das  Ansehen  haben,  als  kämen  sie  von  einer  unregelmässig 
gefalteten  Spiegelplatte.  Sie  werden  ausschliesslich  nur  in  der  Gegend  der  Macula 
lutea  und  zwar  vornehmlich  bei  dunkel  pigmentirtem  Augengrunde  gefunden. 

Die  Macula  lutea  ist  in  der  Äegel  nur  schwierig  oder  gar  nicht 
objectiv  wahrzunehmen.  Doch  sind  die  Gefössarmuth  ihrer  nächsten  Um- 
gebung sowie  die  bekannte  Lage  derselben:  etwas  unter  dem  horizontalen 
Durchmesser  des  Augengrundes  und  fast  um  den  doppelten  Diameter  der 
Papille  von  deren  Grenze  nach  aussen,  genug  Anhaltspunkte,  um  dieselbe 
in  das  Gesichtsfeld  zu  bringen.  Häufig  indessen,  besonders  bei  Kurz- 
sichtigen, markirt  sich  dieselbe  sehr  deutlich  als  kleines  hell  gefärbtes 
Grübchen,  welches  das  Licht  in  eigenthümlicher  Weise  reflectirt  (Coccius) 
und  gewöhnlich  von  einem  bräunlichen  (Fig.  -A,  P)  oder,  bei  sonst  sehr 
hellem  Äugengrunde,  dunkelrothen  Flecke  umsäumt  wird.  Es  ist  dieser 
Fleck  bald  rundlich,  bald  unregelmässig  geformt,  von  grösserem  oder 
geringerem  Durchmesser  und  kann  bei  blutrother  Färbung  leicht  mit 
einem  Extravasate  verwechselt  werden.  8eine  Grenzen  sind  meistens 
verwaschen.  Li  einzelnen  Fällen  jedoch  erscheint  derselbe  als  eine  quer 
oder  schräg  gelagerte  Ellipse,  deren  Eand  entweder  theilweise  und  je  nach 
der  Spiegelstellung  an  dieser  oder  jener  Seite  (Fig.  31,  32),  oder  ringsum 
von  einer  hellglänzenden  Linie  umsäumt  wird  (Schelske,  Schweiyger,  Cocckis, 
Ed.  Jaeger). 

Senile  Veränderungen.  Diese  betreffen  hauptsächlich  das  bindege- 
webige Hüll-  und  Stützwerk.  Die  Stützfasern  werden  durch  molekularen 
Detritus  trübe  vtnd  geben  der  Netzhaut,  wenn  sie  von  der  vorderen  Fläche 
aus  betrachtet  wird,  ein  marmorirles  Aussehen,  was  besonders  am  Cadaver- 
auge deutlich  hervortritt. 

Auch  findet  man  bei  Greisen  fast  immer  durchscheinende,  das  Licht  stark 
brechende,  choloide  und  amyloide,  kugelige  Massen.  Dieselben  häufen  sich  bis- 
weilen derart  und  sind  so  mächtig,  dass  die  Netzhaut  schon  für  das  freie  und  für 
das  mit  dem  Ophthalmoskop  bewaffnete  Auge  weiss  getüpfelt  erscheint.  Sie  sitzen 
vorzugsweise  in  der  Nervenfaserschichte,  kommen  übrigens  auch  in  dem  bindege- 
webigen Gerüste  des  Opticiis  vor  und  sind  sclerosirte  Bindegeweliskörjjer ,  theilweise 
vielleicht  auch  sclerosirte  nervige  Elemente.  Die  Limitans  retinae  wird  dabei  in  der 
Kegel  ebenfalls  trübe  durch  Anlagerung  organischer  Massen,  welche  sich  öfters  zu 
mannigfaltigen  Figuren  aggregiren.  Ausserdem  stösst  man  bisweilen  auf  atheroma- 
töse  Gefässe  (Wedl).  Besonders  in  der  Nähe  der  Papille  und  an  der  Peripherie 
der  Netzhaut  sind  verfettigte  und  zum  Theile  auch  mit  Kalkkörnchen  dicht  besetzte 
Gefässchen  und  Capillaren  nichts  seltenes  und  scheinen  mit  dem  bei  Greisen  sehr 
gewöhnlichen  Oedema  retinae  und  der  senilen  Cataracta  in  pathogenetischem  Zu- 
sammenhange zu  stehen  (Iivanoff). 

Es  ist  wahrscheinlich,  dass  jene  Alterationen  im  Zusammenhange 
stehen  mit  der  Abnahme  der  Sehschärfe ,  welche  bei  sehr  alten  Leuten 
bisweüen    nachzuweisen    ist.     Unzweifelhaft    wirkt    dabei    aber     auch    die 


Nosologie;  Eulzuinluui,'.  183 

Atrophie  dos  Pi<;iniMitßtratums,   die  choloido  Degeneration    der   Uvcalgrenz- 
haut  und   der  dadurcli  biMÜngtc  stärkere  Lichtrcüex  des  Aiigcngrundes  mit. 

Nosologie.  Der  entzündliche  Process  geht  wohl  immer  von  dem 
bindegewebigen  Gerüste  der  N'i'tzhaut  aixs.  Er  liefert  wechselnde  Mengen 
eines  Produofes,  welches  zumeist  als  Infiltrat  zwischen  und  in  dem  (lefügc 
der  Membran  abgelagert  erscheint,  oft  aber  auch  theilweise  unter  der  Form 
eines  Exsudates  an  einer  oder  beiden  Oberflächen  der  Iletina  sich  sammelt. 
Es  setzt  sich  dasselbe  zusammen  aus  einer  sulzartlgen  gerinnbaren  Orund- 
lage  und  aus  neoplastischen  Zellen,  welche  je  nach  dem  Charakter  der 
Entzündung  qualitativ  und  (|uautitativ  sehr  beträchtlich  wechseln.  Die 
Elemente  der  Netzhaut  selbst  werden  dabei  in  mannigfaltiger  Weise  ver- 
ändert. Das  bindegewebige  Gerüste  und  die  Gefässwandungen  werden  häufig 
theilweise  hypertrophirt ;  öfter  aber,  namentlich  bei  grosser  Intensität  des 
Processes ,  wird  die  Bindesubstanz  durch  Verfettung  geschädigt  und  kann 
aucli  ganz  aiifgelöst  werden.  Die  Bindegeioebszellen,  soweit  sie  nicht  in 
der  entzündlichen  Wucherung  aufgehen ,  pÜegen  sich  theilweise  in  Fett- 
k'örnchenkugeln  umzuwandeln,  theilweise  aber  zu  sclerosiren,  in  choloide 
und  amyloide  Massen  überzugehen.  Die  nervigen  Elemente  können  lange 
ihre  Integrität  bewahren  und  pflegen  ihre  Theilnahme  an  dem  entzünd- 
lichen Processe  durch  Sclerose  und  durch  Verfettung  zu  bekunden  {H.  Müller, 
Schweigger,    Wedl). 

Die  sulzähnliche  Grundlage  des  entzündlichen  Productes  ist  anfangs  fast  homogen, 
oder  clocli  nur  fein  molekulirt ,  t)-üht  sich  aber  allinälig  durch  Ausscheidung  von 
FeUkornchen.  Bisweilen  gerinnt  sie  vielleicht  schon  während  des  Lebens;  jedenfalls 
kann  sie  am  Cadaverauge  unter  dem  Einfluss  erhärtender  Flüssigkeiten  coagulirt 
werden  und  stellt  sich  dann  in  der  Gestalt  eines  opaken  weissgrauen  Faserfilzes 
dar,  welcher  sich  zwischen  die  Elemente  der  Netzhaut  hineindrängt  und  dieselben 
auseinander  treibt.  Man  findet  sie  gewöhnlich  in  sämmtUchen  Schichten  der  Netzhaut; 
am  meisten  jedoch  pflegt  sich  davon  in  den  Körnei-schichten  zu  sammeln.  Die 
Schlängelungen  der  Gefässe  in  ax;f-  und  absteigender  meridionaler  Richtung,  welche 
man  bei  Netzhautentzündungen  an  den  Gelassen  so  häufig  beobachtet,  deuten  mit 
Bestimmtheit  darauf  hin,  dass  diese  Infiltrationen  des  Gefüges  nicht  immer  gleich- 
massige  sind,  sondern  die  Oberfläche  der  ßetina  buckelig  emporheben. 

Der  fettige  Zerfall  des  Fasergerüsles  wird  vornehmlich  in  der  Bindesubstanz 
der  Körnei-scliicJiten  beobachtet,  während  das  Gerüste  der  inneren  Nefzhautschichfen 
öfter,  und  besonders  bei  längerem  Bestände  chronischer  Entzündung,  hypertrophirt 
gefunden  wird.  Die  hypertrophirenden  Stützfasern  nehmen  beträchtlich  an  Volum  zu, 
jedes  einzelne  Faserelement  wird  dicker  und  stärker  liclitbrechend,  die  Gesammt- 
masse  des  Gerüstes  also  auch  trüber,  so  zwar,  dass  die  in  den  inneren  Netzhaut- 
schichten  streichenden  Gefässstämme  schleierartig  verhüllt  werden.  Die  Trübung 
wird  übrigens  noch  bedeutend  gesteigert  durch  Einwanderung  von  lymphoiden  Zellen 
und  durch  die  gleichzeitigen  Veränderungen  der  Bindegewehskerne.  Diese  schwellen 
auf,  ihr  Inhalt  wird  durch  Niederschläge  molekularer  fettiger  Massen  trüb  und  sie 
beginnen  zu  wuchern.  Weiterhin  pflegt  ein  grosser  Theil  dieser  Elemente  sich  in 
Fettköryierkugeln  umzuwandeln,  während  ein  anderer  Theil  sclei-osirt,  sich  in  resi- 
stente, stark  opalisirende,  kernhaltige  und  oft  auch  leicht  granulirte,  choloide  und 
amyloide  Körper  metamorphosirt.  Sowohl  die  Fettkörnerkugeln  als  die  choloiden 
Körper  stehen  bald  discref,  Ijald  in  Haufen  gruppirt  in  und  zwischen  den  Stütz- 
fasern, und  die  ersteren  verursachen,  wenn  sie  nesterartig  zusammengedrängt  sind, 
öfters  das  oben  erwähnte  getüpfelte  Aussehen  der  Netzhaut.  Am  reichlichsten  pflegen 
die  Fettkörnerkugeln  und  die  choloiden  Körper  in  den  Körnerstratis  und  dann  in 
der  Nervenfaserschichte  vertreten  zu  sein,  ja  sie  finden  sich  hier  häufig  in  so  grosser 
Menge,  dass  sie  unmöglich  blos  aus  der  Umwandlung  präexistenter  Elemente  abge- 
leitet werden  können,  sondern  die  Annahme  einer  vorgängigen  Zellenvermehrung 
und  der  späteren  Metamorphose  neugebildeter  zelliger  Elemente  zur  Nothwendigkeit 
machen.    In  der   That  erscheinen    manchmal    massenhaft    neoplastische,    zum  Theil 


134  Neurodictyitis ;  Nosologie;  Perivasculitis. 

noch  in  Prolification  begriffene  Lymphkörper  eingelagert  in  (Jas  Fasergerüste,  während 
die  Fettkörnchenkugeln  und  die  choloiden  Körper  an  Zahl  bedeutend  zurücktreten. 
In  einzelnen  Fällen  hat  man  sogar  Haufen  schön  entwickelter  spindeliger  oder  kol- 
biger  KernzeUen  und  die  Anfänge  neoplastischer  bindegewebiger  Intercellularsuhstanz 
in  dem  Gerüste  der  Netzhaut  gefunden.  Mitunter  ist  die  Neubildung  noch  weiter 
gediehen,  es  wachsen  ganze  Bündel  völlig  entwickelten  kernbesetzten,  bisweilen 
vascularisirten  Bindegewebes  in  das  Äderhauttapet  (Pope),  oder  was  weitaus  häufiger 
geschieht,  in  den  Glaskörper  (S.  157J  hinein.  Dei'lei  Ansammlungen  neoplastischer 
Kerne  oder  Zellen  scheinen  meisthin  den  oben  erwähnten  marmorirten  Zeichnungen 
der  entzündeten  Netzhaut  zu  Grunde  zu  liegen. 

Die  nervigeii  Elemente  widerstehen,  wie  gesagt,  oft  ziemlich  lange,  oder  trüben 
sich  einfach  durch  fettige  Niederschläge,  ohne  damit  die  Fähigkeit  der  Wiederher- 
Stellung  der  normalen  Functionstüchtigkeit  einzubüssen.  Am  Ende  jedoch  werden 
sie  wenigstens  theilweise  durch  Verfettigung  oder  Sclerose  ihres  nervösen  Charakters 
verlustig.  VerfeUigende  Nervenröhren  schwellen  öfters  merklich  avif  und  verursachen, 
wenn  ihre  Zahl  eine  bedeutende  ist,  nicht  selten  eine  ganz  deutliche  gestrichelte 
Zeichnung  in  den  betreffenden  Netzhauttheilen.  In  verfettigenden  Ganglienzellen 
findet  man  statt  des  Kernes  ein  oder  zwei  matt  glänzende  Fetttropfen,  oder  es 
ist  gar  der  ganze  Zelleninhalt  in  eine  feinkörnige  Masse  umgewandelt  und  auch 
die  Fortsätze  derselben  erscheinen  durch  eine  ähnliche  krümliche  Masse  vaiücös 
aufgebläht.  Die  Körner  und  die  Elemente  der  Stabschichte  pflegen  sich  am  längsten 
zu  erhalten,  können  am  Ende  jedoch  auch  verfettigen.  Die  Sclerose  wird  vornehmlich 
an  den  Nervenröhren  beobachtet;  von  den  übrigen  nervigen  Gebilden  ist  es  noch 
gar  nicht  sicher  gestellt,  sondern  nur  sehr  loahrscheinlich,  dass  sie  theilweise  scle- 
rosiren,  sieh  in  choloide  Körper  umwandeln  können  (Iwanoff,  Klebs).  Sclerosirende 
Nervenröhren  zeigen  sich  streckenweise  spindelig  aufgetrieben,  varicös,  fein  mole- 
kulirt  und  stärker  lichtbrechenfl.  Einzelne  der  varicösen  Anschwellungen  entwickeln 
sich  rasch  zu  beträchtlichem  Volum  und  gewinnen  allmälig  das  Ansehen  der  cho- 
loiden  Körper,  besonders  wenn  die  sie  verbindenden  Nervenröhrenstücke  degeneriren 
oder  gar  völlig  zu  Grunde  gehen  vind  die  sclerosirten  Knoten  dann  isolirt  erscheinen. 
In  einem  Falle  war  die  Entwickelung  solcher  choloider  Massen  schon  siebzehn 
Stunden  nach  Einwirkung  des  die  Entzündung  veranlassenden  Trauma's  sehr  weit 
gediehen  (Berlin).  Man  hat  daher  guten  Grund,  die  choloide  Entartung  unter  solchen 
Verhältnissen  von  jener  zu  trennen,  welche  bei  progressivem  Schwund  beobachtet 
wird,  und  sie  vielmehr  als  Ausdruck  einer  Art  IJypertro2jliie  zu  betrachten. 

Die  Gefässe  erleiden  in  ihren  Wandungen  ähnliche  Veränderungen,  wie  das 
Fasergerüste  der  Netzhaut.  Besonders  die  feineren  Aestchen  pflegen  stellenweise  zu 
verfettigen.  Theilweise  sclerosiien  sie  wohl  auch,  ihre  Wandungen  erscheinen  verdickt 
durch  eine  derbe,  stark  lichtbrechende  Substanz,  welche  auch  in  das  Lumen  sich 
ergiesst  und  dieses  verengert,  hier  und  da  sich  übrigens  auch  zu  Knoten  oder 
Scheiben  zusammenhäuft,  welche  nach  allen  ihren  Eigenschaften  den  choloiden 
Körpern  des  Bindegewebes  entsprechen  (Virchow).  Die  Adventitialschichte  der  Gefässe 
hypertrophirt  sehr  gewöhnlich  und  zwar  an  den  grösseren  Stämmchen  oft  in  sehr 
bedeutendem  Grade,  so  dass  dieselbe  nicht  nur  sehr  beträchtlich  verdickt,  sondern 
überdies  noch  mit  neoplastischen  bindegewebigen  Anhängseln  besetzt  erscheint, 
welche  bald  das  Aussehen  papillöser  Auswüchse  haben,  bald  dem  flügeiförmigen 
Besätze  mancher  Püanzenstengel  ähneln  (WedlJ.  Die  zugehörigen  Kerne  zeigen  sich 
oft  in  üppiger  Wucherung  begriffen,  ja  nicht  selten  findet  man  ganze  Kettenreihen 
neojilastischer  Kerne  eingelagert.  Das  Epithel  der  inneren  Rohrlichtung  nimmt  an 
der  Prolification  Antheil  (Iwanoß). 

In  einzelnen  Fällen  überwiegt  die  Wucherung  der  Gefässwände  ]e,n&  des  binde- 
gewebigen Stützwei-kes  in  besonders  auffälligem  Grade,  so  dass  die  grösseren  Aeste 
und  Stämmchen  der  Centraladern  als  weissliche  Stränge  aus  dem  entzündlich  getrübten 
Netzhautgefüge  sehr  deutlich  hervorstechen  (Perivasculitis  retinae,    Iwanoff,  Nagel). 

Die  Betheiligung  der  Gefiisswände  ist  ein  Hauptgrund  des  überaus 
häufigen  Vorkommens  von  haemorrhagischen  Extravasaten  in  entzündeten 
Netzhäuten.  Es  erreichen  diese  Ergüsse  meisthin  nur  einen  geringen 
Umfang ,  da  die  hämo  dynamischen  Verhältnisse  im  Binnenraume  des  Aug- 
apfels den  massenhaften  Austritt  von  Blut  aus  einzelnen  Gefässrissen 
erschweren.     Dafür  sind  sie  oft  recht  zahlreich.    Sie  sitzen  gemeiniglich  in 


Blutextra vasate ;  diffuse  und  exsudative  Netzhautentzündung.  185 

den  inneren  Schichten  der  Netzhaut,  drinp;en  jedoch  unter  dem  Drucke 
der  nachrückenden  Bhitsäule  nicht  selten  in  den  Maschen  des  bindege- 
webigen Gerüstes  weiter  und  werden  dann  in  ihren  äusseren  Umrissen 
von  dem  Fachwerko  gemodelt,  erscheinen  säulenförmig  im  Bereiche  der 
Stützfasern,  gestrichelt  im  Bereiche  der  Papille,  rund  in  der  Ganglienzellen- 
sehiehte  u.  s.  w.  (Heymann,  Schneller).  Selten  zertrümmern  sie  das'  Gefüge  und 
gelangen  bis  in  die  Zwischenkörnerschichte  oder  zwischen  Netzhaut  und  Ader- 
haut, oder  treten  anderseits  in  den  Glaskörper  aus  (S.  159).  Sie  pflegen,  wenn 
sie  nicht  sehr  massig  sind,  unter  günstigen  Verhältnissen  bald  aufgesaugt  zu 
werden.  Doch  gehen  sie  bisweilen  auch  ständige  Formen  ein,  zersetzen  sich, 
indem  sie  ihre  Farbe  ins  Purpurne  oder  Rostbraune  wechseln,  in  eine 
körnige  Masse,  in  welcher  man  oft  noch  spät  nekrotische  Blutkörperchen. 
und  mitunter  auch  Hämatinkrystalle  erkennen  kann. 

Das  häufige  Auftreten  von  Extravasaten  bei  Netzhautentzündung 
hat  aber  noch  einen  anderen  Grund,  nämlich  die  Ansclnoellung  des  Nerven- 
kopfes und  die  damit  gesetzte  Stauung  des  venösen  Rückflusses.  Es  be- 
schränkt sich  eben  ein  in  der  Netzhaut  verlaufender  Entzündungsprocess 
nur  ausnahmsweise  auf  die  Eetina  als  solche,  in  der  Regel  greift  er  auf 
die  Papille  des  Nerven  über,  ohne  jedoch  die  Siebmembran  jemals  zu 
überschreiten  (Iwanqff) ;  während  anderseits  wieder  eine  Neuritis  sich  nur 
sehr  selten  an  der  Papille  abgrenzt,  ohne  auf  die  Netzhaut  fortzuschreiten. 
Es  handelt  sich  demnach  meisthin  nicht  sowohl  um  eine  Retinitis  im 
engeren  Wortsinne   als  vielmehr  um  eine  Neurodictyitis. 

Das  anatomische  Bild  des  Processes  ist  übrigens  keineswegs  immer 
ein  gleiches ,  sondern  ändert  in  seinen  einzelnen  Zügen  sehr  wesentlich 
ab.  Man  unterscheidet  auf  Grundlage  der  Diff'erenzen  mehrere  Arten  der 
Neurodictyitis ,  welche  jedoch  durch  zahlreiche  Uebergangsformen  viel- 
fältig mit  einander  zusammenhängen. 

1.  Sind  die  inneren  Schichten  vorzugsweise  ergriffen,  so  geJit  ge- 
wöhnlich eine  sehr  ausgesprochene  Hyalitis  nebenher,  die  Aderhaut  hin- 
gegen und  das  Tapet  pflegen  in  reinen  Fällen  ihre  Integrität  zu  bewahren 
oder  doch  erst  spät  an  dem  Processe  Antheil  zu  nehmen.  Man  beschreibt 
diese  Fälle  unter  dem  Namen  der  Neurodictyitis  diffusa. 

2.  Wo  der  entzündliche  Process  sich  mehr  in  den  äusseren  Stratis 
der  Netzhaut  concentrirt,  dort  leidet  constant  das  Tapet  in  sehr  auffälliger 
Weise  mit.  Man  findet  dasselbe  dann  in  verkümmertem  Zustande ,  vergilbt 
und  oft  ganz  zerworfen,  ja  streckenweise  fehlt  es  ganz.  Einzelne  Zellen- 
gruppen werden  jedoch  gewöhnlich  in  den  Wucherunysprocess  einbezogen, 
vermehren  sich  durch  Neubildung  und  häufen  sich  zu  Klumpen,  wachsen 
theilweise  in  die  entzündlich  gelockerte  Netzhaut  hinein  und  regen  in 
dieser  andere  neoplastische  Zellen  zur  Pigmentbildung  an.  Die  Vermittler 
dieses  innigeren  Rapportes  zwischen  Netzhaut  und  Tapet  sind  zum  Theile 
bindegewebige  Auswüchse  des  musivischen  Stroma,  welche  zwischen  die 
Pigmentzellen  hineinwuchern  (Junge,  Pope,  Iwanoff,  Rudnew),  hauptsäcliHch 
aber  eine  auf  die  äussere  Netzhautoberfläche  ausgeschwitzte  Lage  sulzähnlichen 
gerinnungsfähigen  Productes,  welches  die  Retina  und  die  Aderhaut  mit  einan- 
der verklebt  und  einen  exsudirten  Theil  des  entzündlichen  Infiltrates  darstellt. 

Es  erscheint  dasselbe  bald  homogen  oder  höchstens  feinkörnig,  bald  streifig 
oder  undeutlich  faserig.  Es  enthält  gewöhnlich  nur  geringe  Mengen  zelliger  Ge- 
bilde.    Mitunter    verzweigen    sich    darin    einzelne    neugebildete    Gefässe    (Sämisch), 


186  Nem-odiclyitis ;  Nosologie;  Exsudative  rormeii. 

welche  mit  denen  der  Netzhaut  zusammenzuhängen  scheinen  und  wahrscheinlich 
mit  den  bindegewebigen  Auswüchsen  dahin  gedrungen  sind. 

Die  Exsudatschichte  ist  oft  ziemlich  gleichmässig  über  die  ganze  Ober- 
fläche der  Netzhaut  verbreitet,  die  Aiilöthung  der  Eetina  an  die  Chorioidea 
und  die  Alteration  des  Tapetes  erstrecken  sich  über  die  gesammte  Aus- 
dehnung der  genannten  Organe.  Es  werden  solche  Fälle,  obgleich  sie 
eine  exsudative  Form  der  Neurodictyitis  repräsentiren,  fast  durchwegs  noch 
der  diffusen  Netzhautentzündung  beigezählt,  da  die  ihr  charakteristischen 
Veränderungen  während  des  entzündlichen  Stadiums  am  Lebenden  durch 
die  starke  Trübung  der  Retina  und  des  Glaskörpers  verdeckt  werden,  das 
Krankheitsbild  beider,  übrigens  verwandten  Arten  also  nahe  übereinstimmt 
und  sich  erst  in  späteren  Perioden  verschieden  gestaltet,  wenn  die  getrübten 
Theile  sich  aufzuhellen  beginnen  und  fortschreitende  Atrophie  an  die 
Stelle  des    Wiiclierungxprocesses  getreten  ist. 

In  anderen  Fällen  häuft  sich  das  Exsudat  vorzugsweise  an  einzelnen 
Stellen  der  liinteren  Netzhautoberfläche,  oder  es  kömmt  Mos  streckenweise 
zu  einer  wirklichen  Ausschwitzung,  während  die  diffus  entzündete  Netz- 
haut im  Uebrigen  keine  Verbindung  mit  der  Chorioidea  eingeht;  ja  gar 
nicht  selten  tritt  der  ganze  Process  überhaupt  nur  herdweise  auf  und  der 
Rest  der  Retina  und  des  Tapetes  verharrt  in  einem  der  Norm  nahestehen- 
den Zustande  oder  leidet  doch  nur  in  geringem  Masse  mit.  Es  bilden 
diese  ausgeschwitzten  Producte  meistens  ziemlich  dicke  und  oft  auch  selir 
umfangreiche  Fladen  mit  mehr  oder  weniger  scharfen  Grenzen.  Vermöge 
ihrer  Opacität  und  helleren  Färbung  stechen  sie  aus  der  umgebenden 
Trübung  stark  heraus  und  lassen  die  Netzhaut,  wenn  sie  mächtiger  sind, 
in  ihrem  Bereiche  etwas  vorgetrieben  erscheinen.  In  späteren  Stadien, 
wenn  ein  Theil  des  exsudirten  und  in  die  Netzhaut  infiUrirten  Productes 
der  Resorption  anheimgefallen  und  der  Rest  in  der  Schrumpfung  vorge- 
schritten ist,  stellen  sie  sich  in  Gestalt  höchst  charakteristischer,  häufig 
figurirter  Flecke  dar,  deren  intensiv  helle  Grundfarbe  und  die  oft  massige 
Einlagerung  tief  dunkler  Pigmentklumpen  die  oben  erwähnten  Tapet- 
alterationen in  der  auftalligstcn  Weise  zur  Wahrnehmung  bringen.  Sie 
sitzen  am  gewöhnlichsten  in  der  Gegend  der  Macula  lutea,  wo  che  Ver- 
bindung der  Retina  und  Chorioidea  schon  in  der  Norm  eine  innigere  ist. 
Auf  diese  Form  passt  vornehmlich   der  Name  Neurodictyitis  exstidativa. 

Wo  die  inneren  Schichten  der  Netzhaut  in  aus()esprochenem  Grade 
mitleiden,  zeigt  sich  meisthin  auch  der  Glaskörper  entzündlich  getrübt. 
Die  Aderhaut  als  solche  kann  an  dem  Wucherungsprocesse  Antheil  nehmen, 
tliut  dies  aber  nicht  nothwendig  (Sämisch)  und  wenn,  so  gewöhnlich  in 
minder  auffälliger  Weise.  Später  aber  kömmt  es  im  Bereiche  der 
Exsudatherde  stets  zur  Atrophie  der  Choriocapillaris  und  der  Vasculosa. 
Doch  stösst  man  hier  und  da  auch  auf  Fälle ,  avo  das  Product  gleich 
ursprünglich  innerhalb  des  eigentlichen  Aderha%itparenchyines  in  knotenähnlichen 
Massen  oder  in  flächenartig  ausgebreiteten  Fladen  mit  meist  rundlichen 
Umrissen  und  scharfen ,  gewöhnlich  wulstähnlich  aufgeworfenen  Rändern 
abgelagert  wird.  Man  überzeugte  sich ,  dass  diese  Herde  weiterhin  die 
Grenzhaut  der  Chorioidea  durchbrechen,  mit  der  Aussenfläche  der  Netz- 
haut in  Berührung  kommen  und,  indem  sie  letztere  in  den  AVucherungs- 
process  mitverwickeln,  in  deren  Gefüge  eindringen  (Förster,  Iivanof).  Es 
rechtfertigen  die    erwähnten  Zustände    der  Aderhaut  einigermassen  den  der 


Kotinochorioiditis ;  areolaiv  und  ut■^llll■itiscUo  Form.  187 

ganzen  Krankheitsgruppe /ra/ter  beigemessenen  Namen  einer  Retinochorioiditis 
oder   Chorioiditis  exsudativa. 

Die  Icnotlfjen  Einlarjerungen  im  Aderhanfgefiye  erwiescu  sich  tlieils  als  Haufen 
wuchernder  Zellen  spindeligcr  Form;  theils  als  Aggregate  verzweigter,  vielfach 
anastomosirender  und  stark  jiigmentirtor  Stränge,  welclie  zum  Theile  degencrirte 
lUntgefilsse  der  Vasculosa,  zum  Theile  neugebildcte  Kernmassen  waren.  Es  lagerten 
diese  Gebilde  in  einer  schwach  faserstreifigen  Grundlage,  welche  mit  zahlreichen 
Choloidlvugeln  und  pigmentlosen  Kernen  durchstreut  war.  Hier  und  da  jedoch 
häuften  sich  die  pigmentirten  Massen  auch  in  der  Art,  dass  die  Grundlage  ganz 
verschwand  und  mächtige,  fast  solide,  über  die  Oberfläche  der  Aderliaut  etwas 
emporragende  Fiymenthlumpen  dargestellt  wurden.  In  einem  Falle  fand  man  der- 
artige Einlagerungen  aus  einem  durchsichtigen,  feinfaseiügen,  weitmaschigen  und 
ganz  farblosen  Gewebe  bestehend,  welches  sich  von  dem  umgebenden ,  wenig  ver- 
änderten Aderhautgefüge  sehr  scharf  absetzte.  Es  Hess  dieses  Gewebe  ansehnliche 
Lücken  zwischen  sich,  welche  von  einer  formlosen  Masse,  spärlichen  kernähnliehen 
Gebilden  und  wahren  Kernzellen  ausgefüllt  wurden.  Die  Elemente  der  Aderhaut 
waren  im  Bereiche  dieser  Herde  völlig  untergegangen.  An  der  Oberfläche  der 
pigmentlosen  Knoten  unterschied  mau  deutlich  ein  Stratum  wuchernder,  sehr  stark 
und  dunkel  pigmentirter  Keruzellen.  Die  Netzhaut  schien  durch  fasei'ige  Fortsätze 
mit  der  Neubildung  zusammenzuhängen  und  war,  da  die  untersuchten  Fälle 
sämmtlich  schon  sehr  veraltet  waren,  stark  atrophirt  (Förster). 

Es  sind  dermalen  noch  zu  wenig  genaue  Untersuchungen  angestellt  worden, 
als  dass  sich  mit  Bestimmtheit  darüber  entscheiden  Hesse,  ob  die  im  Obigen  ange- 
führten Unterschiede  blos  Vai'ianten  eines  und  desselben  krankhaften  Vorjraneres 
oder  essentiel  differente  Processe  charakterisiren.  Im  Ganzen  scheint  man  sich  auf 
Seite  der  letzteren  Ansicht  zu  neigen ,  ja  Manche  stellen  bereits  die  Fälle  der 
ersteren  Art  als  „Retinitis  circumscripta'*  denen  der  zweiten  Art,  der  „Chorioiditis 
areolaris"'  gegenüber,  indem  sie  meinen,  dass  bei  der  Ersteren  die  Affection  der 
Netzhaut,  bei  den  Letzteren  das  Chorioidalleiden  überwiegend  sei  (S'dmisch).  Doch 
sprechen  die  nahen  Beziehungen,  welche  gerade  die  Areolen  zu  den  Gefässen  der 
Netzhaut  in  manchen  Fällen  erkennen  lassen  (Nagel,  Förstej-) ,  mehr  für  die  Retina 
als  Ausgangspunkt  des  Leidens.  Sicherlich  handelt  es  sich  eben  nur  um  ein  Mehr 
oder  Weniger  und  das  Vorkommen  zahlreicher  Uebergangsfor"nien  lässt  bisher  das 
Zusammenfassen  beider  Arten  ganz  gut  rechtfertigen. 

3.  Bei  einer  weiteren  Eorm  der  Netzhautentziindung,  welche  an 
den  Bestand  der  BrigMschen  oder  verwandter  Nierenkrankheiten  gebunden 
ist  und  darum  als  nephritische  Netzhautentzündung  beschrieben  wird,  sammeln 
sich  grosse  Mengen  eines  meistens  rasch  verfettigenden  Entzündungs2)roductes 
in  der  hinteren  Hälfte  der  Eetina  sowie  im  Nervenkopfe  und  machen  die- 
selben oft  beträchtlich  anschwellen.  jS'ebenher  geht  immer  eine  starke 
Blutüberfülhmg,  wenigstens  in  den  Veiien.  Auch  sind  streifige  oder  Hecken- 
artige  Extravasate  im  Bereich  der  Productherde  eine  constante  Erscheinung. 

Der  mikroskopische  Befund  ist  von  dem  der  vorigen  Arten  der  Dictyitis 
nicht  wesentlich  verschieden,  das  Charakteristische  liegt  eben  nur  in  der  enormen 
ganglienzellenartigen  Hi/pertrophie  (Sclerose)  der  Nervenfasern,  in  der  choloide'n 
Entartung  der  retinalen  Gefässiv'cmde  und  weiters  in  den  massigen  Productan- 
häifungen,  welche  zumeist  als  Infiltrat,  theilweise  aber  auch  nicht  selten  als 
Exsudat  zwischen  Netz-  und  Aderhaut  erscheinen,  die  beiden  letzteren  Membranen 
streckenweise  mit  einander  verkleben  und  die  der  exsudativen  Form  der  Netzhaut- 
entzündung charakteristischen  Veränderungen  des  Tapetes  im  Gefolge  haben.  Im 
Glaskörper  wurden  nebenl)ei  öfters  fibrinöse  Gerinnsel  und  wuchernde  Zellen 
gesehen.  Die  Aderhaut  erwies  sich  serös  durchfeiTchtet  und  in  ihrem  Gefüge 
gelockert;  die  Bindegewebszellen  ihres  Stromas  erschienen  aufgequollen,  getrübt, 
zum  Theile  in  choloide  Körper  umgewandelt;  die  zarteren  Gefässe,  namentlich  die 
Netze  der  Choriocap)illaris,  waren  durch  eine  stark  lichtbrechende  Substanz  in 
ihren  Wandungen  verdickt,  in  ihren  Lichtungen  aber  verengert  oder  ganz  verstopft, 
sclerosirt,  participirten  also  an  einer  Degeneration,  welche  nach  neueren  Un- 
tersuchungen über  alle  kleineren  Gefässe  des  Körpers  ausgebreitet  sein  soll  und 
von    Manchen    als    der    eigentliche    Mitfeljyunkt    des   Brightschen   Leidens    gehalten 


188  Netirodictyitis ;  Nosologie;  Snppurative  Form. 

wird  {Kussmaul,  R.  Meyer).  Die  Grenzhaut  der  Chorioidea  zeigte  sich  normal  oder 
mit  cboloiden  Massen  besetzt  (Virchow,  H.  Müller,  ZenTcer,  Schweigger). 

4.  Bei  einer  vierten  Form  der  Dictyitis,  welche  mau  mit  dem  Namen 
der  eiterigen,  supptirativen,  beziehungsweise  wohl  auch  tuberkulösen,  belegen 
kann,  erscheint  die  Netzhaut  sammt  der  Papille  in  ihrer  grössten  oder 
vollen  Ausdehnung  Anfangs  in  sehr  autfälliger  Weise  weissgelb  getrübt 
und  hyperämirt;  später  aber  wird  sie  ganz  opak,  eitergelb,  von  ähnlichen 
Extravasaten  wie  bei  der  früheren  Form  durchsetzt,  quillt  auf,  nimmt 
bedeutend  an  Dicke  zu,  wird  dabei  auch  lockerer  und  zerfällt  wohl  gar 
stellenweise  in  eine  eiterige  Masse  ,  während  gleichzeitig  eiteriges  Product 
sich  an  einer  oder  beiden  Oberflächen  sammelt ;  oder  es  häuft  sich  das 
Product  zu  tuberkelähnlichen  Geschwülsten,  welche  weiterhin  schmelzen.  Die 
Gefässe  werden  von  den  Entzündungsproducten  meistens  ganz  verdeckt 
und  zum  Theile  wohl  auch  comprimirt.  In  vielen  Fällen  erscheinen  ein- 
zelne Stämme  oder  Aeste  von  eiterigen  Producten  wurstähnHch  gefüllt  und 
stark  ausgedehnt  (Wedl,  C.  Ritter,  Nagel).  Jedenfalls  ist  in  den  Venen 
die  Zahl  von  weissen  Blutkörperchen  auffallend  vermehrt  (Iwanoff). 

Auch  bei  der  eitrigen  Form  der  Netzhautentznndung  findet  sich  jene  sulz- 
ähnliche  gei'innbare  Substanz  als  Grundlage  des  Productes.  Sie  ist  immer  sehr  trüb 
von  fettigem  Detritus.  Der  charakteristische  Bestandtheil  des  Productes  sind  im  All- 
gemeinen Eiterkörper.  Man  hat  sie  in  einzelnen  Fällen  blos  in  der  Nervenfaxer- 
schichte  gesehen,  wo  sie  sich  dicht  an  einander  drängten,  während  die  ührigen 
Strata  die  Merkmale  einer  diffusen,  iiicht  eitrigen  Entzündung  darboten  und  dann 
auch  wohl  von  geronnenem  fettigen  Producte  durchdrungen  erschienen.  In  der 
Eegel  jedoch  zeigen  sich  die  Eiterkörper  allenthalben  im  Inneren  des  sulzig  auf- 
gequollenen Gefüges  und  in  den  an  den  freien  Oherßächen  abgesetzten  Exsudaten. 
Sie  überwiegen  gewöhnlich  sogar  an  Masse  in  dem  Grade,  dass  sie  alles  andere 
förmlich  decken.  Neben  ihnen  erscheinen  oft  Fetlkörnchenkugeln,  selten  grössere 
Mengen  choloider  Körper.  Die  nervigen  Elemente  und  das  Fasergerüste  leiden  immer 
schon  sehr  frühzeitig  durch  Verfettigiing  und  pflegen  auch  rasch  zu  zerfallen.  Von 
den  nervigen  Elementen  gehen  besonders  leicht  die  Nervenröhren  und  die  Ganglien- 
zellen unter,  während  die  Körner  und  die  Elemente  der  Stabschichte  sich  öfters 
einige  Zeit  lang  erhalten ,  oder  höchstens  trüb  werden   und  mei-klich  aufschwellen. 

Bei  sehr  intensiven  suppurativen  Netzhautentzündungen,  besonders  bei  der 
ttiberkulosen  Form  erscheint  die  Netzhaut  ihrer  ganzen  Ausdehnung  nach  oder 
streckenweise  verwandelt  in  eine  mehr  minder  dichte  Masse  von  eitrigem  oder 
käsigem  Aussehen,  deren  Hauptbestandtheile  fettiger  Detritus  und  eine  Unzahl  ver- 
fettigender,  unregelmässig  geformter  Kerrie  sind. 

Die  suppurativa  Netzhautentzündung  zeigt  sich  fast  immer  neben 
massenhaften  Eiterablagerungen  in  der  Aderhaut  und  dem  Glaskörper,  sie 
ist  der  E-egel  nach  nur  eine  Theiler scheinung  der  Chorioiditis ,  oder  besser, 
der  PanOphthalmitis  suppurativa.  Nur  sehr  ausnahmsweise,  und  dann  ge- 
meiniglich in  Folge  eitriger  Embolie  einzelner  Netzhautgefässstämme  (Virchow, 
Nagel),  tritt  die  Dictyitis  suppurativa  primär  und  in  reiner  Form  auf.  Sie 
zeichnet  sich  immer  durch  sehr  acuten  Verlauf  und  reichliche  Production 
aus.  Schon  binnen  wenigen  Tagen  pflegt  die  von  vorneherein  fast  oder 
ganz  erblindete  Netzhaut  in  grossem  Umfange  oder  der  ganzen  Ausdehnung 
nach  von  eiterigen  Producten  mächtig  aufgetrieben  und  bedeckt  zu  sein. 
Alsbald  participiren  dann  die  übrigen  Bulbusorgane  und  der  Augapfel 
geht  unter  den  Erscheinungen  der  Pauophthalmitis  atrophisch  oder  phthisisch 
zu  Grunde     (Siehe  Chorioiditis  suppurativa). 

5.  Ganz  eigenthümliche  Veränderungen  erleidet  die  Netzhaut  in  manchen 
Fällen  von  Leukämie  durch  den  massenhaften  Austritt  icei-sser  und  rother  Bhitköi-perchen 
aus  den  congestionirteu  Gefässen  (Liehreich,   0.  Becker,  Simon,  Säm,isch,  Leber).  Es 


Retinitis  leucaemica;  Centrale  recidivirende  Retinitis.  189 

sammeln  sich  diese  I51utlvöri)erchen  {rewöliiilich  an  einzelnen  Stellen,  und  zwar  nach 
den  hislierig-en  Erfahrungen  besonders  an  der  Pcrqyherie  der  Netzhaut  und  in  der 
Gegend  der  Macula  lutea,  zu  kleineren  oder  grösseren,  meistens  rundliciien,  leicht 
erhabenen  Herden  von  weissgelblicher  Farhe,  welche  in  der  Regel,  aber  nicht  immer, 
von  einem  Kranze  blassvioletter  hämorrhagischer  Tüpfel  umsäumt  sind.  Die  kleineren 
Herde  liegen  vornehmlich  in  den  inneren  Netzhautschichten,  besonders  in  der  N(U'ven- 
faserscliichte ;  die  grösseren  hingegen  durchsetzen  die  Ketina  genjciniglich  ihrer  ganzen 
Dicke  nach.  Die  angehäuften  Blutkörperchen  verdrängen  daselbst  die  normalen 
Elemente  mehr  oder  weniger  vollständig.  Ina  Uebrigen  erscheint  die  Netzhaut 
ödeniatös,  zart  getrübt,  das  Bindegeicehe  derselben  etwas  hypertrophirt,  in  den 
inneren  Körnerschichten  und  in  der  Papille  bisweilen  von  Kernanhäufungen  leicht 
aufgetrieben  und  stellenweise  von  blassvioletten  hämorrhagischen  Extravasaten 
durchstreut.  Die  Qef'dsse  sind,  besonders  in  der  Papillengegend,  sehr  erweitert,  von 
hell  ziegelrothem  Blute  gefüllt,  und  ihre  Adventitia  von  dem  reichen  Gehalte  aus- 
getretener weisser  Blutkörperchen  mächtig  verdickt.  Eine  Hypertroplne  der  Nerven- 
elemente ist  bisher  nur  einmal  beobachtet  worden  (Recklinghausen) -^  in  den  andern 
Fällen  fehlte  sie  gleich  wie  jede  Spur  von  Verfettigung,  während  diese  doch  sonst 
bei  entzündlichen  Zuständen  der  Netzhaut  sehr  frühzeitig  hervorzutreten  pflegt; 
daher  denn  aiich  der  Zweifel  gerechtfertigt  ist,  ob  der  Zustand  als  Entzündimg  im 
engern  Wortsinne  aufzufassen  und  diese,  wo  sie  sich  wirklich  manifestirt,  nicht  etwa 
als  eine  secundäi-e,  hinzugekommene  zu  betrachten  sei  (Leher).  Nebenbei  fand  man 
flockige  Glaskörpertr Übungen  und  in  einem  Falle  partielle  Verfettung  des  Opticus- 
stavimes.  Uebrigens  wurde  die  Entwicklung  leukämischer-  Oeschioülste  auch  in  der 
Uvea  beobachtet.  Der  Zustand  offenbarte  sich  durch  die  Symptome  einer  apoplec- 
tischen  Iridochorioiditis  mit  colossaler  Ausdehnung  der  Gefässe  und  massenhaftem 
Austritte  rother  und  weisser  Blutkörperchen  in  das  Gefüge  der  Aderhaut,  Netzhaut 
und  des  Glaskörpers.  Er  hatte  zur  Wucherung  und  streckenweisen  Atrophie  des 
Tapetes  und  der  Netzhaut  sowie  zum  Verschlusse  der  Pupille  geführt  (Sämisch). 
Der  Vei-lauf  des  Leidens  war  nach  den  bisherigen  Beobachtungen  ein  clironischer 
und  insofern  wechselvoller,  als  die  leukämischen  Herde  wiederholt  schwanden  und 
sich  abermals  bildeten.  Ojjhthalmoscopisch  kennzeichnete  sich  die  Retinitis  leucae- 
mica durch  eine  höchst  auflallige  orangegelbe  Färbung  und  leichte  schleierähnliche 
Trübling  des  Augengrundes,  durch  Verwischung  der  Papillengrenzen,  durch  Ver- 
schmälerung  der  Arterien,  welche  blassgelb  und  fast  ohne  Beimischung  von  Roth 
erschienen ;  ferner  durch  ein  sehr  markirtes,  in's  Rosa  spielendes  Blauroth  der  stark 
erweiterten  und  geschlängelten,  verwaschen  contourirten  und  beiderseits  von  einem 
schmalen  bandförmigen  weissen  Streifen  umsäumten  Venen.  Die  leukämischen  Herde 
zeigten  sich  als  helle  weissgelbliche,  meist  rundliche,  etwas  erhabene  Flecke,  die 
gewöhnlich  von  einem  Hofe  blassvioletter  rundlicher  Tüpfel  umsäumt  \n  Aren  (O.Becker). 
Subjectiv  äusserte  sich  das  Leiden,  so  lange  es  auf  die  Netzhaut  beschränkt  war, 
durch  eine  verhältnissmässig  geringe  Ahnahme  der  Sehschärfe,  daher  es  auch  leiciit 
übersehen  wird.  In  einem  Falle  hatte  ein  centraler  Herd  Metamorphopsie  begründet, 
ohne  dass  die  Perceptionsfähigkeit  des  gelben  Fleckes  tief  gesunken  wäre;  man 
glaubt  daher,  dass  der  leukämische  Herd  in  der  Chorioidea  gelegen  war  (0.  Becker). 
Die  Ansicht,  dass  derlei  Herde  in  den  Binnenorganen  des  Auges  ein  constantes 
V^orkommniss  bei  Leukämie  seien,  ist  durch  neuere  Untersuchungen  widerlegt 
worden  (Knapjp),   0.  Becker,  Simon). 

6.  Ihrem  Wesen  nach  noch  ziemlich  dunkel  sind  gewisse  Processe,  welche 
sich  im  Bereiche  der  Macula  lutea  festsetzen,  daselbst  ohjectiv  sehr  auffällige  Ver- 
änderungen und  meistens  auch  tiefgreifende  Störungen  der  centralen  Sehschärfe,  ja 
völlige  Unterbrechungen  des   Gesichtsfeldes,   begründen. 

Hierher  gehört  die  sogenannte  centrale  recidivirende  Befinifis  (Graefe).  Es 
charakterisirt  sich  dieselbe  durch  dunklere  Pigmentirung  der  wallartig  aufgetriebenen 
Macula  lutea  und  durch  die  Entwickeluug  einer  grossen  Menge  weisser  punkt- 
förmiger rundlicher  Tüpfel  welche  die  Fovea  centralis  in  concentrischen  Kreisen 
umgeben,  i;nd  im  Ganzen  sehr  veränderlich  sind,  indem  sie  sich  bald  vermehren, 
bald  vermindern  und  zeitweilig  wohl  auch  ganz  verschwinden  (Ed.  Jaeger, 
Maiähner).  Subjectiv  offenbart  sich  der  Process  durch  eine  plötzlich  eintretende 
centrale  Unterbrechung  des  Gesichtsfeldes,  welche  nach  einigen  Tagen  zurückgehen, 
sich  aber  in  Intervallen  von  zwei  bis  drei  Monaten  in  unbestimmter  Anzahl  von  Reci- 
diven  wiederholen  kann,  anfangs  völlig  freie  Intermissionen  macht,  später  aber 
unter  Fixirung  der  objectiven  Trübung  eine  Verminderung  der  centralen  Sehschärfe, 


190  Neurodictyitis ;  Nosologie;  Umscliriebeiies  Netzliautoedem. 

in  manchen  Fällen  auch  wohl  eine  sehr  aufFällio-e  Metamorphopsie  und  besonders 
Mikropsie,  dauernd  begründet.  Man  hält  den  Process  für  abhängig  von  Syphilis. 
Wiederholte  Schmierkureii  sollen  sich  bei  Tilgung  desselben  am  besten  bewährt 
haben,  während  Jodkali  und  Zittmann'sches  Decoct  weniger  entsprachen  (GraefeJ. 
In  einigen  Fällen  hat  man  an  der  Stelle  'des  gelben  Fleckes  mehr  minder 
grosse,  unregelmässig  begrenzte,  ziemlich  intensiv  grün  gefärbte,  nicht  erhabene 
Placques  gesehen,  welche  mit  einem,  bisweilen  breiten,  hellweissen  Saume  umgeben 
waren  (Ed.  Jaeger,  Mmithner). 

7.  Von  \Yichtigkeit  sind  ferner  die  diffusen  Trübungen  in  der  Gegend  der 
Macula  und  Papille,  welche  sich  bei  der  sogenannten  Embolie  der  Centralgefässe  und 
bei  Ischaemia  retinae  vorfinden,  und  von  welchen  es  noch  nicht  ausgemacht  ist,  ob 
dieselben  wirklich  der  Ausdruck  einer  wahren  Entzündung  oder  vielmehr  nur  der 
die  Atrophie  einleitenden  Verfettigung  sind  (siehe  Netzhautschwund). 

8.  Eine  besondere  Erwähnung  verdient  das  umschriebene  Netzhautoedem,  d.  i. 
die  Ansammlung  eines  serösen,  an  Eiweiss  mehr  weniger  reichen  Productes  in 
meistens  sehr  zahlreichen  kleineren  und  grösseren  Höhlungen.  Es  wird  dieses  Oedem 
nur  äusserst  selten,  wenn  jemals,  bei  Kindern,  dagegen  überaus  häufig  bei  Greisen 
beobachtet  und  dies  zwar  in  einem  ganz  aufiallend  hohen  proceutarischen  Ver- 
hältnisse an  mit  seniler  Cataracta  behafteten  und  hypermetropischen  Augen.  Der  ge- 
icölinlichste  Sitz  des  Oedems  ist  die  Netzhautperipherie,  wo  es  bald  inselförmig  auf- 
tritt, bald  nach  Art  eines  Gürtels  sich  in  wechselnder  Breite  ausdehnt  und  wohl 
auch  auf  den  Ciliartheil  der  Eetina  übergreift.  Es  kommt  übrigens  auch  an  jedem 
beliebigen  anderen  Punkte  der  Netzhaut  isolirt  vor.  Es  betrifl:'t  immer  nur  die 
Körnerschiclden  und  die  sie  trennende  Zvcischenkörner-  oder  äussere  Faserschichte.  Es 
beginnt  ohne  alle  Entzüudungserscheinuugen  mit  kleinen  Hohlräumen,  meistens  in 
der  äusseren  Körnerschichte  oder  richtiger  in  der  äusseren  Faserschichte,  wobei  die 
perpendiculär  gerichteten  Fasern  dieses  Stratums  auseinander  gerückt  werden  und 
hypertrophiren.  Wenn  das  Oedem  im  aequatorialen  Theile  der  Netzhaut  seinen  Sitz 
hat,  so  bilden  sich  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  gleichzeitig  oder  etwas  später  solche 
Hohlräume  auch  in  der  inneren  Körnerschichte.  Es  stehen  dann  die  Hohlräume  in 
zwei  Reihen  übereinander,  welche  durch  eine  aus  der  Zwischenköruerschichte  und 
den  Resten  der  inneren  Körnerschichte  gebildeten  Scheidewand  der  Fläche  nach 
von  einander  getrennt  werden.  Nach  Massgabe  des  Wachsthums  der  Hohlräume 
wird  die  Scheidewand,  auf  welcher  sich  die  jene  trennenden  Faserbündel  zu  beiden 
Seiten  stützen,  immer  dünner  und  verschwindet  endlich  gänzlich,  so  dass  die 
Faserbündel  der  äusseren  und  inneren  Schichte  nun  von  der  hypertrophirten 
granulirten  Schichte  bis  zur  Liniitans  externa  streichen.  AUmälig  beginnt  dann  die 
Atro2?hie  der  Körner  in  beiden  Schichten  und  gedeihet  bald  bis  zur  völligen  Vernich- 
tung der  genannten  nervösen  Elemente  und  der  Stabschichte,  während  die  übrigen 
Strata  der  Netzhaut,  sogar  bei  weit  vorgeschrittener  Entwickelung  des  Processes, 
sich  vortrefflich  zu  erhalten  pflegen.  Nicht  immer  jedoch  bilden  sich  die  Hohlräume 
in  beiden  Schichten  so  regelmässig  aus.  Oftmals  finden  sich  dieselben  blos  in  der 
äussern  Faserschichte  oder  ausschliesslich  in  der  inneren  Köruerschichte. 

Die  in  der  äussern  Körnerschichte  vorkommenden  Hohlräume  erreichen  oft 
colossale  Dimensionen  und  erscheinen  danrf  in  Gestalt  von  Cysten,  welche  man 
früher  als  Choloidcysten  beschrieb  und  gewiss  öfters  mit  Netzhautahhebungen  ver- 
wechselt hat.  Die  geringere  Trübung  der  abgehobenen  Portion,  die  scharfe  Um- 
grenzung, der  oft  ganz  ungewöhnliche  Sitz,  das  lange  Stationärbleiben  derselben 
und  die  geringe  Neigung  zur  Senkung  mögen  als  Anhaltspunkte  dienen,  um  beide 
Processe,  welche  übrigens  zuweilen  combinirt  vorkommen,  auseinander  zu  halten. 
Ueberhaupt  hat  das  umschriebene  Netzliautoedem,  trotzdem  es  ein  so  häufiger  Zu- 
stand ist,  bisher  nur  sehr  wenig  Aufmerksamkeit  erregt  und  ist  nur  sehr  ausnahms- 
weise (Mauthner)  ophthalmoscopisch  nachgewiesen  worden.  Es  erklärt  sich  dies 
zum  Theil  aus  seinem  vorzugsweisen  Auftreten  an  der  äussersten  Peripherie  der 
Netzhaut  und  ans  dem  Umstände,  dass  es  in  seinen  höheren  Entwickelungsgraden 
gewöhnlich  mit  Cataracta  vergesellschaftet  ist. 

Als  das  j)o,thogenetische  Moment  des  Oedems  glaubt  man  atheromatöse  Ent- 
artungen und  darin  begründete  Circulationsstörungen  in  Aen  feinsten  Netzhaut gefässen 
vermuthen  und  damit  zugleich  die  häufige  Combination  mit  seniler  Cataracta  er- 
klären  zu  dürfen.  So  viel  steht  fest,  dass  derartige  Gcfässdegenerationen  beim  um- 
schriebenen Netzhautoedem  ein  sehr  gewöhnlicher  Befund  sind.    Auch  hat  man  ahn- 


Oedema  papillae;  Blutextravasate.  191 

liehe  Hohlräume  bei  Atherom  der  Netzhcaut.gcfässe  bereits  wiederholt  in  der  Nerven- 
fasersdikhte  länji-s  der  Vonen  nach/nvveisoii  Gclc!s<'"heit  o-ehabt  (Iwanoff). 

y.  Im  Bereich  der  Papille  kömmt  ein  Oedeni  vor,  welches  jedoch  uw.hr  diffus 
ist,  sich  gerne  auf  die  naclibarliche  Zone  der  Netzhaut  verbreitet  und  ohne;  Zweifel 
vorwiegend  entzündlichen  Ursprungs  ist.  Es  bedingt  dasselbe  eine  beträchtliche, 
meistens  nngleichmässige  Vorhauchung  des  Sehnerveneintrittes,  ist  gewöhnlich  mit 
Hypertrophie  des  bindegewebigen  Gerüstes  und  der  Nervenfasern,  bisweilen  auch 
mit  starker  Anschwellung  der  Gefässe  und  mit  reichlichen  Hämorrhagien  verknüpft 
(Iwanoff).  In  einem  Falle  war  ein  Theil  der  Papille  durch  entzündliches  Oedein 
in  Gestalt  einer  kolbenförmigen  Geschwulst,  welche  in  den  Glaskörper  hineinragte, 
aufgetrieben  worden  (Alanz). 

8.  Blutextravasate  der  Retina  und  Papille  sind  stihr  gewöhnliche  Be- 
gleiter der  Neurodictyitis  und  natürliche  Folgen  von  Traumen  sowie  von 
Gefässzerreissungen,  welche  bei  rasch  wachsenden  hinteren  Scleralsta- 
phylomen  durch  Zerrung  der  Netzhaut  im  Bereiche  der  Macula  lutea 
gesetzt  werden  (Fig.  li).  Bei  atheromatöser  Gefässentartung  können  sie 
sich  übrigens  auch  spontan  einstellen.  In  der  That  findet  man  sie  nicht 
gar  selten  bei  alten  Leuten ,  besonders  solchen ,  welche  zu  capillaren 
Haemorrhagien  des  Gehirns  neigen.  Sie  sind  hier  bisweilen  die  Vorläufer 
pernicioser  Gluucome.  Auch  hat  man  sie  sehr  zahlreich  bei  Morbus 
maculosus  und  nach  umfangsreichen  Verbrennungen  der  äusseren  Haut  gesehen 
(Mooren).  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels  (Schioeigger),  kräftige  Zusammen- 
ziehungen grosser  Muskelcomplexe,  z.  B.  beim  Husten,  Heben  einer  schwe- 
ren Last  etc.  (Secondi)  oder  plötzliche  Aufhebung  des  intraocularen  Druckes 
wegen  Entleerung  dioptrischer  Medien  vermehren  die  Disposition  dazu.  Es 
verrathen  sich  derlei  Extravasate  gemeiniglich  durch  das  plötzliche  Auf- 
treten einer  mehr  weniger  ausgebreiteten  dunklen  Wolke  im  Gesichtsfelde, 
welche  allen  Bewegungen  des  Auges  folgt  und  anfänglich  bisweilen  ganz 
deutlich  in's  Rothe  spielt.  Es  hebt  sich  dieselbe  um  so  schärfer  von  der 
Umgebung  ab ,  je  weniger  die  nachbarlichen  Theile  der  Netzhaut  gelitten 
haben.  Im  Ganzen  gehen  Netzhauthämorrhagien,  besonders  die  an  Retinitis 
gebundeneu ,  häufig  wieder  vollständig  zurück ,  ohne  dauernde  Schäden  zu 
begründen.  Zuweilen  jedoch  hinterlassen  sie  auch  wohl  auffällige  Gesichts- 
störungen ,  welche  aus  der  Zertrümmerung  des  Gefüges  und  zum  Theile 
aus  der  reactiven  Entzündung  in  ihrer  nächsten  Umgebung  erklärt  wer- 
den müssen.  Insbesondere  verderblich  sind  Dlutaustretungen  in  der  Macula 
lutea,  wie  selbe  öfters  bei  rasch  vorschreitendem  Staphyloma  posticum 
gefunden  werden.  Sie  führen  fast  immer  zu  einer  centralen  Unterbrechung 
des  Gesichtsfeldes.  Mitunter  bleiben  bräunliche  bis  schwarze  körnige  Pig- 
menthaufen  an   der  Stelle  solcher  Extravasate  zurück. 

Quellen.  Anatomie;  ophthahnoscop.  Erscheinungen:  H.  Müller.  Zeitschrift  f. 
wiss.  Zoologie  VIII.  S.  1;  Anat.  phys.  Untersuchungen  über  die  Retina.  Leipzig, 
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49,  59,  88,  92  u.  f.  100  u.  f.;  kl.  Monatbl.  1864.  S.  415;  1865.  S.  328;  1868. 
S.  298,  421;  1869.  S.  470.  —  Budneic,  Virchow's  Arch.  48.  Bd.  S.  494.  498.  —  Klehs, 
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—  Wagner,  ibid.  XII.  S.  218.  —  Beckmann,  ibid.  XIII.  S.  97.  —  Bemme,  Bei- 
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Genova,  Torino.  1865.  S.  42. 


Neurodictyitis  diffusa;  Ophthalmoskopisclie  Symptome.  193 


1.  Die  diffuse  Neurodictyitis. 

Krankheitsbild.  CharaJderistisch  sind:  Eine  mehr  gleiclimässige  oder 
ivolkig  veysdiivoininene  Trübung  der  Netzhaut  und  Papille  mit  davon  abhän- 
giger Verschleierung  oder  völliger  Verhüllung  der  hinteren  Aderhautgrenze  ; 
Ueberfüllung  der  grösseren  Gefässstämme  mit  Neigimg  zu  Blutergüssen;  Um- 
nebelung  oder    Verdunkelung  des    Gesichtsfeldes. 

1.  Die  o2)hthalmosl;opischen  Syniptome  und  dai'unter  das  Hauptmerkmal, 
die  Trübung  der  Netzhaut  und  Papille,  sind  nicht  immei"  sehr  deutUch  aus- 
gesprochen. Der  Augenspiegel  wirft  nämlich  nur  directes  Licht ,  und 
dieses  fast  senkrecht,  also  unter  Winkeln  auf  die  Netzhaut,  welche  einer 
ausgiebigen  Lichtzerstreuung  nicht  günstig  sind.  Es  muss  also  die  optische 
Gleichartigkeit  der  Netzhaut  und  Papille  schon  in  ziemlich  beträchtlichem 
Grade  abgenommen  haben,  wenn  die  Trübung  im  Augenspiegelbilde  sehr 
auffällig  hervorstechen  soll.  In  der  That  hat  man  in  manchen  Fällen, 
wenn  nicht  lichtschioache  Spiegel  zur  V^erfüguiig  stehen  (Mauthner),  grosse 
Noth,  das  Vorhandensein  einer  pathologischen  Trübung  mit  Sicherheit  nach- 
zuweisen (Fig.  D) ;  die  Diagnose  muss  sich  vornehmlich  auf  die'  Nach- 
weisbarkeit  von  Circulationsstörungen,  Bluiextravasaten  und  insbesondere  auf 
die  ziemlich  charakteristischen  subjectiven  Symptome  stützen  und  dies 
zwar  um  so  mehr,  als  sehr  zarte  schleierartige  Trübungen  der  liinteren 
Netzhautportionen  auch  im  Normalzustände  nicht  gerade  selten  vorkommen 
und    dann    die    hintere    Aderhautgrenze  minder  scharf  heraustreten  lassen. 

In  einzelnen  Fällen  lagern  sich  derlei  entzündliche  Trübungen  wohl 
auch  nur  über  einzelne  Theile  des  Augengrundes,  die  Retinitis  erscheint, 
zeitweise  wenigstens,  partiel.  Verhältnissmässig  am  häufigsten  wird  dies  in 
der  Gegend  der  PapnUe  beobachtet  ( Stauungsjjapille,  Retinitis  circa  papillam, 
Iwanoff'). 

Bei  grösserer  Intensität  des  Processes  mit  reichlicher  Productbildung  und 
Fettausscheidung  nimmt  die  optische  Ungleichartigkeit  der  Netzhaut  und 
Papille ,  somit  auch  die  Auffälligkeit  der  pathologischen  Trübung  in  sehr 
rascher  Progression  zu.  Oft  findet  man  dann  die  Petina  als  eine  mehr 
loeniger  dicht  und  nicht  immer  ganz  gleichmässig  getrübte,  weissliche,  gelbhche 
oder  grauliche,  äusserst  selten  grünliche  (Mauthner)  und  radiär  feingestreifte 
Schichte,  welche  schleierartig  über  die  Chorioidea  ausgespannt  ist  und  diese 
nur  schwach  röthlich  durchschimmern  lässt ;  daher  auch  der  Sehnerven- 
eintritt sich  sehr  schwach  abgrenzt  und  blos  durch  seine  hellere  Farbe 
von  der  Umgebung  absticht.  In  anderen  Fällen  wird  die  Chorioidea  völlig 
gedeckt,  der  Augengrund  erscheint  matt,  schmutzig  gelbgrau  mit  dunkleren 
und  lichteren  wolkigen  Zeichnungen;  die  hintere  Aderhautgreme  ist  voll- 
ständig verhüllt  und  man  erkennt  den  Ort  der  Papille  nur  an  dem  gemein- 
samen Austritte  der  centralen  Gefässstämme  und  einer  daselbst  etwa  vor- 
handenen grubigen  Vertiefung  (Fig.    C). 

In  der  Trübung,  welche  sich  über  den  Augengrund  liiiizieht,  gewahrt  man 
bei  g-ünstiger  Beleuchtung  bisweilen  auch  die  (S.  183)  erwähnten,  auf  bestimmte 
anatomische  Verhältnisse  hindeutenden  feineu  Tüpfel,  radiären  Strichelungen  und 
zarten  marmorirten  Zeichnunyen. 

Stell  wag,  Augenheilkunde.  13 


194  Neurodictyitis  diffusa;  Getasssymptome ;  Apoplectische  Form. 

Die  nebeuhergeliende  Circulationsstörung  bekundet  sich  oftmals  deut- 
lich durch  starke,  radiär  gestreifte  oder  gestrichelte  Röthung  der  Papille 
und  ihrer  nächsten  Umgebung ;  häufiger  aber,  und  zwar  besonders  bei 
längerem  Bestände  chronischer  Entzündungsformen,  blos  durch  autfällige 
E)-weiterung  und  Schlängelung  der  venösen  Stämme  und  Hauptäste.  Die 
Arterien  erscheinen  dabei  meistens  von  normalem  Durchmesser  oder  gar 
verengt.  Nicht  selten  erkennt  man  in  den  Venen  dunklere  und  hellere 
Stellen  (Fig.  B,  G)  und  erklärt  sich  dieses  daraus,  dass  jene  bei  reich- 
licherer Pi'oductbildung,  insbesondere  bei  ungleichmässiger  seröser  Infiltration 
des  Gefüges,  nicht  in  Einer  Fläche  streichen,  sondern  von  der  geschwellten 
Netzhautportion  bald  nach  vorne  gedrängt  werden,  bald  sich  nach  hinten 
einsenken  und  darum  streckenweise  in  einer  ihrer  Axe  sich  nähernden 
Richtung  gesehen  werden.  Die  Gefösse  werden  dabei  entweder  in  ganz 
scharfen  und  klaren  Bildern  wahrgenommen,  oder  sie  zeigen  sich  autfällig 
verschleiert,  ausnahmsweise  vielleicht  gar  eine  Strecke  weit  gänzlich  unter- 
brochen, ein  Phänomen,  welches  durch  weit  gediehene  entzündliche  Ver- 
änderungen der  vordersten  Netzhautschichten  begründet  wird. 

In  manchen  Fällen,  namentlich  bei  mehr  chronischen  Formen  des  Processes, 
findet  man  die  Gefässstämme  und  deren  grössere  Aeste  von  hellen  glänzenden 
weisslichen  Linien  eingesäumt  Es  deuten  dieselben  anf  Hypertrojjhie  der  Wmidimyeii 
und  treten  besonders  stark  bei  der  Untersuchung  im  aufrechten  Bilde  hervor,  wenn 
durch  leichte  Drehungen  des  Spiegels  die  Richtung  des  auffallenden  Lichtes  ge- 
wechselt wird  (Schweigger).  Der  Eeflex  pflegt  dann  vorzugsweise  an  den  Artei-ien 
auffällig  zu  sein.  Ausnalimsweise  stellen  sich  die  Gefässe  wohl  gar  als  weisse  ver- 
zweigte Stränge  dar,  welche  die  darin  strömende  lilutsäule  nur  ganz  undeutlich 
durchschimmern  lassen  oder  gänzlich  decken,  so  dass  das  Gefäss  für  ohliterirt 
gehalten  werden  könnte  (Nagel).  Oefters  gelingt  es  dann  noch,  das  Blut  zur  Wahr- 
nehmung zu  bringen  und  die  Durchgängigkeit  des  Rohres  zu  erweisen,  wenn  man 
ein  sehr  kleines  Flammenbild  unmittelbar  neben  der  betreffenden  Gefässpartie  ent- 
wirft. Leuchtet  auch  dann  die  Blutsäule  nicht  durch ,  so  ist  der  Schluss  auf  Un- 
wegsamkeit  des  Rohrstückes  gerechtfertigt  (Liehreich). 

Eine  sehr  ausgesprochene  und  bis  in  die  feineren  Zweige  ausgedehnte  Hyperämie 
gehört  keineswegs  zu  den  geicöhnlichen  Symptomen,  sondern  wird  im  Gegentheile 
nur  selten  und  dann  meistens  blos  im  ersten  Beginne  einer  mit  grössei^er  Intensität 
auftretenden  Retinitis  beobachtet.  Sie  charaktei'isirt  sich  durch  eine  feine  rothe 
Punktirung  der  Netzhaut  und  durch  das  Auftreten  zarter  dichter  gitterartiger  oder 
schlingenförmiger  Gefässnetze.  In  der  Regel  fehlt  sie  und  man  findet  höchstens  die 
Pajjille,  vorzüglich  die  periphere  Zone  derselben,  stark  hyperämirt,  so  dass  die 
Sehnervenscheibe  sich  nur  wenig  oder  gar  nicht  von  dem  übrigen  Augengrunde 
abhebt. 

Hämorrhagische  Extravasate  (Fig.  B,  C.)  sind  zwar  kein  constantes 
Symptom,  kommen  aber  doch  sehr  häufig  vor.  Sie  stellen  sich  als  dunklere 
und  hellere  blutrothe  Punkte,  Streifen,  Spritzer  oder  umfangreiche  Fleche 
dar,  deren  Grenzen  bald  scharf,  bald  verwaschen  sind.  Sie  liegen  häufig 
ganz  oberflächlich  an  den  Venen  und  stechen  dann  besonders  im  Bereiche 
heller  Exsudatfladen  sehr  autfällig  heraus.  Oefters  liegen  sie  aber  auch 
tiefer  und  werden  von  den  Trübungen  schleierartig  gedeckt.  Wo  sie  sehr 
zahlreich  (Fig.  32)  oder  von  grösserem  Umfange  sind,  pflegt  man  von 
einer  Neurodictyitis  apoplectica  zu  sprechen.  Es  findet  sich  diese  Form 
vorzüglich  bei  aZiera  Leuten  zwischen  dem  50.  und  80.  Jahre  und  steht  dann 
wahrscheinlich  im  Zusammenhange  mit  Gefässerkrankungen  (Pagenstecher). 
Als  eine  besondere  Art  der  Netzhautentzündung  lässt  sie  sich  nur  insofei'ne 
betrachten,  als  das  Extravasat  bisweilen  das  p>rimäre  Leiden  und  der  ent- 
zündliche Process  die  Beaction  dagegen  darstellt. 


Glaskörpertrübungen ;  Sehstörungen. 


195 


'Z 


gediehener 


diffuser  Dic- 


durch  die  Entzündung  bedingten 
immer,   welche   den  Kj-anken 


der     ärztlichen 


Das  ophthalmoskopische  Bild  der  diffusen  Neurodictyitis  wird  im 
Ganzen  sehr  wesentlich    beeinfiusst    durch    ejitsündliche    Glaskörpertrübungen. 

Diese  fehlen    in  der  That   bei 
mehr    acta    auftretenden    Fällen    nur 
selten  ,    machen   sich  «aber  auch    oft 
bei      sehr      chronisch      verlaufenden, 
wenio^stens      zeitweilig     und     beson- 
ders   während    den  Nachschüben  des 
Processes ,  geltend.    Sie  sind    manch- 
mal    so    dicht ,      dass     die    Netzhaut 
durch     den    Augenspiegel    gar   nicht 
wahrgenommen  werden  kann.  Häufi- 
ger    jedoch    bilden     sie    blos    einen     ' 
zarten     diffusen     Nebel     oder     feine    '• 
Wölkchen,     welche     sich     über     den    1 
Augengrund  lacjern ,    bisweilen    wohl 
auch  auf  einzelne  Tiieile  des  letzteren     ^ " 
beschränkt    sind    und    sich  bei    gün- 
stigen   Einfallswinkeln     des    Spiegel- 
lichtes in  verschwommenen  Umrissen  ' 
getrennt  wahrnehmen  lassen. 

2.  Im  Uebrigen  bietet  der 
erkrankte     Augapfel     bei     reiner 
Netzhautentzündung  ohjectiv  wenig 
oder  nichts    Charakteristisches.    Er  kann   trotz   weit 
tyitis  ganz  normal  aussehen. 

3.  Von  höchstem  Belange  sind   die 
Functionsstörungen    der    Netzhaut.     Sie    sind    es 
auf    sein    Leiden    aufmerksam    machen     und 
zuführen. 

Sehr  häufig,  namentlich  bei  gleichmässiger  Vertheilung  der  Producte 
in  der  Netzhaut,  äussert  sich  die  Fimctionsstörung  durch  eine  glnchmässige, 
"mehr  weniger  dichte,  rasch  oder  allmälig  sich  steigernde  Umnehelung  des 
ganzen  Gesichtsfeldes.  Bei  niederen  Graden  der  Affection  klagt  der  Kranke 
meistens  über  einen  weisslichen  oder  weissgrauen,  öfters  auch 
oder  bräunlichgelben  jSTebel,  welcher  sämmtliche  im  Sehfelde 
Objecte  einhüllt.  Die  Uiitersuchung  ergibt  eine  merkliche  Ahnahme  der 
centralen  Sehschärfe  mit  verhältnissmässiger  Undeutlichkeit  des  excentri sehen 
Sehens.  Bei  höheren  Graden  des  Leidens  ist  der  Nebel  dichter,  seine  Farbe 
mehr  grau  bis  ins  Aschgraue,  die  Objecte  erscheinen  wie  in  Eauch  ge- 
hüllt; die  centrale  Sehschärfe  ist  auf  ein  Geringes  gesunken,  das  periphe- 
rische Sehen  aber  bis  auf  blosse  Lichtempfindung  gescliAvunden ;  geringere 
Erleuchtungsintensitäten  heben  jede  Wahrnehmung  auf,  es  ist  sogenannter 
amaurotischer  Nachtnebel  gegeben.  In  den  höchsten  Graden  endlich  hört  die 
qualitative  Lichtempfindung  auf,  das  kranke  Auge  kann  nur  mehr  über 
stärkere   oder  schwächere    Erleuchtung   des    Gesichtsfeldes  urtheilen. 

Mit  Berücksichtigung  der  pathologisch-anatomischen  Befunde  darf  man  es 
als  sicher  annehmen,  dass  der  hellfarbige  Schleier,  welcher  sich  bei  minderen 
Graden  des  Leidens  über  das  Gesichtsfeld  lagert,  nicht  blos  der  Ausdruck  einer 
verminderten  Perceptions-  und  Leitungsfähigkeit  der  nervigen  Elemente  sei,  sondern 
abgesehen  von  den  etwa  nebenhergehenden  Glaskörperlrühimgen  grössten  Theiles 
auf  Rechnung  des  optisch  ungleichartiger  gewordenen  bindegeiceliigen  Gerüstes 
gesetzt  werden  müsse,  also,  ähnlich  den  Sehstörungen  bei  Trübungen  der  diop- 
trischen  Medien,  eine  Folge  der  Zerstreuung  des  Lichtes  in  den  entzündeten  Schich- 
ten der  Netzhaut  sei. 

13* 


Behandlung 


gelblichen 
gelegene 


196  Nem-odictyitis  diffasa;  Selistörungen :  nyctalopisclie  Form. 

In  der  Tliat  bietet  die  Qualität  der  durch  derartige  Formen  der  Retinitis 
bedingten  Selistörungen  sprechende  Analogien  mit  den  Sehstörungen,  welche  durch 
centrale,  die  Pupille  deckende  Hornhauttrübungen  begründet  werden.  Grelle  Ei-- 
leuchtung  des  Sehfeldes ,  besonders  die  Einwirkung  intensiven  diffusen  Lichtes, 
steigert  die  Sehstörung  durch  Verdichtung  und  hellere  Färbung  des  Nebels ,  bis- 
weilen in  so  aiiffälligem  Grade,  dass  man  die  Aufstellung  einer  eigenen  vyctalo- 
pischen  Form  der  Neurodictptis  für  räthlich  erachtete  (Arlt).  Dunkelheit  des  Seh- 
feldes aber  bewirkt,  dass  nicht  genug  directe  Strahlen  die  vorderen  Netzhautschich- 
ten passiren,  um  hinlänglich  lichtstarke  Bilder  auf  dem  Stratum  bacillosum  ent- 
werfen zu  können.  Bei  genügender  Erleuchtung  des  Gesichtsfeldes  und  möglichster 
Ausschliessung  diffusen  Lichtes  hindern  schwache  Trübungen  der  entzündeten 
Netzhaut  nicht,  dass  der  Kranke  noch  kleine,  von  der  Umgebung  stark  contrastii'ende 
Objecte  mit  dem  Centrum  der  Retina  zu  deutlicher  Wahrnehmung  bringen,  gewöhn- 
liche Druckschrift  lesen  u.  s.  w.  kann.  Doch  muss  der  Kranke  die  Objecte  viehr 
dem  Auge  nähern,  als  in  der  Norm,  er  strengt  sich  dabei  auch  mehr  an  und  dauert 
nicht  aus. 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  bei  Massenziinahme  des  entzündlichen  Pro- 
ductes  dessen  optische  Wirkung  und  die  Functionsstorung  der  nervigen  Elemente 
wachsen  müsse.  Bei  miffalliger  Trübimg  oder  völliger  Undurchsichtigkeit  der  Retina 
ist  die  centrale  Sehschärfe  und  die  Deutlichkeit  der  excentrischen  Wahrnehmungen 
in  der  Regel,  aber  nicht  immer,  schon  sehr  geschwächt,  es  bedarf  eines  völligen 
Abschlusses  des  diftusen  Lichtes  so  wie  auch  grossör,  von  der  Umgebung  stark  con- 
trastirender  und  7ia/iegestellter  Objecte,  um  ein  Erkennen  derselben  zu  ermöglichen. 
In  vielen  Fällen  ist  das  Sehvermögen  gar  schon  auf  quantitative  Lichtempfindung 
geschwunden. 

Im  Ganzen  lässt  sich  zwischen  dem  Grade  der  Sehstijrung  und  der 
Massenhaftigkeit  der  Producte  ein  stetiges  gerades  Verhältniss  nicht  erkennen. 
Es  fällt  hiebei  eben  die  grössere  oder  geringere  Betheiligung  der  nervösen 
Elemente  sehr  gewichtig  in  die  Wagschale  und  diese  steht  keineswegs  immer 
in  Proportion  zur  Anhäufung  von  Producten  im  bindegewebigen  Gerüste 
der  Eetina  und  des  Opticus,  vielmehr  sind  die  nervigen  Theile  nicht  selten 
noch  sehr  wohl  erhalten  bei  weit  vorgeschrittener  Wucherung  des  Fach- 
werkes und  umgekehrt.  Es  geschieht  daher  auch  nicht  selten,  dass  bei 
relativ  geringer  Trübung  der  Eetina  hochgradige  Sehstörung,  ja  blosse  Licht- 
empfindung beobachtet  wird,  ohne  dass  ein  Centralleiden  oder  eine  bezüg- 
liche Affection  des  jSTervenstammes  hierauf  Einiluss  nähme. 

In  einzelnen  Fällen  von  reiner  diffuser  Xeurodictyitis  kömmt  es  zu 
Einschränkungen  des  Gesichtsfeldes,  es  geht  die  Functionstüchtigkeit  eines 
kleineren  oder  grösseren  Abschnittes  der  Xetzhaut  völlig  verloren,  während 
der  Best  des  Organes  mit  den  vorliin  geschilderten  Hemmungen  functionirt. 
Viel  häufiger  sind  Unterbrechungen  des  Gesichtsfeldes,  d.  i.  Erblindungen 
einzelner,  dem  Centrum  näher  gelegener  Stellen  der  Xetzhaut.  Sie  stellen 
sich  als  leere,  dicht  umschleierte  oder  dunkle  Flecke  im  Sehfelde  dar.  Oft  ist 
es  ein  einzelner  Fleck,  welcher  centrisch  oder  excentrisch  lagert,  ein  Ring, 
welcher  die  Mitte  des  Sehfeldes  umgibt  u.  s.  w.  In  anderen  Fällen  sind 
es  mehrere,  in  Grösse  und  Gestalt  verschiedene  Flecke.  Die  Grenzen  dieser 
Einschränkungen  und  Unterbrechungen  pflegen  minder  scharf  zu  sein,  als 
bei  den  durch  centrale  oder  Sehnervenleiden  begründeten  amblyopischen 
Zuständen  (Siehe  schwarzen  Staar.) 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  Blutextravaiate  und  stellenweise  dichtere 
Glo/skörpertrühungen  partielle  Verdunkelungen  des  Gesichtsfeldes  mitbegründen. 

Zu  den  aufgezählten  subjectiven  Symptomen  kommen  häufig  noch  andere, 
welche  ihrer  Inconslanz  wegen  jedoch  nur  gei-ingen  diagnostischen  Werth  besitzen. 
So  klagen  die  Kranken  oft  über  ein  eigenthümliches  Schimmern,  Glitzern,  Zittern, 
Wivimeln  im   Gesichtsfelde,   welches  bald  stäi-ker,    bald  schwächer  hervortritt.    Bis- 


Ursaclien;  FuiirtionolU'  Scliiidlii'liki'iloM;  TrainiK'ii ;  Opticusdurchschnoidun;,'.  197 

weilen  erscheint  das  Gesichtsfeld  gefärbt,  gelblich,  röthlich,  grünlich  n.  s.  w.  Auch 
wahre  Chromopsie  und  Photopsie  kömmt  nicht  selten ,  wenigstens  periodenweise, 
nach  stärkeren  geistigen  und  körperlichen  Aufregungen,  vor.  Am  häufigsten  wird 
sie  bei  mehr  acut  auftretenden  Trocessen,  insbesondere  nach  der  Einwirkung  eines 
heftigi'u  Irritaniontes ,  beobachtet  uiul  ist  dann  mitunter  durcli  ihi'c  Intensität  und 
Dauer  in  sehr  hohem  Grade  peinlich.  Ueberhaupt  deuten  diese  subjectivcn  Gesichts- 
erscheinungen auf  Fortdauer  der  ijrogressiven  Periode  vind  sind  inso ferne  von  2J''0- 
gnostischer  Bedeutung, 

In  einzelnen  seltenen  Fällen  sehen  die  Kranken  die  Oljjecte  verzogen,  ver- 
zerrt, theilweise  über  und  durch  einander  geworfen  (Metamotphojjsiej ,  verkleinert 
(Mikropsie) ,  verbreitert  oder  vergrössert  (Megalopsie) ,  Häufiger  werden  Störungen 
des  Farbensinnes  beobachtet  (Leber). 

Eigentliche  Lichtscheu  und  Schmerzen  gehören  ebenfalls  nicht  zu  den  con- 
stanten  Syptomen,  fehlen  im  Gegentheile  sein-  häufig,  namentlich  bei  mehr  chro- 
nischen Formen  und  in  den  späteren  Stadien  der  rascher  verlaufenden  Fälle. 

Ursachen.   1.  Die  Neuroretinitis  diffusa  entwickelt  sich  öfters  primär, 
ohne    dass    sich    ein    ätiologisches  Moment  mit  irgend   einem  WahrscheinUch- 
keitsgrade  nachweisen  liesse.  Häufiger  jedoch  wird  sie  durch  eruirbare  innere 
und  äussere   Schädlichkeiten  angeregt.  Am  gewöhnlichsten  geben  directe  Ver- 
anlassung functionelle  Irritamente   und    Traumen. 

Zu  den  ersteren  gehören  übermässig  grosse  Erleuchtungsintensitäten  des 
Gesichtsfeldes,  sei  der  Grund  hiervon  directes,  oder  von  hellen  und  glän- 
zenden Objecten  reliectirtes  Sonnenlicht.  Nicht  minder  können  geringere 
Erlcuchtungsintensitäten,  wenn  dieselben  rasch  und  oft  wechseln,  bei  längerer 
Einwirkung  zur  Ketzhautentzündung  führen.  Am  häufigsten  indessen  sind 
übermässige  Anstrengungen  des  Sehorganes  behufs  der  deutlichen  Wahrnehmung 
kleiner  Objeöte  die  (iuelle  des  fraglichen  Leidens.  Insoferne  kann  Ueber- 
sichtigkeit  in  der  That  ein  wichtiges  disponirendes  Moment  abgeben  (Secondi). 
Auch  grelle  Färbung  und  heller  Glanz  der  Gegenstände  so  wie  umgekehrt 
geringe  Contrastirung  von  der  Umgebung,  flackernde  oder  zu  schwache 
künstliche  Beleuchtung,  Trübung  der  dioptrischen  Medien  sowie  alles  andere, 
was  die  Deutlichkeit  der  Netzhautbilder  beeinträchtigt,  ist  hiebei  von  grossem 
Belange.  Mehr  noch  aber  als  die  Intensität  der  Anstrengung  fällt  deren 
Dauer  ins  Gewicht.  Wirklich  setzen  derartige  anstrengende  Beschäftigungen 
vorerst  meistens  nur  Reizzustände,  erst  die  Fortsetzung  der  Arbeit  bei 
Bestand  der  Irritation  zieht  die    Gewebswucherung  nach  sich. 

Traumen  können  auf  die  'Netzhaut  wohl  nicht  einwirken,  ohne  dass  die  xim- 
gebenden  Theile  wesentlich  mitgeschädiget  würden.  Eine  Neiirodictyitis,  welche 
sich  in  Folge  von  Erschütterungen,  Schlägen,  Stössen,  zufälligen  und  operativen 
Zusammenhangstrennungen  u.  s.  w.  der  Netzhaut  entwickelt,  ist  darum  kaum 
jemals  rein,  sondern  in  der  Regel  mit  Iridochorioiditis  gepaart,  ja  sehr  häufig  nur 
die  Theilerscheinung  einer  Panophtlialmitis. 

Aelmliches  gilt  von  den  Netzhautentzündungen  nach  Tratmien  des  Optic^is, 
wenn  der  verletzende  Körper  durch  den  Bulbus  in  den  Nerven  eingedrungen  ist 
(His,  Stavenhagen,  Graefe).  Ditrchschneidungen  des  Opticus  von  der  Orbita  aus  bei 
Thiereu  (Eosow,  Kvgel,  Leber)  oder  in  Folge  zufälliger  Verletzungen  (Pagenstecher) 
ohne  Schädigung  des  Augapfels  führen  nach  den  bisherigen  Beobachtungen  zu  in- 
tensiver weisslicher  Trübung  der  Netzhaut  und  Papille.  Die  Grenze  des  Sehnerven- 
eintrittes wird  dadurch  völlig  gedeckt;  die  Centralgefässe  erscheinen  zum  Theil 
blutleer  und  streckenweise  von  der  Trübung  verhüllt.  Wegen  theilweiser  Durch- 
schneidung der  Ciliargefässe  verblasst  auch  der  Augengrund  an  einzelnen  Stellen 
der  Peripherie,  doch  stellt  sich  auf  coUateralem  Wege  die  Einspritzung  der  reti- 
nalen und  Aderhautgefässe  bald  wieder  her,  worauf  die  Trübung  der  Netzhaut 
zurückgeht  und  den  Symptomen  des  Schwundes  Platz  macht.  In  einem  Falle 
(Pagenstecher)  blieb  starke  Pigmentirung  der  Netzhaut  und  Papille  zurück. 


198       Neurodictjätis  düfusa;  Ursachen;  Herz-,  Leberkrankheiten;  Syphilis;  Absteigende  Form. 

In  die  Categorie  der  (?-auviatischen  Formen  gehören  auch  jene  diffusen  Ent- 
zündungen, welche  bisweilen  im  Gefolge  von  Gefässherstungen  und  Blutaustritt  in 
das  Gefnge  der  Retina  oder  des  Sehnerven  zu  Stande  kommen.  Insoferne  können 
Blvtstauungen  und  in  weiterer  Linie  Herz-  und  Lumjenkraiikheiten  ein  ursächliches 
Moment  der  Neurodictyitis  abgeben. 

Herzleiden  und  insbesondere  Endocarditis  können  ausserdem  vielleicht  noch 
bisweilen  durch  Verführung  abgelöster  Exsudatmassen  und  Verstopfung  der  Cen- 
tralschlagaderäste  der  Retina  (Virchow)  und,  wie  neuerer  Zeit  behauptet  wird, 
auch  der  Ciliar  arter  ien  (Knapp)  Veranlassung  zu  Dictyitis  geben. 

2.  Auch  Leherlrankheiten  sollen  unter  Umständen  eine  Netzhautentzündung 
begründen  können  (M.  Müller,  AUhof,  Pagensteclier) .  Nicht  minder  wird  ein  ursäch- 
licher Zusammenhang  der  Dictyitis  mit  Tuberetdose  (GalezowskiJ  und  mit  der 
Zuckerruhr  (Heymann,    GalezowsJci,  Noyes,   Ed.  Jaegev)  angenommen. 

3.  Am  häufigsten  fusst  die  diffuse  Netzhautentzündimg  auf  allgemeiner 
Syphilis,  stellt  eine  Localisation  der  letzteren  dar.  Sie  ist  dann  bisweilen 
mit  Iridochorioiditis  und  Keratitis  punctata,  oder  blos  mit  Iritis  gepaart. 
Oefter  geht  ihr  Iritis  voran,  sie  entwickelt  sich  nach  einem  oder  mehreren 
Anfällen  syphilitischer  Eegenbogenhautentzündung,  ohne  dass  jedoch  letztere 
nothwendig  mit  recidivirte.  Besonders  gerne  kommt  es  zur  Dictyitis,  wenn 
das  Auge  in  der  Reconvaloscenz  nach  specifischer  Iritis  und  vor  gänzlicher 
Beseitigung  des  Grundleidens  fuuctionelleu  Schädlichkeiten  ausgesetzt  wird. 
In  der  Eegel  jedoch  steht  die  syphilitische  Neurodictyitis  am  Auge  rein  da. 
Sie  ist  bald  einseitig,  bald  binoeulär.  Eigenthümliche  Symptome  kommen  ihr 
ganz  gewiss  nicht  zu,  wie  zum  Theil  schon  daraus  hervorgeht,  dass  die  dies 
behauptenden  Autoren  (Mauthner,  Graefe,  Mooren,  Jacobson,  Alexander  u.  A.) 
in  der  Angabe  derselben  durchaus  nicht  übereinstimmen.  Die  syphilitische 
Natur  einer  Netzhautentzündung  lässt  sich  eben  einzig  und  allein  nur  aus 
dem  Gegebensein  oder  Vorausgehen  von  Erscheinungen  ermessen,  welche 
auf  den  Bestand   der  allgemeinen  Lues  hindeuten. 

4.  Ausserdem  ist  die  diffuse  Neurodictyitis  gar  oft  ein  secundäres, 
von  den  Umgebungen  aus  im  Sehnerven  oder  in  der  Netzhaut  angeregtes 
Leiden. 

ffl)  Die  entzündliche  Wucherung  beginnt  nicht  selten  innerhalb  der 
Schädelhöhle  und  schreitet  von  hier  dem  Stamme  des  Nerven  entlang  zur 
Netzhaut  vorwärts.  Neurodictyitis  descendens  ist  der  für  solche  Vorgänge 
gebräuchliche  Name. 

Am  seltensten  gescliieht  es  wohl,  dass  ein  entzündlicher  Herd  von  den 
eigentlichen  Centralorganen  des  Gesichtssinnes  oder  von  anderen  von  Opticus- 
bündeln  durchzogenen  Theilen  des  Gehirnes  sich  unmittelbar  auf  die  Faser- 
züge des  Sehnerven  fortsetzt  und  in  den  bindegewebigen  Hüllen  der  ersteren 
auf  die  Wurzeln  und  den  Stamm  übergeht,  um  weiterhin  bis  zur  Netz- 
haut zu  gelangen.  Meistens  beschränkt  sich  bei  centralen  Herden  der  mani- 
feste Wucherungsprocess  schon  innerhalb  des  Gehirnes  oder  in  einem  der 
beiden  Tr actus;  im  Orbitalstücke  des  Nerven  und  in  der  Netzhaut  kömmt 
es  blos  zur  grauen  Atrophie  (Siehe  Netzhautschwund).  Doch  kommen  Fälle 
der  ersten  Art  ohne   Zweifel  vor  (Blessig,   Leber,    GalezowskiJ. 

Den  anatomischen  Verhältnissen  entsprechend  sind  es  selbstverständlich  am 
öftesten  Krankheitsherde,  besonders  Tumoren,  im  Bereiche  der  mittleren  Schädel- 
gruhe  und  in  der  Umgebung  der  Vierhügel ,  welche  zur  Neurodictyitis  descendens 
führen  (Galezoicski).  Demgemäss  sind  neben  Erbrechen,  Ko]ifschmerz ,  epileptifor- 
men  Anfällen  und  Convulsionen ,  Lähmungen  des  3.  bis  8.  Gehirnnerven  und, 
falls  eine  Sehnervenwurzel  durch  den  primären  Herd  leitungsuufähig  geworden  ist, 
hemiopische  Erscheinungen  sehr  gewöhnliche  Begleiter. 


Neurodictyitis  descendens;  Meningitis.  199 

Yiel  lüiufig-er  ist  eine  neben  dem  Centralleiden  einhergehende  Menin- 
gitis die  Vermittlerin  des  Uebergaiiges.  Durch  solche  Hirnhautentzündungen 
können  übrigens  auch  die  verschiedenartigsten  Affectionen  von  Gehirn- 
theilen,  welche  den  optisclien  Centris  ferne  liegen,  mit  der  J^euritis  optica 
combinirt  werden.  Ueberhaupt  muss  die  Meningitis  hasalis  als  eines  der 
wichtigsten  pathogenetischen  Momente  der  Neurodictyitis  bezeichnet  werden,  ja 
man  geht  wahrscheinlich  nicht  zu  weit,  wenn  man  behauptet,  dass  die 
hasilare  Meningitis  sich  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  am  Augengrunde  wider- 
spiegelt und  dass  das  Ophthalmoscop  demnach  ein  wichtiges  Hilfsmittel 
für  die  Diagnosis  der  Hirnhaidentzündung  abgibt.  In  der  That  finden  sich  bei 
letzterer  häufig  starke  Erweiterungen  der  Netzhautgefässe  und  Oedem  der 
Papille;  oft  sind  schon  Haemorrhagien,  ja  sogar  diffuse  Trübungen  und 
bisweilen  selbst  massigere  Anhäufungen  entzündlicher  Producte  in  Gestalt 
weisser  Flecke  nachzuweisen,  und  dies  zwar  zu  einer  Zeit,  wo  die  Symp- 
tome der  Meningitis  noch  nicht  klar  ausgesprochen  und  die  Diagnose  des 
Grundleidens  noch  schwierig  ist  (Bonchut,    Clifford,    Galezowslci.) 

Man  kann  sagen,  dass  Alles,  was  eine  Meningitis  hervorzurufen  vermag,  auch 
eine  Qiaelle  des  entzündlichen  Sehnervenleidens  werden  könne,  z.  B.  Tramnen  mit 
Fractur  der  Schädelbasis  {Manz,  Jacohij,  Tnberculose  (Bouchuf,  Galezoivski)  u.  s.  w. 
Auch  die  epidemische  Cerehrasj^inahneningitls  spielt  insoferne  eine  Rolle  in  der  Patho- 
genese der  Neurodicf.yitis  {Schinner).  Doch  trägt  diese  unter  solchen  Umständen 
meistens  den  stqjpurativen  Charakter  und  wird  darum  besser  bei  der  eitrigen  Pan- 
ophthalmitis  erörtert.  Sonst  ist  die  Uehereinstimmung  zwischen  den  Producten  der 
basalen  Meningitis  inid  einer  davon  abhängigen  Neurodictyitis  Teeineswegs  eine  Noth- 
wendigkeit,  im  Gegentheile  können  diffuse  Formen  der  letzteren  ganz  wohl  im  Gefolge 
tiiherculnser  oder  eitriger  Hirnhautentzündungen  auftreten. 

Es  wird  übrigens  die  absteigende  Ketzhautentzüudung  nicht  selten 
auch  bei  Meningitis  an  der  Convexität  der  Hemisphären  (Bouchut,  Blessig), 
bei  Tumoren  etc.  in  den  verschiedensten  Theilcn  des  Gross-  und  Kleinhirns 
(Blessig,  Leber,  Galezoivski,  Benedikt),  überhaupt  unter  Verriältnissen  beobachtet, 
welche  einen  directen  Zusammenhang  des  primären  Herdes  und  des  Augen- 
leidens nicht  annehmen  lassen.  Noch  mehr,  gar  oft  erweiset  sich  bei  mani- 
fester Neurodictyitis  descendens  das  Orbitalstück  des  Sehnerven  ganz  frei, 
oder  ist  doch  nur  in  geringem  Grade  und  blos  streckenweise  durch  leichte 
Kernanhäufungen  im  Neurileme  oder  durch  partielle  Verfettung  einzelner 
Nervenbündel  als  erkrankt  zu  erkennen  (Iwanoff,  Leber).  Der  manifeste 
Entzündungsherd  erscheint  dann  also  auf  den  vordersten  Theil  des  Opticus, 
die  Papille  und  Netzhaut  beschränkt  und  ist  jedenfalls  von  dem  primären 
intracraniellen  Herde  durch  nicht  entzündete  Theile  getrennt.  Es  liegt  auf 
der  Hand,  dass  unter  solchen  Umständen  von  einer  Fortpflanzung  der  Ent- 
zündung per  contiguitatem  nicht  die  Rede  sein  könne ;  dass  hier  vielmehr 
nervöse,  insonderheit  vasomotorische  Einflüsse  ebenso  im  Spiel  sein  mögen 
(Benedikt),  wie  bei  dem  unter  gleichen  Verhältnissen  häufig  auftretenden 
Netzhautschwunde. 

Das  Gefässleiden  offenbart  sich  wirklich  in  nicht  wenigen  derartigen 
Fällen  durch  ausserordentlich  starke  Erweiterung  der  Centralvenenstämme 
und  der  die  Papille  durchwebenden  Blutadernetze,  durch  Extravasate  etc. 
Dazu  gesellt  sieh  in  der  Regel  bald  Oedem,  in  Folge  dessen  die  Papille 
öfters  zu  einem  steilrandigen  mächtigen  Walle  aufschwillt,  welcher  nur 
gegen  die  Macula  lutea  hin  offen  ist.  In  diesem  Zustande  kann  der  Seh- 
nerveneintritt   ohne    Betheiligung    der    nachbarlichen    Netzhautzone     sogar 


200  Neiu-odictyitis  diffusa;  Ursachen;  Stauungspapille;  Orbitalleiden. 

längere  Zeit  fortbestehen,  während  das  bindegewebige  Gerüste  leicht  hyper- 
trophirt.  Früher  oder  später  kommt  es  aber  meistens  zur  wahren  Ent- 
zündung, die  Nervenfasern  hypertrophiren  und  verfettigen  zum  Theile,  während 
sieh  mehr  minder  bedeutende  Mengen  neoplastischer  Zellen  im  Gefüge 
häufen,  der  geröthete  Wall  trübt  sich  mehr  und  mehr  und  späterhin 
nimmt  auch  die  Netzhaut  an  den   ^^eränderungen  Theil   (Iwanoff,   Leber). 

Man  h.at  die  eben  geschilderte ,  wallartig  aufgetriebene  Papille  als  einen 
eigenthümliclien  Zustand  unter  dem  Namen  Staiiungsneuritis  oder  StaziungyjapiUe 
beschrieben  (GraefeJ ,  indem  man  annahm ,  dass  die  colossale  Getasserweiterung 
nur  durch  mechanische  Circulafionshindernisse  begründet  sein  könne.  Der  Umstand, 
dass  das  Leiden  in  der  Mehrzahl  der  anfänglich  beobachteten  Fälle  bei  Tumoren 
sich  entwickelt  hatte,  welche  in  der  mittleren  Schädelgrube  sassen  und  möglicher- 
weise oder  thatsächlich  auf  den  Simis  cavemostis  drückten  (Graefe,  Hidke),  war  ganz 
geeignet,  eine  solche  Ansicht  zu  stützen.  Doch  ist  der  Mangel  aller  Stauungser- 
scheinungen im  ciliaren  und  orbitalen  Stromgebiete  sowie  die  Anastomose  der  Vena 
centralis  retinae  mit  den  beiden  Venis  ojjhthalmicis  und  mittelbar  mit  der  Vena 
facialis  ant.  und  post.  [Sesemann)  schon  längst  als  ein  triftiger  Einwurf  geltend 
gemacht  worden  (0.  Becker).  Dazu  kommt,  dass  bei  anatomisch  nachgeioiesenen 
Stauungen  im  Bereiche  des  Sinus  cavernosus,  bei  Thromhose  (Knapp)  oder  Com- 
piression  desselben  von  Seite  nachbarlicher  Geschwülste  etc.  (Siehe  pulsirende 
Orbitaltumoren)  wohl  das  Polster  der  Augenhöhle  so  wie  die  Bindehaut  und  die  Lider 
alle  Erscheinungen  einer  höchstgradigen  Blutüberfüllung  und  ödematösen  Schwellung 
darboten,  das  Sehvermögen  in  der  Regel  aber  nicht  gelitten  hatte,  und  der  Augen- 
spiegelbefund entweder  negativ  ausfiel  oder,  mit  Bezug  auf  die  Thrombose,  Symptome 
lieferte,  wie  sie  sonst  bei  der  Embolie  und  Ischaemie  gefunden  werden  (Kncqjp). 
Auch  ist  bei  Hydrocephalus  (Galezoivski)  und  Gehirntumoren,  welche  unter  Erhöhung 
des  intracranielltn  Druckes  einhergehen,  die  Stauungspapille  eine  Ausnahmserscheinung  ; 
während  sie  umgekehrt  wieder  bei  Aftergcbilden  gefanden  wurde,  welche  ohne  alle 
Steigerung  des  Gehirndruckes  vei'liefen,  und  ihrer  Lage  nach  unmöglich  einen  DriTck 
auf  den  Sinus  cavernosus  oder  auf  einen  Theil  des  Sehnerventraktes  ausüben 
konnten.  Hat  man  sie  doch  bei  Erweichungsprocessen  und  Geschwülsten  im  Klein- 
hirn (Blessig,  Leber),  ja  sogar  bei  Meningitis  basilaris  (Manz)  beobachtet.  Ueber- 
dies  sprechen  einige  Beobachtungen  dafür,  dass  die  mit  ihr  verknüpften  Gefäss- 
erkrankungen  gleich  den  den  pulsirenden  Orbitalgescliwülsten  zu  Grunde  liegenden 
auch  jvimär,  ohne  alle  Stauungsursache,  aufzutreten  vermögen  (Wecker). 

In  neuester  Zeit  glaubt  man  nun  den  Schlüssel  zur  Erklärung  der  Stauungs- 
papille in  der  Vertheilung  der  Lymphgefässe  gefunden  zu  haben  (H.  Schmidt). 
Wenn  nämlich  das  in  der  Lamina  cribrosa  verzweigte  dichte  Lymphnetz  wirklich 
durch  den  Zwischenscheidenraum  des  Opticus  mit  dem  Arachnoidalraume  zusammen- 
hängt, so  lässt  sich  das  Oedem  der  Papille  und  damit  auch  die  Stauung  der  retinalen 
Gefässe  im  Bereiche  des  Sehnerveneiutrittes  in  der  einfachsten  Weise  mit  eiuem 
krankhaft  gesteigerten  Gehirndrucke  in  pathogenetischen  Zusammenhang  bringen. 
In  der  That  sprechen  Versuche  an  Thieren  für  die  Richtigkeit  dieser,  möglicher- 
weise tief  in  die  Pathologie  des  Auges  eingreifenden  Theoi'ie  (Manz).  Der  Umstand, 
dass  die  sogenannte  Stauungspapille  bei  entschieden  gesteigertem  Hirndrucke  ver- 
hältnissmässig  selten  auftritt  und  umgekehrt  sich  auch  bei  voller  Normalität  des 
letzteren  ßndet ,  ist  jener  Ansicht  jedoch  nicht  günstig.  Vorderhand  mag  daher  die 
Stauungsneuritis  nur  als  eine  Variante  der  Neurodictyitis,  ausgezeichnet  durch  die 
coUossale  Getasserweiterung  und  ödematöse  Infiltration  gelten.  Wirklich  sind  auch 
Mischformen  nicht  ungewöhnliche  Vorkommnisse  und  nicht  selten  geht  die  eine  in 
die  andere  über  (Graefe,  Leber). 

b)  Seltener  geht  der  Process  von  den  orbitalen  Weichtheilen  aus;  die 
Neurodictyitis  wird  von  Aftergebilden  (0,  Becker,  Mauthner,  Hirschberg),  von 
reinen  oder  durch  Knochencaries,  Periostitis  etc.  bedingten  Abscessen, 
(Hulke),  von  erysipelatösen  Schwellungen  des  Bindegewebes  in  der  Augen- 
höhle (Arlt,  Wecker,  Graefe)  angeregt,  sei  es  dass  der  Wucherungsprocess 
als  solcher  unmittelbar  auf  die  Scheiden  und  das  innere  Neurilem  des 
Opticus    übertragen    oder    durch  mechanische  Einwirkungen,    Druck,   Zerrung 


vciUuif.  201 

des  Nerven  beg-vüiidet  wird.  Im  letzteren  Fülle  ptiegoii  Stmtunysphüuomene 
im  Bereiche  der  Netzluuitgefiisso  sehr  deutlich  ausgesprochen  zu  sein  (Graefe, 
Pagenstecher). 

c)  Endlich  ist  die  Neurodictyitis  sehr  häufig-  ein  von  der  Uvea  über- 
kommenes Leiden.  In  der  That  gelangen  Adcrhaiitenf Zündungen  kaum  jemals 
zum  Abschlüsse,  ohne  dass  die  Netzhaut,  und  weiterliin  der  Opticus  in  Mit- 
leidimschaft  gezogen  würde.  In  der  Hegel  geschieht  dies  sogar  schon  sehr 
frühzeitig.  Insoferne  spielt  die  Neurodictyitis,  wenn  ihre  Symptome  vor- 
schlagen, auch  in  der  Bedeutung  einer  sympathischen  Ophthalmie  eine  liolle 
(Graefe,   Mooren). 

Bei  Iridoch orioiditis  und  Iridokyklitis  kann  man  die  vorderen  Netzhautzonen 
oft  schon  weit  vorgeschiitten  sehen  im  entzündlichen  Processe,  ja  bisweilen  sind 
sie  bereits  in  Schimmd  übevgegano-en,  während  die  hinteren  Theile  der  Retina  noch 
iu  einem  befriedigenden  Znstande  verharren  {Itvanoff). 

Der  Verlauf  ist  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  ein  eigentlich  chronischer. 
Sclion  das  erste  Auftreten  ist  öfters  ein  ganz  unmerkliches,  indem  sehr 
hervorstechende  Symptome  fehlen  und  der  Process  sich  nur  durch  eine 
ganz  allmälige   Abnahme   der   Sehschärfe  verräth. 

Bei  einseiliger  chronischer  Retinitis  wird  daher  das  Leiden  anfänglicli  sehr 
leicht  übersehen,  ja  thatsächlich  geschieht  dieses  auch  nicht  ganz  selten  bei  hino- 
culärer  Affection,  wenn  die  betroffenen  Individuen  weniger  aufmerksam  und  durch 
ihren  Beruf  nicht  gezwungen  sind,  sich  viel  mit  kleinen  oder  fernen  Objecten  zu 
beschäftigen.  Es  Ijesteht  dann  bisweilen  die  Krankheit  Wochen  und  Monate,  ehe 
die  zunehmende  Sehschwäche,  die  Schwierigkeit  sich  bei  nächtlichem  Dunlvel  zn 
führen,  das  Auftreten  dunkler  Flecke  im  Gesichtsfelde  oder  namhafte  Einschränkmi- 
gen  desselben  weitere  Zweifel  an  dem  Vorhandensein  eines  krankhaften  Zustandes 
unmöglich  machen.  Oefters  wissen  ungebildete  Leute  gar  nicht  den  Zeitpunkt 
anzugeben,  in  welchem  die  Sehstörnng  begann. 

Täuschungen  sind  übrigens  um  so  leichter  denkbar,  als  die  Functionsabnahme 
durchaus  nicht  immer  eine  stetige  ist,  sondern  vielmehr  in  ziemlich  häufigen  Fällen 
periodenweise  Verl)esserungen  und  Verschlimmerungen  eintreten  je  nach  Gunst  oder 
Ungunst  der  Verhältnisse,  unter  welchen  der  Kranke  jeweilig  sich  befindet.  Insbe- 
sondere sind  als  solche,  auf  den  Grad  der  Sehstörung  zeitweilig  Einßuss  nehmende 
Momente  zu  nennen:  Körperliche  und  geistige  Aufregungen,  übermässige  Mahlzeiten, 
Räusche,  geschlechtliche  Ausschreitungen  imd  vorzüglich  passive  Congestionen  im 
Bereiche  der  oberen  Hohlvene. 

In  anderen  Fällen  entwickelt  sich  der  Process  rascher  bis  zu  einer 
gewissen  Höhe,  geht  dann  aber  in  den  chronischen  Verlaif  über  und  schreitet 
unter  allmähger  Steigerung  der  Netzhautalteration  und  der  dadurch  be- 
gründeten Sehstörung  langsam,  mit  oder  ohne  zeitweilige  llemissionen,  den 
Ausgängen  zu. 

Es  macht  sich  öfters  x^^'^tzlich,  ohne  anderweitige  auffällige  Symptome,  eine 
bedeutende  Verminderung  der  centralen  Sehschärfe  und  der  Deutlichkeit  des  excen- 
trischen  Sehens  geltend;  die  Functionstüchtigkeit  der  Netzhaut  fällt  von  Tag  zu 
Tag  und  ist  binnen  Kurzem  auf  ein  Geringes  gesunken.  Oder  es  beginnt  das  Leiden 
unter  Kopfschmerzen,  Ciliarneurose,  Lichtscheu,  Chromopsie  und  Photopsie.  Diese 
Symptome  halten  unter  rascher  Abnahme  des  Sehvermögens  einige  Zeit  an,  treten 
dann  aber  zurück,  während  die  Sehstörung  fort  und  fort,  aber  langsam  steigt. 
Ersteres  wird  häufig  bei  der  syphilitischen  Dictyitis,  letzteres  bei  jenen  Netzliaut- 
entzündungen  beobachtet,  welche  durch  intensive  functionelle  Schädlichkeiten  an- 
geregt wurden. 

Den  absteigenden  Formen  gehen  selbstverständlich  in  der  ßcgel  die 
Sj^mptome  des  primäreri  Leidens  voraus.  Doch  geschieht  es  ausnahms- 
weise wohl  auch,  dass  das  letztere  eine  Zeit  lang  verborgen  bleibt,  dass 
die   Sehstörung  mit  den  charakteristischen  Veränderungen  des  Nervenkopfes 


202  Neurodictyitis  difFusa;  Ausgänge. 

in  erster  Linie  hervortritt  und  erst  später  deren  Abhängigkeit  von  einem 
innerhalb  der  Schädelhöhle  verlaufenden  Processe  unzweideutig  zur  Aeusse- 
rung  kömmt.  Die  Neurodictyitis  und  die  damit  vergesellschaftete  Seh- 
störung entwickeln  sich  dann  häufig  überaus  rasch,  ein  oder  mehrere  Tage 
genügen  zur  völligen  Ausbildung  des  eigenthümlichen  Krankheitsbildes 
und  zur  Herabsetzung  des  Gesichtes  auf  quantitative  Lichtempfindung 
oder  völlige  Erblindung.  Auf  diesem  Punkte  angelangt  pÜegt  der  Process 
einen  mehr  chronischen  Gang  einzuschlagen  und  den  Ausgängen  zuzu- 
schreiten. 

Ausgänge.  Die  diffuse  Netzhautentzündung  ist  mit  gewissen  Beschrän- 
kungen unter  die  heilbaren  Ki'ankheiteu  zu  zählen.  Vornehmlich  gilt  dieses 
von  den  mehr  chronisch  auftretenden  und  verlaufenden  Formen,  bei  welchen 
die  Producthildung  eine  minder  reichliche  und  gleichmässig  vertheilte  ist,  vor- 
ausgesetzt, dass  der  Process  nicht  schon  seit  Monaten  besteht.  Bei  massen- 
hafter Anbildung  von  Producten,  diese  mögen  nun  gleichmässig  vertheilt  oder 
fleckweise  angehäuft  sein,  ist  die  Aussicht  auf  eine  völlige  Eückkehr  zur 
Norm  schon  minder  wahrscheinlich,  eine  Lichtung  des  über  dem  Gesichtsfelde 
lagei-nden  dichten  Nebels  ist  gewöhnlich  die  Grenze  des  Erreichbaren.  Es 
werden  nämlich  unter  solchen  Umständen  die  nervigen  Elemente  meistens 
schon  frühzeitig  arg  beschädigt. 

Im  Ganzen  ist  unter  sonst  gleichen  Umständen  die  Dauer  des  Processes 
von  grösserem  Einfl.usse  auf  die  Prognose  als  der  Grad,  in  welchem  die 
centrale  Sehschärfe  und  die  Deutlichkeit  des  excentrischen  Sehens  abge- 
nommen hat.  In  der  That  schliesst  die  Reduction  des  Sehvermögens  auf 
quantitative  Lichtempfindung  in  Eällen  jüngeren  Datums  die  Möglichkeit 
der  Heilung  nicht  aus.  Unterbrechungen  und  besonders  Einschränkungen  des 
Gesichtsfeldes  haben  jedoch  eine  schlimmere  Vorbedeutung.  Sie  bekunden 
nämlich  eine  starke  Betheiligung  der  nervösen  Elemente.  Einschränkungen  gehen 
wirklich  nur  selten  oder  niemals  vollständig  zurück ;  eine  Aufhellung  der 
übrigen  umnebelten  Theile  des  Gesichtsfeldes  ist  alles,  was  angehofft  werden 
darf.  Unterbrechungen  des  Gesichtsfeldes  werden  ebenfalls  nur  schwierig 
vollständig  beseitigt,  doch  gelingt  dieses  in  frischen  Fällen  noch  eher,  vor- 
ausgesetzt, dass  es  sich  um  eine  rein  diffuse  Neurodictyitis  und  nicht  etwa 
um  exsudative  Zwischenformen  handelt. 

Die  Unterbrechung  nimmt  dann  an  Umfang  ab,  die  betreffende  Stelle  des 
Sehfeldes  wird  lieller,  durchsichtiger  und  verliert  sich  endlich  ganz  in  den  klareren 
Umgebungen.  Nicht  selten  ist  diese  Aufhellung  eine  ungleichmässige,  der  blinde  Fleck 
zerfällt  in  mehrere  kleinere,  zwischen  welchen  die  Objecte  deutlicher  und  deutlicher 
hervortreten,  und  welche  endlich  in  den  an  Ausdehnung  gewinnenden  hellen  Zwischen- 
räumen sich  auflösen ;  oder  es  hellt  sich  der  Fleck  vom  Centrum  her  auf,  verwandelt 
sich  in  einen  Ring,  welcher  allmälig  an  Breite  und  Dunkelheit  verliert,  in  Bogen- 
theile  zerfällt  und  gleichsam  zerfliesst. 

Immerhin  bleibt  selbst  in  dem  günstigsten  Falle  eine  Neigung  zu  Eeci- 
diven  zurück,  welche  die  geringste  äussere  oder  innere  Schädlichkeit  zu 
einer  Quelle  neuer  Erkraiikungen  machen  kann  und  darum  die  grösste 
Vorsicht  erheischt. 

Ueberhaupt  ist  selbst  bei  Abhandensein  von  Einengungen  und  Unter- 
brechungen des  Gesichtsfeldes  eine  Wiederherstellung  der  vollen  normalen 
Fauctionstüchtigkeit  nur  in  der  Minderzahl  der  Fälle  erreichbar.  Oftmals 
bleibt  neben  einiger  Trübung  der  Netzhaut  eine  mehr  minder  auffällige 
Umnebelnng    des    Gesichtsfeldes  zurück,  welche  durch  keinerlei  optische  Hilfs- 


Trüber  Scliwiiiicl;  Beliandlung.  203 

mittel  noiitralisirt  werden  kann  und  nicht  nur  die  Fernsicht  wesentlich 
beeinträchtiget,  sondern  auch  den  Kranken  zu  dauernder  Beschäftigung-  mit 
Meinen  Objecten,  zum  Lesen,  Schreiben,  Nähen  u.  s.  w.  untauglich  macht. 
Auch  erweiset  sich  die  Aufhellung  des  Gesichtsfeldes  nicht  gar  selten 
als  eine  blos  vorübergehende,  indem  die  Umwandlung  und  die  tlicilweise 
Aiifsaugung  der  entzündlichen  Producte  oft  schon  unter  der  Aogide  des 
trüben  Schwundes  vor  sich  geht,  welcher  nicht  uugerne  dem  Wucherungs- 
processe  auf  dem  Fusse  folgt  und  bei  seinem  allmäligen  Vorschreiten  mehr 
und  mehr  nervöse  Elemente  zu  Grunde  richtet.  Selbstverständlich  ist  dieser 
Ausgang  um  so  mehr  zu  fürchten,  je  grösser  die  Intensität  des  Processes 
und  je  grösser  die  Menge  der  Producte  war,  je  länger  die  Infiltration  der 
jSTetzhaut  bestand  und  je  weniger  entsprechend  das  Verhalten  des  Kranken 
während  und  iiach  der  Behandlung  ist. 

Der  solchcnnassen  begründete  Schwund  stellt  sich  jedoch  nicht  nothwendig 
in  der  trüben  Form  dar.  Oefters  trägt  derselbe  in  den  späteren  Stadien  mehr 
den  Stempel  der  reinen  oder  grauen  Atrophie,  und  zwar  wird  dies  gerade  bei  den 
absteigenden  Formen  der  Neurodictyitis  häufiger  beoljachtet.  Die  entzündlichen  Pro- 
ducte im  Nervenkopfe  und  der  angrenzenden  Netzhautzone  werden  dann  völlig 
resorbirt,  der  Schrumpfungsprocess  aber  schreitet  unter  dem  Einflüsse  des  py-imären 
Herdes  weiter. 

Behandlung.  Die  leitenden  Indicationen  der  Therapie  sind  bei  der 
Dictyitis,  sowie  bei  jeder  anderen  Entzündung,  gerichtet:  auf  Fernhaltung 
und  Beseitigung  aller  Schädlichkeiten,  welche  den  Process  anzuregen,  zu 
untei"halten  und  zu  steigern  geeignet  sind ;  auf  Beschränkung  und  Unter- 
drückung der  Geioehswucherung ;  auf  Rückbildung  und  Aufsaugung  der  krank- 
haften Producte  ohne   Geftihrdung  der  noch  bestehenden  normalen  Elemente. 

Vor  allem  ist  zu  ermitteln,  ob  die  Dictyitis  die  Bedeutung  eines 
secundären  Leidens  habe,  und  dann  das  etwa  vorhandene  primäre  oder 
Grundleiden  wirksam  zu  bekämpfen.  Insonderheit  muss  die  Häufigkeit  einer 
sgphilitischen  Basis  im  Auge  behalten  und,  wo  diese  erwiesen  oder  wahr- 
scheinlich   ist,     eine  kräftige  antlsgx)hilitische  Behandlung    eingeleitet  werden. 

In  jedem  Falle  ist  durch  Anordnung  eines  entsprechenden  Regimens 
auf  Hintanhaltuiig  und  Beseitigung  aller  Anlässe  zur  Steigerung  der  vor- 
handenen Circulationsstörungen  und  des  entzündlichen  Reizzustandes  hinzu- 
wirken. In  letzterer  Beziehung  ist  es  von  grösster  Wichtigkeit,  das  Sehorgan 
in  functionelle  Unthätigkeit  zu  setzen.  Es  liegt  dieses  im  Interesse  nicht 
blos  der  Causalindication,  sondern  auch  der  Indicatio  morbi.  Ruhe  ist 
nämlich  anerkannt  ein  ganz  vortretfliches,  ja  das  am  wenigsten  entbehr- 
liche Antiphlogisticum.  Zu  diesem  Ende  empfiehlt  sich  das  Tragen  eines 
gut  anliegenden  und  beide  Augen  vollkommen  schliessenden  Schutzver- 
bandes. Soll  derselbe  aber  seinen  Zweck  erreichen,  so  ist  es  unerlässlich, 
dass  er  unverrückt  liegen  bleibe.  Nur  behufs  der  Reinigung  des  Gesichtes 
und  der  Erneuerung  der  Charpie  darf  derselbe  im  Dunklen  und  bei  ge- 
schlossener Lidspalte  abgelegt  werden.  Oeftere  Abhebungen,  besonders  im 
hellen  Räume,  oder  gar  Sehversuche  sind  gefahrlich,  da  durch  das  lange 
Geschlossensein  der  Augen  die  Contrastwirkung  hellen  Lichtes  sich  bedeuteiTd 
steigert  und  dessen  reizenden  Einfluss  vermehrt.  Leichtsinnige  und  dumme 
Kranke  verderben  dadurch  oft  binnen  wenigen  Minuten,  was  8  Tage  lange 
Abhaltung  des  Lichtes  nützen  konnte;  daher  denn  auch  bei  solchen 
Individuen    die    Prognose    um   ein  Namhaftes  ungünstiger  ist,    als  bei  sorg- 


204  Neuro dictyitis  diiFusa;  Beliaudluiig ;  Sclimierkur. 

liehen  und  vernünftigen  Kranken.  Im  Allgemeinen  dürfte  es  gerathen  sein, 
ein  finsteres  Zimmer  zum  Aufenthaltsorte  anzuweisen  und  überdies  den 
Schutzverband   anzulegen. 

Die  blosse  Versetzung  der  Kranken  in  ein  verdunkeltes  Zimmer  entspricht  im 
Ganzen  weniger  dem  Zwecke,  als  ein  gut  applicirter  Scliutzvcrband.  Der  Kranke 
fühlt  sich  nämlich  bei  offenen  Äugen  fortwährend  versucht,  seine  Sehkraft  zu 
prüfen  und  strengt  dabei  seinen  lichtempfindenden  Apparat  nicht  wenig  an.  Es 
ist  aber  auch  kaum  tliunlich,  ein  Wohnzimmer  völlig  gleichmässig  zu  verdunkeln 
inid  alle  Contraste  in  der  Erleuchtung  auszuschliessen,  ohne  der  nothwendigen 
Lüftung  entgegenzutreten  und  so  den  Kranken  bei  längerer  Behandlung  in  anderer 
AVeise  zu  gefährden. 

Viele  lassen  den  Kranken  zwar  mit  offenen  Augen  frei  herumgehen  und  legen 
ihm  blos  die  Vermeidung  grellen  Lichtes,  aller  Erlcuchtungscontraste  und  jedweder 
die  Augen  stärker  in  Anspruch  nehmenden  Beschäftigung  ans  Herz.  Doch  treten 
selbst  bei  der  gewissenhaftesten  Befolgung  dieser  Regeln  die  Heilwii-kungen  ge- 
meiniglich v:eniger  rasch  hervor  und  dies  fällt  bei  einem  Processe,  bei  welchem 
eine  längere  Dauer  anerkannt  von  schlimmstem  Einflüsse  auf  die  Prognose  ist, 
schwer  in  die  Wagschale. 

Als  directe  Mittel  werden  fast  allseitig,  und  zwar  ohne  alle  Rücksicht 
auf  syphilitische  Begründung  des  Leidens,  MercuriaUen  für  nothioendig  er- 
achtet. Es  ist  nun  zwar  erwiesen,  dass  bei  nicht  syphilitischen  und  nament- 
lich auch  bei  frischen  diifusen  Netzhautentzündungen  durch  die  erwähnten, 
mehr  diätetischen  Massregeln  ganz  ausgezeichnete  Resultate  erzielt  werden 
können.  Immerhin  jedoch  muss  bei  einem  so  gefährlichen  und  besonders 
durch  längere  Dauer  verderblich  werdenden  Leiden  die  den  Mcrcurialien 
beigemessene  antiiihlogislische  und  ihre  erprobte  resorptionshethätigende  Wir- 
kung als  ein  erwünschter  Behelf  angesehen  werden.  Es  erscheint  insoferne 
zum  mindesten  räthlich,  dem  oben  vorgezeichneten  Verfahren  eine  Innnctionskur 
(S.  31)  oder  den  innerlichen  Gebrauch  des  Sublimates  in  auf-  und  ab- 
steigender Dosis  beizufügen.  "■ 

Oertliche  Blutentziehungen  und  andere  antiphlogistische  Mittel  leisten  kaum 
etwas  und  werden  am  besten  gemieden. 

Im  Allgemeinen  ist  dieses  Verfahren  durch  10 — 14  Tage  in  seiner 
ganzen  Strenge  ohne  Unterbrechung  fortzusetzen.  Nach  dieser  Zeit  sind  die 
Augen  im  Dunklen  zu  lüften  und  vorsichtig  auf  die  Zunahme  der  Sehkraft 
zu  prüfen,  dabei  aber  ist  jede  stärkei'e  Anstrengung  zu  meiden.  In  günsti- 
gen Fällen  zeigt  sich  dann  meistens  schon  eine  erhebliche  Zunahme  in  der 
Deutlichkeit  der  Wahrnehmungen  und  öfters  auch  einige  Aufhellung  etwa 
vorhandener  Unterbrechungen.  Ist  dieses  nicht  der  Fall,  so  darf  man  in 
der  Regel  nicht  viel  mehr  hoffen ;  eine  Erhaltung  des  noch  gegebenen 
Grades  von  Functionstüchtigkeit  ist  dann  meistens  das  Maximum  dessen, 
was   erreicht  werden  kann. 

Nun  darf  auch  das  Lästige  der  Cur  einigermassen  gemildert  werden. 
Während  der  Kranke  noch  einige  Zeit  den  Sublimat  oder,  im  Falle  die 
Schmierkur  angewendet  wurde,  das  Jodkali  fortbraucht,  wird  die  Diät 
etwas  aufgebessert  und  dem  Kranken  gestattet,  täglich  eine  oder  die  andere 
Stunde  mit  offenen  Augen  im  verdunkelten  Zimmer  oder,  bei  günstigem 
Wetter  und  nach  Untergang  der  Sonne,  im  Freien  umherzuwandeln.  AU- 
mälig  wird  die  Zeit  für  diese  Befugnisse  verlängert  und  endlich  ein  Spazier- 
gang bei  Tageslicht  an  schattigen  Orten  erlaubt.  Der  Ki-anke  wird  sich 
dabei  mit  Vortheil  einer  rauchgrauen  Brille  bedienen.  Directes  und  auch 
grelleres  diffuses  Sonnenlicht,   iMmpenlicht  etc.   ist   noch  auf  das    sorgfältigste 


Quellen.  205 

abzuhalten,  und  wo  sich  der  Kranke  demselben  nur  schwer  entziehen 
kann,  wird  am  besten  der  Schatzverhand  applicirt.  Wenn  dann  der  Kranke 
sich  nach  und  nach  an  helleres  Licht  g-cwöhnt  hat,  darf  er  unter  dem 
Schutze  eines  breitkrämpigen  Hutes  und  rauchgrauer  Gläser  sich  frei  im 
Tageslichte  umherbewegen,  wird  aber  immer  noch  gut  thun,  grelles  Licht 
zu  meiden. 

Für  einigermassen  anstrengende  Arbeiten,  anhaltendes  Schreiben,  Lesen, 
Nähen  etc.  bleibt  der  Kranke  nicht  gar  selten  untauglich,  und  wird  am 
besten  gleich  von  vorneherein  darauf  aufmerksam  gemacht.  Ueberhaupt 
kann  auch  lange  nach  Eintritt  vollständiger  Reconvalescenz  eine  rigoi'ose 
Augendiät  und  Vermeidung  aller  Excesse  in  der  Kahrung  und  dem  Regimen 
nicht  genug  an's  Herz  gelegt  werden,  will  man  Recidiven  hintanhalten. 
Wo  Eefractionsfehler  vorliegen,  ist  bei  Wiederaufnahme  der  Arbeiten  selbst- 
verständlich eine  genügende  Correction  durch  entsprechende  Brillen  an- 
zustreben. 

Quellen.  Coccius,  lieber  die  Anwendung  des  Augenspiegels.  Leipzig,  185.S. 
S.  115,  124.  —  Liehreich,  A.  f.  O.  I.  2.  S.  346;  klin.  Monatbl.  1864.  S.  397,  401; 
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des  Auges.  1855.  Taf.  10,  11,  12;  Handatlas,  Fig.  62—65.  —  Schumgger,  kl. 
Monatbl.   1864.  S.  399;  Vorlesungen  über  den  Geltraucli  des  Augenspiegels.  Berlin, 

1864.  S.  94,  99,  109,  110,  111,  134.  146.  —  Schneller,  A.  f.  O.  VII.  1.  S.  70,  81, 
83.  —  Pagenstecher,  klin.  Beobachtungen.  Wiesbaden,  1861.  I.  S.  51,  54;  II.  S.  24; 
III.  S.  70,  83;    A.  f.  O.    XV.  1.  S.  223.    —    Nagel,    klin.    Monatbk   1864.    S.  394; 

1868.  S.  315.  —  Grapfe,  A.  f.  O.  I.  1.  S.  367;  II.  2.  S.  277,  290,  293;  VII.  2. 
S.  58,  66;  XII.  2.  S.  114,  116,  120,  148,  212,  215;  Berlin,  kl.  Wochenschrift  1868. 
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—  Alexander,  kl.  Monatbl.  1867.  S.  223.  —  Schirmer,  ibid.  1865.  S.  275.  — 
Wecker,  ibid.  1868.  S.  409.  —  CUfford,  ibid.  1868.  S.  252.  —  Hirschberg,  ibid. 
1869.  S.  74.  —   0.  Becker,    ibid.  1868.  S.  313;    Wiener  Augenkl.  Ber.  S.  162,   168. 

—  Kugel,  A.  f.  O.  IX.  3.  S.  129.  —  Jacohi,  ibid.  XIV.  1.  S.  147,  154.  —  Leber, 
ibid.  XIV.  2.  S.  333,  352,  363;  XV.  3.  S.  105;  kl.  MonatbL  1868.  S.  302,  307.  — 
Stavenhagen,  kl.  Beob.  Riga.    1868.  S.  79.     -    H.  Schmidt,   A.  f.  O.  XV.  2.  S.  193. 


206  Neurodictyitis  exsudativa;  Krankheitstild. 


2.  Die  exsudative  Netzliantentzündung'. 

Kranktieitsbild..  CharaJderistisch  sind  heller  gefärbte,  meistens  von 
Haufen  dunMen  Pigmentes  besetzte  Flecke,  welche  während  oder  nach  dem  Ab- 
laufe einer  diffusen  oder  mehr  umschriebenen  entzündlichen  Netzhauttrübung  am 
Augengrunde  hervortreten  und  von  dem  Untergänge  des  Tapetes,  weiterhin  aber 
auch  von   dem   Schwunde  des  Aderhaiitstroma   abzuleiten  sind. 

Die  ophthalmoskopischen  Erscheinungen  wechseln  sehr,  sind  fast  in 
jedem  Falle  und  in  den  yerschiedenen  Stadien  des  Processes  andere.  Doch 
lassen  sich  die  Differenzen  unschwer  auf  gewisse  Typen  zurückführen,  welche 
eben  so  viele  Varianten  des  entzündlichen  Vorganges  vertreten. 

a.  Das  Augenspiegelbild  gleicht  ursprünglich  oft  vollkommen  dem 
einer  diffusen  Xeurodictyitis :  erst  später,  nachdem  die  gleichmässige  Trübung 
der  Xetzhaut  und  Papille  sich  gelichtet  hat,  kommen  die  mittlerweile  er- 
folgten Veränderungen  des  Tapetes  und  des  Aderhautstromas  zur  Wahr- 
nehmung^. Der  gelbrothe  Ton  des  Augengrundes  erscheint  streckenweise 
mehr,  streckenweise  weniger  abgeblasst,  oder  ist  an  manchen  Stellen  einer 
graugelb li clien ,  selbst  fahlweissen  Färbung  gewichen.  Häufig  lässt  sich 
darin  noch  das  Getäfel  der  Vasculosa  erkennen.  Es  ist  dasselbe  entweder 
blos  schwach  angedeutet,  von  zarter,  schmutzig  graubräunlicher  Färbung ; 
oder  es  sticht  mit  dunklen  Schattirungen  das  Braun  sehr  stark  hervor; 
doch  sind  die  Umrisse  der  einzelnen  Täfelchen,  stellenweise  wenigstens, 
minder  regelmässig  oder  ganz  zerworfen.  Dazwischen  sieht  man  gewöhn- 
lich noch  einzelne  Wirbelgefässe  streichen.  Ueber  den  gefleckten  oder  mehr 
gleichmässig  gebleichten  Augengrund  sind  ganz  uni'egelmässig  geformte, 
kleinere  und  grössere,  an  den  Grenzen  köruige  Pigmenthaufen  zerstreut, 
welche  in  allen  Schattirungen  vom  hellen  Braun  bis  zum  Kohlenschwarz 
wechseln,   und  bald  spärlich,    bald  überaus  zahlreich   (Fig.   F)   sind. 

b.  In  anderen  Fällen  tritt  das  Leiden  unter  den  Erscheinungen  einer 
diffusen  oder  nephritischen  Neurodicfyitis  hervor;  doch  machen  sich  gleich 
im  Beginne  die  Exsudatanhäufungen  in  Gestalt  kleinerer  (Fig.  C)  odei 
grösserer,  oft  figurirter  Flecken  bemerkbar,  welche  eine  der  umgebenden 
Trübung  ähnliche,  aber  viel  gesättigtere,  graulichweisse,  grauröthliche  oder 
gelblichweisse  Färbung  haben.  Sie  sind  bald  regelmässig ,  bald  unregel- 
mässig gestaltet,  bald  scharf,  bald  verschwommen  begrenzt  und  nicht  selten 
von  Pigmentanhäufungen,  welche  anfänglich  nur  schwach  durch  die  trübe 
Masse  durchschimmern,  umsäumt  oder  durchstreut.  "Wenn  sich  dann  im 
weiteren  Verlaufe  die  infiltrirte  Eetiua  aufhellt  und  auch  die  ausgeschwitz- 
ten Massen  durch  Aufsaugung  und  Schrumpfung  mehr  und  mehr  schwinden, 
erhalten  die  einzelnen  Herde  das  im  ^Vorhergehenden  oder  im  Xaclifolgen- 
gen  geschilderte  Aussehen. 

Manchmal,  und  wie  es  scheint  besonders  gerne  bei  der  nejjliritl'schen  Ent- 
zündungsform, setzen  sich  derartige  Flecke  zusammen  aus  lauter  kleinen,  sehr 
hellen,  bei  völliger  Ausbildung  weissgelblichen  oder  rein  weissen  und  dann  stark 
glänzenden,  länglichen,  eckigen  Figuren,  welche  bald  abgerundete,  bald  ganz 
scharfe  Winkel  (Fig.  J)  haben  und,  indem  sie  sich  reihenweise  an  einander 
ordnen,  eine  Art  Stern  oder  Schmetterlingsfiügel  formiren,  dessen  Strahlen  alle 
gegen  die  Fovea  centralis  oder  einen  dei'selben  nahen  Punkt  convergiren  und  nach 


Disseminirfo,  circnmscriiili'  Form.  ,  207 

oben  und  vmten  sicli  viel  weiter,  als  in  querer  Richtung  erstrecken,  so  dass  der 
ganze  Fleck  eine  längliclie  Gestalt  mit  senkrechter  Axe  erhält.  Man  glaubt  diesen 
Zustand  auf  Verfettigung  der  Stützfasern  der  Netzhaut  zurückführen  zu  dürfen 
(ManÜmer). 

c.  Minder  häufig  entwiclcelt  sich  der  entzündliche  Process  gleich  ursprüng- 
lich in  umschriebenen  Herden  und  fördert  daselbst  Producte  in  reichlicher 
Menge,  welche  tlieils  ivfiltrirt,  tlieils  an  die  liintere  Oberfläche  der  Netz- 
haut und  unter  Umstünden  auch  in  das  Gefuge  der  Aderhaut  abgelagert 
werden.  Es  erscheinen  die  Herde  daher  anfänglich  nicht  selten  merklich 
erhaben,  ja  in  einzelnen  Fällen  frischen  Datums  kann  man  an  ihren  Grenzen 
ein  Emporsteigen  der  darüber  hinwegstreichenden  Netzhautgefässe  wahr- 
nehmen. Sie  präsentiren  sich  bisweilen  als  rötlilichweisse,  häufiger  als 
bläulich-  oder  gelblichweisse,  selbst  orangegelbe  (Mauthner)  matte  Elecke, 
welche  mit  schmalem  verwaschenen  Saume  sich  deutlich  von  den  umgebenden, 
normal  gefärbten  oder  eine  Strecke  weit  überilorten  Theilen  des  Augen- 
grundes  abgrenzen  (Fig.  D).  Das  Tapet  ist  vermöge  der  Massenhaft! gkeit 
und  Opacität  der  Producte  im  Bereiche  der  Herde  noch  verhüllt,  docli 
kommen  bisweilen  schon  frühzeitig  einzelne  Gruppen  wuchernder  Pigment- 
zellen der  Oberfläche  nahe  und  werden  als  kleine  überilorte  blauschwarze 
oder  braune  Inselchen  gesehen.  Späterhin,  nach  theilweiser  Resorption  des 
Exsudates  werden  die  Herde  durchscheinender.  Man  erkennt  dann  in  ihrem 
Bereiche  öfters  ganz  deutlich  das  Getäfel  der  Vasculosa  und  zwischendurch 
einzelne  der  Wirbelgefässe  (Fig.  D).  Häufiger  jedoch  geht  daselbst  das 
Pigment  ganz  verloren,  die  Aderhaut  atrophirt  mehr  und  mehr  und  die 
Grundfarbe  der  Flecke  wird  ein  ziemlich  gleichmässiges  Grauroth,  Weiss- 
roth, Weissgelb  (Fig.  E)  oder  schmutziges  Gelbgrau,  seltener  mit  einem 
deutlichen  Stiche  ins  Grüne.  Die  Gefässe  der  Vasculosa  sind  dann ,  so 
weit  der  Herd  reicht,  meistens  völlig  geschwunden.  An-  und  ausser- 
halb der  Grenzen  der  Flecke  zeigt  sich  fast  immer  dunkles  Pigment  in 
Klumjjen,  welche  ganz  unregelmässig  zerstreut  umherstehen,  ausnahmsweise 
die  Umrisse  der  Knochenkörperchen  nachahmen  (Fig.  E)  oder  baumartig 
verzweigt  sind.  Einmal  hat  man  in  den  Flecken  hellgelbe  stark  glänzende 
Krystalle  gesehen.   (Nagel). 

Gewöhnlich  fehlt  den  einzelnen  Herden  alles  Typische  in  der  äusseren 
Gestaltung.  Die  Figur  ist  eine  ganz  unregelmässige  (Fig.  D,  E).  Die  Zahl 
der  Herde  ist  meistens  eine  geringe,  oft  findet  sich  gar  nur  ein  einziger. 
Dafür  aber  erreichen  dieselben  häufig  einen  sehr  bedeutenden  Umfang,  ja 
decken  nicht  selteii  den  ganzen  Hintertheil  des  Augengrundes  (Disseminirte 
Form). 

Nicht  gar  selten  beschränkt  sich  der  Process  lediglich  aif  die  Macula 
lutea  und  nimmt  dann  ganz  eigenthümliche  Formen  an.  So  findet  sich 
bisweilen  daselbst  ein  kohlschwarzer,  meistens  ganz  scharfbegrenzter  rund- 
licher oder  auch  winkeliger  Fleck  von  geringem  Umfange,  welcher  bisweilen  von 
einem  mehr  weniger  breiten  hellweissen  Hof  umsäumt  ist,  dessen  äusserer 
Rand  öfters  wieder  von  körnigem  Pigmente  besetzt  erscheint.  In  anderen 
Fällen  zeigt  sich  in  der  Gegend  der  Macula  lutea  ein  bläulicher  (Fig.  B)  oder 
ein  rother  rundlicher  Fleck  umgeben  von  einem  scharf  begrenzten  hellen 
Ringe.  Ausnahmsweise  hat  man  in  der  Gegend  der  Macula  lutea  wohl 
auch  mehr  weniger  ausgebreitete  rundliche  Herde  gefunden,  in  welchen  das 


208  Keurodictyitis  exsudativa;  Krankheitstild ;  Areolare  Form;  Sehstörungen. 

Tapet    gänzlich    untergegangen   war    und    dem  zu  Folge    die    Wirbelgefässe 
der  Chorioidea  bloszuliegen  schienen  (Ed.  Jaeger). 

Es  vinterliegt  kaum  einem  Zweifel,  dass  diese  Formen  (Retinitis  circumscrip- 
ta, Förster)  als  exsudative  zu  betrachten  seien.  In  der  That  hat  man  in  einem 
Falle  Wucherung  der  Körnerschichten ,  Vernichtung  des  Zapfenstratums  und  die 
Ablagerung  eines  in  seinen  äusseren  Lagen  stark  pigmentirten  gefässreichen  Ge- 
webes zwischen  Ader-  und  Netzhaut  als  Grund  eines  umschriebenen  schwarzen 
Fleckes  in  der  Macula  lutea  nachgewiesen  (SäviischJ. 

Eine  andere  Reihe  von  Fällen  charakterisirt  sich  durch  das  Auftreten 
meistens  sehr  zahlreicher,  ziemlich  scharf  begrenzter  Herde,  welche  sämmt- 
hch  eine  rundliche  oder  ovale  Form  haben  und  von  einem  Saume  dunklen 
Pigmentes  und  jenseits  desselben  bisweilen  auch  noch  von  einem  hellen 
Hofe,  wenigstens  theilweise,  eingefasst  werden.  Es  sind  diese  Herde  bis- 
weilen so  dicht  an  einander  gedrängt,  dass  sie  zu  grossen  Flecken  zusammen- 
fliessen  und  nur  mehr  an  deren  äussersten  Grenzen  von  einander  gesondert 
werden  können  (Fig.  H).  Oder  man  findet  nur  in  der  Gegend  der  Macula 
lutea  einige  grössere  rundliche  Herde  zusammengehäuft;  in  einiger  Ent- 
fernung von  diesem  Orte  werden  die  Herde  sparsamer,  stehen  mehr  zer- 
streut und  sind  auch  um  vieles  kleiner  (Fig.  <?),  ja  viele  derselben  stellen 
nur  kleine  rundhche  Tüpfel  dar,  welche  von  einem  breiten  Pigmentsaume 
umgeben  werden;  oder  sie  präsentiren  sich  gar  als  solide  Pigmenthäufcheu. 
In  einigen  Fällen  will  man  eine  nähere  Beziehung  der  Herde  zu  den 
Netzhautgefässen  bemerkt  haben  (Nagel,   Areolare  Form). 

Wo  die  Neuro dictyitis  exsudativa  rein  dasteht,  ist  mit  den  geschilder- 
ten ophthalmoskopischen  Erscheinungen  die  objeetive  Seite  des  Krankheits- 
bildes ziemlich  erschöpft.  Von  aussen  her  betrachtet  erscheint  der  Bulbus 
wirklich  in  der  Eegel  völlig  normal,  selbst  Hyperämien  werden  meistentheils 
vermisst.  Doch  stösst  man  in  dem  entzündlichen  Stadium  und  während  den 
nicht  seltenen  Nachschüben  des  Processes  häufig  auf  diffuse  Trübungen  des 
Glaskörpers,  welche  die  ophthalmoskopische  Untersuchung  sehr  erschweren. 
Bisweilen  kömmt  es  auch  Avohl  zu  einer  regeren  Mitleidenschaft  der  Uvea, 
es  gesellen  sich  zu  den  Erscheinungen  der  exsudativen  Netzhautentzün- 
dung jene  einer  Iridochorioiditis. 

Unter  den  subjectiven  Symptomen  spielen  partielle  Umnebelungen  oder 
Verdunkelungen  des  Gesichtsfeldes  die  Hauptrolle,  ja  sind  geradezu  charakteristisch. 
Sie  entsprechen  der  Lage  nach  ganz  gewöhnlich,  seiteuer  dem  Umfange 
und  der  Form  nach,  den  Exsudatherden.  Die  Kranken  beschreiben  sie  als 
mehr  weniger  dichte,  weissliche  oder  graue,  selten  als  farbige,  grünliche, 
bläuhche  etc.  Nebelhaufen,  oder  als  dunkle  rauchfärbige,  bräunliche  bis 
mattschwarze  Wolken,  Flecke,  als  unregelmässige  und  wohl  auch  unter- 
brochene Ringe  u.  s.  w.,  welche  über  einem  ganz  bestimmten  Theile  des 
Gesichtsfeldes  lagern,  mid  die  daselbst  befindlichen  Objecto  decken.  Oft 
ist  innerhalb  dieser  Flecken  der  Farbensinn  auffallend  gestört  (Leber). 

Hinter  den  dunkleren  Stellen  verschwiriden  dem  Kranken  die  betreffenden 
Objecttheile  völlig,  während  sie  an  den  helleren  Stellen  wie  durch  einen  Nebel, 
Schleier,  Rauch  gesehen  werden.  Durch  günstige  Beleuchtung  und  richtige  Stellung 
der  Objecte  zum  Lichte  können  diese  helleren  Stellen  öfters  um  ein  Bedeutendes 
verkleinert  und  so  weit  aufgeklärt  werden,  dass  die  dahinter  gelegenen  Object- 
theile um  vieles  deutlicher  heraustreten.  Stehen  die  Flecke  im  Centruvi  des  Ge- 
sichtsfeldes, was  bei  der  Vorliebe  der  Neurodictyitis  exsudativa  für  die  Gegend 
der  Macula  lutea  häufig  der  Fall  ist,  so  wird  das  Lesen,  überhaupt  das  Erkennen 
sehr  kleiner  Objecte,    sehr  schwierig;    der  Kranke  muss  dann  öfters  sich  dadurch 


Ursaclifii;  Voihuif.  209 

helfen,  dass  er  die  optische  Axe  falsch  einstellt,  die  Bilder  also  auf  excentrische, 
noch  g-esunde  Netzhautstellcii  leitet.  Ist  aber  das  Centrum  frei,  so  kann  der  Kranke 
oft  noch  die  feinste  Schrift  lesen;  es  fehlt  ihm  aber  die  Uebersicht,  das  Gesichts- 
feld erscheint  nach  einer  oder  mehreren  Richtungen  unterbrochen  und  dalicr  ist 
besonders  das  Erkennen  grösserer  Objecte  erschwert.  Es  mindern  sich  diese  Hin- 
dernisse in  dem  Masse ,  als  die  Grenzen  der  verdunkelten  Stelle  vom  Centrum 
liinwegrücken ;  ja  einigermassen  iceiter  abstehende  Flecke  werden  in  der  Kegel  nur 
bei  genauerer  Untersuchung  zur  Wahrnehmung  gebracht,  sonst  aber  von  dem 
Kranken  völlig  übersehen.  Die  Peripherie  der  Netzhaut  bleibt  in  ihren  Functionen 
gewöhnlich  vollkonnnen  unlieirrt^  A.i\  daselbst  Exsudationsherde  nicht  leicht  vor- 
kommen und  da  die  Nervenfasertichiclite  im  Bereiche  gegebener  Herde  erst  spät, 
wenn  überhaupt,  zu  leiden  pflegt.  Kommt  es  Ider  bis  zur  vollständigen  Atrophie 
der  Netz-  und  Aderhaut,  so  fehlen  auch  periphere  Einschränkungen  des  Gesichts- 
feldes nicht. 

Eine  eigenthümliche  Erscheinung  ist  das  Krummsehen  von  Linien ,  so  weit 
diesellien  in  die  den  einzelnen  Herden  entsprechenden  Aichungen  des  Gesichts- 
feldes fallen.  Es  wird  dasselbe  ziemlich  häufig  bei  der  Neurodictyitis  exsudativa 
beobachtet  und  macht  sich  dann  insbesondere  an  den  Grenzen  der  Unterbrechungen 
geltend.  Man  bezieht  es  auf  Niveaiwerschiedenheiten  der  Netzhaut  im  Bereiche  der 
Exsudationsherde  und  auf  damit  gesetzte  Lageveränderungen  der  lichtempfindenden 
Elemente  (Förster),  welche  wieder  bald  auf  die  Anhäufung  von  Producten  (Classen), 
bald  auf  die  mit  der  nachfolgenden  Schrumpfung  der  Netz-  und  Aderhaut  ver- 
knüpfte Einziehung  (Knapij)  zurückgeführt  werden. 

Selbstverständlich  kommen  die  erwähnten  charakteristischen  Sehstöriin- 
gen  nur  bei  umschriebenen  Exsudations- Processen  zur  Beobachtung  und  ge- 
hören vornehmlich  den  späteren  Stadien  des  Leidens  an,  wo  die  Entzün- 
dung als  solche  bereits  gewichen  ist.  Wo  die  Netzhaut  ihrer  ganzen  x\us- 
dehnung  nach  in  der  Wucherung  begriffen  und  etwa  noch  der  Glaskörper 
diffus  getrübt  ist,  dort  verschwimmen  die  Unterbrechungen  in  dem  aller- 
w'drts  dicht  umnebelten  Gesichtsfelde,  ja  häufig  ist  das  Sehvermögen  gar 
auf  quantitative  Lichtempfindung  herabgedrückt. 

Ursachen.  Die  Aetiologie  fällt  grossen  Theiles  mit  jener  der  diffusen 
Neurodictyitis  zusammen,  die  exsudative  Form  entwickelt  sich  häufig  nehen 
und  mit  der  ersteren.  Wo  die  letztere  mehr  selbstständig  auftritt,  scheint 
öfters  allgemeine  Syphilis,  sowohl  erworbene  als  hereditäre  (Hutchinson),  den 
Grund  abzugeben.  Eine  wichtige  Kolle  spielt  jedenfalls  auch  die  Ent- 
wickelung  des  hinteren  Scleralstaphyloms.  Bei  höheren  Graden  desselben  und 
namentlich  bei  vorgerückterem  Alter  des  Trägers  sind  in  der  That  die  der 
exsudativen  Netzhautentzündung  und  ihren  Folgen  eigenthümlichen  Ver- 
änderungen am  Augengrunde  sehr  häufig  zu  beobachten  (Donders).  In  ein- 
zelnen Fällen  von  Retinitis  circumscripta  geben  ohne  Zweifel  Haemorrhagien 
in  die  Macula  lutea  den  nächsten  Anlass  zur  Entzündung.  Auch  glaubt 
man,  dass  sympathische  Einflüsse  (Graefe)  ja  selbst  Tuberculosis  (Coccius) 
zur  Neurodictyitis  exsudativa  führen  können.  Im  Grossen  und  Ganzen  ist 
jedoch  der  Nachiveis  eines  genügenden,  oder  auch  nur  einigermassen  ent- 
sprechenden ätiologischen  Momentes  nicht  gar  häufig  möglich.  Oft  entzieht 
sich  nicht  nur  die  Gelegenheitsursache,  sondern  auch  die  Zeit  des  Beginnes 
der  Krankheit  der  Erörterung. 

Verlauf.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  entwickelt  sich  das  Leiden 
unter  ganz  unscheinbaren,  ausserdem  aber  auch  rasch  wieder  schwindenden 
Reizsymptomen  und  schreitet  nur  sehr  langsam  und  unvermerkt  weiter. 
Fallen  die  Exsudationsherde  nicht  zii  nahe  dem  Centrum  der  Netzhaut 
oder    gar    in    dasselbe,    so    übersieht    der   Ki'anke    oftmals  die  vorhandenen 

stell  wag,   Augenlieilkunde.  14 


210  NeuroJictyitis  exsudativa;  Verlauf;  Ausgänge. 

Gesichtsstörungen  und  es  vergehen  mitunter  Jahre,  bis  der  Zufall  oder 
die  allmälige  Ausbreitung  der  Nebelflecke  über  centrale  Partien  des  Seh- 
feldes die  Aufmerksamkeit  auf  den  Defect  lenken  und  die  ophthalmo- 
skopische   Untersuchung  den  Bestand   veralteter  Producthaufen  erweiset. 

In  anderen  Fällen,  namenthch  wo  eclatante  Schädlichkeiten  die  Ver- 
anlassung waren,  tritt  die  Neurodictyitis  exsudativa  plötzlich  unter  auf- 
fälligen und  wohl  auch  alarmirenden  Entzündungserscheinungen  in  reiner 
Form  oder  in  den  erwähnten  Combinationen  auf,  der  Process  steigert  sich 
rasch  bis  zu  einer  gewissen  Höhe,  verliert  dann  aber  wieder  an  Intensität, 
die  Reizsymptome  schwinden  mehr  und  mehr,  die  Entzündung  selbst  ist 
erloschen,  es  bleiben  nur  ihre  Folgen,  insbesondere  die  charakteristischen 
Exsudatfladen  und  die  davon  abhängigen  partiellen  Umnebelungen  oder 
Verdunkelungen  des  Sehfeldes  zurück.  Hat  die  etwa  nebenhergehende 
Iridochorioiditis ,  Hyalitis  etc.  nicht  dauernde  Schäden  gesetzt,  so  bessert  sich 
in  der  Regel  sogar  das  Sehvermögen  um  ein  Beträchtliches,  die  verdunkel- 
ten Stellen  des  Sehfeldes  zerreissen  gleichsam,  verlieren  an  Umfang,  hellen 
sich  stellenweise  auf  und  früher  blos  umnebelte  Theile  des  Gesichtsfeldes 
werden  wieder  klar. 

Auf  diesem  Puncte  angelangt,  steht  der  Process  gleichsam  still.  Es 
braucht  dann  oft  Monate  und  Jahre,  ehe  irgend  welche  erhebliche  Ver- 
änderungen im  Krankheitsbilde  sich  ergeben.  Häufig  ist  der  Abschluss  ein 
vollständiger ,  es  kömmt  nicht  mehr  zur  Bildung  neuer  Exsudatherde,  und 
die  alten  schreiten  mehr  und  mehr  dem  Schwunde  zu.  In  anderen  Fällen 
jedoch  recidivirt  die  Krankheit,  der  Process  gewinnt  mit  oder  ohne  nach- 
weisbare Ursache  wieder  einen  Aufschwung,  es  entwickeln  sich  neben  den 
alten  neue  Herde,  worauf  die  Entzündung  zurückgeht,  um  nach  einer  längeren 
oder  kürzeren  Remission  abermals  aufzuflackern  u.   s.  f. 

Besonders  häufig  sind  solche  Nachschübe,  wo  Staphyloma  posticum  oder 
Syphilis  die  Veranlassung  war,  oder  wo  die  Krankheit  ohne  erweisbare 
Ursache  sich  schon  während  der  Jugendperiode  in  umschriebenen  Herden 
ganz  unmerklich  entwickelt  hat.  In  solchen  Fällen  geht  der  Process 
auch  gewöhnlich  auf  das  andere  Auge  über.  Wo  hingegen  Traumen  den 
Grund  abgaben,  bleibt  die  Entzündung  gewöhnlich  auf  das  betroffene  Auge 
beschränkt. 

Ausgänge.  Auf  eine  Herstellung  der  Norm  ist  bei  Bestand  der  charak- 
teristischen Exsudatfladen  wohl  niemals  zu  hofTen.  In  frischen  Fällen  wird 
unter  Beihilfe  geeigneter  Therapie  das  entzündliche  Product  allerdings 
nicht  selten  zum  grössten  Theile  oder  wohl  gar  völlig  wieder  resorbirt'  doch 
rehabilitiren  sich  damit  die  betreffenden  Portionen  der  Netzhaut  kaum  jemals 
vollständig  •  auch  wird  die  Chorioidea  durch  Atrophie  fast  immer  sehr  hart 
mitgenommen  und  verstärkt  dann  durch  abnorme  Lichtreflexionen  die  in 
den  Netshautalterationen  wurzelnden  Sehstörungen.  Dem  zu  Folge  bleiben 
die  Objectbilder  im  Bereiche  der  Herde  zum  mindesten  umschleiert  oder 
verschivommen.   Bisweilen  zeigen  sie  sich  daselbst  auch  verzerrt. 

Gewöhnlich  ist  die  Resorption  eine  blos  theilweise,  der  Rest  des  Pro- 
ductes  geht  ständige  Formen  ein  und  führt  die  betrefi'enden  Portionen  der 
Aderhaut  und  der  Retina  allmälig  zum  Schwunde.  Von  der  Netzhaut  bleiben 
dann  die  vorderen  Schichten  öfters  iutact,  während  die  hinteren,  so  weit  die 
Herde    reichen,   melu*  und  mehr  degeneriren.    In  anderen  Fällen  greift  der 


Verlauf;  iiariiclle  Netzliaiitatroiiliii' ;  [riilochorioditis.  211 

Schwund  am  Ende  durch  die  ganze  Dicke  der  Netzhaut,  ja  diese  wird  inner- 
halb den  Grenzen  der  Exsudatliaden  gar  nicht  selten  in  ein  höchst  zartes 
bindegewebiges  Häutchen  verwandelt,  welches,  von  der  oft  durchlöcherten 
Limitans  g-edeckt,  der  imtcrlagerndon  höclisf gradig  atrophirten  Aderhaut  fest 
anhaftet  und  neben  Haufen  neugcbildcten  Pigmentes  nur  wenige  Gefässe  zu 
enthalten  pÜegt,  die  überdies  zum  Theile  atheromatös  entartet,  oder  in 
bindegewebige,  von  iiügelförmigen  Anhängseln  begleitete  Stränge  verwan- 
delt sind.  Zum  Glücke  ist  dieser  degenerative  Process  in  der  Regel  ein 
sehr  langsamer.  Es  bestehen  in  der  That  derlei  Herde  häufig  sehr  viele 
Jahre,  ehe  die  betreffenden  Netzhauttheile  das  Lichtempfindungsvermögen 
völlig  verlieren,  ja  man  hat  guten  Grund  anzunehmen,  dass  der  Schwund 
der  nervösen  Elemente  überhaupt  kei7ie  nothwendige  Folge  sei,  die  Ver- 
bildung  der  Retina  vielmehr  in  den  verschiedensten  Stadien  für  immerdar 
sistirt  werden  könne. 

Die  ausserhalb  den  Grenzen  der  Exsudatfladen  gelegenen  Portionen 
der  Ader-  und  Netzhaut  vegetiren  in  einfachen  Fällen  meistens  ganz 
normal  weiter  und  pflegen  auch  ihre  Functionstüchtigkeit  ungeschivächt  zu 
erhalten.  Ist  die  Netzhaut  im  Bereiche  der  Exsudatherde  nicht  gar  zu 
sehr  alterirt  worden,  sind  diese  überdies  vielleicht  excentrisch  gelagert  und 
nicht  übermässig  ausgedehnt,  so  kann  das  Auge  nach  dem  Mitgetheilten 
zeitlebens  einen  ziemlichen  Grad  von  Brauchbarkeit  bewahren,  und  bewahrt 
ihn  unter  günstigen  Umständen  factisch  gar  nicht  selten,  ja  mitunter 
scheinen  bei  abgelaufenen  Processen  die  Gesichtsstörungen  mit  den  ophthal- 
moskopisch nachweisbaren  Alterationen  des  Augengrundes  in  keinem  Ver- 
hältnisse zu  stehen. 

Tritt  die  Neurodictjitis  exsudativa  jedoch  in  der  Jugend  auf  und  ist 
obendrein  die  Sehstörung  wegen  mehr  centraler  Lagerung  der  Herde  eine 
sehr  fühlbare:  so  kömmt  es  in  dem  allei7i  oder  vorwiegend  afficirten  Auge 
sehr  oft  zu  functioneller  Stumjifheit  der  frei  gebliebenen  Netzhauttheile, 
indem  der  Kranke  im  Interesse  der  Deutlichkeit  der  Wahrnehmungen  die 
Eindrücke  des  fraglichen  Aut>;es  bald  unterdrücken  lernt  und  dieses  sohin 
gewissermassen  ausser  Uebung  gesetzt  wird.  Auch  strabotische  Ablenkungen 
sind  unter  solchen  Verhältnissen  nichts  ungewöhnliches.  Ebenso  werden 
die  frei  gebliebenen  Theile  der  Retina  im  späteren  Verlaufe  der  Krankheit 
ziemlich  oft  sehr  merklich  an  ihrer  Functionstüchtigkeit  geschädigt,  wenn 
die  Exsudationsherde  sehr  ausgebreitet  sind,  sich  über  den  ganzen  hinteren 
Theil  des  Augengrundes  ausdehnen.  Die  Ursache  scheint  dann  in  gestörten 
Ernährungsverhältnissen  der  gesammten  Netzhaut  zu  liegen.  Man  findet  unter 
solchen  Umständen  nämlich  sehr  häufig  die  Hauptgefäss stamme  der  Retina 
in  auffallender  Weise  verdünnt  und  oft  auch  an  Zahl  vermindert,  oder 
theilweise   durch    Collateralen   ersetzt. 

Am  schlimmsten  fährt  der  Kranke  begreiflicher  Weise,  wenn  die 
exsudative  Netzhautentzündung  in  irgend  einem  Stadium  des  Verlaufes  oder 
gar  wiederholt  sich  mit  Iridochorioiditis  vergesellschaftet  und  diese  nicht 
rasch  genug  getilgt  werden  kann.  Es  concurriren  dann  nämlich  die  schweren 
Folgen  dieser  Krankheit  mit  jenen  der  Neurodictyitis  und  das  Endresultat 
ist  gar  nicht  selten  völlige  Erblindung  oder  gar  Schwund  des  gesammten  Aug- 
apfels, also  Ausgänge,  welche  bei  der  reinen  Form  der  exsudativen  Netz- 
hautentzündung kaum  jemals  zu  beklagen  sind. 

14* 


212  Neurodictyitis  exsudativa;  Behandlung;  Quellen. 

Die  Behandlung  muss  immer  den  jeweiligen  Verhältnissen  angepasst 
werden  und  fällt  fast  durchwegs  mit  jener  der  diffusen  Neurodictyitis 
zusammen  (Siehe  diese.)  Auch  hier  ist  die  Schmierkur  während  den  eigent- 
lich entzündlichen  Stadien  das  am  meisten  oder  eigentlich  ausschliesslich  zu 
empfehlende  Mittel.  Bei  zweckmässiger  Durchführung  derselben  ist  in  frischen 
Fällen  wirküch  die  Aufsaugung  der  Exsudatmassen  und  die  Aufhellung 
der  Flecke  im  Gesichtsfelde  häufig  eine  überaus  erfreuliche.  Wo  derlei 
Zustände  schon  längere  Zeit  bestehen,  ist  selten  mehr  als  eine  merkliche 
Besserung  zu  erwarten.  Ist  die  Atrophie  im  Bereiche  der  Herde  schon 
weit  vorgeschritten  und  eigentlich  kein  Product  mehr  da,  welches  auf  dem 
Wege  beschleunigter  Resorption  zu  beseitigen  wäre,  so  ist  das  erwähnte 
Verfahren  natürlich  eben  so  unwirksam,  als  jedes  andere  und  kann  nur 
gerechtfertigt  werden,  wenn  Verdacht  auf  Syphilis  besteht  und  es  darauf 
ankömmt,  den  Becidiven  des  Processes  durch  Tilgung  des  Grundleidens 
zuvorzukommen.  Im  Allgemeinen  wird  man  dann  sich  am  besten  auf  ent- 
sprechende Augendiät  beschränken,  um  die  Ursachen  von  wiederholten  Ent- 
zündungsanfällen möglichst  ferne  zu  halten  und  von  dem  vorhandenen 
Sehvermögen  solchermassen  zu  retten,  was  noch  zu  retten  ist.  Recidivirt 
dennoch  der  Process,  so  ist  eben  so  vorzugehen ,  als  wäre  die  Krankheit 
in  ihren  ersten  Phasen  begriffen. 

Die  localen  Blutentziehungen  leisten  wenig  oder  nichts.  Die  Revtilsiva,  inson- 
derheit die  neuerlich  wieder  anempfohlene  Application  eines  Haarseiles  in  den 
Nacken  (Pagenstecher),  sind  jedenfalls  entbehrlich  und  werden  am  besten  gemieden. 

Quellen:  Coccius,  Ueber  die  Anwendung  des  Augenspiegels.  Leipzig,  1853. 
S.  110,  132,  136;  de  apparat.  opt.  Leipzig,  1868.  S.  15.  —  Graefe,  A.  f.  O.  II.  2. 
S.  258,  282,  291,  294;  XIL  2.  S.  171.  —  Leber,  ibid.  XV.  3.  S.  104.  — 
Ed.  Jaeger ,  Beiträge  zur  path.  Anat.  des  Auges.  Wien,  1855.  Taf.  5,  6,  7,  8,  9; 
Handatlas,  Fig.  64,  66—69,  92,  94,  96-102,  122  —  128.  —  Liehreich,  Atlas  der 
Ophth.  Berlin,  1863.  Taf.  4,  5,  6.  —  Pagenstecher  und  Sämisch,  kl.  Beobachtungen. 
Wiesbaden,  1861.  I.  S.  23;  II.  S.  9.  —  Sämisch,  Beiträge  zur  norm.  u.  path.  Anat. 
des  Auges.  Leipzig,  1862.  S.  29.  —  Förster,  Ophth.  Beiträge.  Berlin,  1862.  S.  1, 
16,  23,  31,  35,  99.  —  Schiveigger,  Vorlesungen  über  den  Gebrauch  des  Augen- 
spiegels. Berlin,  1864.  S.  86,  88,  94,  110.  —  Classen,  Ueber  das  Schlussverfahren 
des  Sehactes.  Rostock,  1863.  S.  32,  A.  f.  O.  X.  2.  S.  155.  —  Knapp,  kl.  Monatbl. 
1864.  S.  307;  Arch.  f.  Aug.  u.  Ohrenheilkd.  I.  S.  22.  u.  f.  —  Secondi,  Clinica  oc. 
di  Genova.  Riassunto.  Torino,  1865.  S.  42.  —  Bonders,  Anomalien  der  Refraction 
u.  Accomm.  Wien,  1866.  S.  322.  —  Hutchinson,  A  clinical  memoir  on  certain 
diseases  of  the  eye  etc.  London,  1863.  S.  129,  —  Virchow,  Die  krankh.  Geschwülste 
II.  Berlin,  1864.  S.  462.  —  Galezoioski,  Gaz.  des  hopit.  1862.  Nro.  5.  —  0.  Becker, 
kl.  Monatbl.  1868.  S.  352.  —  Nagel,  ibid.  S.  417,  420.  —  Mauthner,  Lehrb.  d. 
Ophthskopie,  S.  431  u.  f.,  451.  —  Heymann,  Ophthalmologisches,  1868.  S.  28.  — 
Landesherg,  A.  f.  O.  XV.  1.  S.  220.  —  Niemetschek,  Prager  Vierteljahrschrift 
96.  Bd.  S.  41. 


3.  Die  nephritisclie  Netzhautentzündung. 


Krankheitsbild..  Als  charakteristisch  gelten  stippchenförmige  und  fleck- 
weise Anhäufungen  eines  trüben  Productes,  welche  sich  neben  zahlreichen  hämor- 
rhagischen Extravasaten  unter  starker  localer  Blutüberfüllung  und  beträchtlicher 
Abnahme  des  Sehvermögens  in  der  diffus  getrübten  Netzhaut,  besonders  reich- 
lich um   den  Sehnerveneintritt  herum,  zu  bilden  pflegen. 


Nenrodictyitis  iH>pIiriticii;  Kiiinkhcitsbild.  213 

1.  Das  ophthalmoskopische  Bild  ist  je  nach  dem  Zeitpunkte  der  Untor- 
sucliung  ein  ziemlich  wechselvolles.  Im  ersten  Beginne  der  Netzliautaifection 
fällt  die  starke  Blutüberfüllung  auf;  der  Sehnerveneintritt  und  die  umgehende 
Zone  der  Netzhaut  zeigen  sich  geröthet  von  zahlreichen  injicirten  feineren 
Gefässen.  Die  Ve^ien  erscheinen  ausgedehnt,  sehr  geschlängelt  und  deuten 
durch  lichtere  und  dunklei-e  Stellen  nicht  selten  ein  Auf-  und  Niedersteigen 
in  hügelartig  geschwellten  lletinalportioncu  an.  Die  Arterieii  hingegen 
sind  kaum  erweitert,  eher  dünner  als  in  der  Norm.  Alsbald  kömmt  es 
auch  zu  Blutextravasatev,  welche  theils  die  Form  zarter  Spritzer,  theils  die 
Gestalt  von  Flecken  darbieten  und  sich  oft  so  häufen,  dass  sie  die  Gefässe 
decken.  Dazu  tritt  alsbald  eine  ausgebreitete  ditfuse,  bläulichgraue  oder 
gelblichgraue,  schleierartige  Trübung  der  Netzhaut,  welche  sich  längs  der 
Gefassstämme  und  in  der  Umgebung  des  Sehnerveneintrittes  an  ver- 
scliiedenen  Stellen  rasch  verdichtet  und  kleinere  und  grössere,  weissgraue 
oder  milchweisse  Flecke  mit  unregelmässigen  Grenzen  darstellt,  welche,  so 
weit  sie  reichen,  die  Gefässe  und  den  Augengrund  theilweise  verhüllen 
(Fig.  J,  K).  An  anderen  Orten,  namentlich  in  der  Umgebung  der  Macidn 
lutea,  bilden  sich  gerne  kleine  weissgraue  oder  milchweisse  Tüpfel,  welche 
sich  rasch  vermehren,  zu  Haufen  gruppiren  und  oft  unter  wachsender 
Trübung  ihrer  Zivischenräume  zusamracntliessen. 

Schreitet  der  Enfzündungsprocess  noch  weiter  vor,  so  schwillt  die  über- 
florte  und  geröthete  Papille  so  wie  die  nachbarliche  Zone  der  Netzhaut 
immer  mächtiger  an,  die  grauweissen  oder  milchweissen  Flecke  nehmen 
an  Umfang  und  Zahl  zu,  breiten  sich  über  den  Sehnerveneintritt  aus, 
verhüllen  denselben  mehr  und  mehr,  wechseln  ihre  Farbe  ins  helle  Weiss- 
gelb, werden  völlig  opak,  fettglänzend,  ziehen  sich  dabei  aber  oft  in  die 
hinteren  Schichten  der  Netzhaut  zurück,  so  dass  die  verhüllten  Gefassstämme 
und  Extravasate  wieder  theilweise  oder  ganz  hervortauchen  mid  in  klaren 
Bildern  gesehen  werden. 

Ausnahmsweise  fliessen  diese  Flecke  und  nach  ihnen  auch  die  in  der  Gegend 
der  Papille  gelegenen  Tilpfelgruppen  zusammen  zu  einem  gegen  die  Macula  hitea 
hin  meistens  offenen  (Iwanoff) ,  fettglänzenden  gelblichweissen  und  graubräun- 
lich schattirten  Wall,  welcher  sich  nur  undeutlich  von  dem  angeschwollenen  und 
zum  Theile  röthlich  durchschimmernden,  oder  durch  das  Infiltrat  ganz  verfärbten 
Nervenkopfe  abgrenzt,  nach  dem  Aequator  hin  aber  gewöhnlich  in  einer  zackigen 
Linie  endet,  deren  Vorsprünge  den  grösseren  Gefässen  zu  entsprechen  pflegen. 
Diese  Grenze  ist  bald  eine  ganz  scharfe  ,  bald  ist  sie  strahlig  streifig  oder  wolkig 
verschwommen,  oder  sie  löst  sich  in  Tilpfelgruppen,  oder  in  eine  marmorirte  Zeich- 
nung auf.  Die  peripheren  Netzhautportioneyi  sind  oft  völlig  normal  oder  doch  nur 
wenig  getrübt;  oft  sind  sie  deutlich  schleierartig  getrübt  und  stellenweise  von  grau- 
weissen Tüpfeln  besäet  (Liehreich). 

Das  Augenspiegelbild  wird  während  dem  eigentüchen  Entzündung sstadium 
häufig  durch  Glaskörpertrühungen  sehr  verundeutlichet.  Im  Uebrigen  bietet 
der  Bulbus  in  der  Regel  keine  hervorstechenden  objectiven  Krankheits- 
symptome  dar. 

Subjectiv  äussert  sich  das  Leiden  durch  ein  allmäliges,  von  zeitweiligen 
Stillständen  und  Besserungen  unterbrochenes  Sinken  der  Sehkraft,  durch 
eine  meistens  uvgleichmässige  Umnebelung  oder  Verdunkelung  des  Gesichts- 
feldes mit  oder  ohne  periphere  Einschränkung  desselben.  Zu  einer  völligen 
amaurotischen  Verfinsterung  des  Sehfeldes  kömmt  es  jedoch  selten  durch  die 
Dictyitis  an  sich. 


22^4:  Neurodictyitis  nepliritica;  Ursachen. 

Ursachen.  Die  geschilderte  Form  der  Netzhautentzündung  kann  sich 
nach  den  bisherigen  Erfahrungen  möglicher  "Weise  unter  den  mannigfaltigsten 
phathogenetischen  Verhältnissen  entwickeln.  Man  hat  ähnliche  ophthalmo- 
skopische Bilder  bei  der  Zuckerruhr  (Ed.  Jaeger,  Noyes,  Bouchut),  ja  bei 
Neuro dictyitis  descendens  als  Folge  von  Cerebralleiden  beobachtet  (Graefe, 
H.  Schmidt).  In  der  Regel  jedoch  steht  die  beschriebene  Form  der  Dictyitis 
in  Abhängigkeit  vom  Brigth'schen  Nierenleiden.  Sie  tritt  öfters  schon  in  sehr 
frühen  Stadien  der  albuminosen  Nephritis  auf;  gewöhnlich  aber  sind  es  die 
späteren  Perioden  chronisch  verlaufender  Fälle,  in  welchen  sie  sich  geltend 
macht,  ja  sehr  häufig  kömmt  sie  erst  zu  Stande,  nachdem  bereits  fettige 
oder  choloide  (amyloide)  Degeneration  eingetreten  oder  die  Nieren  in  der 
Schrumpfung  weit  vorgeschritten  sind. 

Es  ergibt  sich  hieraus  unmittelbar,  dass  die  nephritische  Netzhautentzündung 
nicht  ivohl  in  directem  iirsächlichen  Zusammenhange  mit  dem  Eiweissgehalte  des 
Harnes  stehen  könne.  Die  klinische  Beobachtung  bestätigt  dies,  insoferne  thatsächlich 
genug  Fälle  vorkommen,  in  welchen  das  Albumin  im  Harne  bereits  fehlt  oder,  wenn 
es  vorhanden  ist,  in  seinem  procentarischen  Verhältnisse  steigt  oder  fällt,  ohne  dass 
sich  irgend  welcher  Einfluss  auf  den  Gang  des  Netzhautleidens  erkennen  Hesse. 
Eben  so  Avenig  kann  vor  der  Hand  die  anomale  Blutmischung  (Graefe)  als  letzter 
Grund  ang-enommen  werden,  da  die  zur  Zeit  bekannten  Veränderungen  des  Blutes 
allen  Fällen  Bright'scher  Krankheit  gemeinsam  sind,  während  die  Neurodictyitis 
nicht  zu  den  constanten,  ja  nicht  einmal  zu  den  häufigsten  Folgezustäuden  der 
albuminosen  Nephritis  gehört.  Eine  Zeit  lang  glaubte  man  die  nächste  Veranlassung 
in  organischen  Herzfehlern  (Iman,  TrauheJ  und  damit  begründeten  Blutstauungen, 
Oedem,  Hämorrhagien  suchen  zu  müssen,  um  so  mehr,  als  Hypertrophie  des  linken 
Ventrikels,  Klappenfehler  etc.  als  co»w/a7ite  Vorläufer  und  Begleiter  der  nephritischen 
Neurodictyitis  galten  ( Schweig g er).  Es  steht  aber  fest,  dass  das  Herzleiden  sehr  wohl 
fehlen  könne  (Nagel,  Homer,  Secondi,  Pagenstecher)  und  dass  das  überaus  himfige 
Zusammenfallen  desselben  mit  der  in  Rede  stehenden  Form  der  Netzhautentzündung 
sich  einfach  daraus  erkläre,  dass  die  Bright'sche  Krankheit  in  ihrem  weiteren  Ver- 
laufe sehr  gewöhnlich  zu  Herzfehlern  führt,  letztere  aber  umgekehrt  auch  ein  wich- 
tiges pathogenetisches  Moment  der  ei'steren  abgeben  (Rokitansky). 

Zu  den  entfernte^-en  Ursachen  der  nephritischeu  Neurodictyitis  gehört  selbst- 
verständlich alles,  was  das  Bright'sche  Nierenleiden  anzuregen  vermag.  Man  findet 
beide  gelegentlich  neben  Marasmus  und  Cachexie  im  Gefolge  des  Typhus,  des 
Wechselfiebers,  protrahirter  Eiterung,  Tuberkulose  etc.;  vornehmlich  aber  als 
secundäre  Leiden  nach  exanthematischen  Krankheiten  und  darunter  besonders  des 
Scharlachs,  nach  Cholera,  Pyämie,  nach  häufigem  Genüsse  geistiger  Getränke  oder 
scharfer  harntreibender  Mittel  u.  s.  w.  (Rokitansky).  Auch  in  den  letzten  Monaten 
der  Schwangerschaft  wird  die  Netzhautentzündung  neben  Albuminurie  beobachtet 
(Pagenstecher,  Secondi,  Galezowski)  und  die  Nephritis  dann,  ahnlich  wie  bei  Herz- 
fehlern, auf  mechanische  Strömungshinderuisse  in  den  Nieren,  insbesondere  auf 
Erweiterung  der  Spermaticalvenen  zurückgeführt  (Virchow). 

Verlauf  und  Ausgänge.  Bisweilen  ist  die  Entwickelung  des  Netz- 
hautleidens eine  wahrhaft  acute,  schon  binnen  wenigen  Tagen  nach  dem 
Auftreten  der  Sehstörung  haben  sich  iinter  Zunahme  der  letzteren  grosse 
Mengen  von  entzündlichen  Producteu  in  der  hinteren  Netzhauthälfte  ge- 
sammelt. In  der  Regel  jedoch  ist  der  Verlauf  von  Anbeginn  an  ein  lang- 
samer, selbst  chronischer  und  dazu  sehr  oft  auch  von  Stillständen,  oder 
wohl  gar  von  theilweisen  Rückgängen  schon  gebildeter  Productanhäufungen 
unterbrochener. 

Ist  der  Process  zu  einer  gewissen  Höhe  gediehen,  so  verharren  die 
Theile  öfters  wochenlang  ohne  erhebliche  Veränderungen,  liöchstens  kömmt 
es  zu  weiteren  Blutergüssen,  welche  sich  über  kleinere  und  grössere  Por- 
tionen des  Walles  ausbreiten.  Am  Ende  macht  sich  die  regressive  Metamorphose 


Verlauf;  Ausgänge;  Amaurosis  uraemica.  215 

geltend,  die  Producie  werden  allniälig  wieder  resorbiri,  die  verhüllt,  ge- 
wesenen Gefässstücke  tauchen  hier  und  da  wieder  hervor,  die  Flecke 
werden  stellenweise  durchscheinend,  verlieren  ihre  helle  fettigweisse  Farbe, 
zerklüften  wohl   auch,   kurz   der  Process  schreitet  seinen  Ausgängen  zu. 

Es  ist  jedoch  durchaus  nicht  nothwendig,  dass  jene  charakteristischen 
Tüpfel  und  Flecke  sich  wirklich  ausbilden.  Gar  nicht  selten  trägt  die 
nephritische  Neurodictyitis  während  ihrem  ganzen  Verlaufe  blos  die  Symptome 
der  einfachen  diffusen  Netzliautentzündung  zur  Schau.  Haben  sich  die  Pro- 
ducte  zu  Tüpfeln  und  tladenförraigen  Exsudalhaufen  verdichtet,  so  lösen 
sich  dieselben  meistens  theilweise  wieder  auf,  ohne  zu  einem  Walle  zusammen- 
geflossen zu  sein.  Aber  auch  vollständig  ausgebildete  und  ausgedehnte  Fett- 
wälle  können  sich  unter  günstigen  Umständen  zurückbilden,  so  dass  keine 
Spur  oder  doch  nur  eine  zarte  Trübung  übrig  bleibt,  welche  die  Functions- 
tüchtigkeit  der  Netzhaut  wenig  beirrt. 

Verhältnissmässig  am  günstigsten  sclieinfc  die  Progjnose  zu  sein,  wenn  sich  die 
albuminose  Nephritis  im  Gefolge  acuter  Exantheme  (Homer,  HöringJ  oder  im  Ver- 
laufe der  Schwangerschaft  entwickelt  und  nicht  sehr  weit  gediehen  ist,  so  dass  die 
Herstellung  der  normalen  Functionstüchtigkeit  der  Nieren  keine  sonderlichen  Schwie- 
rigkeiten findet.  Es  geht  dann  bisweilen  das  Netzhautleiden  zurück,  während  die 
Albuminurie  noch  lange  fortbesteht  (Secondi). 

Im    Ganzen    sind    Heilungen    kein    gewöhnliches  Vorkommniss ;   in    der 

Regel  bleiben  ausgedehnte   Trübungen  mit  entschiedener  Functions  Störung,  in 

weiterer    Instanz    aber    Atrophie    der    Netzhaut    zurück.      Manchmal    kömmt 

es    auch    zu  Abhebtmgen  der  letzteren  und  dieses  zwar  bisweilen    schon  sehr 

frühzeitig. 

Gar  nicht  selten  zeigen  sich  nach  Aufhellung  der  getrübten  Netzhautpartien 
die  der  exsudativen  Neurodictyitis  eigenthümlichen  Flecke  am  Aderhautgrund.  Sie 
bekunden  eine  streckenweise  Exsudation  des  entzündlichen  Productes  auf  die 
äussere  Oberfläche  der  Netzhaut.  Sie  haben  bald  ganz  die  Eigenschaften  der  disse- 
minirten  Form,  bald  sind  sie  durch  einen  auffallenden  Glanz  und  hellweisse  Farbe, 
so  wie  durch  den  Mangel  von  Pigmentanhäufungen  und  durch  höchst  unregelmässige 
fetzige  Umrisse  ausgezeichnet.  Relativ  häufig  findet  sich  die  aus  kleinen  eckigen 
Plättchen  zusammengesetzte  strahlige  Figur  in  der  Gegend  der  Macula  lutea  (S. 
•206,  Fig.  J). 

Sehr  oft  gelangt  das  Netzhautleiden  gar  nicht  zu  den  Ausgängen, 
indem  der  Kranke  früher  dem  Allgemeinleiden   erliegt. 

Häufig  stellen  sich  im  Verlaufe  des  Bright'schen  Nierenleidens  urämische 
Amaurosen  ein.  Es  sind  dieselben,  wie  schon  der  Name  andeutet,  an  die 
Entwickelung  der  Urämie  gebunden  und  erklären  sich  aus  dem  Einfliisse 
eines  mit  Harnstoffen  geschwängerten  Blutes  auf  die  betreffenden  Gehirn- 
theile.  Sie  treten  daher  auch  immer  in  Gesellschaft  mit  anderen  Symptomen 
der  Urämie  auf,  zumal  während  Anfällen  von  heftigen  Kopfschmerzen, 
Schwindel,  Bewusstlosigkeit ,  Lähmungen,  Convulsionen ,  maniacalischer 
Aufregung  etc.  Zum  weiteren  Unterschiede  von  der  durch  nephritische 
Dictyitis  und  Neuritis  bedingten  Sehstörung  ist  ihre  Entwickelimg  meistens 
eine  sehr  rapide,  sie  gedeihen  nicht  selten  innerhalb  einiger  Stunden,  ja 
Minuten,  bis  zur  completen  Erblindung,  können  umgekehrt  aber  eben  so 
rasch  wieder  zurückgehen. 

Es  ist  hierbei  wohl  zu  merken,  dass  die  Urämie  nicht  nothwendig  zur  Amau- 
rose führt;  dass  die  nephritische  Dictyitis  sehr  oft  völlig  abläuft,  ohne  dass  es  zu 
einer  intercurrenten  urämischen  Amaurose  gekommen  wäre  und  dass  sich  diese  über- 
haupt gerne  erst  in  den  späteren  Stadien  der  Netzhautentzündung  einstellt;  während 
umgekehrt    urämische    Amaurosen    ohne    entzündliche    Affection    der  Retina    selten 


216  Neurodictyitis  nephritica;  Behandlung. 

beobachtet  werden.  Merkwürdia:  ist  jedenfalls,  dass  ein  grosser  Theil  der  mit  nephri- 
tischer Netzhautentzüudung  Behafteten  bald  nach  der  Entwickelung  dieses  Local- 
leidens  an  Urämie  zu  Grunde  geht,  und  dass  zuweilen  kurz  nach  urämischen  Zu- 
fällen Xetzhautentzmidinig  auftritt. 

Die   Behandlung    muss    selbstverständlich    in    erster    Linie   auf  das 

Grundleiden  gerichtet  werden.  Die  Regeln  liiefür  gibt  die  specielle  Therapie. 

Im  Allgemeinen  wird  von  den  Oculisten  der  innerliche  Gebrauch  von  Säuren 
und  in  Bezug  auf  das  Augenleiden  eine  derivatorische  Kur,  insonderheit  die  wieder- 
holte Application  natürlicher  oder  des  Heurtelloupschen  Blutegels  anempfohlen.  Die 
Blutentziehungen  müssen  bei  dem  gewöhnlich  sehr  herabgekommenen  Zustande 
der  Kranken  für  bedenklich  erklärt  werden,  um  so  mehr,  als  sie  kaum  etwas  nützen. 
Dagegen  kann  unter  Umständen  das  Eisen  vielleicht  Yortheil  bringen  (Homer). 
Das  Seeale  cornutum  (WiUehrand)  ist  wirkungslos.  In  mehreren  Fällen,  wo  das 
Nierenleiden  in  sichtlicher  Abnahme  begritfen  war  und  die  Nutritionsverhältnisse 
der  Kranken  nicht  sonderlich  gelitten  hatten,  wurde  die  Schmierkur  in  Verbindung 
mit  dem  Schutzverband  (S.  203)  mit  günstigem  Erfolge  durchgeführt,  indem  die 
Aufhellung  und  Zurückziehung  der  Exsudatfladen  sehr  rasch  vor  sich  ging. 

Quellen:  Heymann,  A.  f.  O.  II.  2,  S.  137,  146.  —  Liebreich,  ibid.  V.  2.  S.  265; 
VI.  2.  S.  318;  Atlas  der  Ophth.  Berlin,  1863.  Taf.  10.  —  Nagel,  A.  f.  O.  VI,  1. 
S.  191,  195,  200,  229,  230.  —  Graefe  und  Schioeigger,  ibid.  VI.  2.  S.  277,  282,  285 ; 
XII.  2.  S.  120.  —  Schiceigger,  ibid.  S.  294,  311;  Vorlesungen  über  den  Gebrauch 
des  Augenspiegels.  Berlin,  1864.  S.  101.  —  Iman,  Nedei-1.  Lancet.  1852.  S.  356.  — 
Rokitansky,  Lehrb.  der  path.  Anat.  Wien,  1861.  III.  S.  325.  —  Virchow,  Monat- 
schrift f.  Geburtskunde  und  dessen  Archiv.  X.  S.  1 70.  —  Traube,  Deutsche  Klinik 
1859.  Nro.  7.  —  Beckviann,  Virchow's  Archiv  XIII.  S.  97.  —  Ä.  Wagner,  ibid.  XII. 
S.  218.  —  Pagenstecher  und  Sämisch,  kl.  Beobachtungen.  Wiesbaden,  1861.  S.  52; 
III.  S.  80.  —  Secondi,  Clinica  oc.  di  Genova.  Riassunto.  Torino,  1865.  S.  58.  — 
Homer,  kL  Monatbl.  1863.  S.  11.  —  Höring,  ibid.  S.  215.  —  Zehender,  ibid.  1866. 
S.  136.  —  Oalezoicski,  ibid.  S.  150.  —  WiUehrand,  A.  f.  O.  IV.  1.  S.  341.  —  F. 
d.  Laan,  Zesde  Jaarlijksch  Verslag.  Utrecht,  1865.  S.  161,  166,  194,  213,  216,  226. 
—  Noyes,  Transact.  amer.  ophth.  soc.  1869.  S.  71.  —  Boiichut,  ibid.  S.  72.  — 
Alexander,  kl.  Monatbl.  1867.  S.  223.  —  Iwanoff,  ibid.  1868.  S.  423.  —  Mooren, 
Ophth.  Beob.  S.  285.  —  Mauthner,  Lehrb.  d.  Ophth scop.  S.  362,  366.  —  Ed. 
Jaeger,  Handatlas,  Fig.  64.   —  H.  Schmidt,  A.  f.  O.  XV.  3.  S.  252,  263,  266. 


Die  Netzhautabhebung,  Hydrops  subretinalis. 

Pathologie.  Unter  Netzhautabhebung,  auch  Ämotio  retinae  genannt, 
versteht  man  eine  Trennung  der  Xervenhaut  von  der  Chorioidea,  bedingt 
durch  Zwischenlagerung  einer  wässerigen,  mit  proteinigen  Stoffen  geschwänger- 
ten Flüssigkeit. 

Die  Abhebung  ist  anfönglich  immer  partiel,  schreitet  aber  gerne  nach 
allen  Richtungen  weiter.  Sie  kann  an  jedem  Punkte  der  N^etzhaut  beginnen, 
wird  jedoch  wegen  Senkung  der  Flüssigkeit  in  nicht  ganz  frischen  Fällen 
nur  selten  anderswo,  als  an  der  unteren  Hälfte  der  Retina  beobachtet. 
Die  Grenze  des  abgehobenen  Xetzhauttheiles  umschreibt  mitunter  eine 
rundliche  oder  mehr  gestreckte  ovale,  gewöhnlich  aber  eine  ganz  unregel- 
mässige Figur  und  ihr  hinterer  Abschnitt  streicht  in  dem  letzteren  Falle 
meistens  in  einer  geraden  oder  leicht  gekrümmten  Linie  horizontal  oder 
schräg  unter  der  Sehnervenpapille  vorbei. 

Der  Zwischenraum  zwischen  der  abgehobenen  Netzhautpartie  und  der 
Chorioidea  ist  oft  nur  ein  sehr  geringer,  oft  aber  ragt  die  betreffende 
Retiualportion    beutelähnlich    weit    in    den    hinteren    Augenraum    hinein.     Der 


Netzhantal)he'bung ;  Pathologin.  217 

Fuss  der  Abhebiinp;  ist  darum  bald  steil,  bald  steigt  er  nur  ganz  sachte 
empor.  Beim  Wachsthum  der  Ablösung  rückt  die  hintere  Grenze  derselben 
an  den  Umfang  des  Sehnerveneintrittes  heran ,  umgreift  diesen  allmälig 
von  beiden  Seiten  und  zuletzt  bleibt  nur  mehr  der  obere  innere  Quadrant 
der  Retina  mit  der  Chorioidea  in  Berührung,  ja  bisweilen  wird  auch  dieser 
abgetrennt  und  die  Netzhaut  faltet  sich  zu  einem  unregelmässigen  Trichter 
zusammen,  dessen  wellig  gebogene  Wände  einerseits  an  der  Ora  serrata, 
andererseits  an    dem  Umfange    des   Sehnerveneintrittes    festhaften  (S.  162). 

Bei  frischen  Abhebungen  kleiner  Netzhautpartien  können  die  letzteren 
für  das  freie  Auge  noch  ziemlich  durchsichtig  ei'scheinen.  Häufiger  aber  ist 
die  abgehobene  Portion  und  deren  nächste  Umgebung  deutlich  florig  getrübt, 
von  milchweisslicher  oder  graugelblicher  Färbung.  Bei  längerem  Bestände 
und  grösserer  Ausdehnung  des  Hydrops  ist  die  Trübung  gewöhnlich  eine 
gesättigtere,   bald  glcichmässige,   bald  wolkige,   fleckige,   streifige. 

Der  abgehobene  Theil  der  Ketina  präsentirt  sich,  falls  er  klein  und 
umschrieben  ist,  als  eine  prall  gefüllte  flache  Blase ;  bei  grösserer  Aus- 
dehnung jedoch  erscheint  er  fast  immer  schlaff  und  faltig,  er  schwankt  bei 
raschen  Bewegungen  des  Augapfels  und  zwar  mit  um  so  grösseren  Excur- 
sionen,  je  grösser  der  Umfang  der  Abhebung  ist  und  je  weiter  er  in  das 
Innere  des  Augapfels  hineinragt.  Es  geht  nämlich  die  Dislocation  der  Re- 
tina auf  Kosten  des  Glaskörpers  vor  sich,  dessen  Oberfläche  häufig  eine 
Strecke  weit  durch  eiweisshältige  Flüssigkeit  von  der  Limitans  retinae  ab- 
gelöst erscheint  (IwanoffJ,  so  dass  der  abgehobene  Retinaltheil  demnach 
beiderseits  von  Flüssigkeit  umspült   wird. 

Bei  sehr  Meinen  Abhebungen  sind  die  Oscillationen  zu  gering  und  von  zu 
kurzer  Dauer,  als  dass  sie  mit  freiem  Auge  wahrgenommen  werden  könnten ,  doch 
bestehen  sie  sicherlich.  Wenn  grössere  abgelöste  Netzhauttheile  nicht  schwanken, 
was  in  sehr  seltenen  Fällen  allerdings  vorkömmt,  so  scheint  der  Grund  darin  zu 
liegen,  dass  ihre  Grenzen  ringsum  fest  mit  der  Aderhaut  verwachsen  sind,  das 
Fluidum  demnach  abgesackt  ist  und  die  bezügliche  Portion  der  Retina  gespannt 
erhält  ( Schweig g er ) ;  gewöhnlich  aber  handelt  es  sich  nicht  sowohl  um  einen  Hydrops 
subretinalis,  sondern  die  Netzhaut  wird  durch  einen  Aderhautturnor,  einen  Cysticer- 
cus etc.,  überhaupt  durch  ein  festes  krankhaftes  Product  aus  ihrer  Lage  gedrängt. 
Meistens  schimmert  dies  dann  auch  mit  der  ihm  eigenthümlichen  Farbe  durch  das 
trübe  Gefüge  der  darüber  gespannten  Netzhaut  durch.  Kömmt  es  aber  unter  solchen 
Umständen  zu  Ergüssen  wässeriger  Flüssigkeit,  welche  die  Retina  von  der  Ober- 
fläche der  Geschwulst  trennen,  so  macht  sich  das  Schlottern  ebenfalls  bemerklich. 

Die  subretincde  Flüssigkeit  ist  in  frischen  Fällen  serumähnlich,  wasserhell, 

farblos,  leicht  gelblich  oder  röthlich    iind  enthält,  wie  Analysen    derselben 

unmittelbar     nach     der     operativen    Abzapfung     ergaben     (Bowman) ,    viel 

Eiioeiss,  welches    bisweilen    schon    während    des  Lebens    gerinnt  (Liebreich) 

und  sich  als    dichtere  Flocken    oder    streifige  Massen    den  Wandungen  des 

Hohlraumes  anhängt.  Bei  veralteten  und  namentlich  bei  totalen  Abhebungen 

wechselt  es  häufig   seine    chemisch-physikalischen  Eigenschaften,  indem  die 

proteinigen  Stoffe  gewisse  Wandlungen  eingehen  und  von  den  umgebenden 

Membranen  mancherlei  geformte  Elemente  beigemischt  erhalten. 

Die  den  Hydrops  subretinalis  bildende  Flüssigkeit  enthält  dann  als  vornehm- 
lichste  Bestandtheile  neben  Wasser:  wechselnde,  meistens  aber  grosse  Mengen 
eines  fibrinähnlichen  Stoffes,  welcher  sich  sowohl  an  der  Luft  als  durch  Kochen  in 
Form  von  Gerinnungen  ausscheidet;  choloide  Massen  (BudnewJ;  gelöstes  Hämatin, 
welches  dem  Fluidum  eine  gelblich  röthliche  oder,  bei  bereits  erfolgter  chemischer 
Umwandlung,  braune  Farbe  gibt;  frische  und  alte,  in  verschiedenen  Stadien  der 
Umwandlung   begriffene,    theils  discrete    theils  klumpig    zusammengebackene  Blut- 


218  Netzhautabheljung ;  Pathologie;  HaenioiThagisi-he  Abhebung. 

körperchen,  mitunter  in  solcher  Menge,  dass  die  Flüssigkeit  mehr  verdünntem  Blute 
gleicht;  gelöste  Salze,  welche  sich  öfters  herausfällen  und  an  der  Oberfläche  der 
chorioidalen  Grenzhaut  förmliche  Beschläge  bilden;  Pigmentkörner  von  verschiede- 
ner Farbe,  theils  frei,  theils  in  Klumpen,  theils  in  Zellen  von  bedeutender  Grösse 
eingelagert,  welche  wahrscheinlich  neugebildet  sind,  möglicher  Weise  aber  auch 
metamorphosirte  Reste  des  Tapetes  vorstellen;  neugehildete  pigmentlose  Zellen  und 
Kerne  nebst  Körnchenzellen;  Fett  in  Tröpfchen,  grossen  Tropfen  oder  in  Krystallen, 
bisweilen  so  reichlich,  dass  dasselbe  schon  dem  freien  Auge  in  Gestalt  von  grossen 
Kugeln  bemerkbar  wird  oder  dass  die  ganze  subretinale  Masse  in  einen  breiigen 
Klumjien  glitzernder  Cholestearinkrystalle  umgewandelt  scheint. 

Die  Trübung  der  abgehobenen  j^etzhanttheile  kann  sicherlich  nur  auf 
Veränderungen  des  retinalen  Gefüges  beruhen,  wenn  gleich  etwaige  Färbungen 
der  unterlagei'nden  Flüssigkeit  einen  modificir enden  Einfluss  üben  müssen. 
Massgebend  kann  dies  letztere  nicht  sein,  da,  abgesehen  von  den  häufig 
sehr  deutlichen  Zeichnungen  der  vorgebauchten  Partien,  die  gesättigtesten 
Stellen  nicht  den  Falteniirsten ,  sondern  den  Wellenthälem  entsprechen. 
Sitzt  aber  die  Trübung  in  der  Netzhaut  selbst,  so  liegt  wohl  nichts  so 
nahe,  als  deren  Zurückführung  auf  einen  entzündlichen  Process,  um  so  mehr, 
als  die  bisherigen  anatomischen  Untersuchungen,  allerdings  nur  veralteter 
Fälle,  stets  die  charakteristischen  Erscheinungen  der  Wucherung  oder  des 
davon  abhängigen  trüben  Schwundes  (siehe  diesen)  in  meistens  eminentem 
Grade  erkennen  Hessen. 

Berücksichtigt  man,  dass  die  Trübung  fast  constant  schon  im  ersten 
Beginne  der  Abhebung  deutlich  nachweisbar  ist,  mit  dieser  also  mindestens 
gleichzeitig  auftritt,  wenn  nicht  gar  vorausgeht:  so  gelangt  man  nothwendig 
zu  dem  Schlüsse ,  dass  der  Hydrops  subretinalis  zur  Dictyitis  in  einem 
gewissen  Abhängigkeitsverhältnisse  stehe  oder  geradezu  ein  Product  der  Ent- 
zündung abgebe. 

Die  Netzhautabhebung  kömmt  nach  neueren  Untersuchungen  bisweilen  mit 
dem  circumscripten  Oedeme  der  Netzhaut  (S.  190)  combinirt  vor  und  wird  von  dem- 
selben ausnahmsweise  wohl  auch  vorgetäuscht.  Es  tritt  dieses  Oedem  nämlich  mit- 
unter in  Gestalt  mächtiger  Cysten  auf,  welche  von  den  äusseren  Schichten  der 
Netzhaut  ausgehend  diese  Membran  blasenartig  in  den  läuteren  Augenraum  hervor- 
bauchen und  ophthalmoskopisch,  ja  selbst  am  anatomischen  Präparate,  ganz  den 
Eindruck  eines  umschriebenen  Hydrops  subretinalis  machen  können  (Iwanoff). 

Eine  Zeit  lang  hat  man  Blutergüsse  zwischen  Retina  und  Aderhaut  für  die 
eigentliche  Ursache  der  Amotio  retinae  gehalten  und  diese  Meinung  gegen  bessere 
Einsicht  mit  Hartnäckigkeit  vertheidigt  (Graefe).  Dermalen  ist  man  hiervon  ganz 
abgekommen,  da  sowohl  das  Krankheitsbild,  als  der  klare  Augenschein  bei  der 
operativen  Durchtrennung  der  vorgebauchten  Netzhautpartie  und  bei  der  Abza- 
pfung des  Hydrops  das  Irrthttmliche  jener  Behauptung  zwingend  dargethan  haben. 
Doch  soll  damit  nicht  geläugnet  werden ,  dass  mitunter  massenhafte  subretinale 
Blutergüsse  vorkommen,  welche  die  Netzhaut  heutelförmig  abheben,  oder  gar 
ringsum  (Stavenhagen)  von  der  Aderhaut  loslösen.  Man  findet  solche  haemoj-rhagische 
Ahhehungen  namentlich  nach  Verletzungen  des  Auges  und  tlieilweiser  Entleerung 
der  Binnenmedien,    ausnahmsweise  auch   bei  progressivem  Staphyloma  posticum. 

Krankheitsbild,  a)  Die  abgehobene  Netzhautpartie  kann,  besonders 
bei  künstlich  erweiterter  Pupille,  oft  schon  mit  freiem  Auge  ohne  Zuhilfe- 
nahme des  Ophthalmoskopes  deutlich  und  mit  allen  Details  wahrgenommen 
werden.  Es  ist  dieses  namentlich  dann  der  Fall,  wenn  dieselbe  durch  Ent- 
zündung stark  getrübt  und  innerhalb  der  Brennweite  des  dioptrischen 
Apparates  weit  nach  vorne  gerückt  worden  ist.  Hat  sie  sich  im  Gegen- 
theile  nur  loenig  von  der  Aderhaut  entfernt,  oder  ist  sie  in  höherem  Grade 
durchsichtig  geblieben,    so  zeigt  sich  der  Augengrund    auch  bei  erweiterter 


KranklK'itsliild  ;  oiilitliiilmoskopisclie  Erscheinungen.  219 

Pupille  blos  leicht  getrübt.  Netzhautabliebungen  begünstigen  sehr  das 
Leuchten   des  Auges. 

h)  Beleuchtet  man  den  Augengrund  aus  einiger  Entfernung  mit  dem 
Spiegel,  so  gewahrt  man,  dass  an  einer  Stelle,  gewöhnlich  nach  unten,  der 
gelbrothe  Schein  sich  plötzlich  in  einen  solchen  von  grauer  oder  grünlicher 
Farbe  mit  dunkleren  Schattirungen  verwandelt  (Fig.  N).  Darauf  sieht  man 
häufig  ein  oder  das  andere  Gefäss.  Der  Uebergang  ist  entweder  ein  un- 
mittelbarer oder  durch  eine  dunkle  Schattenlinie  markirter.  Bei  genauerem 
Einblicke  kömmt  dann  der  abgehobene  Theil  der  Netzhaut  bisweilen  als 
eine  pralle  glatte  Blase  zur  Anschauung.  In  der  Regel  stellt  er  sich  als 
eine  schlaffe  faltige  Fläche  dar,  welche  sich  über  die  Umgehung  erhebt  und 
bei  jeder  Bewegung  des  Auges  erzittert  oder  in  grossen  Excursionen  schwankt, 
gleichsam  aufwallt.  Höhergradig  entwickelte  Abhebungen  bilden  meistens 
einen  oder  mehrere  Hügel,  welche  an  der  Basis  zusammenstossen  und  zwischen 
deren  Gipfeln  Zungen  des  normalen  Augengrundes  hineinragen  (Fig.  0). 
Ist  der  abgehobene  Netzhauttheil  noch  sehr  durchsichtig  und  steht  er  nur 
wenig  von  der  Aderhaut  ab,  so  entzieht  er  sich  wohl  auch  dem  Blicke, 
nur  die  Umbiegungen  und  Schwankungen  der  in  seinen  Bereich  fallenden 
Gefässe  sind  sehr  auffällig,  im  Uebrigen  erscheint  der  Augengrund  wenig 
verändert,  höchstens  etwas  matter  oder  zart  florig  überhaucht.  Hier  und 
da  jedoch  bemerkt  man  öfters  feine  Falten  als  zarte  hellere  oder  weissliche 
bewegliche  Streifen,  die  nach  einer  Seite  hin  verwaschen,  nach  der  anderen 
scharf  begrenzt  und  mitunter  auch  dunkel  gesäumt  sind.  Eagt  eine  solche 
diaphane  Blase  tiefer  in  den  Glaskörperraum  hinein,  so  wird  das  gleich- 
massige  Roth  der  Aderhaut  und  allenfalls  auch  das  Netz  der  Wirbelgefässe 
nur  bei  senkrechtem  Auffallen  des  Spiegellichtes  und  daheriger  starker  Er- 
leuchtung des  subretinalen  Fluidums  wahrgenommen ;  sonst  bleibt  die  Sack- 
höhle dunkel  und  die  abgehobene  Netzhautpartie  zeigt  sich  zwischen  den 
heller  gefärbten  Falten  blaugrau  schattirt  oder  ins  schmutzig  Grüne  spielend. 
Oft  ist  indessen  die  Trübung  eine  viel  dichtere,  der  Sack  tritt  im  Augen- 
spiegelbilde deutlich  hervor,  erscheint  schmutzig  gelblichweiss  mit  schiefer- 
farbigen  Schattenstellen  oder  ganz  opak,  fahl  graugelb,  mit  helleren  und 
dunkleren  Partien. 

Häufig  erstreckt  sich  die  Trübung  über  die  Grenzen  des  Hydrops  hinaus 
und  verwäscht  sich  ganz  allmälig  in  dem  sonst  normalen  Augengrunde,  oder 
überzieht  diesen  mit  wechselnder  Dichtigkeit  in  seiner  ganzen  Ausdehnung. 
Bei  unterwärts  gelagerter  Abhebung  findet  man  oft  ein  grösseres  oder  kleineres 
Stück  einer  seitlichen  oder  der  oberen  Netzhauthälfte  diffus  getrübt  und  es  ist 
dann  wahrscheinlich,  dass  die  Abhebung  ursprünghch  hier  entwickelt  wurde, 
das  Fluidum  sich  aber  später  nach  abwärts  gesenkt  habe.  Nicht  selten 
fällt  auch  der  Sehnerveneintritt  in  den  Bereich  der  Trübung  und  bietet 
dann  die  Zeichen  der  diffusen  Entzündung  dar ,  während  er  sonst  ausser 
einiger  Röthung  keine  Veränderung  oder,  in  veralteten  Fällen,  die  Zeichen 
der  Atrophie  zur  Schau  trägt.  Oefters  machen  sich  wohl  auch  in  der 
gesammten  Netzhaut,  einschliesslich  der  Papille,  die  Charaktere  der  diffusen 
Neuro dictyitis  geltend. 

Bei  partiellen  Abhebungen  fällt  oft  schon  auf  den  ersten  Blick  die 
hintere  Grenze  derselben  als  eine  dunkle,  fast  schwai'ze,  nach  einer  Seite  hin 
verwaschene ,  unregelmässige  Linie  auf  und  macht  den  Contrast  zwischen 
der  abgelösten    Portion    der  Netzhaut   und    den    nachbarlichen  Theilen  des 


220  Netzhantabhebnng ;  Krankheitsbild;  ophthalmoskopische  Erscheinungen. 

Augengrundes  noch  deutlicher  hervortreten.  Es  ist  diese  Linie  besonders 
scharf  und  dunkel  bei  steil  aufsteigendem  oder  gar  überhängendem  Fusse  der 
Abhebung  und  kann  bei  grosser  Beweglichkeit  des  Sackes  je  nach  der 
jeweiligen  Lagerung  der  betreffenden  Waudtheile  in  ihrer  Länge,  Richtung 
und  Dunkelheit  wechseln,  ja  zeitweise  ganz  verschwinden.  Sie  ist  nämlich 
der  Schatten,  welchen  die  von  dem  gradelinig  sich  fortpflanzenden  Spiegel- 
lichte nicht  getroffenen  Fusstheile  der  Abhebung  werfen.  Wo  diese  Fuss- 
theile  sehr  sanft  aufsteigen,  fehlt  die  dunkle  Grenzlinie  und  wird  nur 
durch  das  Umbiegen  der  Gefässe  und  etwaiger  Zeichnungen  in  dem 
getrübten  jS'etzhautgefüge  angedeutet. 

Durch  das  Ueberhängen,  so  wie  durch  die  Bewegungen  des  Sackes 
wird  übrigens  nicht  selten  die  Papille  und  der  gelbe  Fleck  dauernd  oder 
vorübergehend  gedeckt.  Falls  diese  Deckung  der  Papille  eine  blos  theil- 
weise  ist,  wechselt  der  Sehnerveneintritt  bei  dem  Hin-  und  Herwogen  der 
abgehobenen  jSTetzhautportion  beständig  seine  Gestalt,  erscheint  bald  in 
seiner  natürlichen  Kreisform,  bald  nach  einer  Seite  hin  geigenförmig  ein- 
gebuchtet  und  dieses  Spielen  macht  bisweilen  täuschend  den  Eindruck,  als 
wäre  er  selbst  in  Bewegung,  als  verlängere  er  sich  bald,  bald  aber  zöge 
er  sich  zusammen. 

Bei  totalen  Abhebungen  fallen  alle  diese  Einzelnheiten  weg,  der  ganze 
verfärbte  Augengrund  schwankt  hin  und  her  und  die  Papille  ist  gewöhnlich, 
wenn  überhaupt,  nur  zeitweise  auf  Augenblicke  an  der  eigeuthümlichen 
Anordnung  der  centralen  Gefässstücke  zu  erkennen. 

Die  Gefässe  der  Netzhaut  zeichnen  sich  scharf  ab  auf  der  schwankenden 
Fläche.  Sie  erscheinen  gewöhnlich  viel  dunkler  als  in  der  Xorra,  strecken- 
weise selbst  schwarz  und  dies  zwar  besonders,  wenn  Theile  derselben  fixirt 
werden,  welche  über  dunkle  Stellen  der  abgehobeneil  Netzhautportion 
hinweg  streichen.  Im  Bereiche  dicht  getrübter  opaker  Flecke,  oder  wenn 
bei  grosser  Durchscheinbarkeit  der  abgehobenen  Netzhautpartie  das  Spiegel- 
licht senkrecht  auffallt  und  so  der  hintergelegene  Kaum  hell  erleuchtet 
wird,  reflectiren  sie  eine  hell  blutrothe  Farbe  und  bekunden  somit  einen 
gewissen  Grad  von  Integrität  (Liebreich).  "Wo  die  dioptrischen  Medien 
klar  geblieben  sind,  erscheinen  sie  in  scharfen  und  deutlichen  Bildern, 
seltener  von  Trübungen  der  innersten  Netzhautschichten  überflort  oder 
unterbrochen.  Bei  vorgeschrittener  Atrophie  des  abgehobenen  Theiles  sind 
sie  theilweise  wohl  auch  unsichtbar,  oder  zeigen  sich  in  Gestalt  dicker  weisser 
oder  schwarzer  körniger  Stränge  mit  baumartigen  Verzweigungen.  Sie  folgen 
natürlich  den  sie  bergenden  Netzhaut  abschnitten.  Man  sieht  sie  darum 
im  Bereiche  der  Abhebung  häufig  vielfach  gekrümmt,  indem  sie,  einen 
Hügel  hinauflaufend,  im  Bogen  nach  vorne  treten,  dann  sich  wieder  in 
einer  Furche  nach  liinten  senken,  darin  verschwinden,  an  einer  anderen 
Stelle  hervordringen,  abermals  nach  vorne  ausbiegen  etc.  Bei  Bewegungen 
des  Auges  tanzen  sie  förmlich  in  dem  Grunde  des  Bulbus  herum. 

Sind  in  der  abgehobenen  Netzhautpartie  etwa  Pigmenthaufen,  Extravasate, 
Cholestearinkrystallnester  etc.  eingesprengt,  so  gibt  dieses  ein  höchst  eigeuthümliches 
überraschendes  Bild.  Es  ist  ein  Auf-  und  Durcheinanderwirbeln  der  verschieden- 
sten Objecte,  gleich  wie  in  einem  bewegten  Kaleidoskop.  Wird  der  Bulbus  aber 
fixirt,  so  vermindern  sich  die  Excursionen  und  die  einzelnen  Oltjecte  treten  wieder 
in  ihr  früheres  relatives  Lagerungsverhältniss  zu  einander.  Dadurch  unterscheiden 
sich  eben  auf  der  Netzhaut  haftende  derartige  krankhafte  Producte  von  ähnlichen, 
frei  im  verflüssigten   Glaskörper  suspendirten  Massen.  Auch  diese  können  aufwirbeln, 


Olaskörpertrübungen;  Selistörungon.  221 

sinken   zuletzt  aher  immer  zu  Boden,    oline  ein    hestimmtes  gegenseitiges  Lagerungs- 
verliältniss  zu  Ixjhauptcu. 

Es  setzen  alle  diese  Erscheinungen  natürlich  die  Durchsichtigkeit  der 
dioptrischen  Medien  voraus.  Diese  Bedingung  ist  aber  nicht  häufig  erfüllt. 
Vielmehr  sind  Glashorpertrühungen  sehr  gewöhnliche  Begleiter  des  Hydrops 
subrctinalis,  ja  gehen  ihm  häufig  schon  voraus  und  sollen  im  letzteren 
Falle  durch  ihr  plötzliches  Auftreten,  durch  ihre  scharfe  Umgrenzung  und 
das  Schwanken  unschwer  als  Vorboten  der  Netzhautabhebung  zu  erkennen 
sein  (Graefb).  Sie  sind  bisweilen  partiel  und  lagern  wie  ein  zartes  Wölkchen 
über  der  abgehobenen  Netzhautportion.  Oefter  jedoch  sind  sie  über  einen 
grossen  Theil  oder  den  gesammten  Augengruud  ausgebreitet.  Sie  pflegen 
gleichfalls  zu  erzittern  oder  förmlich  zu  wogen,  wenn  sich  das  Auge 
bewegt ,  sind  übrigens  nicht  sehr  stetig,  sintemalen  sie  sich  bald  ver- 
dichten und  ausdehnen,  bald  wieder  zusammenziehen  und  lichten,  oder 
zeitweilig  ganz  verschwinden.  Vor  wie  während  etwaigen  Nachschüben  des 
entzündlichen  Grundprocesses  pflegen  sie  an  Umfang  und  Dichtigkeit  zuzu- 
nehmen und  geben  insofern  ein  nicht  zu  vernachlässigendes  prognostisches 
Zeichen  ab. 

Häufig  wird  der  Einblick  iu  das  Auge  auch  durch  Staare  beirrt,  namentlich 
durch  polare  und  capstdare,  seltener  durch  einfaclie  Linsencataracten.  Die  polare 
Form  kömmt  grösstentheils  auf  Rechnung  der  zur  Abhebung  disjyonir enden  Zia- 
stände;  der  Kapselsfaar  resultirt  gewöhulich  aus  der  in  späteren  Perioden  gerne 
hinzutretenden  Iridochorioiditis.  Der  Linsenstaar  ist  meistens  wohl  Folge  der  im 
Augapfelschwunde  sich  äussernden  tiefen  Ernährungsstörungen. 

c)  Die  subjective  Seite  des  Krankheitshildes  ist  nicht  minder  ausgezeichnet, 
vorausgesetzt,  dass  die  Netzhaut  nicht  durch  ausgebreitete  in-  und  extensive 
Entzündungen  oder  Atrophie  bereits  ihre  Functionstüchtigkeit  eingebüsst 
hat.  Die  Abhebung  markirt  sich  dann  im  Gesichtsfelde  als  ein  heller  aber 
leerer,  öfters  als  ein  dunkler  und,  bei  V^orhandensein  von  Blutextravasaten, 
wohl  auch  als  ein  rother  oder  bräunlicher  Fleck,  welcher  bei  Betrachtung 
des  Himmelsgewölbes  oder  einer  hellen  fernen  Wand  das  Ansehen  einer 
Wolke  mit  unregelmässigen  Umrissen  gewinnt.  Selten  functionirt  der  abge- 
hobene Theil  der  Netzhaut  noch  so  weit,  dass  in  seinen  Bereich  fallende 
Gegenstände  in  gröberen  Zügen  erkannt  werden  (Pagenstechtr).  Diese 
Unterbrechung  des  Gesichtsfeldes  entspricht  ihrer  Lage  nach  stets  der  abge- 
lösten Ketinalportion.  Sie  sitzt  darum  in  frischen  Fällen  gewöhnlich,  bei 
längerem  Bestände  des  Leidens  aber  so  constant  in  der  oberen  Hälfte  des 
Gesichtsfeldes,  dass  man  aus  dieser  Localisation  allein  mit  einiger  Wahr- 
scheinliclikeit  auf  das  Vorhandensein  einer  Netzhautabhebung  rückschliessen 
kann  (Graefe).  Der  Umfang  der  Unterbrechung  hingegen  ist  häufig  grösser, 
als  der  Grundfläche  des  mit  Flüssigkeit  gefüllten  Eaumes  zukömmt,  was 
sich  daraus  erklärt,  dass  die  materiellen  Veränderungen  des  Netzhautgefüges 
über  die  Grenzen  des  Hydrops  hinausreichen. 

Die  Deutliclikeit  der  Wahrnehmungen  in  den  übrigen  Theilen  der  Netzhaut 
kann  dabei  noch  ziemlich  mit  der  Norm  übereinstimmen  und,  falls  die 
Gegend  der  Macula  lutea  noch  ausser  dem  Bereiche  der  Abhebung  ist,  selbst 
ein  gewisser  Grad  von  Scharf  sehen  erübrigen.  In  der  Regel  jedoch ,  und 
bei  längerem  Bestände  der  Abhebung  fast  immer,  ist  die  Sehschärfe  bedeutend 
gesunken  und,  da  die  Abhebung  sehr  gewöhnlich  bis  zum  horizontalen 
Meridian   heran    oder   darüber    hinausreicht,    ist    auch    die    Fixation    eine 


222  Netzhautabhebung;  Kranklieitsbild ;  Ursachen. 

excentrische.  In  vielen  Fällen  ist  die  Function  sogar  bis  auf  quantitative 
Lichtempfindung  reducirt,  oder  es  fehlt  auch,  diese.  Der  Grad  der  Ab- 
hebung und  die  Ausdehnung  ihrer  Grenzen  ist  hierbei  jedoch  keineswegs 
massgebend.  Man  hat  bei  totaler  Abhebung  noch  einen  gewissen  Grad 
von  Lichtempfindung  beobachtet.  Merkwürdiger  Weise  werden  die  Ein- 
drücke dann  oft  annähernd  in  der  Richtung  der  Sehaxe  nach  aussen 
projicirt   (Graefe). 

Wo  die  Netzhaut  theilweise  noch  einen  höheren  Grad  von  Functions- 
tüchtigkeit  bewahrt  hat,  klagen  die  Kranken  sehr  häufig  über  Krumm-  und 
Farbigsehen.  Die  Objecto  erscheinen  ihnen  in  der  ganzen  Ausdehnung  des 
Gesichtsfeldes  oder  blos  an  den  Grenzen  der  Unterbrechung  farbig  gesäumt, 
gebogen,  geknickt,  verzerrt,  theilweise  gedeckt ;  öfters  verschwinden  sie 
theilweise,  tauchen  wieder  auf  und  winden  sich  in  Schlangen-  oder  Zickzack- 
linien, wenn  das  Auge  sich  bewegt. 

Es  bekunden  sich  damit  Stellungsver'dnderungen  eines  Theiles  jener  Retina- 
elemente ,  welche  die  Aufnahme  und  Localisation  der  Lichteindrücke  vermitteln ; 
daher  denn  auch  bei  eingetretener  Ruhe  des  Augapfels  sich  oft  eine  sehr  nahe 
Uebereinstimmung  der  scheinbaren  Objectkrümmungen  mit  dem  Orte  und  der  Rich- 
tung der  Abhebung  nachweisen  lässt  fClassenJ. 

Die  Farhensäume  und  die  Schicankungen  der  Objectbilder  sind  für  die  von 
Netzhautabhebung  herrührende  Form  der  Metamorphopsie  charakteristisch  (Knapp). 

Nebenbei  offenbart  sich  sehr  häufig  vom  ersten  Beginne  des  Leidens 
an  ein  gewisser  Erregungszustand  des  lichtempfindenden  Apparates,  der  Kranke 
wird  im  hohen  Grade  belästigt  durch  die  subjective  Erscheinung  farbiger 
oder  weisser  Kugeln,  Tropfen,  flimmernder  Sterne,  feuriger  Eäder,  auf- 
schiessender  Raketen  u.  s.  w.,  welche  oft  das  Gesichtsfeld  umkreisen  und 
besonders  stai'k  nach  heftigen  Bewegungen,  bei  Aufregungen  des  Kreislauf- 
systems  etc.   hervortreten. 

Ursachen.  Die  Abhebung  der  Netzhaut  ist  gleich  jener  des  Corpus 
vitreum,  mit  welcher  sie  in  naher  pathogenetischer  Beziehung  steht,  ent- 
weder eine  secundäre  und  dann  auf  Schrumpfimg  des  mit  der  Netzhaut 
vorläufig  verwachsenen,  sehnig  entartenden  (?^asÄ-örpe?'s  zurückzuführen  (S.  162) ; 
oder  sie  resultirt  aus  dem  Drucke  eines  flüssigen  Entzündungspjroductes,  welches 
zwischen  Netzhaut  und  Aderhaut  ergossen  worden  ist,  und  kann  dann 
gewissermassen  als  eine  primäre  bezeichnet  werden.  Von  der  letzteren  allein 
ist  hier  die  Rede,  da  die  erstere  nicht  wohl  Gegenstand  der  klinischen 
Behandlung  ist  und  ihre  Erörterung  bereits  gefunden  hat. 

Die  primäre  Netzhautabhebung  wird  ohne  Zweifel  im  hohen  Grade 
begünstigt  durch  Ectasien  der  Bulbuskapsel  und  durch  Verminderung  der 
Binnenmedien.  Dieselbe  findet  sich  nämlich  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  an 
Augen,  welche  mit  Staphyloma  posticum,  besonders  mit  rasch  progressivem, 
behaftet  sind  und  scheint  hier  durch  die  gewöhnlich  bestehende  Glas- 
körperabhebung vorbereitet  zu  werden.  Auch  wird  sie  oft  beobachtet  nach 
zufälligen  und  operativen,  so  wie  nach  geschwürigen  Durchbrüchen  der 
Bulbuskapsel,  wenn  dieselben  mit  grösseren  Glaskörperverlusten  verknüpft 
waren.  Es  ist  hier  jedoch  nicht,  wie  bei  den  Glaskörperablösungen,  blos 
eine  vermehrte  seröse  Transsudation  als  der  Grund  der  Abhebung  anzu- 
nehmen, da  der  Amotio  retinae  in  solchen  Fällen  stets  eine  sehr  merkliche 
Trübung  des  Glaskörpers  und  auch  wohl  des  Netzhautgefüges  vorausgeht, 
welche  ganz  unzweifelhaft  entzündlichen    Ursprunges  ist. 


Vi'ilauf;  Ausgänge.  223 

♦ 

Es  scheint,  dass  dieser  Umst.'nid  zu  dem  Glaul)en  verleitet  hat,  jedwede  Netz- 
hautabiiebmig  ohne  Unterschied  sei  ans  dem  Z»<^e  des  entzündlicli  verdiciiteten 
und  schrumpfenden  Glaskörpers  abzuleiten.  Es  roide7-sp7-icht  dieser  Ansicht  jedoch 
mit  aller  Bestimmtheit  die  durch  Senkung;  vermittelte  Ortsveränderiing  und  die  Heil- 
barkeit des  primären  Hydrops  subretinalis. 

Uebi'igens  wird  die  Netzhautabhebung  nicht  gai-  selten  auch  in  völlig 
normal  gebauten  und  vorläufig  sclveinbar  völlig  gesund  gewesenen  Bulbis 
beobachtet.  Sie  stellt  auch  einen  nicht  ganz  ungewöhnliclien  Folgozustand 
der  verschiedensten  und  namentlich  der  productiveren  Formen  der  Neurodic- 
tyitis  dar. 

Ausnahmsweise  sind  Abscesse  (Graefe,  Berlin)  oder  Tumoren  (Hirschberg) 
der  Augenhöhle  Veranlassung  des  zur  JTetzhautabhebung  führenden  entzünd- 
lichen Processes  gewesen.  Oefter  jedoch  entwickelt  sich  der  Hydrops 
subretinalis  unter  dem  Einflüsse   chorioidaler  Aftergebilde. 

Wenn  unter  solchen  Verhältnissen  zwischen  Tumor  und  Netzhaut  eine  grössere 
Menge  von  Flüssigkeit  ergossen  wurde,  macht  die  Abhebung  gewöhnlich  den  Ein- 
druck einer  einfachen,  auf  reiner  Entzündung  beruhenden  und  die  richtige  Diagnose 
ist  sehr  erschwert.  Doch  findet  man  öfters  Anhaltspunkte  an  der,  trotz  längerem 
Bestände  innerer  Entzündungen  und  sehr  ausgedehnter  Abhebung,  fortdauernden 
und  stark  ausgesprochenen  Vermehrung  des  Binnendruckes  mit  Abflachung  der  vor- 
deren Kammer:  an  dem  Abgrancre  der  sonstigfen  ursächlichen  Bedingfungen  zur  Amotio 
retinae  (Graf^fe);  an  der  öfters  überaus  raschen  Ausbreitung  des  Uel>els  über  den 
ganzen  Umfang  der  Netzhaut  (Alf.  Graefe)-  an  der  ungewöhnlichen  Lage  des 
Sackes  und  an  der  etwaigen  starken  Ausdehnung  der  episcleralen  Gefässe  in  seiner 
Nachbarschaft. 

Verlauf  und  Ausgänge.  Der  Hydrops  subretinalis  entwickelt  sich 
öfters  ganz  allmälig  unter  sehr  unscheinbaren  Symptomen,  so  dass  er  bei 
minder  intelligenten  Kranken  längere  Zeit  völlig  unbeachtet  bleibt.  Gewöhn- 
lich fällt  die  von  Glaskörpei'trübungen  herrührende  zarte  Ueberschleierung 
und  Undeutlichkeit,  oder  das  Krumm-  und  Farbigsehen  excentrisch  gelagerter 
Gegenstände  zuerst  auf,  die  Unterbrechung  des  Gesichtsfeldes  aber  stellt 
sich  erst  bei  eingehender  Untersucliung  heraus,  während  die  Abhebung 
selbst  noch  kaum  angedeutet  ist  und  nur  bei  sorgfältiger  Handhabung  des 
Augenspiegels  erkannt  wird.  Es  vergehen  dann  oft  Wochen,  bis  das 
Leiden  in  objectiver  und  subjectiver  Richtung  scharf  ausgeprägt  erscheint. 
Andererseits  kömmt  es  mitunter  auch  sehr  rasch  zu  massenhaften  subretinalen 
Ausschwitzungen,  namentlich  wenn  Traumen  mit  Glaskörperverlust  oder 
das  plötzliche  Wachsthum  eines  Staphyloma  posticum  die  nächste  Ver- 
anlassung waren. 

Wurde  nicht  gleich  ursprünglich  ein  Theil  der  unteren  ISTetzhauthälfte 
abgelöst,  so  ändert  der  Hydrops  im  Laufe  von  Wochen  oder  Monaten 
meistens  seinen  Ort,  die  Flüssigkeit  senkt  sich  theilweise  nach  abwärts,  eine 
secundäre  Abhebung  begi'ündend,  während  der  Rest  der  Aufsaugung  anheim- 
fällt. Der  früher  abgehobene  Theil  der  Retina  legt  sich  dann  wieder  an 
die  Aderhaut  an.  Er  kann  sein  normales  Aussehen  und  auch  seine  volle 
Eunctionstüchtigkeit  wieder  gewinnen.  Oft  aber  bleibt  er  im  wechselnden 
Grade  trüb  und  liefert  nur  mehr  undeutliche  Bilder,  ja  öfters  besteht  sogar 
die  Unterbrechung  des  Gesichtsfeldes  fort,  lässt  dann  jedoch  meistens  eine 
sehr  beträchtliche  Flächenverminderung  nachweisen.  War  die  primäre  Ab- 
hebung dem  gelben  Flecke  sehr  nahe  gestanden  oder  dieser  blos  durch  Ueber- 
hängen  des  Sackes  gedeckt  worden,  ohne  selbst  mitzuleiden,  so  kann  aus 
der  Senkung  der  Flüssigkeit  und   der  Functionsherstellung  des  sich  wieder 


224  Netzliautabhebung ;  Verlauf;  Ausgänge. 

anlegenden  Netzhauttheiles  eine  sehr  ivesentliche  Besserung  des  Sehvermögens 
resultiren.  Indem  nämlich  der  Hydrops  die  tiefste  Stelle  aufsucht,  diese 
aber  dem  Aequator  bulbi  und  beziehungsweise  einem  sehr  excentrischen 
Abschnitte  der  Retina  entspricht,  fällt  die  secundär  zu  Stande  gekommene 
Unterbrechung  in  einen  der  Mitte  des  Sehfeldes  fernen  Theil  der  oberen 
Sehfeldhälfte  und  wird  leicht  übersehen,  um  so  mehr,  als  sie  an  Umfang 
der  primären  nicht  gleichkömmt. 

Die  Senkung  ist  übrigens,  ganz  abgesehen  von  ursprünglich  nach  unten 
erfolgten  Ausschwitzungen,  Icein  notliwendiges  Ereigniss.  Vielmehr  können 
Netzhautabhebungen  an  jedwedem  Orte  durch  Resorption  verschwinden,  sie 
mögen  primär  oder  durch  Senkungsprocesse  dahin  gelangt  sein.  Dieses  ist 
der  Weg,  auf  welchem  eine  dauernde  und  xvahre  Heilung  angebahnt  wird. 
Leider  betritt  ihn  der  subretinale  Hydrops  selbst  bei  zweckmässigster 
Behandlung  nicht  immer  oder  verfolgt  ihn  nicht  bis  zum  Ziele.  Es  wieder- 
holen sich  liierbei  die  oben  angedeuteten  Verhältnisse.  Oefters  legt  sich 
der  abgehobene  Theil  wohl  wieder  an,  sein  Gerüste  hellt  sich  aber  nicht 
vollständig  auf,  oder  es  stellt  sich  die  Eunctionstüchtigkeit  nicht  wieder 
her,  indem  die  nervösen  Elemente  durch  den  Grundprocess  hart  mitgenommen 
worden  sind. 

Mitunter  geschieht  es  wohl  auch,  dass  die  Flüssigkeit  Gerinnsel  zurücklässt, 
welche  die  Retina  mit  der  Chorioidea  fest  verkleljen  und  als  wolkig  verschwommene 
trübe  Streifen  und  Blätter  neben  einiger  Tapetzerwerfung  zur  Anschauung  kommen. 
Ausnahmsweise  ist  die  Anlegung  eine  unvollständige,  doch  kehrt  in  dem  Sacke  ein 
gewisser  Grad  von  qualitativer  Lichtempfindung  zurück  (Pagenstecher). 

Eine  solche  unvollständige  und  um  so  mehr  eine  luahre  Heilung  darf 
nur  in  Aussicht  genommen  werden  bei  frischen  oder  doch  nicht  veralteten 
Fällen  und  bei  geringem  Umfange  der  Ablösung.  Allerdings  werden  der- 
artige günstige  Ausgänge  mitunter  auch  bei  sehr  ausgedehnten  und  gar 
totalen  Netzhautabhebungen  nach  Monate  und  selbst  Jahre  langem  Bestände 
derselben  durch  entsprechende  Behandlung  erzielt,  doch  sind  dies  eben  nicht 
gar  häufige  Ausnahmen,  welche  die  Vorhersage  nicht  zu  bestimmen  ver- 
mögen. Höhere  Trühungsgrade  und  übermässige  FunctionsbeschrÜnkung  sind 
insoferne  von  schlimmer  Bedeutung,  als  sie  mit  Grund  tiefe  materielle  Ver- 
änderungen des  Gefüges  voraussetzen  lassen.  Wo  sich  der  Hj'drops  sub- 
retinalis  auf  sehr  schadhaftem  Boden  ausbildet,  vielleicht  gar  nur  eine 
Nebenerscheinung  des  sich  schon  vorbereitenden  oder  in  vollem  Gange 
befindhchen  Augapfelschwundes  ist,  da  ist  die  Hoffnung  auf  Null  gesunken, 
wenngleich  auch  hier  zeitweilige  Besserungen  und  Stillstände  des  krank- 
haften Vorganges    zu  den  Möglichkeiten  gehören. 

Bisweilen  kömmt  es  zu  dauernden  Stillständen  oder  unvollständigen 
Heilungen  in  Folge  von  spontan  eintretenden  Berstungen  des  abgelösten  Netz- 
hautstückes. Das  ungeliinderte  Ueberströmeu  der  subretinalen  Flüssigkeit 
in  den  Glaskörperraum  vermindert  nämlich  oder  beseitigt  die  Zerrung  und 
Spannung,  welchen  die  Fusstheile  der  Abhebung  von  Seite  des,  in  praller 
Blase  fixirten  oder  in  schlaffem  Sacke  hin  und  her  schwankenden  hydropischen 
Ersusses  ausgesetzt  sind.  Damit  wird  aber  nicht  nur  eine  Quelle  von 
Eeizungszuständen ,  sondern  auch  ein  directes  mechanisches  Moment  für  das 
Fortschreiten  der  Ablösung  weggeschafft. 


Ausgänge;  Dui'clilinich  des  Sackes;  BehanJIung;  Schraierkur.  22o 

Bei  sehr  grosser  Flüchenausdehnunq  des  Hydrops  tritt  die  günstige  Wirkung 
des  Dnrclilinu'li(\s  allerdings  nur  locnig  licrvor,  denn  da  bestellt  eine  Gelegenheit 
zu  Zerrungen  der  Fusstheile  fort,  indem  die  abgelösten  Netzhautstiicke  selbst  ver- 
möge ihrer  Eigenschwere  in  excursive  Bewegungen  gerathen ,  so  oft  der  Augapfel 
rasch  seine  Stellung  wechselt.  Bei  kleineren  oder  dioch  massigen  Abliebungen  hin- 
gegen ,  wo  die  Scliwingungsweiten  der  losgetrennten  Netzliautal)schnitte  geringe 
oder  unerhebliche  werden,  ist  der  Effect  oft  ein  sehr  aiiff'üUiger,  der  Sack  sinkt  ein, 
seine  Wände  legen  sich  von  dem  Fusse  her  allmälig  an  die  Aderhaut  an  und  ver- 
kleben mit  derselben,  ja  nicht  selten  wird  die  neue  Verbindung  eine  vollständige, 
es  bleibt  nur  an  der  Perforationsstelle  eine  kleine  klaffende  Oeffnung  mit  unregel- 
mässigen Umrissen,  indem  die  Wundränder  sieh  unter  Faltung  und  theilweiser 
Einrollung  etwas  zurückgezogen  haben.  Dieselben  bilden  sonach  eine  Art  Wall, 
welcher  vermöge  der  Trübheit  der  Retina  und  der  Verlöthungsmasse  eine  helle 
weissliche  oder  gelbliche  Farbe  zeigt  und  stark  absticht  von  der  normalen  oder 
durch  Zerwerfung  des  Tapetes  figurirten  Aderhaut,  die  im  Bereiche  der  fraglichen 
Oeffnung  blosliegt  (Liehreich). 

Bei  mangelhafter  oder  ganz  vernachlässigtei'  Beliandhing  schreitet 
das  Leiden  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  unaufhaltsam  vorwärts,  die  Abhebung 
dehnt  sich  unter  wiederholten  Aufüackerungen  dos  entzündlichen  Vor- 
ganges immer  mehr  aus,  oder  es  trübt  sich  die  Netzhaut  und  die  Papille 
in  wachsendem  Umfange,  ohne  dass  der  Hydrops  an  Fläche  gewinnt,  die 
Functioustüchtigkeit  des  Auges  sinkt  immer  mehr  und  wird  endlich  ganz 
vernichtet.  Gewöhnlich  stellen  sich  über  kurz  oder  lang  Erscheinungen 
ein,  welche  auf  Chorioiditis  oder  Iridochorioiditis  hindeuten.  Dann  ist  es  um 
den  Aiigapfel  geschehen,  er  wird  iveicher  und  sein  Schrumpfen  ist  unab- 
wendbar. 

Häufig  bleibt  es  gar  nicht  bei  dem  Verluste   des   einen  Auges,   es  wird 

auch    das   zweite  früher    oder    später  in  den  Process  einbezogen,   es  kömmt 

auch  hier  zur  Netzhautabhebung  und  schliesslich  zur  Atrophie.  Bei  normal 

gebauten    Augen    und    wo    der    Hydrops  sich  in    directer  Abhängigkeit  von 

äusseren  Schädlichkeiten  entwickelt  hat,  ist  dieser  misslichste  aller  Ausgänge 

allerdings    nicht    leicht    zu    fürchten,   doch    kann     die    Entwickelung    einer 

secundären     Iridochorioiditis     das    zweite    Auge     auf    sympathischem     Wege 

gefährden  (Mooren).  Wo   aber  progressive  hintere  Lederhautectasien   dem  Pro- 

cesse  zu   Grunde  liegen,   und   dies  ist  die  grösste   Mehrzahl  der  Fälle,    wird 

das  zweite  Auge  in   der  Regel  ebenfalls  ergriffen,   da  die  Ursache  fast  immer 

beiderseitig  wii'kt. 

In  den  späteren  Stadien ,  nach  Eintritt  der  Atrophie,  zeigen  sich  bisweilen 
höchst  intensive  Licht-  xiud  Feiiei-erscheimmgen,  welche  dem  Kranken  überaus  qual- 
voll werden,  in  dem  Grade,  dass  man  sich  zur  Durchschneidung  des  Opticus  ver- 
anlasst gefühlt  hat  (Gh-aefeJ.  Leider  bewährt  sich  dieses  Verfahren  nicht ,  indem 
man  kurz  darnach  dieselben  Phosphene  auftreten,  iiud  auch  wohl  Iridochorioiditis 
sich  entwickeln  gesehen  hat  (Landesberg). 

Die  Behandlung  ist  auf  Hintanhaltung  von  Reizungen,  welche 
den  entzündlichen  Process  unterhalten  und  steigern  können,  auf  möglichste 
Beschränkung  excursiver  Augenbewegiingen,  welche  das  Fortschreiten  der  Ab- 
lösung in  mechanischer  Weise  fördern,  und  auf  kräftige  Anregung  der 
Resorption  zu  richten.  Nach  vielen  Erfahrungen  scheint  sich  bei  einfachen 
und  mit  Staphyloma  posticum  combinirten  Netzhautabhebungen  das  gegen 
Neurodictyitis  diffusa  empfohlene  ^"erfahren  (S.  203),  nämlich  die  Schmier- 
kur in  Verbindung  mit  strengster  Augendiät  und  dem  systematischen  Tragen 
des  hinoculären  Schutzverhandes,  am  besten  zu  bewähren.  Es  liefert  in 
frischen    Fällen    der    genannten    Art   höchst   befriedigende    Kesultate,    und  hat 

stellwag,  Augenlieilkunde.  15 


226  Netzhantabhebung;  Behandlnng:  Operative  Verfahren. 

mitunter  selbst  bei  veraltetem  und  hochgradigem  Zustande  über  alle  Erwartung 

günstige  Erfolge   erzielt. 

Einstens  bat  man  empfohlen,  die  Lederhaut  in  der  Gegend  des  abgehobenen 
Netzhautstückes  mittelst  eines  feinen  Messers  anzustechen  und  so  die  subretinale 
Flüssigkeit  abzuzapfen  (Sichel),  hierauf  einen  Schutzverband  anzulegen  und  gleich 
wie  nach  anderen  Augenoperationen  ein  strenges  antiphlogistisches  Verhalten  anzu- 
ordnen. Nöthigenfalls  soll  die  Operation  1 — 2 mal  wiederholt  werden.  Es  hat  sich 
jedoch  dieses  Verfahren  nicht  bewährt  (Graefe,  SecondiJ,  obgleich  es  in  einzelnen 
Fällen  voi-übergehende  Besserungen  erzielte.  Es  wird  daher  die  „Ophthahnocenthese^^ 
besser  gemieden. 

Der  günstige  EinÜuss,  welchen  spontane  Berstungen  der  abgelösten 
Netzhautpartie  in  einigen  Fällen  auf  den  ferneren  Verlauf  des  Leidens 
genommen  haben,  hat  die  Idee  einer  operativen  Spaltung  des  Sackes  an- 
geregt (Graefe)  und  einige  damit  erzielte  Erfolge  machten  den  Netzhautstich 
ziemlich  allgemein  beliebt.  Doch  leistet  dieses  Verfahren  viel  weniger 
(^Pagenstecher,  Hasner,  Landesberg),  als  die  pharmaceutische  Behandlung  bei 
entsprechendem  Regimen,  versagt  ziemhch  oft  gänzlich  und  hat  nicht  selten 
durch  Anregung  degenerativer  Iridochorioiditis  den  Schwund  des  Auges 
herbeigeführt  oder  wenigstens   beschleunigt. 

Die  Operation  ist  behufs  besseren  Einblickes  in  die  Tiefe  des  Auges  stets 
bei  maximaler  Erweiterung  der  Pupille  und  in  sitzender  Stellung  des  Krauken  vor- 
zunehmen. Das  dazu  dienliche  Instrument  ist  eine  feine  Sichelnadel  oder  noch 
besser  eine  zarte  zweischneidige  Dalrymple'sche  Stopfnadel,  wie  sie  bei  der  Dis- 
cission  von  Staaren  mittelst  Keratonyxis  gebraucht  wird.  Dieselbe  wird  bei  gehöriger 
Fixation  des  Kopfes,  der  Augenlider  und  des  Bulbus  4'" — ö'"  hinter  der  Hornhaut- 
grenze senkrecht  durch  die  Sclera  gestossen,  etwa  8'"  weit  in  den  Glaskörper  vor- 
geschoben und  dann  gegen  die  abgehobene  Netzhautpartie  gewendet,  um  letztere 
in  leichtem  Zuge  zu  durchtrennen  (Graefe),  wobei  mit  Sorgfalt  eine  Durchschneidung 
grösserer  Netzhautgefässstämme  und  etwaige  Verletzungen  der  Aderhaut  zu  ver- 
meiden sind,  was  bei  dem  steten  Zurückweichen  des  Sackes  allerdings  die  ganze 
Aufmerksamkeit  des  Operateurs  erheischt. 

Da  solche  scharfe  lineare  Zusammenhangstrennungen  erfahrungsmässig  leicht 
wieder  verlöthen,  -wird  anstatt  dem  einfachen  Netzhautstiche  von  Manchen  eine  Zer- 
reissung  der  abgelösten  Partie  für  nothweudig  erachtet.  Zu  diesem  Eude  sollen  zwei 
Nadeln  in  zureichendem  gegenseitigen  Abstände  durch  die  Lederhaut  gestossen  und 
dann  unter  gegenseitiger  Annäherung  der  Spitzen  durch  den  Glaskörper  zur  Sack- 
oberfläche geführt  werden,  um  diesen  unter  geeigneten  Hebelbewegungen  der  In- 
strumente in  genügender  Ausdehnung  zu  spalten  (Bowman). 

Auch  hat  mau  versucht,  die  Abzapfung  der  subretinalen  Flüssigkeit  mit  der 
Durchschneidung  des  abgelösten  Netzhautstückes  zu  verbinden.  Man  bediente  sich 
dazu  einer  Troikarnadel,  die  in  der  Regel  zwischen  dem  oberen  und  äusseren 
geraden  Augenmuskel,  4'" — 5'"  hinter  der  Cornealgrenze,  in  die  Lederhaut  einge- 
stochen und  durch  den  Glaskörper  in  den  Sack  geleitet  wurde ,  worauf  man  die 
subretiuale  Flüssigkeit  entweichen  liess  (Wecker)  oder  mit  der  Fravaz'schen  Spritze 
auspiTmpte  (Arcoleo)  und  den  Einstich  in  der  Retina  erweiterte. 

Die  Nachbehandhmg  nach  solchen  Eingriffen  kömmt  mit  jener  nach  ander- 
weitigen Operationen  am  Bulbus  überein.  Bettlage,  strenges  antiphlogistisches  Ver- 
halten und  besonders  das  mehrere  Tage  foi'tgesetzte  Tragen  eines  binocularen 
Schutzverbandes  sind  die  Hauptmomente. 

Quellen.  Coccius,  Ueber  die  Anwendung  des  Augenspiegels.  Leipzig,  1853. 
S.  125,  128.  —  Bou-man,  Opth.  hosp.  reports.  IV.  1864.  Mai.  S.  134.  —  Schiceigger, 
A.  f.  O.  VI.  2.  S.  324 ,  329 ;  Vorlesungen  über  den  Gebi-auch  des  Augenspiegels. 
Berlin,  1863.  S.  118.  —  Stelhvag,  Ophth.  II.  S.  100;  Wiener  med.  Wochenschrift. 
1864.  Nro.  10;  Der  intraoculare  Druck.  1868.  S.  55.  —  H.  Müller,  A.  f.  O.  IV.  1. 
S.  369,  372,  374,  379.  —  Elebs,  ibid.  XL  2.  S.  242,  249.  —  Graefe,  ibid.  I.  1.  S.  358, 
362,  369;  IL  1.  S.  222;  IL  2.  S.  260,  278,  319,  321;  IH.  2,  S.  391,  394,-  396;  IV.  2. 
S.  235,  238;  IX.  2.  S.  85,  88,  90;  XIV.  2.  S.  116;  klin.  Monatbl.  1863.  S.  49,  57, 
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Sehiiervcnsiliwiiiiil;  Pathologie.  22/ 

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—  Leber,  ibid.  XIV.  2.  S.  226.  —  Liibinski,  ibid.  XIII.  2.  S.  379.  —  Maiähner, 
Lehrb.  der  Ophthscop.  S.  388.  —  Ed.  Jaeger,  Handatlas,  Taf.  XVIII.  —  Stavenhagen, 
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träge, S.  155,  318;  Ueber  symp.  Ophth.  S.  41.  —  Arcoleo,  Conference  clin.  1869. 
S.  9.  —  Landesberg,  A.  f.  O.  XV.  1.  S.  194,  201,  202.  —  Hasner,  Prag.  Viertel- 
jahrschrift 93.  Bd.  Mise.  S.  75. 


Der  Schwund  des  Sehnerven  und  der  Netzhaut. 

Pathologie.  Man  unterscheidet  fast  allgemein  den  reinen,  nervösen, 
auch  pelluciden  iSchwund  und   die   frühe  Atrophie. 

Der  reine,  besser  graue  oder  gallertige  Schwund  charakterisirt  sich 
ursprünglich  stets  durch  Massenzunahme  des  bindegewebigen  Gerüstes.  Es 
quillt  dieses  in  Folge  der  Einlagerung  einer  graulichen  klebrigen  feuchten 
Masse,  welche  eine  grosse  Anzahl  kleiner  schimmernder  Kerne  und  ein- 
zelne zarte  helle  Kernzellen  führt,  in  wechselndem  und  oft  sehr  auffälligem 
Grade  an  und  wird  sulzähnlich  durchscheinend.  Die  nervösen  Elemente 
zeigen  sich  auseinander  gerückt,  oft  geradezu  zertrümmert,  varicös,  und 
zerfallen  schliesslich  in  verschieden  gestaltete,  meistens  aber  kugelige  glatte 
Massen,  welche  theilweise  verfettigen,  sich  in  kernlose  Fettkörnchenconglo- 
merate  verwandeln,  theilweise  aber  sclerosiren,  in  choloide  und  amjdoide 
Kugeln  übergehen.  Es  überwiegt  hierbei  bald  die  Wucherung  des  Neurilems, 
bald  die  Verfettigiuig  und  Sclerose  des  Markes.  Schliesslich  schrumpft  das 
bindegewebige  Fachwerk  zu  einer  dichten  graulichen,  mattem  Glase  ähn- 
lichen, starren,  beim  Drucke  schollig  blättrig  zerfallenden  Masse  oder  zu 
einer  derben  opaken  faserigen  Schwiele,  welche  die  Reste  der  entzündlichen 
Zellenwucherung  und  der  verfettigten  und  sclerosirten  Marksubstanz  in 
sich  birgt  (Rokitansky). 

Bei  dem  trüben  Schwunde  verhalten  sich  die  nervösen  Elemente,  wenn 
sie  nicht  schon  während  der  Entzündung  verfettigt  sind,  ganz  ähnlich; 
der  Unterschied  liegt  hauptsächlich  in  dem  Hervorstechen  der  bindegewebigen 
Neubildung;  der  Process  stellt  sich  eigentlich  als  eine  degenerative  Hyper- 
trophie des  bindegewebigen  Gerüstes  dar  und  bewahrt  diesen  Charakter  auch 
in   der  Folge,   nachdem   es  bereits  zur  Schrumpfung  gekommen  ist. 

1.  Der  Nervenstamm  wird  bei  der  einen  wie  bei  der  anderen  Form 
am  Ende  auf  einen  derben  sehnigen  Strang  reducirt,  in  welchem  die 
Nervenfasern  und  oft  aucli  die  meisten  Gefässe  untergegangen  sind.  Indem 

16* 


228  Sehnervenschwund ;  Pathologie  des  reinen  Schwundes;  Atrophische  Excavation. 

die  äussere  Scheide  des  Orbitalstückes  sich  nicht  in  entsprechendem  "N'er- 
hältnisse  zusammenzieht,  passt  dieselbe  nicht  mehr  an  den  Stamm, 
schlottert  förmlich  und  faltet  sich  um  ihn  herum,  wie  ein  halbgefüllter 
Schlauch.  Die  Verbindung  zwischen  beiden  wird  durch  ein  höchst  zartes 
lockeres  weitmaschiges  Strickwerk  tou  feinen  Bindegewebsfasern  Termittelt, 
welches  wahrscheinlich  von  einer  wechselnden  ^lenge  serösen  Fluidums 
umspült  wird. 

Bei  sehr  hochgradiger  Atrophie  wird  in  Folge  der  fortgesetzten  Gewebs- 
schrumpfung  sogar  der  Grund  des  Zwischenraumes  beider  Nervenscheiden  in  der 
Kichtung  gegen  die  Aderhautebene  gehoben  und  weitet  sich  wegen  der  Volums- 
verminderung  des  vorderen  Nervenendes  beträchtlich  aus,  so  dass  das  vordere 
Ende  des  Scheidenzwischenraumes  einen  breiten  ringförmigen  Sinvis  bildet,  welcher 
innerhalb  der  hinteren  Scleralöfihung,  hinter  der  Lamina  cribrosa,  gelegen  ist. 

Auf  Durchschnitten  des  atrophisch  gewordenen  Sehnervenstamraes  erkennt 
man  noch  sehr  deutlich  die  parallel  zur  Nervenaxe  neben  einander  lagernden  Züge 
der  ehemals  vorhanden  geicesenen  Nervenbündel  und  das  sie  umhüllende  neurile- 
viathche  Gefüge;  doch  sind  die  ersteren  wegen  Massenzunahme  des  letzteren  mehr 
aus  einander  gerückt ,  als  in  der  Norm.  Statt  der  Nervenfasern  findet  man  eine 
durch  die  Scheiden  in  Stränge  formirte,  bräunlich  gelbe  durchscheinende  Substanz, 
welche  hauptsächlich  aus  molekulirter  organischer  Grundlage,  choloider  oder  amyloi- 
der Masse  und  geschrumpften  Kernbildungen  besteht.  Nebenbei  trifft  man  daselbst 
öfters  Haufen  freien  oder  in  Zellen  eingeschlossenen  Pigmentes ,  welches  von 
haemorrhagischen  Extravasate^i  oder  von  Neubildungen  herrührt,  obsolescirte  und 
oft  verkalkte  Gefösse,  Cholestearinconglomerate  und  Kalkdrusen.  In  einzelnen 
Fällen  überwiegt  stellenweise  der  Kalk  und  bäckt  zu  mächtigen  Concrementen  zu- 
sammen, welche  in  das  atrophische  Mark  des  Nerven  oder  des  Nervenkopfes  ein- 
geschaltet erscheinen.  Ausnahmsweise  kömmt  es  vielleicht  auch  zu  theilweisen 
Verknöcherungen  des  geschrumpften  Bindegewebes. 

2.  Im  Nervenkopfe  und  der  Netzhaut  sondern  sich  beide  -Formen  der 
Atrophie  sowohl  anatomisch  als  symptomatisch  viel  schärfer. 

Der  reine  oder  graue  Schwund  pflegt  sich  auf  den  Kopf  und  die 
eigentliche  Ausbreitung  des  Xerven ,  also  auf  die  Faser-  und  Ganglien- 
schichte der  Netzhaut  zu  beschränken  {H.  Müller),  die  musivischen  Schichten 
der  letzteren  dagegen  sowie  das  Tapet  und  die  Chorioidea  unberührt  zu 
lassen.  Der  Untergang  der  nervösen  Elemente  und  die  Schrumpfung  des 
bindegewebigen  Stützwerkes  begründen  nothwendig  eine  Volumsverminderung, 
die  denn  auch  besonders  im  Nervenkopfe  auffällig  wird.  Indem  nämlich 
die  Cauda  equina  des  Opticus  auf  eine  dünne  Lage  obsoleten  Bindege- 
webes reducii-t  wird,  welche  blos  einige  choloide  Kugeln  und  Kernreste 
enthält,  flacht  sich  die  Papille  ab,  sinkt  ein,  erscheint  muldenförmig  ver- 
tieft. Die  tiefste,  meistens  der  Gefässpforte  entsprechende  Partie  der  Mulde 
reicht  dabei  gewöhnlich  nicht  über  die  Ebene  der  hinteren  Chorioidal- 
grenze  hinaus  (H.  Müller).  Doch  kommen  solche  Fälle  vor.  Es  nimmt 
nämlich  die  Siebmembran  gerne  Antheil  an  dem  Gewebswucherungspro- 
cesse  des  Neurilems.  Sie  wii'd  dann  ähnlich  diesem  aufgelockert  und  ver- 
liert dadurch  selbstverständlich  an  Widerstandskraft.  Erreicht  die  Besistenz- 
venninderung  einen  gewissen  Grad,  so  genügt  schon  der  normale  intraoculare 
Druck,  um  jene  Haut  zum  Kachgeben  zu  zwingen,  es  weicht  die  letztere 
mit  dem  ihr  nach  vorne  auflagernden  obsoleten  Stratum  weiter  nach 
hinten,  das  Eesultat  ist  eine  sehr  tiefe  Mulde,  ausnahmsweise  aber  auch 
eine  Excavation  mit  steilen  Rändern,  wie  selbe  beim  Glaucom  constant  sich 
zu  entwickeln  pflegt. 


I'<atliologie  (los  trüteii  Scliwundes.  229 

Die  Behauptiinjij,  dass  sicli  eine  derartige  Excavation  ausschliesslich  nur  hei 
glauconiatöseii  Leiden  finde  (Grnefe),  miiss  auf  Gnin{llaj]fe  thatsächliclier  Beobach- 
tungen (Maulliner)  mit  Be5.tinuntheit  zurückgewiesen  werden. 

Von  (It'ii  zahlreicheu  Ideinen  Gefässen  des  Nervenkopfe.s  und  der  Netz- 
haut geht  immer  ein  grosser  Theil  völlig  unter  und  dies  ist  ein  Hauptgrund 
der  eigenthümlichen  Blässe,  welche  die  im  grauen  Schwunde  begriffene 
Papille  darbietet.  vVn  den  Stämmen  und  grösseren  Aesfen  der  Centralgefässe 
erscheint  die  Adventitia  gewöhnlich  um  ein  Eeträchtliches  verdickt,  indem 
sie  an  dem  ursprünglichen  Wucherungsprocesse  des  Stützwerkes  participirt. 
Bei  vorgeschrittenem  Sehwunde  verengert  sich  in  Folge  der  Schrumpfung 
öfters  die  Lichtimg  und  bisweilen  kömmt  es  gar  zur  völligen  Obliteration 
einzelner  Hauptäste. 

Der  trübe  Schwund  erstreckt  sich  sehr  gewöhnlich,  aber  nicht  constant, 
über  sämmtliche  Schichten  der  Netzhaut  und  meistens  leidet  dann  auch  das 
Tapet  und  die  Uvea  in  sehr  äufFälligem  Grade  mit,  der  Netzhautschwund 
ist  nur  die  Theilerscheinung  einer  den  ganzen  Bidbus  betreffenden  Atrophie. 
An  der  Papille  ist  das  Einsinken  minder  deutlich,  auch  wenn,  wie  dieses 
oft  geschieht,  die  Siebmembran  rückwärts  gedrängt  worden  ist,  indem  die 
Höhlung  wegen  der  Massenzunahme  des  bindegewebigen  Stützwerkes  aus- 
gefüllt erscheint. 

Am  schärfsten  ausgepi'ägt  treten  die  anatomischen  Charaktere  des 
trüben   Schwundes  an  völlig  abgehobenen  Netzhäuten  hervor. 

Nach  Ablauf  des  entzündlichen  Qewebswuchemngsprocesses  erscheint  nämlich 
die  tricliter-  oder  klöppelförmig  zusammengefaltete  Retina  aufgequollen^  sulzähnlich 
getrübt,  von  reichlichem  Fettgehalte  ins  schmutzig  Gelbgraue  verfärbt  und  neben- 
bei von  zahlreichen  kleinen  Bltdexiravasaten  wie  getiegert  oder  wohl  auch  von 
circumscriptem  Oedem  (S.  190)  in  Form  von  Blasen  aufgetrieben.  Die  Stützfasern 
bestehen  dann  gewöhnlich  nur  mehr  streckenweise  in  deutlich  hypertrophirtem  Zu- 
stande (S.  183);  zumeist  sind  sie  in  der  Wuchen;ng  aufgegangen  und  werden 
sammt  der  grauen  Bindesubstauz  ersetzt  durch  ein  undeutlich  faserstreifiges,  oder 
durch  völlig  ausgebildetes  bindegewebiges  Stroma,  in  welchem  zahlreiche,  zum 
Theile  in  Verfettung  oder  Sclerose  begriffene  ovale  oder  spindelige  Kerne ,  oder 
wohl  auch  schön  entwickelte  Bindegewebskörper  lagern.  Das  Stroma  zeigt  bei  völliger 
Ausbildung"  gewöhnlich  ein  areolares  Gepräge;  in  Aer  Zicischenkörnerschichte  ]e.Aoch. 
eine  radiäre,  senkrecht  auf  die  Oberfläche  streichende  Faserung  und  bündelweise 
Anordnung.  In  der  Gegend  des  Sehnerveneintrittes  sammelt  sich  das  Bindegewebe 
häufig  zu  laugen  und  dicken  verzweigten  Bündeln ,  welche  von  der  Siebmembran 
aus  sich  strahlig  verbreiten  und  in  dem  areolaren  Gefüge  verlieren.  Es  schiebt 
sich  dieses  neoplastische  Bindegewebe  allenthalV)en  zioischen  die  übrigen  Elemente 
hinein  und  umspinnt  sie ;  anderseits  aber  setzt  es  sich  durch  die  lückenhaft  gewor- 
dene Limitans  in  den  degenerirten  Glaskörper  fort  und  verbindet  die  Netzhaut  mit 
diesem.  Die  innere  Grenzhaut,  so  weit  sie  erhalten  ist,  erscheint  oft  verdickt  und 
getrübt  in  Folge  der  Auflagerung  molekularer  Detritusmassen  auf  die  hintere  Ober- 
fläche. Nicht  selten  sind  diese  Auflagerungen  in  mannigfaltiger  Weise  figurirt  und 
von  geschrumpften  Gefässresten  durchwebt.  Von  den  nervigen  Elementen  der  Netz- 
haut ist  anfänglich,  besonders  in  den  vordereji  Zonen,  oft  noch  ein  grosser  Theil 
nachweisbar;  doch  zeigen  sie  fast  immer  schon  allenthalben  die  Charaktere  fort- 
geschrittener Verfettung  und  Sclerose.  Namentlich  gilt  dieses  von  den  Nervenfasern 
und  den  Ganglienzellen.  Die  Elemente  der  Stabschichte  erscheinen  zum  Theil  abge- 
löst, aufgebläht  imd  fettig  getrübt.  Die  Körner  hingegen  pflegen  sich  länger  zu 
erhalten  und  verrathen  dann  ihre  Theilnalime  an  dem  krankhaften  Processe 
gewöhnlich  durch  starken  fettigen  Glanz.  Neben  und  zwischen  den  nervigen  Ele- 
menten, eingestreut  in  das  bindegewebige  Stroma,  findet  man  grosse  Mengen 
choloider  Körper,  freier  Fettkörner  und  Fettkörnchenkugeln,  welche  letztere  theil- 
weise  schon  wieder  im  Zerfalle  begriffen  sind,  oder  wohl  gar  schon  in  Cholestearin 
sich    umgewandelt    haben,    dessen  Krystalle    nesterförmig    gruppirt    herum    liegen. 


230  Sehnervenschwuiul ;  Pathologie;  Netzliautnarben. 

Ausserdem  machen  sich  allenthalben  Blutextravasate  alten  und  jungen  Datums, 
seltener  aber  grosse  Mengen  neoplastischen  Pigmentes  bemerkbar.  Die  kleineren 
Gefässe  sind  gewöhnlich  zum  grossen  Theile  untergegangen  oder  entartet,  und 
selbst  von  den  Stämmen  sind  oft  nur  einzelne  durchgängig.  Ihre  Wandungen  sind 
meistens  stark  verdickt,  in  lockiges  Bindegewebe  verwandelt,  welches  mit  dem 
areolaren  Stroma  zusammenhängt  und  zahlreiche,  zum  Theile  in  Verfettung  oder 
Sclerose  begriffene  Kerne  enthält.  Ausserdem  ist  es  sehr  gewöhnlich  von  Fett- 
körnern iiud  Pigment,  oft  auch  von  Kalksalzen  durchstreut  und  mit  choloiden 
scheibenartigen  Anhängseln  versehen.  In  manchen  Fällen  laufen  die  degenerirten 
Gefässwandungen  durch  blattartige  bindegewebige  Neubildungen ,  wodurch  sie  das 
Aussehen  geflügelter  Blattstiele  bekommen,  oder  sind  mit  papillösen  Auswüchsen 
besetzt.  Nicht  selten  sind  die  Gefässe  streckenweise  gänzlich  obliterirt,  in  solide 
bindegewebige  Stränge  verwandelt,  oder  von  nekrotischen  Blutkörperchen  oder 
von  choloiden  Massen  gefüllt.  Mitunter  sind  einzelne  atheromatös  entartet  und 
präsentiren  sich  dann  schon  dem  freien  Auge  als  verzweigte  kreideweisse  derbe 
brüchige  Stränge  (Wedl,  H.  Müller). 

Im  loeitere^i  Verlaufe  gehen  die  nervösen  Elemente  durch  fortgesetzte  Ver- 
fettung und  Sclerose  mehr  und  mehr  verloren,  so  dass  endlich  nur  mehr  geschrumpfte 
Körner  in  wechselnder  Menge  gefunden  werden.  Die  Fettkörnerkugeln  zerfallen, 
lösen  sich  auf;  ebenso  die  Blutextravasate,  ja  sogar  die  choloiden  Körper  werden 
nach  vorläufiger  Körnung  immer  spärlicher.  Nicht  minder  macht  sich  in  dem 
bindegewebigen  Stroma  und  seineu  zelligen  Elementen  die  Verfettung  und  Resorption 
geltend;  es  nimmt  dasselbe  beträchtlich  an  Masse  ab  und  schrumpft  endlich  theil- 
weise  oder  ganz  auf  ein  undeutlich  faseriges  oder  indifferentes  derbes  zähes  Ge- 
füge, welches  von  einzelnen  dicken  sehneuähnlichen  Strängen  imd  degenerirten 
Qe fassen  durchsetzt  wird  und  nur  geringe  Mengen  freien  Fettes,  körnigen  Pig- 
mentes, geschrumpfte  Kerne  und  Nester  von  Körnern ,  hier  und  da  auch  Gruppen 
choloider  Massen  enthält,  übrigens  fest  mit  dem  entarteten  Glaskörper  verlöthet 
ist.  Ausnahmsweise  kommen  darin  auch  kleine  Knochenplättchen  vor ,  ja  so  weit 
die  degenerirte  Netzhaut  mit  den  die  Aderhaut  überkleidenden  Knocheuschalen  in 
Berührung  steht,  geht  sie  wohl  auch  ganz  in  der  Verknöcherung  unter. 

Wo  die  Netzhaut  der  Aderhaut  anliegend  geblieben  ist,  springen  die 
Merkmale  der  Degeneration  in  der  Regel  weniger  in  die  Augen.  Im 
Gefolge  sehr  productiver  Entzündungen,  insbesondere  der  nephritischen  Form, 
erscheinen  allerdings  bisweilen  die  hinteren  Portionen  der  Netzhaut  sammt 
dem  Gefdge  der  Papille  mächtig  verdickt,  völlig  opak  und  matt,  ins 
Graugelbliche  oder  Grauweisse  verfärbt,  ja  in  einzelnen  Fällen  kann  man 
innerhalb  solcher  verdickter  iSTetzhauttheile  schon  mit  freiem  Auge  ganz 
deutlich  eine  faserige  Streifung  oder  gar  dicke  verzweigte  sehnige  Stränge 
und  Blätter  bemerken,  welche  vom  Sehnerveneintritte  aus  sich  strahlig 
in  die  Netzhaut  verbreiten  und  mit  ihren  fransig  zerfahrenen  Enden 
über  die  Grenzen  der  opaken  Flecke  hinausreichen.  Hier  und  da  stösst 
man  wohl  auch  auf  derbe,  sehnenähnlich  glänzende,  milchweisse  und 
mannigfaltig  figurirte  Narbenmassen,  welche  durch  die  ganze  Dicke  der 
Retina  dringen.  Doch  das  sind  Ausnahmen.  In  der  allergrössten  Mehrzahl 
der  Fälle,  namentlich  nach  einfachen  diffusen  Netzhautentzündungen,  bekundet 
sich  der  degenerative  Schwund  blos  durch  einige  Dichtigkeitszimahme,  durch 
eine  höchst  zarte  und  kaum  merkliche  sulzartige,  oder  durch  eine  schwache 
weissliche  schleier artige  Trübung,  welche  nur  im  Bereiche  des  Sehnerven- 
eintrittes und  seiner  nächsten  Umgebung  etwas  dichter,  mitunter  auch  leicht 
streifig  zu  sein  pflegt,   und   durch  theilweise  Entartung   der  Gefässe. 

Bei  niederen  Oraden  des  Schwundes  kann  man  dann  oft  noch  sämmtliche 
Schichten  der  Netzhaut  mit  den  ihnen  eigenthümlichen  nervigen  und  bindege- 
webigen Bestandtheilen  unterscheiden ,  obgleich  die  einzelnen  Theilorgane  in  der 
oben  angedeuteten  Weise  schon  mannigfaltig  verändert  und  durch  choloide  Massen 
und  Fettkörnerkugeln  theilweise  ersetzt  worden  sind.  Bei  fortschreitendem  Schwunde 


Pifjmciitanhaufungon ;  Atrophie  nach  exsudativen  Enfziindnngon.  231 

geht  a1)er  die  Schichtung  mehr  und  mehr  verloren.  Je  nach  der  Art  der  voraus- 
gegangenen Entzündung  sind  l)aUl  die  inneren  bald  die  imsseren  Schichten  aufge- 
gangen in  einem  durcii  molekulare  Massen  getrübten,  indift'erentcn  oder  undeutlich 
streifigen  Gefüge;  oder  es  hat  sich  die  ganze  Netzhaut  in  eine  indifferente  oder 
leicht  streifige,  dünne  aber  zähe  und  derbe  Haut  verwandelt,  in  welcher  von  den 
€liemali(/en  Bestandtheilen  luir  mehr  geschrum])t'to  kernähnliclic  Gel)ilde,  und  in  der 
Gegend  des  Sehnerveneintrittes  geschrumpfte  Gefässe  und  Bindegewebsbündel  nach- 
weisbar sind. 

Sehr  häufig  kommen  in  dem  clegenerirten  Gefüge  atrophirter  Netz- 
häute, welche  der  Aderhaut  allenthalben  anliegen,  Anhäufungen  von  schwarzen 
Pigmentzellen  und  Pigmentkörnern  vor.  Ocfters  sind  es  nur  einzelne  wenige 
zerstreute  Spritzer,  Häufchen  oder  klumpenähnliche  Massen,  welche  zumeist 
an  den  Gefässen  oder  an  der  Sehnervengrenze  sitzen.  In  anderen  Fällen 
ist  das  Pigment  vornehmlich  auf  die  vorderen  und  mittleren  Zonen  der 
Retina  beschränkt  und  zeigt  sich  in  lauter  kleinen,  den  Knochenkörperchen 
nicht  unähnlichen,  unregelmässig  zackigen,  länglichen  Häufchen,  welche 
ihre  lange  Axe  zumeist  gegen  die  hinteren  Theile  der  Netzhaiit  kehren 
und  gleichsam  concentrisch  um  dieselben  gelagert  sind.  Oftmals  endlich 
sammeln  sich  grosse  Mengen  neoplastischen  Pigmentes  vorzugsweise  in  der 
hinteren  Hälfte  der  Netzhaut  und  bilden  daselbst  kleinere  und  grössere 
Klumpen,  welche  ganz  unregelmässig  umherstehen,  zum  Theil  auch  wohl 
zu  mannigfaltigen  Figuren  zusammenfliessen  und  grosse  Strecken  des  hinteren 
Augengrundes  überdecken. 

Es  scheint,  als  ob  sich  Pigment  im  Gefolge  der  degenerativen  Atro- 
phie selhstständig,  durch  Umwandlung  des  Inhaltes  neoplastischer  Zellen, 
bilden  könne  {Donders,  Schweigger).  Es  kommen  Pigmentklümpchen  nämlich 
gar  nicht  selten  in  den  vorderen  Schichten  der  Retina,  ausser  aller  Be- 
rührung mit  den  Zellen  des  Tapetes  und  bei  völligem  Pigmentmangel 
der  hinteren  Netzhautstrata,  vor.  Reichliche  oder  gar  massige  Entwickelungen 
von  Pigment  in  der  Netzhaut  finden  sich  indessen  in  der  Regel  nur  nach 
exsudativen  Entzündungen  und  es  ist  dann  die  Umwandlung  der  in  der  Retina 
gelegenen  neoplastischen  Zellen  unter  dem  Einflüsse  der  prolificirenden 
Tapetzellen  von  Statten  gegangen  und  davon  geradezu  abhängig  (S.  185). 
Es  ist  nämlich  durch  mehrfache  Untersuchungen  ein  directer  Zusammen- 
hang zwischen  den  Pigmenthaufen  der  Netzhaut  und  den  wuchernden 
Tapetzellengruppen  erwiesen  und  öfters  auch  das  allmälige  Vordringen  der 
Pigmentbildung  von  den  letzteren  durch  die  einzelnen  Schichten  der  Retina 
constatirt  worden   {H.   Müller,   Pope,  Rudnew,   Iwanoff). 

Besonders  deutlich  ist  dieses  Verhältuiss  durchwegs  bei  grösseren  confluij-en- 
den  Pigmeuthaufen.  Die  eigenthümlichen  knochenköi-perähnlichen  zarten  Figuren  hin- 
gegen pflegen  nur  theilweise  mit  chorioidalen  Pigmentansammlungen  zusammenzu- 
hängen. Sie  scheinen  nach  den  bisherigen  Untersuclumgen  an  die  feineren  Gefässe 
gebunden  zu  sein,  welche  im  Laufe  des  Atrophisirungsprocesses  grossen  Theils 
degeneriren  und  unwegsam  werden.  Dieser  Umstand  ei'klärt  auch  die  eigenthüm- 
liche  Anordnung  dcrsell)en  und  ihre  radiäre  Axenrichtung . 

Es  lässt  sich  nach  exsudativen  Entzündungen  die  Exsudatschichte  häufig 
noch  nachweisen,  welche  die  Chorioidea  mit  der  atrophirenden  Netzhaut  verklebt. 
In  veralteten  Fällen  ist  dieses  ueoplastische  Stratum  jedoch  nur  selten  mehr  als 
eine  eigene  Schichte  zu  sondern,  die  degenerirte  und  öfters  schon  auf  ein  zartes 
trübes  Häutchen  reducirte  Netzhaut  scheint  der  hochgradig  atrophirten  Aderhaut 
unmittelbar  aufzulagern  und  oft  ist  die  Verbindung  eine  so  innige,  dass  sich  beide 
Häute  nur  schwer  und  fetzenweise  von  einander  trennen  lassen. 

Der  Glaskörper  ist  in  Fällen,  in  welchen  der  Schwund  der  Netzhaut  nicld 
weit  gediehen  ist,  gewöhnlich  vollkommen  erhalten,  nur  in  seinen  peripheren  Theilen 


232  Sehnervensclnvnnd ;  Krankheitstild ;  reiner  Schwund. 

finden  sich  häufig  zarte  florige  Trühungen,  welche  durch  Zellenwucherungen  und 
ihre  Derivate  bedingt  sind.  Wo  die  Netzlimd  völlig  entartet  und  auf  ein  zartes, 
iinbestimmt  faserstreifiges  Häutchen  reducirt  ist,  welches  der  hochgradig  atrophirten 
Aderhaut  fest  anhaftet,  ist  der  Glaskörper  hingegen  fast  stets  verflüssigt,  man  findet 
von  ihm  höchstens  einige  bindegewebige  Reste,  welche  der  inneren  Limitansober- 
fläche auflagern. 

Das  Krankheitsbild  ist,  den  anatomischen  Differenzen  eutsprecliend, 
im  Ganzen  ziemlich  wandelbar,  selbst  wenn  man  blos  jene  Fälle  ins  Auge 
fasst,  in  welchen  die  atrophirende  Xetzhaut  der  Cliorioidea  anliegend 
geblieben  ist  und  die  dioptrischen  Medien  den  Einblick  in  die  Tiefe  des 
Auges  gestatten.  Charakteristisch  ist  eigentlich  blos  die  starke  Verfärbung 
des  Sehnerveneintrittes  iiis  Weisse,  indem  die  übrigen  Erscheinungen  sehr 
wechseln. 

Der  reine  oder  graue  Schwund  kündigt  sich  in  der  Regel  durch  auf- 
fiillige  Blässe  der  äusseren  Papillenhälfte  an.  Im  allerersten  Beginne  sieht 
man  im  Bereiche  des  Sehnerveneintrittes  öfters  ein  durch  seine  helle  Fär- 
bung von  der  Umgebung  abstechendes  queres  Oval,  welches  mit  seinem 
inneren  Pole  die  Gefässpforte  umgreift,  mit  dem  anderen  Ende  aber  sich 
gewöhnlich  schon  sehr  dem  Schläfenrande  der  Papille  nähert.  Die  nicht 
scharfe  Grenze  und  das  geradlinige  Darüberstreichen  der  Geßissstämme 
lassen  eine  Verwechselung  mit  physiologischen  Excavationen  nicht  leicht 
zu.  Es  breitet  sich  diese  verblasste  Stelle  rasch  aus,  am  schnellsten  in 
der  Richtung  gegen  den  gelben  Fleck  und  erreicht  bald  den  äusseren 
Theil  des  Bindegewebsringes,  über  welchen  sie  jedoch  niemals  hinübergreift. 
Das  Oval  geht  so  in  die  Form  des  Rundbogens  über.  Indem  dann  dessen 
Schenkel  immer  weiter  aus  einander  weichen,  während  sein  Zenith  gegen 
die  innere  Papillengrenze  vorrückt,  reducirt  sich  die  normale  Färbung  auf 
einen  mondsichelförmigen  Saum  an  der  iS^asenseite  des  Sehnerveneintrittes 
und  verschwindet  endlich  ganz,  so  dass  die  Scheibe  ihrem  vollen  Flächen- 
inhalte nach  hellgrau  oder  weiss,  oft  mit  einem  Stiche  ins  Bläuliche  oder 
Grünliche,  opak,  im  verkehrten  Bilde  seiden-  oder  perlmutterartig  glänzend 
und  häufig  auch  ganz  deutlich  muldenförmig  vertieft  erscheint.  Vermöge 
dem  Contraste  hebt  sie  sich  stark  von  dem  übrigen  Augengrunde,  welcher 
in  der  Regel  keine  Veränderungen  erkennen  lässt,  ab  und  scheint  auch 
schärfer  als  sonst  begrenzt  (Fig.  M).  Hir  Durehmesser  wird  beim  grauen 
Schwunde  erst  spät  merkbar  verkleinert.  Vormals  vorhanden  gewesene 
physiologische  Excavationen  verstreichen  sich  bei  vorgeschrittener  Atrophie 
immer  vollständig  (Ed.   Jaeger). 

Der  helle  Reflex  macht  sich  unter  Umständen  durch  Aufleuchten  des  Auges 
geltend,  kann  also    die  Erscheinungen   des  amaurotischen  Katzenauges    begründen. 

Die  im  Normalzustande  zahlreichen  kleineren  Gefässstämmchen  pflegen 
im  Bereiche  der  Papille  ganz  oder  grösstentheils  zu  fehlen.  Die  Haupt- 
stämme und  grossen  Aeste  der  Arteria  und  Vena  centi-alis  hingegen  sind  in 
der  Regel  vorhanden.  Sie  treten  nicht  mehr  im  Bogen  aus  der  Pforte 
nach  vorne,  sondern  biegen  gleich  in  der  Ebene  der  Siebmembran  um  und 
laufen,  an  diese  knapp  angedrückt,  zur  Netzhaut.  Die  etwaige  Verdickung 
ihrer  Adventitia  bekundet  sich  im  Augenspiegelbilde  durch  einen  zarten 
hellen,  oft  glänzenden  Saum,  welcher  die  beiden  Ränder  der  Gefässe  ein- 
rahmt (Liebreich).  Ihr  Caliber  ist  häufig  nicht  verändert.  In  anderen  Fällen 
jedoch  zeigen  sich   die  Arterien  verengert,   die    Venen  normal  oder  gar  etwas 


Augenspiegelliild  dos  triilien  Sclnvumlos ;  Holle  Netzhautstränge.  233 

erweitert;  oder  es  sind  die  Blut-  iind  Schlagadern  sehr  verkümmert,  dünn, 
spärlich  verästelt  (Fig.  M)  und  oft  auch  wesentlich  verkürzt.  ^Mitunter 
scheinen  wohl  auch  einzelne  Stämme  zu  fehlen,  es  ist  deren  Zahl  ver- 
mindert oder  man  findet  an  ihrer  Stelle  andere,  die  in  Lage,  llichtung 
und  in  dem  Verhalten  zur  Gefiisspforte  von  der  Norm  sehr  abweiclien  und 
der  Vermuthung  llaum  geben,  es  handle  sich  um  ausgedehnte  Collateralen. 
In  höchst  seltenen  Fällen  wurden  A'w.  Gefässe  gänzlich  vermisst  (Graefe, 
Mooren). 

Beim  trüben  Schwunde  ist  das  ophthalmoskopische  Bild  des  Sehnei'ven- 
eintrittes  ebenfalls  viel  blässer,  als  im  gesunden  Zustande,  die  Farbe  der 
Papille  neigt,  wenigstens  streckenweise,  entschieden  ins  Weisse  oder  Graue. 
Es  fehlt  aber,  abgesehen  von  manchen  veralteten  Fällen,  in  der  Regel  der 
der  vorigen  Art  charakteristische  starke  sehnige  Glanz  und  der  überaus 
scharfe  Umriss.  Es  zieht  sich  nämlich  eine  mehr  weniger  autfällige,  bald 
zarte,  bald  dichtere  schleierähnliche  Trübung  über  den  hinteren  Theil  oder 
den  ganzen  Augengrund  einschliesslich  des  Sehnerveneintrittes,  wodurch 
der  Rand  des  letzteren  meiir  minder  verhüllt  und  auch  der  Farbe  des 
Augengrandes  ein  weisslicher,  gräulicher  odei*  fahlgelblicher  Ton  beigemischt 
wird'  (Fig.   L). 

Bisweilen  jedoch  sielit  man  im  Bereiche  der  Papille  die  geschrumpfte  und 
oft  etwas  nach  hinten  gedrängte ,  also  muldig  vertiefte  Siehmemhvan  mit  ilirem 
sehnigen  oder  perlmutterähnlichen  Glänze  durch  die  darüber  lagernde  hypertrophirte 
Bindegewebslage  durchscheinen. 

In  einzelnen  Fällen  zeigen  sich  in  letzterer  dichtere  und  darum  das  Licht 
stärker  brechende  Streifen  oder  Flecke,  welche  einen  Theil  der  Scheibe  decken 
und  sich  öfters  auch  über  diese  hinaus  in  die  eigentliche  Netzhaut  erstrecken.  Es 
hat  dann  ganz  das  Ausehen,  als  ob  die  Grenze  des  Sehnerveneintrittes  hinaus- 
gerückt wäre,  oder  als  ob  narbige  Fortsätze  sich  aus  der  Mulde  über  die  Retina 
erstreckten. 

Die  Papille  stellt  sich  beim  trüben  Schwunde  nicht    selten  verkleinert 

und  auch  wohl  von  ganz  unregelmässiger  eckiger  Form  dar. 

Es  ist  diese  Veränderung  oft  sicherlich  nur  eine  scheinbare ,  durch  das  Aus- 
wachsen der  Pigmentzellen  an  der  Aderhautgrenze  bedingte.  Wo  aber  der  Opticus- 
schwund  neben  Atrophie  des  gesammten  Augapfels  einhergeht  und  der  iutraoculare 
Druck  sehr  herabgesetzt  ist,  erweiset  sich  die  Flächenverminderung  mitunter  als 
tvirklich  bestehend  und  auf  Schrumpfung  der  Siebmembran  und  des  überlagernden 
obsolescirenden  Bindegewebsstratums  fussend. 

Die  Gefässe  pflegen  beim  trüben  Schwunde  sowohl  durch  die  voran- 
gehende Wucherung  als  durch  die  nachfolgende  Schrumpfung  des  Binde- 
gewebes mehr  zu  leiden,  als  bei  der  reinen  Atropliie.  Viel  häufiger  als  bei 
dieser  sind  die  Hauptäste  der  Arteria  und  Vena  centralis  verdünnt,  zweig- 
arm und  auffällig  verkürzt  (Fig.  L),  oder  fehlen  theilweise  im  ophthalmo- 
skopischen Bilde.  Die  noch  vorhandenen  Gefässe  aber  erscheinen  durch 
das  umhüllende,  stark  getrübte  bindegewebige  Gerüste  der  Netzhaut  und 
der  Papille  wie  im  Nebel  und  abgeblasst.  Im  Bereiche  dichterer  sehniger 
Massen  werden  sie  wohl  auch  völlig  gedeckt. 

In  einzelneu  Fällen  sieht  man  streckenweise  statt  ihrer  ästige  Streifen  von 
Pigvient  oder  mattweisse  Stränge,  welche  entweder  wirklich  obliterirte  Adern  vor- 
stellen, ode*  noch  durchgängig  sind,  aber  vermöge  der  Dicke  und  Opacität  der 
Wandungen  die  Blutsäule  nicht  mehr  durchscheinen  lassen.  Es  sind  diese  atrophir- 
ten  Gefässe  sehr  wohl  zu  unterscheiden  von  zarten  weissgelblichen  verzweigten 
und  anastomosirenden  Strängen,  welche  in  mehr  geradlinigem  oder  gewundenem 
Verlaufe  die  atrophische  Netzhaut  ausnahmsweise  nach    den   verschiedensten  Rieh- 


234  Sehnervenschwnnd ;  Krankheitsbild;  schwarzer  Staar. 

tuiigren    durchsetzen,    wahrscheinlich  in    den  äusseren  Schichten    ihren  Sitz    haben, 
und  ihrem  anatomischen  Charakter  nach  bisher  nicht  aufgeklärt  sind  (Ed.  Jaeger). 

Ausserdem  fallen  beim  trüben  SchwTinde  gewöhnlich  die  Pigment- 
anhäufungen in  der  IS'etzhaut  (Fig.  L)  und  bisweilen  auch  in  der  Papille 
{^Liebreich)  auf.  Es  sind  bald  unregelmässig  gestaltete  grössere  und  kleinere 
Klumpen,  bald  zarte  Spritzer,  zackige  Linien  und  den  Knochenkörperchen 
ähnliche  Massen,  bald  ausgebreitete  und  zum  Theile  zusammenüiessende 
Fladen.  Die  ersteren  beiden  Formen  treten  im  Augenspiegelbilde  meistens 
scharf  heraus,  da  sie  in  den  vorderen  Schichten  der  Netzhaut  zu  sitzen 
pflegen.  Die  letztere  Form  aber  erscheint  häufig  von  dem  hypertrophirten 
Stützwerke  der  Xetzhaut  überflort  und  in  Gesellschaft  der  der  exsudativen 
Keurodictyitis  eigenthümhchen  Veränderungen  des  Augengrundes. 

Ausnahmsweise  stösst  man  im  Bereiche  der  Netzhaut  a.ui  narbige  blattförmige 
Einlagerungen  und  auf  Cholestearinnester  (Cocciiis).  Die  bläulich  weisse  Farbe  und 
der  sehnige  Glanz  lassen  die  ersteren,  das  perlmutterartige  Glitzern  die  letzteren 
kaum  verkennen. 

Subjectiv  äussert  sich  der  Schwund  immer  durch  Herabsetzung  der 
Sehschärfe  und  meistens  auch  durch  zunehmende  seitliche  Einschränkung  des 
Gesichtsfeldes,  in  vorgerückten  Stadien  aber  gewöhnlich  durch  vollständige 
Amaurose.  Doch  steht  der  Grad  und  die  Ausdehnung  dieser  Functions- 
störungen  keineswegs  immer  in  geradem  Verhältnisse  zu  den  ophthalmo- 
skopisch sichtbaren  Veränderungen.  Es  gilt  dies  vornehmlich  von  dem  reinen 
Schwunde.  Hier  findet  man  neben  hellweisser  oder  bläulicher  Färbung 
und  muldiger  ^'ertiefang  der  Papille  gar  nicht  selten  noch  eine  sehr 
beträchtliche  centrale  Sehschärfe,  die  Kranken  lesen  bei  guter  Beleuchtung 
anstandslos  die  feineren  Xummern  der  Jaeger'schen  Schriftscala  und  nicht 
immer  lässt  sich  eine  Einschränkung  des  Sehfeldes  nachweisen.  Anderseits 
aber  kommen  wieder  genug  Fälle  vor,  wo  bei  normalem  Bestände  der 
Papille  oder  eben  erst  aitftauchenden  Zeichen  beginnender  Atrophie  das 
Sehvermögen  auf  quantitative  Lichtempfindung  gesunken  oder  völlig  erloschen 
ist.  Es  geht  eben  die  Leitungshemmung  und  Zerstörung  der  Xervenelemente 
in  der  Papille  und  Netzhaut  den  ophthalmoskopisch  sichtbaren  Veränderungen 
nicht  immer  parallel. 

Uebrigens  stehen  die  Functionsstörungen  des  lichtempfindenden  Appa- 
rates nicht  blos  im  Zusammenhange  mit  den  Ernährungszuständen  der 
Netzhaut  und  der  Papille ;  der  hier  zu  Tage  tretende  Schwund  ist  sehr 
häufio;  blos  die  Theilerscheinun^  oder  die  Folsre  eines  in  der  Schädelhöhle 
oder  im  Rückenmarkscanale  verlaufenden,  identischen  oder  auch  ganz  ver- 
schiedenen Processes ,  welcher  die  Leitungsfiiliigkeit  der  Xei^ven  oder  die 
specifische  Thätigkeit  seiner  Centralorgane  vernichten  kann,  bevor  das  Orbital- 
stück des  Opticus  und  seine  Ausbreitung  zu  leiden  beginnen.  Es  stehen  diese 
Sehstörunaren  dann  eine  Zeit  lancj  scheinbar  isolirt  da  und  rechtfertigen  so 
einigennassen  ihre  Bezeichnung  als  schivarzer  Staar. 

Unter  schwarzem  Staare  versteht  man  eben  nichts  anderes,  als  das 
an  gewisse  materielle  Veränderungen  im  Bereiche  des  lichtempfindenden 
Apparates  gebundene  Unvermögen,  Objecte,  welche  in  bestimmten  Aichungen 
des  Sehfeldes  lagern,  in  einem  der  Beleuchtungsintensität  und  der  Grösse  des 
Gesichtswinkels  entsprechenden  Grade  von  Deutlichkeit,  wenn  überhaupt, 
wahrzunehmen  (Amblyopie),  oder  gar  Licht  von  Finsterniss  zu  unterscheiden 
(Amaurose). 


Untersuchung  des  Gesiclitsfeldes  und  dos  Lichtempflndungsvermögens.  235 

Im  Uebrip;en  wechselt  die  Sohslörung  nicht  nur  dem  Grade  nach 
innerhalb  der  weitesten  Grenzen,  sondern  vertheilt  sich  auch  oft  sehr  un- 
gleichmässlg  auf  die  eiuzohien  Partien  des  Gesichtsfeldes,  und  zwar  stehen 
diese  Verschiedenheiten  in  nahem  Bezüge  zu  den  pathogenetischen  Verhält- 
nissen ;  daher  das  Sehfeld  nach  allen  Kichtungen  hin  auf  das  Genaueste 
durchforscht  wei'den  muss,  soll  eine  klare  Einsicht  in  die  Grösse  der 
Functionsbehinderung  gewonnen  und  damit  vielleicht  auch  ein  Rückschluss 
auf  den  Sitz  und  die  Ausbreitung  des  Grundleidens  ermöglicht  werden. 
Ganz  besonders  wichtig  ist  die  sorglichste  Ermittelung  der  centralen  Seh- 
schärfe und  des  Verhältnisses,  in  welchem  die  Deutlichkeit  der  Wahr- 
nehmungen auf  jedem  einzelnen  Sector  gegen  die  Peripherie  liin  abnimmt, 
überhaupt  also  die  Erforschung  der  Grösse  und  Form  des  ganzen  Ge- 
sichtsfeldes. 

Die  Messung  der  centralen  Sehschärfe  wird  besser  in  Verbindung  mit  den 
Refractionsfelilern  (Siehe  diese)  erörtert  werden.  Es  genügt  hier  auf  eine  Methode 
hinzuweisen,  welche  es  erhanbt,  die  Empfindlichkeit  der  Netzhautmitte  gegen  Licht 
in  Zahlenwerthen  auszudrücken.  Der  Apparat  ist  eine  schwarze  Scheibe,  auf  welcher 
ein  mehrfach  unterbrochener  Strich  von  gleichmässiger  Dicke  aus  dem  Centrum 
gegen  die  Peripherie  liin  gezogen  ist.  Wird  diese  Scheibe  durch  irgend  einen 
Mechanismus  sehr  rasch  um  ihren  Mittelpunl^t  gedreht,  so  erscheinen  die  einzelnen 
Theile  des  Striches  dem  betrachtenden  Auge  als  Kreise,  deren  Helligkeit  mit  ihrem 

d 

Durchmesser  abnimmt   und  sich  durch  t: —    ausdrücken   lässt,    wo   d   die  Dicke  des 

2r7i  ' 

Striches,  r  den  Radius  des  Kreises,  also  die  Entfernung  des  betreffenden  Strich- 
theiles  vom  Scheibenmittelpunkte,  und  tz  die  Ludolf'sche  Zalil  bedeutet.  Die  Em- 
pfindlichkeit des  kranken  Netzhautcentrums  gegen  Licht  ist  dann  durch  das  Ver- 
hältniss  bestimmbar,  in  welchem  die  Helligkeit  des  grössten  von  ihm  noch  wahr- 
nehmbaren Kreises  zur  Helligkeit  des  grössten,  von  einem  gesunden  Auge  bei  gleicher 
Beleuchtung   und   gleichem  Abstand    erkennbaren  Kreises   steht    (Massen,  Schelske). 

Viel  schwieriger  ist  es,  in  Betreff  der  Form  und  Ausdehmmg  des  Gesiclitsfeldes 
zu  ganz  genauen  Resultaten  zu  gelangen.  Behufs  einer  vorläufigen  Uebersicht  reicht 
es  aus,  wenn  man  sich  bei  seitlich  einfallendem  Lichte  vor  den  Kranken  hinstellt, 
ihn  mit  dem  kranken  Auge,  bei  Verschluss  des  anderen,  das  gerade  gegenüber- 
liegende Auge  des  Beobachters  fixiren  lässt  und  nun  einige  Finger  der  Hand  unter 
wackelnden  Bewegungen  an  der  Peripherie  des  Gesichtsfeldes  herumführt;  oder 
wenn  man,  während  der  Kranke  eine  hellbremiende,  etwa  4  Fuss  entfernte  Lampe 
unverrückt  anblickt,  die  kleine  Flamme  eines  Wachsstockes  in  nächster  Nähe  vom 
Auge  nach  allen  Richtungen  hin  bewegt  (Berlin).  Man  wird  dann  leicht  diejenigen 
Stellen  herausfinden  und  selbst  umgrenzen  können,  in  welchen  das  Wahrnehmungs- 
vermögen hinter  dem  des  beobachtenden  Auges  zurücksteht  oder  gar  erloschen  ist, 
besonders  wenn  man  Selbsttäuschungen  des  Kranken  dadurch  umgeht,  dass  man 
stets  die  Zahl  der  Finger  wechselt  und  von  Letzterem  nennen  oder  beziehungs- 
weise die  jeweilige  Richtung  der  kleinen  Flamme  bezeichnen  lässt,  während  sorg- 
fältig verhütet  wird,  dass  nicht  etwa  vorher  die  Gesichtslinien  darauf  gerichtet  worden 
sind.  Zu  gleichem  Zwecke  kann  man  vor  das  kranke  Auge  auf  1 — 1^2  Schuh  Ent- 
fernung einen  Bogen  Papier  bringen,  auf  welchem  Reihen  von  grossen  schwarzeti 
Punkten  strahlenartig  aus  einem  gemeinschaftlichen  Centrum  divergiren.  Aus  der  Zahl 
und  Lage  der  Punkte,  welche  das  kranke  Auge  in  jeder  einzelnen  Reihe  bei 
Fixation  des  Centrums  zu  erkennen  vermag,  lässt  sich  leicht  das  Bild  des  Gesichts- 
feldes construiren.  Am  besten  dürfte  es  jedoch  sein,  das  kranke  Auge  bei  Verschluss 
des  anderen  einer  senkrecht  stehenden,  allenfalls  quadrirten  (Joy  Jefiries)  oder  von 
radiären,  gegen  den  Mittelpunkt  convergirenden  hellen  Linien  durchzogenen  (Wecker) 
schwai-zen  Tafel  bis  auf  einen  Schuh  zu  nähern,  einen  Punkt  derselben  fixiren  zu 
lassen,  dann  ein  Kreidestück  an  der  Peripherie  des  Sehfeldes  wackelnd  herumzu- 
führen und  die  Stellen  zu  bezeichnen,  an  welchen  das  Kreidestück  gerade  in  das 
Gesichtsfeld  eintritt.  Man  bekömmt  so  unmittelbar  das  Bild  des  letzteren.  Doch  ist 
dieses  nicht  immer  ein  völlig  genauer  Umriss.  Kleinere  Mängel,  geringe  Leitungs- 
hemmungen  treten  bei  einem    solchen  Verfahren   nicht    deutlich    genug  heraus.  Es 


236    Seliuervenscliwund;  Kranklieitsbild ;  Sehstörungen;  Perimeter;  Farbenuntersclieidungsvermögen. 

bedarf  dazu  der  Prüfung  bei  sehr  ahgesclnvächten  und,  falls  schärfere  Ergebnisse 
verlaugt  werden,  bei  verschiedenen,  dem  Werthe  nach  genau  bestimmbaren  Erleuch- 
tungsintensitäten, also  der  Zuhilfenahme  photometinsche}-  Apparate  (Graefe,  Förster). 
In  neuerer  Zeit  hat  man  behufs  graphischer  Darstellung  der  Sehfelddefecte  mehrere 
sehr  sinnreiche  histrmnente  construirt  (Heymann,  Iloudin).  Die  genauesten  Resultate 
liefert  das  Perimeter  (Foerster,  Moesei-),  insoferne  es  abgesehen  von  andern  Vor- 
theilen  auf  die  Sclialenform  des  Gesichtsfeldes  Rücksicht  nimmt  und  damit  eine 
Reihe  von  Fehlern  vermeidet,  welche  aus  den  ungleichen  Entfernungen  des  Probe- 
objectes  und  aus  falschen  Projectionen  seines  Netzhautbildes  nothwendig  hervorgehen. 

Bei  cataractösen  Trübungen,  Pupillenverschlnss  u.  s.  w. ,  wo  das  objective 
Licht  auf  dem  Wege  zur  Netzhaut  optisch  ungleichartige  Medien  durchdringen  muss, 
lassen  sich  nur  gröbere  Abweichungen  ermitteln,  am  besten,  indem  man  bei  Ver- 
dunkelung des  umgebenden  Raumes  die  Flamme  eines  Wachsstockes  im  Gesichts- 
felde herumführt  und  genau  die  Richtungen  anmerkt,  von  welchen  aus  das  Licht 
in  verschiedenen  Entfernungen  nur  sehr  schwach  oder  gar  nicht  wahrgenommen 
wird.  Unter  solchen  Umständen  kann  übrigens  auch  die  Reactionsfähigkeit  der  ein- 
zelnen Netzhautabschnitte  gegen  äusseren  Druck  (Serres  d'Uzes)  oder  gegen  galvanische 
Reizungen  (Reviak)  diagnostisch  verwerthet  werden.  Doch  sind  die  Resultate  nicht 
verlässlicher,  als  Jene,  welche  mit  der  Flamme  erzielt  werden.  Einen  sehr  schätz- 
baren Behelf  geben  sie  nur  ab,  wenn  es  sich  darum  handelt,  partielle  Anästhesien 
(Siehe  diese)  von  eigentlichen  Leitungshemmungen  zu  unterscheiden,  da  bei  ersteren 
die  Phosphene  in  den  der  Lichtempfindung  unfähigen  Bezirken  sich  geltend  machen, 
während  sie  bei  amaurotischen  Defecten  fehlen  (Graefe). 

Zur  Vervollständigung  der  Diagnose  ist  endlich  auch  die  Untersuchung  des 
Farhenunterscheidungsvermögens  von  einigem  Belange.  Es  sinkt  dasselbe  nämlich  im 
Bereiche  amblyopischer  Stellen  fast  constant  sehr  beträchtlich,  ohne  dass  jedoch  ein 
bestimmtes  Verhällniss  zwischen  seiner  Abnahme  und  der  Herabsetzung  der  Seh- 
schärfe bestände,  indem  das  Farbenunterscheidungsvermögen  öfters  schon  bedeutend 
gelitten  liat,  ehe  sich  ein  Ausfall  in  der  Sehschärfe  fühlbar  macht  und  bisweilen 
völlige  Achromafopsie  bei  relativ  wenig  geschädigter  Sehschärfe  gegeben  ist  (Chisholm, 
Quaglino).  Es  haben  diese  Ch'omatodesopsien  schon  vor  langem  die  Aufmerksamkeit 
auf  sich  gezogen  und  zu  einer  Reihe  von  Versuchen  angeregt,  welche  ergaben,  dass 
die  Empfindlichkeit  gegen  die  an  der  äussersten  Grenze  des  Spectrums  gelegenen 
Farben  zvierst  erlischt,  dass  hierauf  die  dem  Centrum  näheren  Farben  und  zuletzt 
das  Gelb  aus  der  Wahrnehmung  verschwindet.  Spätere  Experimente  haben  diese 
Resultate  insoferne  bestätigt,  als  sie  herausstellten ,  das  die  amblyopische  Störung 
des  Farbensinnes  sich  ztierst  durch  die  charakteristischen  Defecte  der  Rothblindheit 
(Schelske,  Benedikt)  zum  Ausdruck  bringe,  oder  auch  wohl  das  Violett  (Galezoivski) 
zuerst  verschwinde.  In  neuerer  Zeit  haben  Untersuchungen  mittelst  des  Spectroskopes 
und  des  i?ose'schen  Farbenmessers  diese  Ergebnisse  dahin  berichtiget,  dass  im 
Spectrum  zuerst  das  Roth,  dann  das  Gelb  und  Grün  und  zidetzl  das  Blau  in  der 
Wahrnehmung  verschwinde,  dass  die  Farben  also  in  derselben  Reihe  aufhören,  die 
Netzhaut  qualitativ  zu  erregen,  in  welcher  sie  im  Spectrum  neben  einander  gelagert 
sind,  mit  der  einzigen  Ausnahme,  dass  das  Violett  vor  dem  Blau  erlischt.  Es  wieder- 
holt sich  damit  dasselbe  Verhältniss,  welches  in  der  Norm  bei  allmäliger  Abnahme 
der  Beleuchtung s Intensität  in  Bezug  auf  das  Farbenunterscheidungsvermögen  nach- 
zuweisen ist.  Auch  hat  sich  herausgestellt,  dass  die  Chromatodesopsie  bei  Amblyopie 
vom  Centrum  gegen  die  Peripherie  hin  wachse;  dass  sie  bei  Hemiojjie  gewöhnlich 
auf  den  amblyopischen  Theil  des  Gesichtsfeldes  beschränkt  sei  und  bei  centralen 
Unterbrechungen  der  Abnalnne  der  Sehschärfe  öfters  um  ein  Beträchtliches  voraus- 
gehe; dass  sie  weiterhin  sich  öfter  lediglich  auf  den  Bereich  der  centralen  Unter- 
brechung beschränke  oder  aber  über  dieselbe  in  wechselnden  Grenzen  und  Graden 
hinausgreife,  übrigens  auch  hier  mit  Rothblindheit  beginne  und  durch  Grün-  und 
Blaublindheit  sich  steigernd  schliesslich  in  völlige  Achromatopsie  übergehe  (Leber). 

Bisweilen  finden  sich  auch  subjective  Gesichtserscheinungen,  Photopsien,  Chro- 
mopsien  u.  s.  w.  Dieselben  geben  weniger  Aufschluss  über  die  Grösse  der  Lei- 
tungshemmung, als  über  die  Art  des  Grundleidens  und  der  dasselbe  begleitenden 
krankhaften  Vorgänge. 

Im  Allgemeinen  unterscheidet  man  Unterbrechungen  und  Einengungen 
oder  Einschränkungen.  Unter  ersteren  verstellt  man  einen  innerhalb  des 
monocularen    Gesichtsfeldes   völlig    abgeschlossenen   Defect,    unter  letzteren 


Unterbrechungen  und  Einschränkungen  des  Sehfeldes.  237 

aber  Defcctc,  welche  von  der  äusscrsten  Peripherie  her  mehr  weniger  weit 
in  das  Gesichtsfeld  hineinragen.  Beide  Arten  machen  sich  öfters  schon 
beim  gewöhnlichen   Sehacte  sehr  fühlbar. 

Die  Unterbrechungen  stellen  sich  dem  Kranken  als  höchst  mannigfaltig 
gestaltete  umschriebene  kleinere  oder  grössere  Flecke  dar,  welche  unbeweg- 
lich im  Centrum  oder  an  einer  demselben  nahen  Aichiing  des  Gesichtsfeldes 
haften.  Die  Patienten  pflegen  sie  als  leere  Stellen  im  Sehfelde  zu  bezeich- 
nen, oder  als  weissgraue,  seltener  farbige  begrenzte  Nebel,  oder  als  dunklere 
graue  bis  schwärzliche  Wolken  zu  beschreiben,  welche  die  Objecto  entweder 
vollständig  deckest,  oder  in  verwischten  Bildern  durchschimmern  lassen  und 
sich  nicht,  wie  die  Scotome  (Siehe  diese)  in  figurirte  Theile  auflösen  lassen. 
In  einzelnen  Fällen  umgeben  dieselben  rinyfüirmig  eine  normale  oder  doch 
hellere  Stelle  und  zwar  meistens  das  Centrum  des  Gesichtsfeldes.  Im  Gegen- 
satze dazu  wurde  indessen  einmal  eine  centrale  Unterbrechung  beobachtet, 
welche  durch  einen  Gürtel  mit  wenig  verminderter  relativer  Sehschärfe 
von  der  erblindeten  Peripherie   geschieden  war  (Hirschnann). 

Die    Unterbrechungen    treten    am    deutlichsten  bei  monocularem   Sehen 

hervor.      Sind    sie    central    gelagert,   so  beirren  sie  in  höchst  lästiger  Weise 

die   Sehfunction,  namentlich  das   Scharfsehen,   indem    sie  immer  gerade  den 

fixirten  Objecttheil,   beim  Lesen  z.   B.   den  fixirten  Buchstaben  oder  Wort- 

theil,   decken  und  sehr  undeutKch  machen  oder  ganz  verhüllen. 

Der  Kranke  wird  dadurch  gezwungen,  die  Gesichtslinie  an  dem  Objecte  vor- 
heischiessen  zu  lassen,  um  demselben  normal  functionirende  Netzhautstellen  zuzu- 
wenden. Bisweilen  umkreiset  er  wohl  auch  mit  der  Gesichtslinie  das  Object,  um 
durch  Bethätigung  einer  grösseren  Anzahl  von  excentrischen  Netzhautelementen 
den  Eindruck  zw  verstärken  und  das  Urtheil  zu  berichtigen.  Durch  fortgesetzte 
XJebimg  können  dann  solche  excentrische  Netzhautstellen  ein  die  Norm  bei  weitem 
übersteigendes  Distinctionsvermngen  erlangen.  Sind  die  Unterbrechungen  aber  sehr 
excentrisch,  so  werden  sie  öfters  übersehen  und  kommen  nur  zum  Vorscheine,  wenn 
der  Kranke  darauf  seine  Aufmerksamkeit  lenkt.  Kleine  excentrische  Unterbrechungen 
können  sogar  ganz  immerklich  werden,  vielleicht,  indem  gleich  wie  beim  Mariotte'- 
schen  Flecke  (Wittich)  die  ErregungszustänciLe  der  nachbarlichen  Elemente  den 
Vorstellungsact  über  die  Eigenschaften  der  darauf  fallenden  Objecttheile  ergänzen 
helfen.  Noch  leichter  werden  solche  excentrische  Flecke  aus  selbstverständlichen 
Gründen  beim  hinocidaren  Sehen  durch  die  Wahrnehmungen  des  anderen  gesunden 
Auges  gedeckt.  Bei  centralen  Unterbrechungen  geht  dieses  schon  schwieriger.  Be- 
sonders anfänglich  pflegen  dieselben  das  binoctdare  Sehen  ausserordentlich  zu  be- 
helligen, indem  sie  die  Wahrnehmungen  der  entsprechenden  Stellen  der  gesunden 
Netzhaut  in  ihrer  Deutlichkeit  herabsetzen,  das  gesunde  Auge  gleichsam  blenden. 

Die  Einengungen  sind,  so  lange  sie  sich  auf  die  äusserste  Peripherie 
des  Gesichtsfeldes  beschränl^en,  viel  weniger  auffallend,  als  die  Unterbrechun- 
gen, der  Kranke  merkt  sie  häufig  gar  nicht,  es  bedarf  eingehender  A'er- 
suche,  um  sie  mit  Bestimmtheit  nachzuweisen.  In  dem  Masse  aber,  als 
sie  sich  ausbreiten,  gegen  das  Centrum  vori'ücken,  wird  die  Sehstörung  von 
Belang,  zumal  beim  monocularen  Sehen  und,  wenn  der  Ausfall  vermöge  seiner 
Oertlichkeit  beim  gemeinschaftlichen  Sehacte  nicht  durch  einen  entsprechen- 
den Theil  der  anderen  Netzhaut  gedeckt  werden  kann.  Auch  sie  präsen- 
th'en  sich  dem  Kranken  als  leere,  oder  umnebelte,  oder  ganz  verfinsterte 
Stellen,  innerhalb  deren  Bereiche  die  Objecte  entweder  gar  nicht,  oder  doch 
nur  theilweise,  in  sehr  verwischten  Bildern  zur  Wahrnehmung  kommon.  Hire 
Grenze  ist  bald  ganz  scharf,  bald  verwaschen,  d.  h.  die  Deutlichkeit  der 
dahin  fallenden  Netzhautbilder  nimmt  an  einer  bestimmten  Linie  jäh  zu 
oder  steigert  sich  innerhalb  einer  gewissen  Zone  ganz  allmälig;   ein  hoch- 


238 


Sehnervenschwund ;  Ki-ankheitsbild ;   Sehstörungen;   Einscliränkungen ;  Hemiopie. 


wichtiger  Unterschied,  da  er  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  auf  eine, 
wenio'stens  zeitweilige,  Abmarkung  und  beziehungsweise  auf  das  Fortschreiten 
des  Grundübels  hindeutet. 

Am  häufigsten  beginnen  eigentlich  amhlyopische  Einschränkungen  am 
Schlaf enumfange  des  Gesichtsfeldes,  oft  aber  auch  an  der  Nasenseite,  selten 
nach  oben  oder  unten.  Greift  der  Defect  um  sich,  so  geschieht  dies  an 
der  äussersten  Peripherie  des  Gesichtsfeldes  meistens  rascher,  als  an  den 
dem  Centrum  näheren  Theilen,  so  dass  das  Gesichtsfeld  schliesslich  die 
Gestalt  eines  kleinen  unregelmässigen  Dreieckes  oder  Schlitzes  erhält,  welcher 
vom  Fixirpunkte  sich  gegen   den  blinden  Fleck  hin  ausbreitet. 

Im  Uebrigen  ist  die  Form,  welche  das  Gesichtsfeld  bei  den  hier  in  Rede 
stehenden  Processen   und    in  den  verschiedenen  Stadien    derselben  annimmt,    eine 

_.     „„  ausserordentlich  wa7icZe?/^are.  So 

Flg.  33.  •  i      •  T>     1    •    j 

neigt  sie  z.  B.  bei  der  pro- 
gressiven Sehnervenatrophie 
als  Folge  von  Tahes  zur  Ge- 
stalt eines  Secfors ,  dessen 
Spitze  dem  Mariotte'schen 
Flecke  (Fig.  33  M  nach  För- 
sfer)  zugewendet  ist,  und 
welcher  fast  immer  einen  Qua- 
dranten einnimmt,  ziemlich  oft 
nach  oben,  oder  ol)en  aussen, 
selten  nach  innen  oder  imten 
liegt.  Dieser  Sector  beginnt 
als  perii^here  Einschränkung ,  welche  mehr  und  mehr  gegen  das  Centrum  F  hin 
vordringt,  während  die  seitlichen  Grenzen  an  der  Peripherie  sich  rasch  ausdehnen 
und  schliesslich  unter  schwachem  Winkel  abbiegend  einen  Tlieil  des  Gesichtsfeldes 
umgreifen,  um  ihn  bis  zur  Schlitzform  einzuengen  (Förster). 

In  einzelnen  Fällen  stösst  man  auf  concentrische  Einschränkungen, 
welche  von  dem  äussersten  Umfange  des  Sehfeldes  mehr  weniger  gleicli- 
mässia:  segen  dessen  Centrum  vorrücken  und  von  vorneherein   die  gesammte 

ö     O     o 

Peripherie    der   Netzhaut    in    ihrer   Functionstüchtigkeit    sehr   herabgesetzt 

oder  erblindet  erscheinen  lassen. 

Nicht  minder  kommen  hier  und   da  hemiopische  Einengungen  vor,  es  ist 

ein    mehr    weniger  grosser  Theil   der  einen    Netzhautliälfte  in   beiden  Augen 

gleichzeitig  oder  kurz  hin- 
ter einander  amblyopisch 
oder  amaurotisch  geworden. 
Äfeistens  handelt  es  sich 
dann  um  gleichseitige  He- 
miopien,    sie    betreffen    die 


Fig.  31. 


linke  oder  rechte  Hälfte 
beider  Netzhäute  und  kom- 
men einer  Erkrankving  der 
einen  Sehnervenwurzel  auf 
Rechnung.  Es  fällt  dabei  die 
Grenze  der  Einschränkung  keineswegs  mit  der  verticalen  Trennungslinie 
des  monocularen  Gesichtsfeldes  zusammen.  Sie  geht  allerdings  dtirch  den 
Fixirpunct  F  senkrecht  herab,  wird  ober-  und  unterhalb  desselben  jedoch 
unregelmässig  stumpfzackig,  biegt  daim  in  scharfen  Winkeln  ab  und  um- 
greift an  der  Peripherie  den  noch  functionirenden  Theil  in  Gestalt  eines 
schmalen  Saumes  (Fig.   34   nach  Foerster), 


Temporale,  nasale  Ilemiopicn :  Amaurosis  simulata.  239 

Es  entspricht  diese  Form  des  iiemiopisclien  Gesiclitsfeldes  der  Verf.lieilmig 
der  Nervenfasern.  Die  um/eJcveuzt  durcli  das  Cliiasma  gellenden  Opticnsbündel  ver- 
sorgen nämlich  nur  einen  kleinen  Theil  der  ihiaseren  NetzhanthäH'te ;  der  Rest  der 
letzteren  erlinlt  seine  Fasern  von  den  yekreuzten  Bünd(dn,  welche  zumeist  an  der 
inneren  Seite  der  Papille  eintreten  und,  theilvveise  in  Bögen  auf  die  äussere  Seite 
der  Netzhaut  herüberbiegend ,  den  Bezirk  der  ixngekreuzten  Bündel  gleichsam 
innschliessen. 

Ausnahmsweise  werden  auch  gleichnamige  oder  laterale  Hemio])ien 
beobachtet.  Es  sind  meistens  temporale,  bei  welchen  vorzugsweise  die 
Schläfenseiten  der  beiden  monocularen  Gesichtsfelder  verdunkelt,  also  die 
inneren  Netzhauthälften  functionsuntüchtig  geworden  sind.  Sie  sind  aus 
Leitungsunterbrochungen  der  im  Chiasma  gekreuzten  Opticusbündel  abzu- 
leiten {Saemisch,  D.  E.  Müller,  Loewegren).  Höchst  selten  kommen  nasale 
Hemiopien  vor,  bei  welchen  die  Nasenseiten  der  beiden  monocularen  Ge- 
sichtsfelder verdunkelt  sind,  also  die  äusseren  Seiten  der  Netzhaut  und  die 
nicht  gekreuzten  Opticusbündel  leitungsunfähig  geworden  sind  {Graefe,  Pagen- 
stecher). Ausnahmsweise  werden  auch  Erblindungen  der  oberen  oder  unteren 
Hälften  heider  Netzhäute  beobachtet. 

Es  stehen  die  Unterbrechungen  und  Einschränkungen  eigentlich  nur 
selten  rein  da,  so  dass  man  von  einem  partiellen  schwarzen  Staare  sprechen 
kann.  Verhältnissmässig  am  häufigsten  ist  dies  noch  bei  Unterbrechungen 
der  Fall;  weniger  oft  bei  Hemiopien  oder  gar  bei  seitlichen  und  concenirischen 
Einschränkungen.  Ueberdies  erweiset  sich  ein  solcher  Zustand,  wo  er 
wirklich  vorkömmt,  recht  oft  als  ein  blos  vorübergehender.  In  der  Regel 
lehrt  eine  genauere  Durchmusterung  des  Gesichtsfeldes,  dass  der  Defect 
an  eine  viel  ausgedehntere  und  selbst  über  die  Gesammtheit  des  letzteren 
sich  erstreckende  Sehstörung  geknüpft  ist,  also  nur  eine  theilweise  Steigerung 
der  Leitungshemmung  symptomatisch  zum  Ausdrucke  bringt.  Insonder- 
heit gewahrt  man  bei  Einschränkungen  ganz  gewöhnlich  einen  sehr  be- 
trächtlichen Verfall  der  centralen  Sehschärfe  und  nebenbei  ein  normwidrig 
rasches  Sinken  des  relativen  WahrnehmungsvermÖ2;ens  nach  den  übria-en 
Theilen  des  monocularen  Gesichtsfeldes  hin.  Bei  Unterbrechungen,  welche 
im  Centrum  oder  nahe  demselben  lagern,  findet  man  liingegen  sehr  oft  ein 
nach  allen  Richtungen  gleichmässiges,  seltener  ungleichmässiges  Fallen  der 
relativen   Sehschärfe. 

Es    sind    derlei   Zustände    demnach  meistens  nur  in    Bezug  auf  den 

Grad,   nicht  aber  in  Bezug  auf  die  Ausbreitung  von  den  sogenannten  totalen 

schwarzen    Staaren    verschieden ,    bei  welchen    das  Wahrnehmungsvermögen 

im  gesammten  monocularen  Gesichtsfelde  auf  quantitative  Lichtempfindung 

herabgesetzt  ist  und  endlich  völlig  erlischt. 

So  lange  quantitative  Lichtempfinduug  besteht ,  kann  die  Reactionsfähigkeit 
der  Iris  gegen  Lichtcontraste  völlig  unbeirrt  sein.  Starrheit  der  Pupille  findet  sich 
nur  bei  vollständiger  Amaurose,  oder  wo  Lähmungen  des  Ciliarsystems  oder 
mechanische  Hindernisse  die  Bewegungen  der  Regenbogenhaut  unmöglich  macheu. 
Dagegen  liegt  bei  Reduction  des  Sehvermögens  auf  quantitative  Lichtempfindung 
und  um  so  mehr  bei  ahsoluter  Amaurose  ein  gutes  objectives  Merkmal  in  den 
unsteten  und  zumal  excursiven  Bewegungen  des  betreffenden  Augapfels.  Es  fehlt 
dieses  Zeichen  unter  so  bewandten  Umständen,  und  wenn  das  andere  etwa  noch 
functionirende  Auge  gedeckt  wird,  nur  selten;  wähi-end  eine  auch  nur  theilweise 
und  undeutliche  qualitative  Lichtempfindung  zureicht,  um  den  Bulbus  zeitweilig  in 
einer  bestimmten  Richtung  zu  bannen.  Um  eine  simidirte  Amaurose  zu  entdecken, 
bedarf  es  also  kaum  täuschender  Manöver  mittelst  Prismen  oder  des  Stereoskopes, 
wie  Manche  meinen.  Sie  suchen  nämlich  den  Kranken  zu  verwirren,  indem  sie 
durch  Prismen ,    welche  mit    der  Basis   nach    oben   oder  tmten   vor   das    angeblich 


240  Sehnervenschwnnd;  Pathogenese  des  trügen  Schwundes. 

schwache  Auge  gesetzt  werden,  hinocidäre  Doppelbilder  erzeugen  (Graefe)\  oder 
indem  sie  mit  der  Kante  eines  horizontal  gelagerten  Prismas  die  Pupille  des 
normalen  Auges  unvermerkt  bald /taZ6  bald  gänzlich  decken  und  so  die  Bedingungen 
für  monoculäre  und  hinoculäre  Doppelbilder  in  einer  für  den  Kranken  schwer  zu 
beurtheilenden  Weise  wechseln  lassen  (Alf.  GraefeJ ;  oder  indem  sie  bei  Benützung 
eines  horizontal  vor  das  kranke  Auge  gestellten  Prismas  Linien  als  Object  wählen, 
von  welchen  zwei  parallel  der  Prismaxe  laufen  und  eine  dritte  nahezu  senkrecht 
darauf  steht,  bei  binocularem  Sehact  also  uothwendig  doppelt  gesehen  werden 
muss  (Berthold).  Andere  halten  sich  an  die  correctiven  Addnctionen,  welche  ein 
mit  der  Basis  nach  aussen  vor  das  kranke  Auge  gestelltes  Prisma  behufs  des 
binoculareu  Einfachsehens  auslöst,  um  über  die  Functionstüchtigkeit  urtheilen  zu 
können  (Weh).  Endlich  will  man  dadurch  zum  Ziele  gelangen,  dass  man  ?;wischen 
die  Au^en  und  eine  Druckschrift  ein  Lineal  bringt  und  dasselbe  für  den  Kranken 
iinvermerkt  so  in  seiner  Lage  ändert,  dass  bald  das  eine  bald  das  andere  Auge 
gedeckt  erscheint  (Javal).  Es  ist  niclit  zu  läuguen,  dass  mancher  Kranke  durch 
diese  Methoden  bethöret  iind  der  Simulation  überwiesen  werden  könne.  Doch  ist 
nicht  zu  übersehen ,  dass  das  Vorhandensein  binocularer  Doppelbilder  nichts 
Anderes  beweist,  als  dass  qualitative  Licht emijfindung  besteht;  dass  es  aber  keines- 
wegs sehr  beträchtliche  Verminderungen  der  Sehschärfe  ausschliessen  lässt.  Ueberdies 
ist  wohl  zu  beachten,  dass  alle  diese  'N'ersuche  vollständig  versagen  müssen,  wo 
Aev  gemeinschaftliche  Sehact  fehlt,  und  dass  monocular-es  Sehen  etwas  sehr  Gewöhnliches 
in  Fällen  ist,  in  welchen  das  eine  Aiige  durch  irgend  welche  Veranlassung  in 
seiner  Function  geschädiget  ist.  Jene  Versuche  können  daher  um  so  leichter  zu 
falschen  Schlüssen  führen,  als  erfahrungsmässig  simulirte  Leiden  nur  höchst  selten 
völlig  eixlichtete  sind,  dagegen  in  der  Regel  üebertreibungen  vorhandener  Schwächen 
darstellen. 

Pathogenese.  Der  trübe  Netzhaut-  und  Sehnervenschwund  entwickelt 
sich  stets  aus  einer  manifesten  Iveuritis  oder  jSTeurodictyitis.  Der  Uehergang 
aus  einem  Zustande  in  den  anderen  ist  in  der  Regel  ein  sehr  allm'üUger 
und  nicht  immer  in  allen  Tlieilen  des  ehemaligen  Entzündungsherdes  yöllig 
gleichmässiger.  Er  ist  gewöhnlich  mit  einer  merldichen  Aufhellung  der  ent- 
zündlichen Trübung  verknüpft,  was  sich  aus  der  Resorption  der  fettigen 
Producte  allein  zum  grossen  Theile  erklärt ;  zum  anderen  Theile  aber  auch 
einer  successiveu  Umwandlung  des  bindegewebigen  Stroma  und  der  damit  ver- 
knüpften Zunahme  der  optischen  Gleichartigkeit  auf  Rechnung  gehört.  In 
der  That  sieht  man  nicht  ganz  selten  im  Laufe  der  Zeit  unter  fortwähren- 
dem Sinken  des  Selivermögens  die  charakteristische  Trübung  des  Augen- 
grundes beträchtlich  abnehmen  und  es  kömmt  mitunter  sogar  dahin,  dass 
der  Umriss  des  sehnigweissen  Sehnerveneintrittes  wieder  vollkommen  scharf 
und  die  Netzhaut  fast  unsichtbar,  der  ophthalmoskopische  Befund  also  dem 
des  reinen  Schwundes  ganz  ähnlich  wird. 

Die  Umwandlung  des  trüben  in  den  grauen  Schwund  erfolgt  selbst- 
verständlich um  so  leichter  und  vollständiger,  je  weniger  productiv  die 
vorangehende  Entzündung  gewesen  ist.  Indem  nun  die  Exsudation  oft 
eine  überaus  geringfügige  und  ophthalmoskopisch  schwer  nachweisbare  ist, 
so  scheint  es  nicht  selten,  als  ob  die  Neuritis  oder  Neuro dictyitis  unmittel- 
bar in  den  reinen  Schwund  übergegangen  wäre. 

Es  ist  damit  eine  Art  Verbindungsglied  zwischen  dem  entzündlichen 
Schwunde  und  der  grauen  Atrophie  gegeben,  bei  welcher  letzteren  das  Reiz- 
stadium sich  nur  durch  eine  wenig  auffällige  Hyperämie  und  Schwellung  offen- 
bart und  öfters  auch  darum  übersehen  wird,  weil  sie  anfänglich  mit  geringer 
Sehstörung  einhergeht  und  die  Kranken  häufig  erst  veranlasst  werden,  sich 
der  ärztlichen  Untersuchung  zu  stellen,  wenn  die  Schrumpfung  bereits  be- 
gonnen hat. 


Pathogenese  des  reinen  Scli-wundes ;  Verblassiiiig;,  Decoloratio  nerv.  opt.  241 

Nach  allem  dem  scheint  es,  als  ob  nicht  sowohl  ein  essentieller  als 
viclmehi"  blos  ein  gradweiser  Unterscliied  zwischen  dem  entzündlichen  und 
dem  primäi'cn  Schwunde  bestünde  und  dies  zwar  urasomehr,  als  man  sehr 
oft  beide  Formen  in  verschiedenen  Stücken  des  lichtempfindenden  Apparates 
gleichzeitig,  ja   in   demselben  Stücke  nebeneinander  vorfindet. 

Es  kommen  übrigens  sehr  häufig-  Fälle  vor,  in  welchen  es  überaus 
schwierig  ist,  die  ophthalmoskopischen  Erscheinungen  und  die  subjectiven 
Symptome  mit  dem  herkömmlichen  Begriffe  der  Atrophie  zusammenzureimen. 
Oefters  macht  sich  das  charakteristische  Merkmal  des  Schwundes,  die 
Blässe  des  Sehnerveneintrittes,  so  rasch  nach  dem  Auftreten  des  Grund- 
übels oder  nach  der  Einwirkung  einer  ursächlichen  Schädlichkeit  geltend, 
dass  füglieh  von  einer  mittlerweile  erfolgten  Verödung  oder  Schrumpfung 
nicht  wohl  die  liede  sein  könnte,  auch  wenn  die  natürliche  Durchschein- 
barkeit  der  Papille  und  der  Abgang  sonstiger  objectiver  Zeichen  nicht 
direct  gegen  eine  solche  Entartung  spiiichen.  Anfänglich  auf  einen  kleinen 
Theil  der  Papille  beschränkt,  greift  die  Blässe  rasch  um  sich,  ohne  dass 
in  den  dem  Processe  verfallenden  Partien  vorläufig  irgend  welche  Zeichen 
von  Hyperämie  und  Schwellung  zu  bemerken  wären,  bis  endlich  die  gaiize 
Papille  hellweiss  erscheint  und  im  aufrechten  Bilde,  besonders  bei  licht- 
schwachem Spiegel,  eine  bläuliche  oder  grünliche  Färbung  erhält,  welche 
auf  einer  eigenthümlichen  Vei'änderung  der  Nervenfasern  beruhen  soll 
(Ed.  Jaeger,  Mauthner).  Die  Sehstörung  ist  dabei  nach  Grad  und  Zeit 
äusserst  wandelbar  und  kann  sich  thatsächlich  mit  oder  ohne  Rückkehr 
der  natürlichen  röthlichen  Färbung  des  Sehnerveneintrittes  dauernd  oder 
doch  für  längere  Zeit  ivieder  beheben,  so  dass  die  Sehschärfe,  besonders  im 
Centrum,  der  Norm  sich  nähert.  Li  der  Regel  jedoch  nimmt,  während  der 
objective  Befund  Monate  und  selbst  Jahre  lang  der  gleiche  bleibt,  das  Seh- 
vermögen mit  zwischenlaufenden  Besserungen  mehr  und  mehr  ab,  während 
schliesslich  die  grösseren  Gefässe  zu  schrumpfen  beginnen  und  das  Bild 
in  allen  seinen  Zügen  die  wahre  Atrophie  widerspiegelt. 

Fasst  man  alles  zusammen,  so  kanii  man  sich  kaum  der  Vermuthung 
erwehren,  dass  es  sich  anfangs  hauptsächlich  um  Blutleere  der  kleinen  Gefässe 
handle,  und  dass  die  eigenthümliche  Verfärbung  der  Nervenfasern  sowie  der 
am  Ende  gewöhnlich  sich  ausbildende  unzweifelhafte  Schwund  secundäre 
Zustände  seien,  welche  in  der  mangelhaften  Blutzufuhr  mitbegründet  sind. 
Insoferne  nun  blos  in  den  seltensten  Fällen  Anhaltspunkte  gegeben  sind, 
welche  die  Blutleere  der  kleinen  Gefässe  auf  ein  mechanisches  Circulations- 
hindeiniss  zurückzuführen  erlauben  und  weil,  wo  ein  solches  wirklich  an- 
nehmbar wäre,  die  zahh-eicheu  Anastomosen  zwischen  den  Gefässen  des 
Nervenkopfes  und  der  Aderhaut  die  Umgehung  desselben  auf  eollateralem 
Wege  in  kürzester  Zeit  anbahnen  müssten:  so  bleibt  vorderhand  nichts 
übrig,  als  Gefässkrämpfe  für  das  pathogenetische  Moment  der  Blutleere 
zu  halten,  obwohl  die  lange  Dauer  des  ischämischen  Zustandes  schwer 
damit  in  Einklang  zu  bringen  ist. 

Diese  Hypothese  als  richtig  vorausgesetzt  würde  sich  die  einfache  Ver- 
blassnng  des  Sehnerveneiutrittes  zur  wahren  Atrophie  wie  Ursache  zur  Wirkung 
verhalten  und  eine  strenge  Trennimg  beider  Zustände  erheischen.  In  der  Praxis 
grenzen  sich  jedoch  dieselben  zu  wenig  von  einander  ab,  als  dass  sich  die 
Scheiduno-  folsrericlitisf  durchführen  liesse.  Man  will  zwar  die  ivaJirnelimhare  Schruvi- 
pfung  der  grossen   Gefässe  als    die  unerlässlicJie  Bedingung   zur  Anerkennung  einer 

St  eil  wag,  Augenheilkunde.  16 


242  Sehnervenschwnnd ;  Ursachen;  Verlauf;  primäre  Form. 

wahren  Atrophie  erklären  und,  wo  sie  fehlt,  blos  von  einer  Decoloratio  sprechen 
(Ed.  Jaeger,  MauthnerJ;  doch  liegt  es  auf  der  Hand,  dass  bei  unzweideutigem  Her- 
vortreten des  fraglichen  Symptomes  der  Schwund  schon  sehr  weit  vorgeschritten 
sein  müsse  und  es  geht  wohl  nicht  leicht  an,  die  niederen  Entwicklungsgrade 
des  Processes,  welche  sich  von  der  Decoloratio  nicht  abgrenzen  lassen,  als  ganz 
verschiedene  Zustände  in  das  nosologische  System  einzureihen. 

Bedenkt  man,  dass  eine  und  dieselbe  Ursache  unter  scheinbar  ganz 
gleichen  Verhältnissen  primär  bald  zur  Verfärbung,  bald  zu  rasch  progressivem 
Schwunde,  bald  zu  manifester  Entzündung  führt,  bedenkt  man  weiter, 
dass  diese  Zustände  auch  unmittelbar  in  einander  übergehen  und  durch 
zahllose  Zwischenforrnen  mit  einander  zusammenhängen:  so  kann  man  an 
der  nahen  Verwandtschaft  derselben  kaum  zweifeln  und  man  wird  vielleicht 
nicht  fehl  gehen,  wenn  man  in  ihnen  blos  verschiedene  Reactionsformen  des 
sympathischen  Nerven  vermuthet.  Dass  der  letztere  dabei  keine  unwichtige 
EoUe  spielt,  lässt  sich  übrigens  aus  der  öfters  nachweisbaren  Empfindlich- 
keit des  cervicalen  Grenzstranges  und  aus  der  noch  allerdings  kleinen 
Anzahl  von  Fällen  entnehmen,  in  welchen  die  Galvanisation  des  Hals- 
sympathicus  merkliche  Besserung  der  fraglichen  Zustände  erzielt  hat 
(Benedikt). 

Ursaehen  und  Verlauf.  A)  Das  Sehnervenleiden,  welches  im  aus- 
gesprochenen Schwunde  des  Opticus  und  der  Xetzhaut  gipfelt,  entwickelt 
sich  sehr  häufig  primär.  Es  beschränkt  sich  der  Process  dann  oft  auf  das 
Vorderstück  des  Sehnerven,  greift  nicht  über  das  Chiasma  hinaus.  In 
anderen  Fällen  aber  schreitet  er  darüber  hinweg  auf  den  anderen  Seh- 
nerven und  auf  die  gleichseitige  Stria.  Er  lässt  sich  an  der  letzteren 
gewöhnlich  bis  zu  den  knieförmigen  Körpern,  ausnahmsweise  bis  zu  den 
Ursprungskernen  im  Seh-  und  Vierhügel,  oder  gar  längs  den  verbindenden 
Faserzügen  bis  in  die  hinteren  Rückenmarksstränge  oder  in  die  Hirnrinde 
verfolgen. 

1.  Das  primäre  Sehnervenleiden  ist  sehr  gewöhnlich  insofeme  ein 
selbstständiges,  als  es  alle  seine  Phasen  durchmacht,  ohne  dass  irgend  ein 
anderes  Organ  sich  merklich  dabei  betheiligt,  es  wäre  denn,  dass  die  ur- 
sächliche Schädlichkeit  von  vorneherein  auf  einen  grösseren  Bezirk  ein- 
wirkt. Die  Sehstörung  steht  im  ersten  Falle  mit  den  ophthalmoskopischen 
Zeichen  des  Nervenleidens  natürlich  allein  da,  oder  ist  höchstens  mit  An- 
fällen von  Kopfschmerzen  gepaart. 

Auf  diesen  Mangel  bedeutsamer  Nebenerscheinungen  stützt  sich  denn  aiich 
wesentlich  die  Diagnose  des  primären  und  reinen  Sehnervenleidens.  Doch  ist  dabei 
wohl  in  Anschlag  zu  bringen,  dass  in  der  Schädelhöhle  nicht  selten  höchst  deletäre 
Processe  verlaufen ,  krankhafte  Geschwülste  zu  beträchtlichem  Umfange  heran- 
wachsen u.  s.  w.,  ohne  sich  durch  auffällige  Symptome  zu  verrathen.  Andererseils 
darf  nicht  übersehen  werden,  dass  ausnahmsweise  mehrere  Gehirnnerven  gleichzeitig 
oder  kurz  hinter  einander  zu  leiden  beginnen,  trotzdem  ein  gemeinsamer  Herd  weder 
in  den  Centraltheilen  noch  in  den  Hüllen  des  Gehirnes  gegeben  ist. 

Den  Kopfschmerzen  wird  noch  vielseitig  eine  grössere  diagnostische  Wich- 
tigkeit beigelegt,  als  ihnen  eigentlich  gebührt.  Sie  können  nämlich  bei  jeder  pa- 
thogenetischen Form  des  schwarzen  Staares  fehlen ,  ebenso  gut  aber  auch  vorhan- 
den sein ,  ohne  sich  durch  besondere  und  eigenthümliche  Merkmale  auszuzeichnen. 
Auch  ist  wohl  zu  beachten,  dass  schon  in  der  vermehrten  Anstrengung  amblyopi- 
scher  Augen  behufs  deutlicherer  Wahrnehmungen  eine  Quelle  von  Reizungen  liegt, 
welche  gleich  wie  bei  der  Asthenopie  auf  die  vasomotorischen  Nerven  übertragen 
werden  können,  wie  denn  auch  die  stärkere  Blutfülle  in  den  Gelassen  der  Con- 
junctiva,  der  Netzhaut  und  Papille  andeutet.  In  der  That  lassen  sich  solche 
Schmerzen  häufig  durch  Aufgeben  jeder  Bethätigung  des  Sehorganes  beschwichtigen. 


Erblichkeit ;  fiinctionelle,  mechanische  Schädlichkeiten ;  Congestivform.  243 

In  einzelnen  Fällen  mag  indessen  allerdings  der  Reiz  von  dem  Localherde  selbst 
ausstrahlen  und  der  Kopfschmerz  bei  primärem  Sehnervenleiden  eine  ähnliche 
Rolle  spielen,  wie  die  Rückenmarksschmerzen  bei  grauer  Degeneration  der  Ilinter- 
stränge  (Graefe).  Hier  wie  dort  tragen  die  Schmerzen  den  congestiven  Charakter, 
steigern  sich  bei  jeder  Gelegenheit  zu  Kreislaufstörungen,  beim  Bücken,  bei 
raschen  Bewegungen  u.  s.  w.,  unterscheiden  sich  also  nicht  wesentlich  von  solchen, 
welche  bei  anderweitig  begründeten  intracraniellen  Hyperämien  auftreten  und  oft 
auch  wohl  wahre  Encephalopathien  oder  Meningealleiden  begleiten. 

Es  entwickelt  sich  das  primäre  Sehnervenleiden  häufig,   ohne  dass  sich 

eine  bestimmte  und  genügende    Ursache  auffinden  liesse.     Mitunter  scheint 

die  Anlage   dazu  sogar  ererbt  zu  sein. 

So  kommen  nicht  gar  selten  Fälle  vor,  wo  mehrere  Glieder  Einer  Familie 
(Himly ,  Mooren,  Graefe),  selbst  in  mehreren  auf  einander  folgenden  Generationen 
(Beer),  während  bestimmter  Lebensepochen  amblyopisch  w'erden.  Doch  düifte  es 
sich  hier  nicht  immer  um  eine  primäre  Erkrankung  des  Sehnerven  handeln, 
sondern  oft  um  intracranielle  Leiden  anderer  Art,  Congestivzustände  u.  s.  w.  welche 
erst  mittelbar  zur  Wucherung  im   Opticus  führen. 

In  anderen  Fällen  mögen  ähnliche  functionelle  Schädlichkeiten  den 
Anstoss  geben,  wie  selbe  der  diffusen  (S.  197)  Neurodictyitis  zu  Grunde 
gelegt  werden.  Es  wäre  auch  gar  nicht  abzusehen,  warum  derlei  Schäd- 
lichkeiten ihren  Einüuss  ledighch  auf  das  Vorderende  des  Sehnerven  geltend 
zu  machen  fähig  sein  sollten.  Anderseits  gehen  unter  solchen  Umständen 
die  Sehstörungen  wirklich  bisweilen  der  Entwickelung  der  charakteristischen 
ophthalmoskopischen  Erscheinungen  voraus  und  gestatten  die  Annahme, 
der  Process  sei  allmälig  von  den  tieferen  Theilen  des  Nerven  gegen  den 
Binnenraum  des  Auges  hin  vorgerückt. 

Das  Sehnervenleiden  kann  übrigens  auch  auf  reiii  mechanische  Weise 
durch  Zusammenhangstrennung  oder  durch  plötzliche  Raumbeengung  eines 
Theiles  des  lichtempfindenden  Apparates  von  Seite  hämorrhagischer  Extra- 
vasate (S.  176),  seröser  Ausschwitzungen,  entzündlicher  Herde  oder  After- 
gebilde in  der  Orbita  oder  innerhalb  der  Schädelhöhle  (siehe  Encephalopathien) 
begründet  werden.  Gewöhnlich  ist  es  dann  jedoch  nicht  sowohl  die  Com- 
pression  als  solche,  als  das  Uebergreifen  des  krankhaften  Processes,  welches 
das  Nervenleiden  begründet. 

In  einem  Falle  Hess  sich  das  Sehnervenleiden  auf  ein  Extravasat  zurück- 
führen, welches  das  Chiasma  umhüllte  und  zusammendrückte  (Stevenson).  Zweimal 
fand  man  die  eine  oder  beide  Wurzeln  des  Sehnerven  d,urch  Knochensplitter  zer- 
trümmert, welche  in  Folge  einer  stumpfen  Gewalt  vom  Boden  der  Schädelhöhle  ab- 
gesprengt worden  waren  (Steffan,  Chassaignac).  Oefter  lag  die  Quelle  binocularer  Amau- 
rosen in  apoplectischen  Gewebszerstörungen  oder  in  Compressionen  des  einen  Seh- 
hügels (Beck,  Andrea  und  A,,  Law)  oder  anderer  Gehirntheile  (Siehe  Encephalo- 
pathien). 

2.  In  einzelnen  Fällen  glaubt  man  locale  Hyperämien  als  das  patho- 
genetische Moment  annehmen  zu  dürfen.  Ohne  Zweifel  können  Congestiv- 
zustände sehr  belangreich  werden,  wo  die  XJrsprungskerne  der  Nerven- 
fasern, oder  diese  selbst  in  irgend  einem  Punkte  ihrer  Bahn  schon  vorläufig 
eine  Raumbeengung  erlitten  haben,  sei  es  durch  nachbarliche  Geschwülste, 
seröse  Ausschwitzungen,  seröse  Producte  u.  s.  w.  Dem  entsprechend 
kommen  denn  auch  wirklich  Amaurosen  zur  Beobachtung,  welche  blos 
hervortreten  oder  sich  aufi'ällig  verschlimmern,  wenn  in  Folge  stärkerer  Auf- 
regung der  Herzthätigkeit  Veranlassung  zu  Congestionen  gegeben  wird ;  aber 
wieder  gänzlich  oder  auf  den  früheren  Grad  zurückgehen,  wenn  die  Circulations- 
störung  vermindert  oder  getilgt  worden  ist.  Im  Uebrigen  ist  nicht  zu  über- 

16* 


244  Sehnervenschwund ;  Ursachen;  Verlauf;  Congestive  xi.  anämische  Formen. 

sehen,  dass  intracranielle  Blutüberfiüliingen  mittelbar  durch  die  sie  be- 
gleiteudeu  ödematösen  Infiltrationen  zu  mechanischen  Functionshindernissen 
werden  können,  besonders  aber,  dass  sie  sehr  gerne  Entzündungsprocesse 
anregen  und  begleiten,  welche  sich  nicht  immer  durch  die  charakteristischen 
Merkmale  der  Entzündung  verrathen,  sondern  recht  oft  lange  verborgen 
bleiben,  auch  wenn  sie  fiehx  productiv  wären,  bis  endlich  die  Erscheinungen 
des  grauen  Schwundes  oder  gar  einer  manifesten  N^eurodictyitis  descendens 
im  Augenspiegelbilde  zu  Tage  kommen.  Doch  steht  es  sehr  dahin,  ob 
diese  Erklärungen  für  alle  Fälle  zutreffen.  Das  Nebenher-  und  Voraus- 
gehen gewisser  Zeichen  von  fitrnhyperämie  oder  vielleicht  partieller  intra- 
ocidarer  Gefässüberfüllungen,  das  oft  fast  plötzliche  Auftreten  oder  doch 
überaus  rasche  Ansteigen  der  Sehstörung,  der  nicht  seltene  sehr  auffiillige 
Gradioechsel  der  letzteren,  je  nachdem  die  Umstände  einer  Ab-  oder  Zu- 
nahme der  Stockungen  günstig  sind,  weiters  das  bisweilige  schnelle  Zurück- 
gehen der  Amaurose  und  die  etwaigen  Erfolge,  welche  örtliche  Blutent- 
ziehungen hier  und  da  gehabt  haben  sollen,  endlich  der  Mangel  aller  auf 
Gewebsveränderungen  hinweisenden  Symptome  sind  Gründe  genug,  um  für 
einen    Theil  der  Fälle  an  dem    Congestivchar akter  festzuhalten. 

Unter  solchen  Vorbehalten  mag  man  jene  Amaurosen  congestive  nennec, 
welche  manchmal  nach  Unterhrechungen  der  Menstruation  {Mackenzie  ,  Himly, 
Lawson,  Graefe),  in  gewissen  Perioden  der  Schicangerschaß  (Mackenzie,  Ringlaud 
u.  A.,  Laicson,  Krauts),  nach  heftigen  Gemüthshewegungen  (Beer),  nach  Anfällen 
von  Husten,  Niesen,  Erbrechen,  während  der  Geburtsarbeit  (Ullersperger)  oder  über- 
mässigen Muskelanstrengungen  anderer  Art,  in  Folge  der  Zusammensehnürung  des 
Halses  durch  enge  Kleidungsstücke  oder  durch  Würgen  (HimJy,  Mackenzie),  nach 
Ueberbürdungen  des  Sehorganes  u.  s.  w.  aufgetreten  sind.  Auch  mag  man  unter 
gleichen  Rücksichten  jene  Amaurosen  hierher  zählen,  welche  man  nach  und  wegen 
der  Unter driickung  gewisser  habitueller  Secretionen  und  Hümorrhagien  {Mackenzie, 
Himly,  Arlt,  Graefe),  insbesondere  der  Fussschweisse  (Deval,  Spengler,  Mooren,  Eris- 
mann,  Benedikt)  und  der  Milcliahsondernng  (Beer)  beobachtet  haben  will.  Nicht 
minder  lassen  sich  manche  jener  schwarzen  Staare  in  diese  Gruppe  stellen,  welche 
man  icährend  (Seidel),  häufiger  aber  nach  Ahlaif  von  Pneumonien,  chronischen 
Lungenkatarrhen,  Anginen  etc.,  zumal  bei  Bläsern,  entstehen  sah  (Sichel).  Ob  auch 
die  mit  Wechselßeber  einhergehenden  und  bisweilen  intermittirenden  Sehstörungen 
(Himly,  Zehend,er),  so  wie  die  bei  Wechselßebercachexie  vorkommenden  Amblyopien 
(Schreder)  hier  am  geeigneten  Platze  sind,  ist  schwer  zu  errathen. 

3.  In  anderen  Fällen  wird  das  Sehnervenleiden  mit  anämischen  Zu- 
ständen in  ^"erbindung  gebracht.  Es  zählen  hierher  Amaurosen,  welche 
sich  mitunter  bei  sehr  weit  gediehener  Blutarmuth,  in  den  späteren  Stadien 
der  Zuckerruhr  und  nach  schweren  Krankheiten,  in  Folge  erschöpfender  Säfte- 
verluste {Mackenzie,  Himly),  bei  höchstgradiger  Bleichsucht  (Cunier),  insbe- 
sondere aber  nach  Metrorrhagien  {Ai-lt,  Mooren),  Haemoptoe  {Rittmann),  Ma- 
genblutungen {Ed.  Jaeger,  Graefe,  Fikentscher,  Sellheim,  Mooren,  Jacobs, 
Colsmann,  Hutchinson)  eingestellt  haben,  Sie  waren  meistens  beiderseitig 
und  häu£g  gingen  ihnen  Störungen  in  anderen  Nervengebieten  voraus,  so 
dass  sie  nur  als  eine  Theilerscheinung  ausgebreiteter  intracranieller  Leiden 
betrachtet  werden  konnten.  Der  schwarze  Staar  bekundete  sich  oft  als 
ein  allmäliges  Sinken  der  relativen  Sehschärfe  im  ganzen  Umfange  des 
Gesichtsfeldes,  meistens  mit  seitlichen  Einschränkungen,  schwankte  aufiing- 
lich  nicht  selten  dem  Grade  nach  oder  ging  wohl  gar  wieder  vollständig 
zurück.  In  anderen  Fällen  stios-  die  Sehstörung  überaus  rasch  bis  zum 
völügen  Erlöschen  der  Lichtempfindung,  oder  trat  plötzlich  auf,  vei'harrte 
einige  Tage  oder  "Wochen  auf  diesem  Höhenpunkte  und  verschwand  allmäUg 


Amaurosis  n:iili  liliitverlnstcn;  A.  diabetica;  intoxicativa ;  sahiiiiiiiii.  245 

g-anz  oder  mit  Hintorlassuiip;  belangreicher  Befecte.  In  der  Regel  jedoch 
zeigten  sich  bei  der  einen  und  der  anderen  Verlaufsweise  binnen  kurzem, 
die  Merkmale  begimienden  Sc.hnervenschwundes,  öfters,  nachdem  sich  vorläufig 
an  der  l*apille  und  der  Netzhaut  bestimmte  Zeichen  entzündlicher  Wucherung 
geltend  gemacht  hatten.  ICs  kam  dann  bisweilen  allerdings  zu  einer 
vorübergeheiiden  Besserung  des  Sehvermögens ,  niemals  aber  zu  einer 
wahren  llelluag;  vielmehr  erwies  sich  die  Atrophie  stets  als  eine  fort- 
schreitende, selbst  wenn  nachträglich  das  Grundleiden  dauernd  beseitiyt  und 
die  Punction  der  übrigen  mitergriffenen  Nerven  zur  Norm  zurückgefiihrt 
worden  wäre. 

Was  insonderheit  nocli  die  mit  Blutverlusten  in  Verbindung  gebrachten 
schwai'zen  Staare  betritlY,  so  kömmt  in  Betracht,  dass  dieselben  öfters  erst  einige  Zeit 
nach  der  llämorrliagie  zur  Entwickhing  kamen,  ja  nachdem  die  Blutmenge  sich 
wieder  gehohen  hatte  und  die  unmittelbaren  Folgen  des  Bkitverlustes  theil weise  zum 
Ausgleich  gekommen  waren;  dass  weiters  die  veranlassende  Hämorrhagie  durchaus 
nicht  immer  so  bedeutend  erschien,  um  aus  ihr  allein  anaemische  Zustände  ableiten 
zu  können  (Graefe).  Es  liegt  darum  sein-  nahe,  das  Sehnervenleiden  auf  vasomo- 
torische Störungen  zurückzuführen.  Die  ausserordentliche  Verdünnung  der  Netzhaut- 
gefässe,  welche  in  einzelnen  Fällen  beobachtet  wurde  (Graefe),  steht  damit  im 
Einklänge,  und  die  auffällige  Trübung  der  Retina  und  Papille,  welche  Andere  sahen 
(Ed.  JaegerJ,  lässt  sich  ebenso  gut  auf  Entzündung  als  auf  Verfettigung  der  Ele- 
mente in  Folge  mangeiliaftcr  Blutzufuhr  beziehen. 

Die  diabetischen  Amaurosen  haben  sich  grossen  Theiles  als  blosse  Accom^no- 
dutionsparesen  enthüllt  (Graefe,  Nagel).  In  einzelnen  Fällen  handelte  es  sich  um 
manifeste  Neurodictyitis  (S.  198).  Das  öftere  Nebenhergehen  und  isolirte  Vorkommen 
von  Functionsbehinderungen  in  verschiedenen  anderen  Nervenbezirken  (Seegen),  so 
wie  die  Beoliachtung  hemiopischer  Einschränkungen  des  Gesichtsfeldes  (Graefe) 
deuten  darauf  hin,  dass  das  intracranielle  Leiden,  welches  in  dem  Reste  der 
Fälle  der  Amaurose  zu  Grunde  liegt  und  auch  einige  Male  nachgewiesen  worden 
ist  (Luys ,  Tardieu) ,  dem  Sitze  und  der  Grösse  nach  sehr  wandelbare  Herde 
bilden    kann. 

4.  In  einer  weiteren  Reihe  von  Fällen  sucht  man  das  ätiologische 
Moment  in  der  Einivirkung  gewisser,  dem  Blute  heigemischter  krankhafter 
oder  fremdartiger  Stoffe  auf  die  Centralorgane  und  den  lichtempfindenden 
Apparat. 

In  erster  Linie  steht  die  Amaurosis  saturnina  (Beer).  Es  ist  allerdings 
der  Verdacht  gerechtfertigt,  dass  viele  der  älteren  Beobachtungen  auf 
blosse  Lähmungen  im  Ciliarsysteme  zu  beziehen  seien.  In  einzelnen  Eällen 
mag  auch  Albuminurie  im  Spiele  gewesen  sein  (Danjoy),  oder  selbst  eine 
nephritische  Neurodictyitis  zu  Grunde  gelegen  haben  (Desmarres,  Lancereaux, 
Lecorche,  FolUn,  Danjoy,  Ed.  Meyer).  Doch  steht  es  fest,  dass  die  Blei- 
vergiftung loahre  schwarze  Staare  veranlassen  könne.  Man  hat  selbe  aus- 
nahmsweise nach  vorausgängigen  heftigen  Kopfschmerzen  bei  Mangel  son- 
stiger Nervensymptome  entstehen  (Deshois,  Tanquerel)  und  wieder  zurück- 
gehen (Hirschler),  aber  auch  ständig  werden  sehen  (Rau).  In  der  Regel 
jedoch  entwickelten  sie  sich  erst  nach  wiederholten  Anfallen  von  Kolik 
oder  anderen  Formen  der  Bleikrankheit.  Sie  bildeten  sich  dann  bisweilen 
ganz  allmälig  aus  und  vergesellschafteten  sich  bald  mit  ophthalmoskopisch 
nachweisbarem  Opticusschwuude.  Häufiger  traten  sie  plötzlich  neben  ander- 
weitigen allarmirenden  Nervensymptomen  während  eines  acuten  Anfalles 
von  Bleikrankheit  hervor  und  gediehen  dann  meistens  rasch  zur  voll- 
ständigen vorübergehenden  oder  bleibenden  Blindheit.  Wenn  nicht  alle 
Zeichen    trügen,     so    ist    Anämie    des     Gehirnes    mit    oder  ohne   ödematöser 


246  Sehnervenschwund ;  Ursachen;  Verlauf:  Amaurosis  intoxicativa,  alcoiolica,  taliacma. 

Schwellung  desselben  die  nächste  Ursache  nicht  nur  der  verschiedenen 
jS'ervensymptome  und  darunter  der  Sehstörung,  sondern  auch  der  Stuhh-er- 
stopfung  und  der  verminderten  Harnsecretion.  Die  Anämie  selbst  ist  wieder 
aus  der  Einwirkung  des  im  Gehirne  chemisch  nachgewiesenen  Bleies 
(Bouillaud)   auf  die  kleinen  Gefässe  abzuleiten  (Rosenstein). 

Es  schliesst  sich  daran  die  Amaurosis  nrämica  fß.  215),  da  diese 
gleichfalls  auf  Anämie  des  Gehirnes  zu  beruhen  scheint  und  aus  der  Ein- 
Wirkung  des  im  Blute  zurückgehaltenen  Harnstoffes  auf  die  vasomotorischen 
JS^erven  abzuleiten  ist  (Traube). 

In  neuerer  Zeit  wird  wieder  dem  Missbrauche  geiüiger  Getränke  Schuld 
an  dem.  Zustandekommen  schwarzer  Staare  gegeben  und  als  Beweisgrund 
der  Umstand  betont,  dass  durch  gänzliches  Aufgeben  des  Sufes  das  Leiden 
öfters  zum  Stillstande  oder  gar  zur  Heilung  gebracht  werden  konnte  (Sichel, 
Erismann).  So  viel  steht  fest,  dass  die  Amblyopie  bei  Gewohnheitssäufern 
in  einem  auffallend  grossen  procentarischen  Verhältnisse  beobachtet  wird. 
Es  gehen  hier  in  der  Hegel  Zeichen  der  Hirnreizung  voraus,  auch  lässt  sich 
anfänglich  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  eine  starke  Hyperämie  der  Papille  nach- 
weisen. Späterhin  deutet  das  Kjankheitsbild  mehr  auf  Stumpfheit  des  Gehirnes, 
während  die  Papille  allmälig  vprblasst  und  schhesslich  alle  charakteristischen 
Symptome  der  Atrophie  nachweisen  lässt.  Die  Sehstörung  äussert  sich  im 
Beginne  des  Leidens  öfters  unter  der  Gestalt  des  Nachtnebels,  bald  aber 
wird  die  Amblyopie  ganz  manifest.  Die  letztere  steigt  meistens  langsam, 
oft  mit  Unterbrechungen  zu  sehr  beträchtlichen  Graden,  ohne  dass  sich 
Einschränkungen  oder  Unterbrechungen  des  Gesichtsfeldes  geltend  machten. 
Das  Farbenunterscheidungsvermögen  bleibt  dabei  in  der  Regel  lange  vöZZ/^»  normal. 
Mitunter  jedoch  lässt  sich  Chromatodesopsie,  besonders  Rothblindheit,  in  den 
centralen  jS'etzhautportionen  nachweisen  (Leber).  Die  Amblyopia  potatorum 
ist  stets  beiderseitig  und  in  beiden  Augen  zu  ziemlich  gleicher  Höhe  ent- 
wickelt. Es  scheint,  dass  bei  dem  Zustandekommen  dieses  Zustandes  neben 
der  Einwirkung  des  weingeistgeschiüängerten  Blutes  auf  das  Gehirn  auch  die 
mannigfaltigen  Vegetationsstörungen,  zu  welchen  der  Suf  und  das  damit 
verbundene  unregelmässige  Leben  Anlass  geben,  von  pathogenetischer  Be- 
deutung seien  (Erismann).  Manche  glauben  chronische  Meningitis  als  einen 
häufigen  Factor  in  Betracht  ziehen  zu  müssen. 

Auch  dem  Missbrauche  des  Tabakes  wird  eine  Rolle  unter  den  aetiologischen 
Momenten  der  Amaurose  zugesprochen  (Mackenzie,  Sichel,  Loureiro,  Hutchinson, 
Thielesen,  Jackson)  und  diese  Annahme  mit  dem  öfteren  Zurückgehen  des  Leidens 
bei  völliger  Abstinenz  von  dem  genannten  Gemissmittel  begründet.  Es  soll  die 
Amaurosis  tabacina  nur  selten  selbstM'dndig  auftreten,  vielmehr  in  der  Regel  mit 
der  aJcohoUca  gepaart  sein  und  überdies  nur  bei  Leuten  vorkommen,  die  sich  der 
ordinärsten  Tabaksorten  und  sehr  unreinlich  gehaltener  Pfeifen  bedienen.  Man 
glaubt  das  Sehnerijßnleiden  aus  der  Einwirkung  grosser  Mengen  von  Nicotiyi  auf 
das  Gehirn  erklären  zu  müssen  (Erismann). 

In  Betreff  der  Amaurosen,  welche  durch  den  innerlichen  Gebrauch  starker 
oder  vieler  Dosen  des  Opium,  der  Mydriatica,  der  Ignatiushohne,  der  Nux  vomica  etc. 
(Beer,  Himly),  durch  das  Mutterkorn  (J.  Meyer)  hervorgerufen  werden  sollen,  gilt 
Aehnliches.  Doch  sind  dieselben  noch  viel  weniger  genügend  untersucht  und 
man  kann  sich  nur  dahin  mit  Beruhigung  aussprechen,  dass  die  Mehrzahl  der 
Fälle  durch  Mydriasis  vorgetäuscht  worden  sein  möge.  Zweimal  hat  man  Amaurose 
nach  grossen  Dosen  von  Chinin  gesehen  und  glaubt  aus  der  Heilwirkung  ört- 
licher Blutentziehungen  auf  Congestivzustmide  als  die  Vermittler  schliessen  zu  dürfen 
(Graefe). 


Amaurosis  nach  liebeihaften  Krankheiten ;  A.  ischaemica.  247 

5.  Unzweifelhaft  besteht  ein  pathogenetischer  Zusammenhang  zwischen 
dem  amaurotischen  Sehnervenleiden  und  gewissen  schweren  fieberhaften 
Kranlheiten,  acuten  l'^xanthemen,  Typhus,  Pucrpei'ium  etc.,  selbst  Pneumonien, 
Anginen,  acuten  Darmcatarrhen  u.  s.  w.  Es  kömmt  in  deren  Verlaufe 
nämlich  bisweilen  überaus  rasch  zu  symmetrischen  beiderseitigen  und  dann 
mit  hochgradiger  Mydriasis  gepaarten,  selten  zu  einseitigen  Erblindungen, 
ohne  dass  andere  Symptome  auf  ein  Mitergriffensein  irgend  eines  Hirn- 
theiles  oder  der  Meningen  hinwiesen.  Es  gehen  diese  schwarzen  Staare 
manchmal  ohne  nachweisbare  Veränderungen  in  den  Binnenorganen  des 
Auges  einher;  manchmal  beschränken  sich  diese  auf  leichte  und  obendrein 
sehr  wandelbare  vorübergehende  Anschwellungen  und  Trübungen  der 
Papille,  sowie  auf  die  Erscheinungen  geringer  Blutstauung.  Der  gewöhn- 
liche  Ausgang  ist   Heilung,  häufig  ohne   Hinterlassung  von  Spuren  {Graefe). 

In  einzehien  Fällen  glaubte  man  solche  nach  Typhus  oder  Scharlach  auf- 
tretende transitorische  Amaurosen  durch  Oedem  der  Gehirnhäute  oder  des  Opticus 
erklären  zu  dürfen  '(Betke,  Ebert).  Im  Ganzen  ist  jedoch  der  massgebende  Factor 
dunkel.  Der  Umstand ,  dass  die  Iris  bei  dieser  Form  der  Amaurose  sowohl  auf 
reflectorische  Reize  als  consensuelle  Innervationen  ausgiebig  reagirt,  deutet  darauf 
hin  ,  dass  die  Leitungshemmung  des  Sehnerven  jenseits  der  Vierhügel,  näher  der 
Hirnrinde,  stattfinde  (Graefe). 

B)  In  einer  anderen  Reihe  von  Fällen  beruht  das  Leiden  zweifels- 
ohne auf  einer  plötzlichen  Unterbrechung  des  arteriellen  Btutstromes  vi  den 
vordersten  Partien  des  lichtempfindenden  Apparates,  indem  die  Sehstörung 
immer  blitzähnlich  auftritt,  oder  doch  sich  binnen  der  kürzesten  Zeit  bis 
zur  vollständigen  Amaurosis  entwickelt  und  mit  einer  höchst  autfälligen 
Verengerung  einzelner  oder  aller  Hauptäste  der  centralen  Netzhautschlagader 
einhergeht. 

Die  betreffenden  Aeste  erscheinen  unter  solchen  Verhältnissen  ent- 
weder vollkommen  blutleer,  zu  feinen  drehrunden  weissen  Fäden  verdünnt, 
oder  es  lässt  sich  in  ihrer  Axe  noch  eine  höchst  zarte  continuirliche,  aus- 
nahmsweise wohl  auch  unterbrochene  (Quaglino)  Blutsäule  als  eine  rothe 
Linie  erkennen.  Die  Verdünnung  betrifft  meistens  die  ganze  Länge  der 
Arterien  und  ist  so  beträchtlich,  dass  die  secundären  Aeste  sich  schon  völlig 
der  Wahrnehmung  entziehen,  oder  dass  selbst  die  Hauptstämme  nur  auf 
dem  Sehnerveneintritte  und  in  dessen  nächster  Umgebung  deutlich  erkannt 
werden  können.  In  anderen  Fällen  beschränkt  sich  die  Verdünnung  auf 
Theile  der  Schlagadern,  es  erscheint  der  der  Gefässpforte  nächste  Theil 
ziemlich  gefüllt,  während  die  peripheren  Enden  ganz  verschwinden  {Knapp), 
oder  es  sind  die  Centralstücke  nahezu  blutleer  und  die  Gefässe  nehmen 
gegen  den  Aequator  hin  wieder  an  Füllung  zu  (Blessig);  oder  es  ist  ein 
Gefäss  in  der  Mitte  seines  Verlaufes  fadenförmig  contrahirt  und  sowohl  an 
der  Gefässpforte  als  an  der  Peripherie  wieder  bluthältig  (Sämisch,  Hirsch- 
mann) ;  oder  endlich  es  findet  das  gerade  Gegentheil  statt,  es  zeigt  sich 
eine  Arterie  eine  Strecke  weit  blutgefüllt  und  verdünnt  sich  von  da  ab 
nach  beiden  Richtungen  (Wecker^  Just).  Als  ein  besonderes  Charakteristicum. 
des  Leidens  wird  hervorgehoben,  dass  die  verengten  Arterien  durch  einen 
auf  den  Bulbus  ausgeübten  starken  Druck  in  der  Regel  nicht  zum  Pulsiren 
gebracht  werden  können  und  dass  bei  diesem  Manöver  überhaupt  keine  Ver- 
änderung in  dem  Caliber  der  Arterien  und  Venen  zu  bemerken  ist  (Knapp). 
In  einem  Falle  jedoch  waren  die  Pulsationen  sehr  auffällig  (Secondi). 


248  Sehuervenscliwnnd;  Ursachen;  Verlauf;  Amaurosis  ischaemica. 

Die  Netzhautvenen  sind  dabei  im  Allgemeinen  etwas  schmäler  als  üi 
der  Norm,  seltener  gleichfalls  zu  dünnen  Fäden  verengert  (Stefan,  Landes- 
berg). Mitunter  erscheinen  sie  blos  auf  eine  Strecke  hin,  besonders  im 
Bereiche  der  Papille,  merklich  zusammengezogen,  stellenweise  aber  auch 
wohl  etwas  verbreitert  und  zwar  ist  bald  der  centrale,  bald  der  periphere 
Theil,  bald  ein  Stück  aus  der  Mitte  verengt  oder  erweitert.  In  einzelnen 
Fällen  ist  ihre  Füllung  eine  ganz  ungleichmässige,  es  wechseln  stark  ge- 
füllte mit  fast  leeren  Partien  ab,  ja  ausnahmsweise  fand  man  die  Blut- 
säule in  ihuen  mehrfach  unterbrochen  und  die  einzelnen  Abschnitte  der- 
selben in  imregelmässigen  stossweisen  undulirenden  Bewegungen  (Ed.  Jaeger, 
Graefe,  Steffan,  Liebreich).  In  einem  Falle  enthielt  eine  Vene  strecken- 
weise blos  in  Umwandlung  begriffene   Blutgerinnsel   (^Liebreich). 

Die  Sehnervenpapille  erscheint  kurz  nach  dem  Auftreten  der  Seh- 
störung bald  verblasst,  bald  der  des  gesunden  Auges  gleichgefdrbt,  bald 
deutlich  geröthet  und  pflegt  überhaupt  während  dem  Verlaufe  des  Leidens 
ihren  Blutgehalt  zu  wechseln.  Ihre  Grenze  ist  anfänglich  vollkommen 
scharf,  doch  bald,  gewöhnlich  schon  nach  Verlauf  weniger  Stunden  oder 
Tage,  selten  später  (Graefe),  beginnt  im  Bereiche  derselben  so  wie  in  der 
Gegend  der  Macula  lutea  das  Xetzhautgefüge  sich  auffdlUg  zu  trüben.  Die 
Trübung  ist  sehr  dicht,  graulich  oder  bläulich  weiss,  ziemlich  gleichmässig 
oder  leicht  wolkig  mit  verschwommenen  Eändern ,  ausnahmsweise  fein 
getüpfelt  {Graefe)  und  im  späteren  Verlaufe  bisweilen  von  Gefässen  durch- 
sponnen.  Sie  pflegt  sich  von  den  beiden  genannten  Ausgangspunkten  auf 
grössere  Strecken  der  Netzhaut  auszubreiten,  kann  sich  aber  auch  auf  den 
Verzweigungsbezirk  eines  einzelnen  Hauptastes  beschränken,  falls  dieser 
allein  blutleer  wäre,  und  überhaupt  an  jeder  beliebigen  Stelle  des  Augen- 
grundes zur  Entwickelung  kommen  [Just,   Blessig). 

Der  Augengrund  selbst  erscheint  in  seiner  normalen  Färbung,  wo  er  nicht 
durch  die  getrübte  Netzhaut  schleierartig  gedeckt  ist.  Im  Bereiche  der 
Macula  lutea  jedoch  verdunkelt  er  sich  in  der  Eegel,  aber  nicht  immer 
(Schneller,  Quaglino),  zu  einem  tief  blutrothen  Flecke  von  verscliiedener 
Grösse  und  wechselnder  Form,  in  welchem  sich  öfters  mit  Bestimmtheit 
Blutextravasate  nachweisen  lassen.  Ueberhaupt  sind  hämorrhagische  Herde 
nichts  seltenes  und  finden  sich  gelegenthch  an  den  verschiedensten  Stellen, 
besonders  im  Bereiche  der  Papille.  Sie  treten  mitunter  erst  sehr  spät  nach 
dem  Beginne  des  Leidens  auf. 

Das  Sehvermögen  ist  fast  constant  von  vorneherein  vollständig  ver- 
nichtet. In  einzelnen  Fällen  jedoch  bleibt  die  Amaurosis  eine  partielle,  und 
stellt  sich  als  eine  Einschränkung  dar,  welche  ihrer  Lage  nach  dem  ^^er- 
zweigungsgebiete  eines  blutleer  gewordenen  Hauptastes  entspricht. 

Mitunter  füllen  sich  die  verdünnten  Arterien  mit  der  Zeit  wieder 
etwas  an,  gelangen  jedoch  nur  sehr  selten  mehr  zu  einem  annähernd 
normalen  Caliber  {Fano,  Landesberg).  Die  Venen  dagegen  erreichen  häufig 
wieder  ihren  früheren  Grad  von  Völle.  Die  Netzhauttrübung  verschwindet 
sehr  gewöhnüch  binnen  kurzem  völlig  oder  lockert  sich  doch  auf  und  erscheint 
dann  unter  der  Form  eines  feinen  punktirten  Nebels.-  Auch  der  rothe 
Fleck  in  der  Gegend  der  Macula  lutea  verblasst  allmäUg  und  wird  schliess- 
lich ganz  unkenntlich.  Das  Sehvermögen  jedoch  stellt  sich  nur  in  den 
seltensten  Ausnahmsfällen  (Schneller)  wieder  zu  einem  gewissen  Grade  her. 


Embolia  arteriae  centralis;  Iscliaemiii  retinae.  249 

höchstens  wird  eine  zeitweilige  Bessertcng  desselben  beobachtet,  wclclic  als- 
bald wieder  zurückgeht,  wenn  sich  die  ersten  Anzeichen  des  constant  nach- 
folgenden grauen   Schwundes  geltend  machen. 

Die  Erklärung  für  diese  Erscheinungen  hat  man  bald  in  einem  Em- 
bolus, bald  in  einem  Uobergewichte  der  Gefässcontractilit'dt  gegenüber  dem 
intravascularen  Blutdrucke,  bald  endlich  in  einer  Cornpression  der  Arteria 
centralis  als  Folge  einer  retrobulbären  Neuritis  zu  finden  geglaubt. 

Sieht  man  alle  Fälle  durch,  welche  über  die  sogenannte  Einbolie  der  Arteria 
centralis  retinae  veröffentlicht  worden  sind,  so  findet  man,  dass  sich  die  Annahme 
einer  evihoUschen  Verstopfung  der  Central arterie  eigentlich  nnr  durch  einen  einzigen 
Fall  stützen  lasse ,  in  welchem  ein  Embolus  thatsäclilich  vorgefunden  wor- 
den sein  soll  (Schweigger).  Betrachtet  man  aber  die  denselben  erläuternde  Abbil- 
dung, so  kann  man  an  der  Unzulänglichkeit  der  Beobachtung  keinen  Augenblick 
zweifeln;  denn  es  ist  ganz  unmöglich,  dass  ein  Embolus  nach  anderthalbjährigem 
Bestände  sich  wie  eine  Lehmkugel  im  Blasrohre  darstellt.  Nach  einem  solchen 
Zeiträume  muss  ein  Embolus  immer  in  schrumpfenden  Exsudatmassen  völlig  unter- 
gegangen sein  und  eine  Unterscheidung  desselben  von  entzündlicher  Thrombose 
ganz  unthunlich  macheu.  In  den  übrigen  Fällen  fehlten  durchwegs  directe  Anzeichen 
des  Embolus ;  dieser  wurde  lediglich  aus  dem  Zusammentreffen  der  Umstände 
diagnosticirt  und  in  den  retrolndtjären  Theil  der  Arteria  centralis  verlegt.  Bedenkt 
man  jedoch  die  inaige  Verbindung,  in  welcher  das  Adergezweige  der  Netzhaut 
mit  den  Nährgefässen  des  Nervenkopfes  steht  (S.  169),  so  wird  es  ganz  unbe- 
greiflich, wie  eine  Verstopfung  des  Hau2}tstammes  allein  die  Blutzufuhr  zur  Retina 
dauernd  auf  ein  Kleinstes  herabsetzen  solle,  um  so  mehr,  als  unter  anderen  Ver- 
hältnissen, z.  B.  beim  Glaucom,  nach  Durchschneidung  des  Opticus  nahe  am  Bullnxs 
(S.  197),  die  Entwickelung  eines  collateralen  Kreislaufes  unschwer  gelingt.  Durch 
die  Versetzung  des  Embolus  in  die  Arteria  opJithalmica  (Stefan)  wird  aber  die 
Schwierigkeit  einer  folgerichtigen  Erklärung  nur  gesteigert  und  völlig  übersehen, 
dass  während  des  ganzen  Verlaufes  der  einschlägigen  Fälle  auch  nicht  Ein  Symp- 
tom auf  vorübergehenden  Blutmangel  der  Aderhaut  und  der  Hilfsorgayie  des  Bulbus 
hindeutete.  Dazu  kommt,  dass  der  Abgang  der  Arteria  ophthalmica  von  der  Carotis 
unter  fast  rechtem  Winkel  erfolgt,  und  so  der  Verführung  eines  Embolus  in  die 
überdiess  äusserst  dünne  Arteria  centralis  ausserordentlich  ungünstig  ist  (Knapp). 
Endlich  ist  als  Haupteinwand  zu  erwähnen,  dass  in  einem  ganz  ausgesprochenen 
Falle  von  sogenannter  Embolie  der  Embolus  von  verlässlichen  Händen  gesucht  und 
nicht  gefunden  worden  ist,  zu  sicherem  Beweise,  dass  alle  die  genannten  Erschei- 
nungen auch  ohne   Verstopfung  der  Centralarterie  sich  entwickeln  können  (Iwanoß). 

Zu  Gunsten  der  Abhängigkeit  retinaler  Ischämien  von  Verminderung  des  Sei- 
tendruckes in  den  Arterien  hat  man  geltend  gemacht,  dass  sich  der  Zustand  bei 
überaus  schwachem,  kaum  fühlbarem  Herzstosse  und  Pulsschlage  zeigte;  dass  in 
einem  Falle  höchstgradiges  Darniederliegen  der  Gesammternährung  und  äusserste 
Blutarmuth  nach  Typhus  das  pathogenetische  Moment  abzugeben  schien  (Hedäus) ; 
endlich,  dass  durch  Iridektomie  (Alf.  Graefe)  oder  wiederholte  Cornealparacentese 
(Secondi),  beziehungsweise  durch  Hebung  der  Nutritionsverhältnisse,  eine  stärkere 
Füllung  der  Netzhautschlagadern  und  damit  auch  eine  beträchtliche  Steigerung 
des  Sehvermögens,  einmal  sogar  dauernde  Heilung  erzielt  wurde.  Man  stellte  sich 
vor,  dass  die  Arteria  centralis  durch  den  intraocularen  Druck  zusammengepresst 
werde,  wenn  ihr  Inhalt  unter  geringem  Herzdruck  anströmt  und  dass  solchermassen 
die  Zufuhr  des  arteriellen  Blutes  unter  das  zur  Functionsthätigkeit  der  Netzhaut 
nothwendige  Mass  sinken  könne  (Alf.  Oraefe).  Insoferne  nun  aber  der  intraoculare 
Druck  seiner  Grösse  nach  vom  Blutdrucke  bestimmt  wird,  leidet  diese  Hypothese 
an  einem  inneren  Widerspruche. 

Was  endlich  die  Cornpression  der  Artcria  centralis  von  Seite  retrohidbärer 
neuritischer  Exsudate  (Graefe)  betrift't,  so  fehlen  nicht  nur  alle  objectiven  Belege 
dafür,  sondern  mehrere  Erscheinungen  stehen  damit  in  grellem  Widerspruche.  Dahin 
gehören  :  die  plötzliche  Erblindung  bei  vorläufig  normalem  Sehvermögen,  der  Mangel 
von  Stauungssymptomen  und  besonders  das  Nichtzustandelcommen  des  collateralen 
Kreislaufes  trotz  dem  Vorhandensein  der  anatomischen  Bedingungen  für  eine  Ein- 
spritzung der  Netzhautgefässe  von  dem  chorioidalen  Stromgebiete  aus.  Wie  wäre 
übrigens  die  Blutleere  eines  einzelnen  Hauptastes  zu  ei'klären? 


250  Sehnerrenschwiind :  Ursachen;  Verlauf;  Amanrosis  ischaemica. 

Fasst  man  alles  zusammen,  so  gelangt  man  noth^endig  zur  Ueber- 
zeugung,  dass  es  sich  um  Gefässkrämpfe  handle  (Zehender'),  welche  sich 
bald  auf  alle  Stämme  der  centralen  Xetzhautschlas:ader,  oft  sogar  mit  Ein- 
schluss  der  zugehörigen  Venen  erstrecken,  bald  sich  auf  einzelne  arterielle 
Stämme  oder  selbst  auf  Theile  derselben  beschränken  und  vermöge  der 
activen  Zusammenziehung  der  Gefässwände  die  collaterale  Injection  un- 
möglich machen.  Es  stimmt  mit  dem  spastischen  Charakter  des  Leidens 
übrigens  sehr  gut  die  plötzliche  Erblindung  und  das  öftere  Voratisgehen 
temporärer  Anfälle  {Schneller,  Knapp,  Mauthner^,  sowie  die  Beobachtung 
eines  Falles,  in  welchem  sich  die  ischämische  Amaurose  während  längerer 
Zeit  unter  der  Form  transitorischer  Insulte  häufig  wiederholte  und  diu'ch 
Kältewirknng  sogar  beliebig  hervorgerufen  werden  konnte  (Secondi).  Weiters 
lassen  sich  die  drehrunde,  nicht  abgeplattete  Gestalt  der  verengerten  Ge- 
fässe,  die  Fadenform  der  enthaltenen  Blutsäule,  der  meistens  fast  unmerk- 
liche Uebergang  gefüllter  Gefdssstücke  in  leere  und  die  Verdünnung  bald 
centraler,  bald  peripherer,  bald  mittlerer  Portionen  der  Arterien  und  Tenen 
nur  allein  mit  Erampfzuständen  der  musculären  Wandungen  in  Einklang 
bringen.  Ebenso  lässt  sich  die  Unveränderlichkeit  des  Calibers  bei  einem 
auf  den  Augapfel  ausgeübten  äusseren  Druck  und  die  Unmöglichkeit,  dadurch 
Pulsphänomene  hervorzurvifen  (Enapp'^,  mit  keiner  anderen  denkbaren  Cir- 
culationsstörung  befriedigend  zusammeni'eimen.  Die  mangelhafte  Füllung  der 
Venen,  soweit  sie  nicht  selbst  auf  Krampfzuständen  beruht,  ergibt  sich  als 
eine  natürliche  Folge  der  ungenügenden  Blutzufuhr  und  die  etwaige  Unter- 
brechung sowie  die  stossu-eise  Fortbewegung  der  darin  enthaltenen  Blutsäule 
lässt  sich  ganz  einfach  aus  der  Schwächung  des  von  den  Arterien  aus 
durch  die  Capillaren  hindurch  wirkenden  Herzdruckes  erklären.  Der  dun- 
kelrofhe  Fleck  in  der  Gegend  der  Macida  lutea  und  die  nicht  seltenen  sub- 
retinalen hämorrhagischen  Extravasate  sowie  die  in  einem  Falle  beobachtete 
Äderhautabhebung  (Liebreich)  kommen  auf  Rechnung  einer  starken  Ueber- 
füllung  der  Chorioidalgefässe,  welche  offenbar  compensaforischer  Xatur  ist 
(S.  3^.  Die  schleierähnliche  Trübung  im  Bereiche  der  Papille  und  Xetz- 
haut,  welche  immer  über  kxirz  oder  lang  den  Symptomen  des  grauen 
Schicundes  Platz  macht,  lässt  sich  übrigens,  bis  genaue  Leichenbefunde 
gesprochen  haben,  eben  sowohl  auf  Verfettigung  und  Sclerose  der  Elemente, 
als  auf  entzündliche  Exsudationen  beziehen. 

Man  muss  diesen  Erörterungen  gegenüber  nicht  einwenden,  dass  bei  einem 
von  aussen  her  auf  den  Bulbus  wirkenden  Drucke  der  arterielle  Blutstrom  dis- 
cojUinuirlich  werden  müsse ,  um  Verdunkelung  des  Gesichtsfeldes  zu  erzeugen  und 
dass  in  dem  asphyctischen  Stadium  der  Cholera  bei  sehr  verminderter  Blutzufuhr 
das  Gesicht  des  Kranken  nicht  wesentlich  leide;  denn  es  liegt  die  Annahme  nahe, 
dass  der  Krampf,  welcher  sich  häufig  in  den  Arterien  und  Venen  gleichzeitig  oflen- 
bart,  nicht  minder  auch  in  den  Capillaren  zur  Geltung  komme  und  damit  die 
Function  der  Netzhaut  selbstverständlich  viel  mehr  beeinträchtigen  müsse,  als  dies 
bei  den  oben  genannten  Zuständen  der  Fall  ist,  wo  die  Capillarnetze  ohne  Zweifel 
wenis:  von  ihrer  Füllung  einbüssen,  wie  dies  die  normale  Färbung:  des  Augen- 
grundes  rücksichtlich  der  Chorioidea  unwiderleglich  darthut.  Zu  allem  dem  kömmt, 
dass  spastische  Coutractionen  auch  unter  anderen  Umständen  thatsächlich  beobachtet 
worden  sind  und  'zwar  während  epileptischen  Anfällen,  wo  sie  mit  Grund  mit  den 
diese  begleitenden  Sehstörungen  in  Zusammenhang  gebracht  weTA.en  ''Jackson',  und 
einmal  bei  Glaucom.  wo  die  Venen  das  Ansehen  einer  Perlschuur  darboten  ''Lieh- 
reichy  und  damit  einen  Zustand  wiederholten ,  wie  er  bei  Calabarvergiftungen  au 
den  Darmget"ässen  gefunden  wird  (Bauer). 


Amaurosis  cerebralis;  A.  ex  meningitide.  251 

C)  Sehr  oft  ist  das  Sehnervenleiden  ein  Folgezustand  gewisser,  schon 
vorläufig  im  Inneren  der  Schädelhöhle   localisirter  Processe. 

1)  Obenan  steht  in  dieser  Beziehung  die  basüare  Meningitis,  welche 
ihrerseits  wieder  eine  primäi'e  oder  secundäre  sein  kann.  Dieselbe  offen- 
bart sich,  wenn  sie  in  mehr  acuter  Form  auftritt,  meistens  ganz  unzwei- 
deutig. Bei  der  chronischen  schleichenden  Form  hingegen  fehlen  mitunter 
bestimmt  darauf  hinweisende  Symptome,  es  sind  blos  wiederholte  Fieber- 
anfälle, andauernde,  öfters  exacerbirende  Kopfschmerzen,  welche  sich  manch- 
mal durch  Anschlagen  an  die  Seitontheile  des  Schädels  empfindlich  steigern 
lassen,  Eingenommenheit  des  Kopfes,  Hinfälligkeit,  häufigeres  Erbrechen,  etc. 
als  diagnostische  Behelfe  gegeben.  Bisweilen  treten  selbst  diese  Erscheinun- 
gen sehr  zurück,  oder  machen  sich  nur  zeitweilig  bemerklich,  so  dass  das 
Leiden  leicht  übersehen  werden  kann.  Doch  gibt  dann  der  Umstand  einen 
Fingerzeig,  dass  entsprechend  der  grossen  Neigung  zur  Flächenausbreitung, 
welche  die  Meningitis  auszeichnet,  sehr  gewöhnlich  eine  Mehrheit  von  Ge- 
hirnnerven ergriff'en  ist  und  dass  hierbei  meistens  wandelbare  Symptome 
der  Lähmung  neben  solchen  der  Reizung  zum  Vorschein  kommen,  was  bei 
anderen  inti'acraniellen  Krankheitszuständen  weniger  der  Fall  ist.  Zumal 
im  Bewegungsapparate  der  Augen  sind  Paresen  einzelner  Muskeln  mit 
krampfhaften  Zusammenziehungen  anderer  unverhältnissmässig  häufig  zu 
beobachten  und  die  Amaurose  selbst  geht  gerne  mit  Zeichen  der  Opticus- 
hyperästhesie,  mit  Photopsien,  Chromopsien  u.  s.  w.  einher.  Ein  wichtiger 
Umstand  ist  hierbei,  dass  die  Gewebswucherung  von  den  weichen  Hirn- 
häuten immer  in  die  Eindensub stanz  des  Gehirnes  eindringt  und  sich  oft 
selbst  in  ziemliche  Tiefen  versenkt,  z.  B.  auch  in  den  Sehhügeln  etc.  mit 
Bestimmtheit  nachgewiesen  werden  kann  (L.  Meyer).  Das  Sehnervenleiden 
und  die  davon  abhängige  Amaurose  treten  unter  solchen  Umständen  in  der 
Regel  schon  während  dem  Verlaufe  der  Meningitis  hervor.  Bei  acuten 
Formen  der  letzteren  zeigt  sich  die  Sehstörung  oft  sogar  kurz  nach  dem 
Ausbruche  des  Grundleidens  und  steigt  rasch  zur  völligen  Erblindung. 
Bei  chronischer  Meningitis  hingegen  erhält  sich  der  Opticus  häufig  sehr 
lange  in  voller  Integrität,  oder  es  wechseln  anfänglich  die  Sehstörungen, 
steigen  und  fallen  wieder  oder  verschwinden  für  eine  Zeit  wohl  ganz, 
bis  sie  endlich  sich  festsetzen  und  in  langsamem  oder  raschem  Zuge  an 
Ausdehnung  itnd  Intensität  gewinnen.  Im  erstell  Falle  trägt  das  Opticus- 
leiden  fast  immer  den  Charakter  der  Entzündung  und  spricht  sich  häufig, 
wenn  auch  blos  vorübergehend,  als  eine  absteigende  Neurodictyitis  im 
Augenspiegelbilde  aus.  Im  anderen  Falle  scheint  der  Wucherungsprocess 
im  Bereiche  des  Nerven  häufiger  die  Bedeutung  des  grauen  Schwundes 
zu  haben,  wenigstens  macht  er  sich  gewöhnlich  unter  dieser  Form  ophthal- 
moskopisch geltend. 

Ausnahmsweise  jedoch  kömmt  es  erst  lange  Zeit  nach  dem  völligen 
Ablauf  der  Meningitis  zu  amaurotischen  Erscheinungen  und  entschiedenen 
Zeichen  progressiver  Atrophie  des  Sehnerven.  Es  scheint,  dass  dann  nicht 
sowohl  eine  unmittelbare  Fortpflanzung  des  entzündlichen  Processes  von 
den  Hirnhäuten  auf  die  Hüllen  der  Nervenfaserzüge  als  pathogenetisches 
Moment  anzunehmen  sei,  als  vielmehr  eine  Beengung  intracranieller  Opticus- 
theile  und  der  zugehörigen  Nährgefässe  durch  Schrumpfung  und  Verödung 
der  entzündet  gewesenen  Meningealportionen.  Die  Leichenschau  hat  wieder- 


252  Sehnervenschwund;  Ursachen;  Verlauf;  Amaurosis  hei  Periostitis  hasUaris. 

holt  förmliche  Zusammenschnürungen  der   betrefFenden  Nervenstränge  durch 
Narbengefiige  erwiesen. 

Es  versteht  sich  nun  wohl  von  selbst,  dass  die  aetiologischen  Momente  der 
Meningitis,  alle  wie  sie  sind,  zu  den  entfernteren  Ursachen  der  Amaurose  gerechnet 
werden  müssen.  Doch  mögen  die  Tuberculose  und  Scrophiilose,  das  Rheuma,  die 
Pyämie,  der  Typhus,  das  Puerperium,  anomal  verlaufende  acute  Exantheme,  Trau- 
men (Pagenstecher)  ihrer  grösseren  Häufigkeit  wegen  Erwähnung  finden.  Von  den 
enormen  AnschwelbiDgen  des  Sehnerven  bei  entzündlich  ödematösen  Zuständen 
der  Hirnhäute,  wie  sie  ausnahmsweise  bei  Morbus  Brighti  etc.  vorkommen,  war 
schon  die  Rede  (S.  175).  Endlich  dürfte  auch  noch  das  Erysipelas  faciei  an  dieser 
Stelle  zu  nennen  sein ,  indem  es  sich  sehr  gerne  mit  Meningitis  paart  und  so  die 
Veranlassung  zu  Amaurosen  geben  kann.  Gewöhnlicher  indessen  scheint  dasselbe 
vom  Orbitalhindegeioehe  aus  den  Sehnerven  zur  Wucherung  anzuregen  und  damit 
zu  schwarzen  Staaren  zu  führen ,  deren  anatomische  Grundlage  je  nach  Umstän- 
den eine  wahre  Neuritis  (S.  200)  oder  einfacher  Schwund  (Arlt)  ist  und  öfters 
auch  wohl  ein  ganz  transitorisches  Leiden  von  nicht  näher  zu  bestimmendem  Cha- 
rakter (FronmüÜQr)  sein  mag. 

2)  In  einzelnen  Fällen  gibt  Periostitis  des  Schädelgrundes  mit  ihren 
Neben-  und  Folgeziiständen  die  Quelle  für  intracranielle  Sehnervenleiden 
ab.  Entwickelt  sich  erstere  in  acuter  Form,  so  treten  anfänglich  in  der 
Eegel  sehr  heftige  Kopfschmerzen  ein,  welche  meistens  reissend  genannt 
werden,  längere  Zeit  anhalten,  dann  aber  zurücktreten  und  blos  anfalls- 
weise wiederkehren.  Das  Anschlagen  an  die  Schläfengegend,  zumal  wenn 
es  von  beiden  Seiten  zugleich  erfolgt,  pflegt  sehr  empfindlich  zu  schmerzen 
und  das  Wehe  von  einer  bestimmten  Stelle  des  Schädelgrundes  auszustrahlen. 
Die  Sehstörung  stellt  sich  oft  schon  frühzeitig  ein  und  steigt  gemeiniglich 
rasch  zu  einer  gewissen  Höhe.  Nicht  selten  sind  im  Beginne  auch  diffuse 
Eirnsymptome  und  ausserdem  Lähmungen  oder  krankhafte  Zusammenziehun- 
gen einzelner  von  Hii'nnerven  beherrschter  Muskeln  zu  beobachten.  Es 
verbreitet  sich  nämlich  bei  acuter  Periostitis  der  entzündliche  Reizzustand 
gerne  iceit  über  die  Grenzen  des  Hauptherdes  hinaus  und  zieht  selbst  ferner 
gelegene  Theile  in  Mitleidenschaft.  Ist  aber  einmal  die  Intensität  des  ersten 
Anfalles  gebrochen,  so  engt  sich  auch  das  Kraukheitsgebiet  ein,  und  in  den 
zurückbleibenden  fixen  Störungen  spiegelt  sich  ein  mehr  umschriebenes  Lei- 
den der  Schädelbasis  ab.  Der  schwarze  Staar  stellt  sich  dann  je  nach  der 
Oertlichkeit  des  letzteren  bald  als  eine  gleichseitige  oder  temporale  (Graefe) 
Hemiopie,   bald  als  eine  einseitige   oder  binoculare   totale  Erblindung  dar. 

Wo  hingegen  die  Periostitis  von  vorneherein  einen  chronischen  Ver- 
lauf nimmt,  können  selbst  die  charakteristischen  Schmerzen  fehlen  oder  blos 
episodenweise  mit  geringer  Intensität  und  Dauer  bestehen,  auch  das  An- 
schlagen an  den  Schädel  ohne  Reaction  bleiben.  Die  Diagnose  ist  dann 
gewöhnlich  sehr  schwierig,  da  die  etwa  vorhandenen,  ganz  vagen  und  dif- 
fusen Hirnsjmptome  so  wie  die  Beschränkung  der  Functionsstörung  auf 
Nerven,  welche  eine  bestimmte  Stelle  der  Basis  cranii  überschreiten,  auch 
krankhaften  Geschwülsten  des  Schädelgrundes  zukommen  und  noch  oben- 
drein häufig  dadurch  verwischt  werden,  dass  sich  eine  secundäre  Meningitis 
dazu  gesellt,  welche  sich  über  weite  Strecken  ausbreitet. 

Das  Sehnervenleiden  ist  unzweifelhaft  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
durch  unmittelbare  Fortpflanzung  der  Gewebswucherung  auf  das  Neurilem  zu 
erklären  und  hat  bei  acuter  Periostitis  sicherlich  zumeist  die  Bedeutung 
einer  wahren  Neuritis,  bei  chronischer  Beinhautentzündung  aber  öfter  die 
Bedeutung  grauen   Schwundes.  Doch  ist  es  manchmal  auch  aus  einem  Drucke 


Amaurosis  bei  Geschwülsten  an  der  Schädelbasis.  253 

auf  den  Nerven  und  seine  Nährgefässe  abzuleiten.  Die  günstigste  Gelegen- 
heit dazu  bietet  sich,  wenn  dei'  Krankheitsherd  sicli  bis  zum  Sehloche  aus- 
breitet und  dessen  Lichtung  durch  Gescliwulstbildung  verengt.  ])och  ist 
aiicli  selbst  dann  nicht  immer  Compressioji  als  das  nächste  und  eigentliche 
pathogenetische  Moment  anzuschuldigen,  sondern  gewiss  eben  so  oft  der 
Uebergang  des  Wucherungsprocesses  auf  das  interstitielle  Gefüge  des  Op- 
ticus  (Homer,   Koster). 

Diese  Verhältnisse  und  der  unmittelbare  Zusammenliang  des  Gesichtsskeletes 
mit  den  Knochen  der  Schädelbasis  liefern  den  Schlüssel  für  die  folgerichtige  Ab- 
leitung manciier  Amaurosen  aus  traumatischer  Periostitis  ortntae  (Jlorner) ,  aus 
Ozüna  (JüngkenJ,  ans  Atiscessen  der  Highmorshohle  mit  corisecutiver  Caries  orbitae, 
wie  selbe  öfters  durch  schadhafte  Zähne  gesetzt  werden  (Salter,  BuzerJ  u.  s.  w. 
Im  Uebrigen  fällt  die  Aetiologie  der  basilaren  Periostitis  begreiflicher  Weise  mit 
jener  der  Periorbitis  (Siehe  diese)  zusammen. 

3.  Eine  sehr  hervorragende  und  überaus  wechselvolle  Eolle  spielen 
in  der  Pathogenese  des  Sehnervenleidens  krankhafte  Geschwülste  der  Schädel- 
basis. Es  gescloieht  bisweilen,  dass  der  Opticus  selbst  in  die  Afterioucherung 
einbezogen,  von  dem  Tumor  gleichsam  durchwachsen  wird  und  seine  Leitungs- 
fähigkeit durch  streckenweisen  Untergang  der  nervösen  Elemente  verliert, 
worauf  dann  das  periphere  Stück  desselben  gewöhnlich  bald  dem  Schwunde 
verfiillt,  ausnahmsweise  indessen  auch  zeitweilig  die  Erscheinungen  einer 
manifesten  Entzündung  ophthalmoskopisch  zum  Ausdruck  bringen  kann. 
Viel  häufiger  beeinflusst  die  Geschwulst  den  Nerven  in  rein  mechanischer 
Weise,  umschliesst  einen  Theil  desselben  und  drückt  ihn  zusammen;  oder 
drängt  ihn  zur  Seite  und  veranlasst  so  eine  beträchtliche  Dehnung ;  oder 
sie  presst  ihn  gegen  den  unterlagernden  Knochen ;  oder  endlich  sie  beengt 
ihn  innerhalb  des  Sehloches.  Reagirt  der  Nerv  auf  diese  Einwirkung,  so 
ist  das  Ergebniss  fast  dvirchwegs  graue  Atrophie,  welche  sich  mehr  oder 
weniger  rasch  gegen  den  Augapfel  hin  fortsetzt.  Es  bedarf  hierzu  übrigens 
gar  nicht  einmal  einer  unmittelbaren  Berührung  zwischen  Geschwulst  und 
den  intracraniellen  Opticustheilen,  vielmehr  wird  manchmal  das  Gehirn  der 
Vermittler.  Lidern  dieses  nämüch  vermöge  der  Massenzunahme  des  Schädel- 
inhaltes und  gesteigerten  intravascularen  Druckes  mit  vermehrter  Kraft 
gegen  die  knöcherne  Unterlage  presst,  wird  der  Sehnerv  oftmals  an  ein- 
zelnen Stellen  förmlich  abgeschnürt,  oder  streckenweise  abgeplattet  (Siehe 
Encephalopathien).  Am  häufigsten  jedoch  werden  basilare  Tumoren  dem 
lichtempfindenden  Apparate  durch  die  Beizungszustände  verderblich,  in  welche 
sie  ihre  Umgebungen  versetzen.  Es  beschränken  sich  dieselben  allerdings 
in  vielen  Fällen  auf  die  nächste  Nachbarschaft.  Eben  so  oft  indessen  greifen 
sie  in  den  weichen  Hirnhäuten  um  sich  und  o;elano;en  so  unter  der  Form 
von  Meningitis  auf  ferne  gelegene  Nervengebiete;  oder  es  werden  die  verdrängten 
Hirntheile  durch  Entzündung,  Erweichung,  grauen  Schwund,  mit  oder  ohne 
Apoplexien  auf  weite  Strecken  hin  geschädigt  (K.  Fischer,  H.  Jackson). 
Fällt  dann  der  Sehnerv  mit  irgend  einem  Theile,  seien  es  auch  einzelne 
Ur Sprung skerne  oder  centrale  Verbindungsfasern,  in  diesen  Reactionsgürtel, 
so  wird  derselbe  bald  unter  der  Gestalt  von  grauer  Atrophie  oder  manifester 
Neuritis  in  Mitleidenschaft  gezogen  und  der  Process,  einmal  angeregt, 
säumt  nicht,  sich  in  centrifugaler  Richtung  fortzupflanzen,  so  dass  er  sich 
meistens  auch  binnen  kurzem  im  Augenspiegelbilde  bemerklich  macht.  Doch 
entsprechen,  wie  bei  anderen  pathogenetischen   Verhältnissen,   die  Ophthal- 


2o4       Sehnervenschwund ;  Ursachen;  Verlauf;  Amaurosis  bei  Geschwülst,  an  der  Schädelhasis. 

moskopischen  Erscheinungen  nicht  jederzeit  dem  intracraniellen  Vorgange. 
Eine  manifeste  Entzündung  der  tiefen  Opticustheile  zeigt  sich  an  der 
Papille  nicht  selten  als  graue  Atrophie.  Mitunter  wechselt  wohl  auch  der 
Charakter  der  objectiv  wahrnehmbaren  Veränderungen,  die  Merkmale 
einer  absteigenden  Neurodictyitis  machen  jenen  des  Schwundes  Platz ; 
oder  letztere  beginnen  den  Reigen  und  werden  im  weiteren  Verlaufe  vor- 
übergehend durch  jene  einer  ausgesprochenen  Entzündung  gedeckt.  Es  ist 
sicherlich  ganz  unrichtig,  wenn  jemand  glauben  sollte,  dass  das  Hervor- 
treten des  grauen  Schwundes  im  Bereiche  der  Papille  die  nachträgliche 
Entwickelung  einer  manifesten  Neuro dictyitis  unmöglich  mache,  es  ist  nur 
ein  etwas  selteneres  Vorkommnis. 

Es  ergibt  sich  aus  allem  dem  zur  Genüge,  dass  eine  genaue  Uehereinstim- 
mung  zwischen  der  anatomischen  Vertheilung  der  Functionsstönmgen  und  dem  Sitze 
eines  basilaren  Tumors  nicht  nothwendig,  ja  nicht  einmal  häutig  besteht.  Aller- 
dings ist  bisweilen  die  Gelegenheit  geboten,  aus  einer  teviporalen  Hemiopie  und 
den  Nebenerscheinungen  auf  ein  in  der  Mittellinie  des  Schädelgrundes  knapp  vor 
oder  hinter  dem  Chiasma  sitzendes ,  die  gekreuzten  Faserbündel  allein  beirrendes 
Gewächs  zu  schliessen  (D.  E.  Müller,  Säniisch)\  oder  eine  gleichseitige  Hemiopie 
auf  einen  lateralen  Herd  zu  beziehen,  oder  eine  totale  Eiblindung  beider  Augen 
aus  einer  Compression  des  Chiasma  als  Ganzen  abzuleiten.  In  der  Regel  jedoch 
verwirren  sich  die  Züge  des  Krankheitsbildes  durch  die  Folgezustände  ausserordent- 
lich und  die  Diagnose  wird  um  so  schwieriger,  als  Tumoren  oftmals  der  Fläche 
nach  sich  weit  ausbreiten  und  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  sehr  ungleich- 
massig  wachsen,  auch  Tochterlierde  erzeugen  und  so  direct  oder  unter  Vermittlung 
von  meningealen  oder  cerebralen  Erkrankungen  die  mannigfaltigsten  Symptomcom- 
plexe  hervorrufen  können;  anderseits  aber  bei  jugendlichen  Individuen  durch  Ver- 
drängung des  knöchernen  Schädelgehäuses  sich  Raum  zu  schaffen  vermögen 
und,  selbst  wenn  sie  einen  ansehnlichen  Umfang  erreichen,  nicht  nothwendig  ent- 
sprechende Functionsbehinderungen  mit  sich  bringen,  da  Verdrängungen,  Dehnungen 
und  Zerrungen  eines  Nerven  oder  seiner  Centraltheile,  wenn  sie  allmälig  erfolgen, 
öfters  in  wahrhaft  wunderbarer  Weise  vertragen  werden  (Lehert,  JDuchelc).  Ist  doch 
jüngsthin  ein  Fall  veröffentlicht  worden ,  wo  das  Chiasma  und  die  angrenzenden 
Theile  beider  Stämme  und  Wurzeln  des  Opticus  von  einem  mächtigen  Gliosarcome 
bis  zum  Unkenntlichwerden  der  nervösen  Faserbündel  durchwachsen  waren,  ohne 
dass  Ein  Symptom  während  des  Lehens  auf  die  Existenz  eines  inti'acraniellen 
Leidens  hingewiesen  hätte  (Graefe).  Dazu  kömmt,  dass  ein  Tumor,  wenn  er 
factisch  zur  Aeusserung  kömmt,  durchaus  keine  charakteristischen  Erscheinungen 
bietet,  welche  ihn  mit  Sicherheit  von  anderen  intracraniellen  Krankheitszuständen 
unterscheiden  Hessen.  Es  sind  dies  eben  meistens  über  den  ganzen  Schädel  ausge- 
breitete, oft  paroxismenartig  sich  steigernde,  selten  localisirte  oder  beim  Anschlagen 
an  den  Kopf  von  einer  bestimmten  Stelle  ausstrahlende  Schmerzen ,  Schwäche- 
zustände einzelner  Muskelconiplexe,  welche  gerne  in  förmliche  Lähmungen  über- 
gehen etc.,  also  Symptome,  welche  bei  den  verschiedenartigsten  intracraniellen 
Leiden  in  den  mannigfaltigsten  Combinationen  beobachtet  werden  (Lehert,  Duchek). 

Es  braucht  wohl  nicht  erst  betont  zu  werden ,  dass  krankhafte  Geschwülste 
der  allerverschiedensten  Art  hier  in  Rechnung  kommen  können.  Am  häufigsten  sind 
Sarcome  und  Krebse  der  Schädelbasis  als  mittelbare  oder  unmittelbare  Veran- 
lassung von  Amaurosen  nachgewiesen  worden  (Lehert,  Ladame,  Türck,  D.  E.  Müller, 
Sümisch,  Cruveilhier,  K.  Fischer,  H.  Jackson,  Graefe,  Blessig,  Koster).  In  seltenen 
Fällen  waren  es  Exostosen  des  Türkensattels,  und  zwar  einmal  ein  stachelförmiger 
Auswuchs,  welcher  das  Chiasma  durchbohrte  (Beer-),  Tnherkelmassen ,  welche  letz- 
teres umhüllten  und  zusammendrückten  (Türck,  Hjort);  Aneurysmen  der  Carotis 
(Stilling,  Giraudet)  oder  eines  intracraniellen  Hauptastes  derselben  (Spurgin),  welche 
die  eine  Wurzel  oder  das  Chiasma  verdrängten.  Dreimal  sind  Gummen  gefunden 
worden  und  zwar  einmal  im  Bereiche  des  Türkensattels,  von  wo  aus  die  Masse  in 
die  Sehlöcher  eindrang ;  das  andere  Mal  als  eine  mehrere  Linien  dicke  Schichte, 
welche  den  grössten  Theil  der  mittleren  Schädelgrube  ausfüllte  und  fast  sämmt- 
liche  dort  streichende  Gehirnnerven  leitungsunfähig  machte  (Graefe,  Arcoleo). 


Amaurosis  encephalopathica.  2fS0 

4)  Endlich  sind  eigentliche  Gehirnleiden:  Encephalitis,  besonders  Ab- 
scesse,  Erweichungen,  Tuberkel,  Gummen  und  Geschwülste  jeder  beliebigen 
anderen  Art,  Blascnwüi"mer,  Apoplexien  etc.  als  Ui'sachen  von  Amaurosen 
zu  nennen.  Es  sind  deren  Beziehungen  zu  dem  schwarzen  Staare  noch 
viel  verwickelter,  als  jene  der  basilaren  Tumoren  und  wenn  nicht  die 
vasomotorischen  Einflüsse  als  die  Vermittler  angerufen  werden  dürften,  so 
fehlte  sehr  häufig  der  Schlüssel,  um  aus  dem  Leichenhefwide  das  während 
des  Lebens  gegebene  klinische  Bild  folgerichtig  zu  deuten ,  indem 
scheinbar  ganz  gleiche  ki'ankhafte  Veränderungen  in  verschiedenen  Fällen 
verschiedene  Störungen  mit  sich  bringen  und  umgekehrt  gleiche  oder  ähn- 
liche Symptomcomplexe  in  höchst  differenten  Zuständen  ihre  Quelle  zu  finden 
scheinen. 

Ein  Hauptgrund  der  noch  herrschenden  diagnostischen  Unsicherheit  liegt 
ganz  unzweifelhaft  in  der  Mangelhaftigkeit  der  pathologisch  anatomischen  Grund- 
lagen. Man  hat  sich  mit  wenigen  Ausnahmen  bisher  darauf  beschränkt,  den  Sitz 
und  die  Ausdehnung  der  Krankheitsherde  nach  den  mit  freiem  Auge  oder  der  Loupe 
wahrnehmbaren  Veränderungen  zu  bestimmen,  ohne  die  feinere  Topographie  der 
einzelnen  centralen  Nervengebiete  zu  berücksichtigen  und  ohne  den  Zustand  zu 
prüfen,  in  welchem  sich  die  innerhalb  eines  Herdes  gelegenen  Urspriingskerne ,  so- 
wie die  durchstreichenden  Fasern  der  einzelnen  Nerven  befinden.  Es  ist  nun  aber 
mit  voller  Bestimmtheit  anzunehmen,  dass  solche  Herde  gar  oft  nervöse  Elemente 
in  sich  schliessen,  welche  ihre  volle  Leitungsfähigkeit  beivahrt  haben;  sieht  man 
ähnliches  doch  alle  Tage  in  der  Netzhaut  und  dem  Vorderende  des  Opticus,  indem 
hier  die  makroskopisch  erkennbaren  Veränderungen  mit  der  Grösse  und  Ausdeh- 
nung der  Functionsstörungen  keineswegs  in  einem  geraden  Verhältnisse  stehen. 
Anderseits  aber  entziehen  sich  feinere  anatomische  Abweichungen  der  Gehirntheile 
sehr  leicht  dem  Blicke,  indem  sie  das  Aussehen  der  letzteren  nur  wenig  oder  gar 
nicht  alteriren.  Es  kann  daher  sehr  leicht  geschehen,  dass  Erkrankungen  bestimm- 
ter Hirnregionen,  welche  nachgewiesener  Massen  Ursprungskerne  oder  Verbindungs- 
fäden einzelner  oder  mehrerer  Nervenstämme  einschliessen,  einmal  ohne,  das 
andere  Mal  mit  Functionsbehinderungen  in  diesem  oder  jenem  Gebiete  einher- 
gehen; umgekehrt  aber,  dass  während  des  Lebens  Functionsstörungen  aixftauchen, 
welche  sich  nachträglich  aus  der  makroskopisch  bestimmbaren  Lage  und  Ausdeli- 
nung  des  Krankheitsherdes  nicht  erklären  lassen.  Dazu  kömmt,  dass  die  anato- 
mische Vertheilung  der  centralen  Nervenenden  noch  sehr  unvollständig  bekannt 
ist,  man  sich  also  leicht  denken  kann,  dass  in  gar  manchem  Falle  Nerven  betroffen 
werden,  welche  nach  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Anatomie  ihre  Ursprungs- 
kerne und  Verbindungsfäden  iveit  ab  von  dem  Herde  liegen  haben.  Im  Ganzen  ist 
daher  die  Zeit  noch  nicht  gekommen,  um  aus  gewissen  Symptomcomplexen  mit 
einiger  Bestimmtheit  auf  die  Oertlichkeit  und  die  Ausdehnung  eines  Gehirnleidens 
hinweisen  zu  können;  es  muss  erst  eine  anatomische  Basis  geschaffen  werden  und 
bis  dahin  bleiben  die  diagnostischen  Schlüssel  (Lancereaux)  in  hohem  Grade  trüge- 
risch ,  wie  dies  die  neueren  Zusammenstellungen  langer  Reihen  von  einschlägigen 
Fällen  (Lebert,  Lancereaux,  Ladanie,  Duchek)  sattsam  erweisen. 

Es  Hegt  auf  der  Hand,  dass  krankhafte  Processe  in  jenen  Partien  des 
Gehirnes,  aus  welchen  der  Sehnerve  bekanntlich  eine  gewisse  Anzahl  von 
Elementen  bezieht,  oder  welche  von  einzelnen  centralen  Faserbündeln  des- 
selben durchstrichen  werden  (S.  166),  viel  häufiger  directe  Veranlassung 
zu  schwarzen  Staaren  geben  müssen,  als  andere,  welche  den  optischen 
Theilgebieten  fer7ie  liegen.  Es  werden  nämlich  die  optischen  Elemente 
leicht  unmittelbar  in  den  Process  einbezogen ;  oder  sie  fallen  in  den  Reactions- 
gürtel;  oder  werden  auf  mechanische  Weise  durch  Verdrängung,  also  durch 
Druck,  Dehnung,  Zerrung  zu  Wucherungsprocessen  angeregt;  oder  sie 
leiden  in  ihren  Ernährungsverhältuissen  unter  den  Reflexen,  welche  der 
Krankheitsherd  auf  die  Nerven  der  nachbarlichen    Gefässverzwe.igungen  aus- 


256  Sehnervenschwimd ;  Ursachen;  Verlauf;  Amaurosis  encephalopathica. 

Übt.  Ist  aber  einmal  iu  einem  ürsprungskerue  oder  centralen  Nervenbündel 
des  Opticus  graue  Atropliie  oder  manifeste  Entzündung  eingeleitet,  so  pflanzt 
sich  der  Zustand  erfahrungsmässig  ausserordentlich  gerne  längs  den  be- 
treifenden Faserzügen  in  centrifugaler  Richtung  fort,  greift  dabei  auf  die 
sich  anlegenden,  von  anderen  Ursprungskernen  kommenden  Fascikel  über 
und  erscheint  an  der  eigentlichen  Wurzel  meistens  schon  über  den  ganzen 
Querschnitt  verbreitet.  Indem  er  dann  gegen  die  Peripherie  hin  vordringt, 
macht  er  sich  gewöhnlich  auch  ophthalmoskopisch  bemerkbar,  die  Papillen 
zeigen  die  Charaktere  des  einfachen  Schwundes  oder  der  Neurodictyitis. 
Ist  der  centrale  Krankheitsherd  ein  einseitiger^  so  betreffen  die  von  ihm 
direct  ausgehenden  Gewebsveränderungen  ursprünglich  unzweifelhaft  nur 
Elemente  der  Einen  Wurzel ;  daher  sich  die  Sehstörungen  auch  auf  Theile 
der  gleichseitigen  Hälfte  der  einen  oder  heider  Netzhäute  beschränken  müssen. 
In  der  Regel  jedoch  schreitet  der  Process  über  kurz  oder  lang  auf  das 
Gebiet  des  anderen  Sehstreifens  fort,  da  eben  ausser  den  später  zu  erörtern- 
den Gelegenheiten  für  Diffusionen  das  Chiasma  einen  überaus  günstigen 
Uebergangspunkt  bietet. 

Im  Einklänge  mit  der  anatomischen  ^""ertheilung  der  optischen  Central- 
theile  und  laut  den  casuistischen  Sammlungen  {Lebert,  Duchek,  Ladame, 
Lancereaux)  sind  Erkrankungen  der  Vierhügel  fast  constant  und  jene  der 
Sehhügel  sehr  häufig  mit  Amaurose  gepaart.  Aehnliches  gilt  auch  von  Ge- 
schwülsten  der  Hypophyse.  Pathologische  Processe  in  den  Lappen  des  Gross- 
und Kleinhirnes  führen  in  einem  relativ  geringeren  Procente  der  Eälle  zu 
Functionsstörungen  im  lichterapfindenden  Apparate,  und  wo  dies  geschieht, 
sind  abgesehen  von  vasomotorischen  Einflüssen  gewöhnlich  mechanische  Ver- 
hältnisse, zumal  vermehrter  Hirndruck  oder  Verdrängung  der  Seh-  und 
Vierhügel,  anzuschuldigen.  Endlich  vergesellschaften  sich  Rückenmarksleiden 
nicht  selten  mit  Amaurose,  da  bei  fortschreitender  Atrophie  der  Hinter- 
stränge die  dort  gelegenen  optischen  Centra  getroffen  und  in  den  Process 
einbezogen  werden. 

Es  ist  klar,  dass  mangelhafte  Entwickelung  grösserer  Hirnahschnitte ,  in  wel- 
chen Ursprungskerne  des  Opticus  liegen,  oder  Entartungen  derselben  in  Folge 
fötaler  Erkrankungen  angehorne  schwarze  Staare  zu  begründen  vermögen.  Man 
hat  Fälle  beschrieljen,  wo  Gesicht,  Gehör  und  Geruch  von  Geburt  aus  fehlten 
(Sichel). 

Die  Vierhügel  sind  bei  einem  Amaurotischen  völlig  zerstört  gefunden  worden 
durch  eine  Bindegewebswucherung,  welche  sich  bis  in  die  Varolsbrücke  erstreckte 
und  zahlreiche  Tuberkelherde  eingesprengt  enthielt  (W.  Wagner).  In  einem  ande- 
ren Falle  bestand  Neurodictyitis  descendens  neben  einem  grossen  apoplektischen 
Herde  des  linken  Mittellappens  und  kleineren  Blutaustretungen  in  den  Vierhügeln 
(H.  Jackson).  In  einem  dritten  Falle  drang  ein  Tuberkel  von  dem  linken  Gross- 
hirnschenkel aus  in  die  Substanz  der  Corpora  quadrigemina  (Mohr).  Mehrmals  hat 
man  die  letzteren  von  Geschwülsten  der  Hemisphären  verdrängt  und  nebenbei 
atrophirt  (Johert  de  LamhaUe,  Herrison)  oder  erweicht  (Bahnbridge)  oder,  bei  gleich- 
zeitiger Verschiebung  und  Verflachung  des  Sehhügels,  theiliveise  zerstört  (Ä.  Weher) 
getroffen.  Sehr  ausnahmsweise  fehlte  bei  theilweisen  tuberculosen  Entartungen  der 
fraglichen  Region  die  Amaurose  (Henoch,  Steffen).  Insofern  in  den  Vierhügeln  ein 
Centrum  liegt,  welches  die  Reflexe  von  dem  Opticus  auf  die  pupillaren  Zweige  des 
Oculomotorius  leitet  (Flourens^  Budge),  ist  es  wahrscheinlich,  dass  bei  den  hier- 
her gehörigen  Amblyopien  die  Reaction  der  Pupille  auf  Licht  mehr  weniger  voll- 
ständig vernichtet  ist. 

Die  Thalami  optici  erschienen  einmal  bei  einem  Erblindeten  in  einer  gefjiss- 
reichen  Aftermasse  gänzlich  aufgegangen  (J.  Hunter).  In  einem  anderen  Falle  war 
Neurodictyitis  descendens  durch  ein  Sarcom    angeregt  w^orden,   welches  den  linken 


Krankheiten  der  Thalami,  der  Hypophyse,  der  Grosshirnlappen.  257 

Sehhügel  o-anz  einnahm  und  die  Hirnwindungen,  die  Brücke  und  die  intracraniel- 
len  Opticustlieile  sehr  verflacht  liatte  (Leijden).  Einmal  fand  sich  schwarzer  Staat 
begründet  durch  eine  apoplektische  Narhenmasse ,  welche  den  rechten  Sehhügel 
fast  völlig  ersetzte,  während  linkerseits  ein  kleiner  frischer  Bluterguss  im  Thalamus 
sass  (Quaglino).  Auch  sind  Erweichungen  beider  Sehhügel  mit  Apoplexie  als  Ur- 
sache von  Amaurosis  gesehen  worden  (Diifour).  Dagegen  sind  genug  Fälle  bekannt, 
wo  trotz  ziemlich  ausgedehnter  Zerstörungen  eines  Sehhügels  Amaurosis  fehlte.  (La- 
damej.  Es  ist  besonders  einer  erwähnenswerth ,  wo  der  Thalamus  opticus  dexter 
bei  weit  gediehener  Atropliie  des  anliegenden  Streifenhügels  sehr  abgeflacht  war, 
und  im  linken  Sehhügel  und  den  Vierhügeln  mehrere  a})oplektische  Herde  bestan- 
den, ohne  dass  eine  Sehstörung  nachgewiesen  werden  konnte  (H.  Fischer).  An- 
schliessend an  diesen  Fall  möge  hier  die  Bemerkung  erlaubt  sein,  dass  Erkrankun- 
gen des  Streifenhügels  gewöhnlich  ohne  Amaurose  ablaufen,  wenn  sie  eben  nicht 
den  nachbarliciien  Thalamus  etc.  beirren  (DuchekJ ;  dagegen  meistens  mit  einer 
Abweichung  der  Blickrichtimg  beider  Aiigen  nach  der  dem  Sitze  des  Herdes  ent- 
gegengesetzten Richtung  gepaart  sind,  und  wo  diese  Ablenkung  sehr  ausgesprochen 
ist,  zuweilen  atich  mit  einer  deutlichen  Rotation  des  Kopfes  nach  der  nicht  para- 
lysirten  Seite  einhergehen ,  eine  Erscheinung,  welche  als  Beginn  der  bei  Streifen- 
hügelerkrankungen häufigen  Drehhervegungen  (Manz)  gedeutet  wird  (Prevost). 

Geschwülste  der  Hypophyse  und  ihrer  nächsten  Umgebung  verursachen  in  der 
Regel  Amaurose  dadurch,  dass  sie  das  Chiasma  nach  oben  treiben  und  in  seinen 
Ernährungsverhältnissen  schädigen  (Lehert,  Duchek,  Ladame,  Leber,  Michel).  Selbst- 
verständlich ist  hier  die  Sehstörung  immer  eine  doppelseitige  oder  wird  es  bald, 
es  sei  denn,  dass  der  Tumor  sich  aussciiliesslich  nach  Einer  Seite  hin  entwickelt 
(Michel,  Hjort,  Ladame),  wo  dann  gleichseitige  Hemiopie  oder  gar  monolaterale 
partielle  Amblyopien  das  Resultat  sein  können.  Manchmal  drängen  sich  solche  After- 
gewächse in  die  überlagernden  Geldrntheile  hinein,  schieben  die  Sehhügel  und  Vier- 
hügel zur  Seite  und  führen  so  zu  krankhaften  Veränderungen  des  Hauptlagers 
der  optischen  Centra  (Hahershon,  Hoffmann).  Auch  kann  es  geschehen,  dass  beide 
Opticusstämme  kuiz  nach  ihrem  Austritte  aus  dem  Chiasma  von  den  darüber  hiu- 
weglaufenden  Arteriis  corporis  callosi  förmlich  abgeschnürt  werden,  da  die  Geschwixlst 
sie  nach  oben  gegen  diese  Schlagadern  presst  (Türck).  Ausnahmsweise  waren  durch 
Geschwülste  der  fragliclien  Gegend  bedingte  Ama\irosen  vorübergehend  (Beck),  ver- 
schwanden plötzlich  wieder,  vielleicht  indem  der  Tumor  eine  Lagerveränderung 
erlitten  hatte  (Michel),  z.  B.  nach  unten  durchgebrochen  war  und  das  Chiasma 
entlastete;  wenigstens  sind  derlei  Perforationen  in  die  Orbita  u.  s.  w.  nichts  sehr 
seltenes.  Bei  kleinen  Geschwülsten  der  Hypophyse  kann  die  Amaurose  übrigens 
auch  fehlen  (Dahl,  Ladame). 

hl  den  Laj^pen  des  Grosshirnes  bestehen  sehr  oft  i^mfangsreiche  Krankheits- 
herde bei  völliger  Integrität  des  Sehvermögens  (Lebert,  Lancereaux,  Duchek,  Ladame). 
Oft  genug  indessen  stellen  sich  Amaurosen  ein,  welche  sich  nachträglich  nicht  aus 
den  etwaigen  Neben-  xxnA  i^o^^rezuständen  erklären  lassen,  sondern  in  unmittelbar-em 
Abhängigkeitsverhältnisse  mit  dem  Primärherde  gedacht,  also  auf  materielle  Ver- 
änderungen einzelner  Ursprungskerne  oder  der  zu-  und  abstreichenden  Verbindungs- 
fäden bezogen  werden  müssen.  Insbesondere  wichtig  scheint  in  dieser  Beziehung 
die  obere  äussere  Umgebung  des  Sehhügels,  da  hier  nachgewiesener  Massen  viele 
optische  Centralfasern  durchgehen  (Türck).  Doch  sind  schwarze  Staare  auch  nichts 
Ungewöhnliches,  der  Herd  möge  im  Vorder-,  Mittel-  oder  Hinterlappen,  in  deren 
Rinde  (Ladame)  oder  im  Marklager  sitzen.  Sie  betreifen  bei  Einseitigkeit  des 
Herdes  in  der  Regel  nur  das  Ausstrahlungsgebiet  der  Einen  Wurzel  und,  wo  sie 
gleich  anfänglich  bilateral  auftreten  oder  gar  in  der  gegenseitigen  Hälfte  des  licht- 
empfindenden Apparates  auftauchen  (Lancereaux),  besteht  kaum  ein  7mmittelbarer 
Zusammenhang,  vielmehr  sind  in  der  Regel  vasomotorische  Einflüsse,  oder  eine 
Mehrzahl  von  Herden,  Meningitis,  Hirndruck  u.  s.  w.  als  nächste  Quelle  anzunehmen. 
Es  ist  ein  solches  Uebergreifen  besonders  häufig  bei  massigeren  Apoplexien  zu 
beobachten ;  die  Amaurose  erscheint  anfänglich  bilateral,  löst  sich  aber  mit  fort- 
schreitender Aufsaugung  des  Ergiisses  und  Schrumpfung  des  Herdes  in  gleichseitige 
Hemiopie  oder  in  symmetrische  Unterbrechungen  und  partielle Einschi-änkungen  beider 
Gesichtsfelder  (Graefe);  ja  bei  wiederholten  Ergüssen  oder  Reactionssteigerungen 
loechselt  die  Functionsstörung  in  Bezug  auf  Grad  und  Ausdehnung  mehrmals.  Bei 
Erweichtingen  (Türck,  Graefe),  Tuberkeln  (Ladame),  Gewächsen  (Graefe,  Duchek, 
Ladame,    Weickert) ,  Blasenwürmern  verschiedener  Art    (Koster,    Graefe,   Griesinger), 

Stellwag,  Augenheilkunde.  17 


258      Sehnervenschwund ;  Ursachen:  Verlauf;  Enkephalopathien ;  Kleinhimleiden ;  Aminalis.  sp. 

kömmt  dies  seltener  vor.  Es  liegt  nahe,  für  die  häufig  beobachteten  centralen 
Unterbrechungen  des  Gesichtsfeldes  kleine  umschriebene  Krankheitsherde  innerhalb 
des  Gehirnes  als  Quelle  anzunehmen,  zumal  in  enge  Grenzen  eingeschränkte 
Circulationsstörungen,  Entzündung,  graue  Atrophie  (Graefe)-^  doch  ist  darüber  nichts 
Positives  bekannt. 

Erlcranhungen  des  Kleinhirnes  (Diichek,  Ladame,  Benedikt)  sind  sehr  häufig 
mit  Amaurose  vergesellschaftet  und  zwar  meistens  mit  beiderseitiger,  selten  mono- 
lateraler, welche  letztere  einmal  die  gegenständige  Wurzel  betraf  und  mit  Neuro- 
dictyitis  apoplectica  einherging  fDemmeJ.  Gewöhnlich  findet  sich  dabei  Erweiterung 
der  Pupille,  weniger  oft  Ablenkung  beider  oder  Eines  Auges  (Shearer,  Leven,  Ollivier, 
Duchek).  Es  waren  in  den  einzelnen  Fällen  Aftergew'dchse,  welche  in  dem  einen 
Lappen  (Demme,  A.  Weber,  Blessig,  Leber)  sasseu  oder  denselben  von  aussen  her 
zusammendrückten  (Beronius),  oder  vom  Wurm  ausgehend  in  beide  Lappen  ein- 
drangen (H.  Jackson);  weiters  Cysten  des  einen  Lappens  (MarcdJ,  mächtige  Tuberkel- 
ablagerungen (Collin)  mit  Cystenbildung  in  beiden  Hälften  (A.  Weber)  u.  s.  w. 
Man  glaubt,  dass  die  Sehstörung  unter  solchen  Umständen  durch  Betheiligung  der 
Vierhügel  zu  Stande  komme  und  durch  den  Einfluss  zu  erklären  sei,  welchen  die 
Reizung  gewisser  Theile  des  Kleinhirnes  auf  die  Ernährung  der  Sehnervencentra 
ausübt  (Duchek).  Druck  ist  wenigstens  sicherlich  nicht  die  Ursache  und  eben  so 
wenig  lassen  sich  Ursprungskerne  des  Opticus  im  Kleinhirne  vermuthen,  da  die 
Sehstörung  bei  krankhaften  Zuständen  desselben  sehr  häufig  mangelt  (Duchek, 
Ladame,  Mosler),  ja  Fälle  bekannt  sind,  wo  ein  oder  beide  Lappen  vollständig 
atrophirt  waren  (Lallemenf,  Fiedler),  oder  von  Oeburt  aus  fehlten  (Combefte,  Solly), 
ohne  dass  sich  eine  Sehstörung  äusserte.  Im  Allgemeinen  charakterisiren  sich  Fälle 
von  Kleinhirntumoren  hauptsächlich  durch  Kopfschmerzen,  besonders  im  Hinter- 
haupte und  Motilitätsstörungen,  welche  sich  gemeiniglich  in  Form  von  Convulsionen 
und  in  Schwierigkeiten  beim  Gehen  i;nd  Stehen  äussern.  Oft  findet  man  daneben 
auch  convergentes  Schielen.  Dagegen  fehlen  gewöhnlich  Sensibilitäts-  und  Geistes- 
störungen (Ladame). 

In  einzelnen  Fällen  ist  Amaurose  beobachtet  worden  bei  Erkrankungen  der 
Varolshrücke  (C'oindet,  Boyer,  Bright ,  Rosenthal)  und  des  verlängerten  Markes  (La- 
dame, Biermer,  Bright  u.  A.).  Es  war  dann  der  schwarze  Staar  höchst  selten  ein- 
seitig (Mohr),  meistens  zeigte  er  sich  gleich  von  vorneherein  oder  in  kurzen  Zwi- 
schenpausen bilateral,  es  mochte  der  Herd  in  der  Substanz  der  genannten  Organe 
selber  sitzen,  oder  dieselben  von  aussen  her  drücken.  Bei  Brückenleiden  findet  sich 
nebenbei  häufig  Vej-engei-ung  der  Pt/piUe  und  zwar  ist  dieselbe  bei  einseitiger 
Aftection  meistens  monolateral  und  gegenständig  (Duchek).  Es  scheint,  dass  der 
pathogenetische  Schlüssel  dieser  Sehstörungen  in  dem  Durchzuge  jener  Nervenfäden 
gesucht  werden  müsse,  welche  die  im  Hirne  und  Rückenmarke  liegenden  optischen 
Centra  miteinander  verbinden. 

Rückenmarksleiden,  insbesondere  Tabes  dorsualis,  sind  seit  Langem  als 
Quellen  schwarzer  Staare,  der  sogenannten.  Amaurosis  spinalis,  bekannt.  Es 
gehen  den  solchermassen  begründeten  Sehstörungen  gewöhnlich  Erscheinungen 
der  Spinalerkrankung  voraus,  insbesondere  Gefühlsparesen ,  zu  welchen 
sich  meistens  bald  auch  Muskellähmungen  in  den  Extremitäten  gesellen. 
Oefters  jedoch  eröffnen  Sehstörungen  den  Eeigen  und  die  Verblassung  der 
Papille  ist  schon  sehr  merklich,  wenn  sich  andere  Zeichen  der  Tabes 
geltend  machen.  Es  besteht  dabei  häufig  eine  sehr  ausgesprochene  Em- 
pfindlichkeit gegen  beliebige  äussere  Keize,  besonders  gegen  Druck,  in  der 
Gegend  des  obersten  Halswirbels.  Bisweilen  konnte  sogar  durch  Drücken, 
Kneipen  etc.  der  nachbarlichen  Weichtheile  die  Sehstörung  vermehrt,  umge- 
kehrt aber  durch  Blutentziehungen  an  der  empfindlichen  Stelle  des  Rücken- 
markes eine  merkliche  Besserung  der  Amblyopie  erzielt  werden  (^Türck). 
Bei  der  anatomischen  Untersuchung  findet  sich  progressive  Atrophie  der 
Hinterstränge  des  Rückenmarkes,  welche  sich  nach  oben  hin  bis  in  die 
Sehhügel  verfolgen  lässt  und  meistens  schon  sehr  frühzeitig  auf  die  Wur- 
zeln,   das    Chiasma    und    die    beiden    Stämme  des  Sehnerven  fortschreitet 


Hirndruck;  Hydroceplialus.  259 

(Romberg),  demgomäss  auch  ophthalmoskopisch  unter  den  Erscheinungen  des 
grauen  Opticusschwundcs  zu  Tage  tritt.  Es  ist  in  Bezug  auf  die  Pathoge- 
nese der  Amaurosis  tabetica  von  grosser  Wichtigkeit,  dass  die  anatomischen 
Veränderungen  im  Bereiche  des  Opticus  vollkommen  übereinstimmen  mit 
denen,  welche  in  den  tabctischen  Partien  des  Rückenmarkes  gefunden 
werden  (Leher).  In  den  späteren  Stadien  zeigt  sich  die  Pupille  häufig 
sehr  verengt  (Arlt) ;   doch  ist  dies  kein  constantes  Symptom. 

Oftmals  wird  das  Hirnleiden,  ähnlich  basilaren  Geschwülsten,  nicht 
sowolil  unmittelbar  zur  Quelle  von  Amaurosen,  als  durch  Anregung  einer 
Meningitis  (S.  251),  welche  sich  rasch  diffundirt  und  auf  die  intracraniellen 
Theile  des  Opticus  übergeht ,  oder  gar  den  Entzündungsreiz  auf  deren 
Centra  überträgt. 

In  neuerer  Zeit  sind  einzelne  Fälle  veröffentlicht  worden ,  wo  coenurns- 
artige  Blasenwürmer,  welche  sich  in  dem  Hirne  entwickelt  hatten,  und  andere,  wo 
Hirnerweichung  oder  Hirntumoren  auf  diesem  Wege  zu  Neurodictyitis  descendens 
geführt  hatten  (Grvefe,  Koster). 

Viel  häufiger  indessen  werden  Encephalopathien  durch  vermehrten 
Hirndruck  und  damit  gesetzte  Ernährungshindernisse  zur  mittelbaren  Ver- 
anlassung von  schwarzen  Staaren.  Es  resultirt  die  Steigerung  des  Hirn- 
druckes in  vielen  Fällen  direct  aus  der  Massenzunahme  des  Schädelinhaltes 
und  aus  der  Erhöhung  des  intravascularen  Druckes.  Die  Wirkung  dieses  me- 
chanischen Momentes  kann  eine  locale  bleiben,  so  dass  blos  die  nächst  ge- 
legenen verdrängten  Theile  leiden,  zumal  solche,  welchen  ein  entsprechendes 
E"achgeben  durch  die  Nähe  des  knöchernen  Schädelgehäuses  unmöglich 
gemacht  ist  (Türck).  Gewöhnlicher  jedoch  ist  sie  eine  allgemeinere,  es  zeigen 
sich  sämmtliche  Hirnwindungen  verstrichen  und  eine  grössere  Anzahl  der 
an  der  Basis  des  Schädels  verlaufenden  Nervenstämme,  insonderheit  die 
massigen  tiud  weithin  über  den  knöchernen  Schädelgrund  hinziehenden 
Optici,   abgeflacht  und   atrophirt   (Türck,    Knster). 

In  anderen  Fällen  ist  die  Vermehrung  des  Hirndruckes  durch  Hydro- 
cephalus  veranlasst.  Derselbe  gesellt  sich  gelegentlich  zu  den  verschieden- 
artigsten Hirnkrankheiten,  diese  mögen  sich  an  diesem  oder  jenem  Orte 
ausgebildet  haben ;  kann  aber  auch  primär  auftreten  und  ein  wie  das  andere 
Mal  der  eigentliche  Grund  des  schwarzen  Staares,  oder  genauer  gesagt, 
einer  durch  mechanische  Beengung  begründeten  Atrophie  der  intracraniellen 
Opticustheile  werden.  Es  kömmt  hierbei  noch  insbesondere  in  Betracht, 
dass  durch  beträchtlichere  Wasseransammlungen  in  den  Ventrikeln  die  Innen- 
flächen der  beiden  Sehhügel  aus  einander  gedrückt,  damit  aber  die  Gross- 
hirnschenkel mehr  divergent  gemacht  und  die  an  ihrer  unteren  Fläche  strei- 
chenden Sehnervenstreifen  gezerrt  werden  können.  Ausserdem  wird  gar  oft 
das  Chiasma  durch  den  nach  abivärts  gedrängten  Boden  der  dritten  Gehirn- 
kammer und  durch  blasige  Hervortreibung  des  Tuber  cinereum  platt  gedrückt, 
bisweilen  sogar  die  obere  Wand  der  Keilbeinshöhle  und  die  Sattellehne  durch 
TJsur  angegriffen.  Endlich  liegt  noch  ein  weiteres  Moment  in  der  Ein- 
schnürung der  beiden  Sehstreifen  durch  die  unter  ihnen  hinweglaufenden 
beiden  Arteriae  communicantes  posteriores,  welche  Einschnürung  zuweilen  so 
weit  geht,  dass  tiefe  Querlinien,  ja  nahezu  völlige  Unterbrechungen,  im 
Nervenmai'ke  resultiren  (Türck). 

Die  Ausgänge  sind  zunächst  natürlich  von  der  Art,  dem  Sitze  und 
der  Ausdehnung  des    Grundleidens  abhängig.      Ist   dies  ein  unheilbares  oder 

17* 


260  Selnervenschwund ;  Ausgänge. 

gar  unaufhaltsam  fortschreitendes  und  sind  intracranielle  Theile  des  licht- 
empfindenden Apparates  in  dem  Processe  bereits  völlig  aufgegangen,  so  kann 
eine  Wiederherstellung  des  am  Sehvermögen  verloren  Gegangenen  nicht 
mehr  angehofft  werden,  vielmehr  wird  meistens  eine  weitere  Zunahme  der 
Störung  in  sichere  Aussicht  zu  nehmen  sein.  Anders  gestaltet  sich  jedoch 
die  Sache,  wenn  die  Amaurose  nur  im  mittelbaren  pathogenetischen  Zu- 
sammenhange mit  einem  solchen  Krankheitsherde  steht  und  zunäclist  begrün- 
det wird  durch  local  oder  allgemein  gesteigerten  Hirndruck,  durch  reactio- 
näre  Gewebswucherungen,  oder  durch  Kreislaufsbeirrungen,  welche  ihre  Quelle 
in  den  vom  Primärherde  auf  die  vasomotorischen  Xerven  der  Nachbar- 
schaft reflectirten  Reizen  finden,  allgemein  gesprochen,  wenn  die  Functions- 
behinderung  des  lichtempfindenden  Apparates  auf  Eechnung  von  Secundär- 
zuständen  zu  schreiben  ist,  welche  der  Bückbildung  fähig  oder  gar  nur  vor- 
übergehend sind.  Da  ist  eine  theilweise  oder  gänzliche  Aufhellung  der 
verdunkelten  Stellen  des  Gesichtsfeldes  in  der  That  nichts  Ungeu-öhnliches. 
Wird  sie  doch,  wenn  auch  selten,  selbst  bei  krankhaften  Geschwülsten  des 
Gehirnes  und  der  Schädelbasis  beobachtet.  Bei  apoplekfischen  Ergüssen  ist 
sie  schon  recht  häufig.  Die  solchermassen  begründeten  schwarzen  Staare 
erstrecken  sich  anfänglich  in  der  Regel  über  das  gesammte  Ausstrahluugs- 
gebiet  einer  oder  beider  Sehnervenwurzeln,  treten  aber  mit  fortschreitender 
Aufsaugung  des  Extravasates  und  Schrumpfung  des  Herdes  in  engere  Gren- 
zen zurück,  beschränken  sich  allmälig  auf  die  Eine  Hälfte  beider  oder 
Einer  Netzhaut,  oder  gar  nur  auf  Theile  derselben  und  verschwinden  schliess- 
lich auch  wohl  gänzlich.  Am  öftesten  jedoch  ist  ein  solcher  erfreulicher 
Ausgang  selbstverständlich  dann  zu  verzeichnen,  wenn  die  primäre  Krank- 
heit an  sich  einem  vollständigen  Ausgleiche  günstige  Bedingungen  bietet, 
z.  B.  eine  reine  Entzündung  ist,  welche  entweder  direct  durch  gewisse 
Schädlichkeiten  angeregt,  oder  durch  anderweitige  krankhafte  Vei'hältnisse 
mehr  allgemeinen  Charakters,  durch  Circulationsstörungen  u.  s.  w.  vorbe- 
reitet worden  ist. 

Es  setzt  ein  derartiger  Rückgang  des  schwarzen  Staares  indessen 
voraus,  dass  der  lichtempfindende  Apparat  unter  dem  Einflüsse  des  eigent- 
lichen pathogenetischen  Momentes  nicht  schon  zu  sehr  gelitten  hat,  beziehungs- 
weise in  krankhafte  Processe  verwickelt  worden  ist,  welche,  einmal  angeregt, 
sich  gerne  selbstständig  fortentwickeln,  auch  wenn  weitere  Impulse  von  Seite 
des  mittlerweile  regressiv  gewordenen  primären  Leidens  fehlen. 

Wäre  der  ganze  pathologische  Vorgang  in  allen  seinen  Theilen  aus 
dem  gegebenen  Kranklieitsbilde  immer  mit  Sicherheit  zu  ermessen,  so  Hesse 
sich  begreiflicher  Weise  in  jedem  einzelnen  Falle  das  Kommende  mit  dem- 
selben Grade  von  Wahrscheinlichkeit  voraussehen,  wie  bei  anderen  mani- 
festen Processen.  Bei  der  Yerstecktheit  intracranieller  Leiden  und  der 
Vieldeutigkeit  ihrer  symptomatischen  Aeusserungen  stösst  aber  schon  eine 
annäherungsweise  Diagnose  häufig  auf  unüberwindliche  Schwierigkeiten  und 
gewöhnlich  ist  es  ganz  unmöglich,  den  näheren  pathogenetischen  Verband 
des  schwarzen  Staares  mit  dem  Primärherde  auch  nur  vermuthungsweise 
zu  ergründen.  Man  muss  sich  dann  darauf  beschränken,  aus  den  vorhan- 
denen und  fehlenden  Erscheinun2:en  den  dermaligen  Zustand  des  licht- 
empfindenden  Apparates  zu  erschliessen,  um  ein  einigermassen  treffendes 
Urtheil  über  die  Aussichten  fallen  zu  können,  welche  das  dem  KranJien 
peinlichste  Symptom,   die   Sehstörung,   für  die   Zukunft   bietet. 


!^ 


Prognostische  Momente;  Augenspiegel phaenomene.  261 

Da  ist  denn  das  Aussehen  der  SehnervenpapiUe  von  höchster  Bedeutung. 
Zeigt  sich  hier  bereits  deutlich  der  graue  Schwund,  so  müssen  die  HoiF- 
nungen  tief  herabgestimmt  werden,  indem  dieser  Process  eine  sehr  aus- 
gesprochene Neigung  zum  Weiterschreiten  hat  und,  falls  er  von  tief  gelegenen 
Theilen  ausgeht,  sehr  häutig  auf  die  Klememte  der  zweiten  Hehnervenwurzel 
übergreift,  so  dass  oft  die  Erblindung  beider  Augen  zu  befürchten  steht,  auch 
wenn  vorderhand  nur  Eines  Functionsstörungen  nachweisen  lässt.  Jedoch 
darf  hierbei  nicht  ausser  Acht  gesetzt  werden,  dass  die  Fortpflanzung  einer 
bereits  eingeleiteten  reinen  Atrophie  keineswegs  eine  Nothwendigkeit  ist, 
dass  der  Schwund  unter  günstigen  Verhältnissen  vielmehr  in  jedem  Augen- 
blicke stille  stehen  und  für  die  Dauer  begrenzt  werden  könne,  daher  nur 
wiederholte  und  in  längeren  Zwischenpaiisen  vorgenommene  ophthalmosko- 
pische Untersuchungen  in  dieser  Hinsicht  genügende  prognostische  Grund- 
lagen gewähren.  Zudem  ist  wohl  in  Anschlag  zu  bringen ,  dass  die  Seh- 
störung, um  welche  es  sich  zunächst  doch  handelt,  mit  den  objectiven 
Merkmalen  der  Atrophie  nicht  immer  in  geradem  Verhältnisse  wachse,  dass 
überhaupt  Verblassungen  des  Sehnerveneintrittes  nicht  nothwendig  den 
Schwund  der  Elemente  andeuten  und  auf  zeitweiligen  spastischen  Ischämien  der 
Nährgefässe  des  Opticus  beruhen  können  (S.  241);  dass  im  Einklänge 
damit  erfahrungsmässig  der  lichtempfindende  Apparat  trotz  sehr  weit  ge- 
diehener .,Decoloratio  papillae"'  (Ed.  Jäger)  öfters  in  ziemlich  befriedigendem 
Masse  functionire  und,  falls  er  im  höheren  Grade  amblyopisch  wäre,  einen 
Theil  seiner  Leistungsfähigkeit  icieder  gewinne,  ja  auch  erhalte,  ohne  dass 
das  Augenspiegelbild  sich  entsprechend  verändert. 

Ausserdem  muss  man  sich  auch  vor  Missdeutungen  der  ophthalmoskopischen 
Merkmale  hüten.  Nicht  jede  auffällige  partielle  Verblassung  der  Papille  deutet  auf 
Schwund;  vielmehr  zeigt  sich  auch  im  No^-vialzustande  ein  unregelmässiger  periphe- 
rer Abschnitt  des  Sehnerveneintrittes  gar  oft  hellweiss  und  sehnenartig  glänzend. 
Die  Unterscheidung  einer  solchen  physiologischen  Verblassung  von  einer  krankhaften 
ist  dann  nicht  selten  recht  schwer  und  nur  durch  längere  Verfolgung  des  Uebels, 
d.  i.  durch  den  endlichen  Nachweis  einer  allmäligen  Vergrössertmg  der  entfärbten 
Stelle  ermöglicht.  Häufig  jedoch  gibt  gleich  anfangs  der  Umstand  einen  guten 
Fingerzeig,  dass  die  atrophische  Entartung  von  der  Gefässpforte  ausgeht,  diese  gleich- 
sam umgreift  und  sich  in  Gestalt  eines  Spitzbogens  oder  Zwickels  bis  zum 
Schläfenrande  der  Papille  erstreckt,  um  weiterhin  erst  an  Breite  zu  gewinnen 
(S.  232). 

Manifeste  Neurodictyitis  ist  im  Ganzen  wohl  überaus  bedenklich ; 
doch  lässt  sie  immerhin  noch  einen  weit  grösseren  Spielraum  für  günstige 
Vorhersagen,  als  der  unter  ganz  unscheinbaren  Symptomen  auftretende  und 
fortschleichende  graue  Schwund,  es  wäre  denn,  dass  sie  sehr  productiv 
ist,  oder  schon  lange  besteht,  oder  dass  sich  hinter  der  Trübung  bereits 
der  charakteristische  Sehnenglanz  und  die  helle  Färbung  des  entartenden 
Gefüges  geltend  macht. 

Verhältnissmässig  am  meisten  darf  man  sich  unter  sonst  günstigen 
Umständen  versprechen,  wenn  und  so  lange  objectiv  nachweisbare  materielle 
Veränderungen  in  der  Papille  fehlen. 

Es  fliessen  übi'igens  sehr  werthvoUe  prognostische  Behelfe  auch  aus 
dem  jeweiligen  functionellen  Bestände,  so  wie  aus  der  Art  und  Weise,  in 
welcher  sich  die  Sehstörungen  entwickelt  haben  (Graefe).  Im  Allgemeinen 
darf  man  mit  Rücksicht  auf  die  pathogenetischen  Momente  sagen,  dass 
plötzlich  oder  doch  sehr  rasch  entstandene  totale  Erblindungen  eines  oder 
beider  Augen  keineswegs  die  schlimmste  Bedeutung    haben,  indem  sie  gar 


262  Sehnerrenschwund ;  Ausgänge. 

nicht  selten  vollständig  oder  doch  theilweise  wieder  zurückgehen.  Sehr 
übel  jedoch  ist  es,  wenn  sich  bereits  die  Zeichen  der  grauen  Atrophie  an 
einen  oder  beiden  Papillen  nebenbei  bemerklich  machen,  obwohl  auch  dann 
noch  nicht  jede  Hoffnung  auf  partielle  Aufhellung  des  Gesichtsfeldes  ab- 
geschnitten ist.  Am  wenigsten  Aussicht  auf  eine  derartige  zeitweilige 
oder  gar  dauernde  Besserung  des  Zustandes  gewähren  natürlich  völlige 
Erblindungen,  welche  sich  unter  den  8jTnptomen  progressiven  reinen  Seh- 
nervensehwundes  ganz  allmälig  entwickelt  haben. 

Auch  Amblyopien  mit  proportionaler  Abnahme  der  relativen  Seh- 
schärfe in  den  einzelnen  Zonen  des  einen  oder  beider  Gesichtsfelder  lassen 
im  Ganzen  eine  günstigere  Prognose  stellen  und  schhessen,  selbst  wenn  sie 
mit  concentrischen  Einengungen  sich  paaren,  noch  keine  unmittelbaren  Ge- 
fahren in  sich.  Doch  machen  letztere  die  Sache  schon  bedenklicher,  indem 
sie  wohl  allerdings  häufig  auf  heilbaren  Zuständen,  z.  B.  blosser  Anästhesie 
(Siehe  diese)  beruhen,  oft  genug  indessen  auch  Vorläufer  progressiven  Schwun- 
des sind,  zumal  bei  fortwirkender  Ursache,  z.  B.  beim  Gewohnheitssufe 
(Graefe).  Sicher  steht  dieser  zu  erwarten,  wenn  sich  unregelmässige  seit- 
liche Einschränkungen  des  Gesichtsfeldes  hinzugesellen. 

Ileberhaupt  sind  Unterbrechungen  und  seitliche  Einengtmgen  des  Ge- 
sichtsfeldes in  hohem  Grade  misslich,  nicht  als  ob  sie  immer  nothwendig 
ein  Weitergreifen  der  Sehstörung  in  Aussicht  stellten,  sondern  auch  ver- 
möge ihrer  überaus  geringen  Xeigung  zum  Rückgange.  Es  gilt  hier  die 
allerdings  nicht  ausnahmslose  Erfahrungsregel,  dass  scharf  abgegrenzte 
Defecte  viel  weniger  eine  fernere  Vergrösserung  befürchten  lassen,  als 
solche  mit  verwaschenen  Umrissen,  dagegen  aber  auch  in  einem  viel  ge- 
ringeren procentarischen  Verhältnisse  sich  wieder  theilweise  oder  gänzlich  auf- 
hellen. Es  scheinen  erstere  eben  häufiger  auf  eng  umschrieben  bleibenden 
Herden  deletärer  Processe,  z.  B.  apoplektischen  Zertrümmerungen  des  Ge- 
füges,  zu  fussen;  letztere  aber  gewöhnlicher  in  diffusionsfähigen  Vorgängen 
ihre  Quelle  zu  finden,  welche  dann  entweder  vorübergehend  und  heilbar 
sind,  wie  z.  B.  localer  Druck,  entzündliche  Gewebs'micherungen,  Ej'eis- 
laufstörungen,  oder  die  nervösen  Elemente  von  vorneherein  sehr  hart 
mitzunehmen  und  so  eine  Wiederherstellung  der  Xorm  au^zuschliessen  ver- 
mögen,  wie  z.   B.   Bürnerweichung. 

Unierirechungen ,  centrale  und  excentrische,  wenn  sie  in  einem  sonst  völlig 
normalen  Gesichtsfelde  auftauchen,  beruhen  nicht  leicht  auf  progressivem  Schwunde. 
Man  kann  letzteren  sogar  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  ausschliessen ,  wenn  sie 
schon  längere  Zeit  in  gleicher  Ausdehnung  bestehen.  Es  gilt  dabei  gleich,  ob  sie 
einseitig  oder  binocular  sind  und  selbst  eine  partielle  Verblassung  der  Papille 
ändert  nichts  an  der  Sache.  Falls  sie  aber  mit  beträchtlicher  Verminderung  der 
relativen  Sehschärfe  in  den  übrigen  Zonen  des  Gesichtsfeldes  genaart  sind,  zumal 
wenn  die  Herabsetzung  der  Function  gegen  die  Peripherie  hin  in  verschiedenen 
Richtungen  sehr  ungleichmässig  steigt,  oder  sich  gar  seitliche  Einschränkungen 
nebenbei  zeigen:  so  handelt  es  sich  fast  immer  um  progressiven  Schwund  und 
darnach  ist  die  Prognose  einzurichten. 

Die  den  schwarzen  Staar  begründenden  Processe  drohen  übrigens 
dem  Kranken  noch  weitere  Gefahren.  Diese  gehören  auf  ein  anderes  Gebiet. 
Hier  nur  so  viel,  dass  der  Opticusschwund,  gleichviel  wie  er  angeregt 
wurde,  allerdings  in  der  Eegel  die  centrifugale  Eichtung  einschlägt,  aus- 
nahmsweise   indessen    auch    rückläufig  gegen  einzelne    abseits  gelegene  Ur- 


Bi'liiuidlinii,'.  263 

sprungskerne  sich  fortsetzt  und,  indem  sich  hier  der  Process  ausbreitet, 
Functionsstörungen  in  Nervengebieten  veranlasst,  welche  zu  dem  Primär- 
herde in  keinem  näheren  Bezüge  stehen.  So  erklärt  man  sich  unter  An- 
derem das  bisweilige  Auftreten  von  Psychosen,  namentlich  paralytischen 
Blödsinnes,  oder  von  Tabes  dorsualis^  im  späteren  Verlaufe  progressiver 
Amaurosis.  Meistens  gehen  derlei  Zustände  indessen  voraus  und  der  schwarze 
Staar  fliesst  mit  ihnen  aus  gemeinsamer  Quelle. 

Die  Behandlung  ist  selbstverständlich  gegen  das  pathogenetische  Mo- 
ment zu  richten  und  das  Verfahren  nach  der  Eigenthümlichkeit  des  letz- 
teren ein  sehr  verschiedenes.  Genauer  darauf  einzugehen,  ist  hier  wohl 
nicht  am  Platze,  sondern  Sache  der  speciellen  Therapie.  Nur  soweit  eine 
Neuritis  oder  grauer  Sehnervenschwund  in  Frage  kömmt,  hat  die  Augenheil- 
kunde mitzusprechen.  Was  die  erstere  anbelangt,  sind  die  therapeutischen 
Kegeln  bereits  erörtert  worden  (S.  203).  Der  reinen  Atrophie  gegenüber 
befindet  sich  der  behandelnde  Arzt  in  einer  höchst  misslichen  Lage,  da 
der  Process  allen  directen  Heilversuchen  hartnäckig  spottet,  ja  durch  kräf- 
tige Eingriffe  in  die  Vegetationsverhältnisse  des  Organismus  mittelst  Mer- 
curialcuren,  reichlicher  methodischer  Blutentziehungen  etc.  in  vielen  Fäl- 
len eher  gefördert  und  die  Schrumpfung  heschleunigt  werden  dürfte.  Es 
ist  daher  wohlgethan,  wenn  man  dort,  wo  der  Schwund  unabhängig  von 
einem  örtlichen  Grundleiden  aufgetreten  oder  dieses  bereits  getilgt  und  wenig- 
stens seiner  unmittelbaren  Einflussnahme  auf  das  Sehnervenleiden  entrückt 
ist,  sich  darauf  beschränkt,  alle  erwiesenen  und  möglichen  Schädlichkeiten 
vom  lichtempfindenden  Apparate  ferne  zu  halten  und  denselben  überhaupt 
unter  die  thunlichst  günstigen  Ernährungsbedingungen  zu  setzen.  Beson- 
ders wichtig  sind  in  dieser  Beziehung :  entsprechende  Augendiät,  also  gänz- 
liche Vermeidung  jeder  anstrengenden  Bethätigung  des  Sehapparates  durch 
Lesen,  Schreiben,  Nähen  u.  s.  w.,  Fernhaltung  starker  Erleuchtungsinten- 
sitäten des  Gesichtsfeldes  und  zumal  greller  Lichtcontraste,  versuchsweise 
anfänglich  ein  mehrtägiges  Verweilen  im  verfinsterten  Baume  oder  mit 
verbundenen  Augen,  später  dauernder  Aufenthalt  an  baumreichen,  schatti- 
gen Orten  u.  s.  w. ;  ferner  streng  geregelte  Lebensweise,  einfache  Kost,  ge- 
nügender ruhiger  Schlaf,  viele  aber  nicht  ermüdende  Bewegung  in  freier 
frischer  Luft,  allenfalls  kühle  Bäder,  möglichst  erheiterte  Gemüthsstimmung 
bei  Vermeidung  aufregender  Affecte  u.  s.  w.  Sind  Congestivzustände  un- 
zweifelhaft oder  doch  wahrscheinlich  im  Spiele,  so  würden  eine  entsprechende 
Wahl  und  Beschränkung  der  Nahrungsmittel,  nöthigen  Falles  methodische 
Blutentziehungen  durch  natürliche  oder  künstliche  Blutegel,  nach  Umständen 
abführende  Trinkkuren  Günstiges  leisten  können  und  mindestens  nichts 
verderben.  Haarseile,  welche  bedauerlicher  Weise  in  der  Neuzeit  wieder 
empfohlen  werden  (Graefe),  sind  sicherlich  ganz  entbehrlich  und  bereiten 
dem  Kranken  nur  unnöthige  Qualen.  Wo  man  Grund  hat,  gestörte  Tran- 
spirationsverhältnisse in  Beziehung  zu  dem  Sehnervenleiden  zu  bringen,  will 
man  durch  römische  Bäder  und,  wo  diese  fehlen,  durch  frühmorgendliche  Ver- 
abreichung gewärmten  Zittmannischen  Decoctes,  sowie  durch  stundenweise 
Einhüllung  des  Kranken  in  wollene  Decken,  den  Ausgleich  fördern  (Graefe). 
Wo  hingegen  der  Ernährungszustand  des  Kranken  durch  schwere  Leiden, 
ausschweifendes  Leben  etc.  tief  gesunken  ist,  erscheint  ein  kräftigendes  Heil- 
verfahren dringend  geboten.  Im  Ganzen  kann  nicht  genug  vor  dem  Zuviel- 


264  Sehnervenschwnnd ;  Behandlung;  Amaurosis  alcoholica;  tabacina. 

thun   gewarnt    werden,   es  ist  Tielleicht    dem  Arzte,    keineswegs    aber    dem 
Ej-anken  zuträglich. 

Bei  der  durch  üheiinässigen  Genuas  von  Alcohol  und  Tabak  begründeten  oder 
doch  wenigstens  geförderten  Form  des  Sehnervenleidens  wird  als  unerlässliche 
Bedingung  zu  einer  möglichen  Heilung  neben  strengster  Augendiät  gänzliche  Ent- 
haltung von  jenen  Genussmitteln  und,  wo  dies  nicht  thuulich  ist,  jedenfalls  grösste 
Einschränkung  ihres  Gebrauches  bezeichnet.  Dabei  legt  man  das  grösste  Gewicht 
auf  Begelung  der  Leboisiceise,  daher  es  oft  für  erspriesslich  gehalten  wird,  den 
Krauken  seinen  häuslichen  Verhältnissen  zu  entrücken,  und  eiue  Zeit  lang  im  Spitale 
zu  verpflegen.  Bei  aufgeregten  Patienten  wird  absolute  Ruhe  im  Bette,  bei  hoher 
Pulsfrequenz  Digitalis  uud  bei  Schlaflosigkeit  Morphium  empfohlen,  letzteres  um 
Schlaf  zu  erzeugen,  welcher  die  an  Spirituosa  gewohnten  Krauken  bei  eintretender 
Abstinenz  häufig  flieht  und  wiederkehrend  für  ein  günstiges  prognostisches  Zeichen 
gehalten  wird,  auch  wenn  die  Sehstörung  noch  keine  Aenderung  ergäbe.  Ausserdem 
sollen  behufs  starken  Schwitzens  alle  Tage  des  Morgens  Einwickelungen  in  nasse 
Leintücher  und  warme  Decken  bei  Verabreichung  reichlicher  warmer  Geträpfee 
vorgenommen  werden,  besonders  bei  ataktischen  Potatoren  mit  schwachem  Puls 
und  starker  Ernährungsstörung.  Wo  Fussschweisse  ausblieben,  sollen  die  Füsse  und 
Unterschenkel  in  nasse  Tücher  oder  Strümpfe  gehüllt  und  so  zum  Schwitzen 
gebracht  werden.  Auch  glaubt  man  durch  Verabreichung  von  Seuna-  und  Sassa- 
pai'illaabgüssen  die  günstige  Wirkung  der  Cur  zu  fördern.  Bei  Plethora  soll  neben- 
bei durch  den  Heurteloup"schen  Blutegel  in  Zwischenräumen  von  vier  bis  sechs 
Tagen  wiederholt  eine  örtliche  Bluteutleerung  vorgenommen  werdeu,  besonders 
wenn  der  Opticuseintritt  Zeichen  von  Hvperaemie  erkennen  lässt  u.  s.  w.  Die 
Erfolge  dieser  Behandlungsweise  werden  im  Ganzen  als  sehr  zufriedenstellend  ge- 
schildert (Erisniann). 

Als  empirisches  Mittel  ist  bei  Spinalparalysen  und  der  davon  abhängigen 
Amaurose  auch  der  innerliche  Gebrauch  des  Silhersalpeters  zu  erwähnen.  Man  glaubt 
in  einzelnen  Fällen  damit  Gutes  erzielt  zu  haben  (Wunderlich,  Herschel).  Aehnliches 
wird  auch  von  hypodermatischen  Einspritzungen  einer  Strychninl'ösung  in  die  Su- 
praorbitalgegend  behauptet  (Saemann,  Späth,  Talko,  Lacerdaj.  Doch  sind  die  be- 
treffenden Fälle  pathogenetisch  ganz  unklar.  Man  thut  wohl,  sehr  wenig  von  derlei 
Behandlungen  zu  erwarten. 

Der  galvanische  Strom  möge  in  geeigneten  Fällen  mit  Hinsicht  auf  die,  aller- 
dings noch  sehr  spärlichen  Erfolge  (Benedikt)  versucht  werden,  und  wo  vasomoto- 
rische Einflüsse  im  Spiele  zu  sein  scheinen,  besonders  auf  den  Halssympathicus 
gelenkt  werden. 

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Gesellschaft  1856.  S.  46;  1858.  S.  52;  1859.  S.  449;  A.  f.  O.  IIL  1.  S.  96;  IV.  1. 
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Vorlesungen  über  den  Gebrauch  des  Augenspiegels.  Berlin,  1864.  S.  113,  146;  klin. 


QiH'Ilpn.  265 

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ibid.  S.  70.  —  Welz,  Javal,  ibid.  S.  123,  124.  -  Galezowski,  ibid.  S.  164.  —  Ber- 
thold, kl.  Monatbl.  1869.  S.  300.  —  Moeser,  Das  Perimeter  etc.  Diss.  Breslau,  1869. 

—  Berlin,  A.  f.  O.  XIV.  2.  S.  280.  —  Nagel,  kl.  Monatbl.  1869.  S.  151.  -  Chisholm, 
Ophth.  Hosp:  Kep.  1869.  VI.  S.  124.  —  Serres  d'Uzes,  Remak,  nach  Graefe,  kl. 
Monatbl.  1865.  S.  140.  —  Hirschmann,  kl.  Monatbl.  1866.  8.  39,  40.  —  Heymann, 
ibid.  1864.  S.  127;  1868.  S.  415.  —  Alf.  Graefe,  ibid.  1867.  S.  5.3,  57.  —  Wittich, 
A.  f.  O.  IX.  3.  S.  1,  6,  12,  22,  24,  33,"  35,  37.'  —  Zehender,  ibid.  X.  1.  S.  152.  — 
Tetzer,  Wien.  med.  Jahrb.  1864.  5.  S.  155  u.  f.  —  Leher,  A.  f.  O.  XIV.  2.  S.  210, 
333,  356,  367;  XV.  3.  S.  26,  30,  37,  39,  46,  51,  55,  60,  65,  71;  kl.  Monatbl.  1868. 
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Virchow's  Archiv.  48.  Bd.  S.  494,  498.  —  Benedikt,  A.  f.  O.  X.  2.  S.  185;  Electro- 
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Virchow's  Jahresber.  1868.  II.  S.  499.  —  Remak,  Deutsche  Klinik.  1865.  S.  115.  — 
Zagorski,  kl.  Monatbl.  1867.  S.  322.  —  Alexander,  ibid.  S.  88.  —  Hjort,  ibid. 
S.  166.  —  Testelin,  ibid.  S.  331.  —  Ogleshy,  Lancet.  1868.  II.  S.  8;  Ophth.  Hosp. 
Rep.  VI.  3.  S.  190 

Amaurosis  idiopathica:  Himly,  Krankheiten  und  Missbildungen.  II.  S.  411.  — 
Beer,  Lehre  v.  d.  Aug.  Krankheiten.  II.  S.  443.  —  Graefe,  A.  f.  O.  IV.  2.  S.  266; 
kl.  Monatbl.  1865.  S.  260.  —  Mooren,  ophth.  Beobacht.  S.  309.  —  Mackenzie, 
Traite  des  mal.  d.  yeux.  Trad.  p.  Warlomont  et  Testelin.  IL  Paris  1857.  S.  811, 
814.  —  Law,  Stevenson,  ibid.  S.  813.  —  Andreae,  Zeitschi',  f.  Ophth.  I.  S.  409.  — 
Beck,  ibid.  V.  S.  447.  —  Stellwag,  Ophth.  II.  S.  696.  Nota  133.  —  Stefan,  Hübsch, 
Chassaignac,  kl.  Monatbl.  1865.  S.  167—170. 

-.4.  congestiva:  Beer,  1.  c.  II.  S.  444,  563,  572.  —  Mackenzie,  1.  c.  IL  S.  807, 
824,  826,  827,  834.  —  Himly,  1.  c.  IL  S.  412,  422.  —  Arlt,  1.  c.  IIL  S.  152,  159, 
173.  —  Graefe,  kl.  MonatbL  1865.  S.  193.  —  Spengler,  Deval,  A.  f.  O.  I.  2.  S 
330,  332.  —  Zehender,  Seitz  Handb.  S.  632,  634.  —  Nagel,  A.  f.  O.  VI.  1.  S.  231. 

—  L.  Kraus,  AUg.  Wien.  med.  Zeitg.  1861.  S.  387.  —  Schreder,  ibid.  S.  76.  — 
Laivson,  nach  Seitz  1.  c.  S.  632;  kl.  Monatbl.  1864.  S.  38.  —  Ringlaud  u.  A.  Ann. 
d'oc.  XIX.  S.  123.  —  Stellwag,  Ophth.  IL  S.  694.  Nota  129,  130,  131.  —  Seidel, 
nach  Seitz  1.  c.  S.  634.  —  Sichel,  Gaz.  d.  hopit.  1861.  Nro.  64.  —  ULlersperger, 
kl.  Monatbl.  1867.  S.  183.  —  Zehender,  ibid.  S.  233.  -  Testelin,  ibid.  S.  331.  — 
Mooren,  ophth.  Beob.  S.  310.  —  Erismann,  über  Amaurosis  intoxicativa.  Diss. 
Zürich.  1867.  S.   12,  47. 

A.  anaemica:  Mackenzie,  1.  c.  IL  S.  840.  —  Himly,  Krankheiten  u.  Missbil- 
dungen etc.  IL  Berlin,  1843.  S.  426.  —  Cunier,  Ann.  d'oc.  IL  S.  178.  —  Arlt, 
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1865,  S.  18.  —  Fikentscher,  A.  f.  O.  VIII.  1.  S.  209.  —  Sellheim,  kl.  Monatbl.  1866. 
S.  52.  —  Seegen,  Wien.  med.  Wochenschr.  1866.  Nro.  23.  —  Galezowski,  Congres 
intern,  d'ophth.  Paris  1863.  S.  110.  —  Nagel,  A.  f.  0.  VL  1.  S.  231.  —  Luys,  Tar- 
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Beob.  S.  310.  —  Jacobs,  kl.  Monatbl.  1868.  S.  90.  —  Colsmann,  ibid.  1869.  S.  11.  — 
Graefe,  A.  f.  O.  IV.  2.  S.  230;  VII.  2.  S.  143;  XII.  2.  S.  149.  —  Hutchinson, 
Ophth.  Hosp.  Rep.  VI.  S.  218.  —  Ed.  Jaeger,  Staar-  und  Staaroperationen.  Wien. 
1854.  S-  104.  —  Benedikt,  Electrotherapie.  S.  475. 

^4.  intoxicativa:  Beer,  Lehre  v.  d.  Augenkrankheiten.  IL  Wien,  1817.  S.  445, 
499.  —  Rau,  A.  f.  0.  I.  2.  S.  205,  208.  —  Stellwag,  Ophth.  IL  S.  674.  —  Danjoy, 
Arch.  gen.  de  med.  1864.  3.  S.  402,  407,  409,  415—419,  422.  —  Desman-es,  Lan- 
cereaux,  Lecorche,   Follin  ibid.  S.  417,    418.  —  Hirschler,  Wien.    med.  Wochenschr. 

1866,  S.   7,    8.  —  Himly,    1.  c.  IL  S.  428.  —  Mackenzie,    1.  c.  IL    S.  828,  830,  844. 

—  Arlt,  1.  c.  III.  S.  174.  —  Graefe,  A.  f.  O.  III.  2.  S.  396,  399;  kl.  Monatbl.  1865. 
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natbl. 1866.  S.  46.  —  Loureiro,  kl.  Monatbl.  1865.  S.  394.  —  Hutchinson,  Ophth. 
Hosp.  Report.  1864.  I.  S.  33;  Schmidt's  Jahrb.  133.  Bd.  S.  114.  —  Richardson, 
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139.  Bd.  S.  76.  —  Wecker,  ibid.,  Virchow's  Jahresbericht.  1868.  II.  497.  — 
Schirmer,  kl.  Monatbl.  1868.  S.  38.  —  Jwanof,  ibid.  S.  349.  —  Knapp,  A.  f.  O. 
XIV.  1.  S.  207,  209,  237;  Arch.  f.  Aug.  u.  Öhrenheilk.  I.  S.  29,  33.  —  Landes- 
berg, A.  f.  O.  XV.  1.  S.  214.  —  Pagenstecher,  ibid.  S.  223,  236.  —  Mauthner,  Lehrb. 
d.  Ophthscop.  S.  336,  342,  347,  350.'—  Quaglino,  An.  d'ocul.  LVI.  S.  159.  —  Berthold, 
Wien.  med.  Presse.  1867.  S.  467.  —  Bauer,  Centralbl.  1866.  S.  577. 

A.  cerebralis:  Türck,  Zeitschr.  d.  Wien  Aerzte.  1852.  II.  S.  299;  1853.  I.  S. 
214,  216,  1855.  517—522,  531;  Sitzungsber.  d.  Wien.  k.  Akad.  d.  Wissensch.  IX. 
S.  229  —  234;  36.  Bd.  S.  191,  194,  196,  197;  Oesterr.  Wochenschr.  1843.  Nro.  44.  - 
Beer,  1.  c.  II.  S.  443,  539,  576,  580,  582.  —  Graefe,  A.  f.  O.  VII.  2.  S.  24,  33, 
58-71;  XII.  2.  S.  100,  114,  116—120,  123,  124,  126,  127,  129,  130,  133,  135; 
kl.  Monatbl.  1863.  S.  3,  4,  6;  1865.  S.  201.  —  L.  Meyer,  Centralbl.  f.  m.  Wiss. 
1867.  Nro.  8,  9,  10.  —  Quaglino,  Congres  intern,  d'oph'th.  Paris  1863.  S.  229.  — 
Stellwag,  Ophth.  II.  S.  660,  661,  697—702.  Nota  135.  —  A.  Weber,  kl.  Monatbl. 
1863,  S.  406—412.  —  H.  Jackson,  ihiA.   1864.  S.  44.   143,  146,   149,   150—158,  254; 

1866.  S.  48;  nach  Duchek  Wien.  med.  Jahrb.  1864.  4.  Jahresber.  S.  47,  54.  — 
Alexander,  kl.  Monatbl.  1867.  S.  88.  —  Laqueur,  ibid.  1864.  S.  275,  279.  —  Pagen- 
stecher, kl.  Beobachtgn.  I.  Wiesbaden  1861.  S.  57.  —  Fronmüller,  kl.  Monatbl.  1863. 
S.  229.  —  Homer,  ibid.  1863.  S.  71,  74,  77.  —  Mackenzie,  1.  c.  II.  S.  803,  807.  — 
Salter,  Brück,  Pollock,  kl.  Monatbl.  1863.  S.  180,  182.  —  Jüngken,  Lehre  v.  d. 
Augenkrankheiten.  Berlin  1832.  S.  841.  —  Hutchinson,  A  clin.  memoir.  etc.  London 

1863.  S.  161  — 174.  —  Griesinger,  nach  Duchek.  Wien  med.  Jahrb.  1862.  4.  Jahres- 
bericht. S.  15.  —  B.  E.  Müller,  A.  f.  O.  VIIL  1.  S.  160,  163,  164.  —  Sämisch, 
kl.  Monatbl.  1865.  S.  51,  53,  54.  —  Ladame,  Symptomatologie  u.  Diagu.  d.  Hirn- 
geschwülste. Würzburg  1865.  S.  17,  43,  48,  56,  62,  94,  106,  122,  137,  144,  149, 
167,  174,  186,  197,  211,  217,  226,  236.  —  Lebert,  Virchow's  Archiv.  HL  S.  463, 
473—477,  488,  492,  503,  508,  511,  520—552.  560—569.  —  Lancereaiix,  Arch.  gen. 
de  med.  1864.  III.  S.  47,  64,  66,  67,  68,  190,  196—205.  —  Duchek,  Wien.  med. 
Jahrb.  Jahresbericht  1862.  1.  S.  19,  21,  27,  28,  31;   1862.  4.  S.  6,  11,  13.  14,  15; 

1864.  4.  S.  17,  21,  24,  27,  30,  32,  38,  41,  44—56;  1865.  1.  Text  S.  99,  114.  — 
Cruveilhier,  nach  Mackenzie,  1.  c.  IL  S.  807.  —  Spurgin,  ibid.  S.  815.  —  Stilling, 
Zeitschrift  f.  Ophth.  IIL  S.  465.  —  Blessig,  nach  Graefe  A.  f.  O.  XIL  2.  S.  123, 
127;  Centralbl.  1866.  S.  341.  —  Weickert,  Arch.  f.  Heilkunde.  VIIL  S.  97,  100, 
101.  —  Koster,  Zesde  Jaarl.  Verslag.  Utrecht  1865.  S  1,  2,  8,  18,  22.  —  K.  Fischer, 
kl.  Monatbl.  1866.  S.  164,  167.  —  Sichel,  Melanges  ophth.  Bruxelles  1865.  S.  16  —  24. 

—  W.  Wagner,  kl.  Monatbl.  1865.  S.  159,  160,  163.  —  Henoch,  Steffen,  nach  La- 
dame 1.  c.  S.  57.  —  Mohr,  ibid.  S.  108,  137.  —  Baimbrigde,  Johert  de  Lamhalle, 
Herrison,  nach  Laucereaux.   1.    c.   S.    199.  —  Hunter,   Quaglino,  Dufour  u.  A.  ibid. 


Typische  Pigmententarhiiig ;  Kraiikheitsbild.  267 

S.  199,  201,  202.  -  Leijden,  Virchow's  Archiv  29.  Bd.  S.  202;  kl.  Monatl)!.  1865. 
S.  121.  —  H.  Fischer,  nach  Duchek  1.  c.  1864.  4.  S.  24.  —  Michel,  ibid.  1862.  1. 
S.  27.  —  Haherslion ,  kl.  Monatbl.  1865.  S.  57.  —  Hoßruann,  Dahl  u.  A.,  nach 
Duchek  1.  c.  1864.  4.  S.  27.  —  Beck,  nach  Ladame  1.  c.  S.  145.  —  Shearer,  Leven, 
Ollivier,  nach  Duchek  1.  c.  1864.  4.  S,  49-56.  —  Demme,  ibid.  S.  45  u.  1862.  4. 
S.  14.  —  Colin,  ibid.  1862.  4.  S.  14.  —  Beronius,  Marce  ibid.  1864.  4.  S.  45.  — 
Lallement,  Duguet,  ibid.  S.  46.  —  Fiedler,  ibid.  1862.  1.  S.  34.  —  Comhette,  ibid. 
1864.  4.  S.  54.  —  Solly,  Canstatts  Jahresber.  1864.  III.  S.  146.  —  Roseiühal,  nach 
Duchek  1.  c.  1864.  4.  S.  32,  44.  —  Coindet,  Bright,  Boyer,  nach  Ladame  1.  c.  S. 
106,  110.  —  Biermer,  Bright  u.  A.  ibid.  S.  143,  147.  —  Romberg,  nach  Arlt  1.  c.  III. 
S.  168.  —  Arlt,  kl.  Monatbl.  1869.  S.  92.  —  Hjorl,  ibid.  1867.  "S.  166.  —  Giraudet, 
ibid.  1868.  S.  101.  —  Arcoleo,  Congres  ophth.  1868;  S.  183.  —  Zagorski,  kl. 
Monatbl.  1867.  S  322,  325.  —  Testelin,  ibid.  S.  331.  —  Magnan,  Gaz.  med.  de 
Paris.  1868.  S.  510.  —  Leber,  A.  f.  O.  XIV.  2.  S.  165,  333,  339,  363;  kl.  Monatbl. 
1868.  S.  302.  —  Benedikt,  Electrotherapie.  S.  250,  252,  256.  —  Buzer,  Centralbl. 
1868.  S.  399.  —  Prevost,  ibid.  1866.  S.  125;  A.  f.  O.  XII.  1.  S.  6.  —  Manz,  A.  f. 
O.  XII.  1.  S.  1,5.  —  Mosler,  Virchow's  Archiv,  43.  Bd.  S.  220.  —  Flourens,  nach 
Budge,  Ueber  d.  Bewegung  der  Iris.  S.   130. 

Ausgänge,  Behandlung:  Graefe,  A.  f.  O.  II.  2.  S.  296;  VII.  2.  S.  96;  klin. 
Monatbl.  1863.  S.  9;  1865.  S.  131,  132,  133,  136,  141,  144,  148,  150,  152,  155, 
194—201,  203,  205,  208,  211,  220,  224,  260,  273.  —  Wunderlich,  nach  Duchek  1. 
c.  1862.  1.  S.  33.  —  Herschel,  Bulletin  gen.  de  Tiierap.  30.  Oct.  1862.  —  Sämann, 
kl.  Monatbl.  1865.  S.  118.  —  Späth,  ibid.  S.  248.  —  Talko,  kl.  Monatbl.  1368. 
S.  79.  —  Lacerda,  ibid.  1867.  S.  239.  —  Erismann,  Ueber  Intox.  Amaurosen.  S.  32.  — 
Benedikt,  Electrotherapie.  S.  254. 


Die  typische  Pig-mententartung. 

Krankheitsbild.  Objectiv  ist  diese  ganz  eigenthümliche  Netzhaut- 
afFection,  welche  man  als  Retinitis  pigmentosa  oder  getiegerte  Netzhaut  zu 
beschreiben  pflegt  und  vielseitig  mit  dem  trüben  Schwunde  zusammenwirft, 
ausgezeichnet  durch  das  Auftreten  zahlreicher  schwarzer  Pigmenthäufchen, 
welche  bald  rundlichen  oder  eckigen  Körnern  gleichen,  bald  ovale  oder 
langgestreckte  Flecke  mit  zackigem  Rande  oder  mit  zarten  ästigen  Fort- 
sätzen bilden  und  in  ihren  Umrissen  sehr  an  Knochenkörperchen  erinnern. 
Es  sitzen  dieselben  hauptsächlich  in  der  peripheren  Zone  der  Netzhaut  und 
sind  besonders  anfänglich  sehr  zerstreut,  so  dass  sie  leicht  übersehen 
werden  können.  Später  häufen  sie  sich  in  der  Regel  dicht  zusammen 
und  bilden  in  ihrer  Gesammtheit  ein  vielfach  unterbrochenes  Netzwerk, 
welches  gürtelartig  am  vorderen  Umfange  der  Netzhaut  sich  ausbreitet 
(Fig.  MJ.  Sehr  selten  findet  man  solche  Pigmenthäufcheu  nesterartig  auf 
einzelne  Stellen  der  Netzhaut  vertheilt  (Ed.  Jaeger).  Das  Netzhautgefüge 
selbst  und  der  Sehnerveneintritt  bieten  im  Uebrigen  gewöhnlich  die  Charaktere 
des  reinen  Schwundes  dar.  Die  Stämme  und  grossen  Aeste  der  Central- 
gefässe  sind  frühzeitig  hell  gesäumt  wegen  Verdickung  ihrer  Wandungen, 
späterhin  oft  schon  in  auffallender  Weise  verdünnt  und  werden  bisweilen 
ganz  unsichtbar  oder  auf  zarte  weisse  Stränge  reducirt.  Sie  erscheinen 
häufig  streckenweise  von  Pigment  gedeckt  oder  eingerahmt  und  setzen  sich 
gerne  in  verzweigte  Pigmentstreifen  fort.  Die  Aderhaut  zeigt  in  reinen 
Fällen  älteren  Datums  das  der  Senescenz  eigenthümliche  getäfelte  Aussehen, 
indem  das  Tapet  völlig  zu  Grunde  gegangen  ist.  Nur  ausnahmsweise  stösst 
man   auf  Stellen,    wo  neben  dem  Pigmentepithel  auch  das   Chorioidalgefüge 


268  Typische  Pigmententartung:  Krankheitsbild;  Ursachen. 

atrophirt  ist,  so  dass  Flecke  zum  Vorschein  kommen,  welche  denen  nach 
Retinitis  disseminata  ähneln  und  auch  wie  diese  gewöhnlich  von  massiger 
angehäuftem  Pigmente  theilweise  umsäumt  sind.  Mitunter  macht  sich  auch 
eine  sehr  auffällige  helle  Tüpfelung  der  Chorioidaloberfläche  geltend 
(Schweigger).  Im  Glaskörper  finden  sich  mitunter  flockige  Trübungen  und 
sehr  häufig  die   sogenannte    Cataracta  polaris  {Mooren). 

Siihjectiü  charakterisirt  sich  das  Leiden  von  seinem  Beginne  an  durch 
die  Erscheinungen  des  Nachtnebels,  durch  eine  ganz  allmälig,  aber  unauf- 
haltsam von  der  Peripherie  gegen  das  Centrum  vorrückende,  kreisförmige 
Einschränkung  des  Gesichtsfeldes  und  durch  eine  relativ  geringe  Abnahme 
der  centralen   Sehschärfe. 

In  einzelnen  Fällen  wurde  eine  concentrisch  gegen  die  Mitte  vorschreitende 
zo7ienföi~)nige  Unterbrechung  des  Gesichtsfeldes  mit  verhältnissmässig  guter  centraler 
und  peripherer  Sehschärfe  nachgewiesen  (Graefe). 

Die  concentrische  Verkleinerung  des  Gesichtsfeldes  und  die  im  Allgemeinen 
geringe  Einbusse  der  centralen  Sehschärfe  unterscheidet  die  mit  typischer  Pigment- 
entartung einhergehende  Sehstörung  wesentlicii  von  jenen  Amblyopien,  welche  ihre 
Quelle  in  dem  grauen  oder  trüben  Netzhaut-  und  Opticusschwunde  finden.  Bei 
diesen  ist  die  Einschränkung  des  Sehfeldes  nämlich  meistens  eine  seitliche  und 
sehr  unregelmässige  und  reducirt  das  letztere  schliesslich  auf  einen  horizontal  gele- 
genen Schlitz. 

Die  concentrische  Einengung  des  Gesichtsfeldes  macht  die  häufigen  Com- 
plicationen  des  fraglichen  Leidens  mit  Cataracta  polaris  und  mit  Myopie  im  hohen 
Grade  misslich.  Beim  Polarstaar  fällt  nämlich  die  Beschattung  des  Netzhautcen- 
trums ins  Gewicht,  bei  der  Myopie  aber  der  Umstand,  dass  die  absolute  Erwei- 
terung des  Gesichtsfeldes  bei  Fixation  fernerer  Objecte  durch  den  Refractionsfehler 
unnutzbar  wird. 

In  einem  Falle  wurde  statt  Hemeralopie  Nyctalopie  mit  Erweiterung  des 
Sehfelds  im  Dunklen  beobachtet  (Haase). 

Ursachen.  Die  typische  Pigmententartung  hat  sich  in  einer  Reihe 
von  Fällen  als  erblich  erwiesen  (Alf.  Graefe,  Mooren,  Graefe,  Picard). 
Statistische  Zusammenstellungen  ergeben,  dass  sie  bei  Kindern  blutver- 
wandter Eltern  häufiger  als  im  gegentheihgen  Falle  vorkomme  (Liebreich). 
Da  sie  übrigens  auffallend  oft  mit  Schwerhörigkeit,  mit  mangelhafter 
Entwickelung  der  geistigen  Fähigkeiten,  mit  Mikrophthalmie,  mit  Verkümme- 
rung oder  Ueberzahl  einzelner  Finger  etc.  vorkommt,  so  darf  für  die  Mehr- 
zahl '  der  Fälle  an  dem  Vorhandensein  einer  angeborenen  Anlage  kaum  ge- 
zweifelt werden. 

Auch  Syphilis  wird  von  manchen  als  eine  Quelle  des  Leidens  bezeichnet 
(Galezowski,  Mannhardt).  Doch  scheint  es,  dass  hier  die  typische  Pigmententar- 
tung mit  dem  nach  Neurodictyitis  exsudativa  sich  entwickelnden  und  bisweilen 
mit  massenhafter  Ausbildung  ganz  ähnlicher  Pigmenthäufchen  einhergehenden  trüben 
Netzhautschwunde  (S.  231)  verwechselt  wird.  Vielleicht  gilt  dasselbe  auch  von  den 
Fällen,  in  welchen  sich  die  typische  Pigmententartung  erst  in  späteren  Jahren  ent- 
wickelt haben  soll.  In  der  That  hat  man  bisweilen  Gelegenheit,  chronisch  ver- 
laufende Netzhautentzündungen  zu  beobachten,  welche  anfänglich,  ganz  das  Bild 
einer  diffusen  Form  darbieten,  allmälig  aber  zum  trüben  Netzhautschwunde  führen^ 
und  dann  im  Verlaufe  der  Zeit  an  Zahl  stetig  zunehmende  Massen  der  charakte- 
ristischen Pigmentliäufchen  an  der  Peripherie  der  Netzhaut  entwickeln,  während 
die  Trübheit  des  Gefüges  mehr  und  mehr  abnimmt,  so  dass  der  Augenspiegel- 
befuud  am  Ende  dem  der  typischen  Pigmententartung  täuschend  ähnlich  wird. 

Verlauf  und  Ausgänge.  Ausnahmsweise  kömmt  die  typische  Pig- 
mententartung mit  völliger  Amaurosis  gepaart  angeboren  vor.  In  der  Regel 
jedoch  entwickelt  sich  der  eigenthümliche  Zustand  erst  später.  Die  Anfänge 
des  Leidens  datiren  immer  aus  der  ersten  Kindheit  und  machen  sich  schon 


Vorhnif;  Ausgang«;  Pathogenese.  269 

wälivend  dieser  Periode  durch  auffällige  Versohlechterung  des  Gesichtes 
bei  abnehmenden  Erleuchtungsintensitäten  bemerklich.  Ueberhaupt  scheint 
die  charakteristische  Sehstöi'ung  der  Pigmentbildung  um  ein  Bedeutendes 
voravzuschreiteii,  wenigstens  fehlt  die  letztere  oft  noch  bei  Kindern,  welche 
schon  an  der  ersteren  kranken  und  tritt  erst  gegen  die  Pubertätsperiode 
hervor.  Im  Ganzen  steht  die  Masse  des  neugebildeten  Pigmentes  keines- 
wegs immer  im  geraden  Verhältnisse  zur  Entwickelung  der  subjecfiven 
Erscheinungen  oder  zum  Alter  des  Individuums  und  der  Dauer  der  Krank- 
heit. Es  beginnt  die  Pigmentirung  meistens  an  der  Nasenseite  der  Netz- 
haut nahe  dem  Aequator  und  schreitet  in  der  Gleichei-zone ,  gleichzeitig 
aber  auch  in  meridionaler  Richtung  vor  und  rückwärts  weiter.  Der  Gürtel 
vervollständigt  sich  in  solcher  Weise  mehr  und  mehr,  ohne  dass  er  sich 
jedoch  an  der  Schläfenseite  immer  nothwendig  schlösse,  und  gewinnt  an 
Breite.  Ausnahmsweise  hat  man  die  charakteristischen  Häufchen  sogar  auf 
der  Papillenfläche  gesehen  {Secondi,  Mooren).  Mit  dem  Pigment  geht  in 
der  Regel  auch  die  Sehstörung  weiter,  und  meistens  ist  die  concentrische 
Einengung  zur  vollen  Amaurose  gediehen,  ehe  die  sichtbaren  Veränderungen 
sich  bis  zum  gelben  Netzhautflecke  fortgepflanzt  haben. 

Im  Allgemeinen  ist  der  Verlauf  ein  sehr  langsamer,  die  Krankheit 
führt  gewöhnlich  erst  im  reifen  Mannesalter  zur  vollständigen  Blindheit, 
ja  man  hat  einen  Sljähi'igen  Greis  beobachtet,  bei  welchem  das  aus  der 
Kindheit  herrührende  Leiden  auf  dem  einen  Auge  noch  einiges  Sehver- 
mögen übrig  gelassen  hatte   (Secondi). 

In  der  Regel  ist  die  Krankheit  binocular  und  schreitet  beiderseits 
ziemlich  gleichmässig  vorwärts,  aber  so,  dass  in  dem  einen  Auge  die  Ein- 
schränkung des  Gesichtsfeldes  und  die  Abnahme  der  centralen  Sehschärfe 
stets  etwas  weiter  gediehen  ist  (Mooren).  Doch  ist  die  typische  Pigment- 
entartung auch  auf  Ein  Auge  beschränkt  gefunden  worden  [Pedraglia, 
Mooren). 

Pathogenese.  Die  anatomische  Untersuchung  eines  hierher  gehörigen  Falles 
hat  Adhärenz  der  Netzhant  an  den  Glaskörper;  Atrophie  der  nervösen  Elemente  der 
Retina,  vollständiger  in  den  äusseren  Lagen,  geringer  in  der  Faserschichte,  vom 
Centrum  nach  der  Peripherie  hin  allmählig  zunehmend;  Hyperplasie  des  hindege- 
wehigen  Stützwerkes  mit  Auftreten  einer  neugebildeten  Bindegewebslage  an  der 
Innenfläche  der  Faserschichte,  Verdicknng  und  Sclerose  der  Gefüssioandnngen,  netz- 
förmige Pigmentirung  in  allen  Schichten  der  Retina,  hauptsäciilicli  den  Gefässen 
folgend;  theilweisen  Untergang  des  Aderhavtfapets ,  theilweisen  Verlust  seines  Pig- 
mentgehaltes und  streckenweisen  Ersatz  durch  offenbar  neoplastische  Zellen  ergeben, 
welche  in  mehreren  Schichten  übereinanderlagernd  in  das  Gefüge  der  Netzhaut 
hineinragten  und  mit  dem  daselbst  befindlichen  netzförmig  angeordneten  Pigment- 
zellenhanfen  entschieden  zusanimenhiengen.  Dabei  zeigte  sich  die  Lamina  elastica 
chorioideae  mächtig  verdickt  und  an  ihrer  Oberfläche  dicht  besäet  von  choloiden 
Drusen,  welche  in  die  hinteren  Schichten  der  Retina  eingriffen.  Ausserdem  fanden 
sich ,  ophthalmoskopisch  nachgewiesenen  helleren  Flecken  des  Augengrundes  ent- 
sprechend, fettig  degenerirte  Exsudate  zwischen  Chorioidea  und  Retina,  während 
die  darunter  gelegene  Partie  der  Aderhaut  von  kleinen  Zellen  entzündlichen  Ur- 
sprunges dicht  durchsetzt  war  (Leber). 

Auf  Grundlage  dieses  Befundes  dürfte  man  kaum  zweifeln,  dass  das  Leiden 
entzündlichen  Ursprunges  und  den  Exsudativformen  der  Retinitis  sehr  verwandt  sei, 
was  sich  übrigens  auch  in  der  formellen  Aehnlichkeit  des  objectiven  Kianklieits- 
bildes  mit  dem  des  trüben  und  mit  starker  Pigmententwickelung  einhergehenden 
Netzhautschwundes  beurkundet.  In  dem  betreffenden  Falle  aber  war  der  Zustand 
angeboren  und  von  vorneherein  mit  vollständiger  Amaurosis  gepaart.  Es  fragt  sich, 
ob  derselbe  zusammengeworfen  werden  dürfe    mit  der  Mehrzahl  der  übrigen  Fälle, 


270  Iris;  Anatomie. 

in  welchen  sich  das  Leiden  sehr  allvi'dUg  entwickelte,  die  höchst  charakteristischen 
subjectiven  Merkmale  zur  Schau  trug,  und  während  dem  ganzen  Vei'laufe  niemals 
eine  Spur  entzündlicher  Zufälle  erkennen  Hess? 

Quellen:  Graefe,  A.  f.  0.  II.  2.  S.  282;  IV.  2.  S.  250;  XV.  .3.  S.  5.  — 
Alf.  Graefe,  ibid.  IV.  2.  S.  252.  —  Liehreich,  ibid.  V.  1.  S.  110;  Deutsche  Klinik. 
1861.  Nro.  6;  Atlas  der  Ophth.  Berlin,  1863.  Taf.  6.  —  Mooren,  klin.  Monatbl. 
186.3.  S.  93,  97,  104;  Ophth.  Beobachtg.  S.  261.  —  Höring,  kl.  Monatbl.  1864.  S.  233; 
1865.  S.  236.  —  Pedraglia,  ibid.  1865.  S.  144.  —  Stör,  kl.  Monatbl.  1865.  S.  2.3.  — 
Pagenstecher  und  Sämisch,  klin.  Beobachtungen.  Wiesbaden,  1861.  I.  S.  53;  II. 
S.  26.  —  Schiceigger,  Vorles.  über  den  Gebrauch  des  Augenspiegels.  Berlin,  1864. 
S.  112,  116.  —  Secondi,  Clinica  oc.  di  Genova.  Torino.  1865.  S.  60.  —  Haase, 
kl.  Monatbl.  1867.  S  228.  —  Picard,  Gaz.  med.  de  Paris.  1868.  S.  332.  — 
Joy  Jefries,  Boston  med.  and  siirg.  Journ.  1868.  I.  S.  193.  —  Galezoivski,  Congres 
ophth.'  1868.  S.  162.  —  Mannhardt,  A.  f.  O.  XIV.  3.  S.  48.  —  Ed.  Jaeger,  Hand- 
atlas, Fig.  76—78.  —  Mauthner,  Lehrb.  d.  Ophthscop.  S.  383.  —  Leber,  A.  f.  O. 
XV.  3.  S.  1,  7,  17. 


FÜNFTER  ABSCHNITT. 


Entzündung  der  Regenbogenhaut,  Iritis. 

Anatomie.  Die  Regenbogenhaut,  Iris  oder  Blendung  (Fig.  2.  g  S.  54), 
hat  die  Bedeutung  eines  Diaphragma,  dessen  Oeffnung,  die  Pupille,  Sehe  oder 
das  Sehloch ,  um  ein  Geringes  vom  Centrum  nach  innen  abweicht  und 
durch  Muskelwirkung  verengert  und  erweitert  wird.  Der  periphere  oder 
ciliare  Rand  hängt  durch  das  Ligamentum  pectinatum  (Fig.  2  h)  mit  dem 
Randfasernetze  der  Descemet'schen  Membran  (S.  56)  zusammen  und  setzt 
sich  unmittelbar  fort  in  das  Stroma  des  Ciliarmuskels  und  der  Strahlen- 
fortsätze, deren  Köpfen  die  Regenbogenhaut  von  vorneher  aullagert.  Der 
Pupillarrand  ragt  bei  maximal  erweitertem  Sehloche  frei  in  den  Kammer- 
raum hinein;  bei  mittlerem  Durchmesser  aber  berührt  er  die  über  die  Ur- 
sprungsebene der  Iris  hervorgewölbte  Vorderkapsel  m  und  schliesst  die 
hintere  Kammer  von  der  vorderen  ab.  Bei  zunehmender  Verengerung  rückt 
er  an  der  Convexität  der  Kapsel  hinauf,  es  kömmt  eine  breitere  Zone  der 
Iris  mit  der  Vorderfläche  des  Krystallkörpers  in  Contact  und  die  Regen- 
bogenhaut selbst  erscheint  kuppelig  nach  vorne  gebaucht.  Die  hintere  Kam- 
mer besteht  als  gesonderter  Raum  also  nur  unter  bestimmten  Verhältnissen 
und  stellt  dann  einen  engen ,  im  senkrechten  Durchschnitte  dreieckigen 
Kanal  vor ,  welcher  kreisförmig  um  den  Linsenaequator  herumläuft.  Das 
den  Kammerraum  erfüllende  Kammerwasser ,  der  Humor  aqueus ,  ist  eine 
pellucide  Flüssigkeit,  welche  nur  Spuren  von  Eiweiss  nachweisen  lässt 
und  als  verdünntes  Blutserum  zu  betrachten  ist. 

Die  vordere  Fläche  der  Iris  ist  von  netzföi'mig  verzweigten  vor- 
springenden Leistchen  und  dazwischen  liegenden  seichten  Grübchen  un- 
eben. Ihre  Oberfläche  deckt  eine  Lage  kleiner  granulii'ter  unregelmässiger 
Zellen,  welche  sich  über  das  Ligamentum  pectinatum  hinaus  in  das  Epithel 
der  Descemeti  fortsetzt  (Rollet,  Iwanoff). 


Tapet;  Ligamentum  pectinatum;  Fontan'scher  Kanal.  271 

Die  hintere  Re2;enbogenhautflächc  hing-cgen  ist  mit  einem  dicken 
Stratum  kleiner  rundlicher,  von  dunklen  Pigmentmolekülen  diclit  erfüllter 
Zellen  belegt.  Die  Summe  dieser  Zellen  wird  allgemein  als  Pigmentschichte 
oder  Tapet  der  Iris  i  beschrieben  und  ist  eine  Fortsetzung  des  die  Clio- 
rioidea  und  die  Ciliarfortsütze  überkleidendcn  Pigmentsti-atums.  Das  Tapet 
ragt  am  Pupillarrande   etwas  hervor  und   säumt  denselben  gleichsam  ein. 

Die  Grundsubstanz  ist  schön  lockig  wellig  gestreiftes  Bindegewebe, 
dessen  Bündel  in  theils  radiärem,  theils  circularem  Verlaufe  sich  vielfach 
durchflechten  und  ähnlich  dem  Stroma  der  Aderhaut  von  zahlreichen, 
meistens  spindel-  oder  sternförmigen,  seltener  rundlichen  Kernzellen  durch- 
streut sind,  deren  Ausläufer  sich  netzförmig  untereinander  verbinden.  In 
der  vordersten  Schichte  ist  das  Gefüge  viel  dichter  gewebt,  so  dass  es  als 
eine  eigene  Lage,  als  vordere  Begrenzungsschichte  der  Iris,  beschrieben  wer- 
den kann  (Henle). 

Die  radiären  Faserzüge  der  letzteren  neigen  sich  am  Rande  der  Schichte 
mehr  gegeneinander  imd  concentriren  sich  zu  dichteren  Balken,  welche 
an  der  äussersten  Peripherie  hakenförmig  nach  vorn  umbiegen  und  fächer- 
artig verbreitert  am  Rande  der  Descemet!  sich  festsetzen.  Die  Gesammtheit 
dieser  Balken ,  deren  Gefüge  von  dem  fibrillären  Bindegewebe  merklich 
abweicht,  stellt  das  Aufhängeband  der  Iris  dar.  Es  präsentirt  sich  dasselbe, 
wenn  man  die  Iris  straff  spannt ,  unter  der  Form  vorspringender  Zähne, 
deren  Zwischenräume  von  minder  dichtem  Balkengewebe  ausgefüllt  und 
gleich  den  dichteren  Faserbündeln  von  einer  continuirlichen  Lage  Epithel 
überkleidet  werden ,  so  dass  die  Vorderkammer  am  Rande  völlig  abge- 
schlossen erscheint.  Nach  hinten  und  aussen  hin  löst  sich  das  Ligamentum 
pectinatum  in  ein  grobes  Maschenwerk  von  kernlosen  vei'zweigten  und 
anastomosirenden  Balken  auf,  welches  den  Zwischenraum  zwischen  der 
Peripherie  der  Iris  und  Sclera  ausfüllt,  mit  dem  bindegewebigen  Stroma 
des  Ciliarkörpers  zusammenhängt  und  ein  Rudiment  des  bei  Thieren  oft- 
mals wohl  entwickelten  Fontana' sehen   Canales  darstellt  (Iwanoff,   Rollet), 

Die  mittlere,  mächtigste  Schichte  der  Iris  ist  aixsnehmend  locker, 
schwammartig  und  weitmaschig.  In  ihr  lagern  die  Gefässe,  welche  die 
Hauptmasse  der  Iris  ausmachen.  Dieselben  streichen ,  in  2 — 3  Reihen 
übereinander  geschichtet ,  mit  radiärem  Zuge  gestreckt  und  bei  weiter 
Pupille  im  Zickzack  oder  in  korkzieherartigen  Windungen.  Sie  verzweigen 
sich  in  spitzen  Winkeln  und  zeichnen  sich  durch  ganz  enorme  Mächtigkeit 
der  Adventitia  sowie  durch  deren  Zusammensetzung  aus.  Es  ist  dieselbe  nämlich 
verdichtetes  Irisstroma  und  führt  statt  längsovalen  Kernen  die  dem  letzteren 
zukommenden,  ästig  verzweigten  Kernzellen  zwischen  den  der  Gefässaxe 
parallel  verlaufenden  Bindegewebsbündeln.  Es  sind  die  Irisgefässe  durch 
die  Cornea  hindurch  sichtbar  und  veranlassen  die  schönen  strahligen  Zeich- 
nungen,  welche   besonders   an    hellen    Augen  sehr  deutlich  ausgeprägt  sind. 

Blaue  Regenbogenhäute  zeigen  sich  in  ihrem  Gefüge  oft  ganz  pig- 
mentlos, ihre  Farbe  ist  ein  Interferenzphänomen,  eine  Wirkung  der  parallelen 
Anordnung  sehr  feiner,  an  sich  farbloser  Fasern  in  der  vorderen  Begren- 
zungsschichte (Henle).  Häufig  jedoch  finden  sich,  namentlich  in  der  Pupillar- 
zone,  auch  unregelmässig  zerstreute,  gelbbräunliche  Flecken  und  Streifen, 
die  von  der  Ansammlung  eines  goldgelben,  rostrothen  oder  bräunlichen, 
körnigen   Pigmentes    in    den    verästelten    Zellen    und    in    den  Lücken  des 


272  Iris;  Anatomie;  Muskeln;  Gefässe. 

Gefüges  herrühren.  In  braunen  und  schwarzen  Regenbogenhäuten  sind  diese 
Zellen  mit  dunklem  Pigmente  dicht  angefüllt  und  eine  ansehnliche  Menge 
desselben   lagert  auch  frei  in  dem  Stroma. 

Eingehüllt  in  die  Grundsubstanz  streichen  Bündel  glatter  Muskelfasern 
mit  theils  kreisbogenförmigem  theils  radiärem  Verlaufe.  Die  ersteren  sam- 
meln sich  grösstentheils  um  den  Rand  der  Pupille  und  bilden  daselbst 
einen  sehr  auffälligen  Sphincter  oder  Scliliessmjiskel.  Die  radiären  Easern, 
deren  Gesammtheit  den  Erweiterer  oder  Dilatator  pupillae  darstellt,  vereinigen 
sich  zu  Bündeln,  welche  strahlenförmig  vom  Ciliarrande  der  Iiüs  gegen 
den  Pupillarrand  hinstreichen ,  sich  auf  diesem  Wege  durch  spitzwinkelig 
abzweigende  Faserzüge  vielfach  unter  einander  verbinden,  nach  dem  Pupillar- 
rande  hin  unter  Arcadenbildung  sich  in  eine  Art  j^^etzwerk  auflösen 
und  schliesslich  in  den  Sphincter  pupillae  übergehen  (Köüiker,  Merkel, 
Dogiel).  Es  bilden  diese  radiären  Easern  im  Vereine  mit  anderen  co7icen- 
trisch  verlaufenden,  welche  die  ersteren  unter  fast  rechtem  Winkel  schneiden 
und  mit  ihnen  vielfach  verwebt  sind,  eine  eigene  dünne  Schichte,  die 
hintere  Begrenzungsschichte  (Henle),  welche  zwischen  die  lockere  Mittel- 
schichte und  die  Pigmentlage  eingeschoben  ist  und  vielfach  als  ein  der 
Limitans   chorioideae  verwandtes   Gebilde  aufgefasst  wurde. 

Die  Schlagadern  kommen  sämmtlich  aus  dem  grossen  Gefässkreise  der 
Iris,  welcher  noch  innerhalb  des  Ciliarmuskels,  hart  an  der  Regenbogenhaut- 
grenze, liegt  und  sich  aus  den  beiden  langen  hinteren  und  aus  Aesten  der 
vorderen  Ciliararterien  zusammensetzt.  Sie  streichen  unter  mehrmaliger 
Theilung  und  gegenseitiger  Verbindung  bis  zum  Pupillarrande  hin,  wo  sie 
in  die  Venen  umbiegen.  Sie  geben  auf  diesem  Wege  kleinere  Aeste  ab, 
die  sich  in  dem  Gefüge  der  Iris  und  des  Schliessmuskels  in  feine  Capillar- 
netze  auflösen.  In  der  Nähe  des  Pupillarrandes  bilden  einige  ihrer  Aeste, 
welche  unter  nahezu  rechten  Winkeln  von  den  Stämmchen  abgehen,  durch 
gegenseitige  Anastomosen  einen  zweiten,  sehr  oberflächlich  gelagerten  Gefäss- 
kreis,   den    Circulns  arteriosus  iridis  minor  (Leber). 

Die  Venen  der  Ws  haben  einen  ganz  ähnlichen  Verlauf,  liegen  jedoch 
der  hinteren  Oberfläche  näher  als  der  vorderen.  Sie  stehen  durch  die  Blut- 
adern des  Ciliarmuskels  mit  den  vorderen  Ciliarvenen  in  Verbindung,  die 
Hauptmasse  ihres  Blutgehaltes  gelangt  jedoch  durch  büschelförmig  ange- 
ordnete Stämmchen,  welche  vielfach  unter  einander  communiciren,  zur  inneren 
Oberfläche  der  Strahlenforts  ätze  ^  deren  dichte  A'enennetze  sich  unmittelbar 
in  die  Wirbelgefässe  der  Aderhaut  fortsetzen,  um  sich  weiterhin  in  den 
hinteren   Ciliarvenen  zu  sammeln  (Leber). 

Die  Nerven  der  Iris  und  des  Ciliarmuskels  sind  Zweige  des  Trigemi- 
nus,   des    Oculomotorius  und   des  Sympathicus   (S.    8). 

Sie  treten  zumeist  als  Nervi  ciliares  breves  aus  dem  Ganglion  ciliare  zum 
hinteren  Umfange  der  Sclerotica,  um  diese  zu  durchbohren  und  in  der  sogenann- 
ten Lamina  fusca  der  Aderhaut,  wo  sie  eine  Reihe  von  kleinen  Ganglien  durch- 
laufen (S.  9),  nach  vorne  zu  ziehen.  Nur  ein,  gewöhnlich  aber  zwei  Stämmchen, 
von  welchen  das  eine  in  der  Regel  noch  einen  Nervenzweig  von  dem  Ganglion 
ciliare  aufnimmt,  gehen  direct  von  dem  Nasenaugennerven  ab  und  dringen  an  der 
inneren  Seite  des  Sehnerven  durch  die  Lederhaut,  nachdem  sie  sich  in  mehrere 
Aestchen  gespalten  haben.  Man  nennt  sie  Nervi  ciliares  lonyi.  Aus  den  langen  und 
kurzen  Ciliarnerven  zweigen  im  Bereiche  des  Ciliarmuskels  die  Hornhautnerven  ab. 
Der  Rest  derselben  löst  sich  in  ein  reiches  und  dichtes  Geflecht  auf,  aus  welchem 
theils  der  Muskel  selbst,  theils  die  Iris  mit  Nervenfäden  versorgt  wird.  Die  eigent- 
lichen Irisnerven   verlaufen    im  Allgemeinen  radiär,    theileu  sich    aber  vielfach  und 


Nosologie;  Iritis  serosa;  Papillöse  Auswüchse.  273 

anastomosireu  unter  oiiiuiuler ,  so  tlass  zalilrciclic  IJögen  mit  nach,  dem  Pupillar- 
rande  gerichteter  Convexität  und  Maschennetze  gebildet  werden,  welche  sich  bis 
an  den  äussersten  Rand  der  Iris  fortsetzen. 

Nosologie.  Der  Aicicjanc/spicnkt  und  der  vornehmliche  Sitz  der  Ent- 
zünduiTg  ist  das  bindegewebige  Siroma,  doch  nehmen  auch  die  musculösen 
FaserzeUen  sowie   das    Tapet  an  dem  Processe  thätigen  Anlheil. 

So  weit  die  bisherigen  Untersuchungen  reichen,  wiederholen  sich  l)ei  der 
Iritis  nur  jene  Vorgänge,  welche  die  Entzündung  in  anderen  Organen  mit  hiiulege- 
ivehiger  Grundlage  kennzeichne  u.  Es  machen  sich  vorerst  im  Stroma  wechselnde 
Mengen  neoplastischer,  wahrscheinlich  eingewanderter  Zellen  bemerkbar.  Sie  sind 
öfters  in  Heiken  geordnet,  welche  dem  Laufe  der  Gefässe  zu  folgen  pflegen;  in 
anderen  Fällen  häufen  sie  sich  in  Nesterforvi  zusammen  oder  erscheinen  in  der  In- 
tercellularsubstanz  regellos  zerstreut.  Ihre  Form  und  ferneres  Verhalten  wechseln 
ausnehmend  je  nach  dem  Charakter  und  dem  Stadium  der  Entzündung.  Gewöhnlich 
sind  es  junge  Kernzellen,  welche  zum  Theil  in  Prolification  und  in  den  verschie- 
densten Phasen  der  Höhergestaltung  begriffen  sind.  Oft  jedoch  gelangen  die  neu- 
gebildeten Elemente  gar  nicht  zu  höheren  Entwicklungsformen,  sie  gehen  viel- 
mehr rasch  in  Verfettigung  über  und  bilden  mit  einer  mehr  minder  reichlichen 
Menge  flüssiger  fetthaltiger  Intercellularsubstanz  eitrige  Producte.  In  den  pigmen- 
tirten  Stromazellen  ist  der  Vorgang  oftmals  wenig  markirt;  der  Umstand,  dass 
diese  Zellen  sehr  lange  ihr  normales  Aussehen  bewahren ,    könnte  so<rar    die  Ver- 

c?  7  0 

muthung  stützen,  dass  sich  dieselben  gar  niclit  oder  doch  nur  in  sehr  untergeord- 
neter Weise  betheiligen.  Doch  hat  man  häufig  genug  sehr  auffällige  Veränderungen 
in  Farbe  und  Menge  des  Pigmentes,  Verfettigungen  des  Zelleninhaltes ,  selbst  ein 
Auswachsen  und  förmliche  Prolification,  andererseits  aber  auch  ein  partielles  Zu- 
grundegehen dieser  Zellen  zu  beobachten  Gelegenheit.  Die  Intercellularsubstanz 
wird  wegen  der  mehr  minder  massigen  Infiltration  mit  einer  serösen  oder  gelati- 
nösen ,  fein  moleculirten  oder  mit  Fettkörnchen  durchstreuten ,  mitvinter  auch 
durch    gelöstes  Hämatin  röthlich  gefärbten  Substanz  aufgelockert  und  schwillt  an. 

Mitunter  ist  die  Production  eine  sehr  spärliche,  sie  liefert  keine  Neu- 
bildungen, welche  sich  von  dem  eigentlichen  Gefüge  der  llegenbogenhaut 
deutlich  abheben,  sondern  äussert  sich  blos  in  Verfärbung  und  Schwellung 
der  Iris.  Man  hat  diese  Form  der  Iritis  mit  dem  Namen  der  „serösen" 
belegt.  Weitaus  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  führt  die  entzündliche  Gewebs- 
wucherung jedoch  zur  Eutwickelung  von  Neoplasien,  welche  mit  freiem 
Auge  wahrgenommen  werden  können. 

4.  Es  sind  diese  letzteren  meistens  bindegewebiger  Natur.  Ihre  Form 
ist  ausserordentlich  wandelbar.      Am  häufigsten  sind  es: 

a.  Papillöse  Auswüchse,  welche  nahe  dem  Pupillarrande  diffus  im 
eigentlichen  Irisstroma  wurzeln,  die  vordere  oder  die  hintere  Begrenzungs- 
schichte durchbrechen  und,  mit  der  vorderen  Kapsel  in  Berührung  kom- 
mend, dieser  rasch  ankleben,  eine  sogenannte  hintere  Sgnechie  bedingen. 
Sie  sind  ursprünglich  warzen-  oder  kolbenförmig,  werden  nach  ihrer 
Verbindung  mit  der  Kapsel  aber  oft  zu  Fäden  ausgesponnen.  Stehen  sie 
dicht  aneinander,  so  iliessen  sie  gerne  zusammen  und  bilden  so  mehr 
minder  breite  Säume,  welche  vom  Pupillarrande  zur  Kapsel  hin  streichen. 
Bei  massenhafter  Entwickelung  solcher  Producte  im  ganzen  Umfange  des 
Pupillarrandes  wird  das  Sehloch  meistens  vollständig  geschlossen,  die  papillosen 
Auswüchse  vereinigen  sich  zu  einem  Pseudohäutchen,  welches  die  Kapsel- 
mitte deckt  und  ihr  entweder  anklebt  oder,  was  selten  der  Fall  ist,  sich 
frei  abheben  lässt.  Ausnahmsweise  hat  diese  Neubildung  vermöge  ihrer 
unverhältnissmässigen  Dicke  mehr  Anspruch  auf  den  Namen  eines  Pfropfes 
als  einer  Haut. 

Slellwaij,    Auiiciilii-ilkunJo.  18 


274  Iritis;  Nosologie;  Granulationen;  Gummen. 

Es  bestehen  die  papiUosen  AusivücJise  in  der  Eegel  aus  einer  structurlosen 
feinkörnigen  oder  radial  gestreiften  Grundsubstanz ,  in  welcher  nicht  selten  ein- 
zelne neoplastische  Gefässe,  immer  aber  wechselnde  Mengen  zelliger-  Gebilde  lagern. 
Es  sind  diese  letzteren  zumeist  stark  pigmentirt,  bald  ganz  iinregelmässig  gestaltet 
und  theilweise  ramificirt,  kleiner  und  grösser;  bald  den  normalen  Stromazellen 
ganz  ähnlich,  lang  gestreckt  und  mit  zahlreichen  verzweigten  Fortsätzen  versehen. 
Ausserdem  finden  sich  in  untergeordnetem  Massenverhältnisse  pigmentlose  Kern- 
zellen in  den  verschiedensten  Entwickelungsstadien,  freie  Kerne,  Haufen  freien 
Pigmentes  etc.  eingesprengt.  Wo  solche  Auswüchse  sich  zu  breiten  Säumen  oder 
zu  einer  die  Pupille  verschliessenden  Membran  vereinigt  haben,  sieht  man  in  deren 
Gefüge  niclit  selten  eine  Anzahl  von  Faserbündeln,  welche  in  i-adiärer  Richtung 
gegen  das  Centrum  der  Pupille  hin  streichen  und  sich  dort  zu  einem  ganz  unregel- 
mässigen Netzwerke  verstricken ,  am  Pupillarrande  der  Iris  aber  aus  der  Pseudo- 
haut  heraustreten  und  in  Gestalt  isolirter  Stränge  zur  vorderen  oder  hinteren 
Fläche  der  Pupillarzone  der  Regenbogenhaut  laufen,  um  sich  dort  in  das  Stroma 
einzusenken  (Wedl). 

h.  Granidationen.  Am  häufigsten  und  schönsten  entwickelt  findet  man 
dieselben  an  vorgefallenen  Iristheilen,  welche  dadurch  nicht  selten  ganz 
das  Ansehen  einer  schön  granulirenden  Wundiiäche  gewinnen.  Wo  aber 
die  Hornhaut  ihre  Continuität  bewahrt  hat,  erheben  sich  eigentliche  Granu- 
lationen nur  selten  über  die  Oberfläche,  in  der  Regel  lockert  sich  die 
Iris  in  Folge  üppiger  bindegewebiger  Wucherung  blos  auf  und  schwillt, 
mitunter  nach  Art  eines  Schwammes,  an.  Relativ  am  öftesten  werden 
wahre  Granulationen  an  der  Vorderfläche  der  Iris  gesehen.  An  der  hinteren 
Irisfläche  sind  sie  eine  Seltenheit,  kommen  daselbst  jedoch  bestimmt  vor, 
in  einzelnen  Fällen  als  continulrliche  Schichte,  welche  die  ganze  Iris  von 
hinten  her  überzieht  und  die  Pupille  schliesst.  Sie  wurzeln  im  eigentlichen 
Sti'oma  der  Iris  und  heben  sich  von  demselben  in  keiner  Weise  ab. 

Die  granulirende  Iris  erscheint  ihrer  ganzen  Dicke  nach  dicht  durchstreut 
von  neoplastischen  Kernen  und  Zellen ,  welche  theilweise  in  Reihen  geordnet  das 
Stroma  verdrängen  land  die  mannigfaltig  veränderten  Kernzeilen  desselben  schein- 
bar ganz  unregelmässig  durcheinander  werfen,  selhsi  aber  je  nach  Zeit  und  Um- 
ständen die  verschiedensten  Grade  der  Entwickelung  und  Höhergestaltnng  dar- 
bieten, hier  spindelig  auswachsen  und  sich  zu  Strängen  an  einanderlegen,  um 
Gefässe  zu  bilden,  dort  Fortsätze  treiben  und  den  Bindegewebskörpern  ähnlich 
werden,  oft  auch  durch  reichliclie  Production  von  Pigment  sich  zu  dunklen  Stroma- 
zellen umwandeln,  und  eine  grössere  oder  geringere  Menge  von  Intercellularsub- 
stanz  ausscheiden,  welche  häufig  durch  deutliche  Faserstreifung  das  Bild  neopla- 
stischen gefässhältigen  und  pigmentirten  Bindegewebes  vollendet.  Die  hintere 
Begrenzimgschichfe  und  das  Tajyet  nehmen  lebhaften  Antheil  an  dem  Processe  und 
gehen  in  der  Wucherung  wohl  auch  völlig  auf. 

c.    Gummen.   Es  sind   dieses  Tcnotenartige  Productanhäufungen  von  sehr 

wandelbarem  Umfange,  welche  tief  im   Stroma  der  Iris  wurzeln,  und  über 

die    vordere   Fläche    der    Regenbogenhaut  hervorragen,    sich  auch  wohl  zu 

grösseren    Geschwülsten    vereinigen,     dann    ansehnliche    Portionen    der    Iris 

decken  und  die  Vorderkammer  zum  Theile  füllen.    Sie  führen  wechselnde 

Mengen  von  Pigment  und  Gefässen. 

Die  gummöse  Natur  der  bei  Iritis  syphilitica  aufschiessenden  Knoten  wurde 
schon  früher  vermuthet  (Virchow).  In  neuerer  Zeit  haben  genaue  Untersuchungen 
in  der  That  den  Bau  solcher  Gescliwülste  übereinstimmend  mit  jenem  wahrhaft 
syphilitischer  Gummen  herausgestellt.  Es  erwies  sich  ein  linsengrosser  Tumor 
dieser  Art  zusammengesetzt  aus  dichtgedrängten  jungen  Bindegewebszellen  mit 
stark  lichtbrechenden  Kernen,  die  in  Prolification  begriffen  waren;  aus  spindeligen 
Zellen  mit  deutlicher  Zellenwand,  welche  meistens  in  bestimmten  Zügen  ange- 
ordnet waren  und  auf  beginnende  Gefässneubildung  hindeuteten;  aus  in  Vermehrung 
begriffenen  Stromazellen  und   zerstreuten  Pigmenthaufen.   Die  organischen  Muskel- 


Suppurative  Form;  Irisatscess ;  Complicalionen.  275 

fasern  waren  iin  Bereiche  der  Geschwulst  untergegangen.  Dabei  waren  die  Iris- 
gefässe  im  Tumor  selir  ausgedehnt  und  durch  neugehiUlete  vermehrt,  die  GeschwuLst 
also  sehr  blutreich  (Üolherg).  Anderseits  werden  auch  Fälle  beobachtet,  wo  die 
Elemente  durch  die  Trübung  und  den  Fettgehalt  des  Zelleninhaltes  den  beginnen- 
den Zerfall  deutlich  bekunden  (lU^ypel,  Neumann)  oder  wohl  gar  schon  zum  Theile 
in  fettigen  Detritus  aufgelöst  worden  sind.  Jedenfalls  ist  das  Verhalten  dieser  Ge- 
schwülste nach  Zeit  und  Umständen  variabel,  wie  die  verschiedenen  Ausgänge  der- 
selben lehren.  Auch  ist  das  Auftreten  ganz  analoger  Knoten  durchaus  nicht  an 
das  Vorhandensein  einer  secundäreu  Syphilis  gebunden,  während  umgekehrt  wahre 
Gummen  auch  bei  unzweifelhaft  sißjhüitische?'  Grundlage  „nicJds  darbieten,  wo- 
durch sie  über  das  Gebiet  einfach  entzündlicher  Producte  hinausreichten"   (Virchow). 

2.  lu  einer  anderen  Reihe  von  Fällen  tragen  die  Producte  der  Ge- 
webswucherung gleich  von  vorneherein  den    Charakter  des  Eiters. 

In  einzehien  Fällen  hat  man  Eiterzellen,  nach  dem  Verlaufe  der 
Gefässe  in  Zügen  zusaniniengereiht,  im  Gefdge  der  Iris  gefunden.  Aus- 
nahmsweise kommen  wohl  auch  kleine  Eiterherde,  wahre  Ahscesse,  vor. 
Sie  brechen  mitunter  nach  vorne  durch  und  hinterlassen  einen  geschioür- 
ähnlichen  Suhstanzverlust  oder  ein  förmliches  Loch  mit  eitrig  infiltrirten 
fetzigen  Rändern.  Unter  gewissen  Umständen  kann  sogar  die  Iris  als 
Ganzes  in  einen  Eiterstock  verwandelt  iverden  und  durch  eitrige  Schmelzung, 
Phthise,   zu   Grunde  gehen. 

In  der  Regel  jedoch  tritt  die  Hauptmasse  des  Eiters  an  der  Ober- 
fläche der  von  neoplastischen  Zellen  dicht  durchsetzten  Iris  zu  Tage.  Es 
findet  sich  daselbst  eine  mehr  minder  mächtige  Lage  von  verfettigenden 
Kernen  und  Zellen,  welche  sich  fort  und  fort  abstossen  und  damit  die 
Quelle  des  am  Boden  der  Kammer   sich   sammelnden  Hypopyum  liefern. 

Das  Hypopyum  besteht  öfters  durcliwegs  aus  flüssigem  Eiter,  welcher 
mit  jeder  Bewegung  des  Auges  seine  Lage  wechselt.  Oft  jedoch  enthält 
der  Hypopynmeiter  dichtere  placentaähnliche  Gerinnungen,  welche  nicht  be- 
weglich sind,  erstens  wegen  ihrer  Schwere,  zweitens  aber  wegen  ihrer 
Neigung,  mit  den  Kammerwäuden  zu  verkleben.  Bisweilen  wiegen  diese 
Gerinnungen  geradezu  an  Masse  vor  und  stellen  eine  Art  Fachwerk  dar, 
in  welchem  der  flüssige  Eiter  gleichsam  abgesackt  ist,  so  dass  er  bei 
Lageveränderungen  des  Auges  seinen  Sitz  in  keiner  Weise  ändert.  Der 
Eiter  erscheint  von  extravasirtem  Blute  manchmal  roth  gestriemt  oder  auch 
gleichmässig  geröthet. 

Es  steht  nunmehr  fest,  dass  seine  Quelle  nicht  immer  ausschliesslich  in  der 
Iris  zu  suchen,  sondern  öfters,  wenigstens  theilweise,  aus  dem  Ligg.  jjectinatuvt 
(Iwanoff)  und  möglicher  Weise  auch  aus  dem  Epithellager  der  Descemeti  sowie 
aus  dem  mitergriffenen  Ciliarmuskel  abzuleiten  sei  (Hasner,  Roser,   Graefe). 

Complicationen.  Ausser  dem  Ciliarmuskel,  dessen  Mitleidenschaft 
wahrscheinlich  zur  Regel  gehört,  nimmt  öfters  auch  der  Strahlenkranz  An- 
theil  an  der  Entzündung  der  Iris,  im  welchem  Falle  der  Process  den  Namen 
Iridokyklitis  führt.  Wird  aber  der  Ciliarkörper  in  den  Process  hineinge- 
zogen, so  geschieht  es  nicht  gar  selten,  dass  auch  die  entsprechende 
Portion  der  Lederhaut  in  einen  entzündlichen  Wucherungsprocess  geräth, 
dass  selbst  der  Vordertheil  des  Glaskörjjers  participirt  und  bindegewebige 
oder  eiterige  Producte  in  seinem  Gefüge  zu  Tage  fördert.  Auch  Iridocho- 
rioiditides  kommen  häufig  vor;  sie  erscheinen  immer  mit  Netzhautentzün- 
dung und  mit  Hyalitis  gepaart.  Nicht  selten  ist  die  Iritis  sogar  nur 
die  Theilerscheinung  einer  Panophthalmitis  des  mannigfaltigsten  Charakters. 
Am  häufigsten  jedoch  ist  die   Complication   der    Iritis  mit  Hornhautentzün- 

18* 


276  Iritis:  Krankheits'bild :  Verfärtung ;  Motilitätsstörnng. 

duiig,  die  sogenannte  Keratoiritis,  und  die  Complication  mit  Capsnlitis,  die 
Iridocapsulitis.  Selten  wird  nebenbei  eine  Entzündung  der  gesammten  Linsen- 
rinde beobachtet. 

Krankheitsbild.  Charalcteristisch  sind,  neben  den  Erscheinungen  einer 
mehr  weniger  lebhaften  Ciliarreizung:  die  eigenlh  Um  liehe  Verfärbung  der  Ii-is, 
die  Verschioommenheit  ihrer  normalen  Zeichnungen  und  die  Trägheit  oder  Unbeweg- 
lichkeit  der  meistens  stark  verengerten  Pupille.  Dazu  kommen  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  Symjitome,  ivelche  durch  die  dem  freien  Auge  loahrnehmharen,  nach 
Masse  und  Qualität  wechselnden  Producte  bedingt  werden. 

1.  Die  von  der  Entzündung  abhängige  SchweUung  und  Trübung 
des  Gefüges  macht,  dass  die  arcadenförmigen  Gefässverzweigungen  weniger 
deuthch  durchscheinen,  dass  also  die  in  der  Korm  so  schön  gezeichnete 
Oberfläche  der  Iris  ein  mehr  gleichmässiges,  sammtähnliches,  mattglänzendes 
Ansehen  bekömmt.  Dabei  wechselt  die  Farbe  selbst.  Blaue  und  graue  Regen- 
bogenhäute verfärben  sich  in  ein  schmutziges  Schiefergrau  oder  Gelbgi'ün; 
schwarze  oder  braune  Ii-ides  aber  ins  Ockergelbe,  Zimmtbraune,  Eostrothe 
bis  Braunrothe. 

Um  diese  Symptome  in  jedem  Falle  mit  Sicherheit  zu  constatiren,  ist  eine 
Vergleichnng  heider  Begenhogenhänte  unerlässlich  nothweudig.  Ohne  diese  Vorsicht 
werden  selbst  bedeutende  Verfärbungen  häiifig  übersehen.  Uebrigens  muss  hervor- 
gehoben werden,  dass  nicht  überall,  wo  die  Iris  verfärbt  und  ihre  Zeichnung  ver- 
schwommen erscheint,  auch  eine  h-itls  vorliege.  Es  gehören  diese  Erscheinungen 
nämlich  auch  in  die  Symptomatologie  von  mancherlei  ständigen  Ausgängen  der  Iritis. 
Ausserdem  aber  sind  selbst  sehr  auffällige  Verfärbungen  und  Verschwommenheiten 
der  Zeichnung  häufig  blos  scheinbar  und  kommen  bei  völliger  Integrität  der  Regen- 
bogenhaut vor,  gehören  einzig  und  allein  auf  Rechnung  einer  gleichmässigen  ent- 
zündlichen Trübuno-  der  Hornhaut  oder  des  Kammerivassers.  Nur  die  genaueste 
Berücksichtigung  aller  übrigen  Symptome,  insonderheit  aber  die  Probe  auf  die 
Beiveglichkeit  der  Pupille,  kann  hier  vor  Irrthum  in  der  Diagnose  bewahren. 

2.  Eine  weitere  nothwendige  Folge  der  Entzündung  ist  die  Un- 
fähigkeit der  Iris,  auf  Lichtwechsel  zu  reagiren,  also  Trägheit  oder  völlige 
Unbeweglichkeit  der  Pupille.  Wo  die  Beweghchkeit  der  Ii'is  wenig  gelitten 
hat,  kann  in  der  That  von  einer  Entzündung  der  Regenbogenhaut  nicht 
die  Rede  sein ;  denn  selbst  in  dem  Falle,  als  die  musculösen  Elemente 
ihre  Integrität  bewahrt  hätten,  müssten  sie  an  dem  durch  Prolification 
der  Elemente  und  durch  seröse  Infiltration  geschwellten  Stroina  sowie  an 
dem  blut  üb  erfüllten  Gefiissnetze  der  Iris  eine  sehr  bedeutende  Wirkungs- 
hemmung finden.  Grosse  Trägheit  oder  völlige  Unbeweglichkeit  der  Pupille 
ist  also  eine  unerlässliche  Bedingung,  um  die  Diagnose  auf  Ii-itis  stellen 
zu  können.  Doch  ist  hierbei  in  Anschlag  zu  bringen,  das  die  Iritis  bis- 
weilen und  namentlich  im  Beginne  des  Processes  sich  auf  Theile  der  Regen- 
bogenhaut beschränkt  und  demnach  auch  die  Functionsstörung  eine  partielle 
sein  könne. 

Bei  der  Erörterung  dieses  Symptomes  ist  grösste  Vorsicht  nothwendig,  will 
man  sich  vor  Täuselnuigen  bewahren.  Um  die  Iris  des  kranken  Auges  auf  ihre 
Reactionsfähigkeit  zu  prüfen,  muss  der  Kranke  so  gestellt  werden,  dass  massig 
starkes,  am  besten  gewöhnliches  Tageslicht  nur  von  Einer  Seite  schief  auf  das 
kranke  Auge  falle.  Das  gesunde  Auge  muss  geschlossen  und  nicht  blos  mit  der 
Hand,  sondern  mit  einem  zusammengefalteten  Tuche  bedeckt  werden ,  so  dass  mit 
Sichei'heit  jede  Spur  von  Liclit  von  demselben  abgehalten  wird.  Der  Untersuchende 
stellt  sich  dabei  so  vor  den  Kranken,  dass  er,  während  er  mit  der  einen  Hand 
einen  Kernschatten  auf  das  unbedeckte  Axige  wirft ,  dessen  Pupille  neben  der 
deckenden  Hand    in  Sicht   behält.    Während    er    nun    den  Rand    der  Pupille    fixirt, 


Untersuchung  clor  Irisreactiou;  Schwellungsphaenomene.  277 

wird  durch  Eiitfeniuiio-  der  Hand  helles  Licht  ;iiif  das  Auge  geleitet,  das  Auge 
abermals  beschattet  u.  s  f.  Ein  zwei-  oder  dreimaliges  Wechseln  mit  Schatten  und 
Liclit  wird  in  der  Regel  über  die  Reactionsfähigkeit  der  Iris  Ausschluss  geben  und 
bei  gehöriger  Befolgung  aller  Vorsichtsuiassregeln  wird  auch  selbst  die  leiseste 
Kräuselung  des  Pupillarrandcs  zur  Wahrnehmung  kommen.  Die  Bedeckung  des 
gesunden  Auges  mit  einem  gefalteten  Tuche  ist  nothwendig,  weil  die  blosse  Schlies- 
sung der  Lider  oder  die  Bedeckung  mit  der  Hand  nicht  ausreicht,  um  alles  Licht 
abzuhalten,  ein  auf  das  gesunde  Auge  wirkendes  Licht  aber  auch  die  Pupille  des 
kranken  Auges  verengt  und  den  Contrast  zwischen  dem  auf  letzteres  wirkenden 
Lichte  und  Schatten  mächtig  abschwächt,  so  dass  bei  geringerer  Reactionsfähigkeit 
die  Iris  im  kranken  Auge  fest  gebannt  erscheinen  kann,  obwohl  sie  noch  beweglich 
ist.  Ein  siäfkeres  Licht  und  ein  Kernschatten  ist  erforderlich,  um  einen  genügenden 
Contrast  und  dadurch  eine  möglichst  starke  Reaction  zu  erzielen.  Der  Pupillarrand 
uuiss  sowohl  während  der  Beschattung  als  bei  der  Beleuchtung  in  Sicht  behalten 
werden,  weil  widrigenfalls  bei  der  Entfernung  der  beschattenden  Hand  die  Con- 
traction  des  Pupillarrandcs  in  der  Regel  schon  vorüber  ist,  ehe  das  untersuchende 
Auge  den  letzteren  scharf  fixirt  ha^,  so  dass  selbst  bedeutende  Zusammenziehungen 
der  Beobachtung  entgehen  könnun. 

Wo  trotz  aller  dieser  Vorsichten  bei  wiederholtem  Licht-  und  Schatten- 
wechsel keine  Bewegung  des  Pupillarrandcs  wahrgenommen  wird,  kann  man  mit 
Wahrscheiidichkeit  auf  Jlea.ctior\sinif(lhigkeit  der  Iris  schliessen.  In  zweifelhaften 
Fällen  gewährt  übrigens  eine  Lösung  von  Ätropin  das  Mittel,  um  sich  sicher  zu 
stellen.  Wo  sich  auf  dessen  Anwendung  die  Pupille  stark  und  gleichmässig  er- 
weitert, ist  eine  höhergradige  totale  Iritis  bestimmt  nicht  vorhanden.  Bei  partiellen 
Kegeubogenhautentzünduugen  steht  einer  theihoeisen  Erweiterung  der  Pupille  durch 
Atropin  oder  durch  Beschattung  natürlich  nichts  im  Wege.  Umgekehrt  darf  nicht 
übersehen  werden,  dass  ein  Ausbleiben  der  Atropinwirkung  nicht  nothwendig  auf 
Iritis  hindeutet,  da  die  Unbeweglichkeit  der  Regenbogenhaut  auch  in  mannigfal- 
tigen arideren  Zuständen  ihren  Grund  finden  kann,  in  hinteren  Synechien,  Paralysen, 
Atrophie  u.  s.  w.  Auch  ist  wohl  darauf  zu  achten,  dass  sehr  heftige  Reizzustände 
des  ciliaren  Nervensystems,  wie  selbe  nicht  selten  die  Keratitis  etc.  begleiten,  den 
Effect  des  Atropins  sowohl  in  Bezug  auf  Grösse  als  auf  Dauer  sehr  vermindern, 
oder  wohl  gar  auf  Null  setzen. 

3.  Aus  der  entzündlichen  Gewebswucherung  und  der  damit  eiuher- 
gehenden  Hyperämie  und  serösen  Durchfeuchtung  des  Gefiiges  resultirt  ferner 
auch  eine  Anschwellung.  Diese  macht  sich  sowolil  durch  Dickenzunahme,  als 
durch  Verbreiterung  der  Iris,  d.  i.  durch  Verengerung  der  Pupille,  bemerk- 
lich. Die  Verdickung  ist  meisthin  eine  sehr  wenig  auffällige.  Allerdings 
zeigt  sich  die  entzündete  Iris  oft  aufgelockert  und  auch  wohl  etwas  her- 
vorgetrieben, so  dass  die  Kammer  verengt  erscheiiit.  Dieses  letztere  Symptom 
ist  aber  gewöhnlich  mehr  die  Folge  einer  Abnahme  des  Humor  aqueus. 
Die  Verengerung  der  starren  Pupille  jedoch  ist  meistens  deutlich  nachweisbar, 
obwohl  kein  ganz  constantes  Symptom,  denn  die  Iris  kann  bei  jeder  mög- 
lichen Weite  des  Sehloches  entzündet  sein. 

Mau  hat  die  Verengerung  der  Pupille  vielfach  als  ledige  Folge  einer  ver- 
stärkten Zusammenziehung  des  Schliessmuskels  aufgefasst.  Allein  sie  macht  sich 
oft  erst  in  Stadien  der  Iritis  geltend,  in  welchen  man  allen  Grund  hat,  eine  völlige 
Functionsuntüchtigkeit  des  Sphincters  vorauszusetzen.  Uebrigens  liegt  der  Beweis 
für  die  Abhängigkeit  des  Phänomens  von  der  Schwellung  in  dem  Umstände ,  dass 
selbst  bei  veralteter  Lähmung  oder  gänzlicher  Verbildung  der  Iris,  wie  selbe,  z.  B. 
bei  inveterirten  Glaucomen  vorkömmt,  eine  sich  rasch  entwickelnde  Iritis  bis- 
weilen ein  winkeliges  Vorspringen  einzelner  Theile  des  Pupillarrandcs  mit  sich 
bringt,  und  dass  überhaupt  nach  erfolgter  Anheftung  zweier  Punkte  des  Pupillar- 
randes  der  zwischengelegeue  Bogen  des  letzteren  sich  nicht  nothwendig  darauf 
beschränkt,  in  die  gerade  Linie  vorzurücken,  sondern  über  diese  hinaus  mit  einer 
deutlichen  Convexit'dt  dem  Centrum  der  Kapsel  zurückt,  ein  Vorgang,  welcher  der 
Muskclwirkung  gerade  entgegen  ist.  Es  geht  daraus  hervor,  dass  die  Muskelwir- 
kung bei  der  entzündlichen  Verengerung  der  Pupille  nicht  in  Rechnung  komme, 
oder  doch  nur  als  ein  beihelfendes  Moment  aufgefasst  werden  könne. 


278  Iritis;  Krankheitsbild ;  Gefässsymptome ;  Schmerzen. 

4.  Hyperämien  können  vermöge  der  Mächtigkeit  der  Gefässwände  in 
der  Iris  nicht  leicht  zur  Wahrnehmung  kommen,  auch  wenn  sie  bestehen. 
Dass  übrigens  die  hämodynamischen  Verhältnisse  des  Binnenraumes  einer 
hochgradigen  Entwickelung  derselben  nicht  günstig  sind,  wurde  bereits 
erwähnt  (S.  3). 

Wirklich  findet  man  nur  sehr  ausnaJimsiveise ,  dass  ein  oder  mehrere  stark 
erweiterte ,  offenbar  venöse  Gefässstämmchen  an  der  Oberfläche  in  einer  Iturzen 
Strecke  ihres  sehr  unregelmässigen  Verlaufes  heraustreten.  Namentlich  ist  dieses 
bisweilen  der  Fall  in  den  späteren  Stadien  chronischer  Iritis,  wenn  das  Gefüge  der 
Regenbogenhaut  schon  sehr  gelitten  hat  und  im  Schivande  weit  vorgeschritten  ist. 

Blutextravasate ,  als  mittelbare  Folgen  der  Circulationsstörung,  machen  sich 
daselbst  jedoch  nicht  gar  selten  bemerklich.  Sie  erscheinen  als  blutfarbige  ver- 
waschene Flecke  in  dem  Parencliyme  der  Regenl)Ogenhaut;  mitunter  äussern  sie 
sich  durch  blutige  Färbung  iritischer  Producte  oder  als  freie  Ergüsse  in  den 
Kammerraum,  als  sogenannter  Hämopldlialmus  oder  Hi/poh'dma. 

So  wenig  deutlich  indessen  die  Hyperämie  im  Bereiche  der  Iris  selbst 
hervortritt,  so  auffällig  macht  sich  dieselbe  an  den  vorderen  Ciliar gefässen 
und  deren  collatcralen  Aesten  durch  die  Entwickelung  eines  äusserst  fein- 
maschigen und  dünnaderigen  Gefässnetzes  in  der  vorderen  Episcleralzone.  Es 
ist  dieses  eines  der  constantesten  Symptome  der  Iritis,  ja  es  findet  sich 
selbst  schon  bei  einfachen  Reizungen  der  Eegeubogenhaut  und  gehört  über- 
haupt zu  den  ersten  Vorboten  der  fraglichen  Entzündung.  Das  injicirte 
Episcleralgefüge  ist  dabei  meistens  serös  infiltrirt.  Oefters  nimmt  wohl  auch 
das  darüber  gelegene  Bindehautgefüye  an  der  Hyperämie  und  ödematösen 
Schwellung  Antheil  und  erhebt  sich  in  Porm  eines  breiten  niederen  Wulstes, 
eines  sogenannten    Gefässkranzes  rings  um   die  Hornhaut. 

Die  hyperämische  Röthe  der  episcleralen  Gefässnetze  ist  in  der  Regel  eine  sehr 
helle,  offenbar  arterielle  und  spielt  wegen  der  tiefen  Lage  der  Netze  mehr  weniger 
ins  Rosenfarbene  oder  ins  Lila.  Bisweilen  zeigt  die  Röthe  eine  ganz  entschiedene 
Beimengung  von  Braun.  Der  conjunctivale  Gefässkranz  wechselt  in  seiner  Farbe 
vom  hellen  Blutroth  zum  bläulichen  Roth,  den  mehr  arteriellen  oder  venösen  Cha- 
rakter der  Circulationsstörung  andeutend. 

Man  hat  früher  den  verscldedenen  Tönen  der  episcleralen  Injectionsröthe  einen 
ungebührlichen  diagnostischen  Werth  beigelegt.  Man  glaubte  aus  der  braunen  Nuance 
auf  ein  syphilitisches  Grundleiden,  aus  der  mehr  bläulichen  Farbe  auf  Begründung 
der  Iritis  durch  Gicht,  aus  der  hellen  Rosenröthe  auf  Rheuma  u.  s.  w.  schliessen 
zu  können.  Es  ist  dieses  entschieden  unrichtig.  Die  bräunliche  Nuance  ist  ihrer 
Entstellung  nach  durchaus  nicht  aufgeklärt.  Die  mehr  helle  oder  mehr  bläuliche 
Färbung  resultirt  aus  dem  Ueberwiegen  der  Störung  in  den  arteriellen  oder  venösen 
Gefässen;  weiter  deutet  sie  nichts  an. 

Wichtig  ist  noch  zu  bemerken ,  dass  ausnahmsweise  sehr  intensive 
Iritiden  verlaufen  können ,  ohne  dass  es  zu  einer  auffälligen  Hyperämie  des 
Episcleralgefüges  kömmt.  Im  Verlaufe  des  Puerperium,  des  Typhus,  der 
Pyämie  u.  s.  w.  hat  man  öfters  Gelegenheit,  derartige  Regenbogenhaut- 
entzüudungen  zu  beobachten. 

Umgekehrt  beschränkt  sich  die  Hyperämie  häufig  nicht  auf  den 
Gefässkranz ;  die  BlndeJiaut  ihrer  ganzen  Ausdehnung  nach  und  selbst  die 
Lider  erscheinen  stark  geröthet  und  geschwollen.  Besonders  der  obere 
Lidrand  ist  oft  deutlich  gewulstet  und  auffällig  roth,  seine  äussere  Decke 
gespannt,  glänzend  und  empfindhch. 

5.  Das  inconstanteste  Symptom  der  Iritis  sind  die  Schmerzen.  Es  fehlen 
dieselben  nicht  selten  ganz  oder  sind  so  gering,  dass  sie  kaum  die  Auf- 
merksamkeit des  Kranken  erregen.  In  anderen  Fällen  erscheinen  sie  schon 
unter  den  Vorboten  und    steigern  sich  allmälig  zu  den  heftigsten  Graden. 


Sehslöruugeu ;  rapillüse  Auswüchse.  279 

Ihrer  Qualität  nach  werden  sie  von  verschiedenen  Kranken  als  reisseud,  ])üh- 
rend,  stechend,  drückend  u.  s.  w.  beschrieben.  Jede  das  Auge  treffende  äussere  oder 
innere  Scliädlichkeit  vermclu't  sie.  Sehr  oft  verox\scllscliat'ten  sie  sich  mit  Lichtscheu 
in  weclisehider  Proportion.  Buhl  stetig,  bald  mit  Remissionen  und  Exacei-hationen 
alternirend,  bald  intcrmittirend  und  in  Form  von  Paroxysinen  zu  unregelmässigcn 
oder  bestimmten  Tageszeiten  wiederkehrend,  schattiren  sie  das  Krankheitsbild  in 
der  manuiijraltigsten  Weise.  Dazu  kömmt  noch,  dass  sie  selir  oft  nicht  auf  den 
Aug-ajjful  beschränkt  bleiben,  sondern  nach  verschiedenen  Kichtunj^-en,  am  häuiiji'sten 
nach  dem  Verlaufe  des  Stirnnerven,  seltener  nach  der  Verzweigung  des  Nervus 
infraorbitalis  oder  iiiframaxillaris  ausstrahlen. 

Auch  das  Gehirn  äussert  sehr  oft  seine  Mitleidenschaft  durch  mehr  weniger 
heftige  Cephalalgie.  Durch  dessen  Vermittlung  participirt  öfters  der  Darmtract  an 
dem  krankhaften  Processe.  Appetitlosigkeit,  Belegtheit  der  Zunge,  Verstimmung 
der  Geschmacksnerven ,  Neigung  zum  Erbrechen  oder  wirkliches  Erbrechen  ver- 
rathen  diese  Theilnalune.  Selbst  der  gesaminte  Organismus  reagirt  nicht  selten  unter 
der  Form  von  Fieber. 

6.  Niemals  fehlen  bei  der  Iritis  beträchtliche  Störungen  des  Gesichtes. 
Sie  sind  bisweilen  die  einzigen  Symjjtome,  welche  den  Kranken  auf  das 
A^orhandensein  eines  Augenleidens  aufmerksam  machen.  8ie  resultiren  einer- 
seits aus  der  durch  die  Gewebswucherung  bedingten  Lähmung  des  Muskel- 
systems, also  aus  der  Aufhebung  des  Accommodationsvermögens  und  der 
Fähigkeit ,  das  Auge  nach  Bedarf  zu  blenden ;  andererseits  sind  sie  eine 
Folge  der  im  Bereiche  der  Pupille  abgelagerten  Producte  (Siehe  Kapselstaar.) 

7.  Die  papiUösen  Auswüchse  am  PiipiUarrande  sind  häufig  so  überaus 
klein  und  so  sparsam  zerstreut,  dass  sie,  so  lange  die  Iritis  besteht  und 
die  Pupille  unbeweglich  bleibt ,  nur  sehr  schwer  mit  freiem  Auge  wahr- 
genommen werden  können ,  um  so  mehr ,  als  sie  wegen  ihres  reichlichen 
Gehaltes  an  Pigment  sich  nur  wenig  von  der  schwarzen  Pupille  abheben. 
Man  muss  sehr  genau  sehen  und  oft  auch  noch  die  schiefe  Beleuchtung  zu 
Hilfe  nehmen,  um  sie  als  winzige  braune  oder  schwarze  Erhabenheiten 
zu  erkennen. 

Mit    der   Massenzunahme    der  Neubildung    wächst  natürlich  die  Auf- 


^ö 


fälligkeit    derselben.     Aus  der   Verschmelzung  von    dicht    gedrängten  Aus 


» 


wüchsen  hervorgegangene  Säume  lassen  sich  bei  einiger  Aufmerksamkeit 
kaum  übersehen.  Sie  sind  hellbraun  bis  dunkelbraun  und  selbst  matt 
schwarz,  oft  bis  zu  einer  Viertellinie  breit,  umkränzen  einen  grösseren  oder 
kleineren  Bogen  des  Pupillarrandes ,  allen  seinen  Ausbuchtungen  folgend, 
oder  fassen  das  Sehloch  seinem  ganzen  Umfange  nach  ein  und  zeigen  auf 
der  Vorderkapsel  eine  zackigkerbige  oder  verwaschene  Grenze.  Gar  nicht 
selten  ist  an  ihnen  noch  eine  schmale  centrale  pigmentarme  und  darum 
grauweisse  Zone  mit  wolkig  verschwommenem  inneren  Rande  zu  unter- 
scheiden, in  welcher  sich  nur  bei  schiefer  Beleuchtung  Haufen  von  Pigment 
nachweisen  lassen. 

Oft  erscheint  bei  Vorhandensein  ausgebreiteter  hinterer  Synecluen 
die  Pupille  zum  grossen  Theile  oder  ihrer  ganzen  Ausdehnung  nach  getrübt. 
Meistens  beurkundet  sich  dadurch  nur  eine  neben  der  Iritis  einhergehende 
Capsulitis.  Die  von  Pigment  gefärbten  neoplastischen  Säume  des  Pupillar- 
randes verwaschen  sich  dann  gegen  das  Centrum  der  Kapsel  hin  in  ein 
reines  oder  gelbliches  Weiss,  welches,  unregelmässig  vertheilt,  fleckig 
streifige  Zeichnungen  bedingt,  zwischen  denen  der  Augengrund  bläulich 
durchscheint.  Oefters  jedoch  ist  diese  Trübung  wirklich  durch  iritische 
Producte  veranlasst  und  wird   allenfalls  durch  eine  complicirende  Capsulitis 


280  Iritis;  KranklieitsWld ;  Gummen;  Gianulationen ;  Eiterlieschlag. 

nur  auffälliger  gemacht.  Die  unter  solchen  Verhältnissen  gegebenen  Auf- 
lagerungen auf  die  Vorderwand  der  Kapsel  lassen,  wenigstens  bei  schiefer 
Beleuchtung  und  bewaffnetem  Auge ,  stets  den  Gehalt  an  bi'aunem  oder 
schwarzem  Pigment  nachweisen.  Gewöhnlich  ist  der  Farbestoff  schon  dem 
freien  Auge  bemerklich. 

Vermöge  seiner  ungleichm'dssigen  Vertheihing-  bildet  er  in  der  trüben  Pupille 
bräunliche  bis  schwarze  Flecken,  welche  oft  Frücliten  ähnlich  auf  baumartig  ver- 
zweigten, gleichartig  gefärbten  Streifen  sitzen;  oder  es  zeigt  sich  in  der  Sehe 
ein  Netzwerk  unter  einander  verflochtener  pigmentirter  Fäden,  welche  mit  dem 
pigmentirten  Exsudatsaume  des  Pupillarrandes  zusammenhängen  und  in  ihren 
Maschen  den  Augengrund  durchschimmern  lassen. 

Bisweilen  ist  das  Pigment  aber  auch  mehr  gleichmässig  vertheilt  und  so  dicht 
eingestreut  in  die  die  Pupille  schliessende  hautartige  Neubildung,  dass  das  Sehloch 
bei  flüchtiger  Betrachtung  die  normale  Schwärze  beibehalten  zu  haben  scheint  und 
dass  erst  bei  genauerer  Untersuchung  die  dunkelbraune  oder  selbst  matt  dinten- 
schwarze  Neoplasie  erkannt  wird. 

8.  Die  Gummen  und  Granulationen  sind  schon  ihrer  Grösse  halber  sehr 
auffällig  und  kaum  zu  verkennen.  Die  eigentlichen  Gummen  sind  meistens 
mohn-  bis  hirsekorngross  und  stellen  Knoten  mit  kegeliger  Spitze  vor; 
mitunter  jedoch  sind  sie  mehr  kolbig  oder  warzenähnlich  mit  rundlichem 
Kopfe.  Sie  ragen  deutlich  über  die  Vorderfläche  der  Iris  hervor.  Oft 
stehen  sie  einzeln.  Mitunter  findet  man  sie  zu  einem  warzigen  Kranze 
verbunden,  welcher  die  Pupillarzone  der  Iris  theilweise  oder  ganz  deckt. 
Ihre  Farbe  ist  in  lichten  Regenbogenhäuten  meistens  gelblich  grau  oder  von 
reichlichem  Gefassgehalte  röthlich ,  bisweilen  wohl  auch  zimmtbraun ;  in 
dunklen  Augen  aber  lohbraun  bis   dunkelbraun. 

Die  grösseren  Auswüchse,  es  mögen  nun  Gummen  oder  einfache  Fleisch- 
wärzchen sein,  pflegen  mehr  ein  kohlblumenähnliches  Aussehen  darzubieten. 
Ihre  Oberfläche  ist  in  der  Regel  sehr  rauh,  drusig  warzig,  es  wäre  denn, 
dass  sie  bis  an  die  Descemet!  reichen ,  wo  sich  die  Oberfläche  dann  aus 
mechanischen  Gründen  glättet.  Sie  zeigen  oft  eine  schmutzige  Fleischfarbe. 
Mcht  selten  jedoch  wird  die  Eöthe  durch  den  Pigmentgehalt  des  Gefüges 
ins  Bräunliche  und  selbst  entschieden  Braune  umgewandelt,  namentlich 
bei  dunklen  Regenbogenhäuten  und  nach  längerem  Bestände  der  Excres- 
cenzen.  Bisweilen  veranlassen  sie  wiederholt  Blutungen  (Secondi).  Aus- 
wüchse, welche  vermöge  ihrer  Zusammensetzung  mehr  zur  Eiterung  neigen, 
reflectiren  meistens  ein  mehr  schmutziges  Gelb,  das  bisweilen  von  dunklerem 
Pigment  gesprenkelt  ist. 

9.  Bei  der  Iritis  mit  eitrigem  Producta  erscheint  die  Regenbogenhaut 
öfters  nur  von  einem  dünnen  florähnlichen  trüben  Beschläge  überkleidet, 
der  Eiter  stösst  sich  rasch  los,  mischt  sich  mit  dem  Kammerwasser,  trübt 
dasselbe  und  gibt  ihm  das  Ansehen  einer  trüben  Molke.  Nicht  selten 
zeigen  sich  darin  auch  lichtere  Flocken ,  welche  sich  allenthalben  an  den 
Wänden  der  Kammer,  unter  andern  auch  an  der  hinteren  Wand  der  Des- 
cemeti  niederschlagen  und  bei  reichlicher  Entwickelung  sich  am  Boden  des 
Kammerraumes  in  Gestalt  eines  Hypopyum  sammeln. 

In  anderen  Fällen  findet  man  die  Iris  stellenweise  oder  ihrer  ganzen 
Ausdehnung  nach  von  gelblichen  schmierigen  rahmähnlichen  Massen  überJdeidet, 
welche  von  ihrem  Gehalt  an  Pigment  und  extravasirtem  Blute  öfters  fleckig 
oder  gestriemt  erscheinen  und  secundär  durch  ihre  Schmelzung  das  Hypopyum 
erzeugen.   Sie  lagern  häufig  in  Form  eines   ganz  gleichmässig  dicken  Stratum 


Hypopynra  ;  Ursachen.  281 

von  grösserer  oder  gex'ingerer  Miiclitigkcii  der  Iris  und  Kapseliniite  auf. 
Nicht  selten  j(>do('.Ii  ist  die  Autlagei'uiig  auch  eine  sehr  unffleichmäsfiige,  ja 
öfters  sieht  man  blos  hier  und  da  einzelne  Fladen  mit.  wolkigen  oder 
streifigen  Rändern. 

Am  häufigsten  erscheinen  solche  Massen  auf  den  Pvp'dlartheil  beschränkt. 
Sie  bilden  daselbst  oft  mächtige  P/röpfe,  welche  die  Pupille  völlig  verlegen 
und  mit  strahl  igen  Altsläufern  sicli  über  den  centi-alen  Theil  der  liegen- 
bogenhaut  hinüber  erstrecken, 

10.  De?"  eitrige  Niederschlag,  das  Hypopyum ,  erhebt  sich  oft  kaum 
über  die  Höhe  des  Limbus  conjunctivalis  und  wird  nur  bei  sorgfältiger 
Untersuchung  in  Gestalt  eines  schmalen  eitergelben  Streifens  an  der  unteren 
Cornealgrenze  gefunden.  In  anderen  Fällen  reicht  das  Hj'popyum  bis  zum 
unteren  Eande  der  Pupille,  seltener  über  das  Sehloch  hinaus,  oder  es  erfüllt 
ausnahmsweise  die  Kammer  völlig.  Meistens  ist  es  nach  oben  flächen- 
artig begrenzt,  namentlich,  wenn  der  flüssige  Eiter  an  Masse  überwiegt, 
wo  die  mit  jeder  Lage  des  Bulbus  ihre  Lage  wechselnde  obere  Grenzfläche 
eine  Ebene  ist.  Falls  aber  die  placentaähnlichen  Gei'innungen  überwiegen, 
kann  die  obere   Grenze  des  Hypopyum  auch  eine   sehr  unebene  sein. 

Ahgeselieii  davon,  dass  das  Hypopyum  liäiifig  aus  der  Zerfällniss  fester,  der 
Iris  anhaftender  Producte  hervorgeht,  wird  niimlich  auch  bei  primären  Hypopyen 
der  flüssige  Eiter  oft  binnen  kurzem  zum  grossen  Theile  aufgesaugt,  während  die 
festeren  Gerinnungen  der  Resorption  widerstehen  und  sich  alhiiälig  über  das  Niveau 
des  Hypopyum  erheben.  Mau  findet  die  letzteren  dann  meistens  in  Gestalt  von 
Kkimpen,  welche  der  Irisvorderfläche  auflagern  oder  die  Pupille  pfropfartig  schliessen. 
Es  ist  unter  solchen  Umständen  oft  schwer  zu  entscheiden,  ob  das  Hypopyum  das 
Primäre  war,  oder  aus  der  theilweisen  Schmelzung  jener  solideren  Massen  liervor- 
gegangen  ist.  Verwechslungen  mit  dem  Onyx  sind  in  der  Regel  nicht  schwer  zu 
meiden  (S.  85). 

Ursachen.  Die  Aetiologie  der  Iritis  ist  ungemein  reich,  indem  1 .  fast 
jede  erheblichere  Schädlichkeit,  loelche  das  Auge  trifft,  direct  oder  indirect  zur 
Regenbogenhautentzündung  führen  kann,  a)  Zu  den  mechanischen  Schädlich- 
keiten, welche  am  häufigsten  eine  Iritis  anregen,  gehören :  fremde  Körper, 
welche  längere  Zeit  im  Conjunctivalsacke  haften  oder  in  der  Cornea  stecken; 
Dehnungen,  Zerrungen  und  wirkliche  Zusammenhangstrennungen  der  Iris, 
sie  mögen  nun  zuföUig  oder  auf  operativem  Wege  gesetzt  worden  sein ; 
die  mechanische  Einwirkung  eines  in  die  vordere  Kammer  gelangten  fremden 
Körpei's  (Homer)  oder  losgelösten  Staai'stückes,  einer  vorgefallenen  Linse; 
Bloslegungeu  der  Kegenbogenhaut  in  Folge  durchdringender  Substanzverluste 
oder  ausgedehnter  Zerstörungen  der  Cornea,  b)  Als  chemische  Schädlichkeiten 
sind  aufzufassen :  die  Einwirkung  scharfer  ätzender  Stoffe  auf  das  Auge, 
namentlich  unzweckmässige  Anwendung  reizender  Salben ,  Augenwässer 
Aetzmittel  u.  s.  w.  c)  Unter  den  physikalischen  Schädlichkeiten  spielt 
wahrscheinlich  rascher  Wechsel  sehr  verschiedener  Temperaturgrade  und 
deren  nächste  Folge,  Erhitzung  und  Verkühlung,  eine  Eolle.  Ueberdies 
ist  auch  die  Einwirkung  sehr  hoher  Lichtgrade  und  in  specie  greller 
Lichtcontraste  auf  das  Auge  zu  den  möglichen  Veranlassungen  der  Iritis 
zu  zählen,  d)  Unter  den  functionellen  Schädlichkeiten  stehen  übermässige 
Anstrengungen  des  Auges  behufs  deutlichen  Sehens  in   erster  Reihe. 

2.  Häufig  ist  die  Regenbogenhautentzündung  eine  secundäre,  die  Folge 
der  Forlpflanzung   des  Processes  auf  die  Iris  von  Organen,  welche   mit  dieser 


282  Iritis ;  Ursachen ;  Secundäre  Iritis ;  Syphilis. 

in  anatomischem  oder  functionellem  Verbände  stehen.  Die  Chorioiditis  paart 
sich  in  solcher  Weise  sehr  oft  mit  Iritis,   am  häufigsten  aber  die  Keratitis. 

Die  Fähigkeit,  sich  gegenseitig  ßeizzustände  mitzutheilen  und  so  Ent- 
zündungen anzuregen,  ist  übrigens  nicht  blos  auf  die  einzelnen  Organe 
eines  und  desselben  Augapfels  beschränkt.  Viele  in  neuerer  Zeit  gemachte 
Beobachtungen  sprechen  dafür,  dass  Entzündungen  des  einen  Bulbus, 
namentlich  die  Iritis  und  die  Iridochorioiditis ,  unter  gewissen  ausnahms- 
iveisen  Verhältnissen  durch  Vermittelung  des  Nervensystems  auf  sympathischem 
Wege  den  anderen  Bulbus  in  Mitleidenschaft  zu  ziehen  und  daselbst  wieder 
eine  Iritis  zu  erzeugen  im  Stande  sind  (Siehe  Iridochorioiditis). 

3.  Endlich  sind  noch  gewisse  Allgemeinleiden  als  mögliche  Veranlassung 

von    entzündlichen  Processen    zu    nennen,    welche   sich    bald    auf   die    Iris 

beschränken,   bald  aber  auch  in  der  Eorm  einer  Panophthalmitis  suppurativa 

(siehe  diese)  sich  geltend  machen. 

So  soll  Iritis  mit  Hypopyumbildung  in  intermittirender  Form  als  Ausdruck 
einer  durch  Malaria  bedingten  vasomotorischen  Infectionsneurose  vorkommen  und 
gleich  anderen  larvirten  Wechselfiebern  durch  Chinin  heilbar  sein  (Staub,  Eulenhurg). 

Am  häufigsten  unter  allen  sogenannten  Dyscrasien  führt  die  Syphilis 
zur  Regenbogenhautentzündung ;  ja  man  kann  sagen,  ein  ansehnliches 
Procent  aller  vorkommenden  Iritiden  ruhe  auf  syphilitischer  Basis.  In 
der  Regel  tritt  unter  solchen  Verhältnissen  die  Iritis  auf,  ohie  dass  eine 
nachweisbare  äussere  Schädlichkeit  auf  das  Auge  gewirkt  hätte.  Bisweilen 
jedoch  gibt  eine  der  vorgenannten  Gelegenheitsursachen  den  eigentlichen 
Anstoss.  Meistens  kömmt  es  zur  Iritis  erst  nach  längerem  Bestände  und 
mannigfachen  anderweitigen  Localisationen  der  allgemeinen  Syphilis.  Doch 
kann  auch  das  Gegentheil  stattfinden ,  die  Iris  unter  den  erstergriffenen 
Organen  sein,  oder  geradezu  den  Reigen  der  örthchen  secundär  sypliiliti- 
schen  Leiden  eröffnen. 

Besonders  häufig  ist  die  Combination  der  Iritis  syphilitica  mit  papulösen  Haut- 
sypMliden.  Man  hat  darum  auch  vielseitig  einen  besonderen  Causalnexus  zwischen 
diesen  beiden  Affectionen  angenommen,  um  so  mehr,  als  eben  die  Iritis  gar  nicht 
selten  gerade  während  der  Eruption  eines  solchen  Syphilides  zu  Stande  kömmt.  Es 
lässt  sich  das  Zusammentrefifen  der  Iritis  und  der  Papula  syphilitica  indessen  viel 
leichter  daraus  erklären,  dass  dieses  Syphilid  überhaupt  eine  der  häufigsten  Kund- 
gebungen des  Allgemeinleidens  ist.  Uebrigens  stösst  man  oft  genug  auf  unab- 
weisbar syphilitische  Regenbogenhautentzünduugen,  neben  welchen  sich  keine  Spur 
eines  vorhandenen  oder  abgelaufenen  Haut  syphilides  entdecken ,  oder  auch  nur 
auamnestisch  nachweisen  lässt ;  der  syphilitische  Charakter  des  Augenleidens  verräth 
sich  aber  durch  die  Anwesenheit  von  syphilitischen  Geschwüren  im  Rachen  u.  s.  w. ; 
oder  bei  Abgang  aller  anderen  eigenthümlichen  Localaffectionen  durch  die  der 
allgemeinen  Syphilis  fast  durchwegs  zukommenden  Anschwellungen  der  Lymphdrüsen 
in  der  Nacken-,  Achsel-,  Cubital-  oder  wenigstens  in  der  Leistengegend  und  durch 
die  Nachweisbarkeit  einer  Schaukernarbe. 

Wo  die  secundäre  Syphilis  sich  durch  keine  der  ihr  eigenthümlichen  Local- 
affectionen,  selbst  nicht  durch  die  Anschwellung  der  Lymphdrüsen,  äusserlich  kund 
gibt,  dort  fehlt  jeder  Anhaltsjninkt ,  um  eine  vorhandene  Iritis  durch  Syphilis  be- 
gründet zu  erachten,  selbst  wenn  ein  primäres  syphilitisches  Geschwür  vorhanden 
oder  vorausgegangen  wäre.  Es  kann  dann  allerdings  die  Iritis  noch  den  syphili- 
tischen Charakter  tragen  und  man  wird  Grund  haben,  dieses  in  der  Therapie  zu 
berücksichtigen,  wenn  sie  ohne  entsprechende  äussere  Veranlassung  während  dem 
Bestände  des  primären  Geschwüres  oder  kurze  Zeit  nach  dessen  Verheilung  hervor- 
tritt; eben  so  gut  kann  aber  unter  solchen  Umständen  die  Iritis  auch  eine  genuine 
im  eigentlichsten  Wortsinne  sein.  Die  Entscheidung  ist  dann  gewöhnlich  erst  auf 
Grundlage  der  therapeutischen  Resultate  fällbar j    die  syphilitische  Natur  ergibt  sich 


Iritis  sypliil.  bei  Neugel)ornen ;  Vorkommen;  Verlauf.  283 

aus  der  Unzulänglichkeit  der  cinfaclicu  Antiphlogose  und  der  Nothwendigkeit  und 
Wirksamkeit  antisyphilitischer  Mittel. 

Man  hat  vielfach  behauptet,  die  Sijphilis  drücke  der  Ite(jenhofjeiihantentzüudun<j 
ganz  hesondere,  keiner  andercH  äüoloijisclien  Form  der  Tritia  rutkommende  Merkmale 
auf,  und  man  könne  sohin  aus  dem  Kranklu^itsbilde  der  Iritis  als  solchem  allein  und 
mit  Bestimmtheit  den  syphilitischen  oder  nicht  syphilitischen  Charakter  des  Leidens 
erkennen.  Dies  ist  jedoch  entschieden  ein  Irrfhiim,  wie  zum  Theile  sciion  daraus 
hervorgeht,  dass  verschiedene  Augenärzte  der  Iritis  syphilitica  ganz  vemchiedeae 
Symptome  beimessen.  Es  gibt  kein  locales  Symijtom  und  keine  C'ovdnnation  von 
localen  Krankheitsey-scheinungen,  welche  eine  gegebene  Iritis  zur  syxihililischen  stempeln 
Hessen  und  umgekehrt  kann  jede  Iritis,  welches  auch  ihr  specielles  Krankheitsliild 
wäre,  durch  Syphilis  bedingt  sein,  folglich  eine  autisyphilitische  Behandlung 
erheischen. 

Der  syphilillsclie  Charakter  einer  Iritis  kann  nur  erschlossen  werden  aus 
dem  bestimmten  Nachweis  einer  allgemeinen  Syphilis.  Dazu  bedarf  es  gewisser 
Veränderungen  am  ühricjen  Körper,  des  Vorhandenseins  von  Hautsyplii- 
liden,  Rachengeschwüren  etc.  oder  mindestens  der  eigenthümlichen  An- 
schwellungen der  Lymphdrüsen.  Im  Allgemeinen  kann  man  sagen,  dass 
dort,  wo  die  Lues  universalis  durch  derartige  Localisationen  dargethan  ist, 
der  syphilitische  Charakter  einer  gleichzeitig  gegebenen  Iritis  mehr  als 
wahrscheinlich  sei ;  dass  im  gegentheiligen  Falle  aber  aus  der  Anamnese 
bisweilen  wohl  Verdachtsgründe  sich  ergeben ,  niemals  aber  Prämissen  für 
ein   bestimmtes    Urtheil. 

Vorkommen.  Die  Iritis  kömmt  in  jedem  Lebensalter  vor.  Es  ver- 
eitelt dieselbe  gar  oft  den  günstigen  Erfolg  von  Staaroperationen  im  höchsten 
Greisenalter  und  wird  auch  während  den  ersten  Lebenstagen  an  Neu- 
geborenen beobachtet ,  ja  es  liegen  sogar  Erfahrungen  vor ,  welche  die 
Möglichkeit  einer  Iritis  während  des  Fötallebens  annehmbar  machen  [Himly, 
Pagenstecher).  Jedenfalls  liefert  die  mittlere  Lebensperiode  vom  21.  bis  zum 
40.  oder  50.  Jahre  das  grösste  Contingent,  ein  Verhältniss,  welchem  die 
grössere  Häufigkeit  traumatischer  Einflüsse  und  der  allgemeinen  Syphilis 
in  diesem  Alter  nicht  fremd  sein  dürfte.  Das  Geschlecht  scheint  keinen 
besoiideren  Einfluss  auf  das  leichtere  oder  schwierigere  Zustandekommen 
der  Iritis  auszuüben.  Ob  dunkle  Irides  und  die  linke  Regenbogenhaut 
besonders  disponiren,  wie  Manche  glauben,  ist  dermalen  noch  nicht  genügend 
aufgeklärt. 

Eine  specielle  Erwähnung  verdient  das  Vorkommen  syphilitischer  Iritiden  bei 
Kindern  in  den  ersten  Lebensm,onaten.  Sie  werden  leicht  übersehen,  da  sie  unter 
wenig  auffälligen  äusseren  Erscheinungen  sehr  heimtückisch  zu  verlaufen  pflegen. 
Die  gewöhnlichen  Begleiter  solcher  Iritiden  :  syphilitische  Hautausschläge,  Aphthen, 
Condylome  am  After  u.  s.  w.  lassen  die  Syphilis  unschwer  ermitteln.  Es  stammen 
derlei  Kinder  in  der  Regel  von  Müttern,  welche  in  einer  der  Geburtsperiode  nicht 
fernen  Zeit  syphilitisch  geworden  waren.  Gut  genährte  Kinder  sollen  mehr  disponiren, 
als  verkümmerte  (Hutchinson). 

Verlauf.  Man  spricht  fast  allgemein  von  acuten  und  chronischen  Regen- 
bogenhautentzündungen.  In  der  That  kommen  häufig  Iritiden  vor,  welche 
binnen  wenigen  Tagen  ihren  Gipfelpunkt  erreichen ,  rasch  Produete  setzen 
und  ebenso  schnell  wieder  zurückgehen :  während  in  anderen  Fällen  der 
Process  nur  sehr  allmälig  Produete  liefert  und,  bald  remittirend  bald  exa- 
cerbirend,  Wochen  und  Monate  dahinschleicht,  ehe  er  sich  seinen  Ausgängen 
zuwendet.  Es  sind  dieses  indessen  blos  Extreme,  die  durch  eine  unendliche 
Zahl  unmittelbarer  mit  einander  zusammenhängender  Zwischenglieder  gegen- 
seitig verbunden  werden    und  in  der   Praxis    häufig  insoferne  ihre  Bedeu- 


284  Iritis-;  Verlauf;  Ausgänge. 

tung  verlieren ,  als  acute  Iritiden  nicht  selten  in  den  chronischen  Verlauf 
einlenken,  umgekehrt  aber  exquisit  chronische  Processe  zeitweilig  exacer- 
biren  und  alle   Charaktere   der    acutesten  Entzündung  darbieten  können. 

Das  ätiologische  Moment  hat  jedenfalls  EinfLuss  aiif  das  raschere  oder 
langsamere  Ablaufen  des  Processes.  ßegenbogenhautentzündungen,  welche 
durch  äussere  reizende  Schädlichkeiten  veranlasst  werden,  neigen  immer  mehr 
zum  acuten  Verlaufe  und  dieser  pflegt  um  so  rascher  zu  sein,  je  bedeutender 
die  durch  die  Schädlichkeit  unmittelbar  gesetzte  Störung  gewesen  ist.  Die 
syphilitische  Iritis  ist  auch  in  dieser  Beziehung  ein  Proteus,  bald  acut,  bald 
chronisch  in  der  ausgedehntesten  Bedeutung  des  Wortes.  Die  secundären 
Iritiden  pflegen  sich  rücksichtlich  des  Verlaufes  nach  dem  primären  Leiden 
zu  richten.  Wo  passive  Hyperämie  oder  Sympathie  den  vorwaltenden  Grund 
abgegeben  haben,  ist  der  A^erlauf  meistens   ein  chronischer. 

Mit  vorderer  Synechie  gepaarte  ectatische  tlornhautnarhen  sowie  totale 
oder  nahezu  totale  hintere  Synechien  des  Pupillarrandes  pflegen  die  sie  bedin- 
gende Iritis  Wochen  und  Monate  laug  zu  unterhalten  und  jedenfalls 
eine  so  bedeutende  Neigung  zu  Recidiven  zu  begründen,  dass  die  geringste 
Schädlichkeit  Jiinreicht,  um  den  Process  von  Neuem  wieder  anzufachen.  In 
der  That  kommen  solche  Fälle  ziemlich  häufig  vor,  in  welchen  der  Kranke 
mit  kürzeren  oder  längeren  Unterbrechungen  Jahre  lang  von  chronischen 
Regenbogenhautentzündungen  geplagt  wird.  Meistens  gesellt  sich  früher 
oder  später  Chorioiditis  und  Netzhautentzündung  hinzu,  wenn  diese  nicht 
schon  von  vorneherein  die  Iritis  begleiteten  oder  ihr  vorausgingen,  und 
dann  ist  gewöhnlich  Atrophie  des  ganzen  Bulbus  das  Endresultat  (Siehe 
Iridochorioiditis). 

Ausgänge.  Das  procentarische  Verhältniss  der  Heilungen  ist  bei  der 
Iritis  im  Allgemeinen  ein  günstiges.  Oft  genug  jedoch  hinterlässt  die  Ent- 
zündung auch  Folgezustände,  welche  die  Functionsfähigkeit  des  Auges  mehr 
weniger  in  Frage  stellen  oder  ganz  vernichten.  In  Betreff  dieser  letzteren 
muss  man  unterscheiden  zwischen  A'eränderungen,  welche  die  constituirenden 
Elemente  der  Iris  selber  erleiden  und  zwischen  Alterationen,  welche  ihren 
Grund  in  den  weiteren  Wandlungen  der  oben  erwähnten,  von  der  Iris 
sich  deutlich  abhebenden,  entzündlichen  Neubildungen  finden.  Häufig  genug 
sind  freilich  krankhafte  Zustände  beider  Arten  in  der  mannigfaltigsten 
Mischung  das  Endergebniss  des  Processes.  Oefter  jedoch  kehrt  das  Regen- 
bogenhaut gefüge  als  solches  zur  Norm  zurück,  während  Neubildungen,  in 
ständige  Formen  übergehend,  den  Functionen  des  Auges  hinderlich  in  den 
Weg  treten.  Am  seltensten  büsst  das  Irisgefüge  seine  normalen  Charaktere 
ein,  während  die  Gewebswucherung  nicht  reichlich  genug  war,  um  Neu- 
bildungen  zu   Stande   zu  bringen. 

1.  Das  entzündete  Irisgewebe  erlangt  begreiflicher  Weise  seine  Integrität 
um  so  leichter  wieder,  je  weniger  es  durch  die  Wucherung  bereits  alte- 
rirt  worden  ist.  Kurzer  Bestand  und  geringe  Intensität  des  Processes  im 
Vereine  mit  leichter  Entfernbarkeit  der  die  Entzündung  unterhaltenden 
Momente  sind  der  Wiederherstellung  der  Norm  besonders  günstig.  Im 
Gegentheile  aber  gewähren  längerer  Bestand  der  Iritis  trotz  geringerer 
Intensität  derselben,  sowie  grosse  Intensität  des  Processes  und  massenhafte 
Entwickehmg  neuer  Elemente  trotz  kurzem  Bestände  des  Leidens  weniger 
Aussicht    auf    vollständige    Heilung,    besonders    wenn    die    Beseitigung    des 


Irisscliwuiitl ;  Schwartenbildung.  285 

ätiologischen  Momentes  Schwierigkeiten  bietet.  Unter  solchen  Umstünden 
ist  Atrophie  ein  sehr  gewöhnlicher  Ausgang.  Am  schlmmsten  aber  gestaltet 
sich  die  Vorhersage,  wenn  die  Iritis  mit  Chorioiditis  cinhergeht,  denn  dann 
werden  die  Ernährungsverhältnisse  des  gesammten  Augapfels  in  hohem  Grade 
gefährdet  (Siehe  Iridochorioiditis). 

Der  Schwund  als  solcher  lässt  sich  bald  als  ein  Zerfallen  der  Elemente 
in  resorptionsfähige  Stoße  mit  nachträglicher  Abfulir  derselben  durch  die 
Gefasse  definiren  ;  bald  ist  er  eine  Verwandlung  des  wucherndeii  Gefüges  in 
derbe  narbenähnliche  Massen,  eine  Art  Schrumpfung,  Ohsolescenz.  Häufig 
finden  sich  beide  Formen  der  Atrophie  neben  einander.  Sie  beschränken  sich 
bisweilen  auf  Theile  der  Iris,  namentlich  wenn  dieselben  einer  Zerrung 
durch  Synechien  ausgesetzt  sind.  In  der  Regel  aber  atrophirt  die  Regen- 
bogenhaut ihrer    Totalität  nach. 

Die  Atrophie  beurkundet  sich  in  lichten  Regenbogenhäuten  durch  Ver- 
färbung derselben  in  sehr  schmutzige  Töne  des  Schiefergrauen  bis  Graphit- 
farbenen ;  während  braune  Irides  ein  schmutzig  rost-  oder  lohfarbenes, 
mitunter  selbst  fahles  erdfarbenes  Colorit  annehmen.  Die  normale  Zeich- 
nung der  Iris  ist  verschwunden,  die  mannigfaltig  verzweigten,  arcadenförmig 
verbundenen  Gefasse  sind  grösstentheils  oder  ganz  zu  Grunde  gegangen. 
An  deren  Statt  findet  man  häufig  ganz  unregelmässig  vertheilte,  theils 
geradlinige,  theils  bäum-  und  netzartig  verzweigte,  sehnenähnliche  Streifen, 
bisweilen  untermischt  mit  eben  solchen  Flecken,  deren  Grenzen  wolkig 
verschwommen  oder  gefranst  erscheinen.  Diese  sehnenähnlichen  Neubil- 
dungen stechen  durch  ihre  weisse  oder  bläulich  graue,  bisweilen  auch 
ziemlich  lebhaft  gelbe  Färbung  und  den  seidenähnlichen  Glanz  sehr  deut- 
lich von  dem  matten  dunkelfarbigen  Grunde  ab  und  modificiren  je  nach 
ihrer  grösseren  oder  geringeren  Masse  wesentlich  das  ganze  Ansehen  der 
Regenbogenhaut.  Sie  sind  sehr  fest  und  zähe.  Wo  sie  in  reichlicher  Menge 
entwickelt  wurden,  erscheint  die  Consistenz  der  Iris  vermehrt,  oft  in  dem 
Grade,  dass  letztere  nur  schwer  einreisst  und  dabei  ein  knatterndes  Ge- 
i'äusch  verursacht.  Wo  sie  hingegen  nur  spärlich  ausgebildet  wurden  oder 
ganz  fehlen,  findet  man  die  Regenbogenhaut  gewöhnlich  matsch,  leicht  zer- 
reisslich,  ja  selbst  zunderähnlich  morsch,  so  dass  sie  beim  geringsten  Ein- 
griffe schon  in  Fetzen  zerfährt.  Dabei  ist  die  Iris  meistens  verdünnt,  selten 
schwammartig  aufgebläht.  Die  Verdünnung  geht  bisweilen  so  weit,  dass 
die  Regenbogenhaut  nur  mehr  ein  Üorähnliches,  äusserst  zartes,  durch- 
scheinendes Häutchen  darstellt.  Es  ist  diese  Entartung  in  der  Regel  mit 
Schwartenbildung  an  der  hinteren  Iriswand  verknüpft  und  wird  nicht  leicht 
bei  einer  einfachen  Iritis  gefunden,  sondern  ist  fast  constant  ein  Ausgang 
von   IridoJcyklitis  oder  Iridochorioiditis. 

Die  schmutzig  graiie  graphitähnliche  Färbung  der  dünnsten  Stellen  ist  eben 
nur  der  Ausdruck  für  diese  Durchscheinbarkeit,  sie  ist  im  Wesentlichen  nichts 
anderes,  als  das  Durchschlagen  des  schwarzen  Augengruudes  durch  das  rariticirte 
Irisgewehe.  Dieses  hat  eine  ganz  structurlose  moleculirte  Grundlage,  in  welcher 
nur  hier  und  da  Züge  oder  förmliche  Netzwerke  von  Bindegewebe  gefunden  werden, 
und  welche  freies  Pigment,  höchst  mannigfaltig  gestaltete ,  zum  Theile  im  fettigen 
Zerfall  begriffene  Pigmentzellen,  Fettkörner,  freie  Kerne,  Choloidkugeln  etc.  in 
wechselnden  Mengen  enthält.  Die  sehnenälinliclien  Streifen  und  Flecke,  welche  sich 
mitunter  als  feine  Pseiidohäutchen  über  die  Oberfläche  der  Regenbogenhaut  hinzielien, 
gewöhnlich  aber  tief  in  deren  Substanz  eingreifen  oder  die  Iris  ihrer  ganzen  Dicke 
nach  durchsetzen,  tragen  gleich  den  au  der  Hinlerwand  befindlichen  Schwarten 
(Schiess  -  Gemuseus)     den     Charakter    pigmentführenden    verödenden     Bindegewebes. 


286  Iritis;  Ausgänge;  Papillöse  Auswüchse;  Hintere  Synechien. 

An  der  Oberfläche  ausgebreiteter  neoplastischer  Schwarten  zeigt  sich  das  Gefüge 
bisweilen  durchscheinend,  überaus  derb,  unbestimmt  faserstreifig  oder  völlig  structur- 
los  und  ähnelt  sehr  dem  der  Glashäute.  Manche  sehen  dai'in  wirklich  neugebildete 
Glashäiite,  welche  durch  schichtweise  Aussonderung  eines  eigenthümlichen  erstar- 
renden Productes  an  der  Oberfläche  der  Schwarten  zu  Stande  gekommen  sind 
(Donders,  C'occiusJ.  Es  scheint  jedoch,  dass  diese  Erklärung  nur  für  jene  Fälle 
Platz  greifen  könne ,  in  welchen  wegen  völliger  Aufhebung  der  Vorderkammer  die 
sehnenähnlichen  Neoplasien  in  unmittelbare  Berührung  mit  der  Descemeti  gelangt 
oder  mit  dieser  gar  verMebt  sind  (Graefe),  wo  sonach  eine  Ausscheidung  von  Seite 
dieser  Membran  annehmbar  wird.  Wo  aber  die  Kammer  als  Raum  noch  besteht, 
die  Descemeti  also  ausser  Spiel  bleibt,  hat  jene  Ableitung  jedenfalls  etwas  gezwun- 
genes und  kann  gegenüber  dem  direden  Nachweise  des  Hervorgehens  jener  structur- 
losen  Schichte  aus  den  obsolescirenden  oberflächlichsten  Lagen  der  neoplastischen 
Schwarten  (Junge)  kaum  aufrecht  erhalten  werden.  Die  viusculösen  Faserzellen  des 
Schliessmiiskels  findet  man  entweder  in  Verfetti^uno:  be£crift'en,  oder  sie  sind  bereits 
völlig  geschwunden.  Statt  ihrer  erscheint  dann  ein  plattes  Bündel  zarter  binde- 
gewebiger Ringfasern  mit  zwischengestreutem  fettigen  Detritus  und  Pigment.  Auch 
die  Nerven  atropliiren  gewöhnlich  rasch  und  gehen  ganz  unter.  Von  den  Gefässen 
findet  man  häufig  zahlreiche  Reste  in  atheromatosem  Zustande  oder  völlig  obliterirt 
und  in  regressiver  Metamorphose  weit  vorgeschritten.  Mitunter  stellen  solche  Gefäss- 
übei-bleibsel  die  Hauptmasse  einzelner  Irispartien  dar.  Dazwischen  streichen  nicht 
selten  andere  noch  gangbare  Gefässe,  welche  dann  oft  enorm  ausgedehnt  sind,  so 
dass  sie  sogar  mit  freiem  Auge  und  am  Lebenden  als  ganz  unregelmässig  hin  und 
hergebogene  Stämme  venösen  Ansehens  an  der  Oberfläche  der  Iris  wahrgenommen 
werden  können.  Diese  Alterationen  der  Gefässe  erklären  die  bei  Verletzungen  der 
atrophirten  Iris  vorkommenden  sehr  profusen  Blutungen.  Die  hintere  Begren- 
zungsschichte ist  fast  immer  in  den  schrumpfenden  Schwarten  aufgegangen. 

Es  versteht  sich  vou  selbst,  dass  unter  solchen  Verhältnissen  die 
Functionen  der  Iris  immer  vollständig  darnieder  Liegen.  Es  bekundet  sich 
dieses  einerseits  durch  völlige  Unheweglichkeit  der  Pupille  und  Aufhebung  des 
Accommodatioiisvei-mögens,  andererseits  aber  auch  oft  durch  auffällige  Lage- 
veränderungen und   dureli    Verlust  der  normalen    Spannung  der  Iris. 

2.  a)  Papillöse  Auswüchse  am  Puinllarrande  bilden  sich  häufig  wieder 
vollständig  zurück,  so  dass  die  durch  sie  bedingten  hinteren  Synechien  zu 
bestehen  aufliören.  Sie  reissen  unter  der  Wirkung  der  wiedererwachenden 
Muskelthätigkeit  der  Iris  ein,  oft  nachdem  sie  zvi  dünnen  Fäden  ausgezogen 
worden  sind.  Eire  Ueberbleibsel  werden  leicht  durch  die  Aufsaugung  ent- 
fernt oder  schrumpfen,  so  dass  sie  dem  freien  Auge  unmerkbar  werden. 
Doch  geschieht  es  auch  nicht  gerade  selten,  dass  an  der  Vorderkapsel  als 
Merkzeichen  vorhanden  gewesener  dei'artiger  Synechien  stark  pigmentirte 
kleine  Flecke  zurückbleiben,  welche  bei  der  Untersuchung  mit  dem  Augen- 
spiegel oder  mit  scliiefer  Beleuchtung  sehr  deutlich  hervortreten. 

Oft  indessen  werden  solche  papillöse  Excrescenzen  in  ihrer  ursprüng- 
lichen Form,  oder  zu  mehr  weniger  langen  Fäden  ausgesponnen,  ständig. 
Sie  äussern  sich  durch  bleibende  Verziehungen  der  Pupille  und,  bei  einiger 
Erweitei'ung  der  letzteren,  durch  sehr  scharf  vorspringende  Winkel,  welche 
der  Pupillarrand  an  seinen  Anheftungsstellen  bildet.  Bei  stärker  contrahirtem 
Sphincter,  also  besonders  bei  heller  Beleuchtung  des  Auges  und  kräftigen 
Accoramodationsanstrengungen,  entziehen  sich  kleinere  Auswüchse  gerne  der 
Wahrnehmung.  Da  sie  nämlich  zumeist  an  der  Handfläche  selbst  sitzen, 
geschieht  es  nicht  selten,  dass  der  nach  Ablauf  der  Entzündung  wieder 
vollkommen  tüchtig  gewordene  Schliessmuskel  bei  entsprechenden  An- 
regungen sich  über  die  Anheftungen  hinioeg  dem  Centrum  des  Sehloches 
nähert,  dass  sonach  die  hinteren  Synecliien  durch  die  mitgezerrte  Pupillar- 
zone    der   Iris    völlig    gedeckt    werden    und    die  Sehe    ganz  rund   erscheint. 


Restirende  Pupillarmembran;  Centi'alkapsolstaar ;  Falsche  Staare.  287 

trotzdem  ihr  Rand  an  vielen  Stellen,  und  zwar  in  verschiedenen  Ab- 
ständen von  dem  Mittelpunkte,  an  der  Kapsel  festliängt.  Es  muss  dann 
der  Sphincter  durch  M}driatica  gelähmt  werden ,  um  die  Synechien  und 
die  dadurch  bedingte  Unregelmässigkeit  der  Pupillen  zur  Wahrnehmung 
zu  bringen. 

Wenn  unter  solchen  Verhältnissen  die  Iritis  recidiviri,  so  kann  es 
leicht  geschehen,  dass  Theile  aus  der  Breite  der  Iris  mit  der  Kapsel  ver- 
löthen  und  die  Verbindungsmassen,  zu  Strängen  ausgedehnt,  wie  Brücken 
über  den  Pupillai-rand  hinüberziehen  (S.  274).  Es  scheint,  dass  solche 
Gebilde  es  sind,  welche  in  neuerer  Zeit  mehrfach  als  Reste  der  Fupillar- 
memhran  beschrieben  worden  sind  (H.  Colin,  Keyser,  Korn,  0.  Becker). 
Jedenfalls  lassen  sich  dieselben  mit  den  anatomischen  Verhältnissen  der 
Pupillarmembran   (Ammon,    Schoeler)   schwer  zusammenreimen. 

Ausnahmsweise  indessen  wird  allerdings  selbst  eine  totale  hintere  Synechie 
durch  Muskelwirkung  der  Iris  icieder  gelöst.  War  dabei  die  Pupille  enge 
gewesen  und  die  Kapsel  in  deren  Bereich  von  einer  iritischen  Neubildung 
überdeckt  worden,  so  bleibt  diese  nach  Befreiung  des  Pupillarrandes  bis- 
weilen als  ein  kleiner,  scharf  begrenzter  Fleck  am  Centrum  der  Kapsel 
zurück,  einen  sogenannten  Centralkapselstaar  darstellend,  welcher  durch 
cataractöse  Umwandlung  der  hiutergelegenen  Theile  der  Linse  und  deren 
weitere  Verkalkung  an  Dicke  mächtig  wachsen  und  selbst  in  einen 
Pyramidenstaar  übergehen  kann. 

h)  Massenhaftere  iritische  Producte  im  Bereiche  der  Pupille  werden  immer 
ständig.  Sie  schrumpfen  dabei  wohl  etwas,  behalten  trotzdem  aber  nicht 
selten  eine  ganz  ansehnliche  Dicke.  Man  pflegt  diese  neugebildeten  Pfropfe 
als  rjalsche  Staare''  zu  beschreiben,  ein  Name,  welcher  durch  die  fast 
constante  Combination  des  fraglichen  Zustandes  mit  Linsencataracta  einiger- 
massen  gerechtfertigt  erscheint.  Falsche  Staare  sind  demnach  dasselbe, 
was  durch  iritische  Auflagerungen  bedingte  Kapselstaare,  nur  die  Massenhaftig- 
keit  der  Neoplasie  unterscheidet  erstere  von  den  letzteren. 

Man  belegt  die  falschen  Staare  mit  verschiedenen  Specialnamen,  welche  sicli 
auf  die  anatomischen  Charaktere  der  Neubildung  beziehen.  So  spricht  man  von 
einem  Lymphstaare,  wenn  die  ständig  gewoi'dene  Neubildung  ihrer  äusseren  Er- 
scheinung nach  sehnigem  Geffige  gleicht  oder  doch  zum  grössten  Theile  daraus 
zusammengesetzt  erscheint.  Es  ändert  übrigens  nichts  an  dem  Namen,  wenn  eine 
theilweise  Verkreidung  oder  Verknöcheruvg  aus  den  Symptomen  wahrscheinlich  wird. 
Ist  der  Pfropf  aber  durch  hämorrhagisches  Extravasat  blutig  gefärbt  oder  gar  der 
Hauptmasse  nach  das  Ueberbleibsel  eines  Blutcoagulums  und  wandelt  sich  dann 
der  Cruor  in  Pigment  um,  so  führt  die  Neubildung  den  Namen  Blutstaar,  Cataracta 
spuria  cruenta  oder  grummosa.  Als  Pigmentstaar,  Cataracta  chorioidalis,  wird  gewöhn- 
lich eine  ständige,  die  Pupille  schliessende,  nicht  sehr  massenhafte  Neubildung  be- 
schrieben, welche  sehr  reich  an  neoplastischem  Pigmente  ist  und  darum  sehr 
dunkle,  baumartig  verzweigte  oder  netzförmige  Streifen,  oder  wohl  auch  eine 
gleichmässige  braune  bis  dintenschwarze  Färbung  wahrnehmen  lässt. 

c)  Damit  man  von  einem  mit  hinterer  Synechie  gepaarten  Kapsel- 
staare oder  falschen  Staare  in  der  eben  bezeichneten  Bedeutung  des  Wortes 
sprechen  könne,  wird  vorausgesetzt,  dass  die  Pupille  als  solche  einen  nicht 
ganz  unbedeutenden  Durchmesser  behalten  habe.  Es  gescliieht  nun  aber  nicht 
gar  selten,  dass  die  Sehe  bis  auf  Nadelkopfgi'össe  zusammengezogen,  oder 
aber  auf  einen  engen,  meist  zackig  verlaufenden  Spalt  reducirt  wird  und 
in  dieser  Form  bleibend  verharrt,  indem  eben  durch  neugebildetes  Gefüge 
eine    Verwachsung    des  Pupillarrandes  zu  Stande  gebracht   wird.   Diesen  der 


288  Iritis;  Ausgänge;  Atresia  pupillae;  Gummen;  Hypopyum. 

spontanen  Heilung  unfähigen  Zustand  nennt  man  Atresia  pupillae,  Ver- 
schliessung  des  Sehloches.  Die  Atresie  kömmt  oft  schon  tvährend  dem  eigent- 
lich entzündlichen  Stadium  zu  Stande,  eben  so  oft  jedoch  wird  sie  erst 
nach  dem  Ablaufe  der  Iritis  vollendet,  indem  das  in  das  Sehloch  ergossene 
und  in  die  Pupillarzone  der  Regenbogenhaut  infiltrirte  Product  schrumpft 
und  so   die    Sehe  mehr  und  mehr  verengt. 

Wo  die  Linse  sammt  Kapsel  besteht,  ist  der  Piipillarrand  durch  die  das 
Sehloch  schliessende  Neubildung  immer  mit  dem  Krystallkörper  verwachsen  und 
darum  auch  gewöhnlich  ein  Kapselstaar  gegeben.  Es  treten  aber  auch  öfters  nach 
vöUigem  Verluste  der  Linse  Atresien  der  Pupille  auf.  Dann  schwankt  die  Iris  ent- 
weder im  Kamnierraume,  oder  sie  ist  trichterförmig  nach  hinten  gezogen,  indem  der 
Pfropf,  welcher  die  Pupille  schliesst,  mit  dem  gewöhnlich  sclion  in  bindegewebiger 
Entartung  und  Schrumpfung  begriffenen  Olashörper  in  organischer  Verbindung  steht. 

3.  Gummen  können  auf  den  Ciliarkörper  und  die  Chorioidea  über- 
gehen, ja  sich  über  sämmtliche  Gebilde  des  Augapfels  verbreiten  (Hippel). 
In  der  Regel  bleiben  sie  auf  die  Iris  beschränkt  und  werden  häufig  rasch 
wieder  resorbirt.  Sie  können  jedoch  auch  ständig  werden,  indem  sie  veröden.  Die 
kleineren  schrumpfen  dann  in  härtliche,  mehr  weniger  pigmentirte  Knötchen 
zusammen,  welche  oft  viel  Fett  und  Kalk  führen.  Die  grösseren  Auswüchse 
und  die  ihnen  verwandten  Granulationen  hingegen  verwandeln  sich,  wenn 
sie  veröden,  in  derbe  sehnenähnliche  pigmentirte  Narbenmassen ,  welche 
der  Oberfläche  der  Iris  entweder  blos  auflagern,  oder  in  die  Dicke  der- 
selben eingesprengt  erscheinen. 

Auch  Eiterung  ist  kein  ganz  ungewöhnlicher  Ausgang.  Bei  kleinen 
Knoten  kommt  es  freilich  nur  selten  zur  Eiterung  und  sohin  zu  geschioür- 
ähnlichen  Sxxbstanzverlusten,  welche  eine  kleine  strahlige  Narbe  zu  hinter- 
lassen pflegen ;  grössere  Gummen  und  flei schwär zchenähnllche  Auswüchse 
hingegen  werden  öfter  durch  Suppuration  beseitigt.  Namentlich  neigen 
jene  Excrescenzen  zur  Eiterung,  welche  gleich  von  vorneherein  eine  mehr 
gelbliche  käseähnliche  Fäi'bung  zeigen.  Das  Resultat  ist  dann  gewöhnlich 
ein  massiges  Hypopyum. 

4.  Das  Hypopyum  als  solches,  es  möge  nun  ein  primäres  oder  ein 
secundäres,  d.  i.  aus  der  Schmelzung  von  entzündlichen  Geschwülsten  her- 
vorgegangenes sein,  bietet  der  Aufsaugung  in  der  Regel  keine  besonderen 
Schwierigkeiten.  Diese  sind  um  so  geringer,  je  kleiner  die  in  der  Kammer 
angesammelte  Eitermasse  ist  und  ein  je  geringeres  Procent  von  festen 
placentaähnlichen  Gerinnungen  sie  enthält,  je  beweglicher  sie  also  ist.  In 
der  That  reichen  bisweilen  wenige  Stunden  hin,  um  selbst  ansehnliche 
Hypopyen  verschwinden  zu  machen ;  während  in  anderen  Fällen  Tage  und 
auch  Wochen  dazu  erforderlich  sind.  Uebrigens  ist  die  Aufsaugung  keines- 
wegs immer  eine  stetig  fortschreitende,  öfters  macht  sich  ein  abwechselndes 
Steigen  und  Fallen  des  Hypopyum  bemerklich,  ja  nicht  selten  verschwindet 
dieses  im  Laufe  einer  Iritis  mehrmals,  um  immer  wieder  hervorzutreten, 
bis   endlich  der  Process  zum  Abschlüsse  gelangt. 

Häufig  genug  indessen  führt  die  mit  Hypopyum  einhergehende  Iritis 
zu  krankhaften  Zuständen,  welche  die  Functionstüchtigkeit  des  Auges  sehr 
beeinträchtigen.  Einerseits  nämlich  sind  in  derartigen  Fällen  reichliche  Ent- 
wickelungen  papillöser  Auswüchse  am  Pupillarrande  Regel ,  und  überdies 
degenerative  Atrophien  der  Iris  nach  so  intensiven  Processen  etwas  sehr  häufiges; 
andererseits  aber  ist  die  Aufsaugung  des  Hypopyum  nicht  immer  eine  voll- 


Ilypopyum;  nehandlung  ;  Causalinclication.  289 

ständige,  es  bleibon  Tlicilc  desselben  im  Inneren  des  Auges  zurück.  Nament- 
lich bei  massenhafleren  Eiteransamralungen  in  der  Kammer  gehört  ein  völliges 
Verschwinden  zu  den  selteneren  Ereignissen  ,  obgleich  ni(;]it  zu  läugnen  ist, 
dass  mitunter  selbst  Hypopyen  rasch  und  völlig  rcsorbirt  werden,  welche 
den  ganzen  Kammerraum  ausfüllen.  Es  sind  vorzüglich  die  placentaartigen 
Gerinnungen  im  Hypopyum,  welche  gerne  ständige  Formen  eingehen.  Ein 
Theil  derselben  wandelt  sich  nämlich  zu  derben  sehnigen  Massen  um, 
während   der  liest  verkalkt  und  verfettiget. 

Am  häufigsten  finden  sich  solche  Neubildungen  nach  Hypopyum  an 
der  tiefsten  Stelle  des  Kammerraumes.  Sie  füllen  hier  die  falzähnliche 
Peripherie  der  Kammer  in  wechselnder  Höhe  aus  und  setzen  sich  in  Gestalt 
wolkig  streifiger  Flecken  auf  die  Descemeti  und  Irisvorderfläche  fort,  diese 
in  grösserer  oder  geringerer  Ausdehnung  überkleidend.  Nach  sehr  umfang- 
reichen Hypopyen  bleibt  wohl  auch  die  ganze  hintere  und  vordere  Wand 
der  Kammer  von  derartigen  Auflagerungen  gedeckt.  Im  Bereiche  der  Pupille 
pflegen  die  letzteren  dann  besonders  massenreich  zu  sein  und  einen 
mächtigen  Pfropf  zu  bilden,  der  das  Sehloch  völlig  verlegt  und  eine 
Cataracta  lymphatica  spuria  darstellt. 

Es  setzen  diese  Zustände  voraus,  dass  die  Cornea  ihre  Integrität  zu 
bewahren  im  Stande  war,  was  häufig  der  Fall  nicht  ist.  Oft  nämlich 
entwickeln  sich  suppurative  Iritiden  gleich  von  vorneherein  in  Gesellschaft 
von  eiteriger  Keratitis,  oder  aber  es  pflanzt  sich  im  Verlaufe  der  Regen- 
bogenhautentzündung der  Process  von  der  Iris  auf  die  Cornea  fort,  diese 
wird  theilweise  geschwürig  zerstört,  durchbrochen  und  so  dem  Ilypopijum- 
eiter  ein  Abzugsweg  eröffnet.  Nicht  gar  selten  findet  damit  der  Process 
sein  Ziel ,  die  Iritis  geht  zurück  und  zu  deren  Eolgezuständen  gesellen 
sich  jene  eines  perforirenden  Hoi'nhautgeschwüres.  Oefter  hingegen  schreitet 
der  Process  noch  weiter,  der  Augapfel  geht  durch  Atrophie  oder  durch 
Phthise  zu  Grunde,  indem  auch  die  tiefer  gelegenen  Binnenorgane  des  Bulbus 
in  den  Process  verwickelt  werden.  Bei  sehr  grossen  Eitei'ansammlungen 
in  der  Kammer  ist  ein  solcher  TJebergang  der  Iritis  in  Parioplühalmitis 
suppurativa  sogar  ziemlich  gewöhnlich  und  erfolgt  entweder  vor  dem  eitrigen 
Durchbruche  der  Cornea  oder  um  so  sicherer  nachträglich.  (Siehe  Chorioiditis 
suppurativa). 

Behandlung.  Die  Aufgaben  der  Therapie  sind:  Entfeniung  des  etwa 
noch  fortwirkenden  ätiologischen  Momentes  und  Abhaltung  aller  Schädlichkeiten, 
welche  den  Entzündungsprocess  unterhalten  oder  gar  steigern  könnten ; 
Beschränkung  und  Unterdrückung  der  Gewebswucherung ,  Herabsetzung  des 
quantitativ  gesteigerten  Ernährungsprocesses  auf  das  normale  Mass;  Ver- 
hütung der  durch  iritische  Neubildungen  möglicher  Weise  zu  begründenden 
Schäden  und,  falls  dieses  nicht  gelingt,  directe  Beseitigung  derselben  oder 
Verminderung  der  durch  sie  gesetzten  Functionsstörungen  des   Auges. 

1.  Um  der  Causalindication  zu  genügen,  werden  a)  nicht  gar  selten 
operative  Eingriffe  nothwendig.  Wo  fremde  Körper,  welche  in  der  Binde- 
haut, in  der  Cornea  oder  im  Inneren  der  Augapfelhöhle  stecken,  den 
nächsten  Grund  der  Iritis  abgeben,  ist  deren  operative  Entfernung  dringende 
Pflicht  des  behandelnden  Arztes,  da  widrigenfalls  der  Bulbus  in  der  Regel 
völlig  zu  Grunde  geht  oder  doch  functionsuutüchtig  wird.  Aehnliches  gilt 
auch  von  jenen  Fällen,  in  welchen  die  Linse  in  die  Vorderkammer  gefallen  ist, 
S  teil  wag,  Äugenlieilkunde.  19 


290  Iritis;  Behandlung;  Oausalindication;  Schmierkuj'. 

oder  Staarstücke  sich  losgelöst  haben  und  in  der  ^'orderkammer  lagernd  die 
Iris  reizen,  oder  wo  eine  zerstückelte  Linse  sieh  mächtig  aufbläht  und  die 
Eegenbogenhaut  auf  mechanischem  Wege  dehnt  oder  zerrt.  Die  Extraction 
wird  dann  von  Vielen  als  dringend  anerkannt  und  so  rasch  als  möglich 
ausgeführt.  Doch  können  später  zu  erörternde  Gründe  die  Iridectomie  oder 
gar  das  Zuwarten  als  zweckentsprechender  erscheinen  lassen.  Wo  Grund  vor- 
handen ist,  eine  gegebene  Iritis  durch  Mitleidenschaft  an  einem  entzündlichen 
Processe  des  anderen  Auges  begründet  zu  erachten,  kann  an  letzterem  die 
Anlegung  einer  künstlichen  Pupille  geboten,  unter  Umständen  sogar  die  Enucleation 
des  Bidbiis  räthlich  erscheinen.  Bei  chronischen ,  immerfort  recidivirenden 
Regenbogenhautentzündungen,  die  durch  vorhandene  Synechien  des  Pupillarrandes 
unterhalten  oder  doch  begünstigt  icerden,  säume  man  nicht  mit  der  Coremorphose, 
da  bei  deren  Hinausschiebung  die  gegen  die  Entzündung  gerichtete  Therapie 
einen  nur  zeitweiligen  Erfolg  zu  haben  pflegt,  überdies  aber  mit  jeder 
Eecidive  die  Gefahr  des  Schwundes  wächst  und  die  Aussicht  auf  Her- 
stellung eines  gewissen  Grades  von  Sehvermögen  abnimmt.  Man  benützt 
zur  Dui'chführung  der  Operation  am  besten  die  erste  bedeutendere  Remission. 
So  lange  die  Entzündungserscheinungen  noch  einigermassen  erheblich  sind, 
pflegt  der  Eingriff  sehr  schmerzhaft  zu  sein;  oft  kömmt  es  auch  zu  reich- 
lichen Blutergüssen  und  in  weiterer  Folge  zur  Wiederverschliessung  der  neu 
eröffneten  Pupille ;  überhaupt  aber  ist  die  Gefahr  einer  starken  Eeaction 
eine  grosse  und  die  Aussicht  auf  einen  vollen  Erfolg  daher  eine  geringere. 

b)  Im  Uebrigen  fordert  die  Iritis  ein  strenges  diätetisches  Verhalten. 
Bei  der  hohen  Gefahr,  welche  jeder  Regenbogenhautentzündung  anklebt, 
selbst  wenn  sie  unter  unscheinbaren  Symptomen  verläuft,  kann  die  Wach- 
samkeit des  Arztes  und  die  Sorge  um  thunlichste  Abhaltung  aller  möglichen 
Schädlichkeiten  vom  Auge  nicht  gross  genug  sein.  Grösste  körperliche  und 
geistige  Eulie  des  Kranken,  Aufenthalt  desselben  in  einem  dunklen  Zimmer, 
Bettlage,  Vermeidung  jeder,  auch  der  geringsten  Anstrengung  der  Augen, 
Beseitigung  aller  Gelegenlieiten  zu  Blutwallungen  und  Blutstockungen  etc. 
sind  sreradezu  unerlässlich. 


»^ 


c)  Ganz  besondere  causale  Indicationen  fliessen  aus  der  dyscratischen 
Begründung  vieler  llegenbogenhautentzündungen. 

Bei  der  Iritis  syphilitica  kömmt  insbesondere  die  Schnelligkeit  in 
Betracht,  mit  welcher  der  Process  Zustände  begründen  kann,  die,  einmal 
gesetzt,  nur  schwer  wieder  beseitigt  werden  oder  jedem  therapeutischen 
Verfahren  widerstehen  und  die  Functionen  des  Auges  dauernd  beirren 
oder  auflieben.  Es  handelt  sich  also  darum,  das  Grundleiden  mit  Mitteln 
anzugreifen,  welche  in  der  kürzesten  Zeit  möglichst  kräftig  und  sicher  ivirken, 
dabei  aber  den  Gesammtorganismus  nicht  leicht  schädigen,  also  nur  aus- 
nahmsweise Nebenwirkungen  entfalten,  welche  die  Unterbrechung  der  Kur 
gebieterisch  fordern  könnten  zu  einer  Zeit,  in  welcher  die  Iritis  noch 
nicht  behoben  ist  und  das  Grundleiden  als  solches  fortbesteht.  Am  besten 
entspricht  erfahrungsmässig  allen  diesen  Anfordeningen  eine  gut  geleitete 
Schmierkur  (S.  31)  ,  daher  denn  auch  in  einschlägigen  Fällen  sogleich  mit 
ihr  zu  beginnen  ist,  es  wäre  denn,  dass  die  Unverträglichkeit  derselben 
bereits  festgestellt  ist.  Das  Hemmtändeln  mit  den  übrigen  Mercurialien 
und  andei'en  unverlässlichen  Mittelchen  straft   sich  oft  bitter. 


Itulicatio  moibi;  Ahopiii;  I'aracentosis  corneae.  291 

2.  Die  Indicatio  mnrhl  und  dio  ihr  entRprechendo  Behandlung  der  Iritia 
als  solchen  richtet  sich  im  Wesentlichen  nach  der  Intensität  des  Processes 
lind  der  denselben  begleitenden  Gefüss-  und  Nervenstörungen.  Im  Ganzen 
genommen  gelten  hier  dieselben  Hegeln,  welche  bei  der  directen  Behandlung 
der  Keratitis  und  jeder  anderweitigen  Entzündung  zu  beachten  sind,  der 
Process  ist  allenthalben  derselbe,  nur  das  Substrat  ist  ein  verschiedenes 
(S.   G6.   1). 

Eine  Reihe  höchst  wichtiger  und  vom  Anbeginne  der  Iritis  urgirender 
Indicationen  fliesst  aus  dem  so  häufigen  Auftreten  gewisser  Neubildungen  und 
zielt  auf  die  Verhütung  fuiictionsstörender  ständiger  Ausgänge. 

a)  Die  hervorragendste  Rolle  spielen  in  dieser  Beziehung  die  papillösen 
Auswüchse  des  Pupillarrandes  und  die  dadurch  bedingten  Anheftungen  der 
Iris  an  die  vordere  Kapsel.  Es  gibt  nämlich  kaum  eine  Iritis,  bei  welcher 
nicht  eine  oder  die  andere  papillöse  Excrescenz  zu  Stande  käme  oder 
wenigstens  die  Gefahr  einer  theilweisen  Verklebung  des  Pupillari'andes  mit 
der  Kapsel  drohte.  Es  ergibt  sich  daraus  die  Nothwendigkeit,  von  vorne- 
herein die  auf  Beschränkung  und  Unterdrückung  der  krankhaften  Gewebs- 
wucherung zielende  Therapie  mit  täglich  ein  bis  zwei  Mal  wiederholten 
Einträufelungen  starker  Lösungen  von  neutralem  schwefelsauren  Atropin  zu  ver- 
knüpfen, um  frisch  entstandenen  hinteren  Synechien  so  rasch  als  möglich 
entgegenzutreten. 

Allerdings  macht  sich  bei  einer  ivahren  und  totalen  Iritis  die  Wirkung  der 
Mydriatica  nicht  gleich  auflallend  geltend,  es  erfolgt  eine  Erweiterung  der  Pupille, 
erst  wenn  der  Process  als  solcher  seinen  Culminationspunkt  überschritten  hat  und 
die  Muskelfasern  unter  Rückbildung  der  neu  gebildeten  Elemente  wieder  functions- 
tüchtig  geworden  sind.  Allein  es  ist  nicht  möglich,  den  Eintritt  dieser  Verhältnisse 
der  Zeit  nach  genau  zu  bestimmen  und  jedes  Versäumniss  straft  sich  durch  zu- 
nehmende Festigkeit  der  Adhäsionen  und  Erschwerung  der  Lösung.  Die  vorzeitige 
Anwendung  des  Mydriaticums  bezweckt,  abgesehen  von  der  antiphlogistischen  Wir- 
kung (S.  38),  eben  nur,  der  Erweiterung  der  Pupille  den  Weg  zu  bahnen,  um  sie 
in  dem  Augenblicke,  als  die  Muskelfasern  die  dazu  erforderliche  Freiheit  gewinnen, 
ins  Werk  zu  setzen. 

b)  Weit  seltener,  aber  um  so  entschiedener,  treten  Eiteransammlungen 
im  Kammerraume  mit  speciellen  Anforderungen  an  die  Therapie  heran. 
Der  alte  Glaube  an  die  „schmelzende"  Kraft  der  Mercurialien  und  der 
Jodpräparate  hat  sich  in  letzterer  Zeit  sehr  gemindert ;  dafür  aber  gewinnt 
die  directe  Entleerung  der  Kammer  durch  die  Paracentese  der  Hornhaut 
immer  mehr  Freunde.  Die  Natur  des  Leidens  bringt  es  mit  sich,  dass 
diese  Operation  nicht  stets  von  dem  besten  Erfolg  geki'önt  sein  kann ; 
immerhin  darf  man  behaupten,  dass  die  Paracentesis  bei  dem  Hypopyum 
die  anderen  Mittel  an  Wirksamkeit  übertreffe  und  wo  das  Hj'popyum  eine 
bedeutende  Grösse  erreicht  hat,  thut  man  2;ut  mit  der  Entleerung  nicht  zu 
zaudern  und  im  Notlifalle  dieselbe  auch  zu  wiederholen.  Je  massenhafter 
der  angehäufte  Eiter,  je  heftiger  der  Reizungszustand,  je  intensiver  die 
Circulationsstörung  und  die  Nervenaufregung  ist,  um  so  dringender  wird 
die  Anzeige,  um  so  gefährlicher  die  Aufschiebung  der  Operation.  Wo 
bereits  die  tieferen  Theile  des  Auges  mitleiden,  wo  sich  eine  starke 
Spannung  der  Bulbuskapsel  bemerklich  macht  oder  gar  schon  die  Horn- 
haut ergriffen  ist  und  einen  spontanen  Durchbrueh  befürchten  lässt,  da 
ist  die  Gefahr  auf  das  Höchste  gestiegen  und  die  sofortige  Paracentese  der 
Hoimhaut  in  der  Regel  die  Indicatio  vitae  für  das  betreffende  Auge. 

19* 


292  Iritis;  Nachbeliandlnng ;  Lösung  hinterer  Synechien;  Corelyse. 

Die  günstigen  Resultate  und  die  relative  Gefahrlosigkeit  der  Paracentese 
haben  begreiflicherweise  zu  Erweiterungen  der  Indicationsgrenzen  geführt.  In 
neuerer  Zeit  ist  man  bereits  dahin  gekommen,  die  fragliclie  Operation  als  eine  bei 
Eiterablagerungen  absolut  angezeigte  zu  erklären  und  auf  deren  rasche  Ausführung 
bei  den  kleiyisten  Hypopyen,  ja  selbst  bei  blossen  Trübungen  des  Kammerwassers, 
zu  dringen.  Es  ist  dies  Verfahren  nicht  zu  billigen,  da  bekanntlich  kleine  Hypopyen 
sehr  oft  in  kürzester  Zeit  spontan  schwinden,  ohne  üble  Folgen  zu  hinterlassen. 

Die  Paracentese  wirkt  einerseits  dadurch  günstig,  dass  sie  den  Eiter  direct 
aus  der  Kammer  entleert  und  so  veriiindert,  dass  sich  die  der  Resorption  wider- 
strebenden placentaartigen  Gerinnungen  an  den  Kammerwänden  niederschlagen  und 
daselbst  consolidiren;  andererseits  ist  aber  auch  die  Annullirung  des  intraocularen 
Druckes  nicht  gering  anzuschlagen. 

4.  Die  Nachbehandlung  erfordert  kaum  weniger  Sorgfalt,  als  die 
Behandlung  der  Iritis  selbst,  und  ist  vorerst  auf  die  Fernhaltuug  aller 
das  Auge  möglicherweise  treffenden  Schädlichkeiten  gerichtet.  Der  Kranke 
darf  daher  nur  allmälig  den  gewohnten  äusseren  Einflüssen  ausgesetzt 
werden . 

Ein  höchst  wichtiger  Theil  der  Nachbehandlung  zielt  darauf  hin, 
gewisse  ständige  Ausgänge  der  Iritis,  zumal  die  so  häufig  zu  Stande 
kommenden  Verwachsungen  des  Pupillarrandes  mit  der  Vorderkapsel ,  zu 
beseitigen  oder  doch  ihres  verderblichen  Einflusses  auf  das  Sehvermögen 
und  auf  die  fei-neren  Vegetationsverhältnisse  des  Auges  zu  berauben.  Die 
Mittel ,  um  diesen  Anzeigen  zu  genügen ,  liegen  vornehmlich  in  der 
Anwendung  kräftiger  Mydriatica  und  in  der  Durciiführung  gewisser 
Operationen. 

In  den  Fällen,  in  welchen  der  äusserlich  wahrnehmbare  Zustand 
des  Irisgewebes  den  Fortbestand  functionsfähiger  Muskelfasern  vermuthen 
lässt,  soll  die  Behandlung  hinterer  Synechien  stets  mit  der  Application 
starker  impillenerweitenider  Mittel  begonnen  und  fortgesetzt  werden,  bis 
der  Pupillarrand  frei  geworden  ist  oder  das  Mittel  sich  als  unzulänglich 
erwiesen  hat.  Meistens  bedarf  es  einer  längeren  Zeit,  um  zum  Ziele  zu 
gelangen.  Darum  darf  man  sich  von  der  Erfolglosigkeit  der  ersten  Appli- 
cationen  nicht  gleich  abhalten  lassen,  die  Versuche  zu  wiederholen.  Bei 
2)cri2}herer  Anlöthung  der  Iris  können  die  Calabarpräparate  ausnahmsweise 
von  Nutzen  sein   (0.   Becker). 

In  neuester  Zeit  empfiehlt  man  hintere  Synechien,  welche  sich  in  misslicher 
Weise  geltend  machon  und  in  der  vorerwähnten  Weise  nicht  beheben  lassen ,  auf 
02}erativem  Wege  zu  lösen  und  dann  die  Piqjille  durch  kräftige  Mydriatica  längere 
Zeit  thunlichst  erireitert  zu  halten,  um  die  getrennten  Theile  von  einander  zu  ent- 
fernen und  au  der  Wiederverwachsung  zu  hindern  (Streatfield).  Man  rühmt  sehr 
die  glänzenden  Erfolge  und  die  gänzliche  Ungefährlichkeit  des  darauf  berechneten 
Verfahrens,  welches  man  Corelyse  genannt  hat  (Ä.    Weber,  Hasner,  Passavant). 

Die  Nothwendigkeit  einer  starken  und  längere  Zeit  andauernden  Mydriase, 
um  den  Erfolg  zu  sichern,  schliesst  es  schon  in  sich,  dass  die  Corelyse  nur  dort 
am  Platze  sein  könne,  wo  das  Mziskelsystem  der  Iris  seine  Functionstüchtigkeit 
bewahrt  hat  und  der  Pupillarrand,  wenigstens  zum  grossen  Theile,  leicht  ausdelmbar 
ist;  dass  die  Corelyse  demnach  vornehmlich  bei  i^O'^'t'-Meii  hinteren  Synechien  Gutes 
erwarten  lasse,  es  mögen  diese  durch  zahlreiche  zerstreute  papillose  Auswüchse, 
oder  durch  zarte  schmale  saumartige  Neoplasien  vermittelt  werden.  So  lange  noch 
Reizzustände  in  der  Iris  oder  deren  Nachbarorganen  vorhanden  sind,  erscheint  die 
Corelyse  loiderräthlich,  da  abgesehen  von  der  Möglichkeit  einer  stärkeren  Reactioir 
die  Muskeln  der  Regenbogenhaut  in  ihrer  Function  sehr  beirrt  sind  und  daher  die 
Wirkung  des  Atropins  ungenügend  ausfällt.  Ebenso  passt  wegen  der  Unmöglich- 
keit, eine  ausgiebige  Dilatation  der  Pupille  zu  erzielen,  die  Corelyse  nicht,  wo  der 
Pupillarrand  ringsum  oder  seiner  grössten  Ausdehnung  nach  durch  massigere  Pro- 
ducte  mit  der  Kapsel  verwachsen,    oder  auch  nur  auf  grössere  Strecken  in  seinem 


Iriilcctomic^  <4"''"<'"-  293 

Gefiifje  deutlich  .iltcrirt  ist,  oder  wo  die  Irin  im  Ganzen  (dropJiirt.  erscheint.  Wo 
die  Pupille  nebstbei  ihrer  qanzen  Ausdeiiuniifi^  n.icli  von  iritisclien  Ablagorunf^cn 
oder  von  l'rodueten  einer  Capsiilitis  {^eth'clvt  ist,  kann  di(!  Jiö.sun<^  des  J'upillar- 
randes  selbstverständlich  nicht  i^ureichen,  nui  ein  nur  eiiiici^erinassen  befrieditrendes 
Schverinöpfen  herzustellen;  die  Corolyse  kJinnte  in  einem  solchen  Falle  also 
höchstens  dazu  dienen,  um  die  Veriafierung  der  rupille  mö<;:li(;ii  urul  nutzljringend 
zu  machen.  Im  Allgemeinen  gilt  .•ilso  noch   dermalen  wie  früluir  der  Grundsatz: 

Wo  bei  Ecsiaiul  (>iiier  totalen  oder  nahezu  totalen  hmteren  Synechie  die 
Mydriatica  entschieden  ihre  Dienste  versagen,  oder  wo  vin'möge  dem  Zustande 
des  Irisgofüges  eine  kräftige  Zusammon^iioliung  der  Muskeln  von  vorne- 
herein als  unmöglich  erkannt  wird  :  ist  die  Anlegung  einer  künstlichen  Pupille 
geboten  und  soll  auch  nicht  lange  aufgeschoben  werden,  da  es  sich  dabei 
nach  dem  früheren  nicht  blos  um  HersteUung  eines  Weges  für  Licht- 
strahlen und  Verbessei'ung  des  Sehvermögens,  sondern  auch  um  die  Ver- 
hütung der  aus  jenem  Zustande  nicht  selten  resultirenden  höchst  misslichen 
Folgen  handelt.  Mit  jeder  nachkommenden  Eeeidive  wird  nämlich  das 
Irisgefüge  mehr  alterirt  und  dem  endlichen  Schwunde  genäliert,  die  Auf- 
lagerung auf  die  Vorderkapsel  verstärkt  und  so  der  mögliche  Erfolg  einer 
späteren  Operation  geschmälert.  Die  Hauptgefahr  der  Hinausschiebung  der 
Coremorphose  liegt  aber  in  der  erfahrungsmässigen  Neigung  der  Aderhaut, 
an  solchen  Recidiven  Theil  zu  nehmen.  Ausserdem  kömmt  noch  in  Betracht, 
dass  bei  längerem  IJestande  des  fraglichen  Zustandcs  sehr  häufig  auch  der 
Linsenkern  leidet  und  so  eine  totale  Cataracta  entwickelt  wird ,  deren 
Beseitigung  wesentlichen  Schwierigkeiten  unterUegt,  während  bei  zeitiger 
Coremorphose  ansehnliche  Aufhellungen  vorhandener  Kapseltrübungen  mit 
einigem  Grunde  gehofft  werden  können. 

Es  ergibt  sich  hieraus  zur  Genüge,  dass  die  Ausdehnung  und  Dichtig- 
keit der  vorhandenen  Kapseltrübungen  die  Indication  zur  Coremorphose  nur 
in  zweiter  Reihe  beeinfliissen  und  dass  die  Operation  in  Fällen,  in  welchen 
sich  Anfälle  von  lihitzündung  und  Ciliarneurose  öfters  wiederholen  oder 
gar  ein  Uebergreifen  des  Processes  auf  die  tieferen  Gebilde  des  Augapfels 
befürchten  lassen,  auch  dann  räthlich  erscheine,  wenn  das  Sehvermögen 
relativ  wenig  beeinträchtigt  ist.  Die  Störungen,  welche  das  Gesicht  durch 
die  künstliche  Pupille  allenfalls  erleiden  könnte,  werden  leicht  auf  ein 
Minimum    dadurch    beschränkt,    dass  die  Pupille  nach  oben   angelegt  wird. 

Quellen:  Kölliker,  Mikr.  Anatomie.  Leipzig  II.  2.  1854.  S.  637.  —  Heule, 
Handbuch  der  Anatomie.  1866.  II.  S.  628,  685.  —  Bi-ücke,  Beschreib,  des  m.  Aug- 
apfels. Berlin,  1847.  S.  12.  —  Arlt,  A.  f.  O.  III.  2.  S.  87,  97.  —  Cramer,  Het 
Accommodatievermogei).  Haarlem,  1853.  S.  61.  — ■  Stelhcag,  Zeitschrift  der  Wiener 
Aerzte  1850.  S.  125,  129;  Cramer's  Phys.  Abhandl.  über  das  Accommodationsver- 
mögen  der  Augen,  übersetzt  von  Dodeu.  Leer,  1855.  S.  89.  —  ./.  Arnold,  Virchow's 
Archiv.  27.  Bd.  S.  345,  366.  —  Grünhagen,  ibid.  30.  Bd.  S.  481;  XXXI.  S.  403, 
406;  XXXVI.  S.  40,  45.  —  Dogiel,  Centralbl.  1869.  S.  337.  —  Merkel,  Zeitschrift 
f.  rat.  Med.  XXXI.  S.  136,  139,  142;  XXXIV.  S.  83.  —  Haase,  A.  f.  O.  XIV.  1. 
S.  47.  —  hcanoff,  Rollet,  ibid.  XV.  1  S.  38,  42,  45,  49,  50;  XV.  2.  S.  8.  — 
Hippel,  Neumann,  ibid.  XIII.  1.  S.  64,  70.  —  Wittich,  A.  f.  O.  II.  1.  S.  131.  — 
Rosow,  A.  f.  O.  IX.  3.  S.  63,  65.  —  Leber,  Denkschriften  der  Wiener  k.  Akad. 
d.  Wiss.  24.  Bd.  S.  287,  305,  307,  311;  A.  f.  O.  XL  1.  S.  1.  —  Wedl,  Atlas, 
Iris-Chorioidea.  —  Alf.  Graefe  u.  Colherg,  A.  f.  O.  VIII.  1.  S.  288.  —  Virchoiv, 
dessen  Archiv  XV.  S.  217,  305,  321,  326;  die  krankh.  Geschwülste.  II.  Berlin, 
1864.  S.  462.  —  Graefe  und  Sclmeigger,  A.  f.  O.  VL  1.  S.  143,  151,  152,  161; 
VI.  2.  S.  267,  272.  —  Hasner,  Entwurf  einer  anat.  Begründung  der  Augenkrank- 
heiten, Prag,  1847.  S.  110;  klin.  Vorträge.  Prag,  1860.  S.  165;  Prager  Vierteljahr- 
schrift.   76.    Bd.    S.    137;    Congres    intern,    d'ophth.    Compte     rendu.    Paris,    1863. 


294  Iridectomie;  Anzeigen. 

S.  75.  —  Eoser,  A.  f.  O.  IL  2.  S.  151.  —  Jimge,  ibid.  V.  2.  S.  200;  med.  Ceiitral- 
zeitung  27.  Jahrg.  S.  301.  —  C.  Ritter,  A.  f.  0.  VIII.  1.  S.  63.  —  Schiess-Gemuseus, 
ibid.  IX.  3.  S.  174,  183,  193;  XIV.  1.  S.  90.  —  Passava7it,  ibid.  XV.  1.  S.  258.  — 
Homer,  kl.  Monatbl.  1863.  S.  395,  396,  400.  —  Sämisch,  ibid.  1865.  S.  46.  — 
Zander  uud  Geissler,  die  Verletzungen  des  Auges.  Leipzig  u.  Heidelb.  1864.  S.  160, 
169,  177,  181.  —  Graefe,  A.  f.  O.  IL  2.  S.  202,  204,  206,  210,  227,  229,  231, 
330,  333;  III.  2.  S.  387;  IX.  3.  S.  127;  XII.  2.  S.  151.  —  Himly,  Krankheiten 
XI.  Missbildungen  des  Auges.  Berlin,  1843.  S.  100.  —  Pagenstecher  u.  Sämisch,  kl. 
Beobachtungen.  Wiesbaden,  1861.  I.  S.  17;  IL  S.  9.  —  Schön,  Beiträge  zur  prakt. 
Augenheilkunde.  Hamburg,  1861.  S.  88,  123.  —  Hutchinson,  A  clinical  memoir  etc. 
London,  1863.  S.  1,  25,  192.  —  Secondi,  Cliuica  oc.  di  Genova.  Riassunto.  Torino, 
1865.  S.  28.  —  Benders,  A.  f.  O.  III.  1.  S.  150.  —  Businelli,  Zeitschrift  der  V7ien. 
Aerzte.  1859.  S.  108,  137,  155,  217.  —  Coccius,  Ueber  die  Neubildung  von  Glas- 
häuten. Festrede.  Leipzig,  1858.  S.  9,  12.  —  M.  Langenheck,  Die  Insolation  des  m. 
Auges.  Hannover,  1859.  S.  18.  —  O.  Becher,  Wiener  med.  Jahrbücher.  1866.  4. 
S.  37.  —  Sfreaffield,  Ophth.  Hosp.  Rep.  1857.  Oct.  —  A.  Weber,  A.  f.  O.  VII.  1. 
S.  1;  VIII.  1.  S.  354.  —  Schirmer,  kl.  Monatbl.  1867.  S.  107.  —  Wec?cei%  ibid. 
S.  243.  —  H.  Cohn,  ibid.  S.  62,  119.  —  Keyser,  ibid.  S.  217.  —  Korn,  ibid.  219.  — 
Dobrowolskg,  ibid.  1868.  S.  239.  —  A^nmon,  A.  f.  O.  IV.  1.  S.  149.  —  Hegmann, 
Ophthalraologisches,  1868.  S.  23.  —  Schoeler,  De  oculi  evolutione,  Mitau,  1849. 
S.  33.  —  Staub,  Eulenburg,  Wien.  med.  Wochenschrift.  1867.  S.   1140. 


Die  Operation  der  künstlichen  Pupillenbildung, 

Coremorpliüsis. 

Anzeigen.  Die  Coremorphosis  i^t  unstreitig  die  am  häufigsteu  zur 
Ausführung  kommende  Augenoperation.  Sie  dient  nämlich  nicht  blos  dazu, 
den  objectiven  Lichtstrahlen  einen  neuen  Weg  zu  eröffnen  oder  das  krankhaft 
verengte  oder  verlegte  Sehloch  zu  eriueitern:  sondern  auch  den  normwidrig 
gesteigerten  intraocularen  Druck  herabzusetzen,  so  wie  einer  rigid  gewordenen 
Bulbuskapsel  durch  Einschaltung  einer  elastisch  dehnbaren  Narbe  einen 
gewissen  Grad  von  Nachgiebigkeit  zurückzuerstatten  tind  damit  etwaige 
Störungen  in  der  Blutströmiing  und  in  den  vegetativen  Verhältnissen  der 
Binnenorgane  daiternd  zu  begleichen. 

Im  Allgemeinen  erscheint  die  Anlegung  einer  künstlichen  Pupille 
geboten  oder  wird  wenigstens  mehrseitig  empfohlen:  1.  Bei  dichten  unavf heil- 
baren Hornhauttrübungen,  welche  einen  grossen  Theil  der  Pupille  oder  das 
ganze  Sehloch  verdecken,  sie  mögen  mit  vorderen  Synechien  der  Iris  ge- 
paart sein  oder  nicht.  2.  Bei  Atresia  pupillae,  falschen  Staaren,  namentlich 
bei  totaler  oder  nahezu  totaler  hinterer  Synechie  des  Ptipillarrandes  mit  oder 
ohne  gleichzeitiger  Kapseltrübung  und  davon  abhängiger  chronischer  Iritis, 
Iridochorioiditis,  Panophthalmitis,  sowie  bei  sympathischer  Mitleidenschaft 
des  anderen  Auges.  3.  Bei  Verschicürungsprocessen  in  der  Hornhaut,  welche 
die  Entspannung  der  Cornea  durch  Paracentesis  verlangen,  ihrer  Lage 
und  Ausdehnung  nach  aber  eine  Hornhauttrübung  gewärtigen  lassen,  die 
ihrerseits  späterhin  die  Anlegung  einer  künstlichen  Pupille  nothwendig 
machen  würde.  4.  Bei  den  verschiedenen  Formen  der  Hornhaut-  und  Seleral- 
ectasie.  5.  Bei  dem  Glaticome.  6.  Bei  Seitenverschiebungen  der  Linse,  wenn 
ein  Theil  des  durchsichtigen  Krystalles  die  Pupille  verlegt  und  dadurch 
Ursache  von  Sehstörungen  wird.  7.  Bei  partiellen  Linsen-  und  Kapsel- 
trübuvgen,   welche   das   Gesicht  im  hohen   Grade  beeinträchtigen,   dabei  aber 


Verfahren;  Instrumente;  Üphthalmostaten.  29o 

entweder  stationär  sind  oder  doch  nur  äusserst  langsam  fortschreiten  und 
daher  die  Keife  des  Staares  erst  nach  langer  Zeit  gewäi'tigen  lassen, 
übrigens  nur  unter  namhaften  Gefahren  direct  beseitigt  werden  können, 
so  lange  der  cataractöse  Process  nicht  weiter  gediehen  ist.  8.  Bei  Aufblähungen 
der  in  cataractöser  Metamorphose  begriffenen  Linse,  wenn  die  Kapsel  durch 
ein  Trauma  oder  auf  operativem  Wege  eröffnet  worden  ist,  die  Entleerung 
des  Magmas  durch  die  Paracentesis  der  Cornea  aber  nicht  gelingt,  und 
wenn  die  Staarmassen  die  Iris  nach  vorne  drängen  oder,  in  der  Pupille 
oder  Kammer  lagernd,  die  Iris  mechanisch  reizen  und  eine  Schliessung 
der  Pupille  auf  entzündlichem  Wege  drohen.  9.  Als  Nebenbehelf  bei  den 
verschiedenen  Staaroperationen.  10.  Bei  der  Extraction  fremder  Körper, 
welche  in  der  Kammer  lagern  oder  in  der  Iris  stecken  und  sich  nicht 
ohne  Zerrung  oder  Verletzung  der  Regenbogenhaut  entfernen  lassen.  1 1 .  Bei 
hartnäckiger  Myose. 

Verfahren.  Man  hat  bisher  eine  ganz  unglaubliche  Menge  von 
mehr  weniger  abweichenden  Methoden  ersonnen  {Himly).  Was  Sicher- 
heit des  Erfolges  und  Gefahrlosigkeit  betrifft,  steht  jedoch  die  sogenannte 
Iridectomie,  die  Ausschneidung  eines  Irisstückes  (Beer)  obenan ;  daher  denn 
auch  die  anderen  ^'ei-fahrungsweisen  fast  ganz  verlassen  wurden  und 
zwar  mit  um  so  mehr  Recht,  als  die  Iridectomie  sich  fast  unter  allen  Um- 
ständen leichter,  und  mit  nur  ganz  geringen  Modificationen  auch  erfolgreich, 
ausführen  lässt. 

Die  erforderlichen  Instrumente  sind  ein  gerades  oder,  falls  die  künstliche 
Pupille  nach  innen  oder  oben  angelegt  werden  soll,  ein  nacli  der  Fläche 
winkelig  gebogenes  Lanzenmesser;  eine  zarte  gerade  Haken-  oder  leicht  ge- 
krümmte  Fischer'sche  Irispince/te  und   eine  kleine  Louis'sche   Schere. 

Statt  dei'  Pincette  ist  vielseitig  das  Irishäkclien  im  Gebrauche.  Seine  Hand- 
habung ist  jedoch  weit  schwieriger,  als  jene  der  Pincette,  gefährdet  leicht  die  Inte- 
grität der  Kapsel  und  erlaubt  weniger,  die  Grösse  der  neu  anzulegenden  Pupille 
mit  Bestimmtheit  zu  bemessen.  Wer  sicli  übrigens  desselben  Ijedienen  will ,  wählt 
am  besten  ein  Häkchen  mit  biegsamem  Halse  (Himly).  Es  ist  nämlich  häufig  noth- 
wendig,  das  Häkchen  zu  krümmen,  um  über  die  Nase  u.  s.  w.  eingehen  zu 
können. 

In  neuerer  Zeit  glaubt  man  den  Linearschnitt  besser  mittelst  dem  schmalen 
Staarmesser  Graefe's  durchführen  zu  können  (Wecker,  Le  Gad).  Besondere  Vor- 
theile  verspricht  man  sich  davon,  wo  bei  ausgebreiteten  Hornhautnarben  nur  ein 
sehr  kleiner  peripherer  Theil  der  Cornea  durchsichtig  geblieben  ist,  bei  Geschwüren 
der  Hornhaut  mit  eitriger  Iritis  oder  Iridokyklitis,  bei  Iritis  mit  Hypopyum  und 
Glaskörperleiden,  bei  Schwartenbildung  an  der  hinteren  Wand  der  Iris,  behufs  der 
Entfernung  eines  Cysticercus  oder  fremder  Körper  aus  dem  Glaskörper  u.  s.  w. 
Beim  Glaucom  scheint  dies  Verfahren  gefährlich  wegen  leichter  Berstung  der 
Zonula,  Einheilung  der  Iris,  cystoider  Vernarbung  (Graefe). 

Sogenannte  Ojihfhalmostaten,  d.  i.  Instrumente,  um  den  Augapfel  in  einer 
gewissen  Stellung  ruhig  zu  erhalten,  sind  besonders  für  den  Fall  zu  empfehlen, 
als  man  die  künstliche  Pupille  nach  oben  anzulegen  Grund  hat.  Es  flieht  nämlich 
selbst  bei  sehr  ruhigen  Kranken  das  Auge  gerne  nach  oben  und  verbirgt  das 
Operationsfeld  unter  dem  oberen  Lide ;  ausserdem  aber  werden  durch  das  Aus- 
weichen des  Auges  nach  oben  Verletzungen  der  Kapsel  trotz  aller  Vorsicht  sehr 
leicht  veranlasst.  Man  ist  wirklich  beim  Hornhautstiche  nicht  immer  im  Stande, 
rasch  genug  das  Messer  zu  neigen,  wenn  das  Auge  nach  oben  flieht,  daher  die 
Spitze  des  Instrumentes  in  die  Kapsel  dringt;  beim  Herausziehen  des  Messers  aus 
der  Kammer  aber  muss  man,  wenn  das  Auge  gewaltsam  nach  oben  gewendet  wird, 
die  Spitze  stark  nach  hinten  wenden  und  reisst  so  die  Kapsel  leicht  ein.  Am  besten 
entspricht  als  Ophthalmostat  eine  federnde  Zahnpincette,  mit  welcher  die  Conjunc- 
tiva  bulbi  nahe  der  Cornea  gefasst  wiid.    Sperrpincetten  haben  den  Nachtheil,  dass 


296  Iridectomie;  Terfahren. 

man  ihr  Schloss  nicht  immer  rasch  genug  öffnen  nnd  das  Instrument  beseitigen 
kann,  wenn  der  Kranke  unverhofft  abwehrende  Bewegungen  macht.  Das  Ansetzen 
der  Pincette  in  grösserer  Entfernung  Ton  der  Hornhaut  und  das  Mitf<iggen  eines 
geraden  Augenmtiskeh  hindert  zwar  das  Ausreissen  der  Bindehaut,  veranlasst  aber 
gerne  rollende  Bewegungen  des  Auges,  welche  die  Operation  ebenfalls  sehr  er- 
schweren. Bei  sehr  unruhigen  Kran7:en  und  namentlich  bei  Kindern  genügt  die 
Fixation  überhaupt  nicht,  da  sie  schmerzhaft  ist  und  der  Kranke  sich  um  so  mehr 
zur  Wehre  setzt  oder  doch  die  Muskeln  übermässig  spannt.  Da  ist  die  Nareose 
unumgänglich  nothwendig. 

Eine  besondere    Vorbereitung  zur   Operation  ist    überflüssig.     Doch  ist 

darauf  zu  sehen,  dass  die  Operation  weder  bei  ganz  leerem   Magen,  noch 

nach  einer  ansgiebigen  Mahlzeit   vorgenommen    werde.     Der  Kranke  kann 

dabei   sitzen,   oder  was  vorzuziehen  ist,  liegen.     Ein  Gehilfe  hat  die  Lider 

bei    weit    geöffneter   Spalte    zu    fixiren,    während    das   andere   Auge    durch 

einen  Sehutzverband  gedeckt  wird. 

Die  PupiUe  durch  Calabarwirkung  (Greife)  zu  verengem,  wenn  selbe  vor- 
läufig durch  Mydriatica  oder  in  Folge  krankhafter  Vorgänge,  z.  B.  beim  Glaucom, 
sehr  erweitert  worden  war,  ist  zwar  unschädlich,  aber  auch  von  keinem  beson- 
deren Nutzen,  da  dort,  wo  die  reactive  Fähigkeit  der  Irismuskeln  noch  besteht, 
der  Abfluss  des  Kammerwassers  nach  dem  Homhautschnitte  genügt,  um  den  Pupil- 
larrand  zu  kräftigen  Contractionen  anzuregen. 

Die  Operation  setzt  sich  ans  zwei  wesentlich  verschiedenen  Theilen 
zusammen.  Der  erste  besteht  in  der  Eröffnung  der  Hornhaut  durch  einen 
2'"  bis  2*ö'"  langen  linearen  Schnitt  oder  Einstich,  der  zweite  in  der 
Hervorziehung   und  Äbschneidung   des  zu  entfernenden   Stückes  der  Iri^. 

Die  Schnittwunde  in  der  Hornhaut  muss  immer  senkrecht  auf  den  Meridian 
des  auszuschneidenden  Irisstückes  angelegt  werden.  Wo  die  Coremorphose 
den  Zweck  hat,  den  Lichtstrahlen  einen  Ducrchgang  zu  ermöglichen  und 
eine  mehr  centrale  Pupille  herstellbar  ist,  soll  der  Einstich  etwas  ausser- 
halb der  Mitte  des  Meridians  der  Hornhautkrümmung  fallen.  Wo  man 
sieh  aber  mit  einer  mehr  excentrischen  Pupille  begnügen  muss,  ist  es  am 
besten,  eine  Yiertellinie  vom  Eande  entfernt  in  die  Hornhaut  einzustechen, 
damit  die  dann  stehen  bleibenden  peripheren  Theile  der  Iris  die  äussersten 
Kandstrahlen  abblenden.  Wo  nur  an  der  Comealgrenze  ein  kleiner  Eaum 
für  die  Pupille  übrig  ist,  muss  man  etwa  eine  halbe  Linie  vom  Homhaut- 
rande  entfernt  in  die  Schrotica  einsehneiden  und  das  Messer  so  führen, 
dass  es  genau  an  dem  Ursprungskreise  der  Iris  in  die  vordere  Kammer 
eindringt.  Ton  grösster  Wichtigkeit  ist  die  .strenge  Einhaltung  dieser  Begel 
in  jenen  Fällen,  in  welchen  die  Coremorphose  den  Zweck  hat,  die  Druck-, 
Circulätion-s-  und  Vegetationsverhaltnisse  im  Lineren  des  Auges  in  heil- 
bringender Weise  zu  beeinflussen;  wird  unter  solchen  Umständen  in  oder 
innerhalb  der  CorneaJgrenze  eingestochen,  so  ist  die  Operation  erfahrungs- 
mässig  stets  fruchtlos. 

Dem  entsprechend  ist  das  Lanzenmesser,  wenn  in  die  Sclerotica  ein- 
gestochen wird,  schief  aufzusetzen:  fällt  aber  der  Schnitt  in  die  Cornea,  so 
muss  das  Instrument  nahezu  senkrecht  durch  die  Hornhaut  gestossen  und, 
sobald  es  in  die  Kammer  gedrungen  ist,  sogleich  gewendet  und  dessen 
Spitze  zwischen  Iris  und  Descemeti  so  weit  vorgeschoben  werden,  dass  die 
Schnittwunde  die  gehörige  Länge  erhalte. 

Das  Zurückziehen  des  Messers  soll  langsam  geschehen,  damit  das  Kammer- 
wasser sich  nicht  zu  rasch  entleere.  Sonst  kann  die  urplötzliche  Entspannung  des 
Bulbus  leicht    die  Ursache    intraocuiarer  Blutungen   mit  allen    deren  üblen  Zufällen 


Verfahren. 


297 


Fig.  35. 


werden,  zumal  wenn  krankhafte  Proces.se  in  der  Uvea  und  Netzliaut  deren  Oe- 
fässe  bedeutend  alterirt  haben.  Unter  solchen  Verhältnissen  ist  es  auch  gut,  schon 
während  des  Ausziehe7is  des  Messers  durch  einen  leichten  Finn;crdruck  die  Bullnis- 
wandungen  zu  spannen  und  bis  zur  Anlegung  des  Verbandes  gespannt  zu  erhalten. 
(Graefe). 

Der  zweite  Theil  der  Corcmorphoso  erfordert,  immer  beide  Hände  des 
Operateurs.  Die  eine  Hand  hat  die  Pincette,  die  andere  aber  die  Schere 
zu  füliren.  Die  Pincette  muss  sehr  leicht  gehalten  und  mit  gegen  den 
Augapfel  gekehrter  Convexität  vorsichtig  durch  die  Cornealwunde  bis  nahe 
an  den  PupiUarrand  des  auszuschneidenden  Irisstückes  vorgeschoben  werden. 
Nun  erst  ist  sie  zu  öffnen  und  zwar  so  weit,  als  es  die  beabsichtigte 
Breite  der  künstlichen  Pupille  erfordert.  Nachdem  hierauf  das  betreffende 
Stück  der  Regenbogenhaut  nahe  dem  Pupillarrande  sicher  gefasst  worden 
ist,  wird  dieser  iinter  sanftem  und  allmäligera  Zuge  von  seinen  etwaigen 
Verbindungen  getrennt  und  (Fig.  35) 
mit  der  Pincette  langsam  nach  aus- 
sen gezogen.  Während  dem  wird  die 
Louis'sche  Schere  mit  der  Convexität 
ihrer  Blätter  flach  auf  den  Bulbus 
aufgelegt  und,  sobald  eine  genügende 
Portion  der  Iris  hervorgezogen  scheint, 
diese  rasch  und  knapp  an  den  lüin- 
dern  der  Hornhautwunde  abgetragen. 
Es  muss  dabei  die  grösste  Sorgfalt 
verwendet  werden,  dass  nichts  von 
der  Iris  im  Wundkanale  zurückbleibe, 
was  besonders  gern  an  den  Winkeln 
der  Fall  ist,  damit  die  mit  der  Ein- 
heilung verknüpfte  Reizung  und 
weiterhin  die  sich  in  misslichster 
Weise  geltend  machenden  Zerrungen 

der  Regenbogenhaut  vermieden  werden.  Zieht  sich  daher  der  etwa  ein- 
geklemmte Theil  der  Iris  in  Folge  leiser  Reibungen  der  geschlossenen 
Augenlider  nicht  zurück,  so  muss  der  Daviel'sche  Löffel  aushelfen. 

"Wo  die  künstliche  Pupille  den  Zweck  hat,  den  Lichtstrahlen  einen 
neuen  Weg  durch  die  dioptrischen  Medien  des  Auges  zu  bahnen  oder  den 
natürlichen  nach  einer  Seite  hin  zu  erweitern,  genügt  ein  Ausschnitt  von 
1'"  Breite,  ja  weitere  Pupillen  pflegen  das  Sehvermögen  bedeutend  zu 
beeinträchtigen ,  indem  sie  bei  grösseren  Erleiichtungsintensitäten  des  Ge- 
sichtsfeldes gerne  Veranlassung  von  sehr  lästigen  Blendungserscheinungen 
werden,  überdies  auch  den  aus  dem  Mangel  des  Accommodationsvermögens 
resultirenden  Zerstreuungskreisen  der  Netzhautbilder  zu  grosse  Durchmesser 
geben.  Dieser  Umstand  lässt  es  dort ,  wo  die  Operation  bei  reiner  Horn- 
haut wegen  ausgebreiteten  oder  totalen  hinteren  Synechien  ausgeführt  wird, 
und  der  Centraltheil  der  Kapsel  noch  durchsichtig  genug  ist,  um  ziemlich 
deutliche  Wahrnehmungen  zu  ermöglichen,  räthlich  erscheinen,  die  Pupille 
nach  oben  anzulegen.  Bei  centralen  Hornhauttrübungen  soll,  wo  es  nur  immer 
thunlich  ist,  der  innere  untere  Regenbogenhautquadrant  ausgeschnitten  wer- 
den (S.  130).  In  jedem  Falle  sind  stark  getrübte  oder  narbige  Theile  der 
Cornea  zu  vermeiden,  damit  nicht  eine  Narbenkeratitis  angeregt  werde  (S.  125). 


298  Iridectomie;  Verfahren  beliufs  einer  Druckminderujig ;  Entfernung  fremder  Körper. 

Wo  man  Grund  hat,  dicke  Schwarten  an  der  hinteren  Wand  der  Iris  zu  ver- 
muthen,  welche  sich  schwer  in  Falten  legen  und  fassen  lassen,  muss  man  die  Pincette 
sehr  steil  aufsetzen.  Einer  besonders  construirten  Pincette  (Liehreich),  deren  Zähne 
sicherer  fassen,  wird  man  kaum  bedürfen.  Da  die  Schwarten  oft  sehr  pigmentreich 
und  nach  Entfernung  der  darüber  liegenden  Irisschichten  häufig  überaus  schwer 
wahrnehmbar  sind,  ist  es  dringend  nothwendig,  sich  bei  der  Operation  dieser  Fälle 
der  schiefen  Beleuchtung  zu  bedienen  (Knapp). 

Wo  es  sich  darum  handelt,  dem  üblen  Einflüsse  zn  begegnen,  welchen 
eine  starre  unnachgiebige  Bulhuskapsel  auf  die  Höhe  des  intraocularen  Druckes 
durch  Störung  der  Circulations-  und  Vegetationsverhältnisse  des  Auges  ausübt, 
ist  es  unbedingt  nothwendig,  dem  Lederhautstiche  eine  Länge  von  mehr 
als  2'"  zu  geben.  Oefters  kömmt  man  auch  damit  nicht  aus,  die  Leder- 
haut spannt  sich  binnen  Kurzem  wieder  und  die  misslichen  Folgen  treten 
abermals  hervor.  Die  Operation  muss  dann  wiederholt,  an  der  dem  ersten 
Einstiche  entgegengesetzten  Seite,  oder  besser  in  dem  darauf  senkrechten 
Meridiane  ein  zweiter  Einschnitt  gemacht  und  der  betreffende  ßegenbogen- 
hauttheil  entfernt  werden,  will  man  das  Ziel  erreichen. 

Ist  ein  fremder  Körper  aus  der  Kammer  oder  aus  der  Iris  zu  ent- 
fernen, so  muss  der  Einstichspunkt  in  dem  entsprechenden  Meridiane  des 
Lederhautrandes  gewählt  werden.  Man  thut  dabei  wohl,  die  Spitze  des 
Lanzenmessers  nicht  gerade  gegen  das  Centrum  der  Pupille  zu  lenken, 
sondern  neben  dem  fremden  Körper  vorbei  in  schiefer  Richtung  vorzu- 
schieben und  sich  damit  möglichst  nahe  der  hinteren  Hornhautwand  zu 
halten,  um  den  Eindringling  nicht  aus  seiner  Lage  zu  bringen  und  etwa 
an  Orte  zu  stossen,  welche  von  der  Wunde  aus  schwer  mit  Instrumenten 
zu  erreichen  sind.  Haben  sich  rino'sum  vielleicht  schon  Granulationen 
oder  überhaupt  vascularisirende  Exsudate  gebildet,  so  ist  eine  solche  Los- 
trennung des  Splitters  oft  mit  starken  Blutungen  verknüpft,  welche  das 
Operationsfeld  völlig  verhüllen  und  die  Ausziehung  ausserordentlich  er- 
schweren oder  ganz  unmöglich  machen.  Diese  Umstäude  lassen  auch  den 
V^ersuch,  den  fremden  Körper  allein  zu  fassen  und  zii  extrahiren,  gCAvagt 
erscheinen.  Es  gelingt  dies  nämlich  selten,  ohne  den  Splitter  mehrfach 
zu  wenden  und,  hat  er  scharfe  Ecken  oder  Kauten,  so  veranlasst  er  ge- 
wöhnlich arge  Verletzungen  der  Iris  oder  auch  wohl  der  Linsenkapsel, 
um  so  mehr,  als  nach  Abfluss  des  Humor  aqueus  die  genannten  Theile  von 
Seite  des  Glaskörpers  nach  vorne  gedrängt  werden,  der  Splitter  also  gleich- 
sam eingeklemmt  ist.  Es  erscheint  daher  klug,  die  Pincette  mit  geöffneten 
Armen  so  in  die  Kammer  einzufülu-en,  dass  der  fremde  Körper  ruhig 
zwischen  letzteren  liegen  bleibt,  sie  bis  zum  Pupillarrande  vorzustossen, 
dann  noch  etwas  weiter  auseinander  federn  zu  lassen  und  endlich  zu 
schliessen.  Dieselbe  fasst  solchermassen  die  seitlich  vom  Splitter  liegenden 
Irisportionen,  da  diese  von  dem  nach  vorne  andrängenden  Krystalle  zwischen 
die  Branchen  gezwängt  werden  und  der  Splitter  wird  gleichsam  in  einer 
schützenden  Hülle  nach  Aussen  gefördert  (Homer).  Bisweilen  kann  man 
sich  die  Extraction  des  fremden  Körpers  dadurch  erleichtern,  dass  man  nach 
vollendetem  Einstiche  das  Messer  rasch  entfernt  und  damit  einen  schnellen 
Abfluss  des  Kammerwassers  erzielt.  Es  wird  dann  nämlich  nicht  selten 
die  betreffende  Portion  der  Regenbogenhaut  mit  dem  daran  haftenden 
SpKtter  durch  die  Wunde  nach  Aussen  getrieben  und  man  hat  blos  den 
Vorfall  abzutragen,  nachdem  man  ihn  sammt  dem  fremden  Körper  mit  der 


Nachbehandlung ;  Uehle  Zufälle.  291) 

Pincette  gefasst  hat.  Uebrigens  fordern  besondere  Verhältnisse  auch  besondere 
Massnahmen  und   Handc/riffe. 

Es  ist  nicht  unwichtify,  zu  liemerkeu,  dass  die  künstliclie  Pupille  tmmitlelhar 
nach  der  Operation  selten  ihre  ivahre  Grösse  und  Gestalt  zeigt,  da  die  nachljar- 
lichen  Portionen  der  Ke<^enbogenliaut  von  der  Pincette  gegen  die  Wundöffnuug 
gezerrt  und  daselbst  von  der  an  die  Descemeti  angepressten  Linse  festgehalten 
werden.  Dieselben  kommen  erst  in  ihre  natürliche  Lage,  wenn  der  Einstich  ver- 
klebt und  das  Kammerwasser  wieder  angesammelt  ist. 

Nach  Beendigung  der  Operation  ist  ein  binocularer  Schutzverbaiid 
anzulegen.  Nebstbei  die  Lidspalten  durch  zarte  Streifen  von  englischem 
Pflaster  zu  verkleben,  ist  nur  bei  unzuve.rlässlichen  Kranken  räthlich,  welche 
sich  leicht  zu  vorzeitigen  8ehproben  veranlasst  finden  oder  aus  Nach- 
lässigkeit und  Unverstand  die  Binde  verschieben  könnten.  Wo  die  Gefahr 
einer  intraocularen  Blutung  besteht,  ist  der  Druckverband  fester  anzuziehen 
und  erst  nach  Ablauf  einiger  Stunden  etwas  zu  lockern.  Der  Verband 
muss  mehrere  Tage  liegen;  doch  soll  der  Charpiebausch  öfters  gewechselt 
werden. 

Mittlerweile  muss  der  Kranke  zu  unbedingter  körperlicher  und  geistiger 
Ruhe  angehalten  werden.  Am  erspriesslichsten  ist  die  Eückenlage  im  Bette. 
Wo  diese  indessen  sehr  beschwerlieh  fällt,  ist  es  von  Vortheil,  den  Kranken 
auf  der  nicht  operirten  Seite  liegen  oder  gar  in  einem  Lehnsessel  aufsitzen 
zu  lassen.  Die  Diät  ist  in  den  ersten  Tagen  nach  der  Operation  auf  Suppe, 
leichtes  Gemüse,  gedünstetes  Obst  u.  s.  w.  zu  beschränken.  Das  laute 
Sprechen ,  sowie  überhaupt  jede  stärkere  Bethätigung  der  Kau-  und 
Respirationsmuskeln  des  Gesichtes  ist  strengstens  zu  iintersageu. 

Treten  Erscheinungen  eines  Reizzustandes  oder  einer  Entzündung 
im  Bulbus  auf,  so  ist  mit  doppelter  Strenge  an  diesen  Regeln  zu  halten 
und  ein  entsprechendes  antiphlogistisches  Verfahren  einzuleiten.  Im 
gegentlieiligen  Falle  kann  nach  4 — 5  Tagen  der  Vei'band  abgenommen 
und  der  Kranke  allmälig  in  die  gewohnten  Lebensverhältnisse  zurückver- 
setzt werden. 

Ueble  Zufälle.  1.  Ein  zu  schiefer  Einstich.  Dringt  das  Lanzenmesser  sehr 
schief  durch  die  Dicke  der  Hornhaut ,  so  dass  der  Ein-  und  Ausstichspunkt  weit 
von  einander  entfernt  sind ,  so  kann  es  wegen  der  Durchsichtigkeit  der  Cornea 
leicht  geschehen,  dass  man  mit  der  Pincette  statt  der  Iris  die  hintere  Wundlefze 
der  Cornea  fasst,  quetscht,  zerrt  und  so  Veranlassung  zu  heftigen  Entzündungen, 
zu  Trübungen  der  betreffenden  Hornhaiitportion,  zu  Vereiterungen  derselben  und 
sogar  zur  Atrophie  des  gesammten  Bulbus  gibt.  Dieselbe  Gefahr  droht  dann 
übrigens  auch,  wenn  man  wirklich  die  Lis  fasst,  da  diese  der  Pincette  ohne  Um- 
stülpung und  Zerrung  der  hinteren  Wundlefze  nicht  folgen  kann.  Keisst  die  Iris 
nicht  aus,  was  in  der  Regel  geschieht,  und  folgt  sie  dem  Zuge,  so  kann  es  geschehen, 
dass  ihre  Verbindung  mit  dem  Rande  der  Descemeti  und  dem  Ciliarkörper  ^getrennt 
wird,  oder  dass  die  Iris  eine  übermässige  Dehnung  erleidet  und  dass  trotzdem  die 
Pupille  einen  ganz  ungenügenden  Durchmesser  erhält,  da  ein  grosser  Theil  des 
hervorgezogenen  Stückes  innerhalb  der  Cornealwunde  lagert  und  sich  daher  der 
Schere  nicht  Preis  gibt.  Es  droht  dieser  Uebelstand  besonders,  wenn  mit  dem  nach 
der  Fläche  gekrümmten  Lanzenmesser  ohne  Berücksichtigung  des  Umstandes 
operirt  wird,  dass,  um  mit  diesem  Instrumente  senkrecht  durch  die  Cornea  zu 
dringen,  dessen  Stiel  etwas  gegen  die  dem  Einstiche  entgegengesetzte  Seite  des 
Auges  hin  geneigt  sein  muss. 

2.  Ausreissen  des  mit  der  Pincette  gefassten  Irisstückes.  Bei  dem  Ge- 
brauche der  Pincette  ist  dieser  Zufall  weniger  zu  fürchten,  als  bei  der 
Anwendung  des  Häkchens.  Er  droht  besonders  bei  hochgradiger  Atrophie 
der    Iris,    wo    deren    Gewebe    nicht    selten    ganz    welk   und    morsch  wird. 


300  Iridectomie;  Ueüle  Zufälle. 

Das  successive  Hervorholen  Icleiner  Fetzen  behufs  der  Erweiterung  des  künst- 
lichen Sehloches  ist  meistens  sehr  schwierig,  besonders  wenn  sich  Hämor- 
rhagien  einstellen  und  das  Blut  alles  verdeckt.  Gewöhnlich  führt  es  zu 
heftigen  ßeizzuständen.  Wo  die  Iris  ihrem  äusseren  Aussehen  nach  sehr 
verändert  ist,  muss  daher  die  Pincette  weit  geöffnet  und  ein  breites  Stück 
gefasst  werden,  um,  falls  auch  die  Iris  einrisse,  eine  hinlänglich  grosse 
Pupille  zu  erzielen. 

3.  Das  Zurückbleiben  der  Pvpillarzone  der  Iris.  Wo  der  Pupillarrand 
fest  an  die  Kapsel  gelöthet  ist,  bleibt  er  trotz  langsamem  Zuge  mit  der 
Pincette  öfters  sitzen.  Es  hat  dieses  nicht  viel  auf  sich,  wo  wegen  totaler 
hinterer  Synechie  operirt  wird.  Eine  gewaltsame  Trennung  mittelst  des 
Häkchens  würde  übrigens  in  der  Regel  zu  Verletzungen  der  Kapsel  und 
weit  übleren  Folgen  führen,  daher  man  gut  thut,  jeden  weiteren  Trennungs- 
versuch zu  unterlassen.  Wo  aber  der  betreffende  Thcil  des  Pupillarrandes 
frei  ist,  muss,  um  die  Brücke  zu  trennen,  das  Häkchen  eingeführt  und 
die   doppelte  Pupille  sofort  in   eine   einfache  vei'wandelt  werden. 

4.  Das  Zurückbleiben  häutiger  Neubildungen  im  Dereiche  der  künstlichen 
Pupille.  Es  geschieht  bisweilen,  dass  das  faserige  Gefüge  der  Iris  in  ge- 
nügendem Umfange  entfernt  wird  und  die  Pupille  unmittelbar  nach  der 
Operation  schwarz  erscheint.  Nach  Jlntfernung  des  Verbandes  und  erfolgter 
Aufsaugung  des  etwa  in  die  Kammer  ergossenen  Blutes  aber  zeigt  es  sich, 
dass  das  neueröffnete  Sehloch  von  einer  mit  Pigment  reichlich  durchsetzten 
hautartigen  Neubildung  verlegt  ist.  Es  ergibt  sich  dann  die  Nothwendig- 
kcit,  die  Operation  mit  Hilfe  künstlicher  Beleuchtung  und  steil  aufgesetzter 
Pincette   (S.    298)   zu  wiederholen. 

5.  Das  Ähreissen  der  Lis  vom  Ciliarhande.  Rasches  Anziehen  mit  der  Pin- 
cette ,  besonders  aber  Unruhe  des  Kranken ,  während  die  geschlossene  Pincette 
nach  aussen  geführt  wird,  können  dazu  Veranlassung  geben,  dass  die  Iris  in 
grossem  Umfange  oder  gänzlich  von  dem  Ciliarbande  getrennt  wird.  Um  dem 
auszuweiclien,  ist  es  unbedingt  nothwendig,  die  Pincette  sehr  leicht  zu  halten,  um 
in  jedem  Augenblicke  loslassen  zu  können,  den  Bewegiingen  des  Auges  rasch  zu 
folgen  und  besonders  den  Kopf  des  Kranken  gehörig  zu  fixiren.  Ist  dennoch  das 
Unglück  geschehen ,  so  muss  das  abgetrennte  Irisstück  hervorgeholt  und  entfernt 
werden. 

6.  Starke  Blutungen.  Wo  das  Irisgefüge  nicht  bedeutend  durch 
vorangehende  Entzündungen  verändert  worden  ist,  sind  die  Blutungen 
kaum  jemals  erheblich  und  von  um  so  geringerer  Bedeutung,  als  das 
Extravasat  in  der  Regel  sehr  bald  aufgesaugt  wird.  Ist  die  Regenbogen- 
haut im  Schwunde  weit  vorgeschritten,  vielleicht  gar  schwammig  axifge- 
lockert  oder  von  ausgedehnten  Gefassen  durchflochten,  so  werden  die  Blut- 
ergüsse oft  schon  während  der  Operation  hinderlich,  saugen  sich  übrigens 
auch  sehr  schwer  auf,  werden  leicht  Veranlassung  von  Reizzuständen 
und  vereiteln  nicht  selten  den  Erfolg  der  Operation,  indem  ihre  Coagula 
in  Verbindung  mit  iritischen  Producten  die  künstliche  Pupille  pfropf- 
artig schliessen.  Mitunter  geht  sogar  der  Bulbus  seiner  Totalität  nach 
atrophisch  zu  Grunde.  Wo  der  Bulbus  nicht  sehr  gelitten  hat,  kann  man 
das  Extravasat  öfters  dauernd  beseitigen,  indem  man  nach  Vollendung 
der  Operation  einen  Daviel'schen  Löffel  in  die  Wunde  einführt  und  durch 
sanftes  Niederdrücken  der  hinteren  Wundlefze  dem  Blute  den  Austritt 
gestattet,  unmittelbar  hierauf  aber  einen  Druckverband  anlegt.  Wo  die 
Iris  aber  morsch,   zerreisslich,   schwammig  aufgelockert,   oder  gar  der  Augapfel 


Ueble  Zufälle.  301 

schon  atrophirt  und  darum  weicher  anzufühlen  ist,  nützt  das  Auslassen  des 
Blutes  nichts,  da  das  Entleerte  sich  iraraer  wieder  durch  neue  Nachschübe 
ersetzt.  Da  ist  ein  sicher  anliegender  Druckverband  das  einzige  Mittel, 
um  übermässigen  Extravasationen  zu  begegnen  und  auch  die  nicht 
seltenen  Wiederholungen  derselben  zu  verhindern.  In  solchen  Eällen  thut 
man  mitunter  wohl,  das  Abschneiden  des  mit  der  Pincetto  hervorgoholten 
Regenbogenhautstückes  ganz  zu  vermeiden,  letzteres  also  einfach  in  der 
Wunde  liegen  zu  lassen,  damit  es  hier  einheile.  Es  ist  dies  Verfahren 
besonders  zu  empfehlen,  wenn  bei  einer  vorausgegangenen  Iridectomie  der 
Abtrennung  des  Prolapsus  eine  starke  Blutung  gefolgt  ist,  welche  den  Er- 
folg der  Operation  zu  nichte  und  eine  Wiederholung  derselben  nothwendig 
machte.  Mehrere  Eälle  haben  diese  Vorsicht  durch  überaus  günstige  Resul- 
tate gelohnt. 

7.  Austritt  des  verflüssigten  Glaskörpers.  Es  ist  dieser  Zufall  besonders  zu 
fürchten,  wenn  die  Uvea  und  Netzhaut  durch  vorausgegangene  Entzündungen  stark 
mitgenommen  worden  sind,  oder  wenn  die  Linse  fehlt,  oder  doch  aus  ihren  nor- 
malen Verbindungen  gerissen  ist.  Entleert  sich  dann  eine  grössere  Quantität  Ghis- 
körper,  was  besonders  bei  unruhigen  Kranken,  welche  die  Augenmuskeln  stark 
contrahiren,  leicht  geschieht,  so  faltet  sich  der  Bulbus,  die  Hornhaut  sinkt  ein, 
die  Iris  weicht  zurück  und  es  ist  oft  kaum  möglich,  letztere  mit  der  Pincette  zu 
fassen. 

8.  Wiederverwachsung  der  Pupille  oder  übermässige  Verengerung  der- 
selben. Dieses  Ereigniss  droht  besonders  dort,  wo  die  Iris  durch  voraus- 
gegangene Entzündungen  atrophisch  geworden,  namentlich  aber  schwammig 
aufgelockert  worden  ist  und  wo  bei  der  Operation  noch  eine  chronische 
Iritis  oder  Irido Chorioiditis  im  Gange  ist  oder  starke  Blutungen  ein- 
getreten sind.  Da  ziehen  sich  bisweilen  Pupillen  von  ganz  ansehnlicher 
Breite  wieder  völlig  zusammen.  Man  muss  hier  daher  gleich  von  vorne- 
herein auf  eine  grössere  Pupille  antragen.  Ist  die  Verschliessung  aber 
dennoch  erfolgt,  so  muss,  so  wie  dort,  wo  die  Pupille  vermöge  ihrer  Klein- 
heit dem  Zwecke  nicht  entspricht ,  die  Operation  wiedei'holt  werden, 
indem  man  unmittelbar  neben  der  ersten  Stichwunde  der  Hornhaut  eine 
zweite  anlegt. 

9.  Aderhauthäviorrhagien,  Netzhautcqwplexien  und  Abhebungen  der  Retina  von 
der  Chorioidea  durch  subretinale  Ergüsse.  Sie  setzen  schon  bedeutende  Alterationen 
der  genannten  Gebilde  voraus.  Verhinderung  eines  raschen  Abflusses  des  Humor 
aqueus  und  ein  Druckverband  sind  die  besten  Vorbauungsmittel. 

10.  Heftige  entzündliche  Reactionen.  Diese  sind  ausseiest  selten  bei 
der  Iridectomie,  kommen  jedoch  vor  und  können  möglicher  Weise  trotz 
scheinbar  günstigen  Verhältnissen  den  Bulbus  zur  Vereiterung  führen  (Roth- 
mund). Um  sie  zu  bekämpfen  dient  kräftiges    antiphlogistisches    Verfahren, 

1 1 .  Trübungen  der  Hornhaut  in  der  Umgebung  der  Einstichstelle. 
Sie  sind  nach  der  Iridectomie  ziemlich  häufig,  besonders  in  Fällen,  in 
welchen  die  Cornea  durch  vorhergehende  krankhafte  Processe  sehr  gelitten 
hat,  also  vorzüglich,  wo  wegen  partiellen  Obscurationen  die  Coremorphose 
vorgenommen  werden  musste.  Sie  gewinnen  bisweilen  eine  so  bedeu- 
tende Ausdehnung,  dass  der  Erfolg  der  Operation  dadurch  wesentlich  ge- 
fährdet wird,  indem  sie  einen  Theil  der  künstlichen  Pupille  wieder  über- 
decken. Sie  stellen  sich  natürlich  am  häufigsten  dann  ein,  wenn  auf  die 
Operation   stärkere    entzündliche    Reizungen    folgen.     Doch    trifft   man  sie 


302  Corelysis. 

bisweilen    auch,  wo   die  Eeactiou  eine  ganz  unbedeutende  war  oder  schein- 
bar fehlte. 

Ersatzmethoden.  Sie  haben  zum  Theil  den  Zweck,  UeheUtände  zu 
vermeiden  oder  zu  vei'kleinem,  welche  der  künstlichen  Pupille  als  solcher 
ankleben:  zum  Theile  zielen  sie  darauf  hin,  gewisse  Hindernisse,  welche 
der  ÄiLs/iihrung  der  Iridectomie  bisweilen  im  Wege  stehen,  zu  umgehen  und 
so   den  Erfolg  zu  sichern  und  zu  versrössem. 

1.  Die  Coi-di/sis,  oder  die  operative  Loslösung  des  mit  der  Kapsel  verwachsenen 
Pitpillarrandes  (Strealfidd,  A.  Weber)  kann  etwas  leisten  bei  zahlreichen  zerstreuten 
und  bei  ausgedehnten  partiellen  hinteren  Synechien,  wenn  die  Irismnskeln  nach  dem 
operativen  Eingriffe  frei  zu  wirken  in  der  Lage  sind  und  das  Kapselcentrum  in 
grösserer  Ausdehnimg  durchsichtig  geblieben  ist  (S.  292).  Der  Operation  müssen 
wiederholte  Applicationen  starker  Atropirdösung  vorausgeschickt  werden,  um  die 
Irismnskeln  für  eine  möglichst  ausgiebige  Mvdriase  vorzubereiten  und  alle  freien 
Stellen  des  Pupillarrandes  thunlichst  zu  retrahiren.  Die  Operation  selbst  zerfällt  in 
zwei  Momente,  in  die  Eröffnung  der  Kammer  durch  einen  linearen  Hornhautschnitt 
und  in  die  instrumentale  Trennung  der  Verwachsungen.  Sie  wird  unter  denselben 
Cautelen  ■wie  die  Iridectomie  ausgeführt,  fordert  jedoch  immer  die  Fixirung  des 
Bulbus  und  bei  sehr  unruhigen  Kranken  die  Xarkose.  Der  Homhautschnitt  wird 
immer  7iach  Aussen,  etwa  in  der  Mitte  des  horizontalen  Meridianes  der  Cornea, 
mittelst  eines  Lanzenmessers  geführt.  Hierauf  wird  ein  eigenthümlicher  Haken  in 
die  Kammer  eingeführt ,  welcher  einem  stärkeren  Irishäkchen  nicht  unähnlich  ist, 
jedoch  insofeme  abweicht,  als  er  der  Fläche  nach  breitgeschlagen,  aber  nicht 
schneidend  ist:  als  weiters  der  freie,  bei  3  Mill.  lange  Schenkel  zum  Schafte  in 
einen  Winkel  von  weniger  als  45'^  gestellt  und  die  Umbiegungsstelle  nach  vorne 
und  hinten  abgerundet  ist.  Mittelst  dieses  Hakens  werden  die  Verwachsungen,  am 
besten  von  einer /rejeTi  Stelle  aus,  leicht  getrennt,  indem  man  die  Neubildungen 
von  der  Kapsel  mittelst  der  Convexität  losstösst ,  oder  mit  dem  freien  Schenkel 
losreisst.  Es  ist  dabei  von  hohem  Belange ,  dass  die  Neoplasien  nicht  einfach  zer- 
rissen, sondern  unter  vorsichtiger  Manipulation  von  der  Kapsel  losgeschält  werden, 
da  die  Rückbleibsel  derselben  häufig  für  immer  auf  der  Kapsel  haften  bleiben 
und  das  Sehen  trüben.  Auch  ist  es  von  grösster  Wichtigkeit .  dass  die  Axe  des 
Instrumentes  immer  in  der  Ebene  der  Pupille  bleibe  und  dass  die  Breitseite  des 
Hakens  stets  ßach  auf  der  Kapsel  aufliege,  diese  also  niemals  mit  einer  Kante 
treffe;  daher  der  Haken,  im  Falle  eine  Wendung  seines  freien  Endes  nothwendig 
ist,  in  der  Homhautwunde  zarückgeschohen  und  nach  der  Wendung  erst  wieder 
eingeführt  werden  muss.  Unmittelbar  nach  der  Trennune  der  vorhandenen  Svnechien 
wird  das  Auge  mehrere  Minuten  lang  unter  eine  starke  Atropiulösung  gesetzt, 
hierauf  mittelst  eines  Lappens  verdeckt,  das  Zimmer  vollständig  verdunkelt  und  der 
Kranke  zn  ruhiger  Eückenlage  angewiesen.  Nach  etwa  "2  Stunden  wird  die  Ein- 
träufelung  eines  starken  Mydriaticum  wiederholt  und  das  Auge  nutersucht.  Ist  die 
Pupille  7iicht  enr eitert ,  so  wird  in  kurzen  Zwischenpausen  noch  öfter  Atropin 
applicirt,  sodann  aber  ein  leichter  binocularer  Schutzterband  augelegt.  Im  Uebrigen 
ist  die  Nachbehandlung  gleich  der  bei  der  Iridectomie.  Doch  ist  völlige  Finstemiss, 
grösste  Körperruhe  tind  die  Vermeidung  kalter  Ueberschläge  dringend  geboten  und 
vom  .3. — 4.  Tage  an  soll  noch  durch  längere  Zeit  je  nach  Bedarf  täglich  1—2  Mal 
ein  Mydriaticum  applicirt  werden. 

In  neuester  Zeit  empfiehlt  man ,  den  Haken  ganz  wegzulassen  und  durch 
eine  stumpfe  Hakenpincette  zu  ersetzen,  mit  welcher  man  den  angewachsenen  Theil 
der  Iris  einfach  fasst  und  losreisst.  Es  soll  diese  Methode  bei  einfachen  vorderen 
und  hinteren  Synechien  ganz  gefahrlos  dnrchtührbar  sein  und  ganz  vorzügliche 
Resultate  Uefern  (Passaiantj.  Immerhin  dürfte  sich  bei  der  grossen  Empfindlich- 
keit, welche  die  Iris  selbst  leisen  Quetschungen  gegenüber  durch  heftige  und  oft 
auch  verderbliche  Entzündungen  geltend  macht,  grösste  Vorsicht  empfehlen. 

2.  Die  Verlagerung  der  ganzen  Pupille  durch  künstliche  Erzeugung  eines 
Prolapsus  iridis  hat  den  Zweck,  die  Pupille  unbeschadet  ihi-er  Beweg- 
lichkeit aus  dem  Bereiche  stark  verkrümmter  oder  getrübter  Theile  der 
Cornea  oder  Linse  zu  bringen   und   so   die  dadurch  bedingten  Sehstörungen 


Verlagoruiiy  der  l'uiiilln.  303 

aufzuheben  oder  wenigstens  auf  ein  Kleines  zu  reduciren.  Sie  findet 
ihi'G  specielle  Anzeige  bei  gcwisseii  Füllen  von  Schichtstaar,  bei  Ectopia 
lentis;  hauptsächlich  bei  Keratoconus,  Ectasia  corneae,  bei  partiellen  Ver- 
krümmungen tmd  Trübungen  der  Hornhaut,  wenn  der  Pupilhirrand  frei  ist 
(S.  129).  Auch  wird  sie  bisweilen  mit  Vortheil  der  Iridectomie  substituirt, 
wenn  die  Ausschneidung  der  Eegenbogenhaut  starke  Blutungen  befürchten 
lässt  (S.   301). 

Die  Verlagei'ung  des  Sehloches  ist  nicht  denkbar  ohne  eine  Zerrung 
des  Pupillarrandes  und  vornehmlich  der  dem  künstlichen  Prolapsus  gegen- 
über liegenden  Irisportion.  Soll  nämlich  die  Operation  dem  Zwecke  voll 
genügen,  so  darf  man  sich  nicht  dai'auf  beschränken,  einen  Theil  des 
Pupillarrandes  der  inneren  WundöfFnung  zu  nähern  (Critchett),  sondern  der- 
selbe muss  durch  den  Stichkanal  herausgezogen  werden  (Fagenstecher,  Berlin). 
Die  Dehnung  ist  dann  so  gross,  dass  die  Iris  bei  einem  raschen  unvor- 
sichtigen Zuge  bisweilen  theilweise  von  ihren  ciliaren  Verbindungen  los- 
getrennt wird  {Alf.  Graefe).  Im  Gaiizen  wird  sie  ziemlich  gut  vertragen, 
höchstens  atrophirt  die  am  meisten  gespannte  Partie  der  Eegenbogenhaut 
und  es  zeigen  sich  dann  im  weiteren  Verlaufe  einzelne  sehnenähnliche 
graue  pigmentlose  Streifen  oder  Flecke  in  das  Gefüge  eingeschaltet.  Nicht 
ganz  selten  werden  jedoch  auch  Entzündungen  angeregt,  ja  man  hat  in 
einzelnen  Fällen  sogar  deletäre  Irldochorioiditls  und  Schwartenbildung  an 
der  hinteren  Wand  der  Iris  und  des  Strahlenkörpers  mit  gänzlicher 
Erblindung  des  Auges  und  sympathische  Gefährdung  des  zweiten  Auges 
(Mooren)   beobachtet  {Alf.   Graefe,   Steffan,   Höring,    Worlitschek,   Secondi). 

In  Anbetracht  dessen  wurde  schon  vor  Langem  die  Nothwendigkeit 
hervorgehoben,  den  gespannten  Wstheil  einige  Zeit  nach  der  Verlagerung 
einzuschneiden  {Himly).  Neuerer  Zeit  empfiehlt  man  im  drohenden  Falle 
die  Iridectomie  nachzuschicken  (Alf.  Graefe).  Es  liegt  jedoch  auf  der  Hand, 
dass  durch  diese  Nachoperation  der  eigentliche  Zweck  der  Verlagerung, 
die  Abbiendung  getrübter  oder  verkrümmter  Partien  der  dioptrischen 
Trennungsflächen,  vereitelt  wird.  Es  hat  daher  die  ^'e^■lagerung  der  Pupille 
neuerer  Zeit  sehr  viel  an  Ruf  verloren  und  die  Meisten  ziehen  es  mit 
gutem  Grunde  vor,   ihr  durchwegs  die  Iridectomie  zu  substituiren. 

Die  Gefalir  Ijestelit  ganz  besonders,  wenn  eine  vordere  Synechie  gegeben 
oder  wenn  ein  Theil  des  Selilochrandes  an  die  Kajjsel  geheftet  ist  und  man  nicht 
mit  Sicherheit  darauf  rechnen  kann ,  denselben  xinter  dem  Zuge  der  Pincette  los- 
zureissen.  Es  kann  sich  dann  nämlicli  die  Dehnung-  nicht  über  die  gesammte  Iris 
vertheilen,  dieselbe  betrift't  hauptsächlich  die  zwischen  der  krankhaften  Anheftung 
und  dem  künstlichen  Vorfalle  gelegenen  Portionen.  Vorzugsweise  aber  leidet  der 
Pupillarrand,  da  die  der  Schnittwunde  gegenüberstehenden  Theile  der  Iris  nicht 
nachrücken  können.  Derselbe  verträgt  die  übermässige  Zerrung  aber  iim  so  weniger, 
als  er  oft  in  weiten  Strecken  narbig  degenerirt  oder  doch  von  schrumpfenden 
Wucherungsproducten  durchsetzt  und  darum  minder  nachgiebig  geworden  ist.  Es 
werden  daher  auch  vordere  und  unlösbare  hintere  Synechien  fast  allgemein  als  Gegen- 
anzeigen der  Verlagerung  anerkannt. 

Manche  empfehlen,  bei  hinteren  Synechien  der  Verlagerung  der  Pupille  die 
Corelysis  vorauszuschicken  (Ad.  Weher).  Damit  wird  aber  der  Zerrung  des  Pupillar- 
randes nicht  genügend  gesteuert,  indem  sich  eben  die  mit  hinteren  Synechien  ver- 
knüpfte narbige  Rigidität  der  Pupillarzone  nicht  beseitigen  lässt. 

Die  Verlagerung  der  Pupille  nach  zwei  Seiten  durch  Erzeugung  eines  künst- 
lichen Vorfalles  an  jedem  Ende  eines  Cornealdurchmessers  (Bounnan)  ist  in  Anbe- 
tracht der  vorerwähnten  Gefahren   einer    übermässigen  Zerrung   nicld  zu  empfehlen. 


304 


Iridodesis. 


Die  Operation  wird  von  den  Augenärzten  in  sehr  verschiedener  Weise 

durchgeführt.  Im  Allgemeinen  sind  zivei  Hauptmethoden  zu   unterscheiden, 

die  Iridodesis  (Critchett,   Pagenstecher),  bei  welcher    der  künstliche  Prolapsus 

durch    einen  umschlungenen  Faden  fixirt  wird,   und   die    Lidenkleisis  (Himly, 

Wecker),  bei  welcher  auf  die  Einklemmung  des  Vorfalls  von   Seite   des  Wund- 

canales  gerechnet  wird. 

Behufs  der  Iridodesis  wird  an  dem  für  die  Pupillenverlagerung  geeigneten 
Bogentbeile    des  Cornealrandes    mittelst    einer    zarten    krummen  Nadel    ein    feiner 

Seiden-  oder  Zwirnsfaden  durch 
Fig.  3G.  den    Linihns   conjiinctivalis    ge- 

führt und  dessen  Enden  einst- 
weilen über  die  Stirne  und 
Wange  gelegt.  Nun  wird  knapp 
neben  dem  im  Bindehautsaume 
lagernden  Fadenstücke  der 
Homhaufsfich  gleichwie  bei 
der  Iridectomie  gemacht.  Hier- 
auf schürzt  man  den  Faden 
zu  einer  Schlinge  und  geht 
durch  diese  hindurch  mit  der 
Fischer'schen  Pincette  in  die 
Kammer  ein,  fasst  die  Iris 
nahe  am  Pupillarrande  und 
zieht  einen  Theil  derselben 
aus  der  Wunde  (Fig.  36),  wor- 
auf die  Schlinge  zugeschnürt 
und  der  Prolapsus  sonach 
fixirt  wird.  Die  Fadenenden 
werden  dann  selbstverständlich 
mit  der  Schere  abgeschnitten 
(Snellen).  Die  Operation  wird 
am  besten  während  der  Nar- 
kose, jedenfalls  bei  sicher 
üxirtem  Augapfel  ausgeführt.  Der  eine  Assistent  hat  hierbei  eines  der  beiden  Lider 
abgezogen  zu  erhalten  und  mit  der  anderen  Hand  das  eine  Fadenende  anzuziehen, 
wenn  die  Schlinge  zugeschnürt  werden  soll.  Der  Operateur  kann,  während  eine 
Hand  die  Pincette  führt,  mit  dem  Ring-  und  Mittelfinger  der  anderen  Hand  das 
zweite  Lid  fixiren,  gleichzeitig  aber  mit  dem  Zeigefinger  und  Daumen  der  letzteren 
das  zweite  Fadenende  anziehen.  Zur  Fixation  des  Bulbus  gehört  ein  zweiter 
Assistent. 

Die  Nachbehandlung  ist  der  bei  Iridectomie  vollkommen  analog.  Schon  nach 
24  Stunden  fällt  gewöhnlich  die  Schlinge  ab.  Mitunter  jedoch  bleibt  sie  auch  hängen 
und  muss  dann  nach  mehreren  Tagen  künstlich  entfernt  werden.  Die  Reaction  ist 
meistens  eine  sehr  geringe  und  bedingt  kaum  eine  Gefahr. 

Die  Durchführung  des  Fadens  durch  den  Limbus  conjunctivalis  erleichtert 
wesentlich  die  richtige  Anlegung  der  Ligatur  und  macht  die  verschiedenen  Schiingen- 
schnürer  (Schuft,  Förster)  entbehrlich,  welche  man  erfunden  hat,  um  die  Schwierig- 
keiten bei  der  Anlegung  der  Schlinge  mit  freier  Hand  zu  umgehen. 

Leider  gewährt  die  Knotenschlinge  keine  Garantie  gegen  ein  theilweises 
Zwückziehen  des  künstlich  erzeugten  Iris  Vorfalles,  vielmehr  wird  der  Erfolg  der 
Operation  durch  ein  solches  Ereigniss  gar  nicht  selten  gefährdet.  Es  fällt  eben  die 
Schlinge,  besonders  wenn  sie  etwas  kräftiger  zugeschnürt  wurde,  häufig  zu  rasch 
ab,  als  dass  die  betreffende  Irisportion  in  dem  relativ  kurzen  Wundkanale  sich 
schon  hinlänglich  befestigt  haben  könnte,  um  dem  Zuge  der  übrigen  Regenbogen- 
hauttheile  zu  widerstehen.  Der  Umstand,  dass  die  prolabirte  Irisportion  knapp  an 
der  äusseren  Wundöffnung  in  ein  schmales  Bündel  zusammengedrückt  wird,  welches 
den  Wundkaual  nur  zum  kleinen  Theile  ausfüllt  und  der  Verwachsung  blos  schmale 
Flächen  bietet;  weiters  der  Umstand,  dass  der  verhältnissmässig  weite  Wundkanal 
zur  Zeit  des  Schlingenabfalles  kaum  immer  schon  fest  genug  verklebt  ist:  sind 
einem  solchen  theilweisen  Zurückziehen  des  Prolapsus  jedenfalls  sehr  günstig. 


Iriilenkloisis;  iiitnioculäre  Myotoinio;  Iridoctomio  mit,  Exlnictiou  der  Linse. 


305 


Fig.  37 


■=-i-— .1^ 


Es  ergiebt  sich  hierans  die  Malmung,  den  Wundkaiial  möglichst  lange  und 
enge  zu  machen.  Gescliieht  dieses  aber,  so  ist  nach  einer  Reihe  von  einschlägigen 
Versuchen  die  Umschlingung  des  ProLapsus  mit  einem  Faden  ganz  üherflüssig ,  der 
Vorfall  lieilt  rasch  und  jedenfalls  sicherer  als  hei  der  Iridodcsis  ein.  Das  Resultat 
ist  übrigens  dem  einer  gelungenen  Iridodesis  vollkommen  entsprechend  und  dauernd. 

Behufs  der  Iridenldeisis,  oder  der  Einklemmung  eines  künstlich  erzeugten 
Prolapsus  iridis  in  einen  langen  und  engen  Wundkanal,  wird  ganz  so'^vor- 
gegangen  wie  bei  der  Iridecloniie. 
Doch  wird  der  Einstich  etwa  '^/x'" 
von  der  Cornealgrenze  in  der  Leder- 
haut gewählt  und  das  Lanzenmesser 
sehr  schief  nnd  nur  so  weit  vorge- 
schoben ,  dass  die  innere  Wund- 
öifnung  wenig  mehr  als  1'''  Länge 
bekömmt.  Hierauf  wird  mit  der 
Irispincette  die  Regenbogenhaut  nach 
Bedarf  aus  der  Wunde  hervorgezogen 
(Fig.  37),  der  Prolapsus  aber  ein- 
fach liegen  gelassen.  Die  Nachbe- 
handlung   ist    der    nach    Iridectomie 


gleich.  Der  Vorfall  stösst  sich 
nach  mehreren  Tagen  ab;  falls  er 
längere  Zeit  fortbesteht  und  am 
Ende  lästig  wird ,  kann  er  einfach 
abgetragen  werden.  Reaction  folgt  in 
der  Regel  keine. 

3,  Die  intraocidare  Myotomie  oder  Durchschneidung  des  CiUarmuskels  (Hancock, 
Solomon)  soll  eben  so  sicher  und  dauernd  eine  Entsjjannung  der  BuUniswände  nach 
sich  ziehen,  als  die  Iridectomie,  also  überall,  wo  es  sich  um  Verminderung  des 
intraocularen  DriTckes  handelt,  der  Coremorphose  substituirt  werden  können  und 
den  Vortheil  haben,  dass  sie  bei  gleicher  Leistung  gar  keiner  Nachbehandlung 
bedarf  und  ambulatorisch  vorgenommen  werden  kann  (BirkheckJ  und  dass  das  Auge 
weniger  entstellt  wird,  als  durch  die  künstliche  Pupille.  Insbesondere  wird  sie 
mehrseitig  empfohlen  bei  Glaucovi ,  bei  Sclerochorioidalstcqjhj/lomen,  bei  Staphyloma 
posticum  sclerae,  ja  selbst  als  Mittel,  ^xn^\  Asthenopie  und  fortschreitende  Bathi/moiphie 
zu  bekämpfen.  Sie  wird  ausgeführt,  indem  man  ein  Staarmesser  am  unteren  äusseren 
Rande  der  Cornea  mit  nach  hinten  und  unten  gerichteter  Spitze  einsticht  und  an 
dem  Linsenrande  vorbei  bis  in  den  Glaskörper  vordringen  macht.  Nach  Einigen 
soll  die  Fläche  des  Messers  bei  der  Schnittführung  in  der  Ebene  des  Meridianes 
stehen,  so  dass  eine  etwa  l'^'"  lange  meridionale  Wunde  in  der  Scleralvorderzone 
resultirt  (Hancock).  Andere  stellen  die  Klingentlächen  senkrecht  auf  den  Meridian, 
so  dass  die  eine  nach  der  Sclera,  die  andere  nach  dem  Linsenrande  sieht,  können 
also  auch  ein  Lanzenmesser  benützen.  Das  Messer  soll  in  letzterem  Falle  so  tief 
eingesenkt  werden,  dass  eine  2'" — 2^/2'"  lange  Wunde  gebildet  wird  (Solomon). 
Auch  muss  es  langsam  ein-  und  ausgeführt  werden.  Es  entleert  sich  in  der  Regel 
Glaskörpersubstanz.  Die  Operation  soll  schmerzlos  sein  und  keine  starke  Reaction 
im  Gefolge  haben. 

4.  Die  L-idectomie  durch  den  peripheren  Linear  schnitt  mit  Extraction  der 
Linse  (Graefe)  ist  in  Fällen  am  Platze,  in  welchen  derbe  sehnige  Neu- 
bildungen die  hintere  Fläche  der  Iris  überkleiden,  die  Pupille  völlig  obliteriren 
und  mit  der  Kapsel  in  weiterem  Umkreise  verlöthen.  Wo  man  solche 
Pseudomembranen  an  der  Plinterwand  vermuthet,  oder  von  deren  Xov- 
handensein  durch  eine  frühere  misslungene  Iridectomie  Kcnutuiss  gewonnen 
hat,    muss    mittelst   eines    Staarmessers    au  der  oberen  Grenze  der  Cornea 

Stellwag,  Augenheilkunde.  20 


306  Irüleotiimie  mit  dem  peripli.  Lim^arsrliiiitt  u.  Linseiipxtvnotion;  Iridotomie. 

ein  LinearscJmitt,  wie  behufs  einer  Staai'extraction,  gefülu't  werden,  wobei 
jedoch  das  Messer  sogleich  durch  die  Iris  gestossen  und  gegen  die  Contrapunc- 
tionsstelle  geführt  wird.  Selbstverständlich  ist  dann  die  Kapselhöhle  in  der 
Regel  eröffnet  und  es  quillt  bereits  etwas  Linsenmasse  aus  der  Wunde 
heraus.  Es  wird  nun  mit  einer  scharf  fassenden,  quer  gerifften  Pincette 
so  eingegangen,  dass  der  eine  Arm  derselben  vor,  der  andere  hinter  der 
Iris  zu  liegen  kömmt.  Der  gefasste  Theil  wird  etwas  vorgezogen  und 
davon  mit  einer  feinen  geraden  oder  besser  vielleicht  stark  nach  der  Fläche 
gekrümmten  Schere  ein  möglichst  grosser  Zwickel  ausgeschnitten,  worauf 
die  Linse  durch  das  bei  der  Linearextraetion  gewöhnliche  Manöver  ent- 
fernt wird  (Graefe),  Hierauf  wird  ein  Schutzverband  angelegt  und  die 
Nachbehandlung  gleich  wie    nach  einer    einfachen  Staarextraction  geleitet. 

Im  Ganzen  ist  diese  Operation  eine  gefährliche,  weil  sie  fast  immer  mit 
grösstenfheiliger  Entleerung  des  verflüssigten  Glaskörpers  verknüpft  ist,  also  einen 
Collapsiis  biilbi  mit  allen  dessen  Gefabren ,  Gefässberstung-en ,  Netzbantablösnngen 
u.  s.  w.  zur  unmittelbaren  Folge  hat.  Sie  ist  aber  auch  nur  ein  letztes  Mittel  in 
verzweifelten  Fällen,  bei  welchen  nicht  viel  zu  verlieren  ist. 

5.  Die  Iridotomie  oder  einfache  Einschneidung  der  Iris  wird  neuerer 
Zeit  bei  verzweifelter  Iridolcylditis  mit  Abfiachung  des  vorderen  Augenab- 
schnittes und  retroiritischen  Schwarten  nach  Staaroperationen,  überhaupt 
bei  Aphakie,  als  ein  vorzügliches  Verfahren  gerühmt  (Homer).  Sie  kann 
ebensowohl  mit  einem  sichelförmigen  als  mit'  einem  Lanzenmesser  ausge- 
führt werden,  indem  dieses  steil  durch  die  Hornhaut  und  die  Iris  in  den 
Glaskörperraum  eingesenkt  und  sofort  zurückgezogen  wird.  Die  Gebilde 
sind  meistens  retractil  genug,  um  mit  Hilfe  des  in  den  Spalt  sich  vor- 
drängenden Glaskörpers  eine  bleibende  Oeffnung  zu  bilden,  welche  den 
Lichteinfall  gestattet.  Die  geringere  Verletzung,  die  unbedeutende  Blutung 
u.  s.  w.  machen  auch  die  Reactiou  und  die  Neigung  zur  Wiedervei'schliessung 
der  Wunde  geringer,  als  dies  bei  forcirten  Ausschneidungen  eines  Irisstückes 
der  Fall  zu  sein  pflegt. 

Quellen.  Beer,  Lehre  von  den  Augenkrankheiten.  II.  Wien.  1817.  S.  200.  — 
Hinily,  Krankheiten  u.  Missbildungen  d.  m.  Auges.  II.  Berlin.  1843.  S.  127,  156, 
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III.  2.  S.  548;  IV.  2.  S.  271;  VI.  2.  S.  150;  VIII.  2.  S.  261,  262;  IX.  3.  S.  126; 
XII.  2.  S.  159;  XIV.  3.  S.  139,  141,  147.  —  Hasner,  Kl.  Vorträge.  Prag.  1860.  S.  153, 
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Adorlinill  ;  Aii;iioiiiic;  Lainina  fiisc;i ,  V;iscnlosn  u.  C'!io)'ioc;i])ill;ii'is.  307 

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S.  8,  16,  20. 


SECHSTER  ABS(  HNITT. 

Entzündung   der   Aderhaut    und   des    Strahlenkörpers, 

Chorioiditis  und  Kyklitis. 


Anatomie.  Die  Aderhaut,  Chorioidea,  liegt  der  Imienwand  der  Sclerotica 
enge  an  und  ist  lose  mit  derselben  verwachsen.  An  ihrem  hinteren  Umfange 
lässt  sie  durch  das  runde  Foramen  opiicum  chorioideae  den  Sehnerven  durch- 
treten und  hängt  daselbst  durch  elastisch-bindegewebiges  Gefüge,  welches 
in  conceutrischen  Faserzügen  den  Lochrand  umgibt  und  einen  förmlichen 
Ring,  den  sogenannten  Faserring,  bildet,  mit  der  Lamina  cribrosa  und  dem 
Neurilem  des  Sehnerven  innig  zusammen.  Nach  vorne  findet  die  Aderhaut 
eine  imaginäre  Grenze  an  der  Ora  serrata,  allwo  sie  auch  mit  der  Netz- 
haut fest  verwachsen  ist.  Das  Uvealgefüge  setzt  sich  jedoch  über  diese 
Grenze  fort  und  bildet  die  als  Ciliarforlsätze  bekannten  Anschwellungen, 
deren  Summe  als  Strahlenkörper  beschrieben  wird. 

Man  unterscheidet  an  der  Aderhaut  eine  Anzahl  von  Schichten,  welche 
der  Reihe  nach  von  aussen  nach  innen  gezählt  als  äussere  Pigmentschichte 
oder  Lamina  fusca,  als  eigentliche  Gefässlage  oder  Tunica  vasculosa,  als 
Membrana  choriocapiUaris  oder  Ruischiana,  als  Lamina  elastica  oder  Grenz- 
haut und  als   Stratum  pigmenti  oder    Tapet  aufgeführt  werden. 

Die  Lamina  fusca  oder  Suj)rachorioidea  ist  ein  lockeres  flockiges  bräunliches 
bis  schwai-zes  Gewebe,  welches  die  zwischen  Aderhaut  und  Sclera  ziehenden  langen 
Ciliargetasse  und  Nerven  umhüllt  und,  indem  es  aus  der  äusseren  Oberfläche  der 
Aderhaut  hervorgeht  und  theilweise  in  das  innerste  Stratum  der  Sclerotica  eindringt, 
diese  beiden  Häute  mit  einander  verbindet.  Es  besteht  aus  einem  elastischen 
Fasernetze  (Heule)  und  einer  dessen  Lücken  ausfüllendeir  structurlosen  hyalinen 
Intercellularsubstanz.  Eingebettet  in  dieses  Gefüge  findet  sich  eine  grosse  Anzahl 
wahrscheinlich  eingewanderter  Lymphkörner  (C^^erny,  Haase)  und  höchst  mannigfaltig 
gestalteter,  zum  Theile  sternförmiger,  ganz  farbloser  oder  mehr  weniger  pigmentirter 
kernhaltiger  Zellen,  welche  mit  längeren  und  kürzeren,  meist  sehr  zarten,  bisweilen 
anastomosirenden  Fortsätzen  versehen  sind. 

Nach  neueren  Untersuchungen  ist  zwischen  der  Chorioidea  und  der  Sclera 
ein  mit  dem  charakteristischen  Endothel  überkleideter  Lymphraum  gelegen.  Es 
communicirt  derselbe  durch  Lymphwege,  welche  an  den  Wirbelvenen  nach  aussen 
gehen,  mit  dem  Lymphraume  der  Tenon'schen  Kapselhölile,  ist  aber  sonst  völlig 
abgeschlossen  und  steht  in  keiner  Verbindung  mit  den  Kammern,  welche  gleichfalls 
als  ein  Lymphraum  betrachtet  werden  (Schicalhe). 

Die  stets  minder  gefärbte  eigentliche  Gefässlage  und  die  farblose  zarte  Chorio- 
capiUaris stellen  den  eigentlichen  Körper  der  Aderhaut  vor.  Das  Stroma  derselben 
ist  dem  der  Lamina  fusca  ähnlich.  Doch  drängen  sich  die  Zellen  in  der  Tunica 
vasculosa  schon  mehr  zusammen,  werden  grossentheils  farblos,  haben  nur  kurze 
Ausläufer   und   gehen   nach   innen    hin    allmälig    in    ein  ganz  homogenes  oder  leicht 

20* 


308  Aderhaut;  Anatomie;  Greiizhaut;  Tapet;  Strahlenkörper. 

streifiges,  zum  Theile  noch  kernhaltiges  Gewebe  über,  welches  von  gewissen  elasti- 
schen Lamellen  der  innersten  Gefässhaut  nicht  mehr  zu  unterscheiden  ist.  Auf  der 
inneren  Oberfläche  dieses  Stratums,  etwas  eingesenkt  in  dasselbe,  liegt  das  ungemein 
dichte  CapiUarnetz,  welches  der  fraglichen  Schichte  seinen  Namen  gegeben  hat.  Die 
Gefässe  desselben  haben  ein  sehr  gleichmässiges  Caliber  und  ordnen  sich  theilweise 
sternförmig  um  einzelne  Knotenpunkte,  meistens  aber  bilden  sie  ein  feines  Strick- 
werk ohne  deutliche  Mittelpvinkte. 

Die  Lamina  elastica  oder  Grenzliaut  der  Chorioidea  ist  ein  zartes,  vollkommen 
hyalines,  structurloses,  mit  einzelnen  sehr  hellen  Kernen  belegtes  Häutchen,  welches 
in  seinem  Verhalten  den  Glashäixten  ganz  analog  erscheint.  Es  überzieht  die  innere 
Oberfläche  der  Choriocapillaris  ihrer  ganzen  Ausdehnung  nach,  hängt  mit  derselben 
innig  zusammen,  lässt  sich  aber,  besonders  in  macerirten  Aderhäuten,  leicht  in 
grossen  Fetzen  abziehen. 

Es  trägt  auf  seiner  Innenwand  das  Stratum  pigmenti,  das  aus  regelmässig 
sechsseitigen,  dicht  an  einander  gedrängten,  äusserst  dünnwandigen  Zellen  besteht, 
welche  braunschwarze  Pigmentkörner  in  grosser  Menge,  theils  suspendirt  im  flüssigen 
Zelleninhalte,  theils  angelagert  an  die  gegen  die  Netzhaut  sehende  Wand,  enthalten; 
daher  der  Kern  meisthin  nur  als  ein  heller  Fleck  erscheint.  Die  Pigmentkörner 
sollen  an  frischen  Thieraugen  die  Gestalt  länglicher  scharfkantiger  Krystalle  haben 
und  ihre  Axe  senkrecht  auf  die  Oberfläche  der  Netzhaut  kehren  {Frisch).  Die 
Pigmentzellen  werden  durch  eine  feste  zähe  homogene  Bindesubstanz  zusammen- 
gehalten. In  der  Gegend  der  Macula  lutea  stehen  sie  dichter,  ändern  ihre  Form, 
werden  höher  als  breit  und  vimhüllen  zum  Theil  die  Elemente  der  Stabschichte 
der  Netzhaut.  Die  Pigmentkörner  dieser  Zellen  sind  grösser  und  mehr  länglich 
als  in  den  übrigen  Theilen  der  Ader-  und  Regenbogenhaut  (Henle,  RosowJ.  Durch 
Chlor  lassen  sie  sich  bleichen  (Wittich,  Rosow).  Vom  Standpunkte  der  Entwicke- 
hmgsgeschichfe  aus  erscheint  das  Aderhauttapet  als  ein  Theil  der  Netzhaut  (O, 
Ritter,  BabuchinJ. 

Der  Strahlenkörper  (Fig.  2.  k,  S.  54)  ist  eine  unmittelbare  Fort- 
setzung der  Chorioidea,  als  deren  Ciliartheil  er  betrachtet  werden  kann. 
Von  hinten  besehen,  erscheint  er  zusammengesetzt  aus  etlichen  und  siebenzig 
innig  mit  einander  verschmolzenen,  meridionaliter  gelagerten  keulenförmigen 
Anschwellungen,  welche  in  die  von  der  Zonula  gebildeten  Faltenthäler 
eingebettet  sind  und  dieselben  bis  auf  geringe  Distanz  vom  Linsenrande 
ausfüllen.  Ihre  Köpfe  berühren  letzteren  unter  keinen  Umständen  (Arlt, 
0.  Becker).  Es  sind  diese  Anschwellungen,  die  Ciliarfortsätze,  eigentlich 
nur  Falten,  in  deren  vordere  Concavität  sich  der  Ciliarmuskel  einsenkt. 
Die  freie  Oberfläche  derselben  trägt  einen  der  Grenzhaut  der  Chorioidea 
analogen  üeberzug,  auf  dem  ein  Stratum  pigmentirten  Epithels  ruht,  welches 
mit  dem  Ciliartheile  der  Retina  ziemlich  fest  verklebt  ist  und  beim  Abziehen 
des  Kranzes  auf  der  Zonula  haften  bleibt. 

Die  Structur  der  Strahlenfortsätze  ist  jener  der  Aderhaut  sehr  analog.  Es 
lassen  sich  in  ihnen  dieselben  Schichten  nachweisen,  mit  Ausnahme  der  Choriocapillaris, 
welche  an  der  Ora  serrata  endet  und  durch  meridional  ziehende,  verhältnissmässig 
sparsam  verzweigte  Gefässe  ersetzt  wird.  Die  Grundlage  der  Ciliarfortsätze  bildet 
ein  sehr  gefässreiches,  lockig  welliges  Bindegeivebe,  das  in  feine  parallele,  in  meri- 
dionaler  Richtung  streichende  Bündel  geordnet  ist.  Von  der  inneren  Fläche  dieser 
Bindegewebshaut  erheben  sich  schon  in  der  Nähe  der  Ora  schmale  und  niedrige 
Leistchen,  die  sich  vielfach  unter  einander  kreuzen  und  ein  nach  vorne  hin  immer 
feiner  und  enger  werdendes  Gitterwerk,  das  Reticulum  des  Strahlenkranzes,  dar- 
stellen. Ueber  dieses  Maschennetz  hinweg,  allen  Vertiefungen  und  Erhabenheiten 
sich  anschmiegend,  streicht  die  structurlose  Grenzhaut,  welche  ihrerseits  wieder  von 
der  Pigmentschichte  gedeckt  wird.  Die  Zellen  der  letzteren  füllen  die  Gruben  des 
Reticiilum  aus  und  lassen  die  Oberfläche  der  Processus  glatt  und  eben  erscheinen. 
Die  Pigmentkörner  sind  hier  rund  (Rosow). 

Eingebettet  in  die  vordere  Concavität  der  Strahlenfortsätze  lagert  der 
Ciliarmuskel    (Todd-Bowman)    oder    Aderhautspanner    (Brücke,   Fig.    2,    l,   o), 


Ciliarmuskel ;  Ciliargefässe.  309 

welcher  früher  als  Ligamentum  ciliare  beBchrieben  wurde.  Es  stellt  sich 
derselbe  als  ein  ziemlich  dicker  und  breiter,  im  senkrechten  Durchschnitte 
dreiseitig  prismatischer  King  von  weissgrauer  Farbe  dar.  Er  besteht  aus 
glatten  Muskelfaserbündeln,  welche  theils  eine  meridionale  Richtung  haben, 
theils  aber  kreisförmig  verlaufen.  Sämmtliche  Faserzüge  entspringen  in 
Form  eines  dreikantigen  Muskelringes  von  der  Cornealgrenze.  Der  Ansatz 
Avird  durch  Bindegewehe  vermittelt,  welches  sich  in  derbe  Platten  ordnet. 
Nur  ein  sehr  kleiner  Theil  dieser  Platten  steht  mit  der  Descemeti  in  Ver- 
bindung, die  Hauptmasse  geht  unmittelbar  in  die  Hornhautsubstanz  und 
eine  andere  untergeordnete  Portion  in  die  vordere  Scleralgrenze  über.  In 
dem  dreikantigen  Muskelringe  laufen  alle  Faserbündel  meridional,  die  vor- 
dersten oder  äussersten  Bündel  behalten  diese  Richtung  und  schliessen  enge 
aneinander,  eine  dichte,  mehr  weniger  mächtige  Lage  von  Längsfasern  l 
bildend,  welche  sich  an  der  Chorioidea  festsetzt  und  von  der  Lederhaut 
blos  durch  eine  dünne  Schichte  lockeren,  oft  noch  pigmentirten  Bindege- 
webes, einer  Fortsetzung  der  Fusca,  getrennt  wird.  Nach  innen  hin  lösen 
sich  von  dieser  Platte  meridionaler  Faserzüge  die  einzelnen  Bündel  immer 
mehr  ab,  ziehen  mehr  gerade  nach  hinten  oder  nach  hinten  innen,  in  ihrer 
Richtung  der  freien  Oberfläche  der  Ciliarfortsätze  sieh  zuwendend,  treten 
fächerförmig  auseinander,  verflechten  sich  und  bilden  ein  grobes  Maschen- 
werk, dessen  Lücken  vom  Bindegewebe  ausgefüllt  werden.  Bei  dieser 
Verflechtung  wechselt  auch  allmälig  die  Richtung  der  Fasern,  geht  aus 
der  meridionalen  in  die  circuläre  über.  Sie  wird  in  den  vordersten  Zügen 
des  Muskels  und  in  jenen,  welche  den  Muskel  der  Fläche  nach  von  dem 
Gefüge  der  Ciliarfortsätze  abgrenzen,  eine  rein  circuläre;  die  Fasern  streichen 
hier  in  der  Breite  und  vereinigen  sich  wieder  zu  einer  stärkeren  Muskel- 
faserlage, welche  den  Körper  des  ganzen  Muskels  gleich  den  Catheten 
eines  rechtwinkeligen  Dreieckes  nach  vorne  innen  und  nach  hinten  innen 
abgrenzt.  Dazu  kommen  dann  die  MiUler^schen  Kreisfasern  o,  welche  ausser- 
halb des  Muskelkörpers,  vor  der  vorderen  inneren  schmalen  Faserplatte 
mehr  isolirt  lagern,  und  netzförmig  sowohl  unter  sich  als  mit  dem  Haupt- 
muskelköi'per  verbunden  sind.  Die  meridionalen  Fasern  der  äusseren  vorderen 
Platte  ziehen  die  vordere  Chorioidalgrenze  nach  vorne,  erschlaffen  also 
die  Zonula;  die  Kreisfasern  wirken  gleich  einem  Sphincter  iind  ziehen 
die  Theile  gerade  nach  innen,  die  Abspannung  der  Zonula  erhöhend 
{F.  E.  Schnitze,  Iwanoff,  Rollet). 

Die  eigentliche  Chorioidea  wird  vornehmlich  von  den  kurzen  hinteren 
Ciliararterien  versorgt ;  der  CiUarmuskel,  der  Strahlenkörper  und  die  Lris 
aber  von  den  langen  hinteren  und  den  vorderen  Ciliararterien.  Der  grösste 
Theil  des  venösen  Blutes  passirt  die  Wirbelgefässe  der  Aderhaut  und  gelangt 
durch  die  hinteren  Ciliarvenen  zu  den  orbitalen  Geflechten;  ein  kleiner 
Theil  desselben,  und  zwar  besonders  der  aus  dem  CiUarmuskel  rückströmende, 
hat  einen  eigenen  Abfluss   durch  die  vorderen   Ciliarvenen. 

Die  hinteren  Ciliararterien  treten  in  Gestalt  kleiner  verästelter  Stämmchen, 
welche  unmittelbar  von  der  Augenschlagader  kommen,  an  den  Bulbus  heran.  Die 
kurzen  durchbohren  die  Lederhaut  an  ihrem  hinteren  Umfange  in  ziemlich  senk- 
rechter Richtung.  Die  zahlreichsten  und  stärksten  dringen  in  der  Gegend  des 
gelben  Fleckes  ein.  An  der  inneren  Oberfläche  angelangt,  streichen  sie  eine  Strecke 
weit  an  der  Aderhaut  hin,  zertheilen  sich  mehr  und  mehr,  senken  sich  allmälig 
zwischen  die  Wirbelgefässe  der  A^asculosa  und  lösen  sich  endlich  in  der  Chorio- 
capillaris    zu    einem    feinen    Netze    auf.     Die    hintersten    derselben    anastomosiren 


310  Aderhaut;  Anatomie;  Ciliargcfässc;  Sclilemni''adier  Canal. 

reichlich  mit  dem  liinteren  Gefässkranze  der  Sclera  und  den  Nährgefässen  des 
Nervenkopfes ,  stehen  also  mit  den  Netzhautgefässen  in  Verbindung.  Die  mehr 
nach  vorne  gelegenen  Stämrachen  reichen  mit  ihren  Verzweigungen  bis  zur  Ora 
serrata,  ja  einzelne  gehen  über  diese  hinaus  und  vereinigen  sich  mit  dem  arteriellen 
Gezvveige  des  Ciliarmuskels  und  der  Strahlenfortsätze.  Die  zwei  hinteren  langen 
Ciliararterien  dringen  etwas  weiter  nach  vorne  in  die  Sclera  ein,  durchsetzen  die- 
selbe in  sehr  schiefer  Richtung,  ohne  Zweige  abzugeben,  und  laufen  im  horizon- 
talen Augendurchmesser,  je  eine  auf  jeder  Seite,  an  der  äusseren  Aderhautfläche 
gerade  nach  vorne.  Im  Ciliarmushel  spalten  sie  sich  gabiig  und  gehen  seitlich 
abbiegend  zur  vorderen  Grenze  des  Muskels,  um  hier  den  grossen  Gefüsskranz  der 
Iris  zu  bilden.  Die  vorderen  Ciliararterien  kommen  aus  den  Bäuchen  der  vier 
geraden  Augenmuskeln,  durchbohren  deren  Sehnen  und  verästeln  sich  in  der  vor- 
dersten Zone  des  Episcleralgewebes.  Eine  Anzahl  von  Zweigen  tritt  dann  in 
ziemlich  gerader  Richtung  durch  die  Lederhaut  hindurch.  Im  Ciliarmuskel  zerfah- 
ren sie  in  kleinere  und  kleinere  Reiser  und  lösen  sich  endlich  in  ein  Capillarnetz 
auf,  welches  den  Aderhautspanner  durchstrickt.  Ein  Theil  der  Aestchen  verbindet 
sich  mit  solchen  der  langen  hinteren  Ciliararterien  und  vervollständigt  den  Circulus 
arteriosus  major  iridis.  Ein  anderer  Theil  bildet  weiter  nach  hinten  und  zwar 
ungefähr  in  der  Mitte  der  Muskelbreite  einen  zweiten,  oder  unvollständigen  Gefüss- 
kranz, zu  welchem  gleichfalls  das  Gezweige  der  hinteren  langen  Ciliararterien 
beiträgt.  Ein  dritter  Theil  endlich  geht  rüclcläiifig  zur  Chorioidea,  anastomosirt  hier 
mit  Endästen  der  hinteren  hur^xn  Ciliararterien  und  speiset  die  vordere  Zone  der 
Choriocapillaris  mit  arteriellem  Blute  (Leher). 

Die  Venen  streichen  in  der  Vasculosa  der  Aderhaut  strahlig ,  doch  mit  vor- 
waltend meridionalem  Zuge,  gegen  gewisse  Punkte  hin  und  bilden  solchermassen 
die  bekannten  Wirhel,  von  welchen  man  ö — 6  grosse  und  1 — 6  kleinere  zählt. 
Die  Stämmchen,  in  welchen  sich  die  einzelnen  Vortices  sammeln,  durchbrechen  die 
Sclera  in  sehr  schiefer  Richtung,  vereinigen  sich  innerhalb  der  Emissarien  mit  an- 
deren nachbarlichen  Stämmchen  und  treten  endlich ,  etwa  6  an  der  Zahl ,  am 
Augengleicher  in  die  Orbita  heraus,  um  in  die  beiden  Venae  ophthahnicae  zu  mün- 
den. Selten  communiciren  sie  direct  mit  dem  Sinus  cavernosus,  stehen  dann  aber 
sowohl  unter  sich  als  mit  den  beiden  vorgenannten  Blutadern  in  Verbindung 
(Sesemann).  Die  zarten  Venen,  welche  aus  dem  hinteren  Umfange  der  Lederhaut 
herauskommen ,  gehören  lediglich  dieser  an  und  haben  Iceine  Zuflüsse  aus  der 
Chorioidea.  Sie  entsprechen  also  nicht  den  hinteren  kurzen  Ciliararterien.  In 
gleicher  Weise  fehlen  lange  hintere  Ciliarvenen.  Alles  durch  die  Wirbelgefässe 
strömende  Blut  ist  durch  Capillaren  gegangen;  ein  unmütelhares  Umbiegen  von 
Arterien  in  Venen  (Brücke)  ündet  im  Bereiche  der  Uvea  nicht  statt.  Die  Haupt- 
quelle für  die  fraglichen  Adersterne  ist  selbtsverständlich  die  Choriocapillaris. 
Doch  liefern  auch  die  Regenbogenhaut,  die  Strahlenfortsätze  und  der  Ciliarmuskel 
sehr  erhebliche  Zuflüsse.  Von  der  Iris  geht  kein  Venenblut  direct  durch  die  vorderen 
Ciliarvenen,  vielmehr  verflechten  sich  deren  abführende  Gefässe  särnmtlich  mit 
jenen  der  Strahlenfortsätze  zu  einem  groben  Netze,  das  unterhalb  des  Muskels  zur 
Aderhaut  hinzieht  und  sich  hier  mit  den  vorderen  Strahlen  der  Wirbelgefässe  ver- 
knüpft. Es  nimmt  dieses  Netz  jedoch  auch  Venenäste  aus  dem  Ciliarmuskel  auf, 
dessen  Blutadergeflechte  den  grössten  Theil  ihres  Inhaltes  auf  directem  Wege  durch 
die  Vorderzone  der  Sclera  nach  aussen  senden.  Es  treten  nämlich  aus  dem  Muskel 
zahlreiche  Stämmchen  in  die  Lederhaut  und  verbinden  sich  innerhalb  derselben 
theilweise  zu  dem  Plexus  ciliaris  venosus  p  (fälschlich  Canalis  Schiemmi  genannt), 
theilweise  aber  durchsetzen  sie  die  weisse  Augenhaut  in  gerader  Richtung  durch 
selbstständige  Emissarien.  Die  sämmtlichen  an  der  vorderen  Bulhuszone  heraustre- 
tenden Blutäderchen  werden  als  vordere  Ciliarvenen  beschrieben.  Sie  stehen  mit 
den  vorderen  Scleralgefässen,  so  wie  mit  den  Geflechten  der  Cpnjunctiva  und  Cornea 
in  Verbindung.  Unter  normalen  Verhältnissen  entleeren  die  vorderen  Ciliarvenen 
also  in  überwiegendem  Masse  ))los  Venenblut  aus  dem  Aderhautspanner ,  aus  den 
übrigen  Theilen  vermitteln  sie  nur  dann  einen  beträchtlicheren  Abfluss,  wenn  der 
Strom  in  den  Stämmen  der  Wirbelgefässe  gestaut  ist  (Leber).  Der  jüngst  sehr  her- 
vorgehobene Zusammenhang  der  Venae  vorticosae  mit  den  Venen  der  Cornea 
(Winther)  ist  jedenfalls  ein  sehr  entfernter,  mittelbarer. 

Die  arteriellen  Gefässe  der  Aderhaut  führen  eine  verhältnissmässig  mächtige 
Ringmuskelschic] de.  Ausserdem  ist  ihre  Adventitia  von  Bündeln  muscularer  Faser- 
zellen    gesäumt.     An    den    langen    hinteren    Ciliararterien    stehen    diese   Bündeh  in 


Ciliarnorven ;  Augeiisiiiogt'Uiild.  311 

flirectem  Zusammenhange  mit  dem  Adcrhautspannei-.  Im  hinteren  Theile  der  Chorioidea 
anastomosiren  sie  gcgenseitio;  netzartig-  (II.  Müller).  Neuerer  Zeit  wird  das  Vor- 
kommen chorioidaler  Muskelfasern  wieder  stark  bezweifelt  (F.  E.  ächuU-:e,  Ilippel, 
GnlnhagenJ. 

Die  Ciliarnerven  (S.  9)  verzweigen  sieh  in  ihrem  Tjaufe  durch  die  Lamina 
fusca  sehr  stark  und  geben  selbst  rilclcuHiit.s  streichende  Aestchen  ab,  welche 
theiis  dunkelrandige,  theils  blasse  Primitivfasern  enthalten.  Sie  hängen  mit  einem 
Netze  blasser  Fasern  zusammen,  welches  vorzugsweise  in  der  hinteren  Hälfte  der 
äusseren  Pigmentschichte  lagert  und  dessen  feinste  Aeste  sich  in  den  Arterien  zu 
verlieren  scheinen.  In  diesem  Netze,  sowie  in  den  Stämmen  der  Ciliarnerven  finden 
sich  zahlreiche  kleine   GaiKjlien  eingestreut  (IL  Müller,  Schweigger). 

Ophthalmoskopische  Erscheinungen.  Die  Aderhaut  bestimmt  ver- 
möge ihres  reichen  Gehaltes  an  Bhit  und  dunklem  Pigmente  die  Farbe 
des  AugengTundes  im  ophthalmoskopischen  Bilde.  Es  ist  diese  in  der 
Eegel  ein  helles  Gelbroth  (Fig.  ^1)  mit  einer  mehr  oder  weniger  auffälligen 
Beimischung  von  Braun,  Die  gelbrothe  Farbe  ist  Reflex  des  in  den 
Gefässen  der  Vasculosa  und  Choriocapillaris  circulirenden  Blutes,  die  bräun- 
liche Beimischung  aber  rührt  von  dem  Stratum  pigmenti  und  zum  Theile 
auch  von  dem  Farbestoff  der  eigentlichen  Chorioidea  her.  Sie  macht  sich 
um  so  deutlicher  bemerkbar,  je  reicher  der  Pigmentgehalt  der  Chorioidea 
ist.  Während  der  Augengrund  bei  Hellblonden  sehr  licht  gelbroth  erscheint, 
zeigt  er  bei  dunkelhaarigen  Individuen  mit  brauner  oder  schwarzer  Iris 
meistens  einen  hell  braunrothcn  Ton.  Die  Art  der  Beleuchtung  und  die 
Qttalität  des  verwendeten  Lichtes  ist  dabei  von  grösstem  Einflüsse.  Im 
umgekehrten  Bilde  erscheint  die  Farbe  dunkler,  als  im  aufrechten  und  am 
hellsten,   wenn    Tageslicht  benützt  wird. 

Das  Pigmentstratum  erweiset  sich  soliin  als  diaphan,  was  sich  daraus  er- 
klärt, dass  die  Pigmentmoleküle  innerhalb  der  Zellen  nicht  dicht  gehäuft  sind  und 
dass  die  Pigmentzellen  durch  eine ,  wenn  auch  sehr  sparsame  pellucide  Inter- 
cellularsubstanz  von  einander  getrennt  werden,  somit  Zwischenräume  bestehen, 
durch  welche  das  Licht  in  jeder  beliebigen  Richtung  zu  passiren  vermag.  Je 
dichter  die  Pigmentkörner  in  der  Zellenhöhle  an  einander  gedrängt  sind,  je  grösser 
ihr  Massenverhältniss  gegenüber  dem  flüssigen  Zelleninhalte  ist,  um  so  mehr  muss 
natürlich  die  Durchscbeinbarkeit  des  Tapetes  sinken  und  dessen  Farbe  im  ophthal- 
moskopischen Bilde  zur  Geltung  kommen.  In  der  That  zeigt  sich  der  Augengrund 
bisweilen  fast  schivarz  mit  einem  darül:)er  schwebenden  bläulichen  Hauche,  welcher 
von  der  Netzhaut  herrührt.  Bei  Negern  ist  dies  besonders  auffällig  (Liebreich). 

Sehr  häufig  trifft  man  bei  schwarzhaarigen  Individuen  mit  dunkler 
Hautfarbe  den  Augengrund  getäfelt  (Fig.  G,  B,  S).  Es  rührt  dieses  von 
stäi'kerer  Pigmentirung  des  Aderhautstroma's  und  vermindertem  Farbstoffge- 
halte des  Tapetes  her  (Mauthner).  Indem  nämlich  das  pigmentführende 
Aderhautstromä  nur  in  den  Maschen  der  grösseren  Geftisse  in  reichlicher 
Menge  vertreten  ist,  zeigt  sich  der  Augengrund  als  ein  Gitterwerk  von 
breiten  verschlungenen  rothen  Bändern,  dessen  Lücken  von  eckigen  Flecken 
mit  körniger  Grenze  ausgefüllt  werden.  Diese  Flecke  wechseln  in  ihrer 
Farbe  von  hellem  Braun  bis  zum  dunkelsten  Schioarz.  In  der  Gegend  der 
Macula  lutea  sind  sie  kleiner,  mehr  rundlich  eckig,  gegen  die  Vorder- 
grenze der  Aderhaut  hin  jedoch  wachst  ihr  Umfang  und  sie  werden  gestreckt 
mit  meridionaler  Längsaxe.  Die  regelmässige  Anordnung  dieser  Flecke 
ixnd  deren  genaue  Einfügung  in  die  Maschen  des  Venengezweiges  lassen 
Verwechselungen  mit  krankhaften  Zerwerfungen  des  Pigmentes  nicht  leicht 
aufliommon. 

Uebrigens  gehört  es  nicht  zu  den  Seltenheiten,  dass  unter  ganz  normalen 
Verhältnissen    an  den   verschiedensten  Stellen    des  Augengrundes,    namentlich    um 


312  Aderhaut;  Senile  Veränderungen. 

den  Sehuerveneintritt  hervim,  sich  die  Stromazellen  häufen  und  einzehie  uni-egel- 
mässige,  körnig  begrenzte  dunkle  Flecke  bilden.  Die  Gegend  der  Macula  lutea  ist 
in  der  Regel  etwas  tiefer  gefärbt  und  mitunter  sogar  sehr  auffällig  ins  Braune 
schattirt. 

Senile  Veränderungen  treten,  gleichwie  in  anderen  Körperth eilen, 
so  anch  in  der  Aderhant  bei  verschiedenen  Individuen  bald  früher  bald 
später  ein,  erreichen  in  gleichen  Altersperioden  bald  niedere  bald  höhere 
Grade  der  Ansbildnng  nnd  kommen  fast  vollständig  überein  mit  einfacher 
Atrophie,    wie    selbe    so    häufig  durch  krankhafte  Processe  begründet  wird. 

Das  Gefüge  der  Aderhaut  und  der  Strahlenfortsätze  wird  dabei  steifer, 
brüchiger,  trockener;  einzelne  der  grösseren  Gefässstämme  werden  oft 
atheromatös  entartet  und  auch  völlig  obliterirt;  die  CapiUarnetze  veröden 
häufig,  namentlich  in  der  Choriocapillaris,  streckenweise;  die  Grenzhaut 
erscheint  an  einzelnen  Stellen  oder  im  ganzen  Umfang  der  Chorioidea 
verdickt,  von  choloiden  Auflagerungen  rauh  und  trübe,  und  in  merklichem 
Grade  spröde.  Am  autFälligsten  leidet  aber  das  Pigment.  Es  ändert  das- 
selbe allmälig  seine  Farbe,  bleicht  und  geht  theilweise  zu  Grunde.  Das  Tapet 
wird  solchermassen,  durchscheinender,  daher  denn  auch  das  oben  erwähnte 
Getäfel  des  Aderhautstroma  in  senilen  und  atrophirenden  Augen  ganz 
besonders  deutlich  hervorzutreten  pflegt.  Vermöge  der  Wandlungen  und 
theilweisen  Auflösung  der  Farbestoffkörner  zeigt  es  sich  häufig  in  lichteu 
Schattirungen  des  Braun.  Bei  weiter  gediehener  Involution  geht  es  in 
den  Zellen  des  Stroma  und  des  Tapetes  wohl  grösstentheils  unter  und  man 
findet  die  Aderhaut  auf  grösseren  oder  geringeren  Strecken  gleichmässig 
schmutzig  grauweiss  gefärbt  und  so  diaphan,  dass  die  unterliegende  Leder- 
haut bloszuliegen  scheint  (Wedl,  H.  Müller).  Es  machen  sich  diese  V^er- 
änderungen  im  Augenspiegelhilde  selbstverständlich  geltend  und  modificiren 
dasselbe  in  der  mannigfaltigsten  Weise. 

Die  Stromazellen  erhalten  sich  gewöhnlich  sehr  lange.  Doch  erscheint  ihr 
Inhalt  oft  getrübt  und  von  Fettmolekülen  durchsetzt.  Der  Farbstoff  ist  dann 
meistens  sehr  verblasst  oder  fehlt  gänzlich.  Zwischen  den  Zellen  zeigen  sich 
häufig  ausgebreitete  Lager  freier  Fettkörnchen,  ausnahmsweise  wohl  auch  zerstreute 
Choloidkugeln.  Die  athei'omatösen  Gefasse  werden  oft  schon  mit  freiem  Auge  als 
dicke  verzweigte  rigide  weisse  Stränge  erkannt.  Sie  laufen  bisweilen  in  athero- 
matöse  Netze  aus,  fehlen  jedoch  nicht  selten  ganz.  Ihre  Wandungen  erscheinen 
sehr  verdickt,  faserig  und  mit  Fett  und  Kalksalzen,  oft  auch  mit  Pigment  durchsetzt. 

Die  Choriocapillaris  ist  oft  auf  weite  Strecken  blutleer.  Die  Capillaren  er- 
scheinen in  ihr  häufig  zusammengefallen  und  auf  ein  ganz  schwach  markirtes  un- 
regelmässiges Netzwerk  reducirt ,  welches  sich  kaum  abhebt  von  der  zwischen- 
gelagerten feinkörnigen  structurlosen  und  oft  fetthaltigen  Molecularmasse.  In  ande- 
ren Fällen  treten  die  unwegsamen  Gefässreste  noch  sehr  deutlich  heraus  als  ein 
zartes  nettes  Balkenwerk,  welches  bald  das  Ansehen  hat,  als  wäre  es  aus  Binde- 
gewebe geflochten,  bald  aber  jeder  Structur  entbehrt  und  aus  Strängen  einer  homo- 
genen, das  Licht  stark  brechenden  Substanz  gewoben  scheint.  Immer  hängen  diese 
Netze  sammt  der  molecularen  Zwischensubstanz  der  Elastica  fest  an. 

Die  Verdickung  der  Grenzhaut  erweiset  sich  als  die  Folge  einer  abnormen 
Auflagerung  hyaliner  Massen,  welche  ursprünglich  weich  sind,  aber  allmälig  er- 
starren und  dann  in  ihrem  ganzen  Verhalten  mit  der  Grenzhaut  selber,  mit  welcher 
sie  ein  Continuum  bilden,  übereinkommen.  Es  sind  diese  Auflagerungen  bald  mehr 
diffus,  mit  welliger  Oberfläche,  bald  formiren  sie  kugelsegmentähnliche,  mehr 
weniger  dicht  gedrängte  Drusen  oder  selbst  gestielte  stalaktitenähnliche  Auswüchse, 
welche  dem  freien  Auge  den  Eindruck  von  feinen  Sandkörnern  machen,  meistens 
durchscheinend  sind,  oft  aber  auch  Kalkkörnchen  und  Pigmentmoleküle  enthalten, 
welche  sie  bedeutend  trüben.  Sie  heben  die  überlagernden  Pigmentzellen  empor 
und  schieben  sie  zur  Seite ,    so  dass  ihr  Fuss  oft   wallartig  von  Pigment  umsäumt 


Chorioiditis ;  Nosologie.  313 

erscheint  niid  das  Pigmentstratum  ein  reticulirtcs  Avissehen  gewinnt.  Sehr  oft  macht 
sich  diese  Alteration  im  ganzen  Umfange  der  Grenzhant  bemerklich.  In  anderen 
Fällen  ist  sie  auf  einzelne  Partien  derselben  beschränkt.  In  vielen  Fällen  erscheint 
sie  an  den  Lauf  der  Gefässe  gebunden,  indem  sie  besonders  mächtig  in  den 
Zwischenräumen  der  Stämme  der  Vasculosa  hervortritt.  Sie  veranlasst  so  im 
Verein  mit  der  Pigmentmetamorphosc  die  auffälligen  reticulirten  Figuren  an  der 
inneren  Aderliautoberfläclie.  An  dem  elastischen  Ringe  des  Foramen  opticum 
chorioideae  und  ebenso  am  Reticnlum  des  Strahlenkörpers  pflegt  sie  sehr  deutlich 
ausgesprochen  zu  sein  und  namentlich  letzterem  ein  ganz  drusig-warziges  Aus- 
sehen zu  geben  (Wedl,  Donders,  H.  Mülle?').  Bisweilen  kann  man  die  rundlichen 
Lücken,  welche  diese  kugeligen  Auflagerungen  auf  die  Grenzhaut  durch  Verdrän- 
gung des  Pigmentes  verursachen ,  auch  ophtiialmoskopisch  erkennen.  Bei  sehr 
reichlicher  Eutwickelung  stellen  sie  eine  fein  reticulirte  Zeichnung  mit  rundlichen 
Maschen  dar  (Liehreich). 

Die  Zellen  des  Tapetes  sind  mehr  weniger  weit  in  der  Verfettigung  vorge- 
schritten. Ihr  Pigment  ist  au  den  helleren  Stellen  schon  auffällig  vermindert  und 
überdies  ins  Lichtbraune,  Lohfarbige,  Rostgelbe  etc.  verfärbt.  Zwischen  den  Pig- 
mentmolekülcn  treten  dann  die  Fettkörnchen  des  Zelleninhaltes  deutlich  heraus. 
Streckenweise  fehlt  in  den  Zellen  das  Pigment  ganz  und  wird  von  Fett  ersetzt. 
An  einzelnen  Zellengruppen  sind  bisweilen  schon  die  polygonalen  Begrenzungen 
der  Zellen,  vielleicht  durch  Berstung,  verloren  gegangen.  An  anderen  Gruppen 
fehlt  der  Zellenkörper  und  der  Kern,  die  Umrisse  der  Zellen  aber  haben  sich  als 
ein  zartes  polygonales  Netzwerk  erhalten,  welches  der  Grenzhaut  fest  anhängt. 
Auf  weiten  Strecken  ist  wohl  auch  die  letzte  Spur  der  Zellenwaudungen  beseitigt, 
die  Grenzhaut  liegt  Mos,  oder  ist  nur  mehr  von  freien  Pigmentkörnern  oder  von 
Fettkügelchen  bestreut. 

Im  Bereiche  der  Strahlenfortsätze  und  des  CiUarmusTcels  werden  ganz 
analoge   Veränderungen  beobachtet. 

Auch  hier  ist  die  Verfettigung  der  Stroma-  und  muscularen  Faserzellen,  die 
Rarefication  und  Verblassung  des  Pigmentes ,  die  atheromatose  Entartung  der  Ge- 
fässe, die  Ablagerung  choloider  Massen  in  das  Gefüge  sehr  deutlich.  Dazu  kömmt 
eine  sehr  auffällige  Verdichtung  und  Massenzunahme  des  Retictdum,  dessen  Leist- 
chen an  Höhe  und  Dicke  beträchtlich  wachsen  und  der  Innenwand  des  Strahlen- 
körpers oft  ein  drusig  warziges  Aussehen  geben.  Häufig  kommt  es  auch  zur  Ein- 
und  Auflagerung  von  Kalksalzen,  bisweilen  in  solchem  Masse,  dass  dadurch  die 
Maschen  der  Leistchen  ganz  ausgefüllt  werden  (H.  Müller,    Wedl). 

Nosologie.  Die  Chorioiditis  und  Eylditis  sind  fast  immer  blos  Theile 
eines  über  grössere  Abschnitte  oder  über  den  gesammten  Bulbus  ausgebreiteten 
Processes.  Am  aufTälligsten  pflegt  sich  die  entzündliche  Mitleidenschaft 
des  Glaskörpers  und  der  Retina  zu  offenbaren,  häufig  tritt  auch  jene  der 
Iris  und  der  Linse  sehr  deutlich  heraus,  weniger  oft  aber  jene  der  Leder- 
haut. Gemeiniglich  schlagen  die  entzündlichen  Veränderungen  der  Nachbar- 
organe in  dem  Masse  vor,  dass  sie  für  das  Gesammtbild  der  Krankheit 
geradezu  bestimmend  werden.  Die  älteren  Augenäi'zte  pflegten  darum 
nicht  sowohl  von  Chorioiditis  i;nd  Kyklitis,  als  vielmehr  von  inneren 
Ophthalmien  zu  sprechen  und  selbe  je  nach  dem  vorwiegenden  Sitze  und 
nach  ihrer  Ausdehnung  in  vordere,  hintere  und  allgemeine  zu  unterscheiden. 
Die  modernen  Xamen  Iridokyklitis ,  L-idochorioiditis,  Chorioiditis  und  Panoph- 
thalmitis  sind  in  ihrer  durch  Uebereinkommen  festgestellten  Bedeutung  jenen 
Bezeichnungen  nahezu  gleichwerthig. 

Das  constante  Hinausgreifen  des  entzündlichen  Vorganges  über  die 
Grenzen  der  Aderhaut  und  des  Strahlenkranzes  ist  zum  Theile  in  dem 
innigen  anatomischen  Verbände  begründet,  in  welchem  das  Gefüge  und  die 
Gefässe  der  Uvea  mit  jenen  der  Nachbarorgane  stehen.  Zum  anderen 
Theile    aber    ist    es    eine    natürliche  Folge  der   Störungen  des  regulatorischen 


b  1 4  Chorioiditis :  Nosologie ;  Seröse  Foiin. 

Einflusses  (S.  3),  welchen  die  Aderhaiit  und  der  Strahlenkörper  anf  die 
gesammte  Blutströmung  und  mittelbar  durch  diese  auf  die  Ernahrungs- 
verhältnisse  im  Liueren  des  Augapfels  ausüben. 

-4,  Die  Gewebswucherung  ist  im  Inneren  der  entzündeten  Chorioidea 

und  des  Strahlenkranzes  meisthin  eine  sehr  loenig  productive,  so  zwar,   dass 

deren    Ergebnisse    nur    mit    dem    Mikroskope  ersichtlich  gemacht    werden 

können.      Man    hat    solchen    Entzündungen    einen    vorwiegend   secretorischen 

Charakter    beigemessen   und   sie  seröse  genannt,  indem  man  annahm ,    dass 

ein  seröses  oder  gelatinöses  Product  durch  die  ISTetzhaut  in  den  Glaskörper 

übertrete. 

Die  Stromazellen  zeigeu  sich  Lierbei  iu  der  Regel  wenig  verändert,  höchstens 
findet  man  sie  streckenweise  etwas  aufgebläht;  ihr  flüssiger  Inhalt  erscheint  ge- 
trübt oder  gar  mit  Fettkügelchen  durchsetzt,  während  der  Farbstoff  abgenommen 
hat  lind  verblasst  ist.  Nur  ausnahmsweise  hat  man  in  ihnen  eine  Mehrheit  von 
sprossenden  und  sich  theilendeu  Kernen  gesehen.  In  einzelnen  Fällen  jedoch 
wachsen  sie  gruppenweise  aus  und  werden  durch  Vermehrung  ihres  Pigmeutge- 
haltes  dunkler  gefärbt,  oder  sie  gehen  im  Gegentheile  zu  Grunde.  Daneben  hat 
mau  häufig  Gruppen  von  wahrscheinlich  eingewanderten,  zum  Theil  prulificirendeu 
Lymphkörpern  beobachtet,  die  haufenweise  im  Parenchyme  lagerten  oder  in  Züge 
geordnet  den  ausgedehnten  und  oft  theilweise  atheromatösen  Gefässen  folgten.  Sie 
sind  manchmal  stark  pigmentirt.  In  der  Choriocapillaris  sind  die  Capillaren  gewöhn- 
lich stark  erweitert ,  zum  Theile  sackartig  ausgedehnt.  Die  Zwischensubstanz  er- 
scheint von  Lymphkörpei'n  und  Fettmolekulen  durchstreut.  Die  Gvenzhaut  ist 
meistens  verdickt,  trüb,  mit  Choloidmassen  überkleidet.  Die  Tapetzellen  verfettigeu 
öfters  und  büssen  theilweise"  ihren  Farbestoffgehalt  ein,  oder  derselbe  bleicht,  wird 
ins  Hellbraune  oder  Gelbe  verfärbt.  In  Folge  der  Zerstörung  ihrer  Wände  sieht 
man  in  sjydteren  Perioden  häufig  Gruppen  freier  Kerne  so  wie  freier  Farbestoff- 
körner an  der  Oberfläche  der  Lamina  elastica.  Es  nehmen  übrigens  die  Tapetzellen 
gar  nicht  selten,  wenigstens  streckenweise ,  directen  Antheil  an  dem  Wucherungs- 
processe  (Luhinslci).  Sie  wachsen  unter  mehr  weniger  üppiger  Kerntheilung  aus 
und  vermehren  sich  unter  Beihilfe  der  Einwanderung  bisweilen  sehr  beträchtlich. 
Die  jungen  Zellen  pflegen  sich  dann  an  einzelnen  Orten  zu  häufen,  während  sich 
die  alten  ringsum  in  den  verschiedensten  Phasen  der  Prolification  befinden.  Sie 
erscheinen  kleiner,  sind  meistens  oval,  seltener  rund  oder  eckig.  Ihr  Pigmentgehalt 
wechselt  ausnehmend,  ist  bald  sehr  reichlich,  bald  spärlich,  bald  fehlt  er  ganz. 
Die  Farbestofl'körner  sind  in  Gestalt  und  Grösse  sehr  wandelbar  (Eosoic).  Im 
Strahlenkranze  bedingt  die  Wucherung  der  bindegewebigen  Grundlage  ausserdem 
eine  sehr  aufi'ällige  Entwickelung  des  Eeficulum.  Am  dliarmuskel  äussert  sich  der 
Process  durch  Kerntheilung  und  Fettablagerung  in  den  Faserzellen,  sowie  durch 
mehr  minder  massenhafte  Einwanderung  von  Lymphkörpern  in  die  bindegewebige 
Intercellularsubstanz  und  durch  deren  seröse  oder  gelatinöse  Infiltration.  Die  darin 
streichenden  Ciliarnerven  zeigen  gewöhnlich  in  ihrer  Jseuroglia  mehr  w^eniger 
massenhaft  angehäuft  junge  Zellen.  Oft  ist  ihre  Markscheide  schon  zu  Grunde 
gegangen,  in  Tropfenfoi'm  oder  als  molekulare  Masse  neben  den  nackten  Axeu- 
cylindern  zu  sehen  (Wedl,  Schiceigger,  Iwanoff). 

Die  weitere  Gestaltung  des  Processes  hängt  zumeist  von  den  Circulations- 
verhältnissen  im  Binnenstromgebiete  ab.  Ist  der  venöse  Rückfluss  in  irgend 
einer  Weise  beengt  oder  auch  nur  die  Beschleunigttng  desselben  bei  ein- 
tretendem Bedarfe  gehindert,  so  muss  mit  jeder  arteriellen  Pulswelle  das 
Quantum  des  im  Inneren  des  Bulbus  kreisenden  Blutes  um  ein  Kleines 
wachsen  und  der  Binnendruck  sich  einem  gewissen  Maximum  nähern,  auf 
welchem  er  dem  effectiven  Seitendrucke  des  Schlagaderblutes  während 
der  Arteriendiastole  entspricht.  Es  gewinnt  dann  der  Process  ein  eigen- 
thümliches  Gepräge ,  indem  schliesslich  sämmtliche  Gebilde  des  Aug- 
apfels in  Mitleidenschaft  gezogen  werden,  er  trägt  fortan  den  glaucomatösen 
Charakter. 


Glaxicoinatöser  Procoss;  Excavatio  glaucomatosa. 


315 


Der  auf  den  Ciliavncrven  lastende  höhere  Druck  und  viellciclit  auch 
eine  abnorme  Spannung-  derselben  bedingt  nämUch  LeUungshemmwxjen, 
welche  in  der  verminderten  runctionstüclitigkGit  der  betretfenden  Tlieile, 
insbesondere  in  der  Anästhesie  der  Hornhaut  und  bisweilen  selbst  in  ncuro- 
paralytischen  Verschwärungen  derselben  zum  Ausdrucke  kommen.  Mit  der 
Zunalime  der  Kapselspannung  sinkt  weiters  die  disponible  Q,uotc  der  elastischen 
Dehnbarkeit  und  der  regulatorische  Eintluss,  welchen  Cornea  und  Hclera 
auf  die  Bimienströme  ausüben,  es  wird  der  Elutlauf  ungleichmässig  und 
bekundet  dieses  durch  das  Auftreten  oder  wenigstens  die  Neigung  zu 
Pidsphänomenen.  Die  vermehrten  Widerstände,  welche  der  arterielle  Blut- 
strom findet,  bedingen  eine  Verlangsamung  des  Blutwechsels  in  den  feinsten 
Capillaren  und  damit  eine  weitere  Herabsetzung  der  functionellen  Energien, 
schliesshch  aber  auch  die  Neigung  zum  Schwunde.  Die  Venenstauung  be- 
günstigt eine  Steigerung  der  Filtration  und  die  vermehrte  Auswanderung 
weisser  Blutkörperchen;  es  trüben  sich  die  dioptrischen  Medien  und  in  den 
bluthältigen  Organen  sammeln  sich  streckenweise  entzündliche  Producte. 
Dabei  nimmt  der  Glaskörper  entsprechend  dem  überwiegenden  Gefässgehalte 
der  Aderhaut  merklich  an  Masse  zu,  während  das  Kammerwasser  in  Folge 
vermehrter  Transfusion  durch  die  Hornhaut  (S.  5)  vermindert,  der  Kammer- 
raum also  verengert  wird. 

Uebersteigt  der  intraoculäre  Druck  eine  gewisse  Höhe,  so  wird  auch 
der  am  wenigsten  widerstandskräftige  Theil  der  Bulbuskapsel,  die  Siebhaut, 
nach  hinten  gedrückt,  ausgedehnt  und  die  nachbarliche  hinterste  Zone  der 
inneren  Scleralschichten  nachgezerrt,  es  entwickelt  sich  die  charakteristische 
glaucomatöse  Excavation  und  der  dazu  gehörige,  aus  der  Dehnung  und 
schliesshchen  Atrophie  des  hintersten  Aderhautgürtels  zu  erklärende  soge- 
nannte Bindegewebsring . 

Die  Excavation  der  Sehnervenpapille  ist  anfänglich  oft  eine  partielle, 
begründet  durch  das  Zurückweichen  eines  kleineren  oder  grösseren  Ab- 
schnittes der  Peripherie  des  Sehnerveneintrittes.  Bei  völliger  Entwickelung 
ist  sie  immer  eine  totale,  wodurch  sie  sich  wesentlich  von  den  angeborenen 
Excavationen  unterscheidet.  Der  Sehnerveneintritt  ist  nämlich  seiner  ganzen 
Fläche  nach  zurückgedrängt  und  präsentirt  sich  als  eine  mehr  weniger 
tiefe  Grube  (Fig.  38,  nach 
Ed.  Jaeger)  mit  mulden- 
förmig ausgehöhltem  Grunde 
und  steilen,  mitunter  selbst 
überhängenden  Rändern  a, 
die  unter  einem  sehr  ausge- 
prägten abgerundeten  Win- 
kel in  die  concave  Fläche  des 
AugengTundes  einbiegen. 
Die  Wandung  dieser  Grube 
wird  durch  die  ansehnlich 
ausgedehnte  und  nach  hinten  gedrängte  Lamina  cribrosa  gebildet.  Ueber 
dieser  finden  sich  als  ein  dünner  Belag  h  bisweilen  stellenweise  Züge  von 
Nervenfasern ,  welche  in  die  Retina  übergehen ;  in  der  Regel  aber  sind 
daselbst  die  Sehnervenfasern  ganz  untergegangen  und  werden  durch  eine 
zarte  Schichte  von  Bindegewebe   ersetzt,  welches   dem  Boden  und   den  Wän- 


Fig.  38. 
a    c         h 


316  Chorioiditis:  Nosologie;  Iridokyklitis :  Iridochorioiditis. 

den  der  Grube  fest  anhaftet  und  mit  den  atrophirten  Vorderschichten  der 
Netzhaut  im  Zusammenhange  steht.  In  diesem  Bindegewebe  ziehen  die 
Aeste  der  Centralgefässe  c  imd  werden  an  die  Wandungen  der  Excavation 
festgelöthet ,  daher  sie  in  ihrem  Verlaufe  eine  doppelte  Knickung  erleiden. 
Einzelne  dieser  Aeste  werden  im  späteren  Verlaufe  des  Processes  gerne  in 
der  vorhin  geschilderten  Weise  verändert  oder  verschwinden  ganz ,  ja  es 
kommt  vor,  dass  alle  IIav;ptstämme  im  Bereiche  des  Sehnerveneintrittes 
untergehen.  Als  Ersatz  findet  sich  in  letzterem  dann  gewöhnlich  eine  wan- 
delbare Anzahl  von  Gefässen,  welche  durch  ihre  abnorme  Lage  und  Ver- 
laufsrichtung sich  als  Collateralen  ergeben,  die  in  Folge  der  TTnwegsamkeit 
der  normalen  Hauptäste   sich  bedeutend  erweitert  haben. 

Die  Kesselfo7-m  der  Excavation  hängt  davon  ab,  dass  das  vordere  Ende  des 
Nerven  kegelig  zulänft,  nach  hinten  also  breiter  wird.  Oefters  soll  nebst  der  Sieb- 
membran  auch  noch  der  Poi-us  opticus  ausgehöhlt  werden,  so  dass  der  Boden  der 
Excavation  trichterförmig  und  die  Gefä-sse  gegen  die  Nasenseite  gedrängt  erscheinen 
fSchweiggerJ. 

B.  Der  serösen  Aderhautentzündung  stehen  Formen  von  Uveitis  gegen- 
über, bei  welchen  die  Producte  nicht  nur  deutlich  wahrnehmbar,  sondern 
für    die    ganze  äussere  Gestaltung    des  Processes  geradezu  bestimmend  sind. 

1.  Von  einer  dieser  Formen,  der  Retinochorioiditis  exsudativa,  war 
schon  die  Rede   (8.    187). 

2.  Eine  andere  Form  kennzeichnet  sich  durch  mehr  minder  massige 
organisirbare  Producte,  welche  von  Seite  der  vorderen  Uvealtheile  zu  Tage 
gefördert  werden,  während  die  eigentliche  Aderhaut  entweder  ganz  unver- 
ändert scheint  (Iridozyklitis),  oder  unter  den  Erscheinungen  der  Chorioiditis 
serosa  an  dem  Processe  Autheil  nimmt,  oder  endlich  gleichfalls  entzüud- 
Kche  Producte  in  grösserer  Menge  nachweisen  lässt  (Iridochorioiditis). 

So  findet  man  bisweilen  sowohl  in  der  Fusca  als  in  der  Vasculosa  ziemlich 
beträchtliche  Anhäufungen  pigmentloser  rundlicher  junger  Zellen ,  besonders  in 
nächster  Xähe  der  Gefässe,  deren  Adventitia  öfters  in  den  Zelleumassen  völlig 
untergegangen  scheint.  An  den  Wirbelvenen  schreitet  die  Wucherung  nicht  selten 
auf  die  Sclera,  ja  selbst  auf  die  Fascia  bulbi  fort.  Nicht  minder  birgt  zuweilen  die 
Choriocapillaris  grosse  Mengen  junger  Zellen  und  manchmal  ist  das  sonst  stark 
erweiterte  capillare  Netz  derselben  in  der  Neubildung  fast  iinkenntlich  geworden. 
Es  ist  dann  die  Elastica  über  solchen  Nestern  öfters  durchbrochen,  so  dass  die 
bald  vascularisirende  Zelleumasse  in  die  Netzhaut  hineinwuchert,  während  das 
umliegende  Tapet  theils  zu  Grunde  geht,  theils  durch  Proliferation  sich  vermehrt 
(Czei~ny). 

Im  Bereiche  der  Iris  bringt  sich  die  Wucherung  vornehmlich  durch 
papillose  Auswüchse  zur  Geltung,  welche  den  Pupillarrand  in  grösserem 
Umfange  oder  ringsum  an  die  Vorderkapsel  anlöthen  (Pupillarabschluss), 
häufig  aber  auch  in  Gestalt  eines  Kapsel-  oder  falschen  Staares  das  Seh- 
loch völlig  ausfüllen  (Pupillarverschluss).  Nebenbei  finden  sich  bisweilen 
auch  Gummen,  Granulationen  oder  Hypopyen.  In  der  Regel  jedoch  zeigt 
sich  die  Regenbogenhaut  blos  entzündlich  aufgelockert  und  verfällt  bald 
dem  Schwunde  (S.  285),  wird  theilweise  sehnig  entartet,  theilweise  zunder- 
ähnlich morsch  und  zerreisslich.  Nicht  selten  auch  schwillt  sie  nach  Art 
eines  Schwammes  an  und  wird  ganz  matsch,  während  deren  Gefässe  völlig 
degeneriren,  sich  mächtig  ausdehnen  und  nach  Art  der  Krampfadern  an  der 
Oberfl.äche  der  Membran  hervortreten.  An  der  hinteren  Wand  der  Iris 
kömmt  es  dann  in  der  Regel  zur  Bildung  derber,  zäher  sehnenähnlicher 
Schwarten.     Dieselben  zeigen  grosse  Neigung  zur  Schrumpfung,  zur  Obso- 


Schwartenbildmig;  Veriiiuleningeu  des  Ciliarmiiskels.  317 

lescenz.  Ihre  Dicke  wechselt  sehr.  Die  dünneren  sind  öfters  in  dem  Grade 
pigmentreich,  dass  sie  fast  gleiclimässig  dintenschwarz  erscheinen.  Die 
dickeren  verhalten  sich  ganz  wie  Sehnengewebe  nnd  haben  gewöhnlich 
eine  graue,  dunkel  geÜeckto  Färbung.  Sie  hängen  oft  nur  lose  an  der 
atrophirten  Iris  an,  oder  vielmehr  die  zunderähnlich  morschen  Reste  der 
vorderen  Regenbogenhautschichtcn  lassen  sich  in  grossen  Fetzen  oder  im 
Zusammenhange  von  den  sehnig  verdichteten  obsoleten  Ueberresten  der 
hinteren  Strata  leicht  trennen.  In  anderen  Fällen  jedoch  greifen  die 
sehnigen  Massen  durch  die  ganze  Dicke  der  Iris  durch,  die  Pseudohaut 
ist  nur  stellenweise  mit  kurzfaserigen  morschen  Rudimenten  von  lockerem 
atrophirten  Stroraa  überkleidet.  Es  stehen  diese  Membranen  immer  in 
directem  Zusammenhange  mit  den  die  Pupille  schliessenden  Neubildungen, 
stellen  gleichsam  nur  eine  Fortsetzung  derselben  dar.  Sie  hängen  der 
Vorderkapsel  bisweilen  bis  nahe  zum  Rande  an;  häufiger  jedoch  ist  ihr 
peripherer  Theil  durch  Flüssigkeit  von  der  Kapsel  getrennt,  die  Ver- 
wachsung beschränkt  sich  auf  die  Pupillarregion. 

Im  Bereiche  des  Strahlenkranzes  wiederholen  sich  ganz  ähnliche  Ver- 
hältnisse. Der  Wucherungsprocess  äussert  sich  hier  vornehmlich  durch 
Auflockerung  des  Reticuhim  oder  vielmehr  jener  dichten  Lage  von  Binde- 
gewebe, welche  die  hintere  Wand  des  Ciliarkörpers  bildet.  Es  wachsen 
aus  derselben  zahlreiche  halbkugelige  oder  eliptische,  oft  auch  gestielte 
kolbige  Papillomata  hervor,  welche  dem  Organe  ein  sehr  rauhes,  drusig 
warziges  Aussehen  geben.  Gewöhnlich  aber  ist  die  Prolification  eine  weit 
üppigere  und  die  Neubildungen  gestalten  sich  unter  allmäliger  Verdichtung 
und  Schrumpfung  zu  pigmentirten  mächtigen  Schwarten,  welche  mit  jenen 
der  Iris  zusammenhängen  und  nach  hinten  hin  sich  in  ein  zottiges  Balken- 
werk auflösen,  das  in  den  mitwuchernden  getrübten  Vordertheil  des  Glas- 
körpers hineinwächst  (S.  157).  Die  Schrumpfung  dieser  Massen  bedingt 
nicht  selten  streckenweise  Ablösungen  des  Ciliarkörpers  von  der  Sclerotica 
und  Füllung  des  so  entstandenen  Zwischenraumes  durch  ein  plastisches 
Exsudat,  welches  sich  theilweise  in  ein  bindegewebiges  Maschenwerk  organi- 
sirt  (Iwanoff,  Knapp,   Hirschberg). 

Es  bestehen  diese  Schwarten  aus  einer  mehr  weniger  deutlich  faserigen,  von 
Molecularmasse  land  Fettkörnern  in  wechselndem  Grade  getrübten  und  von  freiem 
Pigmente  durchstreuten  bindegewebigen  Grundlage,  welche  in  grösserer  oder  ge- 
ringerer Menge  theils  auswachsende  und  in  Kerntheilung  begriffene,  theils  junge 
runde  oder  ovale  Kernzellen  und  freie  Kerne  in  sich  schliesst.  Dieselben  sind 
zumeist  pigmentlos ,  führen  hier  und  da  jedoch  auch  beträchtliche  Quantitäten  von 
FarbestofF  und  stellen  dann  ganz  eigenthümliche  sparrige  Gebilde  dar.  Die  2^^gment- 
losen  Formeleraente  häufen  sich  an  manchen  Orten  an,  bilden  förmliche  Lager,  an 
anderen  Orten  ordnen  sie  sich  zu  Strängen,  welche  oft  schon  hohl  sind  und  meist 
mit  blindem,  kolbig  angeschwollenem  Ende  absetzen.  Es  sind  dies  die  Anfänge 
der  sieh  neubildenden  Gefässe,  welche  sich  allmälig  mit  Blut  füllen,  weiter  sprossend 
sich  verzweigen  und  in  den  Glaskörper  hinein  verlängern  fWedl,  Schiess-  Gemusens, 
Iwanoff.) 

In  dem  bindegewebigen  Stroma  des  Ciliavmuskels  und  an  den  Wandungen 
der  daselbst  streichenden  Gefässe  weiset  die  Vermehrung  der  Kerne  und  die  Infil- 
tration mit  einer  serösen  oder  gelatinösen ,  oft  stark  getrübten  und  fetthaltigen 
Substanz  auf  die  entzündliche  Mitleidenschaft  hin.  Bisweilen  kömmt  es  liier  auch 
zu  massenhaften  Ansammlungen  neoplastischer  Zellen  und  zu  reichlicher  Gefäss- 
entwicklung.  Die  Faserzellen  des  Muskels  widerstehen  oft  lange,  schliesslich  werden 
sie  in  den  Process  einbezogen,  getrübt  und  verfettigt.  In  den  Ciliarnerven  hat  man 
bald  gar  keine  Veränderungen    (Schiess- Gemuseiis ,  Hirschberg) ,   bald  sehr  auffällige 


318  Chorioiditis;  Nosologio;  Aderliaiitabhetung. 

Verdickungen  der  Schwann'schen  Membran  mit  mein*  minder  deutlicher  Massenzn- 
nahme  der  Kerne,  Zerfall  der  Markscheiden  (Iwanoff),  und  schliesslich  Atrophie 
der  Fasern  gesehen. 

Die  Degeneration  des  Strahlenkörpers  und  der  Iris  macht  alsbald 
den  Humor  aqueus  versiegen,  so  dass  die  vordere  Kammer  sich  mehr  und 
mehr  verengert.  Dafür  wird  aber  öfters  ein  ziemlich  stark  klebriges 
gelbliches,  an  Eiweiss  reiches,  gerinnbares  Fluidum  in  den  abgeschlossenen 
hinteren  Kammerraum  ergossen  und  die  Iris  dadurch  in  Form  eines  Kreis- 
toulstes  nach  vorne  gestaut,  oder  bei  ungleicher  Resistenz  ihres  Gefüges 
stellenweise  zu  kropfigen  Buckeln  ausgedehnt. 

3)  Ein  nicht  ganz  seltenes  Vorkommniss  sind  Abhebungen  der  Aderhaut. 
Anatomisch  sind  sie  bereits  vor  langer  Zeit  nachgewiesen  worden  (Amman);  doch 
hat  man  ihnen  eine  grössere  Aufmerksamkeit  erst  ziigewendet,  seitdem  sie  ophthal- 
moskopisch beobachtet  wurden  (Graefe,  Liebreich).  Sie  haben  manche  Analogien 
mit  iVefe/jaw^abhebungen,  mit  welchen  sie  auch  öfter  combinirt  vorkommen.  Es  ist 
nämlich  ein  seröses  oder  sidzähnliches  eiweissreiches  Exsudat  welches ,  von  dem 
Aderhautgefüge  ausgeschieden,  sich  vornehmlich  in  der  äusseren  Pigmentschichte 
ansammelt,  deren  Elemente  auseinander  zerrt,  endlich  durchreisst  und  die  Chorioidea 
mehr  und  mehr  von  der  Lederhaut  trennt.  Es  hat  meistens  eine  gelbliche  Farbe 
und  setzt  kleine  Gerinnsel  an  den  Wänden  der  selbstgebildeten  Höhle  ab.  In  den 
festeren  Massen  zeigen  sich  wellige  Gebilde  mannigfaltiger  Art,  untermischt  mit 
pigmentirten  Resten  der  Fusca  und  freiem  Farbstoffe.  Das  Gefüge  der  Aderhaut 
trägt  dabei  nach  den  bisherigen  anatomischen  Untersuchi;ngen  die  Charaktere 
eines  mehr  minder  üppigen  Wticherimgsprocesses,  ist  bisweilen  sogar  beträchtlich  hyper- 
trophirt  und  von  einem  ähnlichen  Producte  aufgequollen.  Man  hat  solche  Abhebungen 
unter  den  Ausgängen  der  h-idochorioiditis,  neben  vorgeschrittenem  Augajjfelschwund 
und  neben  Sderochorioidalstaphylomen,  so  wie  in  Gesellschaft  von  Äderhautgeschwülsten, 
von  orbitalen  Tumoren  (Hirschberg)  und  in  Folge  grosser  Glaskörjjerverluste  (Gouvea) 
gesehen.  Sie  erreichen  bisweilen  eine  bedeutende  Höhe  und  Ausdehnung,  ja  es  kann 
geschehen,  dass  die  Aderhaut  ihrer  ganzen  Fläche  nach  von  der  Sclera  losgetrennt 
und  nach  innen  hin  gedrängt  wird,  so  dass  die  Verlnndnng  nur  mehr  von  einzelnen 
Gefässen  hergestellt  wird  (Iioanoff).  Mitunter  entwickeln  sie  sich  jedoch  auch 
2)rimär  und  sehr  rasch.  Sie  sind  dann  beschränkteren  Umfanges  und  stellen  sich 
als  kugelsegmentähnliche  Erhebungen  von  wechselnder  Höhe  und  Fläche  dar,  deren 
Wände  straß'  gesparmt  und  jeder  flottirenden  Bewegung  unfähig  sind.  Die  Netzhaut 
läuft  glatt  über  die  Blase  hinweg  oder  erscheint  blos  an  deren  Fusse  etwas  ab- 
gehoben. Bei  richtiger  Einstellung  des  Augenspiegels  sieht  man  die  Netzhautgefässe 
an  dem  Tumor  emporklimmen  und  an  der  entgegengesetzten  Wand  wieder  herab- 
steigen. Unmittelbar  dahinter  aber  gewahrt  man  in  dem  röthlichen  Grunde  das 
Gezweige  der  Wirbelgefässe  deutlich  durchschimmern.  Damit  ist  denn  auch  die 
Diagnose  eines  wässerigen  oder  sulzigen  Ergusses  unter  die  Aderhaut  gesichert 
und  eine  Verwechselung  mit  Blutextravasaten  oder  mit  geformten  Neubildtmge^i, 
welche  die  Chorioidea  in  ähnlicher  Weise  nach  vorne  bauchen  können,  ausge- 
schlossen (Liebreich).  Als  Nebensymptome  sind  Blutextravasate  in  der  Netzhaut  und 
Aderhaut  etwas  gewöhnliches.  Subjectiv  äussert  sich  der  Process  durch  starke 
Herabsetzung  des  Sehvei'mögens  bis  zur  vollen  Erblindung. 

4.  Eine  vierte  Form  der  Aderhautentzündung  endlich,  die  Chorioiditis 
suppurativa,  charakterisirt  sich  durch  eiteriges  Product.  Sie  lagert  dasselbe 
theils  in  das  Aderhautgefüge  selbst  ab,  theils  scheidet  sie  es  an  die  freie 
Oberfläche  der  Chorioidea  aus.  Es  zeigt  sich  der  Eiter  gewöhnlich  zuerst 
an  den  Gefässen  der  Vasculosa  und  Fusca,  seine  Elemente  sind  massenhaft 
in  dem  die  Gefässe  begleitenden  Bindegewebe  zusammengedrängt  und 
erfüllen  nicht  selten  auch  die  Lichtung  des  Rohi-es,  so  dass  einzelne  Stamm- 
theile  auf  weite  Strecken  hin  schon  mit  freiem  Auge  als  verzweigte  eiter- 
gelbe Stränge  verfolgt  werden  können.  Bei  fortschreitendem  Processe  aber 
wird  auch  bald  das  Stroma  von  Eiter  durchsetzt  und  dieser  entweder 
gleichmässig   im    Gefüge    diffundirt,    oder    stellenweise    in    so  grosser  Menge 


CliDi'ioiditis  suppiiraliva;   I':inoiililli:iIiiiilis.  ol9 

angesammelt,     dass    üov    KcM-d     Imchelförmig    in     den    hinteren    Augenvaum 

hervorspringt.     Der    Eiter    ist    übi'igens    bald    von    vorneherein   flüssig   oder 

rahmartig,   bald  ist  das  Producl    anfänglich  derb    und    schmiltzt  erst  fip'dter. 

Sehr  oft  ist  es  durch  ausgetretenes  Blut  gleichnüissig  verfärbt  oder  gcstriomt. 

Ist  der  Eiter  flüssig,  so  geld  das  Slroma  der  Aderhaut  im  Bereiche  grösserer 
Herde  meistens  alsbald  bis  auf  wenige  pigmentirte  fetzige  Reste  völlig  unter  und 
selbst  die  Gefasse  widerstehen  niclit  lange  dem  Sclunelzungsprocesse.  Ist  der  Eiter 
aber  consistenfer,  so  kann  man  die  Elemente  des  Stroma  öfters  noch  deutlich  er- 
kennen. Die  pigmentii't.en  StromazeUen  sind  ganz  uiiregelmässig  durch  einander 
geworfen  und  auseinander  gedrängt  von  Massen  neoi)lastischer  Elemente ,  welche 
den  Charakter  der  Eiterlcörperchen  tragen  und  in  einer  trüben  fettreichen,  mehr 
minder  consistenten,  fibrinösen  Zwischensiibstan?:  lagern,  die  oft  in  üheratis  reicJdicher 
Menge  das  Gefüge  durchdringt  und  aufquellen  macht.  Die  Pigmentzellen  als  solche 
ersclieinen  dabei  oft  ganz  unverändert  oder  blos  etwas  blässer,  ihres  Farbestoffes 
theilweise  beraubt;  oft  aber  aiich  bis  in  ihre  Ausläufer  von  i^eid  erfüllt;  seltener 
in  Kermoucherung  begriffen.  Die  pigmenflosen  StromazeUen  hingegen  sind  bei  der 
Wucherung  in  voi-nmttendem  Masse  betheiligt.  Streckenweise,  namentlich  in  den 
inneren  Stratis  der  Vasculosa,  fehlen  sie  oft  ganz,  indem  sie  in  dem  Prolifications- 
processe  völlig  vernichtet  worden  sind,  bis  auf  ihre  Fortsätze,  welche  als  ein  zartes 
feines  Netzwerk  die  neoplastischen  Elemente  umspinnen.  Wo  sie  noch  vorhanden 
sind,  erscheinen  sie  sehr  aufgetrieben,  s^jindelig  ausgewachsen  und  enthalten  zioei 
oder  mehrere  trübe  Kerne,  die  später  unter  Zerstörung  der  Zellenhülle  frei  werden 
und  sich  in  wahre  Eiterkörper  umwandeln.  Die  Gefüsse  der  Vasculosa  gehen  hier- 
bei gewöhnlich  zum  grossen  Theile  völlig  unter,  werden  von  den  in  ihrer  Adventitia 
und  in  den  Intravascularräumen  angehäuften  ueoplastischen  Massen  comprimirt, 
einzelne  streckenweise  auch  thrombosirt,  oder  wenigstens  von  weissen  Blutkörperchen 
erfüllt  (Iioanoff)  und  endlich  ganz  zerstört.  Die  Clioriocapnllai'is  behauptet  mitunter 
ziemlich  lange  ihre  Integrität,  eben  so  die  Elaslica  und  das  Tapet.  Doch  früher 
oder  später  verfallen  im  Bereiche  grösserer  Herde  auch  diese  Strata  fast  immer 
der  Zerstörung.  Die  Choriocapillaris  wird  dann  in  dem  eitrigen  Producte  ganz 
unkenntlich,  die  Elastica  theilweise  durchbrochen  und  aufgelöst.  Indem  der  Eiter 
nach  innen  vordringt,  wird  das  Tapet  theilweise  verschoben,  seine  Elemente  über- 
und  durcheinander  geworfen  und  zum  Theile  nach  innen  geschwemmt.  Ein  Theil 
der  Zellen  löst  sich  auch  durch  Verfettung  auf,  während  ein  anderer  wuchert  und 
zur  Ausbildung  grösserer  Pigmenthaufen  Veranlassung  gibt,  oder  etwa  bei  der 
Entwickelung  der  an  der  freien  Aderhautfläche  vorkommenden  Eiterablagerungen 
mitwirkt  (Wedl,  Schweigger,  C  Ritter,  Schiess,  Knapp,  Berliii). 

Oefters  beschränkt  sich  die  Eiterbildung  auf  eine  oder  die  andere  Portion 
der  Aderhaut,  der  Rest  dieser  Membran  so  wie  der  Strahlenkranz  bieten 
die  Erscheinungen  einer  einfacli  serösen  Entzündung  dar,  sind  dabei  stark 
hyperämirt,  ecchymosirt,  sehr  saftreich,  aufgequollen,  von  einer  trüblichen 
Flüssigkeit  durchtränkt.  In  anderen  Fällen  ist  bereits  der  grösste  Theil 
der  Aderhaut  in  umfangsreichen  Eiterherden  zu  Grunde  gegangen ;  zwischen 
diesen  finden  sich  nur  einzelne  Stellen,  an  welchen  die  Aderhaut  als  solche 
noch  besteht,  aber  ihres  Pigmentes  theilweise  verlustig  geworden  ist,  stark 
hyperämirt,  ecchymosirt,  serös  infiltrirt  und  überdies  von  kleinen  Eiter- 
tröpfchen und  bisweilen  von  eitererfüllten  Gefässen  durchsetzt  erscheint. 
Endlich  trifft  man  nicht  selten  Fälle,  in  welchen  die  Chorioidea  ihrem 
ganzen  Umfange  nach  zerstört  worden  ist  und  gleichsam  ersetzt  wird  von 
einem  mehr  weniger  dicken,  mitunter  zu  mächtigen  Knoten  anschwellenden 
Stratum  eiteriger  ecchymotischer  und  von  pigmentirtem  Fetzenwerk  durch- 
streuter  Masse. 

Sowie  die  übrigen  Formen  der  Aderhautentzündung  ist  auch  die  Chorioi- 
ditis suppurativa  niemals  rein,  immer  leiden  die  anderen  Bulbusorgane  in  sehr  auf- 
fälliger Weise  mit,  und  zwar  sehr  oft  in  dem  Grade  und  in  der  Ausdehnung, 
dass  der  Process  die  Bedeutung  einer  suppurativen  Panophthalmitis  gewinnt. 


320  Chorioiditis;  Nosologie;  Panophthalniitis  supp;  Aderliauttnberciilose. 

Die  Netzhaut  erscheint  in  Folge  der  entzündlichen  Theilnahme  stark 
getrübt,  ecchymosirt  und  oft  auch  von  ausgesprochen  eitrigem  Intiltrate 
verdickt  oder  gar  zu  käseähnlichen  Knollen  aufgetrieben.  Gemeiniglich 
wird  sie  hierbei  in  Folge  reichlichen  Ergusses  einer  fettig  trüben,  dünn 
eitrigen  Flüssigkeit  ihrem  ganzen  Umfange  nach  von  der  Aderhaut  abgehoben 
und  zusammengefaltet.  Streckenweise  schmilzt  sie,  so  dass  ihre  TJeberreste 
in  Gestalt  fetziger  Lappen  im  Glaskörperraume  tlottiren  oder,  falls  die 
Schmelzung  vornehmlich  den  hinteren  Theil  beträfe,  sich  an  der  hinteren 
Krystallwand  zu  einer  dichten  Masse  zusammenballen  (Schweigger).  In 
den  späteren  Stadien  des  Processes  geht  die  Netzhaut  in  der  Eiterung  wohl 
auch  völlig  unter.  In  der  Pars  ciliaris  retinae  kommt  es  sehr  gewöhnlich 
zu  einer  sehr  reichlichen  Ablagerung  neoplastischer  Elemente,  welche  die 
Ciliarfortsätze  in  Form  eines  mächtigen  Eiterlagers  von  der  Zonula  ab- 
trennen. Der  Glaskörper  zeigt  sich  immer  schon  im  ersten  Beginne  stark 
getrübt,  indem  seine  zelligen  Elemente  in  einen  überaus  üppigen  Wucherungs- 
process  verwickelt  werden  und  ein  massenhaftes  Einwandern  von  Eiter- 
elementen aus  den  membranösen  Umgebungen  stattfindet  (Ritter,  Schiess- 
Gemuseus).  Dann  und  wann  trifft  man  ihn  streckenweise  von  compacteren 
Eitermassen  durchsetzt  oder  zu  einer  von  eiterigen  Flocken  geschwängerten 
ti'üben  Flüssigkeit  geschmolzen.  In  einzelnen  Fällen  wird  der  ganze  Vorder- 
tlieil  des  Corpus  vitreum  in  einen  Eiterstock  verwandelt,  die  Vitrina  daselbst 
völlig  verdrängt  von  einer  käsigen  Eitermasse.  Diese  letztere  erfüllt  dann 
gewöhnlich  auch  den  Petit'schen  Canal.  Im  Strahlenkranze  und  der  Iris 
lagern  meistens  sehr  beträchtliche  Eitermassen,  die  mitunter  zu  kleinen 
Abscessen  sich  häufen  und  in  Folge  der  Schmelzung  Substanzlücken  be- 
gründen, oder  das  Gefüge  gleichmässig  durchsetzen  und  die  genannten 
Organe  durch  Suppuratioii  völlig  zerstören  können.  Nebenher  gehen  immer 
massige  Hypopyen,  ja  dieselben  füllen  die  Kammer  gar  nicht  selten  voll- 
ständig aus.  Auch  die  Hornhaut  ist  gewöhnlich  schon  frühzeitig  von  eitrigem 
Producte  infiltrirt  und  abscedirt.  Sehr  häufig  verwandelt  sie  sich  ihrer 
ganzen  Ausdehnung  nach  in  einen  Eiterstock  und  schmilzt  oder  geht  durch 
Brand  zu  Grunde.  Selbst  die  Lederhaut  infiltrirt  sich  öfters  unter  auf- 
fälliger Yermehrung  ihrer  zelligen  Elemente  mit  einem  fettigen  trüben 
Producte,  erweicht  und  wird  ausgedehnt  oder  schwillt  zu  ganz  erstaunlichen 
Dicken  an.  Oft  verschwärt  sie  theilweise  und  gestattet  dem  intraocularen 
Eiter  den  Ausgang.  Bisweilen  wird  sogar  das  den  Bulbus  umgebende 
Orbitalgewebe  in  einen  Eiterstock  verwandelt. 

6)   Die     Tuberculose    localisirt    sich    in    der  Aderhaut    theils  in  Form 

mehr    diffuser    starrer    und    schliesslich    schmelzender    Infiltrate,    theils    in 

Gestalt  discreter  oder  knollig  zusammengehäufter  Knoten. 

Die  erste  Form  ist  sehr  selten  und  bisher  immer  nnr  in  den  letzten  Stadien 
der  allgemeinen  Plithisis  tuberculosa  beobachtet  worden.  Sie  tritt  gewöhnlich  auf 
ein  Auge  beschränkt  als  Fan  Ophthalmitis  mit  geringen  Reizerscheinungen  auf,  ent- 
wickelt sich  ziemlich  schnell ,  wird  aber  in  ihrem  weiteren  Verlaufe  gemeiniglich 
durch  den  eintretenden  Tod  unterbrochen.  Es  erscheinen  sihmntliche  Organe  des 
Augapfels  infiltrirt,  der  letztere  ist  seiner  Totalität  nach  bald  in  einen  käsigen 
Tuberkelstock  verwandelt,  in  welchem  die  einzelnen  Bulbusbestandtheile  öfters  nur 
schwer  auseinanderzuhalten  sind.  Nach  km-zem  Bestände  beginnt  die  Masse  an 
einzelnen  zerstreuten  Orten  zu  verfettigen  und  zu  einem  schmierigen  Eiterbrei  zu 
schmelzen.  Es  entstehen  so  rundliche  Höhlungen,  innerhalb  welchen  die  einzelnen 
Organe,  wo  sie  noch  zu  erkennen  sind,  völlig  zerstört  und  mit  scharfen  zerfressenen 
Rändern  abgesetzt    erscheinen.    Namentlich    in  der    Hornhaut    und  in   der  Aderhaut 


Discreter  Aderhauttuberkel.  321 

zeigen  sich  öfters  wie  mit  ciiicin  Locheisen  gesclilagcne  rundliche  Substanzverhiste 
mit  stark  intiltrirten  steilen  Rändern.  Die  einzelnen  Höhlungen  tliessen  stellen- 
weise bald  ineinander  und  entleeren,  wenn  durch  die  Bnlbuskapsel  bereits  ein 
Ausgang  eröffnet  ist,  einen  Theil  ihres  Inhaltes;  doch  fällt  dann  der  Augapfel 
wegen  der  Massenhaftigkoit  und  Starrheit  der  noch  vorhandenen  Producte  nicht 
zusammen,  sondern  bleibt  einige  Zeit  annähernd  in  seiner  Form,  während  die 
Oeffnung  in  der  Bulbuskapsel  weit  klaft't  und  in  eine  tiefe  unregelmässigc  Höhle 
blicken  lässt,  aus  welcher  sich  verhältnissmässig  geringe  Mengen  schmierigen  und 
unter  dem  Einflüsse  der  atmosphärischen  Luft  ranzig  gewordenen,  nach  Buttersäure 
penetrant  stinkenden  Eiters  entleert.  Schliesslich  bleibt,  wenn  der  Kranke  nicht 
früher  stirbt,  von  dem  Augapfel  nur  die  auf  das  Mehrfache  verdickte  Sclerotica 
übrig.  In  einem  Falle  war  auch  die  Sclerotica  bis  auf  ihre  hinterste  Zone  zCi-stört 
worden  und  diese  bildete  im  Verein  mit  dem  Opticus  eine  Art  Präsentirteller  mit 
ganz  unregelmässig  zackigen  Rändern,  in  dessen  Oeffnung  ein  etwa  haselnuss- 
grosser  Knollen  von  Tuborkclmasse  lagerte.  Die  Oberfläche  dieses  starren  und  mit 
der  Sclerotica  fest  zusammenhängenden  Knollens  war  drusig  warzig,  stellenweise 
angefressen  und  reichlich  mit  Pigment  von  der  völlig  unkenntlich  gewordenen 
Aderhaut  durchstreut.  Die  Zweifel,  welche  gegen  die  wahrhaft  tnhei-culöse  Natur 
dieser  Producte  mehrseitig  erhoben  werden  (Graefe,  Leber),  sind  ungerechtfertigt 
und  lassen  sich  durch  eine  einfache  Musterung  der  vorhandenen  Präparate  sowie 
durch  die  Berücksichtigung  der  Krankheitsgeschichten  leicht  zerstreuen. 

Der  discrete  Tuberkel  ist  bei  der  chronischen  allgemeinen  Tuberculose 
selten  (Ed.  Jaeger,  Cohnheim,  Arcoleo,  Vernon),  dagegen  häufig,  aber  durch- 
aus nicht  constant,  bei  der  acuten  Miliartuherculose  (Manz,  Cohnheim  u.  A.) 
im  Bereiche  der  Aderhaut  beobaclitet  worden.  Er  entwickelt  sich  unter 
solchen  Verhältnissen  bald  sehr  frülizeitig,  bald  erst  wenige  Tage  vor  dem 
Tode  des  Kranken  und  kann,  wo  er  auftritt,  als  ein  sehr  werthvoUes  ja 
entscheidendes  Zeichen  der  bisweilen  überaiTS  schwer  zu  diagnosticirenden  Allge- 
meinkrankheit betrachtet  werden,  wogegen  sein  Fehlen  nach  dem  Mitge- 
theilten  das  Vorhandensein  der  letzteren  keineswegs  ausschliesst  (Steffen). 
Im  Augenspiegelbilde  präsentirt  sich  der  discrete  Tuberkel  in  der  Form 
ziemlich  regelmässig  rundlicher  Flecke  von  sehr  variabler  Grösse.  Die 
Meineren  derselben  erscheinen  als  gelbliche  oder  gelbröthliche  Verblassungen 
des  Augengrundes,  die  grösseren  hingegen  als  deutlich  prominente  helle 
Kiiötchen,  welche  von  einer  mehr  weniger  saturirten  bräunlichen  Zone 
umgeben  sind.  Nur  die  grössten,  stark  hervorragenden  Knoten  haben  aus- 
nahmsweise einen  dunkler  pigmentirten  Saum.  Uebrigens  wechselt  das 
ophthalmoskopische  Bild  einigermassen  mit  den  Nachschüben  (Graefe,  Leber, 
Coccius).  Sehstörungen  erheblicher  Art  scheinen  nach  den  bisherigen  Er- 
fahrungen durch  den  Process  nicht  veranlasst  zu  werden,  auch  wenn  die 
einzelnen  Knoten  sich  zu  verhältnissmässig  beträchtlichem  Umfange  ent- 
wickeln  (Fränkel). 

Nach  den  anatomischen  Untersuchungen  sind  meistens  beide  Augen  befallen. 
Man  findet  bald  einen,  bald  mehrere  Knoten  und  diese  im  letzteren  Falle  bald 
zerstreut,  bald  gruppirt.  Ihr  Lieblingssitz  ist  die  Umgebung  der  Papille  und  des 
gelben  Fleckes,  doch  kommen  sie  auch  peripher  vor  (Steffen).  Sie  sind  meistens 
sehr  Hein  und  dann  durchscheinend ;  erreichen  sie  ein  grösseres  Volumen,  so  werden 
sie  käseähnlich.  Sie  gehen  immer  von  der  Choriocapillaris  aus  (Busch,  Cohnheim) 
und  wachsen  erst,  wenn  sie  sich  vergrössern,  in  die  anderen  Schichten  der  Ader- 
haut hinein.  Anfangs  bedingen  sie  keine  Hervorwölbung  der  Elastica,  später  ist 
dies  aber  der  Fall  und  dann  wird  das  Pigment  der  überlagernden  Tapetzellen 
rareficirt,  während  letztere  selbst  keine  Veränderung  erleiden.  Nur  bei  grossen 
Knoten  erscheint  das  Pigment  am  Umfange  gehäuft.  Es  entwickeln  sich  die  Tuberkel 
durch  Wucherung  und  wahrscheinlich  durch  massenhafte  Einwanderung  der  kleinen 
rundlichen,  auch  in  der  Norm  vorhandenen  Zellen;  die  ^x-en  Stromazellen  werden 
dabei  primär  wenig  oder  gar  nicht  afficirt  (Cohnheim). 

S  t  e  1 1  w  a  g ,  Augenheilkunde.  2 1 


322  Aderhaut;  Nosologie;  Aderhaiitberstungcii. 

7.  Eine  specielle  Erwähnung-  verdienen  die  nicht  g;anz  selten  vorkommenden 
Fälle  von  Aderhaidberstung.  Anatomisch  hat  man  derlei  Rupturen  bei  unverletzter 
Lederhaut  und  Netzhaut  erst  einmal  nachgewiesen  (Ammon),  doch  liegen  bereits 
eine  Reihe  von  ophthalmoskopischen  Beobachtungen  vor.  Die  Veranlassung  ist  stets 
ein  Schlag,  Stoss,  Wurf  u.  s.  w. ,  welcher  das  Auge  mit  grosser  Gewalt  trifft  und 
zu  einer  plötzlichen  Formänderung  mit  Dehnung  der  Bulbuskapsel  zwingt.  Kurz 
darnach  finden  sich  im  Hintertheile  des  Binnenraumes  Blutergüsse,  welche  sich 
gewöhnlich  alsbald  mit  Tvühnng  des  Glasköi'pers  vergesellschaften  und  den  Augen- 
grund verhüllen.  Weitei'hin  saugen  sich  aber  die  Extravasate  auf  und  hinterlassen 
oft  zerstreute  Fladen  von  dunkelgefärbten  Gerinnseln,  \velche  der  Aderhaut  auflagern 
und  sich  allmälig,  wenigstens  theilweise ,  in  Haufen  schwarzbraunen  körnigen 
Pigmentes  umwandeln.  Sie  treten,  indem  sich  auch  die  dioptrischen  Medien  mehr 
und  mehr  aufhellen,  am  Ende  klar  hervor  und  daneben  zeigen  sich  im  Augen- 
spiegelbilde die  Aderhatärisse  in  ihrer  höchst  eigenthümlichen  und  kaum  zu  ver- 
wechselnden Foi'm.  Sie  erscheinen  nämlich  als  schmale  lange  helle  Streifen,  welche 
von  dem  iimgebenden,  meistens  wenig  veränderten  Augengrunde  sehr  stark  abstechen. 
Sie  liegen  mit  seltenen  Ausnahmen  (Saemischj  in  der  hinteren  Hälfte  der  Aderhaut 
und  zwar  fast  immer  an  der  äusseren  Seite  der  Papille,  in  verschiedenem  Abstände 
von  derselben.  Ihre  Axe  steht  gewöhnlich  fast  senkrecht  oder  doch  in  grossem 
Winkel  zur  Richtung  der  Meridiane  und  ist  oft  merklich  gekrümmt,  bildet  einen 
dem  Rande  des  Sehnerveneintrittes  concentrischen  Bogen.  Nur  sehr  selten  laufen 
sie  schräg  oder  gar  horizontal  (Ed.  Jaeger,  Mauthner).  In  einem  Falle  war,  in  Folge 
des  Anspringens  eines  Eisenstückes  an  den  inneren  Umfang  des  rechten  Bulbus,  in 
der  Aequatorialgegend  nach  innen  von  dem  Sehnerveneintritte  ein  zweischenkeliger 
Riss  in  der  Aderhaixt  zu  Stande  gekommen,  dessen  längerer  Schenkel  zwei-  bis 
drei  Fapillendurchmesser  lang  war  und  vertical  verlief,  während  der  kurze,  etwa 
einen  Fapillendurchmesser  lange  Schenkel  horizontal  strich  und  mit  dem  oberen 
Ende  des  ersteren  einen  fast  rechten  Winkel  bildete.  Die  Wundränder  der  Aderhavit 
waren  raiah  und  stark  pigmentirt.  In  einigem  Abstände  davon  zeigten  sich  die 
wulstigen  glänzenden  fettweissen  Ränder  der  ganz  unregelmässig  durchrisscnen 
Netzhaut,  den  rothen  Augengrund  eine  Strecke  weit  verhüllend.  Jenseits  des  äusseren 
Rissrandes  bis  nach  vorne  zur  Ora  serrata  war  die  Netzhaut  in  Form  einer  faltigen 
Blase  ahgehohen.  Der  Glaskörper  schien  dabei  leicht  getrübt.  Suhjectiv  bekundete 
sich  das  Leiden  durch  eine  sehr  beträchtliche  Herabsetzung  der  Sehschärfe  und 
durch  eine  ausgedehnte  Einschränkung  der    äusseren  Peripherie  des  Gesichtsfeldes. 

Die  Grundfarhe  der  Streifen  ist  das  helle  Sehnenweiss  der  hier  blosliegenden 
Lederhaut.  Darauf  sieht  man  schmutzig  gelbliche  oder  bräunliche  Zeichnungen  mit 
wolkig  verschwommenen  Grenzen,  unregelmässige  Haufen  dunklen  Pigmentes,  dann 
und  wann  auch  ein  Aderhautgefäss,  welches  aus  der  Sclera  hervortritt  und  sogleich 
in  den  Rissrand  der  Chorioidea  übergeht,  oder  quer  über  die  ganze  Breite  des 
Streifens  hinwegstreicht.  Die  Ränder  der  Ruptur  sind  streckenweise  scharf,  bisweilen 
etwas  aufgeworfen,  häufig  stark  pigmentirt.  Streckenweise  jedoch  erscheinen  sie 
oft  fetzig  rauh  oder  roth  verwaschen.  Die  Risse  theilen  sich  manchmal  in  zwei  oder 
drei  Schenkel  oder  Zacken,  welche  jedoch  im  Allgemeinen  die  Richtung  des  Haupt- 
theiles  ziemlich  beibehalten.  Die  einzelnen  Enden  laufen  bald  spitz  zu  und  bewahren 
ihre  scharfen  Grenzen ,  bald  verlieren  sie  sich  ganz  allmälig  in  dem  normalen 
Augengrunde,  setzen  sich  als  hellrothe,  wolkig  gezeichnete  Bänder  eine  Strecke  weit 
fort.  Bald  berstet  die  Aderhaut  an  einer  einzigen  Stelle  (Amman,  Graefe,  Saemisch, 
Schweigger,  Knapp,  Mauthner,  Fig.  39);  bald  sind  zwei  Rupturen  vorhanden 
(Tlirschler,  Frank,  Streafßeld,  Knapp,  Saemisch,  Wilson).  Nicht  minder  kommen 
Fälle  vor,  wo  die  Chorioidea  an  di-ei  (Haase,  Saemisch,  Ed.  Jaeger,  StavenhagenJ 
und  mehr  Stellen  (Fig,  40)  eingerissen  ist.  Die  Netzhautgefässe  streichen  mit 
seltenen  Ausnahmen  (Graefe)  ohne  Unterbrechung  oder  Ablenkung  quer  über  die 
hellen  Streifen  hinüber,  vorausgesetzt,  dass  die  Netzhaut  nicht  ebenfalls  geborsten 
ist  (Saemisch).  Die  Retina  nimmt  im  Uebrigen  gerne  unter  der  Form  von  Neuro- 
dictyitis  an  dem  Processe  thätigen  Antheil.  Diese  geht  jedoch  häufig  bald  wieder 
zurück  und  hinterlässt  dann  oftmals  keine  auffälligen  krankhaften  Veränderungen. 
Selbst  die  Functions  Störung  ist  in  solchen  Fällen  zuweilen  eine  verhältnissmässig 
geringe;  ja  es  kann  sich  die  centrale  Sehschärfe  fast  wieder  zur  Norm  heben 
(Saemisch,  Knapp).  In  der  Regel  jedoch  bleibt  die  Functionstüchtigkeit  der  Netz- 
haut in  hohem  Grade  geschädigt.  Das  Sehvermögen,  welches  unmittelbar  nach  der 
Schädlichkeitseinwirkung  durch  die  Blutergüsse  und  die  nachfolgende  entzündliche 


Aderhautrisso ;  Blntextravasate. 


323 


Reactioii  gcwöhnlicli  auf  (}iianfi(afive  Liclitempfiiiduiij^    Iiorahf^oflriickt  ist,  hebt  sich 
mit  dem  Fortschreiten  der  Kesorptiuii  nur  wenig-,  das  Gesichtsfeld  bleibt  in  Nebel 


Fig.  39. 


Fig.  40. 


/       /" 


oder  Rauch  gehüllt  und  nicht  selten  lassen  sich  in  ihm  ausgebreitete  periphere 
Einschränhungen  (Hivschier)  oder  Unterbrechungen  (Talko)  nachweisen.  Als  spätere 
Consequenzen  des  Leidens  hat  man  abgesehen  von  den  Folgen  der  Irldocliorioiditis 
wiederholt  Nelzhautahhehunfien  (Saemisch) ,  einmal  progressiven  Sehnervenschwund 
(FrankJ  und  einmal  Glaucom  {Streatfield)  beobachtet.  Die  häufig  vorhandene  Träg- 
heit, Erweiterung  und  nnrcgelmässige  Gestalt  der  Pupille  kann  möglicherweise  von 
einer  Dehnung  oder  Berstung  der  in  der  Fusca  streichenden  Ciliarnerven  abhängig 
sein  i^Ammon,  Hirsclder). 

Der  Grund,  warum  bei  einwirkenden  stumpfen  Gewalten  gerade  der  hintere 
Theil  der  Aderhaut  zu  Berstungen  neigt,  ist  nicht  hinlänglich  aufgeklärt.  Es  scheint, 
dass  die  straffere  Verbindung  mit  der  Lederhaut  dabei  eine  Rolle  spiele.  Jedenfalls 
hindert  dieselbe  eine  rasche  Vertheilung  der  Zugwirkung,  welche  bei  einer  gewaltsamen 
Dehnung  der  Bulbuskapsel  nothwendig  auf  die  innen  anliegenden  Membranen 
ausgeübt  werden  muss.  In  dem  lose  anhaftenden  vorderen  Aderhautgürtel  und  in 
der  blos  leicht  angeklebten  Netzhaut  ist  eine  rasche  Vertheilung  der  Spannung 
viel  leichter  möglich.  Anfänglich  scheinen  die  Rissränder  nicht  zu  klaffen  (Amnion), 
sondern  erst  später,  möglicher  Weise  in  Folge  von  Schrumpfung,  aus  einander  zu 
weichen.  Die  hellrothen  Streifen  und  die  verwaschenen  röthlicheii  Enden  der  sehnisf- 
weissen  Rissstellen  dürften  nicht  sowohl  auf  wirkliche  Substanzlücken,  als  vielmehr 
auf  Schwund  des  Gefilges,  veranlasst  durch  starke  Dehnung,  zu  beziehen  sein.  In 
einem  Falle  wurde  eine  Anzahl  weisser  gestreifter  Narlenbäuder  beobachtet,  welche 
sich  über  die  sichelförmige  Fläche  der  Ruptur  ausstreckten ,  sehr  deutlich  einige 
der  Netzhautgefässe  einhüllten  und  unverkennbar  etwas  über  das  Narbengewebe 
hervorragten  (Knapp)). 

8.  Von  nicht  minderem  Interesse  sind  einfache  Gefässherstungen  im  Aderhaut- 
gefüge  und  dadurch  bedingte  hämorrhagische  Extravasate.  Es  stellen  sich  dieselben 
bisweilen  spontan,  oder  in  Folge  plötzlicher  Circulationsstörungen  durch  heftiges 
Niessen,  Husten,  Erbrechen,  überhängende  Kopflage  u.  s.  w.  ein;  setzen  dann  aber 
wohl  immer  Erkrankungen  der  Gefässwände  durch  atheromatose  Processe  oder  ent- 
zündliche Aiiflockerung  etc.  voraus.  Oefter  jedoch  sind  sie  traumatischen  Ursprunges, 
oder  aus  einer  Aufhebung  des  intraocidaren  Druckes  in  Folge  pathologischer  Verhält- 
nisse oder  wegen  tlieiXy^- eisev  Entleeru7ig  der  dioptrischen  Medien  durch  eine  Oeffnung 
der  Hörn-  oder  Lederhaut  abzuleiten.  Wo  der  Bulbusinhalt  sich  vermöge  eingetretener 
Atrophie  der  Theile  oder  wegen  einfachem  Abflüsse  durch  eine  Substanzlöcke  der 
Kapsel  vermindert  hat,  können  die  Extravasate  überaus  massenhaft  werden,  die 
Grenzhaut  der  Chorioidea  durchbrechen  und  die  Netzhaut  vor  sich  treiben  oder 
zerreissen  und  in  den  Glaskörper  austreten  (S.   159),  bei  durchbohrenden  Hornhaut- 

21* 


324  Aderhaut;  Nosologie;  Blutestravasate. 

wunden  luich  wohl  den  Ciliarmuskel  absprengen  und  bedenkliche  Blutverluste 
begründen.  Wo  jedoch  die  Bulbuskapsel  unverletzt  und  der  intraoculare  Druck 
nicht  weit  unter  das  Normale  gesunken  ist,  sind  reichlichere  Ergüsse  und  dadurch 
gesetzte  Berstuugen  der  Grenzhaut  und  der  Netzhaut  Ausnahmen;  die  liämostatischen 
Verhältnisse  des  Binnenraumes  lassen  dieselben  schwer  zu  (S.  3) ,  es  seien  denn 
die  Bedingungen  einer  raschen  Aufsaugung  des  Glaskörpers  günstig,  wo  allerdings 
Blut  in  dem  Masse  nachrücken  kann,  als  der  normale  Inhalt  des  Augapfels  sich 
vermindert.  Es  sitzen  die  Extravasate  in  der  Regel  zwischen  der  Aderhaut  und  Sclera, 
oder  theilweise  in  der  eigentlichen  Gefässschichte,  äusserst  selten  zwischen  der 
Grenzhaut  und  Vascnlosa,  sind  bisweilen  recht  zahlreich  und  pflegen  sich  in  nicht 
langer  Zeit  bis  auf  kleine  Pigmenthaufen  aufzusaugen.  Ophfhalvioskopisch  stellen  sie 
sich  im  frischen  oder  doch  nicht  veralteten  Zustande  als  dunkel  blutrothe  Flecke  mit 
unregelmässigen,  bisweilen  verwaschenen  Umrissen  dar.  Sie  unterscheiden  sich  von 
Netzhauthämoi'rhagien  dadurch,  dass  die  retinalen  Gefässe  in  ihrem  Bereiche  ganz 
deutlich  mit  ihren  scharfen  Grenzen  wahrgenommen  werden,  also  nicht  wie  bei 
letzteren  in  den  Extravasaten  verschwinden.  Wo  aber  kein  solches  Gefäss  über 
den  Erguss  hinwegläuft,  gibt  die  tiefere  Lage  und  der  Umstand  einen  diagnostischen 
Anhaltspunkt,  dass  die  Netzhauthämorrhagien  an  ihren  Rändern  oft  gestrichelt 
erscheinen,  indem  sie  sich  in  den  Lücken  zwischen  den  Nervenfasern  auszubreiten 
pflegen.  Selten  schimmern  grössere  Aderhautextravasate  durch  die  Lederhaut  durch 
und  lassen  sich  so  direct  erkennen.  Sehstörungen  werden  durch  einfache  Aderhaut- 
blutungen nicht  leicht  unmittelbar  begründet.  Wo  sich  solche  geltend  machen,  sind 
meistens  die  nebenhergehenden  Verletzungen  oder  die  nachfolgende,  wenn  auch 
geringe,  entzündliche  Gegenwirkung  der  nächste  Grund.  Selbst  in  dem  Falle,  als 
wegen  grösserer  Massenhaftigkeit  des  Ergusses  die  Netzhaut  hervorgestaut  würde, 
kann  sich  die  damit  gesetzte  Functiousbeirrung  nicht  offenbaren,  weil  ein  solches 
Ereiguiss  tiefe  krankhafte  Veränderungen  voraussetzt  und  die  damit  verknüpften 
Hemmungen  des  Wahrnehmungsvermögens  jene  völlig  verhüllen. 

Quellen:  Kölliker,  mikr.  Anatomie  II.  Leipzig,  1854.  S.  628.  —  Henle,  Handbuch 
der  Anat.  II.  Braunschweig,  1866.  S.  611.  —  H.  Müller,  Würzburger  Verhandlungen 
der  phvs.  med.  Gesellschaft.  X.  S.  179  ;  Würzb.  naturwiss.  Zeitg.  IL  S.  221;  A.  f.  O. 
IL  2.  S'.  35;  III.  1.  S.  1 ;  IV.  2.  S.  277.  —  Rosoio,  A.  f.  0.  IX.  3.  S.  63,  65.  —  Wittich, 
ibid.  IL  1.  S.  124.  —  C.  Euter,  ibid.  X.  1.  S.  67;  X.  2.  S.  148.  —  Bahuchin,  Würzb. 
naturw.  Zeitg.  IV.  S.  70,  81.  —  Arlt,  A.  f.  O.  IIL  2.  S.  87,  102,  103,  110.  —  0.  Becker, 
Wiener  med.  Jahrbücher,  1863.  S.  159,  170,  175.  —  v.  Eeeken,  Ontleedkundig  onder- 
zoog  V.  d.  Toestel  v.  acc.  Utrecht,  1855.  S.  37,  46.  —  Gravier,  Het  acc.  vermögen 
etc.  Harlem,  1853.  S.  68.  —  Helviholtz,  A.  f.  O.  L  2.  S,  65.  —  Henke,  ibid.  VI,  2. 
S.  53,  57.  —  Klehs,  Virchow's  Archiv.  21.  Bd.  S.  176.  —  Todd-  Boivman,  Phys. 
nat.  1847.  IL  S  27;  nach  Kölliker  1.  c.  S.  635.  —  Brücke,  Med.  Zeitg.  des  Vereins  f. 
Heilk.  in  Preussen.  1846.  S.  130;  Anat.  Beschreib,  des  m.  Augapfels,  Berlin,  1847. 
S.  12,  17,  20.  —  Mannhardf,  A.  f.  O.  IV.  1.  S.  269.  —  G.  Meyer,  Virchow's  Archiv. 
34.  Bd.  S.  380.  —  Leber,  Denkschriften  der  Wiener  k.  Akad.  der  Wiss.  24.  Bd. 
S.  299,  305,  308,  312 ;  A.  f.  O.  XL  1.  S.  1.  —  Winther,  Experimental-Studien  über 
die  Path.  des  Flügelfeldes.  Erlangen,  1866.  S.  5,  8—13.  —  Kugel,  A.  f.  O.  IX.  3. 
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über  den  Gebrauch  des  Augenspiegels.  Berlin,  1864.  S.  63.  —  Sämisch,  Beiträge 
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Senile  Verändenmgen ,  Nosologie:  Wedl,  Grundzüge  der  pathol.  Histologie. 
Wien,  1854.  S.  330;  Sitzungsberichte  der  Wiener  k.  Akad.  der  Wiss.  48.  Bd.  S.  384, 
385,  386,  388;  Atlas,  Cornea- Sclera,  Retina-Opticus ,  Iris-Chorioidea.  —  Donders, 
A.  f.  O.  L  2.  S.  106;  IX.  2.  S.  215,  217;  kl.  Monatbl.  1863.  S.  503;  1864.  S.  433.  — 
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27.  Dec;  1859.  28.  Mai;  A.  f.  O.  II.  2.  S.  1,  13,  28,  32,  40,  64;  IV,  1.  S.  363,  366; 
IV.  2.  S.  1,  18,  20,  23,  30,  39.  —  Schioeigger,  Cougres  intern,  d'ophth.  Paris,  1864. 


Iridokyklitis ;  Iridochorioiditis  ;  Erankheitsbild.  325 

S.  70;  A.  f.  O.  V.  2.  S.  21G,  219,  223,  227,  231,  233,  234;  VI.  1.  S.  143,  150,  151, 
163;  VI.  2.  S.  258,  2G1,  2G5,  271,  274;  IX.  1.  S.  192,  202;  Vorlesungen  über  den 
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IX.  3.  S.  63,  75,  82;  Centralbl.  1867.  S.  488.  —  Iwanoff,  A.  f.  O.  XI.  1.  S.  191,  19.3, 
198;  XV.  2.  S.  7,  16,  22,  24,  43,  49;  Ueber  symp.  Ophth.  v.  Mooren,  S.  161  u.  f. 

—  Mayrhofer,  Zeitschrift  der  Wiener  Aerzte.  1860.  Nro.  47.  —  Liehreich,  kl.  Monatbl. 
1863.  S.  488;  Traite  prat.  des  mal.  d.  yeux  par  Mackenzie.  Bruxelles,  1857.  II. 
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II.  1.  S.  210;  III.  2.  S.  457,  461,  464,  475,  479,  481,  484,  487,  551,  554;  IV.  2. 
S.  143,  146;  VIII.  2.  S.  271,  276,  279,  284,  286;  kl.  Monatbl.  1864.  S.  435; 
Congres  ophth!  1867.  S.  174.  —  Graefe,  Leber,  Beri.  klin.  Wochenschr.  1867. 
S.  324;  A.  f.  O.  XIV.  1.  S.  183,  184;"  kl.  Monatbl.  186  7.  S.  299.  —  Haffmans, 
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Archiv.  19.  Bd.  S.  337;  A.  f.  O.  XI.  2.  S.  242.  —  Schiess-Gemuseus,  IX.  1.  S.  22, 
24,  33,  38,  39;  IX.  3.  S.  170,  175,  181,  184,  186,  193,  195.  —  Pagenstecher  und 
Sämisch  ,  klin.  Beobachtungen.  Wiesbaden,  1861.  II.  S.  74,  77,  83,  90.  —  Ammon, 
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IL  S.  98,  146,  150,  151,  427,  429,  432,  451;  der  intraoc.Druck.  S.  34.  —  C.  Ritter, 
A.  f.  O.  Vm.  1.  S.  1,  30,  52,  55,  60,  65.  —  Heymann,  ibid.  VII.  1.  S.  127,  130. 

—  Manz,  ibid.  IV.  2.  S.  120,  124;  IX.  3.  S.  133,  135,  139,  140,  142;  kl.  Monatbl. 
1863.  S.  450.  —  Laqneur,  Centralbl.  1869.  S.  362.  —  Eydl,  Wien.  Augenklin.  Ber. 
S.  136.  —  Czerny,  ibid.  S.  178,  181.  —  ?lirschherg ,  kl.  Monatbl.  1868.  S.  153; 
1869.  S.  66,  67,  299,  300.  —  Gouvea,  A.  f.  O.  XV.  1.  S.  257.  —  Berlin,  ibid.  XIH. 
2,  S.  297;  XIV.  2.  S.  283,  287,  291, '296,  314.  —  Knapp,  ibid.  XIH.  1.  S.  127, 
138,  146,  156,  163,  167;  kl.  Monatbl.  1868.  S.  320;  Arch.  f.  Aug.  u.  Ohrenheilkd. 
L  S.  12,  17,  21,  28.  —  Mauthner,  Lehrb.  d.  Ophthscop.  S.  441,  443,  449.  — 
Cohnheim,  Virchow's  Archiv.  39.  Bd.  S.  49.  —  Busch,  ibid.  36.  Bd.  S.  448.  — 
Bouchut,  Gaz.  med.  de  Paris.  1868.  S.  644;  Compt.  rend.  67.  Bd.  S.  940.  — 
Arcoleo,  Congres  ophth.  1867.  S.  189.  —  Clifford,  Lancet  1869.  L  S.  638.  — 
Fraenkl,  kl.  Monatbl.  1869.  S.  123;  Jahrb.  f.  Kinderkrankh.  1869.  S.  113.  — 
Steffen,  ibid.  S.  315,  319.  —  Vernon,  Schmidt's  Jahrb.  140.  Bd.  S.  310.  —  Hirschler, 
Wien,  mt  ^  Wochenschr.  1865.  Nro.  91,  '^2.  —  Saemisch ,  kl.  Monatbl.  1866. 
S.  111;    l^o7.    S.    31.    —   Haase,    ibid.    1866.    S.    255.    —    Schroetter,    ibid.    S.  255. 

—  Talko,  ibid.  1868.  S.  269.  —  Soelherg  Wels,  ibid.  S.  221.  —  Böhmen,  ibid. 
1867.  S.  160.  —  Sfavcnhagen,  klin.  Beobacht.  Eiga,  1868.  S.  91.  —  Streatfield, 
Ophth.  Hosp.  Rep.  H.  S.  241  —  Frank,  ibid.  III.  S.  84.  —  WiUon,  nach 
Knapp,  Arch.  f.  Aug.  und  Ohrenheilkunde  I.  S.  10. 


1.  Iridokyklitis,  Iridocliorioiditis. 

Krankheitsbild.  Charakteristisch  sind  neben  den  Erscheinungen  der 
exsudativen  L-itis  unverhäUnissmässig  hohe  Grade  von  Sehstörung  und  ent- 
zündliche,   Trübungen  des    Glaskörpers. 

1.  Das  Bild  der  Regenbogenhautentzündung  wechselt  je  nach  der  In- 
tensität des  Processes  und  nach  dem  Verlaufsstadium  sehr  bedeutend.  Stetig 
ist  nur  die  meistens  ziemlich  vollständige  Verlöthung  des  Pupillarrandes 
mit  der  Vorderkapsel.  In  den  ersten  Perioden  zeigen  sich  nebenbei  bis- 
weilen Hypopyen,  gummöse  Knoten  u.  s.  w. ;  späterhin  jedoch  fehlen  derlei 
Productanhäufungen    fast    immer,    indem    die    vorderen  Uvealpartien    rasch 


Ö2K)  Iridochorioiilitis;  KranklieilsliiUl. 

dem  Schwtmde  zix  verfalleii  pflegen  und  so  das  Bchaffungsvcrmögen  tlieil- 
weise  eiubüssen.  Wo  die  Kraiikheit  einige  Zeit  besteht,  findet  man  daher 
gewöhnlich  die  Symptome  der  Entzündung  mit  jenen  des  Schwundes  (S.  285) 
gepaart.  Dazu  kommen  bei  den  bösartigeren  Formen  die  Merkmale  tiefer 
Gefässentariung.  Es  treten  einzelne  mächtig  ausgedehnte  Stammtheile  an 
der  Oberfläche  der  ßegenbogenhaut  hervor,  verlaufen  daselbst  eine 
Strecke  weit,  verzweigen  sich  und  verschwinden  wieder  in  der  Tiefe.  Auf 
ihre  Kechnung  sind  die  nicht  seltenen,  zeitweilig  sich  wiederholenden 
Blutergüsse  ^u  setzen,  welche  im  Kammerraume  beobachtet  werden.  Mit 
der  Atrophie  im  Zusammenhange  steht  eine  beträchfliche  Verminderung 
der  wässerigen  Feuchtigkeit,  die  Kammer  wird  immer  enger,  bis  die  Iris 
am  Ende  der  Wasserhaiit  anliegt.  Die  sehr  verfärbte  und  stellenweise  sehnig 
entartete  Ecgenbogenhaut  erscheint  dann  oft  in  flacher  Wölbung  straff 
gespannt.  In  anderen  Fällen  ist  sie  von  einer  im  hinteren  Kammerraume 
gesammelten  gelblichen  eiweissreichen  klebrigen  Flüssigkeit  an  einzelnen 
Orten  buckelig  vorgebaucht;  oder  sie  tritt  ihrer  Gesammtheit  nach  in 
Gestalt  eines  Ringwulstes  an  die  Cornea  heran,  dessen  centrale  Wand 
gegen  die  Verschlussmasse  des  engen,  meist  zackigen  Sehloches  steil  ab- 
fällt, Avähreud  die  äussere  Wand  sich  fach  gegen  die  Peripherie  hin  ab- 
dacht. Mitunter  ist  die  ins  Schiefergraue  oder  Fahlbraune  entfärbte  Regen- 
bogenhaiit  sichtlich  gelockert  oder  hat  ein  kropfig  geblähtes  Aussehen,  ihre 
Oberfläche  ist  voll  von  drusigen  Erhabenheiten  und  einspringenden  Furchen, 
sammtähnlich  rauh  oder  bisweilen  auch  von  einem  missfärbigen  schimmel- 
artigen Belege  überkleidet. 

2.  Rings  um  die  Hornhaut  macht  sich  immer  eine  mehr  minder 
starke  episclerale  Gefässeinspritzung  bemerkbar.  Oft  nimmt  auch  der  vordere 
Gürtel  der  Augapfelbindehaut  an  der  Congestion  Antheil  und  bedingt  die 
Entwickelung  eines  mächtigen  Gefässkranzes,  ja  mitunter  geht  entzündliches 
Oedem  der  Conjunctiva  bulbi  und  selbst  der  Lider  nebenher.  Die  Hyper- 
ämie ist  nur  selten  und  dann  immer  blos  anfänglich  vortviegend  arteriel, 
in  der  Regel  trägt  sie  entschieden  den  venösen  Charakter.  Oefters  und 
namentlich  in  den  späteren  Stadien  des  Processes  sieht  man  eine  auffallend 
grosse  Zahl  stark  ausgedehnter,  von  dunklem  Blute  strotzender  Zweige  aus 
der  Vorderzone  der  Lederhaut  hervortreten,  sich  zu  groben  J^etzen  ver- 
schlingen und  dann,  zu  grösseren  Stämmen  vereinigt,  geschlängelten  Laufes 
am  Augapfel  nach  hinten  streichen.  Es  weiset  diese  üeberfüllung  der 
vorderen  Ciliarvenen  auf  Strömungshindernisse  in  den  Wirbelgefässen  hin, 
hat  eine  ausgesprochen  collaterale  Bedeutung  und  ist  von  den  Verände- 
rungen im  Bereiche   der  eigentlichen  Aderhaut  abhängig. 

3.  Die  Spannung  der  Bulbuskapsel  ist  in  den  ersten  Perioden  des 
Leidens  häufig  etwas  vermehrt,  wechselt  aber  dem  Grade  nach  im  Einzeln- 
falle imierhalb  kurzer  Zeiträume,  bringt  also  Veränderungen  in  den 
Binnendruckverhältnissen  zur  objectiven  Wahrnehmung.  In  dem  späteren 
Verlaufe  wird  der  Augapfel  in  der  Regel  auffallend  loeich  und  deutet  damit 
auf  eine  Abnahme  des  Bulbusinhalt.es,  also  auf  tief  greifende  Störungen 
der  osmotischen  Verhältnisse  hin,  welche  ihrerseits  häufig  schon  die  Folge 
vorschreitenden   Schwundes  der  Binnenorgane  sind. 

4.  Ophthalmoskopisch  verräth  sich  der  Process,  falls  das  Sehloch  für 
directes  Licht  noch    durchgängig  ist,    nur  durch  starke    Trübung  des    Glas- 


Aiigenspiegelliilil ;  Sulijoctivp  Erscheiumigpn.  327 

kör^ters,  da  dioso  (l(^n  Aiigeiinrimd  vöHij^  verhüllt.  J)io  Trübung  ist  ge- 
meiniglich diffus,  nur  hier  und  da  zu  uubeslinimt  begrenzten  ntrang-  oder 
blattartigen  Zügen  verdichtet.  Seltener  erscheint  sie  figurirt,  man  sieht  in 
dem  dichten  Nebel  hinter  der  Pupille  verzweigte  Zotten  oder  grobe 
Balkennetze  mit  zwischongestreuten  llockigen  Massen.  Sie  ist  meistens 
über  den  ganzen  Glaskörper  verbreitet,  concentrirt  sich  jedoch  bisweilen 
an  einzelnen  Stellen,  besonders  in  der  Nähe  des  Strahlenkörpers.  Hellt 
sie  sich  im  weiteren  Verlaufe  so  weit  auf,  dass  man  mit  dem  Spiegellichte 
durchzudringen  vermag,  so  zeigt  sich  ausser  einer  auffällig  starken  Rothung 
der  Papille,  welche  aus  dem  Zusammenhange  der  Aderhaufgefässe  mit  jenen 
der  Nährgefässe  des  Opticus  zu  erklären  ist,  in  der  Regel  keine  weitere  er- 
hebliche Veränderung  am  Augengrunde. 

5.  Die  Sehschärfe  ist  stets  tief  gesunken,  viel  tiefer,  als  dass  sich  der 
Verlust  lediglich  aus  den  Exsudationen  im  Bereiche  des  Sehloches  und 
selbst  aus  der  Trübung  der  dioptrischen  Medien  überhaupt  ei'kUiren  Hesse, 
das  Auge  ist  im  eigentlichen  Wortsinne  amblyopisch  geworden  und  offenbart 
so  die  Mitleidenschaft  des  lichtempfindenden  Apparates.  Es  lagert  sich,  so 
klagen  die  Kranken,  über  das  Gesichtsfeld  ein  dichter  Nebel  oder  Rauch, 
welcher  anfänglich  heller  zu  sein  pflegt  und  auch  wohl  dem  Grade  nach 
stark  wechselt,  mit  der  Zeit  aber  immer  dunkler  wird  und  das  Erkennen 
von  Gegenständen  mehr  und  mehr  erschwert,  wenn  nicht  ganz  unmöglich 
macht.  Bei  genauerer  Untersuchung  erkennt  man  oft  schon  ganz  deutlich 
Einschränkungen  des  Gesichtsfeldes,  welche  von  einer  peripherischen  Stelle 
beginnend  sich  allmälig  ausbreiten,  endlich  über  das  Centrum  hinweg- 
schreiten und  das  Sehvermögen  auf  quantitative  Lichtempfindung  zurück- 
führen oder  gänzlich  vernichten.  Es  handelt  sich  dann  meistens  nicht  mehr 
blos  um  eine  einfache  entzündliche  Mitleidenschaft  der  Retina  und  des 
Opticus,  sondern  um  viel  tiefere  Vegetationsstörungen,  welche  den  Process 
namentlich  in  den  späteren  Verlaufsstadien  zu  begleiten  pflegen,  um  pro- 
gressiven Nervenschwund,  um  Netzhautahhehung ,  um  eine  Excavation  der  Pajnlle. 
Der  Ort  und  die  Umrisse  der  Gesichtsfeldbeschränkung  lassen  den  einen 
oder  den  anderen  der  genannten  Zustände  manchmal  mit  Wahi'scheinlich- 
keit  diagnosticiren. 

G.  Mt  der  Abnahme  des  Sehvermögens  stellen  sich  oft  subjective 
Lichterscheinungen  ein,  farbige  oder  weisse  Punkte,  Sterne,  Räder,  Elammen, 
Blitze  u.  s.  w.  Sie  treten  vorzugsAveise  im  Dunklen  hei'vor  und  steigern 
sich,  bei   circulatorisohen  oder  nervösen  Aufregungen  des  Kranken. 

7.  Spontane  Schmerzen  sind  oft  vorhanden  und  wechseln  ausnehmend 
dem  Grade  und  der  Art  nach.  Sie  sitzen  bald  im  Auge  selber,  bald 
strahlen  sie  nach  den  einzelnen  Zweigen  des  fünften  Nerven  aus.  Sie 
machen  gerne  paroxysmenartige  Anfälle,  welche  typisch  oder  zu  unregel- 
mässigen Zeiten  wiederkehren  und  mehr  weniger  vollständige  Remissionen 
zwischen  sich  haben.  Sie  finden  sich  gewöhnlich  nur  so  lange,  als  die 
Consistenz  des  Bulbus  vermehrt  ist.  Es  zeigt  sich  dabei  öfters  eine  geringe 
Empfindlichkeit  gegen  Druck  auf  die  Ciliargegend,  was  man  aus  der 
stärkeren  Spannung  der  Nerven  und  der  damit  verknüpften  Leitungsbe- 
hinderung peripherer  Eindrücke  erklären  will.  In  den  späteren  Stadien, 
wo  der  Bulbus  bereits  loeicher  geworden  ist,  pflegen  die  spontanen  Schmerzen 
geringer  zu   sein   oder  ganz  zu  fehlen;  wogegen  sich  die  Ciliargegend  häufig 


328  Iridochorioiditis ;  Ursachen:  Mechanische  Schädlichkeiten. 

ausserordentlich  empfindlich  gegen'  jeden  äusseren  DrucTc,  wenigstens  an  ein- 
zelnen Stellen,  erweiset,  was  man  mit  der  besseren  Leitxmgsfähigkeit  der 
entspannten   Xerven    in    Znsammenhang  bringen  zn  dürfen  glanbt   (Graefe). 

Bisweilen  beobachtet  man  ausserdem  einige  Verstimmung  der  Magennerven, 
welche  sich  durch  Appetitlosigkeit,  Ueblichkeiten,  Erbrechen  beurkundet.  Fieber- 
bewegungen sind  bei  acuten  Fällen  etwas  Gewöhnliches. 

8.  Häufigerscheint  die  Iridochorioiditis  eotühxniit  mit  Keratitis  punctata, 
mit  den  Erscheinungen  der  Hgdromeningitis,  der  Capsulitis  und  manchmal 
auch  mit  jenen  der  Phakeitis.  Auch  sind  in  den  späteren  Stadien  der 
Polar-  und  Glaskörperstaar  nichts  ganz  Ungewöhnliches.  Es  werden  eben 
bei  Entzündungen  der  Uvea  fast  sämmtliche  Organe  des  Auges  in  Mitleiden- 
schaft gezogen  und  bringen  dies  mehr  oder  weniger  deutlich  zur  objectiven 
Wahrnehmung. 

Ursachen.  Die  Aetiologie  der  Iridochorioiditis  fällt  grossen  Theiles 
mit  jener  der  einfachen  Eegenbogenhautentzündung  zusammen.  In  der  That 
können  dieselben  Schädlichkeiten,  welche  als  gewöhnliche  Anlässe  der  Iritis 
aufgefühi't  werden  (S.  281).  unter  Umständen  auch  den  Strahlenkranz  und 
die  Aderhaut  zur  entzündlichen  Wuchemng  anregen. 

Mitunter  ist  die  In-  und  Extensität  der  Beizicirkung  der  Grund,  dass 
sich  der  Process  nicht  auf  die  Iris  beschränkt,  sondern  sich  rasch  über 
den  ganzen  üvealtract  ausbreitet,  oder  gleich  von  vorneherein  die  Bedeutung 
einer  Iridochorioiditis  gewinnt.  Am  häufigsten  geschieht  dies  in  Eolge 
starker  Erschütterungen  des  Auges ;  in  Folge  durchdringender  Wunden, 
besonders  wenn  sie  mit  ZeiTung,  mit  Quetschung  der  Theile,  mit  Verlust 
sehr  beträchtlicher  Mengen  von  Glaskörperflüssigkeit  verbunden  sind;  wenn 
ein  fremde)'  Körper  in  den  Vordertheil  des  Augapfels  eindringt  und  einige  Zeit 
daselbst  verweilt,  oder  wenn  massenhaft  Blut  in  den  Binnenraum  ergossen 
wii'd ;  wenn  der  Ery  stallkör  per  dislocirt  wird  und  auf  gefitss-  und  nerven- 
reiche Organe  drückt,  wenn  die  Kapsel  verletzt  wurde,  die  Linse  sich 
nachträglich  aufbläht  und  die  Eingeweide  des  Bulbus  mechanisch  reizt 
u.  s.  w.  Es  spielen  danim  auch  Staaroperationen  eine  wichtige  Eolle  in 
der  Aetiologie  der  Iridochorioiditis,  namentlich  solche,  bei  welchen  mächtige 
Trümmer  oder  der  ganze  Krvstall  im  Auge  zurückbleiben,  oder  behufs  der 
HerausbefÖrderung  eines  grossen  Kernes  eine  ausgedehnte  Wunde  gesetzt 
werden  muss,  der  operative  Vorgang  ein  sehr  schwieriger,  an  Hindernissen 
reicher,   oder  roher  gewaltsamer  ist. 

Auch  die  Oertlichkeit  der  Reizeinwirkung  ist  nicht  ohne  Einfi.uss,  Ver- 
letsrungen  der  CHiargegend,  selbst  ganz  unscheinbare,  sind  erfahrungsmässig 
weit  gefährlicher,  führen  viel  öfters  zur  Iridochorioiditis,  als  analoge  Ver- 
wundungen der  Eegenbogen-  oder  Aderhaut.  Es  scheint,  dass  der  sehr 
grosse  i^ervengehalt  des  Strahlenkranzes  in  dieser  Beziehung  von  hoher 
Bedeutung  ist. 

Häufiger  indessen,  als  die  In-  und  Extensität  so  wie  der  Ort  der 
Schädlichkeitsein wii'kung,  ist  die  Dauer  des  Reizes  der  Grund,  dass  der 
entzündliche  Process  von  der  Iris  aus  sich  allmälig  auf  den  Strahlenkranz 
und  die  Aderhaut  fortpflanzt.  Wo  nach  Ausbmch  der  Eegenbogenhaut- 
entzündung das  ätiologische  Moment  oder  andere  Irritarnente  in  ihrem  ver- 
derblichen Einflüsse  beharren,  gewinnt  der  Process  in  der  That  gar  bald 
die  Bedeutung  einer  Iridochorioiditis.     Diese  trägt    darum  auch  häufig  den 


Hintorc  Syiu'cliien;  Socuniliirc  Funiion;  Oplitlialniia  postfebrilis.  329 

syphilitischen   Charnkfer,   ist  eine  Folg'o   der  VernachlässigUTig  oder  unzweck- 
mässigen Eeliaudlung  einer  specifischon   Iritis. 

Uebrigens  liegt  in  den  Verlöthungen  des  Fupillarrandes  mit  der  Vordcr- 
kapsel,  wie  selbe  durch  Iritiden  so  häufig  begründet  werden,  ein  überaus 
tuirksamer  Factor  für  fortdauernde  Reizzustände,  folgerecht  also  für  allmälige 
Ausbreitung  des  entzündlichen  Vorganges  über  den  gesammten  Uvealtractus 
und  damit  auch  über  den  ganzen  Augapfel  (Graefe).  Theilweise  und  zerstreute 
hintere  Synechien  sind  in  dieser  Beziehung  laut  täglicher  Erfahrung 
loeniger  bedrohlich,  wohl  aber  totale  oder  nahezu  totale.  Wo  ein  solcher 
Abschluss  oder  Verschluss  des  Sehloches  besteht,  wiederholen  sich  in  der 
Regel  fort  und  fort  Anfälle  von  Iritis  und  bald  nehmen  auch  die  tieferen 
Bulbusorgane  Antheil,  es  gesellen  sich  zu  den  Erscheinungen  der  Regen- 
bogenhautentzündung jene  der  Kyklitis  und  Chorioiditis,  ja  sehr  oft  wird 
auf  sympathischem  Wege  auch  der  andere  Augapfel  in  entzündliche  Mit- 
leidenschaft gezogen.  Jedenfalls  sind  derlei  hintere  Synechien  ein  überaus 
kräftiges  disponirendes  Moment,  welches  macht,  dass  geringfügige  äussere 
oder  innere  Reize,  welche  sonst  ohne  allen  Schaden  leicht  vertragen 
werden,  die  vorhandenen  Störungen  zu  einem  manifesten  Wucherungs- 
processe  anfachen.  Doch  bedarf  es  dann  zur  Anregung  der  Recidiven  wahr- 
scheinlich nicht  immer  eines  äusseren  Anstosses;  die  Zerrung  und  Dehnung, 
welcher  die  verwachsene  Iris  ausgesetzt  ist,  genügen  möglicher  Weise  an 
sich,  um  heftige  Reizzustände  und  weiterhin  Entzündungen  zu  veranlassen. 
Der  Umstand,  dass  Hebung  der  Spannung  durch  theilweise  Ausschneidung 
der  Regenbogenhaut  die  Neigung  zu  Recidiven  vermindert  oder  tilgt, 
spricht  sehr  für  eine  solche  Annahme.  Andererseits  werden  erwiesener 
Massen  auch  vordere  Synechien  gerne  die  Ursache  recidivirender  Iritiden, 
wenn  durch  Vorbauchung  eines  narbigen  Theiles  der  Cornea  die  eingewachsene 
Partie  der  Regenbogenhaut  einer  höhergradigen  Spannung  ausgesetzt  wird. 
Diese  Iritiden  nehmen  auch  einen  ganz  ähnlichen  Verlauf  und  machen 
ganz  gleiche  Ausgänge,  wie  die  durch  hintere  Synechien  vorbereiteten  oder 
direet  begründeten  (Graefe). 

Die  Iridochorioiditis  ist  ausserdem  oft  insoferne  eine  secundäre,  als 
der  Uvealtract  erst  in  zweiter  Linie  ergriffen  wird,  oder  ursprünglich  in 
einer  anderen  Form  erkrankt  war.  Ihr  Auftreten  bildet  sehr  oft  die 
Schlussscene  mannigfaltiger  anderer  Processe,  der  Netzhautabhebung,  der 
exsudativen  Retinochorioiditis,  des  Glaucoms,  ectatischer  Vorgänge  in  der 
Lederhaut  u.   s.  f. 

Ein  unmittelbarer  Zusammenhang  mit  Scrophulose  (Arlt),  Rheuma- 
tismus, Gicht  etc.  besteht  nicht,  wohl  aber  mit  der  sogenannten  Febris 
typhosa  recurrens,  deren  Hauptursache  in  Hungersnoth  und  Elend  gesucht 
wird   (Mackenzie,   Blessig,   Estlander). 

Es  scheint  die  Oijhthcalmie  nicht  bei  allen  Epidemien  dieser  Krankheit  gleich 
häufig  aufzutreten.  Sie  macht  sich  meistens  erst  mehrere  Wochen  oder  gar  Monate 
nach  dem  letzten  Fieberanfalle ,  also  nachdem  der  Kranke  bereits  reconvalesci7-t 
scheint,  selten  früher  geltend,  befällt  am  häufigsten  Individuen  zwischen  10  und 
30  Jahren,  ist  gewöhnlich  auf  Ein  Auge  beschränkt  und  charakterisirt  sich  durch 
starke  Glaskörpertriibungen  und  die  Symptojne  einer  mehr  weniger  heftigen  Iritis. 
Die  Glaskörpertriibungen  sind  anfänglich  diffus,  figiiriren  sich  jedoch  bald  zu 
Flocken  und  dichteren  Haufen,  ja  in  einzelnen  Fällen  verdichten  sie  sich  zu  eiter- 
ähnlichen oder  weissen,  das  Licht  stark  reflectirenden  Massen,  welche  am  Boden 
des  Augengruudes  lagern.     Sie  gehen  mit   sehr  beträchtlichen  Sehstöriingen   einher, 


330  Iiidochorioiditis ;  Verlauf. 

welche  sich  anfänglich  in  der  Form  von  Nebel  -  und  Flockensehen  äussern ,  bei 
weiterem  Fortschreiten  der  Krankheit  aber  bis  zu  gänzlicher  Erblindung  steigen 
und  die  Mitleidenschaft  des  lichtempfindenden  Apparates  unzweideutig  bekunden.  Die 
Iritis  entwickelt  sich  in  manchen  Fällen  erst  spät  nach  dem  Auftreten  der  Glas- 
körpertrübungen, oder  bleibt  ganz  aus  fExflanderJ ;  in  anderen  l'^ällen  ist  sie  schon 
vom  Beginne  der  Ophthalmie  an  deutlich  ausgesprochen  (Maclcenzie,  Blessig).  Sie 
trägt  im  Allgemeinen  keinen  malignen  Charakter,  sondern  beschränkt  sich  auf 
theilweise  Anlöthungen  des  Pupillarrandes ,  führt  selten  zu  vrdligem  Abschlüsse 
des  Sehloches,  öfter  aber  zu  Hypopyum.  Im  letzteren  Falle  kann  es  ausnahmsweise 
zu  Phthlsis  hulhi  kommen;  sonst  geht  das  Leiden  in  der  Regel,  ohne  sonderliche 
Schäden  zu  hinterlassen,  wieder  völlig  zurück,  indem  die  hinteren  Synechien  durch 
Atropinisirnng  des  Auges  sich  beheben  lassen  und  die  Glaskörpertrübungen  bald 
zu  zerfallen  und  sich  allmälig  aufzulösen  beginnen.  Nur  die  dichten  eiterähnlichen 
Massen  bleiben  gewöhnlich  eine  unbestimmte  Zeit  lang  im  Glaskörper  zurück  und 
machen  sich  durch  Sehstörungen  geltend.  Im  Ganzen  verläuft  die  Krankheit  suhacuf, 
mit  Sc! iir anklingen  des  iniraocularen  Druckes,  indem  der  letztere  öfters  deutlich 
vermindert,  kaum  jemals  aber  erhölit  erscheint.  Die  Dauer  der  Krankheit  wechselt 
zwischen  2  und  3  Monaten.  Sie  pflegt  bei  Kindern  kürzer  zu  sein,  wo  sich  aber 
die  hinteren  Synechien  durcli  Atropin  nicht  lösen  lassen,  sich  über  diesen  Termin 
hinaus  zu  erstrecken.  Eine  specielle  Localhehandlung  soll  im  Ganzen  überflüssig, 
weil  ohne  Einfluss  auf  den  Verlauf  sein  (EsthmderJ.  Doch  wird  auf  energische 
Anwendung  des  Atropins  behufs  der  Lösung  der  Synechien  gedrungen. 

Das  Bindeglied  zwischen  der  Ophtlialmia  xjosffehrilis  (Mackenzie,  Blessig)  und 
dem  recurrirenden  Fiel>er  ist  unbekannt.  Die  Annahme,  dass  Veränderungen  des 
Blutes,  namentlich  reichlicher  Gehalt  desselben  an  weissen  Zellen,  die  nächste  Ursache 
abgeben,  wird  dadurch  in  ihrer  Glaubwürdigkeit  sehr  geschädigt,  dass  die  Ophthalmie 
gewöhnlich  erst  lange  nach  dem  letzten  Fieberanfalle,  also  nachdem  das  Blut  sicher- 
lich seine  krankhafte  Beschaffenheit  wesentlich  gebessert  hat,  zum  Vorschein  kommt. 

Liesse  sich  jedoch  diese  Hypothese  (Estlandei-)  erweisen,  so  würde  sich  die 
Ophthalmia  postfebrilis  mit  den  bei  Leucaemie  vorkommenden  Erkrankungen  der 
tieferen  Bulbusorgane  (S.  189)  in  eine  Klasse  zusammenstellen  lassen.  Thatsächlich 
ist  bei  letzteren  eine  Mitleidenschaft  des  Uvealtractes  beobachtet  worden  (S'dviisch). 

Verlauf.  Entwickelt  sich  die  Iridochorioiditis  in  Folge  einer  das 
Auge  treffenden  intensiven  reizenden  Schädlichkeit,  so  ist  ihr  Auftreten  meistens 
ein  acutes,  sie  trägt  den  sthenischen  Charakter,  steigt  binnen  kurzem  unter 
sehr  heftigen  Schmerzen  und  den  Erscheinungen  einer  intensiven  localen 
Blutwallung  zu  ihrem  Höhepunkte  und  führt  ebenso  rasch  zu  ständigen 
Ausgängen ;  oder  lenkt  allmälig  in  den  chronischen  Verlauf  ein  und  schleicht 
dann  unter  zeitweisen  Exacerbationen  und  Remissionen  sowie  unter 
merklichen  Schwankungen  der  fühlbareii  Bulbushärte  Wochen,  Monate  und 
Jahre  lang  fort,  bis  endlich  ein  Stillstand  eintritt,  oder  die  völlige  Atrophie 
der  Bulbusorgane  der  Entzündung  wenig  Boden  mehr  bietet. 

In  den  übrigen  Eällen  und  namentlich  bei  den  secundären  Formen 
stellt  sich  die  Iridochorioiditis  oft  in  subacuter  Weise  ein,  neigt  aber  gleich 
von  vorneherein  schon  zum  chronischen  Decurse,  in  welchen  sie  alsbald 
übergeht,  um  dann  nur  zeitweilig,  spontan  oder  in  Folge  von  Schädlich- 
keitseinwirkungen, wieder  aufzuflackern.  Oft  jedoch  treten  diese  Er- 
scheinungen der  Iridochorioiditis  nur  ganz  allmälig  hervor,  gesellen  sich 
beziehungsweise  zu  jenen  der  primären  Krankheit.  Besonders  ist  dies  bei 
den  höchst  bösartigen  degenerativen  Formen  der  Fall. 

Hier  geschieht  es  öfters,  dass  die  Kranken  anfänglich  über  einen  auffällig 
raschen  Verfall  des  Sehvermögens  an  einem  oder  dem  anderen  Auge  klagen ;  es 
lagert  sich,  so  sagen  sie,  ein  dicker  Nebel  oder  Rauch  über  das  ganze  Gesichts- 
feld und  nimmt  von  Tag  zu  Tag  zu.  Sclimerzen  pflegen  zu  fehlen  oder  doch  uner- 
heblich zu  sein ;  dann  und  wann  geht  einige  Lichtscheu  nebenher.  Ohjectiv  zeigt 
sich  eine  meist  sehr  geringe  episclerale  Gefässeinspritzung,  welche  überdies  oft 
auf    einzelne  Bogentheile    des  vorderen  Lederhautgürtels    beschränkt  ist.     Dagegen 


Bösartige  (li'fji'in'riilivi'  rnnu:  KyUlitis.  *  331 

erscheint  der  Thimor  oquens  ^owohnlicli  dcutlicli  und  mitunter  floekif^  <r('trül)t; 
öfters  ist  iiel)stbei  d;is  (^oniPdlepltliH  nicrlvlicii  j^'idocivert  oder  ^ar  gesfij)j)t,  wüiirond 
die  eigentliche  Hornhavtiuhfifan::  ilire  Durclisiciitigkeit  vermindert  und  ein  sulz- 
iihnliches  Anseilen  gewonnen  hat.  In  einzehien  Fällen  kommen  auch  schon  die 
charakteristischen  Exsudathäufchen  der  KeraÜf.is  puncfala,  einer  hävßc/en  Begleiterin 
der  xpüieren  Processstadien ,  zum  Vorscliein.  Die  Regenhogenliaid  ist  an  einer  oder 
der  anderen  St(dle,  der  Episcleralciuspritzung  eutsprechc^nd,  sichtlich  aufgequollen, 
im  hohen  Grade  entfärbt  und  nicht  selten  von  einem  fahlen  schiminelähnlichen 
Belage  überkleidet,  dabei  überaus  träge  beweglich,  die  Pupille  sell)st  durch  Atropin 
nur  wenig  erweiterbar  und  ihr  Rand  fast  immer  schon  durch  einzelne  papillose 
Auswüchse  an  die  Vordorkapsel  geheftet.  Alsbald  entwickeln  sich  im  Bereiche  der 
missfärbigen  Irispartie  einzelne  mächtig  ausgedehnte,  von  dunklem  Blute  gefüllte 
Gefässe,  welche  sich  an  der  Oberfläche  verzweigen  und  gerne  Blutergüsse  in  die 
Kammer  veranlassen.  Der  Glaskörper,  soweit  er  dem  Augenspiegel  zugänglich  ist, 
zeigt  sich  diffus  getrübt.  Einmal  an  diesen  Punkt  angelangt,  schreitet  der  Process 
entweder  in  yleichmUssigein  Tempo  weiter,  oder  unter  zeitweiligen  auffälligen  Ver- 
schlimmerungen, während  welchen  die  Injection  der  Ciliargegend  zunimmt,  oft  auch 
der  vielleicht  schon  merklich  herabgesetzte,  im  Ganzen  aber  noch  toandelhare  in- 
traoculare  Druck  wieder  erheblich  steigt  und,  besonders  wegen  merklicher  Ver- 
dichtung der  Glaskörjjertrübung,  die  Sehstörung  wächst.  Dabei  breitet  sich  der 
ursprüngliche  Herd  in  der  Iris  mehr  und  mehr  aus,  die  an  seiner  Oberfläche  her- 
vortretenden Blutadern  kriechen  gleichsam  weiter,  oder  es  bilden  sich  neue  Herde 
und  fliessen  nach  und  nach  zusammen.  Die  Aufquellung  des  Regenbogenhautge- 
füges  wird  dabei  immer  deutlicher,  so  dass  die  Iris  am  Ende  in  Gestalt  unregel- 
mässiger kropfähnlicher  Buckeln  in  die  Kammer  vorspringt,  ein  schwammähnlich 
aufgelockertes  Ansehen  gewinnt.  Mittlerweile  vermehren  sich  auch  die  Anheffungen 
des  Pupillarrandes  an  die  Vorderkapsel,  das  Sehloch  wird  enger  imd  unregel- 
mässiger, bis  es  endlich  nur  mehr  als  ein  kleiner  zackiger  Sehnenpfropf  in  der 
Mitte  der  aufgeblähten  und  nach  vorne  getriebenen  Regenbogenhaut  zur  Wahr- 
nehmung kömmt.  Von  hier  aus  beginnt  nun  das  Irisgefüge  sehnig  zu  entarten,  es 
schrumpft  stellenweise  zu  derben  grauen  Streifen  und  Fladen,  wobei  die  ausge- 
dehnten Gefässe  wieder  verschwinden;  an  der  Hiuterwand  der  Iris  und  des  Ciliar- 
körpers  ziehen  sich  die  mächtigen  Schwarten  immer  mehr  zusammen,  und  machen 
die  Peripherie  der  Regenbogenhaut  nach  hinten  rücken;  das  Sehvermögen  sinkt 
mehr  und  mehr  auf  quantitative  Lichtempfindung;  in  der  vorderen  Episcleralzone 
zeigen  sich  mächtig  ausgedehnte,  unter  einaiader  verschlungene  Venenstämme  und 
die  stetige  Abnahme  der  Bulbusresistenz  lässt  keinen  Zweifel  mehr,  dass  der  ganze 
Augapfel  bereits  im  Schwunde  begriffen  sei. 

In  anderen  Fällen  hebt  die  Krankheit  mit  einer  starken  Qefässeinspritzung 
der  vorderen  Episcleralzone  und  einer  mehr  oder  minder  heftigen  Ciliarneurose  an. 
Die  h-is  erscheint  dabei  etwas  entfärbt,  besonders  wenn  gleichzeitig  das  Kammer- 
wasser getrübt  ist,  bewegt  sich  aber  noch  ziemlich  gut  und  lässt  nur  spärliche 
papillose  Auswüchse,  wenn  überhaupt,  am  Pupillarrande  erkennen;  oder  es  bilden 
sich  unter  den  genannten  Erscheinungen  von  Zeit  zu  Zeit  llypopyen,  welche  rasch 
wieder  verschwinden  oder  doch  in  ihrer  Grösse  sehr  wechseln.  Die  auffällige 
Röthung  und  die  Empfindlichkeit  der  Ciliargegend  beim  Betasten,  zusammengehal- 
ten mit  den  nachträglich  erweisbaren  flockigen  Trübungen  der  vorderen  Randtheile 
des  Glaskörpers  und  der  davon  abhängigen  unverhältnissmässigen  Abnahme  der 
perijjheren  Sehschärfe,  sprechen  für  ein  vorzugsweises  Ergriffensein  des  Strahlen- 
kranzes und  daher  hat  man  denn  auch  diese  Fälle  in  neuerer  Zeit  als  reine  und 
beziehungsweise  als  eitrige  Kyklitis  beschrieben  (Graefe).  Der  Process  geht  häufig 
wieder  zurück,  obgleich  er  sich  bei  der  letzteren  Form  oft  recht  hartnäckig  erweiset. 
Oft  jedoch  und  zwar  vornehmlich  bei  der  ziveiten  Form  greift  er  weiter,  die  Be- 
theiligung der  Regenbogenhaut  wird  immer  deutlicher  und  endlich  treten  die  auf 
Chorioiditis  zu  beziehenden  Erscheinungen  hinzu,  die  Krankheit  verläuft  fürder  als 
Iridochorioiditis  in  der  oben  beschriebenen  Art. 

Das  Leiden  ist  anfänglich  in  der  Regel  auf  Ein  Auge  beschränkt 
und  bleibt  es  auch  öfters.  Häufiger  jedoch  wird  über  kurz  oder  lang  das 
zweite  Auge  in  Mitleidenschaft  gezogen.  Unzweifelhaft  liegt  in  vielen  dieser 
Fälle    der    Erkrankung    des  zweiten  Auges  das  Walten  gleicher  pathogeue- 


332  Iridocliorioiditis ;  Verlauf:  Ophthalmia  sympathica. 

tischer  Becliuguugen  und  der  gleichen  Ursaclie  zu  Grunde.  Oefter  jedoch 
lässt  sich  der  sympathische  Ursprung,  d.  i.  die  Ueberpflanzung  der  Ent- 
zündung durch  Vermittelung  der  Ciliarnerven,  namentlich  durch  Reflexe, 
welche  von  den  sensitiven  Zweigen  des  Ciliargebietes  auf  die  vasomotorischen 
Aeste  des  zweiten  Auges  geworfen  werden,  nur  schwer  abweisen. 

Gewöbnlich  geben  materielle  Veränderungen  der  Ciliarnerven,  manifeste  Ent- 
zündungen des  Neurilems  (Iwanoff),  Verkalkungen  u.  s.  w.  den  Erklärungsgrund 
für  die  nervösen  Reizzustände  ab.  Bisweilen  jedocb  finden  sich  in  den  einschlägigen 
Fällen  die  Ciliarnerven  vollkommen  ^inver'ündert  (Schiess-Gemuseus,  Czerny)  und 
man  muss  von  Aussen  her  auf  die  Nervenenden  wirkende  Reize  als  die  Quelle  des 
Leidens  betrachten. 

Der  Uebergang  auf  das  zweite  Auge  erfolgt  nicht  selten  schon  sehr 
frühzeitig,  bevor  der  Process  am  erstergriffenen  Auge  die  Begenbogenhaut 
überschritten  hat.  Gewöhnlich  aber  geschieht  dies  erst,  wenn  der  krankhafte 
Vorgang  im  ersten  Auge  sich  zur  Bedeutung  einer  Iridochorioiditis  empor- 
geschwungen hat.  Es  trägt  dann  die  Ophthalmie  des  ziveiten  Auges  meist- 
hin  einen  gutartigen  Charakter  und  erschöpft  sich  häufig  in  der  Ent- 
wicklung mehr  weniger  zahlreicher  liinterer- Synecliien,  welche  allerdings 
die  Neigung  zu  ferneren  Recidiven  mit  sich  bringen. 

Viel  mehr  bedroht  ist  das  zweite  Auge,  wenn  das  Leiden  des  ersten 
ein  vorwiegendes  Ergriffensein  des  Strahlenkörpers  annehmen  lässt,  vornehm- 
Hch  wenn  es  mit  massiger  Anhäufung  entzündlicher  organisirender  Producte 
an  der  Hinterwand  der  Iris  und  der  Ciliarfortsätze  einhergeht ;  indem  dann 
die  sympathische  Ophthalmie  sehr  oft,  wenn  auch  nicht  immer,  gleichfalls 
die  Bedeutung  einer  hypeiplastischen  Kyklitis  hat  und  durch  die  nachträg- 
liche Schrumpfung  der  Schwarten  gewöhnlich  auch  den  Ruin  des  zweiten 
Auges  anbahnt.  Die  sympathische  Ophthalmie  kann  dann  schon  während 
des  ersten  Sturmes  zum  Ausbruche  kommen,  zumal  wenn  das  Schädliclikeits- 
moment,  welches  das  erste  Auge  betroffen  hat,  einen  heftigen  Reiz  auf 
die  sensitiven  Ciliarnerven  auszuüben  und  zu  unterhalten  im  Stande  ist, 
wie  dies  z.  B.  bei  in  den  Strahleukörper  eingedrungenen  fremden  Körpern, 
bei  Risswunden  der  CiUargegend,  bei  dislocirten  Staaren  u.  s,  w.  häufig 
der  Fall  ist.  Im  Ganzen  jedoch  scheinen  die  acuten  Formen  der  hyper- 
plastischen Iiidochorioiditis  von  minderer  pathogenetischer  Bedeutung  für 
die  sympathische  Mitleidenschaft  des  zweiten  Auges  zu  sein.  Thatsache 
ist,  dass  die  letztere  sich  viel  seltener  zur  Geltung  bringt,  so  lange  der 
Process  am  erstergriffenen  Auge  unter  den  Zeichen  einer  sthenischen  Ent- 
zündung, unter  wüthendeu  Schmerzen  und  vielleicht  merklicher  Spannungs- 
zunahme des  Bulbus  einhergeht ;  dass  sie  hingegen  sehr  häufig  sich  in  den 
späteren  Stadien  einstellt,  namentlich  wenn  der  Bulbus  unter  dem  Fort- 
schreiten des  degenerativen  Processes  bereits  zu  schrumpfen  beginnt  und 
dies  durch  stetige  Abnahme  seiner  Consistenz  bekundet,  während  die 
anhaltende  und  auffällige  Empfindlichkeit  der  Ciliargegend  beim  Betasten 
auf  das  Gegebensein  einer  chronischen  schleichenden  Kyklitis  hindeutet 
(Graefe).  Es  wird  diese  Kyklitis  in  vielen  Fällen  unzweifelhaft  durch  die 
mechanische  Zerrung  unterhalten,  welcher  der  Ciliarkörper  und  vielleicht 
auch  die  I^erven  von  Seite  der  schrumpfenden  Schwarten  ausgesetzt  sind 
und  welche  öfters  bis  zur  völligen  Ablösung  des  Strahlenkranzes  von  der 
Sclerotica  gedeihet.  In  anderen  FäUen  jedoch  ist  der  Bulbus  bereits  zur 
Ruhe  gelangt  und  die  Kyklitis  wird  durch  eine  neue  äussere  Schädüchkeit, 


Amaurosis  sympathica;  Ausgänge.  333 

z.  B.  durch  das  Tragen  eines  künstlichen  Auges  (Mooren,  Lawson),  durch 
intraoculare  Blutungen  (CritchettJ  etc.,  oder  durch  Verkalkung  der  im  Ge- 
füge des  Strahlenkörpers  oder  gar  im  Neurilem  der  Ciliarnerven  (Schicss- 
Gemuseus)  abgelagerten  Producte  wieder  angefacht. 

Am  meisten  gefährdet  ist  der  zweite  Augapfel  bei  den  eigentlichen 
degenerativen  Formen  der  Iridocliorioiditis  (S.  331).  Wahrscheinlich  ist  auch 
hier  die  Schrumpfung  der  mächtigen  Schwarten  der  gewöhnliche  Motor  des 
sympathischen  Leidens.  Doch  tritt  nicht  selten  die  Erkrankung  des  zweiten 
Auges  zu  einer  Zeit  auf,  wo  von  einer  Verödung  der  Schwarten  und  dadurch 
bedingten  Zerrung  der  Ciliarfortsätze  noch  lange  nicht  die  llede  sein  kann. 
JS'icht  minder  fehlen  gar  oft  spontane  Schmerzen  und  das  eigentliümlichc 
Wehe  bei  Betastung  der  Ciliargegend,  welches  auf  degenerative  Kyklitis  ge- 
deutet wird ;  daher  kein  Grund  vorliegt,  manifeste  Reizungen  der  Ciliarnerven 
als   ausschliessliche   Quelle   der  Sjanpathic  in  diesen  Fällen  anzunehmen. 

Ueberliaupt  ist  in  der  Lelire  von  der  Ophthahnia  sympathica  noch  gar 
Vieles  dunkel  und  einigermassen  sonderbar,  dass  sowohl  acute  als  mehr  schleichende 
Eiterungsprocesse  im  Binnenraume  nur  äusserst  selten,  wenn  überliaupt  jemals,  das 
zweite  Auge  auf  sympathischem  Wege  gefährden,  obgleich  sie  öfters  mit  sehr  auf- 
fälligen Reizzuständen  der  Ciliarnerven  verknüpft  sind. 

Dem  eigentlichen  Ausbruche  der  sympathischen  Iridocliorioiditis  gehen 
sehr  häufig  prodromale  Erscheinungen  voi'aus.  Das  zweite  Auge  bekundet 
seine  Mitleidenschaft  vorerst  eine  Zeit  laug  durch  grosse  Empfindlichkeit 
und  Unverträglichkeit  gegen  helleres  Licht  und  gegen  jedwede  Anstrengung 
des  Accommodationsapparates,  durch  zeitweilige  Umnehelungen  des  Gesichts- 
feldes, durch  lästige  Gefühle  von  Druck  und  Spannung ;  weiterliin  durch 
öftere  Anfälle  von  über  den  Kopf  ausstrahlenden  Schmerzen  und  episclerale 
Congestionen,  oder  gar  durch  vorübergehende  auffällige  Verfärbungen  der 
Iris  bei  vollständiger  Erweiterbarkeit  der  Pupille  durch  Atropin  (Mooren), 
schliesslich  nach  öfterer  Wiederholung  dieser  Anfälle  durch  Entwickclung 
wahrer  .  Iritiden  mit   Synechienbildung. 

Nicht  immer  jedoch  führt  die  sympathische  Erregung  der  Nerven  zur  exsu- 
dativen Iritis  und  schlieslich  zur  Iridochorioiditis  mit  deren  weiteren  Folgen.  In 
manchen  Fällen  offenbart  sich  die  Theilnalune  des  zweiten  Auges  eine  lange  Zeit 
blos  durch  die  lieftUjde  Lichtscheu  und  vollständige  GehraiichsunfähigJceU  (Donders, 
Maats),  oder  durch  Photophobie  mit  rhythmisch-periodischen  Verdunkelungen  des 
Gesichtsfeldes  während  einer  halben  bis  ganzen  Minute  (Liebreich),  oder  durch 
Amblyopien  mit  concentrischer  Einschränkung  des  Gesichtsfeldes  (Mooren).  Auch 
kommen  Fälle  vor,  in  welchen  sich  eine  rasch  zunehmende  Amblyopie  unter  Ent- 
wickelung  einer  glaucomatösen  Sehner oenexcavation  ausbildet  (Graefe,  Homer).  Der 
letztgenannte  Zustand  findet  sich  relativ  am  öftesten  bei  älteren  Individuen  und  ist 
stets  an  eine  merkbare  Härtezunahme  des  Augapfels  geknüpft.  Es  liegt  nahe  anzu- 
nehmen, dass  die  Rigidität  der  Lederhaut  es  sei,  welche  den  Process  in  die  ab- 
weichende Form  eines  einfachen  Glaucoms  gedrängt  hat  (S.  314).  In  einzelnen 
Fällen  soll  am  zweiten  Auge  auf  sympathischem  Wege  Nefzhautentsündung  ver- 
anlasst worden  sein  (Graefe).  Endlich  will  man  sogar  epileptoide  Anfälle  aus  den 
Reflexen  erklären,  welche  von  dem  erkrankten  Bulbus  auf  die  vasomotorischen 
Nerven  des  Gehirnes  geworfen  werden  können  (Mooren). 

Ausgänge.  Die  Iridochorioiditis  kann  durch  zweckmässige  Therapie 
geheilt  werden,  möglicher  Weise  wohl  auch  spontan  heilen.  Eine  völlige 
Herstellung  des  IS'ormalzustandes  setzt  aber  voraus,  dass  die  constituirenden 
Elemente  des  Uvealtractes  und  vornehmlich  jene  der  Ketzhaut  noch  nicht 
sehr  gelitten  haben,  lässt  sich  also  nur  bei  frischen  Fällen  mit  Grund 
erwarten.  Wo  die  Iridochorioiditis  schon  längere  Zeit  besteht  und  überdies 
vielleicht  gar  in  secundärer  Weise  aufgetreten,  durch  materielle  Veränderungen 


334 


Iridocliorioitlitis ;  Ausgänge;  Sclerochorioidalstaphylome;  Atrophia  bulti. 


wichtiger  Augapfeltheile  vorbereitet  worden  ist,  sind  die  Aussichten  auf 
vollständige  Heilung  und  beziehungsweise  selbst  auf  Besserungen  des  Func- 
tionsvermögens  des  Auges  nur  sehr  geringe,  der  Process  führt  vielmehr 
in   der  Eegel  zu   ständigen    Verhildungen. 

Ein  häufiger  Ausgang  sind  Sclerochorioidalstaphylome.  Sie  kommen 
besonders  gerne  bei  jugendlidien  Individuen  zu  Stande,  obwohl  sie  auch 
bei  Leuten  des  reiferen  Alters  nichts  ganz  Ungewöhnliches  sind.  Sie 
können  sich  in  jedem  Stadium  des  Processes  entwickeln,  so  lange  der  intra- 
oculare  Druck  nicht  unter  das  normale  Mass  gesunken  ist.  Oft  treten 
sie  schon  in  dem  ersten  Beginne  der  Iridochorioiditis  hervor,  häufiger 
jedoch  in  den  späteren  Stadien  und  dann  meistens  während  den  entzünd- 
lichen Exacerbationen. 

Der  gewöhnlichste  Ausgang  ist  der  Schwund  des  gesammten  Augapfels. 
Es  vermindert  sich  hierbei  vorerst  das  Kammerwasser  und  die  Vitrina,  der 
Bulbus  wird  weicher ,  schlaff  und  faltet  sich  wohl  auch  unter  dem  Zuge 
und  Drucke  der  Augenmuskeln ,  während  sein  Umfang  sich  verkleinert. 
Im  Glaskörper  entwickeln  sich  in  Folge  fortschreitender  Gewebswucherung 
bindegewebige  Balken  und  Häute  (S.  162),  welche  allmälig  schrumpfen; 
das  Corpus  vitreum  (Fig.  41a)  zieht  sich  daher  auf  ein  kleineres  Volumen 
Eig.  41.  zusammen.    Die  Netzhaut  b ,   welche  mit 

dem  metamorphosirten  Glaskörper  strek- 
kenwcise  fest  verwachsen  ist,  folgt  dem 
letzteren,  wird  von  der  Aderhant  abge- 
hoben, faltet  sich  und  legt  sich  in  Gestalt 
eines  Trichters  zusammen.  In  dem 
Zwischenräume,  welcher  durch  die  Ab- 
hebung der  Retina  zwischen  dieser  und 
der  Aderhaut  erzeugt  wird,  sammelt  sich 
eine  wässerige  oder  mehr  sulzähnliche, 
gelbliche  röthliche  oder  braune  Flüssigkeit, 
ein  sogenannter  Hydrops  subretinalis  (S. 
y,':./^  216).     Gleichzeitig,     oder    im    späteren 

Verlaufe  der  Krankheit  setzen  sich  faserstoffähnliche  Producta  an  der  Ober- 
fläche der  Chorioidea  ab.  Besonders  häufig  kommen  dieselben  in  der  Umge- 
bung des  Sehnerveneintrittes  vor  und  bilden  dann  mehr  weniger  ausgebreitete 
Schwarten  mit  zugeschärften  ,  oft  Avolkig  verschwommenen  Rändern.  Gar 
nicht  selten  überziehen  sie  in  Gestalt  einer  continuirlichen  Schichte  von 
wechselnder  Dicke  den  grössten  Theil  der  inneren  Aderhautfläche,  oder  diese 
ihrem  ganzen  Umfange  nach.  Ihr  Gefüge  trägt  stets  den  Charakter  mehr 
minder  entwickelten  Bindegewebes ,  führt  eine  wechselnde  Menge  von  Ge- 
fässen ,  die  grösstentheils  mit  den  Gefässen  der  wuchernden  oder  bereits 
atrophirten  Aderhaut  zusammenhängen,   und  pflegt  frühzeitig  zu  verknöchern. 

Die  Aderhaut  selber  erscheint,  so  lange  der  Process  noch  im  Gange  ist, 
hyperämirt  und  bietet  alle  Charaktere  einer  üppigen  Geiod/swueherung  (8.  314) 
dar.  In  den  sjjüteren  Stadien  findet  man  sie  sehr  gewöhnlich  liypertrophirt ,  sie 
stellt  ein  gefässreiches  lockeres,  streckenweise  aber  auch  verdichtetes  Bindegewebs- 
stratum  dar,  in  welchem  meistens  noch  sehr  reichliche  Mengen  wuchernder  Kern- 
zellen, ausserdem  aber  freie  Kerne,  freies  Pigment,  Fett,  choloide  Kugeln  und 
Kalksalzdrusen,  selten  auch  neugebildete  Knochensplitter  (Pagensfecher)  lagern. 
Die  Gefässwandungen  sind  theilweise  sehr  verdickt  und  enthalten  oft  in  sehr  grosser 
Menge  choloide  Massen  oder  sind  verkalkt  (Wedl).  Die  Oberfläche  der  Chorioidea, 


ralli.  Anatomie  d.  Augiipfelschwuiules ;  Verknüclionulo  Adorhautschwurten.  33o 

SO  weit  sie  nicht  Schwarten  träo;t,  ist  von  der  sehr  verdickten  Lumina  elastica 
überkleidet,  auf  deren  innerer  Wand  sehr  häufig  nebst  spärlichen  Kesten  des 
Tapetes  zahllose  choloidc  Kugeln  (S.  312)  sitzen.  Dieselben  erreichen  bisweilen 
einen  ganz  erstaunlichen  Entwicklungsgrad,  so  dass  es  das  Ansehen  gewinnt,  als 
wäre  die  Aderhaut  mit  kleinen  trül)en  glasigen  Körnern  dicht  übersäet.  Diese 
glasähnlichen  Körner  sind  daini  mitvinter  so  hart,  dass  sie  unter  einem  darauf  hin- 
gleitenden harten  Körper  rauschen.  Man  fand  sie  in  einzelnen  Fällen  (/estielt,  im 
Inneren  geschichtet  und  zum  Theile  auch  von  Pigmentkörnern,  Kalksalzen  und 
eckigen  Krystalicn,  wahrscheinlich  fettiger  Art,  durchstreuet  (Khhfi). 

Der  Ciliurlcüijjer  und  die  Iris  erweisen  sich  unter  solchen  Verhältnissen  in 
der  Regel  }iochgradig  alrojjhirt.  Ihre  hintere  Fläche  ist  in  den  meisten  Fällen  von 
dichten  sehnigen,  zum  Theile  schon  kallchältigen  oder  gar  von  Knochenschüppchen 
durchsetzten  Sclavarlen  bedeckt,  welche  gewöhnlich  mit  jenen  der  Adorhaut 
im  Zusammeuliange  stehen  und  nach  vorne  hin  sich  bis  zu  dem  das  Sehloch 
schliessenden  Pfropfe  fortsetzen,  mit  ihm  in  Verbindung  treten.  "N^on  der  inneren 
Wand  dieser  Schwarten  treten  immer  zahllose  bindegewebige  Flocken  und  Balken 
in  den  sehnig  entarteten  Glaskörper  ein ,  oder  die  Schwarten  gehen  unmittelbar 
über  in  eine  dicke  sehnige  Scheibe,  welche  dem  Krystalle  von  hinten  her  ai;f- 
lagert  und  aus    der  Verdichtung  des    sehnig  degenerirten  Corpus    vitreum  resultirt. 

Der  Ciliarmuskel  ist  meistens  bis  auf  wenige  in  Verfettigung  begriffene  Fascr- 
zellen  im  Schwunde  aufgegangen ,  oder  stellt  blos  mehr  eine  Lage  von  obsoles- 
cirendem  Bindegewehe  dar,  das  mit  geschrumpften  Kernbildungen,  Fett  und  Kalk 
durchstreut  ist.  Die  Gefässe  desselben  verhalten  sich  ähnlich  jenen  der  Aderhaut; 
die  Nerven  sind  ihres  Markes  beraubt  oder  gänzlich  zerstört,  nnkennbar  geworden. 
In  einem  Falle  hat  man  AUagerungen  von  Kalksahen  im  Neurilem  gefunden,  die 
theils  zu  spindeligen  Auftreibungen  der  Nerven ,  theils  zu  excentrisch  gelegenen 
Anhängseln  derselben  Veranlassung  gaben   (Schiess-Gemiisevs). 

Die  Schwarten  folgen,  falls  der  schrumpfende  Bulbus  schon  gefaltet  ist, 
allen  Unebenheiten  der  inneren  Scleralwand  und  gewinnen  ganz  das  Ansehen,  als 
hätten  sie  sich  erst  nach  der  Bmizehmg  der  Sclerotica  aus  der  Flüssigkeit,  welche  den 
Zwischenraum  zwischen  Aderhaut  und  Netzhaut  ausfüllt,  durch  faserstoffige  Nieder- 
schläge gebildet.  An  der  Stelle  des  Sehnerveneintrittes  sind  sie  immer  durclihohrt, 
um  die  Netzhaut  durchtreten  zu  lassen.  Anfänglich  erscheinen  dieselben  ziemlich 
weich,  werden  aber  bald  derb  und  gleichen  dann  äusserlich  ganz  gekochtem  Eiiveisse 
oder  einem  Knorpel.  Sie  wachsen,  nachdem  sie  einmal  zur  Entwickelung  gekommen 
sind,  in  der  Regel  fort,  sowohl  nach  der  Fläche,  als  auch  nach  der  Dicke  und  er- 
reichen nicht  selten  eine  sehr  bedeutende  Mächtigkeit,  von  1  und  selbst  2  Linien. 
Auf  senkrechten  Durchschnitten  macht  sich  gewöhnlich  eine  Schichtung  bemerklich, 
welche  darauf  hinzudeuten  scheint,  dass  ein  Stratum  nach  dem  andern  neu  ange- 
bildet wird;  was  übrigens  auch  schon  darum  wahrscheinlich  ist,  weil  die  gegen 
die  subretinale  Flüssigkeit  sehenden  Schichten  als  die  jüngsten  in  der  Regel  be- 
deutend weicher,  als  die  tieferen,  und  oft  noch  ganz  sulzähnlich  gefunden  werden. 

Die  VerJcnöcherung  dieser  Neubildungen  beginnt  von  den  äusseren  Lagen  aus, 
während  sich  an  der  inneren  Oberfläche  neicc  bindegewebige  Schichten  (Fig.  42  a) 
ansetzen.  Sie  erfolgt  bald  von  einem,  bald  pj^  ^2        f 

von  mehreren  Punkten  aus;  bald  ver- 
knöchern die  äusseren  Strata  ihrem  ganzen 
Umfange  nach  gleichzeitig  und  gJeichmässig. 

In  Fällen,  in  welchen  die  Knochen- 
schale bis  nach  vorne  an  die  Ciliarfort- 
sätze  reicht,  verknöchert  bisweilen  auch  der 
an    der    Hinterfläche    der  Linse    anliegende    j 

scheibenförmige     Theil   b     des    bindegewebig         n^^c*-  -  ,r 

umgewandelten      Glaskörpers     und      dessen    e   —  7,       *  \   1-' 

Peripherie  tritt  mit  den  Rändern  der  kno- 
chigen Aderhautschale  in  Verbindung.  Das 
Resultat      ist      eine      geschlossene     Kapsel, 

welche   nach    aussen   von    der  Aderhaut   c    "  ^^  X'   -^s;*»^ 

überkleidet  wird,  mit  ihrer  Vorderwand  an  '  '■'  / 

die    Ciliarfortsätze    und    die    Hinterkapsel 

stösst,  nach  hinten  aber  im  Bereiche  des  Sehnerveneiutrittes  ein  kleines  Loch   be- 
sitzt,   durch  welches    die  Netzhaut    in    die  Höhlung    der  Kapsel    eindringt.     Diese 


336  Iridochorioiditis;  Ausgänge;  AtropMa  'bulbi. 

Höhlung  ist,  was  ihre  Räumlichkeit  betrifft,  je  nach  dem  Umfange  des  Bvilbus  und 
je  nach  der  bisweilen  sehr  bedeutenden  Dicke  der  Neubildung  sehr  wandelbar.  Sie 
wird  immer  von  der  oben  geschilderten  Flüssigkeit  erfüllt.  Umspült  von  der  letzte- 
ren findet  man  in  der  Axe  des  Kapselraumes  die  trichter-  oder  straugförmig  zu- 
sammengedrängte Netzhaut  d,  welche  nach  vorne  hin  sich  flächenartig  ausbreitet 
und  so  die  hintere  Fläche  der  vorderen  Knochenkapselwand  überkleidet. 

Von  dem  sehnigen  Belage  der  inneren  Oberfläche  der  knochigen  Kapselwan- 
dungen erheben  sich  bisweilen  zotfenähnliche  trübe  weissgraue  Auswüchse,  Avelche 
frei  in  dem  Hohlräume  flottiren.  Mitunter  findet  man  wohl  auch  ein  förmliches 
Balkenwerk  e  von  Fäden  und  Häuten  bindegewebigen  Aussehens ,  welche  von  der 
Innenwand  der  Knochenkapsel  zur  äusseren  Oberfläche  der  Netzhaut  ziehen  und 
den  Zwischenraum  zwischen  beiden  nach  den  verschiedensten  Richtungen  hin 
durchkreuzen.  Dieselben  sind  meistens  structurlos,  lassen  öfters  jedoch  schon  eine 
deutliche  Streifung  und  Kernbildungen  erkennen. 

Ganz  ähnlich  verhält  sich  auch  die  bisweilen  nachweisbare  gallertähnliche 
innerste  Schichte  der  Knochenschalen  selbst.  Die  darunter  gelagerten  sehnen-  oder 
hnoi-pelälinlichen  Strata  treten  mitunter  stellenweise  auseinander  und  bilden  menis- 
coide  Räume,  welche  mit  einem  Fluidum  gefüllt  sind,  das  jenem  des  Hydrops 
subretinalis  völlig  gleicht.  Die  einzelnen  Schichten  sind  zum  Theile  structurlos,  zum 
Theile  aber  schon  deutlich  gestreift  und  zerfahren  dann  an  den  Rändern  der  Prä- 
parate in  Faserbündel.  In  dieser  Masse  erscheinen  oft  ganz  deutliche  Bindegewebs- 
Jcörxie.r  neben  wechselnden  Mengen  dunkler  Moleküle,  Pigmentkörnern,  Fettkugeln, 
Kalksalzdrusen  und  metamorphosirten  Blutkörperchen.  In  einzelnen  Fällen  finden 
sich  hier  und  da  auch  Bhdgefässe,  bisweilen  in  so  reichlicher  Menge,  dass  die 
Schwarten  .schon  dem  freien  Äuge  lebhaft  geröthet  erscheinen. 

Die  knochigen  Lagen  sind  gewöhnlich  sehr  compact  und  bestehen  dann  aus 
einer  festen,  anscheinend  structurlosen  oder  deutlich  faserstreifigen  Grundlage,  in 
welcher  Kalksahdrusen  und  Knochenkörperchen  von  verschiedenen  Entwickelungs- 
gradeu  ordnungslos  unter  einander  geworfen  sind.  In  anderen  Fällen,  namentlich 
wenn  sie  sehr  bedeutende  Dicken  erreichen,  erscheinen  sie  ganz  nach  Art  der 
Diploe  oder  der  Wirbelkörper  porös,  zusammengesetzt  aus  einer  Unzahl  knochiger 
Balken  und  Blätter,  welche  sich  in  den  verschiedensten  Richtungen  durchkreuzen 
und  aus  einer  structurlosen  oder  streifigen  bindegewebigen  Grundlage  und  zahl- 
losen eingestreuten  Knochenkörperchen  bestehen.  Bisweilen  findet  man  in  diesen 
Neubildungen  eine  deutliche  coticentrische  Schichtung  mikroskopischer  Lamellen  mit 
Andeiitungen  Eavers^scher  Kanäle  (WedlJ.  Oft  enthält  die  organische  Grundsub- 
stauz  Pigment.  Es  sitzt  das  Knochenstratum  in  der  Regel  unmittelbar  auf  der 
C'horioidea  auf.  Selten  erscheint  zioischen  Knochen  und  Aderhaut  eine  sehnige  Schichte 
zwischengeschoben.  Ebenso  selten  ist  der  Knochen  an  beiden  Oberflächen  des  seh- 
nigen Ueberzuges  bar.  Die  innere  Ober^fläche  pflegt  dann  sehr  rauh  zu  sein,  ja 
mitunter  erscheinen  sogar  zackige  Ausicüchse  auf  derselben.  Viniev  Aexa  Polarisations- 
mikroskope verhalten  sich  diese  Neubildungen  ganz  wie  gewöhnliche  Knochensub- 
stanz (KlebsJ.  Die  Gefässe  derselben  stehen  zumeist  in  Verbindung  mit  jenen  der 
Aderhaut  (Pagenstecher).  Die  Fettzellenbildung  ist  im  Knochen  bisweilen  eine  sehr 
reichliche  (Pagenstecher). 

Die  Veränderungen  der  Netzhaut  und  des  Glaskörpers  sind  schon  anderwärts 
(S.  162,  229)  beschrieben  worden. 

Derlei  Stümpfe  bestehen  oft  zeitlebens  fort,  ohne  den  Kranken  irgend- 
wie zu  heiästigen.  Sie  sind  oft  sogar  in  hohem  Grade  unempfindlich,  ver- 
tragen z.  B.  ohne  den  mindesten  Schaden  das  Tragen  eines  passenden 
künstlichen  Auges.  In  anderen  Fällen  jedoch  bleibt  der  Stumpf  sehr  reizbar, 
es  kömmt  sehr  oft  zu  heftigen  entzündlichen  Anfällen,  welche  schliesslich 
nicht  selten  zur  Vereiterung  und  zum  Durchbruche  führen,  häufig  auch 
das  andere  Auge  auf  sympathischem  Wege  gefährden. 

Bisweilen  stellen  sich  in  atrophischen  Augen  mit  Kalkschwarten  und  Netz- 
hautablösung überaus  heftige  Licht-  und  Feuererscheinungen  ein ,  welche  lange  Zeit 
anhalten  und  den  Kranken  in  dem  Masse  quälen,  dass  man  die  subcutane  Durch- 
schneidung des  Opticus  für  gerechtfertigt  hält  (Grraefe). 


Bohandlung;  Iridectomie ;  Schmierkui-.  337 

Behandlung.  Die  therapeutischen  Indicationen  zielen  theils  auf  die 
Beseitiginig  der  den  Process  vorbereitenden  und  unterlialtenden  krankhaflen 
Zustände,  theils  auf  die  dlrecte  Bekämpfung  des  entzündlichen  Vorganges  und 
der  nebenhergehenden  Circidations-  und  Nervenstörungen.  Ihre  specielle  Auf- 
zählung wäre  nur  eine  Wiederholung  dessen,  was  bei  Gelegenheit  der 
Begenbogenhautentzündung,  der  gewölinlicben  Forläuferin  der  Iridochorioiditis 
(S.  289),  gesagt  wurde.  Es  soll  deshalb  nur  darauf  hingewiesen  werden, 
dass  dort,  wo  neben  einem  Abschlüsse  oder  Verschlusse  des  Sehloches  sich 
bereits  die  Zeichen  einer  Mitleidenschaft  der  tieferen  Bulbusorgane  geltend 
machen  oder  gar  eine  Steigerung  des  intraocnlären  Druckes  offenbar  wird, 
die  Anzeige  zu  Iridectomie   als   eine   drängende  zu   erachten  ist. 

In  der  That  genügen  dann  der  antiphlogistische  Apparat  und  die 
Mj^driatica  nicht  mehr,  um  die  Krankheit  zu  einem  befriedigenden  Abschlüsse 
zu  bringen,  sie  können  nur  als  Nothbehelfe  dienen,  um  Exacerbationen  des 
Processes  zu  beschwichtigen  und  so  den  Augapfel  zur  Operation  vorzu- 
bereiten. Während  eines  heftigeren  entzündlichen  Anfalles  zu  operiren,  ist 
nämlich  aus  bereits  (S.  290)  angeführten  Gründen  nicht  rathsam.  Man 
will  bei  Ausserachtlassung  dieser  Vorsicht  wiederholt  sogar  Kyklilis  und 
später  selbst  sympathische  Erkrankung  des  zweiten  Auges  als  die  missliche 
Eolge  der  Iridectomie  beobachtet  haben  (Mooren).  Nur  wenn  ein  fremder 
Körper,  eine  dislocirte  Linse  etc.  einen  intensiven  lieizzustand  anregen 
und  unterhalten,  wird  in  Anbetracht  der  dringenden  Gefahr  bisweilen  jede 
Rücksicht  bei  Seite  gestellt  und  die  Entfernung  des  Irritamentes  ange- 
strebt werden  müssen,  wobei  man  gut  thut,  die  Iridectomie  damit  gleich 
zu  verbinden. 

Oben  an  steht  unter  den  entzüudungswidrigen  Mitteln  eine  gut  geleitete 
Schmierkur,  besonders  wenn  sie  mit  dem  systematischen  Tragen  eines  Schutz- 
verbandes combinirt  und  überhaupt  nach  den  bei  der  JSTeurodictyitis  ange- 
gebenen Regeln  (S.  203)  strenge  durchgeführt  wird.  Sie  empfiehlt  sich 
ganz  vorzüglich  bei  sehr  dichten  Glaskörpertr Übungen,  indem  diese  unter 
ihrem  Einflüsse  rasch  zurückzugehen  pflegen.  In  Anbetracht  dessen  findet 
sie  auch  häufig  nach  der  Iridectomie  eine  sehr  wirksame  Verwendung,  wenn 
die  Aufhellung  der  dioptrischen  Medien  eine  unvollkommene  geblieben  ist. 
Wo  Syphilis  dem  Processe  zu  Grunde  liegt,  erscheint  es  klug,  sie  der 
Operation  in  jedem  Falle  vorauszuschicken. 

Wo  die  Iris  durch  dichte  sehnige  Neubildungen,  welche  ihrer  hinteren 
Fläche  anlagern,  straff  gespannt,  sehr  stark  desorganisirt,  entfärbt  und  von 
dicken  Gefässen  durchzogen  erscheint,  erweiset  sich  die  Iridectomie  meistens 
überaus  schwierig,  ja  sie  ist  nicht  selten  ganz  unausführbar,  indem  die  ein- 
geführte Pincette  nichts  zu  fassen  vermag  oder  die  Iris  fetzenweise  abreisst, 
während  jene  Neubildungen  stehen  bleiben.  In  manchen  Fällen  kann  man 
sich  dadurch  helfen,  dass  man  die  Kammer  peripher  durch  das  Linear- 
messer eröffnet  und  sich  so  die  Möglichkeit  schafft,  eine  gut  fassende 
Pincette  steil  aufzusetzen.  In  aphakischen  Augen  fährt  man  auch  bisweilen 
gut  mit  der  einfachen  Iridotomie  (Homer,  S.  306).  Wo  aber  der  Krystall 
noch  im  Auge  vorhanden  ist,  genügt  es  häufig  nicht,  in  jene  neoplastische 
Membranen  und  in  die  Iris  eine  Oeffnung  zu  machen,  indem  die  Linse 
häufig  schon  cataractös  entartet  ist  oder  es  binnen  nicht  langer  Zeit  wird 
und  indem  überdies  in  manchen  Fällen  die  vordere   Zone  des    Glasköi-pers 

stell  wag,    Augenlieilkunde.  22 


338  IriJochorioiditis;  Beliaiullung ;  Enucloatio  bulbi;  Iridectomie  bei  Oiilitli.  symiKitli. 

von  bindegewebigen  Häuten  durohseizt  erscheint.  Es  ist  daher  räthlich, 
die  Iridectomie  in  solchen  Fällen  gleich  mit  der  Extraction  der  Linse  zu 
combiniren  (S.  305)  und,  wenn  sich  nach  der  Entfernung  des  Krystalles 
neoplastische  Membranen  im  Glaskörper  durch  die  schiefe  Beleuchtung  nach- 
weisen lassen,  diese  mittelst  eines  starken  Sichelmessers  nach  verschiedenen 
Kichtungen  durchzuschneiden,  um  der  dahinter  lagernden  V^itrina  Gelegen- 
heit zu  geben,  in  die  OefFnungen  einzudringen  und  selbe  klaffend  zu  erhalten. 
Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  ein  solcher  Eingriff  nicht  ohne  die  Gefahr  einer 
heftigen  entzündlichen  Gegenwirkung  durchzuführen  ist,  um  so  weniger, 
als  die  Linse  häufig  nur  wwollständig  entleert  werden  kann  und  die  in 
der  Kapselhöhle  zurückbleibenden  Eeste  eine  Quelle  sehr  verderblicher 
ßeizzustände  abgeben.  Das  Verfahren  eignet  sich  daher  nicht,  wo  es  sich 
darum  handelt,  einer  sympathiscJien  Ophthalmie  des  zweiten  Auges  vorzu- 
hauen. Droht  diese  vielleicht  gar  schon,  so  muss  vor  der  fraglichen  Methode 
dringend  gewarnt  werden.  Sie  lohnt  sich  eben  am  besten,  wenn  seit  längerer 
Zeit  gar  keine  Reizzustände  mehr  bestehen  und  die  ganze  Aufgabe  sich  in 
der  Herstellung  eines  massigen   Grades   von  Sehvermögen  concentrirt. 

Wo  die  Symptome  einer  an  Schwartenbildung  geknüpften  Kyklitis  in 
einem  Auge  deutlich  hervorstechen,  da  wird  überhaupt  die  Rücksicht  für 
das  zweite  Auge  in  Bezug  auf  das  fernere  therapeutische  Verfahren  mass- 
gebend, besonders  wenn  der  erstergriffene  Bulbus  bereits  unheilbar  erblindet 
ist  und  wenn  sich  vielleicht  gar  schon  die  Prodromen  der  sympathischen 
Mitleidenschaft  am.  anderen  Auge  manifestiren.  Man  geht  dann  relativ 
am  sichersten,  wenn  man  alsbald  zur  Enucleation  schreitet,  vorausgesetzt 
dass  der  gegebene  entzündliche  Process  nicht  einen  mehr  sthenischen 
Charakter  bekundet,  oder  überhaupt  unter  heftigen  Gefäss-  und  Nerven- 
symptomen verläuft.  In  einem  solchen  Falle  thut  man  besser,  sich  vorerst 
auf  ein  rein  antiphlogistisches  Verfahren  zu  beschränken  und  vielleicht 
die  von  manchen  Seiten  sehr  empfohlenen  warmen  Cataplasmen  mit  narco- 
tischen  Abgüssen  (Mooren)  zu  versuchen,  um  vorerst  die  Intensität  des 
Processes  zu  brechen.  Erfahrungsmässig  wird  die  Enucleation  nämlich 
mit  der  relativ  grössten  Aussicht  auf  Erfolg  während  einer  ausgiebigen 
Remission  des  entzündlichen  Processes  durchgeführt  (Oritchett). 

Die  Iridectomie  am  erstergriffenen  Auge  ist  in  derlei  Fällen  sicherlich 
unzureichend,  um  das  sympathische  Leiden  des  anderen  Auges  zu  bannen, 
ja  mau  läuft  Gefahr,  dieses  durch  Anfachung  des  kj^klitischen  Processes 
am  operirten  Auge  herauszufordern  oder  wenigstens  zu  begünstigen.  Da- 
gegen kann  die  Iridectomie  am  zweiten  Auge  von  Nutzen  sein,  wenn  sich 
bereits  die  Prodromen  der  sympathischen  Affection  daselbst  geltend  machen, 
indem  sie  vielleicht  dazu  beiträgt,  den  Process  in  milderen  Formen  zu  er- 
halten. Mau  wird  dabei  gut  thun,  den  Hornhautschnitt  möglichst  peripher 
und  die  künstliche  Pupille  recht  breit  anzulegen,  um  die  nachträgliche 
Zusammenziehung  derselben  nicht  leicht  zu  einem  völligen  Verschlusse 
gedeihen  zu  lassen.  Sollte  indessen  der  Process  am  zweiten  Auge  nur  unter 
einigermassen  heftigeren  Gefäss-  und  Nervensymptomen  einherschreiten,  so 
ist  die  Iridectomie  gefährlich  und  jedenfalls  zu  verschieben,  bis  es  durch 
entsprechendes  antiphlogistisches  \^erfahren  gelungen  ist,  den  Process  zu 
tilgen  oder  wenigstens  eine  ausgiebige   Remission  zu  erzielen. 

In  neuerer  Zeit  wurde  als  Ersatz  der  Eiuicleation  die  Durchschneidwng  der 
Oiliarnerven  innerhalb  des  Binnenraumes  angeregt  (Graefe).   Dieselbe  kann  sowohl 


Durchschneidung  dfv  t'iliariiorvi'n ;  Paracentesis  corneae;  Enucleatio  bulln.  339 

intraocidür  mittelst  eines  feinen  Nenrotoms,  als  dadurch  ausgeführt  werden,  dass 
man  die  sämmtUclien  Formhäutc  des  Bulbus  in  dessen  Aequatorialgegend  von  aussen 
her  mittelst  eines  feinen  j\Iessi!rs  eine  Strecke  weit  qncv  durchtrennt.  Diese  Operation 
ist  bereits  wiederholt  mit  günstig-em  P^rfolge  durchgeführt  worden  (Ed.  Meyer, 
Laurence,  Secondi),  ist  aber  loenig  verlässlich  (CrUchett,  Mooren),  führt  in  der  Hälfte 
der  Fälle  zur  Phthisis  bulbi  (Ed.  Meyer)  und  kann  überdies  nur  in  jenen  Fällen 
einen  vernünftigen  Zweck  haben,  in  welchen  ein  oder  das  andere  Bündel  der 
Ciliarnerven  in  einem  manifesten  lleizzustande  betroffen  wird,  welchen  es  auf  das 
andere  Auge  überträgt;  sie  muss  aber  ihr  Ziel  verfehlen,  wo  der  IStrahlcnkörper 
als  Ganzes  in  den  kyklitischen  Process  verwickelt  ist  und  dies  durch  die  Em- 
pfindlichkeit gegen  Betastung  an  jedem  einzelnen  Punkte  der  vorderen  Scleralzone 
bekundet. 

Noch  weniger  lassen  sich  tviederholte  Paracentesen  der  Kammer  (Dohrowolsky) 
empfehlen.  Gleiches  dürfte  von  der  künstlichen  Vereiterung  des  Auges  (Graefe) 
gelten,  denn  obgleich  suppurative  Processe  sympathische  Affectionen  des  zweiten 
Auges  nicht  leicht  im  Gefolge  haben,  so  muss  doch  die  Steigerung  eines  bereits 
vorhandenen  und  das  zweite  Auge  schon  bedrohenden  kyklitischen  Processes  im 
hohen  Grade  bedenklich  erachtet  werden. 

Soll  indessen  die  Enucleation  ilir  Möglichstes  leisten,  so  wird  man 
gut  thun,  die  Vorzeichen  der  sympathischen  Ophthalmie  nicht  erst  abzu- 
warten, sondern  prophylaktisch  mit  der  Operation  vorzugehen,  wo  die 
chronisch  schleichende  Kyklitis  sich  an  einem  Auge  bereits  durch  das 
eigenthümliche  Wehegefühl  beim  Betasten,  durch  beginnende  Weichheit  des 
Bulbus  und   die  übrigen  Symptome  unzweideutig  zu  erkennen  gibt. 

Jedenfalls  kömmt  mau  mit  der  Operation  zu  spät,  wenn  auf  dem 
zweiten  Auge  das  sympathische  Leiden  bereits  im  vollen  Zuge  ist ;  denn 
da  hat  erfahrungsmässig  die  Enucleation  nur  wenig  oder  keinen  Einfluss 
mehr  auf  den  kj'klitischen  Process  am  zweiten  Auge,  dieser  schreitet  selbst- 
ständig  vorwärts  und  der  Erfolg  beschränkt  sich  lediglich  auf  die  Be- 
schwichtigung etwa  vorhandener  Hyperästhesien  im  sensitiven  Theile  des 
Ciliargebietes  (Critchett,    Graefe). 

Man  soll  sich  übrigens  jedesmal,  ehe  man  diese  für  den  Kranken 
höchst  peinliche  und  kosmetisch  verderbliche  Operation  in  Vorschlag  bringt, 
sehr  wohl  vor  Augen  halten,  dass  ihr  Erfolg  durchaus  kein  völlig  gesicherter 
sei,  auch  wenn  sie  unter  den  scheinbar  günstigsten  V'crhältuissen  vorge- 
nommen wird ;  dass  mitunter  die  sj'mpathische  Ophthalmie  am  zweiten 
Auge  trotz  der  rechtzeitig  ausgeführten  Enucleation  zum  Ausbruche  kommt 
und  unauflialtsam  weiter  schreitet  (Mooren,  Sichel,  Ainsiaux,  Testeün);  dass 
umgekehrt  aber  das  sympathische  Leiden  des  zweiten  Auges  trotz  Unter- 
lassung der  Operation  lange  nicht  in  jedem  Falle  sich  entwickelt,  auch 
wenn  dieser  alle  Bedingungen  dazu  darzubieten  scheint  und  dass,  wenn 
es  geschieht,  die  Ophthalmie  öfters  in  der  mildesten  Form  auftritt  und 
sich  in  der  Ausbildung  hinterer  Synechien  erschöpft.  Ueberhaupt  soll 
man  nicht  ausser  Acht  lassen,  dass  die  Lehre  von  der  sympathischen 
Ophthalmie  noch  vieles  Dunkle  enthält  und  ganz  scharfe  Indicationen  auf- 
zustellen kaum  gestattet. 

Am  schlimmsten  steht  es  um  die  Formulirung  bestimmter  Heilregeln 
bei  den  eigentlich  degenerativen  Formen  der  Iridokyklitis  (S.  330).  Hier 
darf  man  an  dem  Nutzen  der  Enucleation  billig  zweifeln.  Jedenfalls  ist  die 
Ausschälung  des  erstergriffenen  Auges  von  sehr  geringem  Nutzen,  wenn 
das  zweite  Auge  bereits  deutlich  in  den  Process  verwickelt  ist.  Dies 
participirt  aber  in  der  Regel  sehr  frühzeitig  und  meistens  lange  bevor 
der    Process    am    ersten    Auge    bis  zur  vollständigen  und    unheilbaren  Er- 

04)* 


340  Iridochorioiditis:  Beliandlung ;  Iridectomie  bei  degenerativen  Formen. 

blindung  gediehen  ist,  also  dessen  operative  Entfernung  rechtfertigt.  Man 
kann  dann  den  zweiten  Bulbus  im  Beginne  seiner  Affection  vielleicht 
besser  durch  alsogleiche  Anlegung  einer  peripheren  und  sehr  breiten  kwist- 
lichen  Pupille  schützen  (Graefe).  Doch  ist  in  solchen  Pällen  die  Iridectomie 
eine  nichts  weniger  als  gefahrlose  Operation.  Die  Entartung  der  Gefässe 
begünstigt  ausnehmend  starke  Blutungen,  welche  rasch  die  ganze  Kammer 
füllen  und,  so  oft  das  Blut  entleert  wird,  immer  wiederkehren,  indem  die 
Gefässe  sich  nicht  zurückziehen  können. 

Es  haben  diese  Ergüsse  stets  einen  ausgeprägt  venösen  Charakter.  Sie 
saugen  sich  sehr  schwer  auf,  da  in  dem  Masse,  als  das  Blutserum  abgeführt  wird, 
immer  neues  Blut  aus  den  degenerirten,  der  Zurückziehung  ganz  unfähig  gewordenen, 
durchrissenen  oder  durchschnittenen  Gefässenden  nachrückt.  Stillt  sich  am  Ende 
aber  auch  die  Hämorrhagie,  so  bleiben  massenhafte  Coagula  zurück,  welche  vereint 
mit  den  Producten  der  entzündlichen  Reaction  zu  derben,  stark  pigmentirten  Pfropfen 
"werden  und  allemal  die  Pupille  wieder  verschliessen ,  aiich  wenn  sie  gross  aus- 
gefallen wäre,  was  bei  der  ausserordentlichen  Morschheit  des  Gefüges  selten 
gelingt.  Das  Endresultat  ist  also  gewöhnlich  Null,  ja  gar  oft  eine  Verschlimmerung 
des  Zustandes.  Jeder  neue  Versuch  steigert  die  Gefahren,  bis  endlich  der  Schwund 
des  Augapfels  sich  unzweifelhaft  kund  gibt  und  dann  auch  unaufhaltsam  weiter 
schreitet. 

Im  Ganzen  scheint  man  in  solchen  Fällen  von  degenerativer  Iridocho- 
rioiditis nicht  schlechter  zu  fahren,  wenn  man  sich  auf  ein  entsprechendes 
antiphlogistisches  Verfahren  beschränkt  und  geduldig  die  Ausgänge  abwartet, 
um  dann  den  Umständen  gemäss  operativ  vorzugehen.  Es  ist  kaum  klug, 
die  Operation  zu  wagen  hecor  die  Producte  sich  vollständig  consolidirt 
haben.  So  lange  sie  nämlich  noch  weich  und  stark  vascularisirt  sind,  ist 
wohl  eine  Zertrümmerung  derselben,  aber  keineswegs  die  Bildun'g  einer 
weiten  und  dauernden  Oeffnung  leicht  möglich,  abgesehen  davon,  dass 
durch  den  operativen  Eingriff  an  sich  die  Entzündung  wieder  mächtig 
angefacht  und  durch  die  jenen  begleitenden  Blutungen  in  ihren  verderb- 
lichen Wirkungen  wesentlich  unterstützt  wird. 

Quellen.  Graefe,  A.  f.  O.  II.  2.  S.  203  u.  f.;  III.  2.  S.  337,  353,  442,  453; 
IV.  2.  S.  150,  152;  IX.  2.  S.  105,  109;  XII.  2.  S.  149,  152,  156,  162,  168,  171; 
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Graefe  und  Schweigger,  A.  f.  O.  VI.  1.  S.  116,  123,  129,  134,  150,  154.  —  Secondi, 
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Kleha,  ibid.  XI.  2.  S.  235,  237,  240.—  R'ed/,  Atlas,  Iris-Chor.;  Sitzungsberichte  der 
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O.  XIII.  2.  S.  308.  —  Czerny,  Wien.  Augenkl.  Ber.  S.  178.  —  Lawson,  Ophth. 
Hosp.  Rep.  VI.  S.  123.  —  Iwanoff,    Mooren's  symp.   Ophth.   S.    164,    166;  A.  f.  O. 


Glaiicom;  Krankhcitsbilcl ;  Druckpliiinoinene.  341 

XV.  2.  S.  8,  9,  26.  —  Cohmann,  kl.  Monatbl.  1869.  S.  149.  —  Ed.  Meyr,  ibid. 
1868.  S.  .380;  VJrchow's  Jahresber.  1868.  S.  49.3;  Congres  ophth.  1867.  S.  135.  — 
Mooren,  klin.  Monatbl.  1868.  S.  393;  Ophtii.  Beob.  S.  141  u.  f.;  lieber  symp.  Ophth, 
Berlin.  S.   12,  24,  36,  59,  143  u.  f. 


2.  Das  Glaucom. 


Das  Krankheitsbild  setzt  sich  zusammen  aus  der  fühlbaren  Härtezu- 
nahme des  Auges,  aus  den  ophthalmoskopischen  Erscheinungen  der  Sehnerven- 
excavation,  aiis  den  Symptomen  der  Blutstauung  und  der  Entzündung,  so  wie 
aus   mannigfaltigen   Sehstör ungen. 

1.  Die  Härte  des  Augapfels  wird  am  besten  durch  das  Tastgefühl 
ermittelt,  indem  man  die  Zeigefinger  der  beiden  Hände  an  die  innere"  und 
äussere  Seite  der  vorderen  Bulbushälfte  bei  geschlossener  Lidspalte  auf- 
setzt und  einen  leichten  Druck  gegen  das  Centrum  des  Augapfels  wirken 
lässt.  Die  zu  gleichem  Behufe  erdachten  Spanmmgsmesser,  Ophthalmotonometer, 
entsprechen  nämlich  durchaus  nicht  den  Anforderungen,  welche  man  billiger 
Weise  an  sie  stellen  kann  (S.   2). 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  ist  die  Kesistenzvermehrung  des  Auges 
eine  überaus  auffällige,  ja  oftmals  fühlt  sich  der  Bulbus  geradezu  wie  Bein 
oder  Holz  an.  Von  diesem  Extreme  wechselt  die  Härte  in  den  ver- 
schiedensten Abstufungen  bis  zu  Graden  herab,  welche  nicht  selten  auch 
an  normal  functionirenden  Augen  getroffen  werden.  Häufig  schwankt  sie 
sogar  in  einem  und  demselben  Falle  innerhalb  weiter  Grenzen,  steigt  bald, 
bald  sinkt  sie  wieder.  Ihr  Mass  wird  nämlich  ebensowolil  von  der  Grösse 
des  Widerstandes  bestimmt,  welchen  die  Balbuskapsel  einer  Dehnung  ent- 
gegenstellt (S.  4),  als  von  der  Höhe  des  intraocularen  Druckes  (S.  1),  und 
der  letztere  ist  beim  Glaucome  ein  sehr  ivandelbarcr,  indem  er  wesentlich 
abhängt  von  dem  im  Binnenstromgebiete  herrschenden  Seitendrucke  und 
von  der  Grösse  der  vorhandenen  Venenstauung  (S.  4),  also  von  Momenten, 
welche  wie  anderwärts  so  auch  hier  von  den  mannigfaltigsten  Verhält- 
nissen beeinflusst  werden. 

Wo  das  eine  Auge  noch  völlig  normal  functionirt,  ergibt  der  Unter- 
schied unmittelbar,  wie  viel  von  der  Härte  im  kranken  Auge  auf  die 
Zunahme  des  intraocularen  Druckes  zu  schreiben  ist,  denn  es  ist  wohl 
mehr  als  wahrscheinlich,  dass  der  andere  Factor  der  Bulbusresistenz,  die 
Starrheit  der  Kapsel,  beiderseits  zu  einem  gleichen  Grade  gediehen  sei.  Wo 
jedoch  auch  der  zweite  Augapfel  glaucomatös  oder  anderweitig  erkrankt  ist, 
lässt  eine  solche  vergleichende  Prüfung  die  Grösse  der  Binnendrucksteigerung 
nicht  mehr  leicht  abschätzen,  ja  es  wäre  oft  unmöglich,  eine  Vermehrung 
des  intraocularen  Druckes  überhaupt  zu  erweisen,  wenn  an  sie  nicht  gewisse 
Erscheinungen  geknüpft  wären,  welche  des  Charakteristischen  genug  haben, 
um  Rückschlüsse  zu  erlauben.  Hierher  gehören:  sehr  ausgesprochene  Pulsa- 
tionen in  den  Centralstücken  der  Netzhautgefässe,  Verengerung  des  Kammer- 
raumes, Erweiterung  und  Trägheit  oder  völlige  Starrheit  der  Pupille,  Ver- 
minderung der  Accommodationsbreite  und  oft  auch  des  Refractionswerthes  des 
dioptrischen  Apparates,   endlich  Anaeslhesie  der   Cornea. 


34:2  Glancom:  Kranklieitsbild ;  Dmrtpliänomene ;  Pnls;  Cornealauästhesie. 

Der  Puls  zeigt  sich  voruehmlich  in  den  Venen  (S.  4)  und  zwar  ist 
es  immer  nur  einer  oder  der  andere  Hanptstamm,  welcher  nächst  der  Ge- 
fässpforte  den  eigenthümlichen  rhythmischen  FüHungswechsel  erkennen 
lässt  (S.  172).  Bei  den  acuten  und  subacuten  Formen  des  Glaucomes  ist 
er  gewöhnlich  auch  in  einzelnen  Arterien  nachzuweisen,  während  bei  dem 
einfachen  nicht  entzündlichen  Glaucorae  der  spontane  Arterienpul?  meistens 
fehlt  und  nur  durch  einen  von  Aussen  her  auf  deu  Bulbus  wirkenden 
Druck  herrorgerufen  werden  kann. 

Die  Verengerung  der  Kammer  bringt  unmittelbar  die  Vermehrung  der 
Glaskörperflüssigkeit  zur  Anschauung,  welche  bei  der  Drucksteigerung  eine 
wichtige  Rolle  spielt  (S.  5).  In  den  Anfangsstadien  der  Krankheit  ist  sie 
allerdings  nicht  immer  deutlich,  bei  fortschreitendem  Processe  jedoch  rücken 
Iris  imd  Linse  stets  nach  vorne  imd  endlich  wird  die  Kammer  wohl  auch 
fast  gänzlich  aufgehoben,  indem  mit  dem  Schwunde  der  vorderen  Uveal- 
theile  die  Quellen  des  Humor  aqueus  versiegen. 

iS^icht  minder  spricht  sich  die  Vermehrung  des  Biunendruckes  in 
den  Motilitätsstörungen  der  Iris  aus,  die  Pupille  wird  etwas  weiter  und 
reagrrt  sehr  träge  oder  gar  nicht  auf  Lichtwechsel.  Es  ist  diese  Mydriase 
anfänglich  zum  Theile  unzweifelhaft  ein  compensatorisches  Phänomen,  welches 
die  Blutüberfüllung  des  liinteren  Uvealtractes  equilibrh't  (S.  3).  In  den 
vorgerückteren  Stadien  des  Processes  wird  sie  meistens  eine  höchstgradige, 
die  Iris  erscheint  auf  ein  schmales  Säumchen  reducirt  iind  bekundet  auch 
gewöhnhch  schon  vorgeschrittenen  Schwund.  Die  Erweiterung  der  Pupille 
felilt  natürlich,  wenn  sich  im  ^'erlaufe  des  Glaucoms  oder  schon  früher 
eine  Iritis  entwickelt  und  zu  Anheftungen  des  Pupillarrandes  gefülirt  hat. 

Die  Verminderung  des  Brechzustandes  im  dioptrischen  Apparate  ist  eine 
nothwendige  Folge  der  Abflachung  der  Hornhaut  und  diese  wieder  das 
Resultat  des  mit  wachsender  Spannung  eintretenden  Strebens  der  Bulbus- 
kapsel,  sich  der  Kugelform  zu  nähern.  Bei  sehr  beträchtüchen  Steigerungen 
des  Binnendruckes  lässt  sich  die  TN'irkung  dieses  mechanischen  Momentes 
sehr  oft  unmittelbar  an  der  Verstreichung  der  Rinne  erkennen,  welche  der 
Hornhautrand  mit  der  vorderen  Scleralgrenze  bildet.  Die  Einschränkung 
der  Accommodationsbreite  erklärt  sich  aus  dem  Drucke  und  vielleicht  auch 
aus  der  Zerrung,  welche  die  Ciliarnei-ven  im  Inneren  des  Augapfels  unter 
den  fragüchen  Verhältnissen  erleiden  müssen.  Es  können  jedoch  nur 
rasche  Abnahmen  dieser  TTerthe  auf  Vermehrungen  des  intraocularen  Druckes 
bezogen  werden,  indem  allmälige  Verkleinerungen  des  Befractionszustandes 
und  der  Accommodationsbreite  sehr  häufig  dem  Glaucome  schon  vorangehen 
und  der  symptomatische  Ausdruck  für  die  senile  Involution  sind,  welche 
den  ganzen  Process  gleichsam  vorbereitet  und  im  Krystallkörper  den  anerkannt 
günstigsten  Boden  findet   (Schelske,  Haffmans). 

Die  Cornealanaesthesie  findet  sich  in  der  Regel  nur  bei  sehr  beträcht- 
lichen Steigerungen  des  intraocularen  Druckes  vor.  Sie  ist  nicht  immer 
ganz  gleichmässig  entwickelt  in  den  verschiedenen  Sectoren  der  Hornhaut 
und  variirt  dem  Grade  nach  sehr  bedeutend.  Oft  ist  die  Unempfindlichkeit 
der  Cornea  bei  völlig  ausgebildetem  Glaucom  so  gross,  dass  die  Berührung 
des  Organes  durch  den  Finger,  einen  Federbart  u.  s.  w.  kaum  wahrgenommen 
wird.  Gleich  den  Motilitätsstörungen  der  Iris  und  des  Accommodations- 
muskels  ist  sie  zum  grossen  Theile   aus   dem  auf  die  Nerven  wirkenden  Drzicke 


Excavatio  glaucomatosa.  343 

abzuleiten.  Sic  führt  nicht  ganz  selten  zu  Verschwärungen,  welche  den 
neuroparalytischen   Chai-aktor  (S.    10)   tragen  (Graefc). 

2.  Die  glaucomatöse  Excavation  bekundet  sich  im  Augenspiegelbilde 
vornehmlich  durch  das  Umbiegen  der  Netzhautgefäss stamme  ara  äussersten 
Rande  des  Sehnerveneinlrittes,  durch  Seitwärtsrückung  der  Gefässpforte  und 
durch    Umsäumung  der  Papille   von    einem  breiten  hellen  Ringe  (Ed.  Jaeger). 

Bei  partiellen  Excavationen  bemerkt  man  blos  an  jenen  Gefässslämmen, 
■welche  über  den  ausgehöhlten  Tlicil  der  Papille  hinwegstreichen,  eine 
Verlaufsabweichung-.  Sie  überschreiten  die  betreffende  Randportion  in  einem 
scharfen  Bogen  oder  erscheineii  daselbst  förmlich  geknickt  (Fig.  P).  Die 
übrigen  Stämme  streichen  in  gerader  Eichtung  über  den  Hand  der  Papille 
hinweg  der  Gefässpforte  zu,  welche  oft  schon  deutlich  verrückt,  gegen  die 
innere  Grenze  des  Sehnerven eintrittes  gewichen  ist. 

Ist  die  Excavation  bereits  eine  totale  geworden,  aber  in  ihrer  Ent- 
wickelung  noch  nicht  weit  gediehen,  so  findet  man  sämmtliche  Netzhaut- 
gefässstämme  am  Rande  des '  Sehnerveneintrittes  nach  hinten  umgebogen, 
aber  noch  nicht  unterbrochen,  man  kann  sie  allesammt  ihrer  ganzen  Länge 
nach  bis  zur  seitlich  verrückten  Gefässpforte  übersehen. 

Bei  völlig  entwickelteii  ampullenförmigen  Excavationen  (Fig.  Q)  hingegen 
scheinen  die  Gefasse  am  äussersten  Rande  der  Papille  scharf  abgesetzt  zu 
sein  und,  falls  sie  ihn  in  schiefer  Richtung  überschreiten,  sieht  man  ihr 
Ende  schnabelförmig  umgebogen.  Da  das  umgebogene  Ende  seiner  Längs- 
axe  nach  in  Sicht  kömmt,  erscheint  es  meistens  dunkler  blutroth.  Bestehen 
noch  die  zugehörigen,  im  Bereiche  der  Papille  gelegenen  centralen  Gefäss- 
stücke,  so  zeigen  sich  diese  bei  der  Betrachtung  von  der  Seite  her  in  der 
Regel  gegen  die  am  Rande  der  Excavation  umgebogenen  Aeste  verschoben. 
Wird  der  Spiegel  aber  so  gewendet,  dass  der  betreffende  Theil  der  Seiten- 
loand  der  Excavation  zum  Vorschein  kömmt,  so  erkennt  maji  oft  leicht  da.s 
an  dieser  Seite  herablaufeude  und  bei  der  Betrachtung  von  vorne  durch 
den  überhängenden  Rand  gedeckte  Verbindungsstück. 

Die  Centralstücke  der  Gefässe  präsentiren  sich,  besonders  in  den  ersten 
Stadien  des  Processes,  oft  in  ganz  klaren  \u\ä  reinen  Bildern.  Die  Arterien 
sind  von  normalem  Durchmesser  oder  etwas  verengt,  die  Venen  wegen 
Abplattung  merklich  breiter  und  mitunter  von  einem  Netze  oder  Convolute 
kleiner,  vielfach  unter  einander  anastomosirender  Nebenzweige  umsponnen. 
Im  weiteren  Verlaufe  hingegen  werden  einzelne  oder  alle  Centralstücke  all- 
mälig  blässer,  undeutlich  begrenzt,  sie  zeigen  sich  von  einem  trüben  grau- 
lichen Gefüge  mehr  minder  stark  verschleiert.  Am  Ende  verschwinden  ein- 
zelne Centralstücke  wohl  auch  ganz,  man  findet  im  Bereiche  der  Excavation 
nur  mehr  einen  oder  mehrere  Gefässstämme,  welche  ihrer  abnormen  Rich- 
tung nach  überdies  oft  als  Collateralen  betrachtet  werden  können  und 
meistens  venös  sind.  Oefters  ziehen  sich  alle  Gefässe  von  der  zur  Seite 
gerückten  Gefässpforte  zurück,  der  ausgehöhlte  Sehnerveneintritt  erscheint 
völlig  gefässlos,  sämmtliche  Netzhautgefässe  zeigen  sich  am  Rande  der  Papille 
scharf  abgesetzt. 

Die  Excavation  selbst  macht  bei  völliger  Ausbildung,  in  Folge  einer  von  dei- 
Liclitbrechung  abhängigen  Sinnestäuschung,  im  Spiegelbilde  bisweilen  den  Eindruck 
eines  nach  vorne  vorspringenden  Hügels  (Ad.  Weher).  Doch  erkennt  man  ihre 
Goncavit'dt  leicht  an  der  Form  des  Schattens,  dessen  grösste  Breite  und  Dun- 
kelheit  immer    an  jene    Seite    fällt,    von    welcher   das   Licht   kömmt,     somit    nach 


344  Glaucom;  Krankheitsbild ;  Excayation:  Bindegewetsring;  Staunngsphänomene. 

der  Lage  des  Spiegels  zum  Ange  seine  Stelle  wechselt.  Es  ist  dieser  Schatten 
ringförmig,  mehr  weniger  breit,  und  umschliesst  die  meistens  sehr  auffällig  nach 
innen  gerückte  Gefässpforte  in  einem  grösseren  oder  kleineren  Abstände.  An  seinem 
centralen  Rande  ist  er  immer  verwaschen,  gegen  die  Peripherie  der  Excavation 
aber  scharf  begrenzt. 

Wo  sich  die  glaucomaföse  Excavation  an  einer  Papille  entwickelt,  welche 
eine  angeborene  Excavation  trägt,  kann  man  anfänglich  oft  beide  Foi-men  neben 
einander  unterscheiden.  Man  gewahrt  ganz  deutlich  die  doppelte  Einsenkung  des 
Sehnerveneintrittes ,  insbesondere  die  doppelte  Knickung  und  Verschiebung  der 
Gefässe.  Späterhin  verwischt  sich  die  angeborene  Excavation  mehr  und  mehr  und 
geht  in  der  totalen  Aushöhlung  verloren  (Ed.  Jaeger). 

Die  Farbe  des  Sehnerveneintrittes  neigt  anfänglicli  wegen  der  vor- 
handenen venösen  Stauungen  stark  ins  Rothe,  oder  ist  in  Polge  reichlicher 
Extravasationen  stellenweise  gar  eine  hlutrothe.  Späterhin  spielt  die  Farbe 
wegen  fortschreitender  Atrophie  der  Opticuselemente  ins  Graue  oder  Grau- 
bläuliche, bisweilen,  namentlich  im  aufrechten  Bilde,  ganz  entschieden  ins 
Grüne,  oder  auch  ins  Sehnigweisse.  Manchmal  ist  der  Boden  der  Exca- 
vation schmutzig  graugelb  gefleckt  oder  gewölkt. 

Sehr  charakteristisch  ist  auch  ein  heller  gelblichweisser  Bogen  oder  Bing 
(Fig.  P,  Q),  welcher  den  excavirten  Sehnerveneintritt  umsäumt  (Ed.  Jaeger^. 
Es  ist  derselbe  um  so  deutlicher  ausgesprochen  und  um  so  breiter,  je  mehr 
die  Excavation  ausgebildet  und  der  Schwund  der  Theile  vorgeschritten  ist. 
Er  bringt  den  Schwund  der  hintersten  Aderhautzone  (Schweigger)  zum  Aus- 
drucke, welcher  durch  die  Dehnung  der  mit  der  Siebhaut  ein  Ganzes 
bildenden  inneren  Scleralschichten  begründet  wird. 

3.  Die  Blutstauung  im  Binnenstromgebiete  offenbart  sich  durch  starke 
Erweiterung  einzelner  der  vorderen  Ciliar venenstämme.  Man  sieht  eine 
grössere  Anzahl  dunkler  strotzender  Gefässe  am  vorderen  Umfange  des 
Bulbus  plötzlich  aus  der  Lederhaut  hervorbrechen  und  unter  gegenseitigen 
Anastomosen  geschlängelten  Laufes  den  Aequator  bulbi  überschi'eiten. 
Steigerungen  des  abnormen  Spannungsgrades  vermehren  die  Zahl  und  das 
Caliber  der  ausgedehnten  Blutadern.  Besonders  aufiallig  aber  ist  die 
Hyperämie  während  den  entzündlichen  Anfällen.  Es  tritt  dann  zwischenbei 
ein  feinmaschiges  Gefässnetz  hervor  und  bildet  ringsum  die  Cornea  eine 
Art  von  Gefässkranz,  welcher  durch  seine  bläuliche  oder  bräunliche  Fär- 
bung deutlich  den  venösen  Charakter  verräth  und  nicht  selten  auch  von 
ödematöser  Schwellung  des  umgebenden  Gefüges  und  der  Bindehaut  begleitet 
wird.  In  den  späteren  Stadieji  des  Glaucoms,  wo  die  Degeneration  in  den 
Binnenorganen  des  Bulbus  und  in  den  Gefässwänden  schon  weit  vorge- 
schritten ist,  überwiegen  gewöhnlich  die  collateralen  Aeste,  das  Episcleral- 
gefüge  erscheint  allenthalben  durchzogen  von  sehr  erweiterten  Tenen- 
zweigen ,  welche  zum  Theile  direct  aus  den  Emissarien  der  vorderen 
Scleralzone  hervortreten,  sich  zu  weiten  Maschen  und  unregelmässigen  Bögen 
verschlingen,  nach  hinten  hin  in  mächtig  erweiterte  Stämme  zusammen- 
fliessen  und  in  den  verschiedensten  Richtungen  gegen  den  Augapfelgleicher 
streichen. 

4.  Die  glaucomaföse  Entzündung  verräth  sich,  abgesehen  von  den 
nebenhergehenden  Episcleralhyperämien ,  hauptsächlich  durch  eine  mehr 
weniger  beträchtüche,  gelbgraue  oder  graue,  di£Puse  Trübung  des  Glaskörpers, 
der  Cornea  und  des  Kammerwassers.  Bei  grösserer  Intensität  des  Entzün- 
dungsprocesses    ist    dieselbe    sehi"  oft  so  bedeutend,    dass  schon  die  L:is  in 


Entzündnngserscheinungen ;  Glaskörpertrübungen ;  Sehstörung.  345 

einen  dichten  Nebel  gehüllt  erscheint  und  die  Untersuchnng  des  Angcn- 
grundes  ganz  zur  Unmöglichkeit  wird.  Beim  ZurücJdreten  der  Entzün- 
dung jedoch  pflegt  auch  die  Trübung  sich  beträchtlich  zu  vermindern;  der 
über  dem  Augengrunde  schwebende  Nebel  wird  dünner  und  dünner, 
lässt  am  Ende  die  Umrisse  der  einzelnen  Theile  durchschimmern  oder 
verschwindet  auch  wohl  völlig,  so  dass  man  ganz  Jdare  Augenspiegel- 
bilder gewinnt.  Besondere,  auf  die  seröse  Aderliautenizündung  hindeutende 
ophthalmoskopische  Erscheinungen  sucht  man  aber  vergebens. 

Die  Trübung  der  dioptrischen  Medien  im  Vereine  mit  der  Erweiterung  der 
Pupille  bedingt  einen  eiyenthüvilichen  granhläuUchen,  gravgelblichen  oder  gravgrlin- 
lichen  Reflex  des  Augengrundes.  Es  wurde  dieser  aus  der  Tiefe  des  Bulbus 
kommende  Reflex  früher  als  das  Hauptsymptom  des  Leidens  betrachtet  und  nach 
ihm  der  Process  „  Glavcom,  grüner  Staar'^  benannt.  Er  kann  jedoch  fehlen  und 
ist  im  Ganzen  nur  dann  auflallig,  wenn  es  bereits  zu  ansehnlicher  Erweiterung 
der  Pupille  gekommen  ist,  kann  daher  nicht  als  pathognomonisches  Zeichen  aner- 
kannt werden. 

Er  ist  überhaupt  nur  eine  Verstärkung  des  hei  Mydriasis,  Irideremle  u.  s.  w. 
wahrnehmbaren  Widerscheines  und  diese  Verstärkung  resultirt  eben  aus  der  Trü- 
bung der  diojjtrischen  Medien.  Es  sind  hierbei  Trübungen  des  Kammerwassers 
von  wesentlichem  Einflüsse,  wie  die  Resultate  der  Cornealparacentese  mit  Sicher- 
heit darthun.  Durch  die  senile  Vergilbung  des  Linsenkernes  wird  die  bläuliche 
Trübung  des  Augengrundes  in  eine  graugrünliche  umgewandelt.  Doch  trägt  die 
nicht  seltene  gelbe  oder  bräunliche  Färbung  des  Glasls^örpers  jedenfalls  dazu  bei, 
dass  das  Reflexphänomen  oft  in  vorwaltend  gelbem  oder  grünlichem  Lichte  zur 
Wahrnehmung  kömmt. 

5.  Sehstörungen  gehören  recht  eigentlich  zum  Begriffe  des  Glaucoms. 
Sie  sind  in  der  Regel  vom  Anfang  an  sehr  auffällig.  Bei  der  acuten  ent- 
zündlichen Form  des  Glaucoms  geschieht  es  sogar  nicht  selten,  dass  das 
Sehvermögen  innerhalb  weniger  Tage  oder  Stunden  bis  auf  quantitative 
Lichtempfindung  herabgedrückt  wird.  In  der  grössten  Mehrzahl  der  Eälle 
jedoch  wird  eine  allmälige  Abnahme  des  Sehvermögens  beobachtet.  Anfangs 
klagen  dann  die  Ki-anken  oft  nur  über  eine  sehr  störende  Undeutlichkeit 
ihrer  Gesichtseindrücke,  namentlich  wenn  es  sich  um  kleinere  Objecte, 
Schrift  u.  s.  w.  handelt,  eine  Undeutlichkeit,  welche  sich  durch  Neutra- 
lisation der  vorhandenen  Accommodations-  oder  Eefractionsanomalien  nicht 
völlig  beheben  lässt,  wohl  aber  durch  stärkere  und  zweckmässigere  Beleuch- 
tung der  Gegenstände  sowie  durch  beträchtliche  Annäherung  derselben  an 
das  Auge,  also  durch  Vergrösserung  der  Gesichtswinkel,  einigermassen  ver- 
mindert wird.  Zeitweilig  nimmt  die  Undeutlichkeit  der  Wahrnehmungen 
beträchtlich  zu,  bei  gewöhnlichem  Tageslichte  lagert  sich  ein  mehr  minder 
dichter  Nebel  über  das  Gesichtsfeld ;  bei  künstlicher  Beleuchtung  aber  zeigen 
sich  die  im  dunklen  Räume  aufgestellten  Flammen  von  einem  Lichtscheine 
umgeben,  welcher  oft  in  Regenbogenfarben  spielt  und  zwar  so,  dass  an  der 
äusseren  Seite  das  Grünblau,  an  der  inneren  das  Roth  vorherrscht  (Haffmans). 
Ab  und  zu  verdichtet  sich  der  Nebel,  so  dass  er  die  Objecte  förmlich 
verhüllt;  oder  es  verdunkelt  sich  wohl  gar  das  Gesichtsfeld  in  dem  Grade, 
dass  die  Selbstführung  unmöglich  wird,  ja  die  qualitative  Lichtempfindung 
völlig  aufhört. 

Ehe  es  so  weit  kömmt,  macht  sich  häufig  schon  eine  Einschränkung 
des  Gesichtsfeldes  geltend.  Diese  betriff't  beim  chronischen  und  subacuten 
Glaucome  meistens  die  ganze  Peripherie,  wenn  auch  mit  Lücken.  Später 
schreitet    sie  gegen    das  Centrum    vor    und   dies    zwar  besonders    rasch  an 


346 


Glaucom;  Kranklieitsliild :  Einschräiikuiigen  des  Gesichtsfeldes. 


Fi;?.  43. 


der    inneren    Seite    des    Gesichtsfeldes ,     öfters    aber    auch    au    der    unteren, 
selten  ausschliesslich  au  der  äusseren.    Ist  sie  im  ersteren  Falle  vou  innen 

her  dem  Ceutrum  F  nahe  gekommen ,  so  vrird 
ihr  Fortschritt  gewöhnlich  eine  Zeit  laug  unter- 
brochen. Die  Einsclu'änkung  setzt  daselbst  dann 
mit  scharfer  Grenze  ab,  -während  sie  von  Oben 
und  Unten  her  i^ich  immer  mehr  dem  blinden 
Flecke  31  nähert  und  dabei  einspringende  Winkel 
bildet  (Förster,  Fig.  43).  Schliesslich  wird  das 
Gesichtsfeld  auf  ein  kleines  Ellipsoid  eingeengt, 
dessen  Längsaxe  fast  immer  eine  diagonale  ist, 
und  in  welcher  noch  mehr  weniger  deutliche 
Wahrnehmungen  ermöglichet  sind.  Früher  oder 
später  schwindet  weiterhin  auch  dieser  Rest  von  Xetzhautseusibilität ,  es 
kömmt  zur  absoluten  Amaurose. 

Oft  genug  jedoch  fehlen  Einschränkungen  des  Gesichtsfeldes  gänzlich 
(Laqueur),  die  Abnahme  der  Sehschärfe  ist  allenthalben  eine  ziemüch  pro- 
portionale ;  oder  es  machen  sich  ganz  unregelmässige,  mehi"  weniger  scharf 
abgegrenzte  Defecte  im  Sehfelde  geltend   (Graefe,   Landesberg). 

Das  NeheUehen  steht  ohne  Zweifel  im  innigen  Causalnexus  mit  den  Trübungen 
der  diojJh-iscJien  Medien,  denn  es  pfle^^t  mit  den  letzteren  im  Verhältnisse  zu  steigen 
und  zu  fallen  und  auch  «ohl  zu  verschwinden.  Eben  so  kömmt  der  Lichtschein, 
welcher  um  Flammen  im  dunklen  Räume  wahrgenommen  wird,  den  Trübungen  auf 
Rechnung,  er  ist  ein  rein  physikalisches  Phänomen,  das  wahrscheinlich  auf  hiler- 
ferenz  der  Strahlen  beruht.  Schon  die  Anordnung  der  verschiedenen  Farben  deutet 
darauf  hin.  Insoferne  der  Farbenring  verschwindet,  wenn  die  Pupille  sich  verengert 
oder  der  Kranke  durch  ein  enges  Loch  sieht,  ist  anzunehmen,  dass  bei  der  Inter- 
ferenz vornehmlieh  die  durch  die  peripliereii  Theile  der  Medien  gehenden,  am 
stärksten  abgelenkten  Strahlen  betheiligt  sind  (Haffmans). 

Die  Wahrnehmung  rauchühnlicher  Ter  düster  ungen  des  Gesichtsfeldes  und  be- 
sonders föiinliche  Verdunkelungen  des  letzteren  sind  hingegen  immer  schon  der 
Ausdruck  einer  wirklichen  Functionsstönmg  des  lichtempfindenden  Apiparates.  Sie 
kommen  zum  Theile  auf  Rechnung  der  materiellen  Veränderungen  des  Sehnerven- 
und  Xetzhautgefüges.  Zum  anderen  Theile  aber  sind  sie  durch  Steigerungen  des 
intraocularen  Druckes  zu  erklären.  Es  steht  nämlich  fest,  dass  derlei  Verdunkelungen 
auch  im  normalen  Zustande  künstlich  hervorgerufen  werden,  wenn  die  Spannung 
der  Lederhaut  durch  einen  äusseren  Druck  bis  zu  dem  Grade  erhöht  wird,  dass  die 
Arterien  zn  pidsiren  beginnen  (S.  172^.  Anderseits  spricht  dafür  der  Einfluss,  welchen 
die  Entspannung  der  Kapsel  auf  die  Sehstörungen  nimmt.  Es  scheint,  dass  die 
Vermehrung  der  Widerstände,  welche  das  arterielle  Blut  beim  Eintritte  in  den 
Binnenraum  findet,  den  nächsten  Grund  abgebe,  insofern  damit  nothwendig  eine 
Verlangsamung  des  capillaren  Blutstromes ,  also  auch  des  NahrungsstoftVechsels, 
gesetzt  wird.  Es  dürften  solche  auf  mechanische  Weise  begründete  Störungen 
insbesondere  den ,  oft  überaus  rasch  oder  gar  plötzlich  zu  Stande  kommenden, 
fast  völligen  Erblindungen  bei  acutem  Glaucome  zu  Grunde  liegen;  denn  hier  lassen 
sich  in  den  Anfangsstadien  des  Processes  weder  eine  Excavation,  noch  andere 
materielle  Veränderungen  nachweisen,  aus  welchen  die  absolute  Fnnctionsuntüchtig- 
keit  des  lichtempfindenden  Apparates  abgeleitet  werden  könnte. 

Die  Einsch-änkungen  des  Gesichtsfeldes  sind  zum  Theile  gewiss  eine  Folge 
der  Zerrung  und  Knickung  der  Nervenfasern  im  Bereiche  der  Excavation. 
Namentlich  lassen  sich  die  regulären  Einschränkungen  aus  dem  Umstände  erklären, 
dass  die  in  grossen  Bögen  zur  Peripherie  der  Netzhaut  gehenden  Nervenfasern  die 
Siebmembran  in  der  Mitte,  also  gerade  an  jenem  Theile  zu  passiren  scheinen, 
welcher  bei  der  Excavation  die  grösste  Verschiebung  und  Dehnung  erfährt,  während 
die  zur  Macula  lutea  streichenden  Fasern,  wenigstens  in  der  Nähe  des  Auges, 
wahrscheinlich  an  der  äussersteu  Peripherie  des  Nervenstammes  gelegen  sind  und 
daher  beim  Zurückweichen    der  Membrana   cribrosa  verhältnissmässi^  wenifr  leiden 


Siibjcctive  Nebenorsclioimmgoii ;  Ursachen;  Theorie  des  Glaucoms.  3-47 

(Leber).  Für  die  vielen  Ähweichzmgen  in  der  Crostalt  und  Laj^-e  der  Ein.scln'änkuns;en 
reicht  diese  Hypothese  jedocli  nicht  ans,  es  müssen  hier  noch  andere  Umstünde 
mitwirken.  Insbesondere  gilt  dies  von  den  ganz  ic7ire<jelmässi(jen,  schart"  abgesetzten 
UnterhrechuiKjen.  Neueren  Untersuchungen  zufolge  scheint  es,  dass  mit  der  Venen- 
stauung im  Zusanuuenhange  stehende  herdweise  Froductahlagcruvfieu ,  welche  die 
Stabschichtc  von  den  überliegenden  Netzhautstratis  abheben  und  mit  der  Aderhaut 
verkleben,  also  an  die  Exsndafivformen  der  lietlnitis  eriiniern,  bei  der  licgriindung 
jener  Defecte  eine  wichtige  KoUe  spielen  (Oraefe,  Leber). 

Die  schliesslich  aus  dem  Processe  hervorgehende  vollstäudifje  und  iinheilhare 
Amaurosis  hat  ihren   Grund  in  der  Atrophie  der  Netzhaut  und   des  Sehnerven. 

Merkwürdiger  Weise  wird  bei  bereits  ausgebildeter  Amaurose  der  Kranke 
öfters  durch  suhjective  Erhelhmg  des  Gesichtsfeldes  über  den  Zustand  seines  Auges 
getäuscht.  Er  sieht  zu  gewissen  Tageszeiten  oder  an  gewissen  typisch  wieder- 
kehrenden Tagen  das  ganze  Gesichtsfeld  in  hellem  weissgelblichen  oder  bläulichen 
Lichte  glänzen  und  ist  nur  zu  geneigt,  dieser  Wahrnehmung  Objectivität  unter- 
zubreiten. Es  ist  diese  Sinnestäuschung  der  Ausdriack  für  die  entzündliche  Erre- 
gung, in  welcher  die  Elemente  des  Sehnerven  durch  den  an  ihnen  in  centripetaler 
Richtung  allmälig  fortschreitenden  glaucomatösen  Process  erhalten  werden.  Indem 
dieses  Fortschreiten  in  der  Regel  ein  langsames  ist,  zählt  der  Kranke  häi^fig  noch 
seine  hellen  und  dunklen  Tage,  nachdem  der  Bulbus  längst  dem  Schwunde  anheim- 
gefallen ist. 

6.  jS"ebenerscheimingen  beim  Glaiicome  sind:  Chromopsie,  Photopsie, 
Schmerzen.  Es  sind  diese  Symptome  sehr  inconstant  und  köuncn  in  allen 
möglichen  Intensitätsgraden  variiren.  Das  Funken-  und  Farbensehen  steht 
theilweise  mit  den  Circulationsstörungen  im  Znsammenhange  und  wird 
'  durch  temporäre  Steigerungen  der  letzteren  bedeutend  verstärkt.  Die 
Schmerzen  können  während  dem  ganzen  Verlaufe  fehlen.  Beim  entzünd- 
lichen Glaucome  sind  sie  indessen  oft  auch  sehr  heftig,  ja  zeitweilig  gerade- 
zu exorbitant.  Oft  irradiiren  sie  dann  nach  verschiedenen  ]lichtungen. 
Besonders  sind  wüthende  Kopfschmerzen  gewöhnliche  Begleiter.  Auch  A^er- 
stimmung  der  Magennerven  kömmt  oft  vor  und  in  einzehien  Fällen  ist 
Brechneigiing  bis  zur  Hyperemesis  beobachtet  worden. 

Ursachen.  Das  reine  Glaucom  entwickelt  sich  in  der  Hegel  nur  in 
Augen  mit  starrer,  rigider  Sclerotica.  Es  bietet  eine  solche  unnachgiebige 
Bulbuskapsel  nämlich  den  günstigsten  Boden  für  Stauungen  im  Binnen- 
stromgebiete und  diese  sind  als  Bedingung  für  intraoculare  Drucksteigerungen 
eben  der  eigentliche  Kern  des  Leidens.  Eine  starre  Bulbuskapsel  übt 
einerseits  einen  viel  geringeren  regidaiorischen  Einfluss  auf  die  Circi;lations- 
verhältnisse  im  Biunenraume  aus,  anderseits  erschivert  sie  die  Erweiterung 
der  Emissarien,  wenn  eine  Steigerung  des  effectiven  arleriellen  Seitendruckes 
die  beschleunigte  Abfuhr  des  Venenblutes  verlangt  (S.  2,  4).  Dazu  kömmt, 
dass  allem  Anscheine  nach  die  Rigidität  nicht  an  allen  Theilen  der  Sclerotica 
sich  gleichmässig  entwickelt,  sondern  sich  in  den  äusseren  Schichten  der- 
selben concentrirt.  In  der  That  lässt  sich  an  glaucomatösen  Augen,  welche 
lange  Zeit  hindurch  eine  beinartige  Härte  bewahrten,  nicht  die  mindeste 
Vermehrung  des  Umfanges  nachweisen ;  vielmehr  wollen  einzelne  sogar 
eine  Verkleinerung  der  Durchmesser  erkannt  haben  und  auf  die  Schrumpfung 
der  Sclerotica  als  Folge  fettiger  Entartung  zurückführen  (Coccius,  Cusco). 
Dagegen  otFenbart  sich  in  der  Excavation  eine  überaus  starke  Dehnung  der 
Siebmembran  und  in  der  Entwickelung  des  Bindegeioebsringes  eine  beträcht- 
liche Zerrung  und  Verschiebung  der  mit  der  Membrana  cribrosa  in  unmittel- 
barem Zusammenhange  stehenden  hinteren  Zonen  der  inneren  Sclerallagen. 
Die  mächtige  Ausdehnung  der   Siebmenbran  setzt  nothwendiger  Weise   eine 


348  Glaucom;  Ursachen;  Bigidität  der  Bulbuskapsel ;  Gicht. 

theilweise  Verengerung  ihrer  Lücken  und  damit  eine  Ziisammenschnüi'ung 
einzelner  Hauptstämme  der  retinalen  Venen,  während  ihre  Hineinstülpung 
in  den  Eaum  des  jSfervenkopfes  leicht  zur  Compression  jener  Nährgefässe 
führt,  welche  mit  dem  Chorioidalstromgebiete  unmittelbar  zusammenhängen. 
Auch  ist  es  leicht  denkbar,  dass  die  Zerrung  und  Verschiebung,  welche 
die  hinteren  Zonen  der  inneren  Scleralschichten  erleiden,  eine  Verengerung 
der  sehr  schief  durch  den  Lederhautäquator  hindurchtretenden  Wirbelgefässe 
zu  veranlassen  im  Stande  ist.  Es  liegt  also  eine  Quelle  der  Venenstauung 
in  der  Excavation  selbst  und  damit  ist  ein  fehlerhafter  Kreis  gegeben,  in 
welchem  Ursache  und  Wirkung  sich  gegenseitig  unterhalten  und  steigern. 
Besteht  aber  die  Stauung  längere  Zeit,  so  kommt  es  mit  oder  ohne  Bei- 
hilfe entzündlicher  Infiltrationen  leicht  zur  Verstopfung  und  dauernden 
Verödung  einzelner  Emissarien,  was  um  so  schwerer  ins  Gewicht  fällt, 
als  die  Zahl  der  letzteren  eine  sehr  beschränkte  ist.  Die  Stauung  wird 
dann  eine  ständige,  es  stellen  sich  die  natürlichen  Abzugswege  nicht  melu' 
her,  das  yenöse  Blut  fährt  fort  auf  den  coUateralen  Bahnen  abzufliessen, 
auch  wenn  die  ursprünglichen  Stauungsursachen  längst  beseitigt  sind  iTud 
der  Augapfel  dem  Schwunde  verfallen,  welk  und  weich  geworden  ist. 

Die  Rigidität  der  Bulhusl-apsel  findet  sich  nicht  selten  hahituel  und 
ist  in  manchen  Familien,  ja  Stämmen,  z.  B.  dem  jüdischen,  als  ererbter 
Zustand  sogar  ziemlich  häufig.  Sie  ist  meistens  nur  in  ihrer  Anlage  ange- 
boren, pflegt  sich  mit  wachsendem  Alter  aber  sehr  rasch  auszubilden.  Auf 
ihre  Rechnung  kömmt  das  öftere  sehr  frühzeitige  Auftreten  des  Glaucoms, 
dessen  Entwickelung  zwischen  dem  20.  und  30.  Lebensjahre  oder  gar  im 
kindlichen  Alter.  In  der  Regel  jedoch  ist  der  Verlust  an  elastischer  Dehn- 
barkeit auf  die  senile  Involution  der  Bulbuskapsel  zu  beziehen  und  dem 
entsprechend  ist  denn  auch  das  Glaucom  vorzugsioeise  eine  Krankheit  des 
höheren  Alters,  sein  Auftreten  fällt  meistens  hinter  das  50.  Lebensjahr. 
Die  innigen  Beziehungen,  welche  sich  überaus  häufig  zwischen  der  Rigidi- 
tät der  Lederhaut  und  atheromatösen  Processen  in  den  Wandungen  der  ab- 
und  zuführenden  Gefässe  nachweisen  lassen,  erklären  die  hervorragende 
ätiologische  Bedeutung ,  welche  der  Gicht  von  Alters  her  beigemessen 
worden  ist. 

Wo  die  Starrheit  der  Lederhaut  als  habitueller  Zustand  auftritt,  dürften 
bestimmt  nachiceisbare  materielle  Veränderungen  des  Lederhautgefüges  fehlen.  Im 
anderen  Falle  mögen  ihr  ähnliche  Vorgänge  zu  Grunde  liegen,  wie  beim  Greisen- 
bogen  und  bei  der  atheromatösen  Entartung  des  Gefässsystemes ,  um  so  mehr,  als 
derartige  Zustände  fast  constante  Begleiter  sind.  Das  Mikroskop  hat  Verfettung  der 
Sclera  als  nächsten  Grund  erkennen  lassen  (Cocciusj.  Es  scheint  jedoch  nach 
mikrochemischen  Untersuchungen,  dass  es  sich  mehr  um  Kalkablagerungen,  als  um 
Fettbildung  handle  (Donders). 

Statistischen  Ausweisen  zu  Folge  sind  die  vom  Glaucome  heimgesuchten 
Augen  in  vberuciegendem  procentarischen  Verhältnisse  hjpermetropisch ,  kaum  ein 
Viertel  in  niederem  Grade  myopisch  und  nur  sehr  ausnahmsweise,  wenn  je  stark 
kurzsichtig  (fLaqueur,  Eydl).  Es  scheint,  dass  bei  hypermetropischem  Bau  des  Auges 
die  grössere  Dicke  der  Sclerotica  deren  Unnachgiebigkeit  steigere;  auch  kann  der 
Umstand  von  Belang  sein,  dass  in  Augen  von  kleinerem  Umfange  ein  gleicher 
effectiver  totaler  Seitendruck  sich  auf  eine  kleinere  Anzahl  von  Masseinheiten  ver- 
theilt ,  die  Spannung  bei  gleichem  Binnendrucke  also  eine  grössere  wird  als  in 
Augen  von  bedeutenderem  Umfange. 

Ist  die  Rigidität  der  Bulbuskapsel  zu  einer  gewissen  Höhe  gediehen, 
so  reicht  erfahrungsmässig  schon  der   kleinste    Anstoss   hin,  um  das  Glau- 


Stauungsursaolion ;  Kinfluss  des  Trigeminus;  Secuiuläre  Glaucomfonnen.  349 

com  zum  Ausbruche  zu  bringeu.  Es  ist  daher  etwas  sehr  GewöliuU(;hes, 
dass  die  Gelcgenheitsursache  vou  dem  Kranken  ganz  unbeachtet  bleibt  und 
das  Leiden  scheinbar  spontan   sicli  entwickelt. 

In  vielen  Fällen  mögen  allgemeine  Circulationsstörungen,  z.  B.  zeit- 
weilige Steigerungen  des  Herzdruckes  oder  leichte  Stauungen  im  Gebiete 
der  oberen  Hohlvene  die  nächste  Veranlassung  abgeben,  indem  sie  auf  die 
Binnengefässe  sich  fortptianzen,  hier  aber  wegen  der  abnormen  Verhält- 
nisse nicht  rasch  genug  ausgeglichen  werden  können,  sondern  sich  im 
fehlerhaften  Zirkel  vergrössern  und  ständig  machen. 

In  anderen  Fällen  jedoch  sind  es  gewiss  rein  locale  Kreislaufstörungen, 
welche  sich  innerhalb  der  starren  Bulbuskapsel  zum  Glaucome  gestalten. 
Es  lassen  sich  gar  mannigfaltige  Ursachen  derselben  denken.  Ist  doch  die 
geringfügige  compensatorische  Füllungszunahme  der  Aderhautgefässe  nach 
kräftiger  Einwii'kung  eines  Mydriaticums  bisweilen  genügend ,  um  in 
disponirten  Augen  den  glaucomatösen  Process  einzuleiten  (Graefe,  Hasket 
Derby). 

Am  gewöhnlichsten  jedoch  dürften  Gefässlähmungen  in  Rechnung 
kommen,  welche  auf  reflectorischcm  Wege  von  den  sensitiven  Ciliai'nerven 
im  Binnenstromgebiete  angeregt  werden  und  vermöge  der  Erweiterung  der 
Gefässlichtungen  sowohl  eine  Steigerung  des  effectiven  Seitendruckes  in  den 
Arterien,  als  eine  Verlangsamung  des  venösen  Rückflusses  zu  verursachen 
im  Stande  sind. 

Jedenfalls  spielen  Reizzustände  des  Trigeminusgebietes  und  insonderheit 
der  sensitiven  Ciliarnerven  eine  hervorragende  Rolle  in  der  Aetiologie  des 
Glaucoms.  Einei'seits  sind  nämlich  Neuralgien  des  Quintus  bereits  wieder- 
holt als  die  nächste  Veranlassung  zum  Ausbruche  eines  Glaucoms  nachge- 
wiesen worden  (Wegner,  Hutchinson,  Hippel,  Grünhagen);  andererseits  aber 
fungiren  als  evidente  Gelegenheitsursachen  des  Leidens  erfahrungsmässig 
am  gewöhnlichsten  äussere  Schädlichkeiten  und  Entzündungen  der  mannig- 
faltigsten Art,  welche  ein  starkes  Irritament  für  die  Ciliarnerven  abzugeben 
geeignet  sind.  Ueberdies  ist  es  eine  unbestrittene  Thatsache,  dass  Traumen 
und  Entzündungen,  welche  an  sich  oder  durch  ihre  Folgen  Reizzustände 
im  Ciliarsysteme  zu  erregen  und  lange  Zeit  zu  unterhalten  vermögen,  auch 
in  vorläufig  nicht  disponirten  Augen  ziemlich  häufig  zu  intraocularen 
Drucksteigerungen  und  zur  Excavation  des  Sehnerveneintrittes,  überhaupt 
zu  Zuständen  führen,  welche  mit  dem  wahren  Glaucome  viel  Gemeinsames 
haben  und  darum  mit  Rücksicht  auf  ihren  Ursprung  als  secundäre  Glaucome 
in  das  System  eingereiht  werden. 

.  Man  hat  diesen  Einfluss ,  welchen  die  sensitiven  Ciliarnerven  unter  krank- 
haften Vei'hältnissen  auf  den  Binnendruck  auszuüben  im  Stande  sind,  als  einen 
Beweisgrund  für  die  secretoriscJie  Natur  der  glaucomatösen  Drucksteigerung  auszir- 
beuten  gesucht.  Ausser  den  bereits  erwähnten  Einwänden  (S.  5)  und  den  Ergeb- 
nissen neuer,  mit  verbesserten  Instrumenten  angestellter  physiologischer  Versuche 
(Ädamük)  lässt  sich  jedoch  gegen  die  Abhängigkeit  des  Glaucoms  von  einer  Art 
Secretionsneurose  der  Umstand  geltend  machen,  dass  die  Spannungsvermehrung 
bei  der  genannten  Krankheit  Monate  und  Jahre  anhält,  also  ein  eben  so  lange 
wirkendes  pathogenetisches  Moment  voraussetzt.  Als  ein  solches  kann  aber  wohl 
eine  Venenstauung  im  Vereine  mit  dem  continuirlich  wirkenden  Blutdrucke,  kaum 
aber  ein  Nervenreiz  gelten. 

Unter    den    pathologischen    Zuständen ,    welche     sich    am     häufigsten 

mit  glaucomatösen  Drucksteigerungen  und  mit   Excavation  des  Sehnerven- 


350  Glaucom;  Ursachi>n;  Secnniläre  Formen. 

eintrittes  coinbiniren,  sind  zu  nennen:  ausgebreitete  oder  mehrfache  Ein- 
klemmungen der  Iris  in  Hornhautdurchbriiche ;  veralteter  Pannus  so  wie 
dichte  umfangsreiche  und  tiefgreifende  Cornealnarhen ,  besonders  wenn  sie 
Neigung  zu  progressiver  Ectasie  zeigen ;  ferner  zahlreiche  und  breite  hintere 
Synechien,  insbesondere  aber  völliger  Abschluss  der  Pupille;  Schief  Stellungen 
der  Linse  wegen  theilweiser  Anheftung  der  Kapsel  an  ectatische  Hornhaut- 
narben, wegen  ungleichmässiger  Dehnung  des  Strahlenblättchens  bei  Staphy- 
lombildung  in  der  vorderen  Bulbushälfte,  oder  wegen  partieller  Berstung 
der  Zonula,  in  den  letzteren  beiden  Fällen  vorzugsweise,  wenn  dem  Krystall- 
Systeme  die  Gelegenheit  zu  Schwankungen  und  folgerecht  zu  mechanischen 
Beleidigungen  der  hinteren  Fläche  der  Iris  und  des  Strahlenkörpers  ge- 
boten wird ;  Verletzungen  der  Linsenkapsel,  insoferne  sie  ein  Aufquellen  der 
luystallmasse,  ein  Hervortreten  derselben  aus  der  Kapselwunde  und  dadurch 
ein   Vordrängen  der  Iris  veranlassen. 

Es  bestehen  diese  Verhältnisse  allerdings  in  der  Regel  sehr  lange 
Zeit,  besonders  wenn  sie  jugendliche  Individuen  betreffen,  ohne  dass  sich 
irgend  welche  Zeichen  des  secundären  Glaucoms  bemerklich  machen.  Je 
älter  indessen  das  Individuum  wird  und  je  rascher  sich  die  senile  Involution 
der  Sclerotica  entwickelt,  um  so  grösser  wird  die  Disposition,  um  so 
leichtere  Anstösse  genügen,  auf  dass  im  fehlerhaften  Kreise  ständige  Venen- 
stauungen erzeugt  werden.  Uebrigens  tritt  das  glaucomatöse  Leiden  unter 
solchen  Umständen  bisweilen  auch  in  Individuen  auf,  wo  von  der  senilen 
Involution  füglich  nicht  die  Rede  sein  kann  und  wo  die  normale  Härte 
des  zweiten  Auges  eine  hahituel  starre  Lederhaut  verauszusetzen  nicht  ge- 
stattet. Man  muss  also  annehmen,  dass  entweder  in  der  Gefässlähmung 
selbst  Bedingungen  für  ständige  Venenstauungen  liegen,  oder  dass  secun- 
däre  Veränderungen  der  Sclerotica  den  Boden  für  den  glaucomatosen  Process 
vorbereiten. 

Wirklich  deiitet  das  eigenthümliche  porcellanartige  Aussehen  der  weissen 
Angenliaut  in  nicht  wenigen  Fällen  von  secundärem  Glaucome  auf  Sclerose  der 
Lederhaut  hin  und  diese  lässt  sich  folgerichtig  aus  den  häufig  wiederkehrenden 
und  hartnäckigen  Anfällen  von  intraoculären  Entzündungen  ableiten,  zu  welchen  die 
oben  genannten  Zustände  durchwegs  in  hohem  Grade  disponiren.  In  anderen 
Fällen  führen  die  entzündlichen  Insulte  ^^?-!Hiä)-  allerdings  zur  Lockerung  des 
Scieralgefüges  so  wie  der  Siebmembran,  weiterliin  jedoch  zu  staphylomatösen  Aus- 
dehnungen der  Lederhaut  und  zur  Excavation  des  Sehnerveneintrittes.  Gerade  in 
diesen  Ectasien  liegt  aber  unter  Umständen  eine  Quelle  für  ständige  Verengerungen 
oder  gänzliche  Unwegsamkeit  einzelner  Emmissarien ,  welche  dann  um  so  leichter 
Venenstauungen  zu  Stande  bringen,  als  sie  ausserdem  noch  öfters  durch  die  nach- 
trägliche Sclerose  des  atrophirenden  Lederhautgefüges  begünstigt  werden.  In  solcher 
Weise  mag  das  misnahmsweise  Vorkommen  der  glaucomatosen  Drucksteigerung  und 
Excavation  bei  hinteren  Sclerahtapliylomen,  besonders  solchen,  welche  sich  mit 
ausgebreiteter  Sclerochorioiditis  combinirt  liaben,  zu  erklären  sein,  ohne  dass  jedoch 
gewisse  hxdiituelle  Dispositionen  ausgeschlossen  werden  können,  indem  derlei  Zu- 
stände in  manchen  Familien  erblich  gefunden  worden  sind  (Graefe).  Endlicli  liegt 
es  auf  der  Hand,  dass  Entzündungen  mit  massigerem  Exsudate  gleich  Aftergehilden 
der  Chorioidea  die  Gelegenheit  ziu-  mechanischen  Verschliessung  einzelner  Haupt- 
venen bieten,  vornehmlich  wenn  die  Producte  in  grösserer  Menge  das  Scleralgefüge 
iniiltriren,  ohne  seinen  Widerstand  dem  intraoculären  Drucke  gegenüber  zu 
vernichten. 

Ein  ätiologisches  Moment  von  hervorragender  Wichtigkeit  sind  spontane 
Netzliauthämorrhagien ,  wie  selbe  bisweilen  bei  greisen,  zu  Gehirnapoplexien 
geneigten     Individuen    vorkommen.      Dieselben    stellen    sich    gewöhnlich  in 


Glaucoiiui  liiinioviliagiciiiii ;  Vei-lauf:  GlauiMiiia  siiiiplcx.  351 

grosser  Monge  in  der  Umgebung  der  Papille  und  Macula  ein ,  bilden 
meistens  kleine  Herde  und  combiniren  sich  sehr  bald  mit  Ersclieinungen 
Aon  Netzhautentzünduug ,  welche  durch  die  starke  Trübung  und  durch 
herdweise  Exsudatanhäufung  öfters  das  Bild  einer  nephritischen  Neiirodictyitis 
(0.  Becker)  täuschend  vorspiegeln,  gewölmlich  aber  sehr  bald  von  den 
Symptomen  des  liinzutretenden  acuten  oder  subacuien  Glaucoms  völlig 
gedeckt  werden.  Es  ist  diese  Art  des  (llaucoms,  welche  als  hämorrhagische 
oder  apoplectische  bezeichnet  wird ,  ganz  abgesehen  von  den  die  Kranken 
bedrohenden  tödtlicheu  Gehirnblutungen ,  insofern  von  der  übelsten  ]}ro- 
gnostischen  Bedeutung,  als  die  aiisgebreiteten  Gefässerkrankungen,  welche 
ihr  zu  Grunde  liegen,  fast  in  der  Hälfte  der  Fälle  dem  zweiten  Auge 
binnen  Kurzem  ein  gleiches  Schicksal  bereiten,  nnd  als  das  einzige  thera- 
peutische Hilfsmittel,  die  Iridectomie ,  mit  wenigen  Ausnahmen  (Coccius, 
Laqueur)  das  Ziel  zu  verfehlen  pflegt.  Die  Operation  führt  nämlich  gerne 
zu  massenhaften  retinalen  Blutergüssen,  welche  den  eiidlichen  Schwund  des 
Augapfels  beschleunigen  (Graefe).  In  anderen  Fällen  beseitiget  die  Iridec- 
tomie wohl  die  bisweilen  höchst  intensiven  Schmerzen ,  doch  stellen  sich 
binnen  Kurzem  neue  Anfälle  mit  gesteigerter  Heftigkeit  ein,  gegen  welche 
die  Operation  nichts  mehr  vermag,  so  dass  in  mehreren  Fällen  zur  Enucleation 
geschritten  werden  musste   (Pagenstecher,   Homer). 

Verlauf.  Das  Glaucom  bietet  in  der  Art  seines  Ävftretens,  in  seiner 
Entioickelung  und  dem  ganzen  Verlaufe  sehr  grosse  Differenzen  dar,  welche 
von  der  höchsten  praktischen  Bedeutung  sind,  so  zwar,  dass  man  sie  fast 
allgemein  als  Eintheilungsgrund  benutzt  und  nach  ihnen  eine  Keihe  ver- 
schiedener Formen  unterscheidet,  die  allerdings  vielfach  mit  einander 
zusammenhängen  und   oft  auch  in   einander  übergehen. 

A.  In  einer  gewissen  Anzahl  von  Fällen  tritt  das  Glaucom  gleich  von 
vorneherein  als  solches  hervor,  ohne  dass  ihm  eigentliche  Vorboten  voran- 
gingen. 

1.  Die  Entwickelung  des  Glaucoms  ist  unter  solchen  Umständen  oft 
eine  ganz  unmerkliche,  schleichende,  so  dass  der  Kranke  seinen  Zustand  leicht 
übersieht  und  häufig  erst  beunruhigt  wird ,  wenn  das  Leiden  ziemlich 
weit  vorgeschritten  ist.  Gewöhnlich  klagen  die  Patienten  über  eine  rasche 
Abnahme  ihrer  Sehkraft  auf  einem  oder  beiden  Augen,  welche  zeitweilig 
und  vorübergehend  besonders  auffällig  ist,  sich  sowohl  beim  Fernsehen  als 
ganz  vorzüglich  beim  Nahesehen,  beim  Lesen,  Schreiben  u.  s.  w.  fühlbar 
macht  und  bei  genauerer  Untersuchung  sich  auf  eine  beträchtliche  Abnahme 
der  Accommodationsbreite  und  des  Refraciionswerthes  des  diopti"ischen  Appa- 
rates, häufig  auch  auf  eine  gewisse  Stumjjfheit  der  Netzhaut  zurückführen 
lässt.  Oft  fühlt  sich  auch  das  schwächer  gewordene  Auge  etwas  härter  an 
und  deutet  damit  auf  eine  Steigerung  des  intraoculareu  Druckes.  Die  Pupille 
ist  gewöhnlicli,  aber  nicht  immer,  etwas  erweitert  und  in  ihren  Bewegungen 
träger ;  die  dioptrischen  Medien  jedoch  sind  ohne  alle  erkennbare  Verände- 
rung. Im  Spiegelbilde  erscheint  eine  partielle  oder  gar  schon  totale,  wenn 
auch  noch  nicht  völlig  ausgebildete,  glaucomatöse  Excavation  mit  oder 
ohne  merkliche  Verrückung  der  Gefässpforte ,  starker  Verbreiterung  der 
Venenstämme  und  der  Möglichkeit,  durch  einen  verhältnissmässig  geringen 
Druck  des  Fingers  den  Arterienpuls  hervorzurufen.  Es  handelt  sich  in 
diesen    Fällen    vorerst    blos    um    Venenstauungen    und    die    davon    abhängige 


352  Glaucom:  Verlauf;  Glancoma  simplex  n.  inflammatorinm. 

Druclcsteigerung,  während  entzündliche  Vorgänge  entweder  noch  ganz  fehlen, 
oder  doch  nur  die  Bedeutung  jener  Reizzustände  haben,  welche  dem 
reinen  Schwunde  vorangehen  und  denselben  begründen.  Man  pflegt  unter 
solchen  Umständen  daher  von  einem  nicht  entzündlichen  einfachen  Glaucome 
zu  sprechen. 

In  diesem  Zustande  kann  das  Glaucom  viele  ilonate,  ja  noch  länger 
verharren,  ohne  dass  das  Ea-ankheitsbild  sehr  wesentlich  verändert  würde 
und  namentlich,  ohne  dass  die  Sehstörungen  eine  beträchtliche  Zunahme 
erführen ;  nur  die  Excavation  pflegt  sich  mehr  und  mehr  auszubilden.  In 
der  Regel  jedoch  macht  sich  alsbald  eine  sehr  fühlbare  Steigerung  aller 
Symptome  geltend,  die  Krankheit  schreitet  ganz  allmälig ,  oder  mit  zeit- 
weiligen Exacerbationen  und  Re-  oder  Intermissionen  vorwärts;  der  Bulbus 
wird  immer  härter,  die  Stauungen  treten  deutlicher  und  deutlicher  hervor, 
die  Cornea  wird  minder  empfindlich,  die  Kammer  enger,  die  Pupille  weiter 
und  träger  oder  ganz  starr,  die  excavirte  Papille  bekömmt  die  eigenthüm- 
liche  blasse  Färbung  des  Schwundes,  die  Einschränkung  des  Gesichtsfeldes 
nimmt  überhand ,  während  gleichzeitig  auch  die  centrale  Sehschärfe  mehr 
und  mehr  sinkt  und  endlich  völlige  Amaurosis  gegeben  ist. 

Nicht  selten  gelangen  alle  diese  Symptome  zur  maximalen  Entwickelung, 
der  vollkommen  erblindete  Augapfel  wird  beinhart,  die  Cornea  anästhetisch, 
die  Kammer  fast  XuU,  die  sonst  unveränderte  Iris  auf  ein  schmales  Säum- 
chen reducirt,  die  tief  excavirte  Papille  hochgradig  atrophirt,  ohne  dass 
jemals  Merkmale  einer  Entzündung  deutlich  hervorgetreten  wären.  Mitunter 
erhält  sich  der  geschilderte  Zustand  sogar  längere  Zdt,  mehrere  Jahre,  bis 
endlich  das  Krankheitsbild  unter  allen  Erscheinungen  der  Phlogose  wechselt. 

Weit  häufiger  indessen  stellen  sich  schon  viel  früher  manifeste  Entzün- 
dungen ein,  das  Leiden  gewinnt  den  Charakter  des  inflammatorischen  Glaueoms. 
Es  geschieht  dieses  entweder  plötzlich  unter  der  Form  eines  heftigen  acuten 
Entzündungsanfalles;  oder  aber  successive  und  dann  gewöhnlich  schubweise, 
d.  i.  unter  dem  Wechsel  von  leichteren  und  rasch  vorübergehenden  Insulten 
und  mehr  minder  vollständigen  Intermissionen.  Die  Anfälle  bekunden  sich 
unter  solchen  Umständen  durch  rasches  Sinken  der  Sehkraft  und  häufig 
auch  durch  Ciliarneurose ;  objectiv  durch  rasche  Steigerung  des  intraocularen 
Druckes,  durch  starke  Erweiterung  und  Starrheit  der  Pupille,  sowie  durch 
Verfärbung  der  Iris ,  durch  Blutüberfüllung  der  Episcleralgefässe  und 
Bildung  eines  Gefässkranzes,  hauptsächlich  aber  durch  Trübung  der  Augen- 
medien. Es  sind  diese  Symptome  je  nach  der  Intensität  des  jeweiligen 
Aufalles  mehr  minder  deutlich  ausgesprochen  und  wechseln  dem  Grade 
nach  oft  innerhalb  weniger  Stunden.  Im  Allgemeinen  sind  die  Anfälle 
anfänglich  gelinder,  steigern  sich  aber  nach  und  nach,  wenn  auch  nicht 
regelmässig,  in  Bezug  auf  Intensität,  Dauer  und  Frequenz,  bis  endlich 
die  Kranklieit  dauernd  den  entzündlichen  Charakter  zur  Schau  trägt  und 
nur  mehr  remittirt. 

2.  In  gewissen  Fällen  tritt  das  Glaucom  gleich  von  vorneherein,  ohne 
dass  irgend  welche  Vorboten  vorausgegangen  wären,  unter  der  Form  einer 
mehr  minder  heftigen  acuten  Entzündung  auf  und  entwickelt  sich  innerhalb 
kurzer  Zeit  ganz  vollständig. 

Ausnahmsweise  wird  das  Sehvermögen  ganz  normal  functionirender 
Augen    sogar  plötzlich  in    der  acutesten   Weise,  innerhalb    weniger    Stunden, 


Glaucom.a  fulinlnans;  Vorboten.  353 

ja  innerhalb  einer  einzigen  Italien  Stunde ,  völlig  oder  bis  auf  undeutliche 
Spuren  von  Lichtempfindung  vernichtet  (Fulminirendes  Glcmcom).  Ohjectiv 
ist  dann  manchmal  nichts  anderes  als  eine  sehr  beträchtliche  Trübung  der 
dioptrischen  Medien  und,  soweit  möglich,  eine  Ueberfüllung  der  Netzhaut- 
venen  zu  constatiren;  die  Drucksteigerung  wird  erst  nachträglich  auffällig, 
nimmt  aber  7'asch  überhand,  während  sich  eine  mehr  minder  starke  Ciliar- 
neurose  und  Cong  es  tions  er  scheinungen  in  der  Episclera  ausbilden.  Eben  so  oft 
jedoch  ist  die  Erblindung  gleich  von  voiiieherein  mit  den  letzterwähnten 
Symptomen  gepaart,  das  fulminirende  Glaucom  trägt  von  Anfang  an  den 
Charakter  des  inflammatorischen  Glaucoms  und  unterscheidet  sich  von  der 
gewöhnlichen  acuten  Form  nur  durch  die  plötzliche  Erblindung  und  die 
rajiide  Entwickelung  der  anderen  Erscheinungen,  geht  übrigens  alsbald  in 
die  letztere  Form  über.  Man  hat  das  fulminirende  Glaucom  vornehmlich 
bei  alten  Leuten  jenseits  des  55.  Lebensjahres  beobachtet;  es  kömmt  jedoch 
bei  erblich  disponirten  Individuen  auch  in  der  Mannesperiode  vor.  Es  führt 
immer  innerhalb  der  kürzesten  Zeit,  innerhalb  weniger  Wochen  oder  Tage, 
zur  glaucomatösen  Excavation  und  zur  degenerativen  Atrophie  der  Binnen- 
organe  des  Bulbus   (Graefe). 

B.  Li  der  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  gehen  dem  Glaucome  kürzere 
oder  längere  Zeit  Vorboten  voraus.  Den  Reigen  eröffnet  gemeiniglich  das 
wiederholte  Auftreten  ganz  exorbitanter  Kopfschmerzen.  Der  Augapfel  selbst 
erscheint  etwas  gespannter  und  meistens  auch  von  einzelnen  ausgedehnten 
episcleralen  Venenstämmen  übersponnen.  Alsbald  stellen  sich  dann  mehr 
minder  deutliche  entzündliche  Anfälle  ein,  welche  sich  subjectiv  durch  rasche 
und  beträchtliche  Abnahme  der  Accommodationsbreite  und  wohl  auch  des 
Refractionszustandes,  durch  Nebelsehen,  den  eigenthümlichen  farbigen  Licht- 
schein um  Flammen,  und  oft  auch  durch  wechselnde  Grade  von  Ciliar- 
neurose  bekunden ;  ohjectiv  aber  durch  ansehnliche  Steigerung  des  intraocu- 
laren  Druckes  und  der  Stauungsphänomene,  ferner  durch  Erweiterung  und 
Starrheit  der  Pupille,  oft  auch  durch  Verengerung  der  Kammer,  besonders 
aber  durch  mehr  minder  beträchtliche  Trübwig  des  Kammerwassers  und 
des  Glaskörpers  zum  Ausdrucke  kommen.  Bei  grösserer  Litensität  der 
Ophthalmie  lassen  sich  oft  schon  Einschränkungen  des  Gesichtsfeldes,  mitunter 
auch  der  Arterienpuls,   nachweisen. 

Derlei  Anfalle  wiederholen  sich  häufiger  oder  seltener,  mit  oder  ohne 
äussere  Veranlassungen ,  in  unregelmässigen  Intervallen  oder  periodisch ; 
gehen  aber  gewöhnlich  wieder  vollständig  zurück,  oder  hinterlassen  höchstens 
eine  etwas  vermehrte  Spannung  des  Au,gapfels  und  eine  auffällige  Ver- 
minderung der  Accommodationsbreite  oder  vielleicht  auch  des  Refractions- 
zustandes.  Das  Prodromalstadium  kann  sich  solchermassen  geratime  Zeit, 
Jahre  lang,  hinausziehen.  Gemeiniglich  jedoch  geht  es  frühzeitig  zu  Ende,  ja 
nicht  selten  ist  schon  nach  dem  zweiten  oder  dritten  Anfalle  das  Glaucom 
entwickelt,  d.  i.  es  kömmt  nicht  mehr  zu  einer  förmlichen  Intermission, 
sondern  es  bleiben  gewisse  dem  Glaucome  zugehörende  Symptome  dauernd 
zurück.  In  dieser  Beziehung  sind  nun  mehrfache  wichtige  Differenzen  zu 
bemerken : 

1.  In  manchen  Fällen  verschwinden  nach  einem  oder  dem  anderen 
Anfalle  wohl  die  exquisit  entzündlichen  Symptome,  allein  es  bleibt  der  Bulbus 
beträchtlich  härter,    die  Kammer  enge,    die  Pupille   weiter  und  träge   oder 

stell  wag,  Augenheilkunde.  23 


35-4  Glaucom;  Verlauf;  Glaucoma  simplex,  inflammatorium,  absolutum. 

starr;  es  entvrickelt  sich  ganz  allmälig  die  charakteristische  Excavation 
des  Sehuerveueintrittes,  während  gleichzeitig  neben  zunehmender  Aceom- 
modationsparese  eine  sehr  störende  Stumpfheit  der  Xetzhaut  und  eine 
wachsende  Einschränkung  des  Gesichtsfeldes  zur  Geltung  kommen.  Man 
hat  es  dann  also  mit  einem  einfachen  Glaucome  zu  thun,  welches  entweder 
als  solches  längere  Zeit  fortbesteht  und  sich  mehr  und  mehr  entwickelt, 
oder  aber  durch  fernere  manifeste  entzündliche  Anfälle ,  die  sich  von  Zeit 
■  zu  Zeit  wiederholen  und  wieder  Tollständig  ausgleichen,  schubweise  seiner 
Vollendung  zugeführt  wird. 

2.  In  anderen  Fällen  gehen  nach  mehreren  Antillen  auch  die  ent- 
zündlichen Erscheinungen  nicht  mehr  vollständig  zurück,  sie  remittiren  blos, 
um  über  kurz  oder  lang  wieder  einen  Aufschwung  zu  nehmen,  ßehr  oft 
schwankt  dann  der  Process  in  solcher  Weise  Monate  und  Jahre  lang  zwi- 
schen Exacerbationen  und  Remissionen,  bis  er  endlich  unter  höchstgradiger 
Ausbildung  der  dem  Glaucome  zukommenden  Merkmale  zum  Abschlüsse 
gelangt.  Man  spricht  in  solchen  Fällen  von  chronischem  entzündlichen 
Glaucome. 

3.  Endlich  kommt  es  vor,  dass  nach  längerer  oder  kürzerer  Dauer 
des  Prodromalstadiums  das  Glaucom  mit  einem  Male  unter  der  Form  eines 
intensiven  Entzündungsanfalles  zum  Ausbruche  gelangt.  Es  stellen  sich  plötzlich 
intensive  Schmerzen  im  Kopfe,  eine  wüthende  Ciliarneurose  und  oft  auch 
subjective  Lichterscheinungen  ein;  das  Sehvermögen  sinkt  um  ein  Bedeutendes, 
oder  es  wird  völlig  aufgehoben ;  das  Episcleralgewebe  und  die  Conjunctiva 
zeigen  sich  dicht  injicirt,  letztere  öfters  bis  zur  förmlichen  Chemose  geschwollen; 
der  Bulbus  ist  auffallend  hart  geworden,  die  Hornhaut  rauchig,  die  Kammer 
verengt ,  der  Humor  aqueus  trüb ,  die  Iris  stark  verfärbt ,  die  Pupille 
unbeweglich,  weit  und  verzogen,  der  Glaskörper  undurchsichtig,  so  dass 
die  Untersuchung  des  Augengrundes  zur  Unmöglichkeit  wird.  Oft  genügen 
wenige  Tage,  ja  selbst  Stunden,  um  das  Bild  des  Glaucoms  in  allen  diesen 
Zügen  zu  vollenden.  Meistens  ist  es  Eine  qualvolle  Xaclit,  welche  die 
Krankheit  in  ihrer  ganzen  Grösse  zur  Entwickelung  bringt.  Man  bezeichnet 
diese  daher  unter  solchen  Verhältnissen  mit  dem  Namen  des  acuten  inflamma- 
torischen Glaucoms.  Sie  bleibt  einige  Tage  oder  Wochen  mit  mehr  weniger 
deutlichen  Remissionen  auf  dieser  Höhe,  oder  steigert  sich  wohl  auch  noch. 
Nach  Ablauf  jenes  Zeitraumes  aber  nehmen  die  entzündlichen  Erscheinungen 
für  die  Dauer  oder  blos  zeitweilig  wieder  ab ;  doch  kehrt  der  Bulbus  und 
seine  Function  nicht  mehr  zur  Norm  zurück,  vielmehr  schreitet  der  Process, 
nachdem  er  früher  oder  später  in  den  chronischen  Verlauf  eingebogen  hat, 
immer  weiter,  bis  endlich  jede  Spur  von  Lichtempfindung  geschwunden 
ist  und  in  den  einzelnen  Theilen  des  Auges  der  degenerative  Schwund 
mehr  und  mehr  zu  Tage  tritt. 

4.  Objectiv  charakterisirt  sich  dieser  Zustand ,  welchen  man  als 
abgelaufenes  Glaucom  (Gl.  absolutum,  consumatum)  bezeichnen  kann,  durch : 
Beinhärte  des  Augapfels ;  Entwickelung  eines  sehr  groben  venösen  Gefäss- 
netzes  auf  der  vorderen  Scleralhälfte ;  durch  beträchtliche  Rigidität,  stellen- 
weise Durchscheinbarkeit  und  ein  eigenthümliches  porcellanartiges  Aus- 
sehen der  atrophirenden  Lederhaut;  durch  Yerstreichung  der  zwischen  ihr 
und  dem  Cornealrande  einspringenden  Rinne ;  durch  rauchige  Trübung  der 
ganz  anästhetischen  Cornea ;   Aunulliruug  der  Kammer  ;  Retraction  der  Iris 


Glaueoma  socundarinni ;  (<l.  coiniilicatiiin ;  Uebergang  auf  das  zwoito  Auge.  oOö 

auf  eiu  schmales  Säiimchen ,  das  immer  sehr  stark  entfärbt  und  stellen- 
weise des  Pi2;raentes  völlig  beraubt  ist,  so  dass  das  bindegewebige  Stroma 
in  Gestalt  eines  bläulich  weissen  feinen  Netzwerkes  oder  dichter  sehnen- 
ähnlicher Flecke  zu  Tage  liegt;  durch  Pigmentatrophie  der  Aderhaut  und 
durch  die  Erscheinungen  einer  höchstgradig  entwickelten  giaucomatösen 
Kxcavation  mit  theilweisem  oder  gänzlichem  Untergange  der  centralen 
Gefässstücke  und  Ersatz  durch  Collateraleii,  mit  beträchtlicher  Verengerung 
der  pulsirenden  Arterien  und  mit  der  der  Atrophie  eigenen  Sehnenfarbe 
des  Excavationsbodens. 

Das  absolute  Glaucom  besteht  oft  viele  Monate  und  Jahre,  ohne  dass 
das  Krankheitsbild  eine  wesentliche  Veränderung  erlitte,  nur  wird  der 
Schwund  in  den  einzelnen  Bestandtheilen  des  Augapfels,  insbesondere  in 
der  Iris,  der  Chorioidea  und  dem  Sehnerveneintritte  immer  deutlicher  und 
früher  oder  später  kömmt  es  auch  zur  cataractösen  Trübung  der  Linse,  es 
entwickelt  sich  wegen  der  gestörten  Ernährungsverhältnisse  die  sogenannte 
Cataracta  glaucomalosa.  Häufig  indessen  wechselt  das  Krankheitsbild  inso- 
ferne,  als  sich  von  Zeit  zu  Zeit  manifeste  Entzündungen  einstellen,  welche 
gewöhnlich  unter  heftigen  Kopfschmerzen,  wüthender  Ciliarneurose  und 
subjectiven  Lichterscheinungen  verlaufen ,  oft  lange  Zeit  anhalten  und 
dann  dem  Kranken  sein  Leben  geradezu  zur  Qual  machen.  Sie  treten 
bald  spontan  auf,  bald  in  Folge  äusserer  Veranlassungen  und  zwar  genügt 
oft  die  geringste  äussere  Schädlichkeit,  ein  kleiner  Diätfehler,  um  sie  her- 
auf zu  beschwören. 

C.  Das  secundäre  oder  consecuiive  Glaucom  trägt  im  Allgemeinen  den 
Charakter  der  acuten  oder  chronischen  entzündlichen  Form,  verläuft  gleich 
dieser  und  unterscheidet  sich  von  derselben  eben  nur  durch  das  Voraus- 
und  Nebenhergehen  der  primären  Krankheitsprocesse. 

Es  darf  nicht  verwechselt  werden  mit  dem  Glaueoma  compUcatum, 
d.  i.  mit  dem  Glaucome,  welches  sich  bisweilen  neben  anderen  pathologi- 
schen Processen  im  Auge  entwickelt,  ohne  dass  ein  näherer  Causabiexus 
zwischen  beiden  Vorgängen  bestünde.  So  kömmt  es  manchmal  zum  Glaucome 
in  Augen,  deren  Linse  bereits  cataractös  geworden  ist.  Auch  complicirt 
sich  in  einzelnen  Fällen  das  Glaucom  mit  Cerebralamauro se  oder  umgekehrt. 
Die  frühzeitige  atrophische  Verfärbung  der  sich  aushöhlenden  Papille  und 
die  Einschränkung  des  Gesichtsfeldes  von  Aussen  her  geben  dann  neben  den 
Symptomen  des  Cerebralleidens  die  Mittel  an  die  Hand,  um  den  Zustand 
diagnostisch  gehörig  beurtheilen  zu  können. 

D.  Das  Glaucom  entwickelt  sich  vorerst  immer  nur  auf  Einem  Auge. 
Es  kann  darauf  zeitlebens  beschränkt  bleiben.  Dieses  ist  jedoch  wohl  nur 
äusserst  selten  und  dort  der  Fall,  wo  das  Glaucom  secundär  aus  anderen, 
auf  das  betreffende  Auge  gebannten  Krankheiten  hervorgegangen  ist.  Immer- 
hin aber  ist  auch  in  solchen  Fällen  eine  gewisse  Disposition  des  anderen 
Auges  gegeben ,  indem  sehr  oft  ein  etwas  heftigerer  Eingriff,  eine  Staar- 
operation ,  eine  zufällige  Verletzung  u.  s.  w.  den  giaucomatösen  Process 
hervorruft,  was  in  der  Praxis  sehr  wohl  zu  berücksichtigen  ist.  Das 
primäre  Glaucom  im  Gegentheile  bleibt  kaum  jemals  monoctdar.  Ist  einmal 
das  eine  Auge  ergriffen,  so  ist  auch  das  zweite  in  höchster  Gefahr.  Aller- 
dings braucht  es  manchmal  Jahre ,  ehe  der  Process  sich  in  diesem  an- 
kündigt.    Sehr    häufig  jedoch   machen  sich    daselbst    schon  sehr  frühzeitig, 

23* 


OoG  Glancom;  Ausgänge;  glancomatose  Degeneration;  Behandlung. 

wenige  Tage  oder  ^Vocheu  nach  dem  Ausbruche  des  Glaucoms  auf  dem 
anderen  Auge,  die  Vorboten  bemerklich  und  nicht  lange  währt  es,  so  ist 
das  Glaucom  ein  binoculares. 

Ausgänge.  Das  Glaucom  ist  in  seinen  ersten  Stadien  unter  Voraus- 
setzung günstiger  Verhältnisse  und  einer  geeigneten  Therapie  beschränkt 
heilbar.  Wird  es  aber  sich  selbst  überlassen  oder  unzulänglich  behandelt, 
so  verfallen  die  einzelnen  Bestandtheile  des  Augapfels  allmälig  dem  Schwunde 
und  werden  unfiihig,  ihre  Functionen  wieder  aufzunehmen.  Die  Schluss- 
scene  bilden  gewöhnlich  Anfälle  von  Iridochorioiditis  mit  mehr  minder 
massigen  Exsudationen  im  Bereiche  des  Sehloches  und  der  Strahlenfort- 
sätze ,  worauf  der  Bulbus  weicher  wird ,  sich  faltet  und  schrumpft, 
während  an  der  Innenwand  der  Aderhaut  verknöchernde  Schwarten  abge- 
lagert werden  und  die  Netzhaut  in  Folge  der  bindegewebigen  Entartung 
des  Glaskörpers  klöppeiförmig  zusammengezogen  wird   (S.   334). 

Ausnahmsweise  kommen  in  Folge  heftiger  oder  oft  wiederholter  ent- 
zündlicher Anfälle  partielle  oder  totale  Sclerochorioidalectasien  zu  Stande. 
Sie  entwickeln  sich  wegen  der  damit  verknüpften  Zerrung  der  Ciliarnerven 
oft  unter  wüthenden  Schmerzen,  besonders  wenn  die  Lederhaut  frühzeitig 
nachgibt,  bevor  die  Xerven  durch  den  glaucomatösen  Process  zu  Grunde 
gegangen  sind.  Xebenher  gehen  gewöhnlich  ausgebreitete  Gefässentartungen. 
Dieselben  verursachen  öfters  sehr  beträchtliche  Bhitergüsse  im  Lmeren  des 
Augapfels.  Mitunter  scheinen  sie  sich  bis  auf  das  Gezweige  an  der  Schädel- 
basis zu  erstrecken,  wenigstens  deuten  die  Symptome  der  Cerebralhyperämie, 
besonders  andauernde  intensive  Kopfsehmerzen  darauf  hin.  Die  Atrophie 
der  einzelnen  Theile  ist  dann  immer  sehr  ausgesprochen,  die  Iris  und  die 
Bindehaut  werden  oft  ganz  matsch,  zunderähnlich  zerreisslich.  Man  bezeichnet 
diesen  Zustand  mit  dem  Namen  „glaucomatöse  Degeneration^^. 

In  einzelnen  Fällen  ist  das  Product  der  Wucherung  Eiter.  Man  hat 
denselben  in  der  Aderhaut  (Schweigger)  gefunden.  Meistens  jedoch  beschränkt 
sich  die  Eiterung  primär  auf  die  Hornhaut  und  trägt  den  neuroparalytischen 
Charakter  fS.  10,  Graefe).  Die  solchermassen  gesetzten  Geschwüre  können 
wieder  zuheilen.  Oft  aber  brechen  sie  durch  und  enden  dann  mit  Phthisis 
bulbi.  Mitunter  werden  sie  auch  insofern  gefährlich,  als  sie  bei  eintretender 
Perforation  excessive,  ja  erschöpfende  Blutungen  aus  den  gefässhältigen 
Binnenorganen  veranlassen  (Rydl). 

Behandlung.  Die  erste  und  u-ichtigste  Aufgabe  ist,  den  Verlust,  welchen 
die  Bidbuskapsel  an  elastischer  Dehnbarkeit  erlitten  hat,  einigermassen  aus- 
zugleichen lind  damit  die  Circulationsbedingungen  im  Binnenstromgebiete  möglichst 
normal  zu  gestalten.  Das  Mittel  dazu  liegt  in  der  Einschaltung  einer 
lockeren  bindegewebigen  Narbenschichte  in  das  sclerosirte  Lederhautgefüge. 
Es  wird  dadurch  den  äusseren  Faserlagen  der  Lederhaut  nämlich  die 
Möghchkeit  geboten,  bei  eintretendem  Bedarfe  etwas  nachzugeben  und 
solchermassen  der  fehlerhafte  Kreis  gelöst,  in  welchem  sich  Venenstauuugeu 
und  Binnendrucksteigerungen  bei  rigider  Kapsel  unterhalten  und  steigern. 
Es  genügt  zu  diesem  Behufe  eine  mehrere  Linien  lange  und  möglichst 
flach  durch  die  vorderste  Scleralzone  geführte  Schnittivunde,  wie  selbe  eben 
bei  der  Iridectomie  giaucomatöser  Augen  vorgeschrieben  ist  (S.  296).  Die 
Ausschneidung  eines  Regenbogenhautsectors  ist  in  Bezug  auf  die  angestrebte 
Heilwirkung  von  ganz  untergeordneter  Bedeutung  (Wecker,    StilUng,  Hasner), 


lli'ilwirkung  der  Iridectomie.  357 

aber  insofcrne  für  alle  Fälle  dringend  zu  empfehlen,  ;ils  die  einfache  Scleral- 
paraccnto8c  sehr  häufig-  schon  im  Momente  der  Operation,  öfters  jedoch 
auch  erst  später,  zu  Vorfällen  der  Iris  Veranlassung  gibt,  welche,  da  sie 
meistens  nicht  zurückgebracht  werden  können,  zu  unliebsamen  Reizzu- 
ständen führen  können  und  überdies  eine  der  durch  Iridectomie  gesetzten 
gleicliwerthigc  Entstellung  begründen. 


ri'- 


Man  hat  fiii-  die  Wirksamkeit  der  Iridectomie  als  solchen  die  Ergebnisse 
physiologischer  Experimente  an  Thiuren  geltend  zu  machen  gesucht  (/hppelj.  Doch 
können  dieselben  hier  nicht  massgebend  sein ,  da  die  Messungen  mit  ^anz  unzu- 
verlässigen Instrumenten,  nämlich  mit  Manometern  (S.  6),  angestellt  worden  sind 
und  da  neuere  Experimente  mit  verbesserten  Instrumenten  das  Irrthüniliche  der 
auf  jene  basirten  Schlüsse  nachgewiesen  haben  (Adaniük).  Auch  steht  damit  die 
praktische  Erfahrung  im  Widerspruche.  Es  wird  nämlich  allenthalben  anerkannt, 
dass  selbst  umfangsreiclie  Irisaussclinitte  bei  ungenügend  langer  Sclei-alwunde,  oder 
wenn  sie  durch  einen  Cornealschnitt  ausgeführt  werden ,  gegen  Glaucom  nichts 
vermögen.  Man  hat  weiters  gefunden,  dass  mitunter  partielle  Dialysen  und  sogar 
gänzliche  Ausreissungen  der  Iris  einen  Heilerfolg  niclit  erzielen  (Arlt).  Ausserdem 
kömmt  in  Betracht,  dass  in  England  und  vornehmlich  in  Amerika  nicht  wenige, 
gewiss  in  hohem  Grade  urtlieilsfähige  Augenärzte  die  intraocidäre  Myotomie  noch 
dermalen  der  Iridectomie  vorziehen  oder  ihrer  Heilwirkung  nach  wenigstens  gleich- 
stellen. Man  kann  nun  aber  nicht  behaupten,  dass  bei  der  Letzteren  die  Durch- 
schneidmig  des  Cdiarmuskels  das  Wesentliche  sei,  da  der  Schnitt  gewöhnlich  sehr 
flach  durch  die  Sclerotica  gelegt  wird  und  jener  Muskel  dann  gewiss  nur  zum 
kleinen  Theile  in  die  Schnittebene  fällt.  Noch  weniger  aber  darf  man  behaupten, 
dass  bei  der  kunstgerecht  ausgeführten  Iridectomie  der  Ansatz  des  Ciliarmuskels 
irgendwie  gelockert  und  so  eine  Entspannung  der  Binnenmuskeln  bewerkstelligt 
wird,  da  die  Schnittfläche  anatomischen  Untersuchungen  zufolge  ganz  ausser  den 
Bereich  des  Aderhautspauners  zu  liegen  kömmt.  Auch  darf  nicht  vergessen  werden, 
dass  der  Einfluss  des  Ciliarmuskels  auf  deu  Binnendruck  ohne  Einfluss  ist  (S.  14). 
Es  kann  aber  auch  nicht  die  Paracentesis  als  solche,  d.  i.  die  Entleerung  eines 
Theiles  der  Biunenmedien  als  die  eigentliche  Quelle  der  Heilwirkung  betrachtet 
werden,  da  sonst  die  Eröffnung  der  Kammer  durch  einen  Cornealschnitt  dasselbe 
leisten  müsste,  wogegen  zahlreiche  Erfahrungen  mit  aller  Bestimmtheit  dargethau 
haben,  dass  selbst  öfters  iviederholte  Cornealparacenteseu  den  intraoculären  Druck 
nur  sehr  vorübergehend  annulliren  und  eine  dauernde  Heilung  des  Glaucoms  nicht 
zu  bewerkstelligen  vermögen  (Graefe,  Coccius,  Secondi,  Nagel).  Es  bleibt  nach 
allem  dem  nichts  Anderes  übrig,  als  die  Durchschneidtmg  der  vordersten  Zone  der 
äusseren  Scleralschichlen  als  dasjenige  Moment  zu  bezeichnen,  welches  bei  Bekäm- 
pfung glaucomatöser  Zustände  wirksam  ist.  Ilir  Einfluss  auf  pathologische  Druck- 
steigerungen lässt  sich  im  Einklänge  mit  der  über  die  Pathogenese  des  Glaucoms 
aufgestellten  Theorie  (S.  347)  denn  auch  wirklich  ungezwungen  auf  den  Umstand 
zurückführen,  dass  penetrirende  Scleralwimden  niemals  durch  directe  Adhäsion  ihrer 
Ränder,  sondern  stets  durch  Ztoischenlagerung  eines  bindegewebigen  N arbeng eicehes 
heilen,  welches  von  der  Bindehaut  und  der  Uvea  ausgeht  und  sämmtliclie  durch- 
schnittene Theile  durchdringt  (LidAnski).  Man  darf  übrigens  gegen  die  Heilwirkung 
der  einfachen  Scleralparacentese  nicht  einwenden,  dass  cystoide  Vernarbungen  den 
Erfolg  der  Operation  eher  gefährden  als  verbürgen  (Arlt),  denn  damit  wird  das 
Streitgebiet  völlig  verrückt.  Die  Scleralparacentese  kann  nämlich  so  wenig  wie 
die  sie  involvirende  Iridectomie  die  bereits  eingeleiteten  2^athologischen  Vorgänge  in 
directer  Weise  regressiv  machen,  sondern  durch  Wiederherstellung  eines  gewissen 
Elasticitätsgrades  nur  eine  Quelle  der  Venenstauung  stopfen  und  damit  die  Be- 
dingungen für  den  Ausgleich  günstiger  gestalten.  Dieser  Aufgabe  wird  aber  bei  der 
cystoiden  Vernarbung  im  üebermasse  entsprochen,  denn  die  damit  behafteten  Augen 
fühlen  sich  in  der  Regel  iveicher  an  als  normale.  Wenn  übrigens  nach  der  Scleral- 
paracentesis  die  Abnahme  der  pathologischen  Bulbushärte  öfters  eine  unbefriedigende 
bleibt,  so  trifft  dieser  Vorwurf  in  gleichem  Masse  auch  die  Iridectomie.  Es  muss 
eben  hier  in  Anschlag  gebracht  werden,  dass  eine  stärkere  Resistenz  des  Augapfels 
nicht  nothwendig  eine  Erhöhung  des  Binneudruckes  in  sich  schliesst  (S.  1);  weiters 
dass  verschiedene  Grade  krankhafter  Scleralrigidität  nicht  wolil  stets  durch  eine 
gleich  dosirte  Operation,  also  durch  Einschaltung  eines  gleichen  Quantums  nachgie- 


358  Glancom;  Behandlung;  Nachtheile  der  Iridectomie. 

bisen  Xarbengewebes  neutralisirt  werden  können,  und  dass  durch  kunstgerechte 
Scieralparacentesen  oder  Iridectomien  in  zicei  einander  gegenühei'  stehenden  oder 
nachharUchen  Quadranten  die  druckvermindemde  Wirkung  der  Operation  nachge- 
wiesener Massen  icesentlich  verstärkt  und  dem  entsprechend  in  nicht  wenigen  Fällen 
ein  Ausgleich  angebahnt  wird,  in  welchem  die  einfache  Paracentesis  oder  Iridectomie 
sich  bereits  als  ungenügend  erwiesen  hatte. 

Die  Paracentesis  scierae  ist  übrigens  in  Verbindung  mit  der  Entleerung  eines 
Theiles  des  Glaskörpers  schon  vor  Langem  als  Mittel  zur  Yerminderang  der  Bul- 
bushärte  empfohlen  worden  (Mackenzie).  Sie  konnte  jedoch,  da  die  Technik  der 
Operation  daueinde  Entspannungen  der  Sclerotica  herbeizuführen  ungeeignet  war, 
nur  Torübei'gehende  und  darum  unbefriedigende  Resultate  erzielen.  Ihre  Verbin- 
düng  mit  der  Iridenkleisis  iCritchett,  Coccius)  hat  theoretisch  viel  für  sich,  ist  aber 
wegen  der  Begünstigung  cystoider  Narben  und  nachträglicher  bedrohlicher  Reiz- 
zustände zu  meiden.  Der  Vorschlag,  die  Iris  bei  der  Iridectomie  stark  anzuziehen, 
um  die  Zonida  zum  Bersten  zu  bringen  und  so  eine  Verbindung  des  Glaskörper- 
raumes mit  der  Kammer  herzustellen  (Coccius),  dürfte  in  Anbetracht  der  Gefahren, 
welche  den  Vegetationsverhältnissen  der  Linse  und  selbst  des  ganzen  Bulbus  aus 
einer  theilweisen  Sprengung  des  Strahlenblättchens  erwachsen  können,  wenig 
Freunde  finden. 

Es  klebeu  der  Iridectomie  gevrisse  Nachtheile  an.  Doch  stehen  diese 
in  gar  keinem  X'erhältnisse  zu  den  segensreichen  Wirkungen,  welche  eine 
zeitlich  genug  und  mit  den  nöthigen  Vorsichten  ausgeführte  Operation 
zu  entfalten  pflegt ;  daher  sie  denn  auch  die  Indicationsgrenzen  keines- 
wegs Terrücken,  sondern  nur  in  prognostischer  Beziehung  genauer  beachtet 
werden  müssen. 

a.  So  gibt  die  plötzliche  Entspannung  des  Bulbus  und  die  damit 
gesetzte  momentane  Blutüberfüllung  seiner  Binnenorgane  beim  acuten  und 
namentlich  beim  fulrninir enden  Glaucome  in  der  Regel  zu  intraocidären 
Hämorrhagien  Veranlassung,  und  zwar  kommen  diese  um  so  leichter  zu 
Stande  und  werden  um  so  massenhafter,  je  stärker  die  Trübung  der 
Binnenmedien  und  je  grösser  die  Spannung  der  Bnlbuskapsel  war.  Es 
scheint,  dass  mit  der  Intensität  des  entzündliehen  Processes  die  Brüchig- 
keit der  Gefdsse  wachse,  indem  beim  subacuten  Glaucome  viel  seltener  und 
beim  chronischen  einfachen  Glaucome  nur  ausnahmsweise  und  zwar  Tor- 
nehmhch  bei  Leuten  mit  atheromatösen  Gefössen  {Mauthner,  Liehreich) 
solche  Blutungen  zu  Stande  kommen,  obgleich  hier  die  fühlbare  Bulbus- 
härte  gar  oft  eine  excessive  ist.  In  der  Regel  werden  derlei  Extravasate 
rasch  aufgesaugt,  besonders  in  der  Xetzhaut,  und  hinterlassen  auch 
meistens  keine  functioneHen  Störungen.  Bisweilen,  vornehmlich  wenn  die 
Blutung  etwas  reichlicher  war,  geschieht  dieses  indessen  doch  und  das 
Resultat  sind  dann   theilweise   Verdunkehingen  des  Gesichtsfeldes. 

b.  Wird  die  Iridectomie  beim  acuten  entzündlichen  Glaucome  in  den 
früheren  Perioden,  während  oder  nach  einem  der  ersten  manifesten  Ent- 
zündungsanfälle ausgeführt :  so  beschleunigt  sie  in  einem  grossen  Procent 
der  Fälle  den  Ausbruch  des  Leidens  auf  dem  anderen  Auge,  vornehmlich 
wenn  dieses  schon  Prodromalzeichen  nachweisen  lässt,  öfters  aber  auch  in 
dem  Falle,  als  dieses  Auge  noch  ganz  gesund  ist.  Während  sonsten  beim 
acuten  entzündlichen  Glaucome  die  ersten  manifesten  Entzündungsanfälle 
an  dem  einen  und  dem  anderen  Auge  durch  Intervalle  von  einigen 
Monaten  und  selbst  Jahren  getrennt  zu  sein  pflegen,  zeigen  sich  nach 
der  Ii'idectomie  häufig  schon  binnen  weniger  Tage  die  Prodromen  am 
zweiten  Auge,  oder  es  bricht  daselbst  das  Glaucom  selbst  in  voller  Ent- 
wicklung aus.   Xeueren  Erfahrungen  zufolge  scheint  am  zweiten  bis  vierten 


Staarbildnng ;  Cystoide  Vernarbung.  359 

Tage  nach  tlor  Operation  die  Neigung  zuv  Erkrankung  des  zweiten  Auges 
am  stärksten  zu  sein  (Graefe)  und  aus  der  Reizung  erklärt  werden  zu 
müssen,  welche  die,  von  Seite  des  entzündlichen  Processes  ohnehin  schon 
erregten  Ciliarnerven  durch  den  operativen  Eingriff  erfahren,  und  bei  der 
völligen  Entspannung  der  Bulbuskapsel  leicht  auf  das  andere  Auge  über- 
tragen können  (Graefe,  Mooren).  Einzelne  Autoren  bezweifeln  die  Itichtig- 
keit  der  fraglichen  Beobachtungen  (Arlt,  LaqueurJ,  doch  mit  Unrecht. 
Nur  beim  chronischen  einfachen  Glaucome,  wo  die  Entzündungserscheinun- 
gen fast  gänzlich  zurücktreten,  ist  eine  solche  Succession  des  Processes 
am  zweiten  Auge  nicht  zu  fürchten.  Der  Nachtheil,  welcher  bei  acuten 
Processen  daraus  erwächst,  wird  übrigens  reichlich  aufgewogen  durch  den 
Umstand,  dass  die  Iridectomie  gerade  während  den  ersten  Perioden  des 
acuten  Glaucoms  die  besten  Erfola;e  erzielt  und  diese  sowohl  bei  dem  erst- 
ergriffenen  als  bei  dem  anderen  Auge  ausgenützt  werden  können ;  während 
jede  Versäumniss,  jeder  Aufschub  der  Operation  unter  solchen  Verhält- 
nissen sich  bitter  straft.  Selbstverständlich  darf  jedoch  der  behandelnde 
Arzt  es  nicht  unterlassen,  den  Kranken  vor  der  Operation  auf  die  Mög- 
lichkeit aufmerksam  zu  machen,  dass  das  zweite  Auge  binnen  kurzem  er- 
griffen werden  und  seinerseits  die   Operation  erfordern  könne. 

c.  Manche  glauben,  dass  die  Iridectomie  öfters  Veranlassung  zur  rasclien 
Aushikhmg  der  Cataracta  an  dem  operirten  Auge  gebe.  Es  ist  jedoch  gar  kein 
Zweifel,  dass  in  der  allergrössten  Mehrzahl  solcher  Fälle  eine  Verletzung  der  Kapsel 
die  nächste  Ursache  der  Staarbildung  geliefert  habe.  In  einzelnen  seltenen  Fällen 
konnte  indessen  der  rasclie  Ahfluss  des  Kammerwassers  eine  Berstung  der  Kajjsel 
oder  der  Zonula  bedingt  (Coccius)  und  damit  den  Grund  des  Staares  gelegt  haben 
(Graefe). 

d.  Die  j^cystoide  Vemarbuny'-^  wird  vornehmlich  in  jenen  Fällen  be- 
obachtet, in  welchen  die  Zeichen  der  intraocularen  Drucksteigerung  schon 
vor  der  Operation  stark  ausgeprägt  waren.  Es  bleiben  in  solchen  Fällen 
die  beiden  Wundtiächen  des  linearen  Einstichskanales  öfters  nicht  in  un- 
mittelbarer Berührung ,  vielmehr  baucht  sich  das  verbindende  neoplastische 
Gefüge  in  Gestalt  eines  zarten  Wülstchens  heraus,  welches  aus  stärkeren 
sehnigen  Fäden  und  zwischeugelagerten,  sehr  dünnhäutigen,  mehr  pro- 
minenten blasenartigen  Buckeln  besteht.  Gewöhnlich  wird  diese  ectatische 
Zwischensubstanz  von  Zeit  zu  Zeit  durchbrochen  und  das  Kammerwasser 
tritt  unter  die  Bindehaut,  dieselbe  nach  vorne  hervortreibend.  Es  wieder- 
holt sich  dieser  Zufall  oftmals  noch  viele  Monate  nach  der  Operation,  ja 
es  sind  Fälle  beobachtet  worden,  wo  nach  zwei  und  mehr  Jahren  noch  derlei 
Durchbrüche  statt  fanden.  Gemeiniglich  bleibt  unter  solchen  Umständen 
der  Bulbus  normwidrig  weich,  doch  hat  die  Kammer  ihre  normale  Weite. 
Bei  geringeren  Graden  der  cystoiden  Vernarbung  wird  in  der  Regel  etliche 
Monate  nach  der  Operation  das  Gewebe  zwischen  den  Narbensträngen 
dichter,  die  Ergüsse  von  Hxrmor  aqueus  hören  allmälig  auf  und  es  kömmt 
endlich  zu  einem  ziemlich  normalen  Abschlüsse  der  Wunde.  Bei  höheren 
Graden  jedoch  braucht  die  Verdichtung  und  Verilachung  des  blasigen 
Wulstes  immer  eine  viel  längere  Zeit.  Oefters  besteht  während  der  ganzen 
Periode  eine  starke  Conjunctivalivjection  und  eine  sehr  beträchtliche  Reiz- 
barkeit gegenüber  äusseren  Schädlichkeiten.  Mitunter  kömmt  es  dann 
wohl  auch  zu  fatalen  Entzündungen,  die  sich  bis  zur  Eiterbildung  steigern 
und  den  Bulbus  zu   Grunde  richten  können  (Graefe). 


360  Glancom;  Behandlung:  Torbamingscnr. 

Um  solchen  üblen  Ereignissen  vorzubeugen,  ist  es  nothwendig,  in 
Fällen,  in  welchen  während  den  ersten  Wochen  nach  der  Operation  sich 
eine  Tendenz  zu  cystoider  Yemarbung  zeigt,  ein  besonders  strenges 
diätetisches  Verhalten  anzuordnen,  um  äussere  Schädlichkeiten  thunlichst 
zu  beseitigen,  ausserdem  aber  den  Bulbus  periodisch  mittelst  eines  leichten 
Druckverbandes  zu  comprimiren.  Bei  liöhergradiger  Ectasie  des  Zwisehen- 
gewebes,  wenn  gleichzeitig  ein  starker  Conjunctivalreiz  besteht,  ist  es 
räthlich.  die  normale  Wundheilung  dadurch  anzubahnen,  dass  man  bei 
gut  fixirtem  Bulbus  den  Wulst  mittelst  eines  Staarmessers  an  dem  einen 
Eande  spaltet,  sodann  die  Blasenwand  mit  der  Schere  abträgt  und  nun 
nach  Anlegung  eines  leichten  Druckverbandes  durch  mehrere  Tage 
strengste  Kühe  bei  Bettlage  einhalten  lässt,  überhaupt  wie  nach  schwereren 
Augenoperationen  vorgeht.  Für  die  Behandlung  heftiger  Entzündungen 
gelten    die    allgemeinen  Eeseln  CGraefe.) 

Im  Allgemeinen  kann  man  sagen,  die  Iridectomie  leiste  beim  Glaucom 
um  so  mehr,  je  früher  sie  ausgeführt  vrird  und  je  weniger  die  Binnenorgane 
des  Bulbus  materielle  Veränderungen  erlitten  haben.  Ihr  Haupteffect  besteht 
eben  blos  in  der  Herbeiführung  günstigerer  Circulations-  und  Xutritions- 
verhältnisse.  Sie  erleichtert  nur  den  Ausgleich  der  vorhandenen  Ernährungs- 
störung; sollen  die  Elemente  vdeder  functionstüchtig  werden,  so  müssen  sie 
als  solche  noch  bestehen.  Es  ergibt  sich  daraus  als  eine  allgemeine  Begel, 
dass  die    Operation   möglichst  zeitig  ausgeführt  icerden  müsse. 

1.  In  den  ersten  Zeiten  des  Prodromalstadiums,  bei  geringer  Ent- 
wickelung  der  \'orboten  und  langsamer  Steigerung  derselben,  wird  man 
allerdings  keine  grosse  Gefahr  laufen,  wenn  man  das  therapeutische  ^'er- 
fahren  vorderhand  auf  Femhaltung  aller  Schädlichkeiten,  welche  zur 
Gelegenheitsursache  des  glaucomatosen  Processes  werden  könnten,  so  wie 
auf  Verminderung  und  Beseitigung  der  Circulationsstörungen  oder  eines 
bereits  vorhandenen  Beizzustandes  richtet. 

In  ersterer  Beziehung  kann  nicht  genug  strenge  das  alUogleiche  Aufgehen 
jeder  das  Auge  nur  eimgermassen  anstrengenden  Beschäfligung,  z.  B.  des  Lesens, 
Schreibens,  Nähens  n.  s.  w.  gefordert  werden.  Gleichzeitig  muss  der  Kranke  thun- 
lichst vor  der  Einwirkung  intensiver  Lichtgrade,  directen  Sonnenlichtes,  greller  ße- 
flexe,  sowie  starker  Lichtcontraste ,  vn.G  sie  beispielweise  künstliche  Erleuchtungen 
bedingen,  verwahrt  werden,  sei  es  durch  Vermeidung  der  Gelegenheiten  zu  der- 
artigen Einwirkungen,  sei  es  im  Falle  der  Noth  durch  Abschwächung  dieser 
Schädlichkeiten  mittelst  zweckmässiger  Anwendung  schützender  Apparate.  Aber 
auch  Wind,  Hauch,  Stauh,  scharfe  Dämpfe,  starker  Temperaturwechsel  u.  dgl.  können 
erfahrungsgemäss  zur  Gelegenheitsursache  der  ohnehin  schon  vorbereiteten  Ent- 
zündung werden,  oder  wenigstens  die  vorhandene  H^-perämie  und  Reizung  der 
Theile,  somit  auch  die  Disposition  zum  Glaucome  steigern.  Sie  müssen  demnach 
bei  der  Vorschreibung  des  einzuhaltenden  Regimens  wohl  berücksichtigt  werden. 
Empfehlenswerth  ist  insofeme  für  die  bessere  Jahreszeit  der  Aufenthalt  auf  dem 
Lande,  in  einem  nicht  zu  warmen  Klima,  massige  Bewegung  im  Freien,  an  wind- 
und  staubfreien  schattigen  Orten  und  während  der  kühleren  Tageszeit.  Mit  Rück- 
sicht auf  die  gegebene  locale  Hyperämie  sind  körperliche  und  geistige  Aufregungen 
thunlichst  zu  meiden.  Auch  die  Kost  ist  von  hohem  Belange.  Der  Genuss  unge- 
wässerten Weines,  des  Bieres,  starken  schwarzen  Kaffee's,  starken  Thee's,  des 
Branntweines  ist  ganz  zu  untersagen.  Kleine  Dosen  eines  leichten  gewässerten 
Weines,  des  3Iilchkaffee's,  schwachen  Thee's  dürften  jedoch  kaum  eine  Gefahr  mit 
sich  bringen.  Die  Malzeiten  sollen  ans  leicht  verdaulichen,  leicht  kaubaren,  nicht 
stark  gewürzten,  nicht  blähenden,  vornehmlich  pflanzlichen  Speisen  zusammen- 
gesetzt werden.  L'eberfüllung  des  Magens  ist  streng  zu  meiden;  dafür  können  sich 
die  Malzeiten  öfter  im  Tage  wiederholen.  Des  Abends  bleibt  der  Kranke  am  besten 


Iridectoinio  im  Prodromalstadium  und  beim  Ausbrucho  des  Glaucoms.  361 

diät.  Auch  ist  es  von  Wichti<2;kcit,  class  derselbe  niclit  nach  di'm  Rlittagsmale  schlafe. 
Bei  der  nächtlichen  Rahe  ist  erhöhte  La<je  des  Kopfes  und  Vermeidung  der  Rücken- 
lage zu  empfehlen.  Die  Gründe  dafür  liegen  auf  der  Hand.  Es  sind  dieselben, 
welche  eine  leichte  hequeme  Kleidunr/  nothwendig  machen  und  beengende,  nament- 
lich den  Hals  einschnürende  und  zu  warme  Kleidung  in  hohem  Grade  gefährlich 
machen. 

Unter  den  directen  Mitteln  ist  die  zeitweilige  Application  Jcühler  Uehei-schläge 
auf  die  Augen  und  den  Vorderkopf  hervorzuheben.  Es  ist  die  locale  Wärmeeut- 
ziehung  jedoch  nur  am  Platze,  wenn  die  Erscheinungen  der  Hyperämie,  namentlich 
örtlicher  Blutivallmtgen,  im  Auge  und  Gehirne  deutlicher  hervortreten  >ind  mit 
erhöliter  Temperatur  vergesellschaftet  sind.  Das  Vorhandensein  von  Gicld  contra- 
indicirt  dann  die  kühlen  Ueberschläge  durchaus  nicht.  Immerhin  jedoch  fordert 
deren  Anwendung  Vorsicht  und  stete  Rücksichtnahme  auf  die  örtliche  Temperatur. 
Douchen  sind  ihrer  reizenden  Wirkung  halber  zu  meiden.  Audi,  kalte  Bäder  l)e- 
dingen  nicht  selten  temporäre  Blutwallungen  und  werden  in  solchem  Falle  am 
besten  unterlassen.  Sind  heftige  Schiuerzen  zu  bekämpfen,  so  können  hijpoderviatische 
Einspritzungen  von  Morj^hiumlösungen  verwendet  werden.  Mydriatica  sind  zu  ver- 
meiden (S.  38). 

Ueberdies  verlangt  das  die  örtlichen  Hyperämien  bedingende  Grundleiden 
häufig  eine  eingehendere  Behandlung.  So  wird  z.  B.  bei  Unterleibsleiden  oft  die 
systematische  Anwendung  leicht  lösender  Mittel,  namentlich  gewisser  Mineralwässer, 
bei  Herzleiden  die  Application  der  Digitalis  u,  s.  w.  erforderlich.  Die  Indicationen 
dafür  zu  stellen,  ist  Sache  der  spociellen  Therapie.  Doch  muss  hier  erwähnt  wer- 
den, dass  der  Gebrauch  ivarvier  Bade-  und  Trinkquelleu  eine  üljeraus  grosse  Ge- 
fahr in  sich  scliliesst;  dass  diese  daher  in  Fällen,  in  welchen  das  Grundleiden  auf 
ihren  Gebrauch  hinweist,  stets  durch  kühlere  und  möglichst  wenig  aufregende  Quellen 
zu  ersetzen  sind. 

llücken  einmal  die  Auflillc  von  Verdunkelung  des  Gesichtsfeldes  näher 
an  einander,  so  ist  es  klug,  die  Operation  nicht  länger  mehr  zu  verschieben, 
denn  der  Ausbruch  des  Glaucoms  ist  bald  zu  erwarten  und  es  steht  dahin, 
in  welcher  Form  derselbe  erfolgt  und  ob  er  nicht  vielleicht  rasch  Ver- 
änderungen setzt,  gegen  welche  die  Iridectomie  nur  wenig  mehr  vermag. 
Nach  der  Operation  bleiben  die  Anfälle  in  der  Hegel  aus  und  die  Func- 
tionstüchtigkeit  der  Netzhaut  wird  meistens  auf  den  früheren  Grad  der 
Vollliommenheit  gehoben,  so  dass  die  Kranken  wieder  ihren  gewohnten 
Beschäftigungen  nachzugehen  vermögen.  Nur  ausnahmsweise  geschieht  es, 
dass  trotz  dauernder  Verminderung  der  ßulbushärte  doch  ein  glauco- 
matöses  Sehnervenleiden  und  allmälig  Atrophie  der  Papille  mit  mehr 
minder  bedeutenden  Sehstörungen  zur  Entwickelung  kömmt,  oder  dass 
neue  Nachschübe  mit  Druckvermehrung  die  Wiederholung  der  Operation 
verlangen. 

2.  Ist  der  glaucomatöse  Process  in  aciäer  Form  zum  Ausbruch  gekommen, 
so  ist  das  Kuriren  mit  Antiphlogisticis,  Narcoticis,  Mydriaticis  etc.  meistens 
Zeitverlust ;  die  Verzögerung  der  Operation  verlängert  das  intensive 
Leiden  des  Kranken  und  vermindert  die  Möglichkeit  einer  Wiederher- 
stellung, da  sie  den  degenerativen  ^''erändorungen  Zeit  zur  Entwickelung 
gönnt.  Namentlich  beim  fulminirenden  Glaucom  ist  ein  allsogleiches  opera- 
tives Einschreiten  dringendes  Gebot,  da  hier  oft  schon  wenige  Tage  hin- 
reichen, um  unheilbare  Schäden  zu  setzen.  Beim  gewöhnlichen  acuten  Glaucom 
kann  man  eher  noch  einige  Tage  zuwarten,  um  den  ärgsten  Sturm  in  den 
localen  Gefass-  und  Nervenbahnen  vorüber  gehen  zu  lassen ;  ja  in  vielen 
Fällen  hat  sich  sogar  die  vorläufige  Beschwichtig itng  der  heftigen  Entzündung 
und  der  wüthenden  Ciliarneurose  dem  EndefFecte  günstig  erwiesen.  Doch 
ist    erfahrungsmässig    ein    solches   Zögern    nur    dann    gestattet,     wenn  der 


362  Glaucom;  Behandlung;  Iridectomie  im  Ausbrnclisstadium  der  acuten  Form. 

entzündliche  Anfall  keine  allzugi'osse  Abnahme  des  Sehvermögens  mit  sich 
gebracht  hat.  Wo  dieses  im  raschen  Laufe  bis  auf  quantitative  Licht- 
empfindung gesunken  ist,  oder  sich  Einschränkungen  des  Gesichtsfeldes 
geltend  machen,  wäre  es  gefährlich,  die  Operation  aufzuschieben,  um  mitt- 
lerweile die  Intensität  der  Entzündung  und  Ciliarneurose  durch  Anti- 
phlogistica  und  Narcotica  zu  bekämpfen.  Zudem  hat  sich  die  Operation 
selbst  als  das  sicherste  -owdi  kräftigste  antiphlogistische  und  schmerzstillende 
Mittel  ei-wiesen. 

In  der  That  hören  die  bis  dahin  oft  unerträglichen  Schmerzen  gewöhnlich 
unmittelbar  nach  der  Operation  fast  g-änzlich  auf.  Höchstens  bleiben  1 — 2  Tage 
leichte  Stirnschmerzen  oder  Empfindungen  zurück,  wie  selbe  nach  jeder  Operation 
vorkommen.  Aiich  die  Entzündungsersclieinungen  gehen  meistens  in  der  kürzesten 
Zeit  zurück,  oder  werden  in  sehr  erfreulicher  Weise  vermindert.  Eben  so  nimmt 
auch  das  Sehvermögen  unmittelbar  nach  der  Operation  zu,  soweit  nämlich  die  Stö- 
rung desselben  von  der  Trübung  des  nunmehr  abgeflossenen  Kammerwassers  und 
von  der  Steigerung  des  intraocularen  Druckes  abhängig  gewesen  war.  Das  Zurück- 
gehen der  entzündlichen  Alterationen  und  der  in  solchen  Fällen  sich  fast  immer 
einstellenden  Netzhautecchymosen  bedingt  dann  iceiters  eine  albn'dlige  Zunahme, 
welche  sich  besonders  innerhalb  der  ersten  14  Tage  deutlich  nachweisen  lässt, 
aber  auch  nach  dieser  Zeit  noch  fortzuschreiten  pflegt,  so  dass  in  den  meisten 
Fällen  erst  nach  6  —  8   Wochen  der  Höhenpimkt  erreicht  wird. 

Ist  zeitlich  genug  opcrirt  tvorden,  sü  gelingt  es  beim  acuten  Glaucome 
häufig,  dem  hchtempfindenden  Apparate  nahezu  seine  frühere  Functions- 
tüchtigkeit  zurück  zu  geben  und  dieselbe  auch  dauernd  zu  erhalten. 
Erfahruugsmässig  kann  man  beim  gewöhnlichen  acutentzündlichen  Glaucome 
auf  ein  so  glänzendes  Eesultat  mit  Wahrscheinlichkeit  rechnen,  wenn  die 
Iridectomie  in  den  ersten  14  Tagen  nach  dem  ersten  Anfalle  zur  Aus- 
führung kömmt,  und  zwar  ist  die  Hofinung  eine  um  so  mehr  gerecht- 
fertigte, je  früher  innerhalb  dieses  Zeitraumes  der  Eingrifi"  geschieht,  immer 
vorausgesetzt,  dass  es  sich  um  ein  Auge  handelt,  welches  vor  dem  Aufalle, 
in  den  Intervallen  der  prodromalen  Insulte,  normal  functionirte,  dass  der- 
malen das  Gesichtsfeld  nicht  bereits  eine  merkliche  Einschränkung  erhtteu 
hat  und  dass  die  Lichtempfindung  noch  eine  sehr  prompte  ist.  In  minder 
frischen  Fällen  und  überhaupt,  wo  sich  bereits  eine  Einschränkung  des 
Gesichtsfeldes  nachweisen  lässt,  allenfalls  auch  die  Fähigkeit,  qualitative 
Lichtunterschiede  wahrzunehmen,  verloren  gegangen  ist,  wird  ein  so  aus- 
gezeichneter Erfolg  nur  ausnahmsweise  erzielt,  erwarten  darf  mau  ihn  nie; 
in  der  Kegel  bleibt  die  Sehschärfe  ansehnlich  vermindert,  das  Gesichtsfeld 
erhält  auch  nicht  mehr  seine  frühere  Ausdehnung.  Es  sind  unter  solchen 
Umständen  eben  fast  immer  schon  degenerative  "S^eränderungen  des  licht- 
empfindenden Apparates  im  Spiele  und  diese  werden  durch  die  Iridectomie 
wenig  berührt. 

Diese  Ohnmacht  der  Iindectomie  gegenüber  degenerativen  Alterationen  zeigt 
sich  übrigens  auch  sehr  auflfällig  an  den  mehr  oberflächlich  gelegenen  Organen.  Selbst 
in  verhältiiissmässig  frischen  Fällen  stellt  sich  öfters  die  normale  Empfindlichkeit 
der  Cornea  nicht  mehr  her,  die  Kammer  bleibt  sehr  oft  etwas  verengt,  die  7m 
erscheint  constant  nach  wie  vor  der  Operation  etwas  verfärbt ,  die  Pupille  etwas 
erweitert  und  träge  beweglich  oder  ganz  staar  und  die  Functionsbeschränkung  des 
Accomviodationsmuskels  äussert  sich  durch  sehr  auffälliges  Fernstehen  des  Nahe- 
punktes. 

Uebrigens  darf  nicht  verschwiegen  werden,  dass  die  Operation,  trotz- 
dem sie  zeitlich  genug:,  nüt  den  crehörisen  Vorsichten  und  unter  scheinbar 
günstigen   Auspicien    vorgenommen    wurde,    auch  versagen  könne.  Abgesehen 


Iridectoinio  in  den  späteren  Stadion  der  aeutou  iMuin.  o6t3 

Ton  dorn  apophctischen  Glaricomc,  bei  welchem  dio  Operation  überhaupt 
von  sehr  zweifelhaftem  Erfolge  ist  und  dinn  Auge  bisweilen  geradezu 
verderblich  wird  (S.  351),  kommen  Fälle  voi-,  in  welchen  nach  der  Ope- 
ration sich  neue  acute  Entzündungsanfälle  mit  mehr  minder  starker  Ciliar- 
neurose  einstellen  und  dann  nicht  immer  durch  eine  loicderholte  Irldectomie. 
beschwieliligt  werden  können,  sondern  dauernde  Schäden  setzen.  Auch 
werden  Fälle  beobachtet,  und  diese  sind  nicht  einmal  gar  so  selten,  in 
welchen  nach  der  Iridectomie  das  Glaucom  sich  in  der  chronisch  inflamma- 
torischen oder  einfachen  nicht  entzündlichen  Form  mehr  und  mehr  ausbildet. 
Es  ist  dann  dringend  nothwendig,  die  Operation  baldmöglichst  an  dem 
nachbarlichen  oder  entgegengesetzten  Quadranten  zu  wiederholen  und  solcher- 
massen  die  Nachgiebigkeit  der  Bulbuskapsel  zu  vergrössern. 

3.  In  den  späteren  Perioden  des  acuten  Glaucoms  ist  die  Aussicht 
auf  eine  Herstellung  der  vollen  Functionstüchtigkeit  des  lichtempfindenden 
Apparates  und  auf  deren  dauernde  Erhaltung  schon  sehr  gesunken.  Aller- 
dings führt  der  glaucomatöse  Process  nicht  immer  gleich  rasch  zu  dege- 
nerativen Vei'änderungen  im  lichtempfindenden  Apparate ;  vielmehr  kommen 
bisweilen  Fälle  vor,  wo  nach  wiederholten  acuten  Anfällen  das  Sehvermögen 
auf  einige  Zeit  wieder  spontan  einen  höheren  Grad  erreicht  und  auch  eine 
Excavation  nicht  nachgewiesen  werdeii  kann.  Unter  solchen  Verhältnissen 
vermag  dann  auch  die  Iridectomie  sehr  viel  zu  leisten,  das  Auge  selbst 
vollständig  zu  rehabilitiren.  Dieses  sind  jedoch  «eitoie  Ausnahmen ;  in  der 
Kegel  findet  man  in  den  späteren  Perioden  des  acuten  Glaucoms  schon 
das  Gesichtsfeld  eingeengt  und  die  Papille  auffällig  ausgehöhlt.  Eine  Zurilck- 
führung  zur  Norm  liegt  dann  bereits  ausser  den  Grenzen  der  Möglichkeit. 
Doch  gelingt  es  noch  bisweilen,  wenn  die  Excavation  wenig  entwickelt  und 
die  Einengung  des  Gesichtsfeldes  eine  geringe,  namentlich  concentrische  ist, 
die  centrale  Sehschärfe  dauernd  um  einiges  zu  erhöhen  und  auch  wohl  das 
Gesichtsfeld  etwas  zu  erweitern.  Man  darf  sich  um  so  mehr  dieser  Hoff- 
nung hingeben,  je  grösseren  Antheil  an  der  Sehstörung  die  Trübung  der 
dioptrischen  Medien  und  die  Steigerung  des  intraocularen  Druckes  zu  haben 
scheint.  Wo  das  Gesichtsfeld  jedoch  beträchtlich,  besonders  von  der  einen 
Seite  her,  eingeengt  oder  wohl  gar  excentrisch  geworden  ist,  oder  wo  die 
Lichtempfinduug  schon  sehr  undeutlich  zu  werden  beginnt,  so  wie  dort, 
wo  die  Excavation  schon  weit  in  ihrer  Entwickelung  gediehen  ist;  muss 
mau  sich  in  der  Regel  damit  begnügen,  den  Frocess  zum  Stillstande  zu  bringen. 

Uebrigens  sind  die  mit  der  Iridectomie  unter  so  bewandten  Umständen 
erzielten  günstigen  ßcsultate  nicht  immer  von  langem  Bestände.  In  vielen 
Fällen  beschränkt  sich  das  Gesichtsfeld  über  kurz  oder  lang  unter  Abnahme 
der  centralen  Sehschärfe  wieder  auffällig,  reducirt  sich  wohl  auch  auf  einen 
kleinen  excentrischen  Theil  und  am  Ende  schwindet  nicht  selten  jede 
Spur  von  Lichtempfindung.  Die  dem  freien  Auge  zugänglichen  Symptome 
des  Glaucoms  können  sich  dabei  allmälig  weiter  und  weiter  ausbilden,  so 
dass  die  Krankheit  später  unter  der  Form  des  einfachen  nicht  entzündlichen 
oder  chronisch  inflammatorischen  Glaucoms  in  die  Erscheinung  tritt.  In  anderen 
Fällen  verwischen  sich  die  charakteristischen  Merkmale  mehr  und  mehr  ; 
auch  verflacht  sich  die  gegebene  Excavation,  wenn  sie  fi'isch  ist,  nicht  selten 
in  sehr  auffälligem  Grade,  sie  wird  muldenförmig;  der  degenerativen 
Atrophie  der  Elemente  jedoch  vermag  die  Operation  nicht  zu  steuern,   ein- 


364  Glaucom;  Behandlung;  Iridectomie  beim  chronisehen  Glaucom. 

mal  bis  zu  einem  gewissen  Grade  vorgerückt,  geht  dieselbe  in  der  Regel 
weiter  und  früher  oder  später  verräth  der  Sehnerveneintritt  durch  seine 
selinigweisse  Farbe  und  den  leichten  seidenähnlichen  Glanz  die  binde- 
gewebige Entartung  der  Papille. 

Es  ist  hierbei  wichtig  zu  bemerken,  dass  derlei  sehnige  Verfärhungen 
der  Papille  nach  der  Iridectomie  bei  Glaucom  fast  regelmässig  (Liehreich) 
vorkommen,  ohne  dass  damit  nothwendig  eine  Gefahr  für  das  Sehvermögen 
ei'wüchsc.  Bedenklich  tind  wirklich  auf  progressiven  Schwund  zu  beziehen 
sind  sie  nur,  wenn  damit  eine  Abnahme  der  Sehschärfe  gleichen  Schritt 
hält.  Manchmal  jedoch  erfolgt  der  Verfall  des  Sehvermögens  nach  der 
Iridectomie  überaus  rapid  und  führt  in  der  kürzesten  Zeit  zu  völliger 
Erblindung  des  Auges  (Berlin,   Mauthner). 

4.  Bei  dem  chronisch  inflammatorischen  und  hei  dem  einfachen  nicht 
entzündlichen  Glaucome  ist  der  Umstand  sehr  misslich,  dass  die  Kranken 
meistens  erst  spät  die  ärztliche  Hilfe  ansuchen,  zu  einer  Zeit,  wo  die 
materiellen  ^Veränderungen  der  Binnenorgane  des  Auges  schon  weit  vor- 
geschritten sind.  Immerhin  gelingt  es  auch  liier  nicht  selten,  seit  kurzem 
bestehende  centrale  Sehschwächen  und  selbst  seitliche  Einschränkungen  aufzu- 
hellen oder  doch  um  ein  Bedeutendes  zu  vermindern;  wenigstens  kann  man 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  auf  einen  Stillstand  des  Processes,  auf  eine 
dauernde  Erhaltung  des  noch  bestehenden  Grades  des  Sehvermögens  und 
der  materiellen  Zustände  der  Binnenorgane  hoffen.  Im  Ganzen  hat  man 
um  so  mehr  Grund  zu  einer  günstigen  Vorhersage,  je  früher  die  Operation 
ausgeführt  wird,  je  grösser  die  daraus  rcsultirende  Entspannung  ist  und  je 
rascher  sich  nach  der  Operation  die    Vorderkammer  vneder  füllt. 

Wo  der  Entspannung  nach  Ablauf  des  Kammerwassers  eine  unvollständige 
bleibt,  da  ist  die  Aussicht  auf  einen  nur  einigermassen  günstigen  Erfolg  auf  das 
Tiefste  herabzustimmen;  meistens  stellt  sich  die  Kammer  gar  nicht  mehr  her  und 
die  Biilbnsorgane  verlieren  unter  den  fortdauernden  misslichen  Verhältnissen  als- 
bald ihre  Functionstüchtigkeit  gänzlich  (Oraefe,  Mooren,  Ed.  Meyer).  Es  scheint, 
dass  unter  solchen  Umständen  die  Lederhantsclerose  schon  sehr  weit  vorgeschritten 
sei  und  die  einfache  Iridectomie  nicht  mehr  ausreiche,  um  der  Bulbuskapsel  einen 
genügenden  Grad  von  Elasticität  wiederzugeben.  In  einzelnen  Fällen  mag  dann 
vielleicht  die  wiederholte  Iridectomie  am  nachharlichen  oder  entgegengesetzten  Quadran- 
ten das  Fehlende  nachholen.  In  der  Eegel  jedoch  genügt  diese  Operation  nicht, 
um  die  Degeneration  aufzuhalten.  Eine  wichtige  praktische  Regel  ist  es,  in  diesen 
Fällen  unmittelbar  nach  der  Operation  den  Druckverhand  zu  meiden ,  indem  er 
geeignet  ist,  den  im  Inneren  des  Bulbus  herrschenden  Druck  missliebig  zu  steigern. 
Auch  wird  in  derlei  Fällen  dem  künstlichen  Blutegel  Günstiges  nachgerühmt 
(Graefe). 

Ausnahmsweise  geschieht  es  auch  wohl,  dass  tmmitfelhar  nach  der  Iridectomie 
die  Resistenz  des  Bulbus  bedeutend  zunimmt,  ja  der  Bulbus  steinhart  wird.  Es  ver- 
laufen solche  Fälle  nach  den  bisherigen  Erfahrungen  überaus  ungünstig  (Liebreich). 
Nach  einigen  Beobachtungen  zu  urtheilen  scheint  die  Resistenzzunahme  auf 
massigen  Blutaustretungen  in  den  Glaskörper  zu  beruhen  (Nagel). 

Nicht  selten  stellt  sich  nach  der  Iridectomie  die  vordere  Kammer  nur  lang- 
sam und  unvollständig  oder  gar  nicht  her,  oder  es  verschwindet  der  mittlerweile 
angesammelte  Humor  aqueus  nach  Ablauf  von  Wochen  und  Tagen  wieder  und 
die  Kammer  hleiht  entleert.  Es  sind  solche  Fälle  von  übler  Bedeutung,  da  der 
Defect  des  Kammerwassers  auf  tief  greifende  Störungen  in  den  osmotischen  Ver- 
hältnissen der  gefässreichen  Binnenorgane  und  mittelbar  auf  weiter  gediehene 
materielle  Veränderung-en  derselben  hindeutet.  In  der  Tliat  gelangen  derlei  Augen 
nur  selten  zu  einem  befriedigenden  Sehvermögen,  obgleich  diese  HofFnunc;  nicht 
gänzlich  ausgeschlossen  ist  (Maicthner), 


Iridectomio  licini  sooniulüvoii,  absoluten  lilancoiii,  Ihm  glaucoinatOscr  Degeneration.  3Gi) 

Im  Allg'omoincn  treten  beim  chronisclicn  einfaelien  Glaueome  die 
günstigen  Wirkungen  der  Irideciomie  iveniger  rasch  hervor,  als  bei  der 
acuten  Form,  wo  die  Trübung  der  Medien,  die  zeitweiligen  beträchtlichen 
Circulationsstörungen  etc.  bei  der  Sehstörung  concurriren  und  in  der  Iridec- 
tomie  ein  rasch  icirJcendes  Gegenmittel  finden.  Es  braucht  oft  Monate 
und  selbst  länger,  ehe  die  Besserung  des  Sehvermögens  oder  auch  nur 
der  Stillstand  des  früher  stetig  fortschreitenden  üebels  mit  Gewissheit  nacli- 
gewiesen  werden  kann.  Es  ist  nothwendig,  auf  diesen  Umstand  den 
Kranken  aufmerksam  zu  machen,  damit  er  von  der  Operation  nicht  zu 
viel  erwarte. 

5.  Für  das  secundäre  Glaucom  gelten  im  Grunde  genommen  die- 
selben therapeutischen  und  prognostischen  Regeln  wie  für  das  primäre  und 
reine  Glaucom,  so  weit  es  sich  nämlich  um  das  Glaucom  als  solches  handelt. 
Auch  hier  ist  es  dringend  nothwendig,  die  Drucksteigerung  und  die  Exca- 
vation  nicht  zu  weit  in  ihrer  Ausbildung  vorschreiteu  zu  lassen  oder  abzu- 
warten, bis  die  Circulationsbedingungen  im  Inneren  des  Auges  durch  die 
Sclerose  der  Lederhaut  sich  für  die  Dauer  minder  günstig  gestaltet  haben. 
Am  besten  thäte  man  freilich,  wenn  man  die  Iridectomie  gleich  2^^'^I'^^y- 
laläisch  in  Ausführung  brächte.  Jedenfalls  soll  man  nicht  länger  zaudern, 
wenn  sich  die  Drucksteigerung  deutlich  kenntlich  macht  oder  gar  die  Exca- 
vation  der  Papille  beginnt.  Ohnehin  verlangt  das  i)rimäre  Leiden  nicht 
selten  die  Operation,  um  zur  Heilung  oder  doch  zum  Stillstande  gebracht 
zu  werden. 

6.  Gegen  das  absolute  Glaucom,  d.  i.  das  Glaucom  der  ältei'en  Schrift- 
steller, vermag  die  Iridectomie  nichts;  man  wird  daher  besser  thun,  die 
Operation  zu  sparen,  es  wäre  denn,  dass  häufige  acute  Anfälle,  heftige 
Schmerzen,  lästige  Chromopsien,  Photopsien  etc.  zu  einem  directen  thera- 
peutischen Einschreiten  aixtfordern.  Bleibt  dann  aber  die  Operation  ohne 
Erfolg,  so  erscheint  in  dringenden  Fällen  die  Enucleatio  bulbi  gei*eeht- 
fertigt  (Graefe). 

7.  In  Fällen  glaucomatöser  Degeneration  verschlimmert  die  Iridectomie 
eher  das  Leiden,  indem  sie  gemeiniglich  zu  reichlichen  intraocularen 
Blutungen  Veranlassung  gibt.  Wo  fortwährend  entzündliche  Anfälle  oder 
häufige  Ciliarneurosen  ein  therapeutisches  Einschreiten  nothwendig  machen, 
ist  die  Enucleatio  bulbi  bei  weitem  vorzuziehen.  Mitunter  ist  diese  Operation 
vom  günstigsten  Einflüsse  auf  die  Therapie  des  anderen  etwa  noch  heilungs- 
fähigen Auges,  da  sie  eine  ergiebige  Quelle  sympathischer  Reizungen  stopft. 
Wenn  das  zweite  Auge  frei,  oder  durch  Iridectomie  vor  sympathischen 
Reizungen  einigermassen  sicher  gestellt,  oder  ebenfalls  schon  erblindet  ist, 
kann  mau  statt  der  Ausschälung  wohl  auch  die  künstliche  Vereiterung  des 
Bulbus  mittelst  eines  durchgezogenen  Fadens  (Graefe)  in  Ausführung  bringen. 
(Siehe  Therapie  des  Sclerochorioidalstaphyloms.) 

Quellen:  Havier,  Donders,  kl.  Monatbl.  1863.  S.  502;  A.  f.  O.  IX.  2.  S.  215.  — 
Dor,  kl.  Monatbl.  1865.  S.  351.  —  Stdlwag,  lieber  doppelte  Brechung  etc.  Denk- 
•schriften  der  Wien.  k.  Akad.  der  Wiss.  V.  Wien,  1853.  S.  62;  der  intraocul. 
Druck.  Wien.  1868.  S.  34,  44,  47,  52.  —  Schehke,  A.  f.  O.  X.  2.  S.  1,  18,  26, 
44.  —  Jacobson,  ibid.  X.  2.  S.  54.  —  Eaffmans,  ibid  VIII.  2.  S.  124,  143,  147, 
151,  153,  154,  156,  162,  165,  168,  171,  173.  —  Ed.  Jaeger,  Staar  und  Staarope- 
rationen.  Wien,  1854.  S.  103,  104;  "Wien.  med.  Wochenschrift.  1854.  S.  36;  Zeit- 
.schrift  der  Wiener  Aerzte.  1858.  S.  465,  467,  486,  491 ;  Einstellungen  des  diopt. 
Apparat.  Wien,  1861.  S.  37,  42;    Fig.   12—17;    Handatlas,  Fig.  52—60.   —    Graefe, 


366  Glaucom;  Quellen:  Chorioiditis  snppnrativa. 

A.  f.  O.  I.  1.  S.  371,  375;  I.  2.  S.  299;  II.  ?.  S.  291;  IH.  2.  S.  456:  IV.  2. 
S.  127;  VI.  2.  S.  150,  254;  Vm.  2.  S.  242;  IX.  2.  S.  105,  110;  XU.  2. 
S.  153;  XIV.  2.  S.  116;  XIV.  3.  S.  147;  XV.  3.  S.  108.  —  .4.  Weher,  ibid. 
II.  1.  S.  133,  141.  —  Sclmeigger,  ibid.  V.  2.  S.  233;  Vorlesungen  über  den  Ge- 
branch des  Augenspiegels.  Berlin,  1864.  S.  127,  130.  —  Förster,  A.  f.  O.  III.  2. 
S.  81;  Congres  ophth.  1867.  S.  128.  —  Coccius,  der  Mechanismus  d.  Accom.  S.  92, 
95,  98;  A.  f.  0.  IX.  l.  S.  1,  8,  12;  Ueber  Glaucom,  Entzündung  etc.  Leipzig, 
1859.  S.  11,  15,  16,  18.  —  G.  Braun,  A.  f.  O.  IX.  2.  S.  222,  225,  226.  —  Alf. 
Graefe,  ibid.  '^71.  2.  S.  113.  —  Pagenstecher,  Klin.  Beobachtungen.  Wiesbaden, 
1860".  I.  S.  26,  39;  H.  S.  13;  kl.  Monatbl.  1869.  S.  392,  396.  —  Mackenzie,  Prakt. 
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1863.  S.  10.  —  Tetzer,  Wiener  allg.  med.  Zeitschrift.  1862.  S.  210.  —  Boinnan, 
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ibid.  S.  400.  —  Hippel,  ibid.  S.  376.  —  Adamük,  ibid.  S.  380,  383;  1867.  S.  327.  — 
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Transact.  am.  ophth.  soc.  1869.  S.  35.  —  Cusco,  nach  Coccius,  der  Mech.  etc. 
S.  93.  —  Leher,  A.  f.  O.  XIV.  2.  S.  216.  —  Landesherg,  ibid.  XV.  1.  S.  204,  208.  — 
Maidhner,  kl.  Monatbl.  1869.  S.  392,  402;  Lehrb.  d.  Ophthscop.  S.  271  u.  f.  — 
StiUing,  A.  f.  O.  XIV.  3.  S.  266.  —  Hasner,  Prag.  Vierteljahrschrift.  101.  Bd.  Lit. 
Anz.  S.  21. 


4.  Chorioiditis  (Pauuplithalmitis)  suppurativa. 

Krankheitsbild.  CJiarakteristiseh  ist  ausser  den  Symptomen  der  Entzün- 
dung überhaupt,  namentlich  einer  mehr  weniger  beträchtlichen  ödematösen  oder 
chemotischen  Schwellung  der  Lider  und  Bindehaut,  das  Auftreten  einer  gesät- 
tigten eiterfarbigen  Trübung  in  der  Tiefe  des  Auges  und  die  rasche  völlige 
Erblindung  des  letzteren. 

1.  Der  directe  Xachweis  der  chorioidalen  Eiterherde  ist  wohl  nur  sehr 
ausnahmsweise  gestattet,  da  die  dioptrlschen  Medien  von  Anbeginn  an  mitleiden 
und  vennöge  ihrer  Trübung  die  ophthalmoskopische  Untersuchung  des 
Augengrundes  behindern.  Ehe  sich  noch  durch  den  Augenspiegel  erkenn- 
bare Eiterherde  in  der  Aderhaut  bilden  können,  wird  immer  der  Glaskörper 
in  Folge  entzündlicher  Gewebswucherung  seiner  Durchsichtigkeit  verlustig 
und  beurkundet  auch  wohl  eine  merkliche  Volumsvergrösserung.  Man  findet 
die  entfärbte  Iris  sammt  der  Linse  mehr  weniger  nach  vorne  gedrängt 
oder  gar  der  Cornea  anliegend,  und  hinter  der  starren  und  gewöhnlich 
auch  beträchtlich  erweiterten  Pupille  eine  dißuse,  an  Dichtigkeit  rasch 
zunehmende,  meistens  gelblich  grünliche  Trübung,  welche  oft  von  einem 
stärker  refLectirenden  Balken-  oder  Fachwerke  durchzogen  wird. 

Doch  ist  auch  dieses  Symptom  häufig  unnachweisbar,  indem  neben 
der    eitrigen    Aderhautentzündung    gerne    ähnliche  Processe    in   den   vorderen 


Kr:iiil;li.>itsbiUl.  367 

Theihn  des  Augapfels  auftreten,  die  Kapsel  »ohin  oft  gotvübt,  die  Pupille 
geschlossen  oder  yerlegt,  das  Kamracrwasser  cinfacli  getrübt  oder  von  einem 
massigen  Hj^popynm  verdrängt,  die  Cornea  durch  eitrige  Infiltrate  opak, 
theilweise  vielleicht  verschwärt  oder  gänzlich  geschmolzen  gefunden  wird. 
Die  Diagnose  der  Chorioiditis  suppurativa  stützt  sich  dann  nur  auf 
Symptome,  welche  in  ihrer  Gcsammtheit  mittelbar  auf  jenes  Leiden  hin- 
deuten, es  wäre  denn,  dass  bereits  eine  Oetfnung  in  der  Augeukapsel 
gegeben  ist  und  das  Hervorquellen  von  Eiter  jeden  Zweifel  über  das  Vor- 
handensein eines  Eiterstockes  im  liintcren  Augenraume  beseitigt. 

2.  Ton  diesen  mittelbar  auf  Chorioiditis  suppurativa  hindeutenden 
Erscheinungen  ist  nur  eines  ganz  constant,  nämlich  das  frühzeitige  rasche 
Erlöschen  der  Lichtempfindung ;  alle  anderen  Symptome  sind  wandelbar  und 
machen  das  Bild  der  fraglichen  Krankheit  zu  einem  höchst  wechsel- 
vollen. 

So  trägt  die  Chorioiditis  suppurativa  sehr  oft  den  Charakter  einer 
athenischen  Entzündung  und  schreitet  mit  intensivem  Fieber  und  heftiger  localer 
Nervenreizung  einher.  Die  Lider  ei'scheinen  hoch  aufgescliAVollen,  tief  gcröthet, 
gespannt,  heiss  und  sehr  empfindlich  gegen  jeden  Druck.  Die  Bindehaut 
des  Augapfels  ist  zu  mächtigen  bläulichrothen  Wülsten  aufgetrieben,  welche 
zur  Lidspalte  herausragen  und  den  Bulbus  ganz  verdecken.  Die  Secretion 
der  Conjunctiva  stockt,  jene  Wülste  erscheinen  daher  trocken  und  von  grau- 
lichen, oft  zu  Krusten  verdorrten  und  von  ausgetretenem  Blute  gefärbten 
Exsudatschwarten  belegt.  Der  Augapfel  selbst  ist  vermöge  der  entzündlichen 
Anschwellung  des  Orbitalgefüges  um  ein  Bedeutendes  aus  der  Augenhöhle 
hervorgedrängt,  unbeioeglich  und  sehr  empfindlich.  Im  Falle  die  Cornea  und 
Sclera  ihre  Continuität  noch  bewahrt  haben,  findet  man  ihn  enorm  gespannt 
und  hart;  oft  auch  schon  ansehnlich  vergrössert.  Die  Hornhaut  ist  trüb 
oder  bereits  in  einen  Eiterstock  verwandelt.  Der  Kranke  wird  durch 
Chromopsie  und  Photopsie  gepeinigt  und  leidet  an  fürchterlichen  Schmerzen, 
welche  nach  dem  Kervus  frontalis  und  infraorbitalis  ausstrahlen  und 
während  den  entzündlichen  Exacerbationen  oft  geradezu  unerträglich 
werden. 

In  anderen  Fällen  sind  trotz  gleich  rai^cher  und  massenhafter  Eiter- 
bildung alle  Erscheinungen  vjeit  milder.  Das  Fieber  ist  schwach  oder  es  fehlt 
ganz,  die  Lider  und  die  Bindehaut  sind  nur  leicht  geröthet,  ödematös 
angeschwollen,  teigig  weich.  Die  Conjunctiva  sondert  mehr  weniger  eiterigen 
Schleim  ab.  Der  Bulbus  ist,  falls  kein  Durchbruch  statt  fand,  massig 
gespannt,  nur  wenig  oder  gar  nicht  hervorgetrieben,  beweglich  und  etwas 
empfindlich  gegen  Druck.  Die  subjectiven  Lichterscheinungen  sind  wenig 
intensiv  und  machen  sich  nur  zeitweise  bemerklich.  Die  Schmerzen  fehlen 
bisweilen  ganz  oder  beschränken  sich  auf  ein  Gefühl  von  Druck,  Ziehen, 
Pochen  etc.  mit  geringer,  nur  periodenweise  sich  steigernder  Heftigkeit. 

Endlich  kommen  ausnahmsweise  Fälle  vor,  wo  die  Lider  und  die 
Bindehaut  nur  ganz  wenig  injicirt  und  geschwellt  erscheinen,  die  Hyperämie 
im  Episcleralgewebe  unbedeutend  ist,  der  intraoculare  Druck  kaum  merklich 
zugenommen  hat  und  die  subjectiven  Reizerscheinungen  fast  gänzlich  mangeln, 
obgleich  vielleicht  der  Glaskörper  und  das  Kammerwasser  bei-eits  von  Eiter 
völlig  verdrängt  sind. 


368  Chorioiditis  suppurativa ;  Ursachen;  Fremde  Körper  im  Bulhus. 

Ursaclien.  1.  Als  GelegenJieitsursachen  fuugiren  häufig  in-  und  extensive, 
traumatische  oder  chemische  Schädlichkeiten:  Erschütterungen,  Schläge,  Stösse, 
Hiebe ,  Prellschüsse  etc.  mit  und  ohne  Continuitätstrennung  der  Bulbus- 
wand ;  chemische  Anätzungen ,  Verbrühungen ,  ^'erbrennungen ;  die 
mechaiusche  Eeizeinwirkung  einer  zufällig  oder  künstlich  in  die  Vorder- 
kammer getriebenen  oder  lose  in  dem  Augapfelraume  herumschweifenden 
Linse,   eines  intraocularen  Cysticercus  u.   s.  w. 

Obenan  stehen  in  dieser  Beziehung  jedoch  verunreinigte  Wunden.  Fremde 
Körper ,  ivelche  an  oder  in  dem  Bulbus  stecken  gehlieben  sind,  führen  der 
Regel  nach  zu  ausgebreiteten  suppurativen  Entzündungen  und  schliesslich 
zur  Phthisis  des  Augapfels,  wenn  sie  nicht  zeitlich  genug  entfernt  iverden.  Falls 
der  fremde  Körper  in  der  Hornhaut  haftet,  ist  die  Gefahr  für  den  Bestand 
des  Auges  als  Ganzen  allerdings  eine  mehr  mittelbare,  insoferne  die  eitrige 
Entzündung  sich  häufig  vorerst  auf  die  Cornea  beschränkt,  der  Eindringling 
unter  fortgesetzter  Schmelzung  des  ihn  umgebenden  Gefüges  gerne  losge- 
stossen  und  solchermassen  weiteren  Zerstörungen  vorgebeugt  wird.  Oft  genug 
aber  ptianzt  sich  der  Wucherungsprocess  fort  auf  die  tieferen  Organe,  es 
kommt  zur  Iritis,  Iridochorioiditis  und  weiterliin  nicht  selten  auch  zur  Phthise 
des  gesammten  Aiiges.  Ist  der  fremde  Körper  in  die  Kammer  gelangt  oder 
in  der  Iris  stecken  geblieben ,  so  ist  der  Augapfel  gleich  von  vorneherein 
mehr  bedroht  und  geht  am  Ende  meistens  durch  Eiterung  zu  Grunde ;  nur 
ausnahmsweise  gescliieht  es ,  dass  die  Entzündung  sich  in  der  nächsten 
Umgebung  des  fremden  Körpers  abgrenzt  und ,  indem  sie  blos  plastische 
organisirbare  Producte  liefert,  eine  Einkapselang  anbahnt.  Haftet  der  fremde 
Körper  in  der  Linse,  so  zerfällt  diese  gewöhnlich  cataractös.  Mitunter 
kömmt  es  dann  wohl  vor,  dass  jener,  von  secundär  metamorphosirten 
Staarresten  umhüllt,  in  der  Kapselhöhle  liegen  bleibt  und  dauernd  unschäd- 
lich gemacht  wird;  gewöhnlich  aber  wird  er  unter  fortschreitender 
staariger  Auflösung  des  Krystalles  wieder  flott,  senkt  sich,  fällt  in  dem 
Kammerraume  zu  Boden  und  veranlasst  die  heftigsten  Eeactionen,  welche 
gemeiniglich  mit  A^ereiterung  des  Bulbus  enden.  Am  grössten  ist  wegen 
der  schwierigeren  Entfernung  die  Gefahr,  wenn  der  fremde  Körper  in  der 
Ciliar gegend  festsitzt  oder  im  hinteren  Binnenraume  des  Augapfels  (S.  158) 
lagert.  Dann  sind  suppurative  Processe  in  der  Regel  die  unmittelbare  Folge. 
Es  beschränkt  sich  wohl  bisweilen  die  Eiterablagerung  aitf  den  Wundkanal 
und  die  nächste  Umgebung  des  fremden  Köipers.  Gewöhnlich  aber  werden 
über  kurz  oder  lang  auch  die  übrigen  Bestandtheile  des  Augapfels  in  den 
Eiterungsprocess  verwickelt.  Abkapselungen  bei  normalem  Fortbestande  oder 
geringfügiger  Betheiligung  der  entfernteren  Partien  des  Bulbus  kommen 
allerdings  auch  hier  vor.  Allein  sie  sind  eben  so  Ausnahmen ,  als 
wenn  der  fremde  Körper  eine  längere  Zeit  im  Auge  verharrt,  ohne  über- 
haupt eine  auffällige  entzündliche  Gegenwirkitng  anzuregen  und  ohne  von 
Exsudaten  umhüllt  zu  werden,  vielmehr  blosliegend  mit  Hilfe  des  Spiegels 
im  Augengrunde  wahrgenommen  werden  kann  (Graefe,  Jacobi).  Uebrigens 
haben  solche  Einkapselungen  im  hinteren  Binnenraume,  auch  wo  sie  gehngen, 
nur  selten  Bestand,  über  kurz  oder  laug  stellen  sich  wieder  heftige  Ent- 
zündungen ein,  welche  den  Ausgang  in  Phthise  nehmen.  Am  ersten  noch 
ermöglichen  kleine  Metallsplitter  und  rundliche  Körper  ohne  vorspringende 
Ecken  und  Kanten,   z.  B.   Schrottkörner,   eine  dauernde  Incapsulation  durch 


Operationen;  Covnealdurchbrücbe ;  Secundäre  Formen.  369 

umschriebene  Entzündung ;  bei  zackigen  Splittern  ist  dies  kaum  jemals  zu 
gewärtigen ;  am  allerwenic/sten  bei  Trümmern  von  Zündhütchen  ,  da  bei 
diesen  ausser  dem  mechanischen  Keize  auch  der  chemische  der  anhaftenden 
Stoffe  verderblich  wirkt  (Graefe).  Zündhütchen  sind  aber  gerade  die  weit- 
aus häufigsten  fremden  Körper,  welche  in  den  Augapfel  eindringen ;  die 
Zahl  der  durch  sie  gesetzten  Verletzungen,  besonders  bei  Kindern,  über- 
wiegt um  ein  Vielfaches  jene  aller  übrigen  verunreinigten  Bulbuswunden 
zusammengenommen  und  ist  auch  absolut  eine  erstaunlich  hohe  (Boissoneau, 
Cunier). 

Ausserdem  gehören  zu  den  gewöhnlicheren  Veranlassungen  operative 
Eingriffe.  Abgesehen  von  der  grösseren  oder  geringeren  Reizwirlcung  der 
Operation  als  solchen  concurriren  hierbei  mannigfaltige  Verhältnisse.  Vor- 
erst lässt  sich  eine  gewisse  Disposition  nicht  läugnen.  Wichtiger  ist  die 
mit  theilweiser  Entleerung  des  Bulbusinhaltes  verbundene  und  nach 
Umständen  wohl  auch  einige  Zeit  andauernde  Herabsetzung  des  intraocularen 
Druckes  sammt  deren  unmittelbaren  Eolgen ,  Circulationsstörungen ,  Bbit- 
austretungen  u.  s.  w.  Die  erste  Rolle  aber  spielt  in  dieser  Beziehung  die 
mechanische  Reizwirkung  von  Linsentheilen ,  welche  durch  Wunden  der 
Kapsel  Gelegenheit  finden,  in  den  Kammerraum  zu  dringen  und  dort  mit 
der  Iris  in  Berührung  kommen   (Siehe   Staaroperationen). 

2.  Durch  Herabsetzung  des  intraocularen  Druckes  werden  oft  auch 
geschwürige  Durchbrüche  der  Cornea ,  namentlich  wenn  sie  mit  Entleerung 
der  Linse  oder  gar  eines  Theiles  des  Glaskörpers  verknüpft  sind,  eine  Quelle 
für  suppurative  Augapfelentzündungen.  Die  letzteren  können  dann  in 
gewisser  Beziehung  als  secundäre  Affectionen  aufgefasst  werden,  welche 
ihre  Begründung  in  einer  Keratitis  ulcerativa  und  weiterhin  in  einer 
Ophthalmoblenorrhoe,  Diphtheritis  conjunctivae  u.   s.  w.  finden. 

3.  Es  ist  indessen  kein  Zweifel,  dass  die  Chorioiditis  suppurativa  sich 
auch  im  wahren  Sinne  des  Wortes  secundär,  durch  Fortpflanzung  des  ent- 
zündlichen Processes  von  der  Bindehaut,  Hornhaut,  Iris,  vom  Orbitalgefüge 
{Biermann)  etc.  auf  die  Aderhaiit  entwickeln  könne.  Bei  der  epidemischen 
Cerebrospinalmeningitis  (S.  199),  bei  der  Encephalitis  infantilis  (S.  87)  und 
in  manchen  mit  Meningitis  einherschreitenden  Eällen  von  Typhus,  Puer- 
perium, Pyaemie  etc.  scheint  die  Entzündung  sogar  von  den  weiclien  Hirn- 
häuten längs  den  Nervenscheiden  auf  die  Binnenorgane  des  Bulbus  über- 
gehen und  hier  zu  reichKchen  Productausscheidungen  Veranlassung  geben 
zu  können. 

Jedenfalls  sind  die  unter  den  letztgenannten  Verhältnissen  auftretenden  Oph- 
thalmien ihrer  Pathogenese  und  dem  Wesen  nach  nicht  immer  vollkommen  gleich. 
In  gewissen  Fällen  handelt  es  sich  gewiss  blos  um  heftige  Blndehautcatarrhe ,  die 
sich  weiterhin  mit  Ve7-schiüärungen  der  Cornea  paaren  und  so  möglicher  Weise  das 
Auge  zu  Grunde  richten.  Es  dürften  hier  ähnliche  Factoren  zusammenwirken,  wie 
bei  der  neuroparalytischen  O^ihtliahnie,  vorzüglich  beim  Spedalsked  (S.  88),  da  die 
gefahrdrohenden  Zustände  immer  erst  dann  zum  Vorscheine  kommen,  wenn  die 
Lider  nicht  mehr  geschlossen  werden,  also  die  Nervenleitung  eine  sehr  beschränkte 
geworden  ist  und  mannigfaltige  Schädlichkeiten  auf  den  biosliegenden  Bulbus 
ungehindert  einwirken  können  (Schirmer). 

In  anderen  Fällen  trägt  jedoch  die  Ophthalmie  von  Anbeginn  an  den  Cha- 
rakter einer  siqypurativen  Iridochorioiditis ,  entwickelt  sich  unter  heftigen  Entzün- 
dungssymptomen, unter  starker  Röthung,  Schwellung  der  Lider  und  Bindehaut, 
führt  stets  rasch  zur  Verlöthung  des  Pupillarrandes  mit  der  Vorderkapsel,  und 
fördert  mansenhaft  eiterähnliche  Producta,  welche  theils  als  Hypopyum  in  die 
Stellwag,  Augenheilkunde.  24 


370  Chorioiditis  suppurativa;  Ursachen;  Metastasen;  Verlauf. 

Kammer  ergossen  werden  (Kreitmair) ,  theils  den  Glaskörper,  namentlich  den  vor- 
deren Theil  desselben  infiltriren;  während  das  tiefe  Sinken  oder  völlige  Verlöschen 
des  Sehvermögens  die  innige  Theilnahme  des  Uchtempfindenden  Apparates  bekundet. 
Das  Glaskörperinfiltrat  verräth  sich  durch  einen  sehr  auÖalligen  hellgelben  Wider- 
schein, welcher  sichtlich  von  einer  dichten  geschlossenen  concaven  Trübung  aus- 
geht, die  unmittelbar  der  hinteren  Linsenfläche  anliegt  und  durch  ihre  Gefässlosig- 
keit  sich  deutlich  von  einer  ahgehoheiien,  und  au  den  Krystall  herangedrängten  Netz- 
hautpartie unterscheiden  lässt  (Jacobi).  Es  ist  dieser  Reflex  als  charalcteristisch  an- 
erkannt, da  er  niemals  fehlt,  es  wäre  denn,  dass  die  Linse  bereits  in  den  Wuclie- 
rnngsprocess  einbezogen  und  staarig  getrübt  ist ,  oder  dass  die  Ophthalmie  sich 
nicht  vollständig  entwickelt  hat,  sondern  aixf  die  //■('*  heschränlct  bleibt,  ohne  auf 
die  tieferen  Bulbusorgane  überzugehen.  Man  hat  derlei  suppurative  Augenentzün- 
dungen im  Gefolge  von  Meningitis  in  den  verschiedensten  Stadien  des  Grundleidens 
auftreten  gesehen  (Jacohi).  Sie  sind  es  vornehmlich,  welche  man  durch  Fortleitung 
des  Wucherungsprocesses  längs  der  Nervenscheiden  erklären  zu  müssen  glaubt, 
um  so  mehr,  als  auch  anatomische  Untersuchungen  für  einen  solchen  Hergang 
sprechen  (Schirmer). 

4.  Nicht  selten  hat  die  suppurative  Panophthalmitis  die  Bedeutung 
einer  Metastase,  sie  ist  durch  Thrombose  einzelner  Binnengefässe  begründet 
{Virchow).  Sie  zeigt  sich  dann  fast  immer  in  Gesellschaft  von  Eiterherden 
ähnlichen  Ursprunges  in  anderen  Körpertheilen.  In  diese  Categorie  gehören 
die  meisten  Fälle  jener  suppurativen  (3phthalmien,  welche  sich  im  Verlaufe 
von  pyämischen  und  puerperalen  Processen,  von  anomal  verlaufenden  Blattern, 
Masern,  Scharlach,  von  Typhus,  der  Rotzkrankheit  (Graefe)  u.  s.  w.,  über- 
haupt dann  entwickeln,  wenn  die  obwaltenden  A'erhältnissc  eine  Aufnahme 
deletärer,  insbesondere  eitriger  und  j  au  eiliger  Stoffe  in  und  durch  das 
Blut  ermöglichen  und  begünstigen. 

Manche  Epidemien  der  genannten  aaden  Exantheme  sind  durch  die  Häiifig- 
keit  solcher  eiteriger  Augapfelentzündungen  und  sonstiger  Eiterablagerungen  über- 
aus verheerend.  Dann  und  wann  dürfte  auch  die  im  Gefolge  der  epideinischen 
Cereh7'Osj)inalmeni7ifjitis  auftretende  Ophthalmie  den  Charakter  einer  Metastase 
tragen.  Manche  halten  dies  auf  Grundlage  einzelner  beobachteter  Epidemien  sogar 
für  die  Regel  und  stützen  sich  dabei  auf  den  Umstand,  dass  auch  hier  wie  bei 
Pyaemie  etc.  eitrig  seröse  Ergüsse  in  die  Gelenksböhlen,  Pneumonie,  Pleuritis  u.  s.  w. 
häufige  Complicationen  sind  (Jacohi). 

6.  EndHch  kömmt  die  Chorioiditis  suppurativa  als  Folge  eitriger 
Schmelzung  intraocularer  Geschwülste,  so  wie  als  Ausgang  tuberculoser 
Localisationen   (S.    320)  vor. 

Der  Verlauf  bis  zur  Acme  ist  fast  immer  ein  sehr  acuter;  nur  sehr 
ausnahmsweise  bedarf  die  Krankheit  mehrerer  Wochen,  um  ihren  Höhenpunkt 
zu  erreichen  und  von  da  ab  in  subacuter  oder  chronischer  Weise  ihren 
Ausgängen  zuzuschreiten.  Die  hauptsächlichsten  Differenzen,  welche  sich 
im  Verlaufe  der  Chorioiditis  suppurativa  geltend  machen,  betreffen  den 
Charakter  des  Processes  und  hängen  mit  diesem  grösstentheils  ab  von  dem 
ätiologischen  Momente. 

1.  So  ist  die  durch  intensive  traumatische  oder  chemische  Schädlich- 
keiten hervorgerufene  suppurative  Aderhautentzündung  in  der  Regel  durch 
sthenisehen  oder  gar  hypersthenischen  Charakter  ausgezeichnet.  Doch  gibt  es 
von  hier  ab  eine  Menge  von  Gradahstufungen  und  es  kann  sogar  geschehen, 
dass  die  traumatische  Chorioiditis  suppurativa  unter  relativ  unscheinbaren 
Symptomen  abläuft. 

Bei  Staaroperationen  wird  man  dadurch  in  der  That  bisweilen  über  den  Zu- 
stand des  Auges  getäuscht.  Die  Lider  schwellen  blos  ödematös  an,  sind  wenig 
geröthet,    die  Bindehaut  sondert  schleimigen  Eiter  ab,    die  Schmerzen  sind  gering 


Verlauf;  Ausgänge.  371 

oder  nur  'zeitweise  lästig,  die  subjectiveii  Licliterscheinuno'en  sehr  vveni^  auftällig, 
das  Fieber  Null ;  eröffnet  man  aber  die  Lidspalte,  so  findet  man  alle  Zeichen  einer 
bereits  weit  vorgeschrittenen  eiterigen  Aderlianteutzündung. 

Steckt  ein  fremder  Körper  im  Auge,  so  Avocliseln  jTcwölinlicli  Anfälle 
der  lieftigstcii  Kiitzüiulung'  und  oft  auch  wütliendcr  Schmerzen  mit  mehr 
minder  betrüclitliclien  Nachlässen  und  selbst  gänzlichen  Unterbrechungen; 
weniger  oft  nimmt  der  Process  einen  mehr  chronischen  V^ erlauf,  sein 
Charakter  schwankt  Monate  lang  zwischen  dem  einer  subaeuten  Tridoehorioi- 
ditis  mit  vorwaltend  organisirbaren  schrumpfenden  Productcu  und  zeit- 
weiligen Exacerbationen  mit  reichlicheren  Eiterausscheidungen,  bis  der  A.ug- 
apfel  in  Folge  eitrigen  Durchbruches  und  der  Entleerung  des  Eindringlings 
oder  in  Folge  der  Umhüllung  des  letzteren  von  mächtigen  neoplastischen 
ScliAvarten,  wenigstens  zeitweilig,  zur  Ruhe  gelangt. 

2.  Die  Chorioiditis  suppui'ativa,  welche  sich  nach  geschwürigen  Durch- 
brachen der  Hornhaut  entwickelt,  bietet  selten  den  stheyiischen  Charakter  dar, 
meistens  sind  die  Reizerscheinungen  viel  milder  und  namentlich  die  sub- 
jectiven  Symptome  von  geringerer  Intensität.  Der  Verlauf  ist  gewöhnlich 
ein  subacuter. 

3.  Die  metastatische  Form  entwickelt  sich  öfters  unter  ähnlichen 
stürmischen  Erscheinungen,  wie  die  traumatische.  Oft  aber  stehen  die 
begleitenden  Erscheinungen  ihrer  Intensität  nach  in  gar  keinem  Verhält- 
nisse zu  den  Leistungen  des  Processes.  Häufig  kommt  es  sogar  vor,  dass 
die  Schwellung  und  Röthung  der  äusseren  Hüllen  des  Bulbus  unbedeutend 
zu  nennen  sind  und  dass  erst  die  rasche  oder  fast  plötzliche  Erblindung 
des  Auges  den  Arzt  aufmerksam  macht  und  ihn  bestimmt,  den  Alterationen 
in  den  Binnenorganen  nachzuspüren,  welche  dann  gewöhnlich  schon  xveit 
vorgeschritten  sind  und  oft  den  Augapfel  im  Laufe  weniger  Tage  durch 
Eiterung  zerstören. 

Diese  Form  der  suppurativen  Chorioiditis  ist  gleich  der  von  epidemischer 
Cerebrospinalmeningitis  abhängigen  häufig  binoculär,  indem  entweder  gleich 
ursprünglich  beide  Augen  ergriffen  werden,  oder  indem  der  Process  sich 
erst  nach  Verlauf  einiger  Tage  auf  das  andere  Auge  fortsetzt.  Die  übrigen 
Arten  der  Chorioiditis  suppurativa  bleiben  in  der  Regel  auf  ein  Auge 
beschränkt. 

Ausgänge.  Eine  Heilung  im  engeren  Wortsinne  ist  wohl  nur  in  höchst 
seltenen  Ausnahmsfällen  und  dann  möglich,  wenn  die  Gelegenheit  zum 
Ausgleiche  der  Störungen  im  ersten  Beginne  der  Krankheit,  ehe  diese  noch 
bedeutende  Alterationen  gesetzt  hat,  geboten  wird.  Im  Allgemeinen  wird 
man  sich  zufrieden  stellen  müssen,  wenn  es  gelingt,  den  Process  in  seinen 
Anfängen  zu  ersticken,  und  wenn  der  erblindete  Augapfel  seine  Form  behalt, 
oder  in  Folge  eintretenden  Schwundes  nur  wenig  an  Volumen  einbüsst. 
In  den  allermeisten  Fällen  schrumpft  der  Bulbus  auf  ein  kleines  miss- 
staltetes  Knöpfchen  zusammen  und  dieses  zwar  in  Folge  einfacher  Atrophie 
durch  entsprechende  Verkleinerung  sämmtlicher  Formbestandtheile,  oder  in 
Folge  ivahrer  Phthise,  d.  i.  eitriger  Schmelzung  und  theilweiser  Entleerung 
des  Inhaltes  des  Augapfels. 

Möglicherweise  kann  es  vxnter  luigünstigen  Verhältnissen  zur  Aufnahme  von 
Eiterpartikehi  in  das  Blut  und  zu  deren  höchst  gefährlichen  Folgen  kommen.  In 
einzelnen  Fällen  hat  man  auch  eine  Fortpflanzung  des  Suppuratiousprocesses  auf 
die  Gehii-nhäute  mit  meist  tödtlichem  Ausgange  beobachtet  (Qraefe). 

24* 


o 


/2  Chorioiditis  snppttrativa ;  Ausgänge:  Phthisis  linlbi;  Eiterdurchbrnch. 


Am  schlechtesten  ist  die  Prognose  bei  der  metastatischen  und  ganz 
besonders  bei  der  tuberculosen  Form.  Gewöhnlich  geht  der  Kranke  in  Folge 
des  Allgemeinleidens  früher  zu  Grunde,  als  der  LocaJprocess  im  Auge  bei 
seinen  Ausgängen  angelangt  ist.  Kömmt  der  Patient  mit  dem  Leben  durch, 
so  wird  der  Bulbus  meistens  phthisisch  oder  ati'ophisch;  selten,  ja  aus- 
nahmsweise nur  und  bei  sehr  geringer  Eiterproduction  im  Bulbus,  wird 
dieser  bis  zu  einem  gewissen  Grade  wieder  functionstüchtig. 

Bei  der  durch  epidemische  Cerebrospinalrneningitis  begründeten  Form 
ist  Schwund  der  reguläre  Ausgang  und  macht  sich  oft  schon  frühzeitig  durch 
sehr  auffällige  Weichheit  des  Augapfels  geltend.  Doch  wird  mitunter  auch 
eitriger  Durchbruch  und  in  weiterer  Folge  Phthise  des  Bulbus  beobachtet 
CLindström). 

Die  phthisische  Zerstörung  des  Bulbus  wird  nicht  immer  auf  dieselbe 
Weise  eingeleitet.  Meistens  infiltrirt  sich  die  Hornhaut  ihrer  grössten  Aus- 
dehnung nach,  wird  in  einen  Eiterstock  verwandelt  und  schmilzt,  worauf 
sich  der  Inhalt  des  Bulbus  zum  grossen  Theile  entleert  und  der  Rest  der 
intraocularen  Gebilde  unter  fortgesetzter  Eiterung  consumirt  und  aus- 
gestossen  wird.  Oefters  geschieht  dieses  erst,  nachdem  die  Sclerotica  sich 
unter  der  Wirkung  des  gesteigerten  intraocularen  Druckes  theilweise  oder 
dem  ganzen  Umfange  nach  beträchtlich  ausgedehnt  hat.  Deren  Spannung 
ist  dann  bisweilen  so  gross,  dass  die  Berstung  der  Cornea  unter  einem 
hörbaren  Knalle  erfolgt  und  der  Inhalt  des  Augapfels  auf  eine  grössere 
Distanz  herausgeschleudert  wird.  Auch  kömmt  es  vor.  dass  in  Folge  dieser 
abnormen  Druckverhältnisse  die  Circulation  und  Xutrition  eine  wesentliche 
Störung  erleiden,  die  Cornea  mit  oder  ohne  einem  Theile  der  Sclerotica  brandig 
abstirbt  und  so  ein  Ausweg  für  den  eiterigen  und  theilweise  vielleicht 
schon  nekrotischen  Inhalt  des  Augapfels  geschaffen  wird.  Xicht  minder 
werden  auch  Fälle  beobachtet,  wo  der  intraoculare  Eiter  sich  durch  ein 
erweitertes  Emissarium  der  Lederhaut  eine  Bahn  bricht,  oder  wo  die  Sclerotica 
in  grösserem  oder  geringerem  ITmfange  durch  Eiterung  förmlich  aufgelöst 
wird  und  so  die  Entleerung  der  Augapfelhöhle   ermöglichet. 

Nach  dem  Durchbruche  dauert  die  Eiterung  immer  noch  eine  Zeit 
lang  fort.  Doch  pflegen  die  entzündlichen  Reizerscheinungen  rasch  und 
stetig  abzunehmen;  die  vordem  oft  unerträglichen  Schmerzen  sind  häufig 
sogar  wie  abgeschnitten.  Immerhin  kommen  oft  Fälle  genug  vor,  in 
welchen  während  der  Dauer  der  intraocularen  Eiterung  eine  beträchtliche 
Schwellung  und  Eöthung  der  Bindehaut  und  Lider  fortbesteht  imd  sich 
übrigens  auch  eine  sehr  grosse  Empfindlichkeit  geltend  macht,  ja  wo  zeit- 
weilig wohl  auch  heftige  Schmerzen  auftreten.  Es  geschieht  dieses  bis- 
weilen trotz  freiem  Abflüsse  des  Eiters.  Verlegt  sich  die  AusgangsöflEnung 
oder  verwächst  sie  gar,  so  steigern  sich  die  entzündlichen  Erscheinungen 
um  so  sicherer  bis  zum  neuerlichen  Durchbruche.  Manchmal  wiederholt  sich 
der  ganze  Vorgang  sogar  öfters,  besonders  wenn  ein  fremder  Körper  im 
Auge  steckt.  Mitunter  bringt  der  Durchbruch  auch  gar  keine  oder  doch 
nur  eine  sehr  vorübergehende  Erleichterung  des  Kranken  mit  sich,  die  Schwellung, 
Eöthung  etc.  der  Augengegend  bleibt  eine  sehr  bedeutende,  die  Schmerzen 
bestehen  ungeschwächt  fort  oder  potenziren  sich  wohl  gar,  wüthen  Tag 
und  Xacht  mit  geringen  Eemissionen  fort,  strahlen  über  den  ganzen  Kopf 
aus,  rauben  dem  Kranken  den  Schlaf  und  brinsren   ihn  um   so    mehr  her- 


Anatomie  phthisisclier  Stümpfe. 


373 


Fig.  44. 
a 


unter,  als  das  qualvolle  Lcidcu  unter  solchen  Umständen  sich  oft  Wochen, 
ja  selbst  Monate  hinauszieht  und  überdies  gerne  mit  Fieber  einhergeht. 
Zu  allem  dem  kommt  dann  noch,  dass  bei  Bestand  einer  heftigen  Ciliar- 
neurose  und  vornehmlich  bei  Vorhandensein  eines  fremden  Körpers  im 
Biunenraume  nicht  gar  selten  der  andere  Bulbus  in  Mitleidenschaft  ge- 
zogen und  durch  Iridochorioiditis  dem  liuine  zugeführt  wird.  Am  Ende 
schrtimpft  der  Bulbus  mehr  und  mehr  zusammen,  die  entzündlichen  Reiz- 
erscheinungen treten  zurück,  der  Eiterausfluss  hört  auf  und  die  Durchbruchs- 
öffnung schüesst  sich. 

Der  atrophische  oder  phthisische  Stumpf  zeigt  sich  als  ein  erbsen-  bis 
haselnussgrosses  Knöpfchen  mit  glatter  oder  runzeliger  Oberfläche,  welches 
meistens  tief  in  die  Orbita  eingesunken  erscheint.  Die  Lider  sind  dem 
entsprechend  nach  hinten  gezogen,  unbeweglich  und  geschlossen.  Bei 
jugendlichen  Individuen  verengt  sich  mit  der  Zeit  auch  die  Orbita,  selbst 
bis  zu  einem  so  hohen  Grade,  dass  das  ganze  Gesichtsskelet  eine  auffällige 
Difformität  erlanart. 

Bei  der  Untersuchung  phthisischer  Stümpfe  (Fig.  44)  findet  man  die  Scierotica 
meistens  sehr  verdickt,  indem  sich  die  Elemente  derselben  bei  der  Schrumpfung  gleich- 
sam über  einander  schieben.  Die  vordere  Oeffnung  der  Sclera  i.st  mit  einem  kleinen 

Scheibchen  a  neoplastischen  Gefüges  geschlossen,  das 
sich  nur  durch  seine  Trübheit  und  durch  seinen  Gehalt 
an  Pigment  —  aus  der  Iris  —  von  der  normalen 
Hornhautsubstanz  unterscheidet.  Es  wird  oberflächlich 
sehr  oft  von  einem  Stratum  lockeren  Bindegewebes, 
;  scheinbar    einer    Fortsetzung    der    Bindehaut,    über- 

kleidet. In  der  Höhle  b  des  geschrumpften  Bulbus 
findet  man  fetzige  Reste  der  pigmentirten  Uvea,  ge- 
mischt mit  neugebildeten  sehnigen  Balken  und  Häuten, 
mit  Klumpen  organischer  amorpher  kernhaltiger,  von 
Fett  und  Kalkmolekiilen  durchsetzter  Masse.  Auch 
wahre  Knochenconcreiuente  c  kommen  darin  bisweilen 
vor.  Aus  dem  atrophischen  Sehnerven  tritt  meistens 
ein  Büschel  bindegewebiger  Stränge  hervor,  welche  sich  in  der  pigmentirten  Aus- 
füllungsmasse des  Bulbus  verlieren  und  die  Ueberreste  der  untergegangenen 
Netzhaut  darstellen. 

Stümpfe  nach  diffusen  eitrigen  Entzündungen  verhalten  sich  meistens 
viel  indifferenter,  als  solche,  welche  aus  chronischer  Iridochorioiditis  mit 
Schwarten-  und  Knochenbildung  hervorgegangen  sind.  Doch  kommen  aus 
gleichen  Ursachen  wie  bei  diesen  (S.  334)  mitunter  auch  bei  jenen  heftige 
Entzündungen  vor,  welche  dann  zu  neuerlichen  Durchbrüchen  führen  und 
dem  zweiten  Auge  auf  sympathischem  Wege  gefährlich  werden  können. 
Am  meisten  zu  fürchten  sind  solche  Ereignisse,  wenn  der  Stumpf  einen 
fremden  Körper  in  sich  birgt.  Da  bleibt  der  geschrumpfte  Augapfel  auch 
wohl  zeitlebens  sehr  reizbar. 

Behandlung.  Die  hauptsächlichsten  therapeutischen  Aufgaben  zielen 
natürlich  auf  Behinderung  und  Unterdrückung  des  rapid  fortschreitenden 
Wucherungsprocesses,  somit  auf  Entfernung  alles  dessen,  was  die  Eiterung 
anregen  und  unterhalten  könnte,  weiters  auf  direcfe  Bekämpfung  der  Entzün- 
dung und  auf  Herbeiführung  von  für  den  Ausgleich  der  bereits  vorhan- 
denen Störungen  möglichst  günstigen  ^Verhältnissen. 

1.  Die  Causalindication  fordert  häufig  schon  im  prophyl actischen 
Interesse,  eine  sich  aufblähende  Cataracta  zu  extrahiren  oder  durch  Iridec- 
tomie  unschädlich  zu  machen,  wegen  eines  massigen  Hypopyums  oder  eines 


Ol-±  Chorioiditis  suppurativa:  Behandlung:  Entfernung  fremder  Körper. 

Comealabscesses  die  Hornhaut  zu  paracentesiren,  einen  Orbitalabseess  zu 
eröfBaen  etc.  Von  der  allergrössten  Wichtigkeit  und  niemals  sw  vernach- 
lässigen ist  die  schleunigste  und  möglichst  schonende  Entfernung  eines  etwa 
eingedrungenen  fremden  Körpers. 

Das  hierzu  dienliche  Verfahren  wechselt  selbstverständlich  je  nach  dem 
Sitze  des  Eindringlings.  Lagert  dieser  in  der  Kammer  oder  ragt  er  fass- 
bar in  selbe  hinein,  so  ist  die  Ausziehung  durch  einen  linearen  Hom- 
hautschnitt  zu  bewerkstelligen  und  in  der  Eegel  mit  der  Iridectomie  zu 
verbiuden  (S.  298}.  Haftet  er  in  der  Linse  oder  Kapsel,  so  empfiehlt  mau 
die  Extraction  des  KrystaUes  durch  den  Lappenschnitt  unter  gleichzeitiger 
Ausschneidung  eines  Irisstückes.  Letztere  erscheint  insbesondere  nothwendig, 
wenn  der  staarige  Zerfall  noch  nicht  weit  vorgeschritten  ist  und  wegen 
drohendem  Flottu: erden  des  Splitters  auch  nicht  abgewartet  werden  darf. 
Ist  der  fremde  Körper  in  das  Corpus  ciliare  eingedrungen  und  sitzt  er 
daselbst  fest,  was  sich,  abgesehen  von  dem  Wundorte,  öfters  direct  durch 
die  Sonde  ermitteln  oder  aus  der  Empfindlichkeit  der  betreffenden  Stelle 
gegen  leisen  Druck  errathen  lässt,  so  muss  unmittelbar  darauf  eingeschnitten 
und  der  Schnitt  nach  Richtung  und  Länge  dem  Zwecke  der  Extraction 
mögüchst  genau  angepasst  werden. 

Steckt  der  fremde  Körper  im  HintertheHe  des  Binnenraumes,  so  kömmt 
es  vorerst  darauf  an,  sich  über  seine  Lage  thunlichst  zu  orientiren. 
Anfänglich  kann  er  öfters  noch  mit  dem  Augenspiegel  wahrgenommen  werden, 
oder  man  erkennt  seinen  Sitz  aus  einer  dichten  umschriebenen  klumpigen 
Glaskörpertrübung.  Später  ist  diese  oft  schon  sehr  atisgebreitet,  diffus  und 
verhüllt  alles  vollständig.  Ein  Sondiren  der  Eingangswunde  ist  dann  sehr 
geföhrlich,  weil  der  vielleicht  unmittelbar  dahinter  hegende  Splitter  leicht 
losgestossen  und  tiefer  in  den  Binnenraum  hineingedrängt  werden  kann. 
Mitunter  hilft  wieder  das  Betasten  der  Sclera  mit  einem  Sondenknopfe 
aus,  indem  sich  der  Sitz  des  fremden  Körpers,  falls  er  nahe  an  der  äusseren 
Bulbuswand  hegt,  gerne  durch  eine  aufiallige  Empfindlichkeit  der  bezüg- 
lichen Lederhautpartie  andeutet.  Bisweilen  findet  man  diese  der  Einschlags- 
wunde gerade  gegenüber  und  erhält  so  einen  Fingerzeig  dafür,  dass  der 
Spütter  dturch  den  Glaskörper  hindurch  bis  zum  entgegengesetzten  Theile 
der  Bulbuskapsel  vorgedrungen  sein  mag.  In  der  Mehrzahl  der  FäUe  jedoch 
lagert  der  fremde  Körper  am  Boden  der  Glaskörperhöhle  etwas  vor  dem 
Aequator  (S.  158,  Berlin).  Ist  die  Lage  des  Eindringlings  halbwegs  fest- 
gestellt, so  kann  die  Lederhaut  in  nächster  Nähe  desselben,  am  besten 
parallel  dem  Comealrande,  eingeschnitten  werden,  wobei  man  jedoch  wegen 
dem  Laufe  der  hinteren  langen  Ciliargefässe  wohl  thut,  den  horizontalen 
Meridian  des  Auges  zu  meiden.  Es  entleert  sich  hierauf  ein  Theil  des 
Glaskörpers  entweder  von  selbst  oder  unter  einem  leichten  Drucke,  welchen 
man  mittelst  eines  an  geeignetem  Orte  der  Sclera  angelegten  Daviel'schen 
Löffels  atif  das  Auge  wirken  lässt.  Oft  folgt  auch  schon  der  fremde  Körper, 
oder  legt  sich  nahe  an  die  Schnittwunde,  so  dass  er  gefasst  werden  kann. 
Widrigenfalls  bleibt  freilich  nichts  übrig,  als  ihn  mit  den  Armen  der  Zange 
zu  suchen  und  hervorzuholen.  Im  Ganzen  jedoch  scheint  man  besser  zu 
fahren,  wenn  man  sich  den  Zugang  zur  Glaskörperhöhle  durch  die  lineare 
Extraction  der  Linse  beschafft   (Graefe,   Berlin). 


Directe  Behaiullung.  375 

Es  lässt  sich  iiiclit  liiugnen,  dass  nach  ciiieni  solchen  Miiigriifo,  namont- 
üch  wenn  sich  der  Aiisziehiing  grosse  Schwierigkeiten  in  den  Weg  legen, 
wenn  sehr  viel  Glaskörper  heransÜiesst,  oder  reichliche  Blutungen  eintreten, 
der  Augapfel  sehr  häufig  ebenfalls  durch  Eiterung  zu  Grunde  geht.  Immcr- 
liin  geluigt  es  bisweilen,  einen  Theil  der  EunctionstüchtigkeiL  oder  wenigstens 
die  Form  des  Auges  zu  erhalten  und  im  schlimmsten  Falle  läuft  der  Kntzün- 
dungsprocess  rascher  und  unter  weit  milderen  Erscheinungen  ab,  gefährdet 
nicht  so  leicht  den  zweiten  Bulbus  und  setzt  einen  Stumpf,  welcher  weit 
weniger  empfindlich  und  zu  neuerlichen  Entzündungen  minder  geneigt  ist, 
als  wenn  der  Splitter  im  Auge  sitzen  bleibt. 

Im  Falle  der  fremde  Körper  trotz  aller  Mühe  nicht  gefunden  und 
gefasst  werden  konnte ,  gebietet  die  Rücksicht  auf  die  bevorstehenden 
dauernden  Leiden  des  Kranken  und  die  Gefahr  für  das  zweite  Auge,  den 
fruchtlosen  Extractionsversuchen  unverweilt  die  Enucleation  des  Augapfels 
nachfolgen  zu  lassen.  Diese  letztere  Operation  soll  daher  von  vorneherein 
schon  in  Aussicht  genommen  und  der  Kranke  auf  die  eventuelle  Nothwendig- 
keit  derselben  aufmerksam  gemacht  werden. 

Die  schlechteste  Politik  ist  jedenfalls,  mit  der  Entfernung  des  fremden 
Körpers  zu  zaudern  und  sich  etwa  mit  der  Hoffnung  auf  die  Ausstossung 
desselben  durch  Eiterung  (Tetzer)  odel*  auf  eine  dauernde  Einkapselung  zu 
tragen,  da  mit  dem  Fortschreiten  der  Entzündung,  besonders  bei  der  Neu- 
bildung dichterer  Hüllen  und  deren  ^"erwachsung  mit  den  Binnenoi'ganen, 
die  Bedingungen  für  eine  Extraction  immer  ungünstiger  werden  und  diese 
am  Ende  ganz  unausführbar  wird  ;  weiterhin  aber  die  Leiden  des  Patienten 
und  die  Bedrohung  des  zweiten  Auges  schliesslich  doch  die  Ausschälung 
des  Bulbus  zur  unabiüeisbaren  Nothtvendigkeit  machen  können. 

2.  Die  directe  Behandlung  ist  im  Wesentlichen  eine  entzündungswidrige. 
Das  Verfahren  richtet  sich  vornehmlich  nach  dem  jeiveiligen  Charakter  des 
Processes.  Bei  geringer  Hyperämie,  leichter  ödematöser  Schwellung  der 
Umgebungen  des  Augapfels,  bei  schwacher  oder  ganz  fehlender  örtlicher 
Temperaturerhöhung  genügt  es,  neben  gewissenhafter  Erfüllung  der  Causal- 
indication  den  kranken  Bulbus  mit  einem  trockenen  lÄlppchen  oder  einem 
Schutzverbande  zu  bedecken.  B'ei  stärkerer  Hyperämie  und  Schwellung  der 
Theile  und  merklicher  Temperatursteigerung  sind  zeitweilig  und  nach  Bedarf 
kalte  lieber  schlage  zu  appliciren.  Diese  können  nöthigenfalls  auch  durch 
örtliche  Blutentziehungen  unterstützt  werden.  Wo  indessen  die  nervöse  Reizimg 
vorwiegt,  oder  die  Ciliarneurose  gar  ausser  Verhältniss  zu  den  übrigen  Ent- 
zündungssymptomen ist,  pflegen  laue  Ueberschläge  besser  zu  bekommen. 
Wo  sie  nicht  genügen,  ist  die  Anwendung  der  Narcotica  zu  empfehlen. 
Bei  wahrhaft  sthenischem  Charakter  der  Entzündung  ist  continuirliche  und 
energische  Anwendung  von  Eisüberschlägen,  wiederholte  Application  von  Blut- 
egeln, Verabreichung  innerlicher  kühlender  Mittel,  absolute  antiphlogistische 
Diät,  mitunter  auch  wohl  die  Anwendung  der  Narcotica  nothwendig. 

3.  Es  reicht  dieses  Verfahren  jedoch  nur  so  lange  aus,  als  der  intra- 
oculare  Druck  keine  beträchtliche  Steigerung  erlitten  hat  und  es  auch  zu 
keiner  massigen  Eiteransammlung  oder  zu  reichlichen  Hümorrhagien  im  Ivmeren 
des  Auges  gekommen  ist. 

Wo  die  Härte  des  Bulbus  fühlbar  zunimmt,  oder  sich  ein  massigeres 
Hypopyum  in  der  Kammer  zeigt,  muss  die  Cornea  ohne  Zaudern  paracentesirt, 


376  Chorioiditis  suppurativa;  Bebandlung  ;  Paracentesis ;  Nachliehandlung. 

und  diese  Operation  nöthigenfalls  mehrmals  wiederholt  werden,  will  man 
die  gänzliche  Zerstörung  des  Augapfels  hindern  und  den  Kranken  von 
seinen  oft  wüthenden  Schmerzen  befreien. 

Hat  man  Grund,  einen  nur  einigermassen  umfangreicheren  Eiterherd 
oder  massenhafte  Blut  austretungen  im  Bereiche  des  hinteren  Augenraumes  zu 
vermuthen,  dehnt  sich  vielleicht  gar  schon  die  Sclerotica  stellenweise  aus, 
so  ist  keine  Zeit  zu  versäumen,  sondern  allsogleich  ein  meridionaler,  mehrere 
Linien  langer  Einstich  in  die  Lederhaut  zu  machen,  und  so  unter  Abspannung 
der  äusseren  Bulbuskapsel  ein  Ausweg  für  den  Eiter  zu  schaifen. 

4.  Steht  dem  Ausflusse  des  Eiters  kein  Hinderniss  mehr  im  Wege,  so 
muss  je  nach  der  Intensität  des  noch  vorhandenen  Entzündungspro cesses 
entweder  ein  blosser  Druchverhand  angelegt  und  ein  entzündungswidriges 
Regimen  eingehalten  werden,  oder  es  wird  ein  eingreifenderes  antiphlogisti- 
sches   Verfahren  nothwendig. 

In  Fällen,  in  welchen  die  Eiterung  schon  weiter  gediehen  ist,  so  dass 
die  Phthise  des  Bulbus  unvermeidlich  scheint,  empfehlen  sich  ganz  besonders 
warme  feuchte  Ueberschläge ,  gleichviel  loelches  der  Charakter  des  Pi'ocesses 
sei.  Sie  sind  dem  Ki-anken  oft  angenehmer  als  kalte  Fomente,  fördern  wohl 
auch  die  Eiterung  und  kürzen  sonach  die  Dauer  des  Processes  ab. 

5.  Sollte  sich  die  Eiterung  sehr  in  die  Länge  ziehen  und  vermöge  einer 
übermässigen  Production  dem  Kräftezustande  des  Kranken  verderblich 
werden,  oder  ein  andauerndes  qualvolles  Leiden  begründen  und  damit 
etwa  gar  den  zweiten  Bulbus  gefährden,  so  ist  es  vielleicht  gerechtfertiget, 
wenn  man  zur  Ausschälung  des  Bulbus  schreitet.  Die  Vermuthung  eines 
fremden  Körpers  im  Binnenraume  verschärft  die  Indication.  Doch  ist  es 
immer  klug,  einen  Nachlass  der  heftigen  Entzündungserscheinungen  abzu- 
warten, da  die  Operation ,  während  dem  Höhestadium  des  Processes  vorgenom- 
men, gerne  übermässige  Reactionen  nach  sich  zieht  und  in  einigen 
Fällen  sogar  den  Tod  des  Kranken  durch  Fortpflanzung  der  Entzündung 
auf  das  retrobulbäre  Zellgewebe  und  consecutive  Meningitis  herbeigeführt 
hat  (Graefe). 

6.  Hat  die  Litensität  des  Entzündungsprocesses  sehr  abgenommen  und 
befindet  sich  der  im  Inneren  des  Bulbus  abgesonderte  Eiter  bereits  auf 
dem  Wege  der  Resorption,  oder  ist  die  Eiterung  unter  allmäliger  Schrumpfung 
des  Augapfels  bereits  sparsam  geworden,  so  genügt  immer  ein  einfacher 
Druckverband.  Er  ist  zu  tragen,  bis  entweder  Heilung  eingetreten,  oder 
der  Augapfel  atrophisch  oder  phthisisch  zusammengeschrumpft  ist.  Er 
hält  die  äusseren  Schädlichkeiten  vom  Auge  fern,  beschränkt  einiger- 
massen die  Gewebswucherung,  befördert  die  Eesorption,  verkleinert  auch 
die  eiternde  Fläche  und  begünstigt  gegenseitige  Verwachsungen  der  sich 
berührenden  entzündeten  Theile.  Xur  wenn  eine  bedeutende  Erschlaffung 
und  krankhafte  Secretion  der  Bindehaut  zu  bekämpfen  sind ,  werden 
nebenbei  adstringirende  Mittel  anzuwenden  sein. 

7.  Ist  der  Augapfelstumpf  gegen  Betastung  der  Ciliar gegend  sehr 
empfindlich,  gelangt  er  eigentlich  nie  zur  völligen  Euhe,  wiederholen  sich 
öfters  ohne  äussere  Veranlassungen  Anfälle  von  heftiger  Ciliarneurose  oder 
förmliche  Entzündungen,  oder  steht  gar  schon  eine  Betheiligung  des  anderen 
Auges  in  Aussicht ,  so  ist  die  Enucleation  des  Stumpfes  dringend  anzu- 
rathen. 


Quellen;  Sclera;  Anatomie.  377 

Entwickelt  sich  in  einem  solchen  Stumpfe  plötzlich  ein  unter  lebhafter 
Gefäss-  und  Nervenreizung  einhergehender  Eiterungsprocess,  welcher  den 
gewölinlichen  antiphlogistischen  Mitteln  widersteht,  so  thut  man  vorerst 
am  besten,  durch  einen  Einstich  in  den  Bulbus  eine  theilweise  Entleerung 
des  Inhaltes  zu  erzwingen.  Die  Leiden  des  Kranken  werden  solchei-masscn 
oft  rasch  beschwichtigt  und  die  Entzündung  geht  unter  Anwendung  lauer 
Ueberschläge  leicht  zurück.  Hat  man  Grund,  Wiederholungen  des  Anfalles 
zu  fürchten,  so  kann  man  dann  immer  noch  die  Entfernung  des  Stumpfes 
durch  Enucleation  bewerkstelligen,  ohne  die  Gefahr  einer  übermässigen 
Eeaction  zu  laufen. 

Quellen:  Graefe  und  Schweigger,  A.  f.  O.  VI.  1.  S.  134,  144,  145,  154;  VI. 
2.  S.  2(51,  267,  276.  —  Graefe,  A.  f.  O.  I.  1.  S.  406,  408,  411;  III.  2.  S.  337,  353, 
418;  IX.  2.  S.  79;  XIV.  2.  S.  120;  3.  S.  146;  kl.  Monatbl.  1863.  S  456;  1865. 
S.  384.  —  Heymann,  A.  f.  0.  VII.  1.  S.  127.  —  Ed.  Jaeger,  Oesterr.  Zeitschrft.  f. 
prakt.  Heilkd.  1857.  Nr.  2.  —  Schön,  Beiträge  zur  prakt.  Augenheilkunde.  Ham- 
burg. 1861.  S.  92,  107.  —  Zander  und  Geissler,  Die  Verletzungen  des  Auges. 
Leipzig  und  Heidelberg.  1864.  S.  202,  211,  213.  —  Boissonneau  und  Cnnier,  nacfi 
Zander  1.  c.  S.  18.  —  Rothimmd,  Jahresbericht  1861/2.  München.  S.  19.  —  Schir- 
mer, kl.  Mntbl.  1865.  S.  275,  -277.  —  Kreitmair,  ibid.  S.  384;  Aerzt.  lutelligenzbl. 
f.  Baiern.  1865.  Nr.  21,  22.  —  Knapp,  kl.  Monatbl.  1865.  S.  378;  Canstatt's 
Jahresbericht.  1864.  III.  S.  144;  A.  f.  O.  XIII.  1.  S.  127,  173.  —  Jacohi,  A.  f.  O. 
XL  3.  S.  156,  162,  165;  XIV.  1.  S.  138,  142.  —  Lindström,  nach  Jacobi  1.  c.  — 
Virchoiü,  dessen  Archiv.  X.  S.  181.  —  Nagel,  A.  f.  O.  VI.  1.  S.  220.  —  Arlt,  Zeit- 
schrift der  Wien.  Aerzte,  1859.  S.  149.  —  Critchett,  kl.  Mntbl.  1863.  S.  440,  442.— 
Tetzer,  Wiener  med.  Jahrb.  1866.  4.  S.  9,  11.  —  Wecker,  kl.  Monatbl.  1867. 
S.  36.  —  Biermann,  ibid.  1869.  S.  146.  —  Berlin,  A.  f.  O.  XIII.  2.  S.  275,  298; 
XIV.  2.  S.  275,  279,  319,  324;  Arch.  f.  Aug.  u,  Ohrenheilkde.  L  S.  150.  —  Schiess- 
Gemuseus,  A.  f.  O.  XIII.  2.  S.  389.  —  Wilson,  Prag.  Vierteljahrschrift.  97.  Bd. 
Ann.  S.  66.  —  Diichek,  Wien.  med.  Jahrb.  1868.  5.  6.  S.  30,  31.  —  Eudneio, 
Burzew,  Virch.  Arch.  41.  Bd.  S.  73. 


SIEBENTER  ABSCHNITT. 

Die  Entzündung  der  Lederhaut,  Scleritis. 


Anatomie.  Die  Lederhaut,  Sclerotlca,  Sclera,  weisse  oder  harte  Haut 
des  Auges,  bildet  eine  sehr  zähe  und  feste,  wenig  dehnbare  elastische 
Kapsel,  welche  allenthalben  der  Aderhaut  und  dem  Ciliarkörper  sehr  enge 
anschliesst  und  mit  diesen  Gebilden  in  organischer  Verbindung  steht.  Sie 
besteht  aus  Bindegewebe,  dessen  Elemente  zu  breiten  Bändern  vereinigt  in 
der  ganzen  Dicke  der  Membran  ziemlich  regelmässig  abwechselnd  der 
Länge  und  Quere  nach  verlaufen  und  so  auf  senkrechten  Durchsclmitten 
eine  Art  lamellösen  Baues  hervortreten  lassen ,  dessen  einzelne  Schichten 
jedoch  vielfach  mit  einander  zusammenhängen.  Ln  Allgemeinen  kann  man 
sagen,  dass  die  Streichung  der  Fasern  in  den  äusseren  Schichten  vor- 
waltend meridional,    in  den    inneren  vorwaltend  aequatorial   sei.     Eingewebt 


3/8  Sclera;  Anatomie;  Schleram'scher  Kanal;  Hinterer  Scleralkranz. 

dariu  findet  sich  ein  feiues  und  dichtes  Netz  elastischer  Elemente,  welches 

nach  innen  hin  immer  enger  wird  und  die  Lederhaixt  gegen  die  Chorioidea 

abschliesst    (Henle).     Von    ihm    gehen    zahlreiche    elastische    Fäden    in    die 

Aderhant  ein.  Zwischendurch   lagert  in  dem  Gefüge    allenthalben  körniges 

Pigment  in  Klümpcheu ,    die    ihrer    Gestalt    nach    an    die  Stromazellen  der 

Uvea  erinnern. 

In  einzelnen  seltenen  Fällen  häuft  sicli  das  Pigment  in  der  innersten  imd 
äussersten  Schichte  des  Scleralgefüges,  so  dass  das  Weisse  des  Auges  fleckweise 
ein  dunkles,  hläulichgraues  oder  schieferähnliches  Colorit  bekömmt  (Talko). 

Am  vorderen  Rande  gehen  die  Bindegewebsfasern  der  Sclera  unmittel- 
bar in  jene  der  Hornliaut  über,  wandeln  sich  in  Cornealelemente  um.  Sie 
haben  daselbst  einen  fast  ausschliesslich  aequatorialen  Verlauf  und  bilden 
so  einen  festen  Reif,  welcher  den  Eaud  der  Hornhaut  umfasst.  Von  dem 
elastischen  Netze  dieses  Reifes  gehen  einzelne  Fasern  in  Begleitung  von 
Gefässen  und  Nerven  in  die  Hornhautsubstanz  ein.  Vor  dem  Ringe,  aber 
noch  innerhalb  des  Lederhautgefüges  und  ganz  nahe  der  inneren  Fläche  der 
Sclera,  weichen  die  Bindegewebsbündel  auseinander,  um  den  Plexus  eiliaris 
venosus  aufzunehmen,  welcher  früher  als  Schlemm' scher  Kanal  (Fig.  2, 
S.  54:  p)  beschrieben  wurde.  Es  setzt  sich  dieses  Geflecht  aus  einer  Anzahl 
feiner  Venen  zusammen,  von  welchen  die  eine  in  der  Regel  die  anderen 
an  Umfang  übertrifft  (Iwanoff,  Rollet).  Es  läuft  dasselbe  rings  um  die 
Peripherie  der  Cornea  und  stellt  einerseits  mit  den  Venen  des  Ciliar- 
muskels,  andererseits  mit  dem  oberflächlichen  Blutadernetze  der  Sclerotica 
in  Verbindung  (Leber,  Winther).  Es  wird  von  einer  mehrschichtigen  Lage 
einer  feinfaserigen  elastischen,  der  inneren  Gefässhaut  ähnlichen  Membran 
begrenzt  (Henle). 

Nach  hinten  hin,  iu  unmittelbarer  Nähe  des  Sehnerveneintrittes,  ist 
die  Lederhaut  am  dicksten,  da  sich  hier  die  äussere  Scheide  des  Opticus 
anlegt  und  in  directen  Verband  mit  dem  Scleralgefüge  tritt.  Innerhalb 
dieser  Lederhautpartie  liegt,  den  Nervenkopf  umkreisend,  der  hintere  Scleral- 
gefüsskram  (Ed.  Jaeger).  Er  wird  von  zwei  oder  mehreren  kleinen  Gefässen 
gebildet,  welche  nahe  dem  von  der  Scheide  des  Nerven  und  der  Sclera 
gebildeten  Winkel  in  die  Lederhaut  eintreten  und  in  ihrem  Laufe  um 
den  Nervenkopf  herum  zahlreiche  Aeste  sowohl  zu  diesem,  als  auch  zur 
Aderhaut  abgeben,  somit  eine  directe  Verbindung  des  Ciliargefässsystems 
mit  jenem  der  Netzhaut  herstellen  (Leber).  Ihre  Verzweigung  wechselt 
sehr  und  so  kömmt  es,  dass  der  Kranz  öfters  sehr  unvollständig  oder  gar 
nicht  ausgebildet  ist. 

Ausserdem  wird  die  Lederhaut  von  einer  grossen  Anzahl  von  Kanälen 
durchbohrt,  welche  den  Gefässen  und  Nerven  der  Uvea  (S.  309)  den  Ein- 
und  Austritt  gewähren  und  gleich  dem  Schlomm'schen  von  dichten  Netzen 
elastischer  Fasern  umsponnen  sind  (Henle).  An  der  vorderen  und  hinteren 
Zone  sind  diese  Emissarien  besonders  dicht  an  einander  gedrängt,  aber  fein 
und  ihre  Richtung  ist  meistens  ziemüch  senkrecht  auf  die  Oberfläche.  Näher 
dem  Aequator  sind  sie  spärlicher,  aber  von  grösserem  Caliber  und  gehen 
sehr  schief  durch  die  Membran. 

])ie  Sclerotica  enthält  viele  Nerven,  welche  in  Bündel  geordnet  und 
vielfach  mit  einander  anastomosii'end  ein  weitmascliiges  Netz  bilden.  Die 
meisten  dieser  Nerven  dringen,  nachdem  sie  eine  Strecke  weit  in  der 
Lederhaut  verlaufen    sind,    durch,  um  zu    den    Binnenorganen  zu  gelangen. 


Scleralgefiisse ;  Episclcralgewebe;  Senile  Veriindcniiippii.  379 

Eine  Anzahl  derselben  jedoch  endet  im  S der aJ gefüge  selber,  nachdem  sie 
ihre  Markscheide  verloren  und  sicli  in  feinste  Fasern  zugeschärft  haben 
(Helfreich).  Nicht  minder  verzweigen  sich  in  der  Sclerotica  zarte  Gefässe, 
welche  aus  den   Ciliargefässen  stammen. 

Die  äussere  Oberfläche  der  Sclera  löst  sich  in  ein  Stratum  flockigen 
Bindegewebes  auf,  welches  am  mittleren  und  hinteren  Umfange  der  Leder- 
haut sparsamer,  locker  und  zottenähnlich  ist  und  die  Verbindung  mit  der 
Scheidenliaut  des  Auges  herstellt;  am  vorderen  Ende  aber  kurzfaseriger, 
dichter  erscheint  und  unmittelbar  in  das  subconjunctivale  Gewebe  über- 
geht. Man  kann  diese  Schiclite  Episcleralgewebe  heissen.  Sie  enthält  ein 
sehr  feines  und  dichtes  Adernetz,  welches  grossentheils  aus  den  in  diesem 
Gewebe  streichenden  Ciliar gefäss stammen  gespeiset  wird.  Am  Umfange  der 
Hornhaut  ist  das  Episcleralgewebe  sehr  stark  entwickelt  und  ganz  besonders 
gefässreich,  so  zwar,  dass  es  sich  bei  stärkeren  Hyperämien  wulstartig  her- 
vorwölbt und  dann  als    Gefässkranz  beschrieben  wird. 

Im  gesunden  Zustande  wnci  namentlich  bei  jugendlichen  Individuen  sieht  man 
von  diesen  Gefässen  meistens  blos  die  vorderen  Clliararterien ,  welche  gewöhnlich 
zu  zweien  von  den  Stämmen  der  4  geraden  Augenmuskeln  ausgehen,  sehr  geschlän- 
gelten Laufes  in  der  Richtung  dieser  Muskeln  nach  vorne  ziehen  und  sich  ein-, 
seltener  zweimal  theilen,  um  dann  mit  12  oder  15  Aesten ,  '/j — ^  Mill.  von  dem 
Cornealrande  entfernt,  in  die  Lederhaut  einzutreten.  Da  sie  von  der  Bindehaut 
bedeckt  werden,  erscheinen  sie  ziemlich  dunkel  gefärbt.  Das  ausserordentlich  zarte 
Nelz^  durch  welches  sie  unter  einander  anastomosiren,  wird  nur  bei  einer  Reizung 
des  Auges  sichtbar,  Ist  eine  solche  Gelegenheit  zu  stärkerer  Gefässeinspritzung 
gegeben,  so  treten  meistens  auch  die  sonst  unsichtbaren  subconjunctivalen  oder 
episcleralen  Venen  heraus.  Sie  bilden  ein  zartes,  durch  bläuliche  oder  violette  Farbe 
ausgezeichnetes  Geflecht  um  die  Hornhaut  herum,  in  welchem  sich  deutlich  stärkere 
Aeste  unterscheiden  lassen,  die  theils  bogenförmig  die  Peripherie  der  Cornea  um- 
greifen, theils  baumartig  verzweigt  erscheinen,  theils  direct  aus  der  Lederhaut  her- 
vortreten und  sämmflich  in  stärkere  Stämme  übergehen,  welche  vrnter  zahlreichen 
gegenseitigen  Anastomosen  in  wenig  geschlängelter  Richtung  nacli  hinten  ziehen, 
um  dann  in  der  Uebergangsfalte  zu  verschwinden.  Es  sind  diese  Gefässe ,  sowohl 
Blut-  als  Schlagadern,  wegen  der  Straft'heit  des  Gefüges,  in  welchem  sie  lagern, 
loenig  oder  nicht  verschieblich  und  unterscheiden  sich  dadurch  wesentlich  von  den 
überlagernden  Gefässen  der  Bindehaut,  mit  denen  sie  jedoch  theilweise  in  Vei'bin- 
dung  stehen  (Leber,  Donders). 

Senile  Veränderungen.  Die  Greiseninvolution  der  Lederhaut  äussert 
sich  vornehmlich  durch  Verminderung  der  dem  Gefüge  eigenthümlicheu 
elastischen  Dehnbarkeit  und  wird  so  Veranlassung  zu  Aenderungen  der 
haemostatischen  Verhältnisse,  welche  bei  Gegebeusein  krankmachender 
Ursachen  gerne  zu  glaucomatosen  Processen  führen  (S.  348).  Der  materielle 
Grund  dieser  Elasticitätsabnahme  steht  im  Zusammenhange  mit  Kalk- 
ablagerungen, welche  bei  alten  Leuten,  namentlich  im  hinteren  Theile  der 
Lederhaut,   niemals  fehlen  sollen  (Donders). 

Nosologie.  Die  Entzündung  der  Sclerotica  charakterisirt  sich  durch 
Anhäufung  junger  Zellen,  welche  sieh  durch  Theilung  und  Endogeuese 
vervielfältigen,  die  Intercellularsubstanz  mehr  imd  mehr  verdrängen  und 
dann  auf  Durchschnitten  in  Gestalt  von  Nestern  eingelagert  erscheinen.  Die 
Intercellularsubstanz  scheiiit  dabei  wenig  in  ihrem  Gefüge  alterirt  zu  werden. 
Nur  bei  in-  und  extensiven  Processen  trübt  sich  dieselbe  durch  mole- 
culare  Niederschläge  und  mehr  minder  reichliche  Ausscheidungen  von 
körnigem  Fette;  auch  wird  dann  eine  gewisse  Auflockerung,  eine  Art 
Aufquelluug    durch    seröse    Flüssigkeit    mit     daheriger    Verminderung     der 


380  Scleritis:  Nosologfie;  Herpes:  Episcleritis ;  Sclerocliorioiditis. 

normalen  Eesistenz ,  und  einige  Vermehrung  des  Blutgehaltes  auffällig. 
Am  Lebenden  wird  das  Vorhandensein  einer  Scleritis  häufig  übersehen 
oder  doch  erst  in  den  Ausgängen,   Ectasie   oder  Atrophie,   erkannt. 

Doch  kommen  allerdings  auch  Fälle  vor,  wo  unter  einem  rapiden 
Wucherungspro cesse  das  eigenthümliche  Gefüge  der  Sclerotica  nach  vor- 
läufiger starker  Auflockerung  und  molecularfettiger  Trübung  stellenweise 
fast  ganz  untergeht ,  und  dann  in  eine  matsche ,  in  Fetzen  zerreissliche, 
brüchige  eitergelbe  Masse  verwandelt  wird,  welche  entweder  den  Charakter 
des  Eiters  oder  zerfliessenden  Tuberkels  (S.  320)  trägt  und  von  den 
eigentlichen  Elementen  der  Sclerotica  kaum  mehr  eine  Spur  erkennen  lässt. 

Es  ist  ungewiss,  ob  die  Scleritis  jemals  selbständig  aufzutreten  ver- 
möge :  bisher  ist  sie  nämlich  stets  nur  in  Begleitung  mid  Abhängigkeit  von 
Entzündungen  der  nachbarlichen  gefässreicheren  Gebilde  nachgewiesen  worden. 
Neben  diesen  Processen  ist  sie  aber  eine  ganz  gewöhnliche  Erscheinung. 

In  der  That  scheint  es,  dass  jede  nur  einigermassen  heftigere  Ent- 
zündung der  Hörn-  und  Bindehaut  sich  constant  mit  Scleritis  vergesell- 
schafte. NameutUch  verläuft  kaum  eine  Blenorrhöe,  Diphtheritis,  ohne 
dass  es  zu  nachweisbaren  Zellenliäufungen  in  dem  vorderen  Scleral- 
theile  käme. 

Ebenso  ist  auch  der  Conjunctivalherpes  gar  nicht  selten  von  entzünd- 
lichen Infiltrationen  des  Scleralbindegewebes  und  namentlich  der  Episclera 
begleitet.  In  manchen  Fällen  entwickeln  sich  innerhalb  dieser  Herde 
dichtere  umschriebene  Knoten ,  welche  unzweifelhaft  die  Bedeutung  her- 
petischer Effloreszencen  haben  und  mehr  weniger  tief  in  das  derbe 
eigentliche  Lederhautgefüge  eingreifen.  Es  sind  diese  Knoten  dann  mannig- 
faltiger Ausgänge  fähig.  Oefters  nämlich  bilden  sie  sich  einfach  zurück.  In 
anderen  Fällen  obsolei-ciren  sie ,  werden  sehnen-  oder  knorpelartig,  oder 
verkalken  förmlich.  Manchmal  vereitern  sie,  bilden  kleine  subconjunctivale 
Abcesse,  welche  sich  rasch  ausbreiten.  In  einzelnen  Fällen  endlich  kömmt 
es  zu  tiefgreifenden  Verschwärungen,  welche  zu  partiellen  Scleralectasien 
oder  gar  zu  Vorfällen  der  Uvea  führen  können. 

Es  scheint,  dass  dieser  Process  es  ist,  welchen  man  mehrseitig  als  Episcleritis 
beschrieben  hat  (Mooren,  Mannhardt).  Mehr  Berechtigung  zu  diesem  Namen  scheint 
eine  andere,  viel  seltenere  Krankheitsform  zu  haben,  welche  sich  durch  ihren 
chronischen  Verlauf,  durch  äusserste  Hartnäckigkeit  so  wie  durch  Neigung  zu 
Recidiven  sehr  lästig  macht  und  durch  ein  mehr  diffuses  gelbliches  gelatinöses  Product 
auszeichnet.  Es  entwickelt  sich  das  letztere  unter  den  Erscheinungen  leichter 
Ciliarreizung  bei  starker  lujection  des  Episcleralgefüges  und  ödematöser  Schwellung 
der  Bindehaut.  Es  sammelt  sich  au  einer  oder  mehreren  Stelleu  zu  grösseren 
Mengen  und  hebt  daselbst  die  Conjuuctiva  bulbi  empor  (Heymann). 

In  ganz  ähnlicher  Weise  wird  die  Lederhaut  auch  bei  entzündlichen 
Processen  der  Aderhaut  und  des  Ciliarkörpers  in  Mitleidenschaft  gezogen. 
Es  tritt  dann  die  entzündliche  Gewebsalteration  bisweilen  sehr  deutlich  in 
der  Lederhaut  hervor  und  rechtfertigt  die  Bezeichnung  des  Processes  als 
Sclerochorioiditis. 

Die  Scleritis,  wenn  sie  nicht  zur  Vereiterung  fühi-t,  hinterlässt  häufig 
keine  Spur  ihrer  Existenz.  Mitunter  führt  sie  zu  einiger  Hypertrophie  des 
Gewebes  oder  wohl  auch  zu  einer  partiellen  Sclerose  desselben,  sehr  aus- 
nahmsweise zu  Verkalkungen  (Pagenstecher).  Häufiger  sind  theilweise  Atrophien 
der  Endausgang,  die  Sclera  wird  an  den  betreffenden  Stellen  dünner  und 
scheint  darum  blaugrau  durch.   Selir  oft  ist  die  Scleritis  auch  der  nächste 


Scleralstaphylom ;  Nosologie.  381 

Grund  von  Ausdekmmgen  der  Lederhaut,  indem  sie  durch  Autlockerung  die 
Ilesistcnz  des  Gefüg'cs  bedeutend  vermindert  und  so  dem  intraoculareu 
Drucke  das  Uebergewicht  verschafft. 

Die  Unselbständigkeit  der  Scleritis  macht  eine  genauere  Erörterung 
der  Symptome,  der  Ursachen,  des  Verlaufes  und  der  Therapie  an  diesem 
Orte  überflüssig. 

Quellen:  KölUker,  Mikr.  Anat.  Leipzig.  1852.  II.  S.  606.  —  Ilenle,  Hand- 
buch der  Anat.  Braunsehweig.  1866.  II.  S.  588,  607.  —  Helfreich,  Ueber  die  Nerven 
der  Conj.  und  Sclera.  Würzburg.  1870.  S.  24.  —  Pelechin,  A.  f.  0.  XIII.  2.  S.  423.  — 
Winther,  Experimentalstudien  etc.  Erlangen.  1866.  S.  13.  —  Rollet,  Iwanoff,  A.  f.  O. 
XV.  1.  S.  54.  —  Leber,  Denkschriften  der  Wiener  k.  Akad.  d.  Wiss.  24.  Bd. 
S.  318,  324;  kl.  Mntbl.  1864.  S.  426;  A.  f.  0.  XL  1.  S.  35,  38,  42,  47.  —  Ed. 
Jaeger,  Einstellungen  des  dioptr.  Apparates.  Wien.  1861.  S.  52,  55.  —  Donders,  Vijfdn 
Jaarlijksch  Verslag  etc.  Utrecht.  1864  S.  231,  260;  kl.  Monatbl.  1864.  S.  422; 
A.  f.  0.  IX.  3.  S.  217.  —  Schehke,  A.  f.  0.  X.  2.  S.  33.  —  Wedl,  Atlas,  Cornea- 
Sclera.  —  Sichel,  A.  f.  O.  III.  2.  S.  226.  —  Graefe,  ibid.  S.  409.  —  Fugenstecher, 
ibid.  VII.  1.  S.  117.  —  Talko,  kl.  Monatbl.  1869.  S.  204,  209.  —  Biermann,  ibid. 
S.  91,  97.  Schiess-Gemuseus,  ibid.  1867.  S.  83.  —  Knapp,  A.  f.  O.  XIII.  1.  S.  136.  — 
Mannhardl,  ibid.  XIV.  3.  S.  26.  —  Stavenhagen,  kl.  Beob.  Riga.  1868.  S.  69,  77.  — 
Mooren,  Ophth.  Beob.  Berlin.  1867.  S.  111.—  Hegmann,  Ophthalmolog.  1868.  S,  22. 


Das  Scleralstaphylom. 


Nosologie.  Die  Entwickelung  eines  Scleralstaphyloms  setzt  erstens 
eine  Verminderung  der  normalen  Resistenz  der  Lederhaut,  zweitens  aber  den 
Fortbestand  des  normalen  intraocularen  Druckes  voraus  (S.  1,  132).  Ver- 
stärkungen dieses  Druckes,  wie  selbe  bisweilen  durch  Vermehrung  des 
Bulbusinhaltes  sowie'  durch  kräftige  gleichzeitige  Zusammenziehungen  der 
vier  geraden  Augenmuskeln  bedingt  werden,  begünstigen  wesentlich  solche 
Ausdehnungen. 

Es  genügt  bei  Entzündlicher  Auflockerung  der  Bulbuskapsel  schon  der 
normale  intraoculare  Druck,  um  derlei  Ectasien  zu  begründen.  Nimmt  nämlich  die 
Resistenz  der  Bulbuskapsel  und  sohin  auch  der  Widerstand  ab,  welchen  der  Sei- 
tendruck in  den  Binnengefässen  findet,  so  muss  bei  unverminderter  Triebkraft  des 
Blutes  das  intraoculare  Stromgebiet  sich  so  lange  erweitern,  oder  Flüssigkeiten  in 
den  Augapfelraum  ausscheiden,  als  die  Spannung  der  Bulbuskapsel  mit  dem  intra- 
ocularen Drucke  nicht  ins  Gleichgewicht  gekommen  ist,  mit  anderen  Worten:  es 
muss  der  Binnenraum  so  lange  wachsen,  bis  die  Cornea  und  Sclera  der  weiteren 
Dehnung  einen  Widerstand  entgegensetzen,  welcher  dem  intraocularen  Drucke  die 
Wagschale  hält.  Je  grösser  der  letztere,  um  so  mehr  wird  die  Dehnung  der  Sclera 
vorgeschritten  sein  müssen,  ehe  jenes  Aequilibrium  herbeigeführt  ist,  um  so  rascher 
wird  sich  die  Ectasie  entwickeln  und  um  so  beträchtlicher  wird  sie  sein. 

Es  sind  diese  Ectasien  jedoch  niemals  auf  die  Lederhaut  beschränkt; 
immer  wird  das  entsprechende  Stück  der  Chorioidea  mit  ausgedehnt,  da 
Sclera  und  Aderhaut  ihrer  ganzen  Fläche  nach  in  innigem  organischen 
Zusammenhange  mit  einander  stehen ;  daher  denn  auch  der  Name  Sclero- 
chorioidalstaphglom  ein  mehr  bezeichnender  ist.  Gewöhnlich  indessen  benützt 
man  diesen  Namen  nur  für  jene  Ectasien,  welche  ihren  nächsten  Grund 
in  entzündlichen  Geivebslockerungen  der  genannten  Eormhäute  finden,  oder 
doch  entzündlich  alterirte  Theile  zum  Substrate  haben,  und  stellt  ihnen  das 
sogenannte  Staphyloma  posticum  Scarpae  gegenüber,  welches  in  seiner  Anlage 
angeboren    wird    und    bei  welchem  die  partielle  ßesistenzverminderung  der 


382 


Totales  Sclerochorioidalstaphylom:  Pathologie. 


Lederhaut    auf    einen    ursprünglichen    Bildungsfehler,    auf   eine  mangelhafte 
Enticickelung  des  Bulbus  zu  beziehen  ist. 

I.  Das  Sclerochorioidalstaphylom. 

Pathologie  und  Krankheitsbild.  Die  Leder-  und  Aderhaut  wird 
bisweilen  ihrem  ganzen  Umfange  nach  ausgedehnt.  In  anderen  Fällen  be- 
schräiLkt  sich  die  Eetasie  auf  einen  oder  den  anderen  Theil  dieser  Mem- 
branen. Man  unterscheidet  daher  totale  und  partielle  Sclerochorioidal- 
staphylome  und  theilt  letztere  je  nach  ihrem  Sitze  in  vordere,  seitliche 
und  hintere. 

a.  Das  totale  Sclerochorioidalstaphylom. 

Es  charakterish't  sich  durch  bedeutende  Vergrösserung  und  Gestalt- 
veränderung des  ganzen  Äugapfels.  Gewöhnlich  nimmt  nämhch  die  Cornea 
oder  eine  die  Hornhaut  ersetzende  Xarbe  unter  der  Form  eines  Kerato- 
globus  (S.  133)  oder  beziehungsweise  eines  Narbenstaphylomes  (S.  142)  an 
der  Ausdehnung  Theil;  daher  man  ein  derartiges  totales  Sclerochorioidal- 
staphylom auch  gerne  mit  dem  Xamen  „durchsichtiges  oder  narbiges  Total- 
staphylom  des  Bulbus"   (S.    133)  belegt. 

Der  Augapfel  erscheint  unter  solchen  Verhältnissen  bald  eiförmig 
(Fig.  45),  bald  verkehrt  eiförmig  (Fig.  46),  bald  walzig,  bald  rundlich, 
bald  ganz  irregulär.  Die  vordere  Scleralöffnung  ist  fast  immer  sehr  stark 
erweitert,  was  eine  beträchtliche  Ausdehnung  des  Strahlenkranzes,   der  Ws 


Fig.  45. 


Fi-.  iR. 


und    Zonula    mit    sich    bringt.      Die  vordere  LederiMur^'jne  stellt   sich  dabei 
in  einen  kleineren  Winkel  zur  optischen  Axe,   oder  wird  dieser  wohl  auch 


Krankheitsl)ilil ;  Aiiatfuiüselie  Voiliältnisse.  383 

parallel,  so  dass  die  Sclerolica  olinc  Chviizfurclio  uiimillelhar  in  die  Periplierie 
der  Cornea  übergeht. 

Vermöge  der  enormen  Vergrössorung  springt  der  Bulbus  aus  der  Orbita 
hervor,  baucht  die  Lider  nach  aussen  und  erschwort  die  Scliliessung  der 
Lidspalto.  An  seiner  Oberfläche  zeigen  sich  einzelne  stark  erweiterte 
CiUargefässstämme.  Die  Sderotica  wird  entsprechend  ihrer  FUlchenzuiiahme 
verdünnti  und  bekömmt  wogen  dem  Durchscheinen  des  dunklen  Augen- 
grundes einen  bläulichen  oder  schiefergrauen  Ton.  Ist  der  dioptrische 
Apparat  durchsichtig  geblieben  und  die  Stellung  zur  Lichtquelle  eine 
günstige,  so  reflectirt  der  des  Pigmentes  grossentheils  beraubte  Augen- 
grund gerne  rothes  Licht  oder  er  leuchtet  förmlich  auf  (Amaurotisches 
Katzenauge).  Das  Sehvermögen  ist  stets  auf  ein  Kleinstes  herabgesetzt, 
gewöhnlich  fehlt  sogar  jede  Lichtempfindung. 

Beim  durchsichtigen  Totalstaphylome  ist  die  mächtig  vorgetriebene 
Cornea  sehr  verdünnt  und  hat  oft  einen  leichten  Stich  ins  Flaschengrüne. 
Der  Limhus  conjunctivalis  ist  sehr  verbreitert,  da  er  an  der  Ectasie  Antheil 
nimmt.  Die  vordere  Kammer  zeigt  sich  in  Tiefe  und  Umfang  sehr  ver- 
grössert,  von  wasserklarem  Humor  aqueus  ausgefüllt.  Die  liegenbogenhaut 
ist  häufig  missfärbig  wegen  vorgeschrittener  Atrophie.  Ihre  Breite  hat 
sehr  zugenommen,  indem  ihr  Ursprungskreis  gewachsen  ist,  während  die 
immer  sehr  träge  oder  ganz  starre  Pupille  nur  wenig  grossere  Durch- 
messer aufweiset.  Nicht  selten  flottiri  die  Iris,  da  die  Linse  wegen  Er- 
weiterung der  vorderen  Scleralöftnung  und  der  damit  verbundenen  Durch- 
reissung  der  Zonula  ihren  Halt  verloren  hat  und  jene  nicht  mehr  zu 
stützen  vermag.  Oft  findet  man  die  Vorderkapsel  sehr  getrübt  von  ent- 
zündlichen Auflagerungen,  mit  dem  Pupillarrande  verlöthet  und  die  Linse 
bereits  staarig  entartet. 

Beim  totalen  Narben staphylome  besteht  selbstverständlich  keine  Vorder- 
kammer, die  Iris  ist  in  dem  den  Bulbus  nach  vorne  abschliessenden  ecta- 
tischen  Narbengewebe  aufgegangen  (S.  143).  Oft  hängt  der  hinteren 
Narbenwand  die  fast  durchwegs  cataractöse  und  nicht  selten  schon  ver- 
kalkte Linse  an,  ist  demnach  weit  aus  ihrem  normalen  Staudorte  heraus- 
gerückt, indem  das  Strahlenblättchen  bei  der  allmäligen  Ausdehnung  der 
vorderen  Augapfelhälfte  durchrissen  und  der  Krystall  nach  vorne  gezogen 
wurde  (Fig.   45,   46). 

Die  weiter  hinten  gelegenen  Binnenorgane  zeigen   sich  bei  beiden  Formen 

des  Totalstaphylomes  immer   weit  vorgeschritten  im  Schwunde.   Dieser  kömmt 

theils  auf  Rechnung  der  voraiisgegangenen  heftigen  Entzündungen,  theils  ist 

er  zweifellos  aus    der  Dehnung    und  Zerrung  der  Häute  zu  erklären.      Die 

Vernichtung  des   Sehvermögens  ist  hauptsächlich  darin  begründet. 

Der  CiliarmusJcel  ist  meistens  auf  ein  dünnes  ki'eisförmiges  Band  geschrumpft, 
das  der  musculären  Faserzellen  gänzlich  entbehrt  und  lediglich  den  hindegewebigen 
Charakter  trägt,  oder  durch  Obsolescenz  in  eine  starre  hyaline,  zart  faserstreitige 
Masse  übergegangen  ist.  Die  Strahlenforts'dlze  sind  in  die  Breite  und  Länge  gezogen, 
aus  einander  gewichen,  sehr  abgeplattet  und  hei  ungleichmässigev  Dehnung  der 
Bulbuskapsel  wohl  auch  aus  ihrer  meridionalen  Richtung  gedrängt  und  mannig- 
faltig verkrümmt.  Ihre  innere  Oberfläche  ist  öfters ,  doch  hei  weitem  nicht  immer, 
mit  kyklitischen  Schwarten  (S.  317)  überkleidet,  welche  dann  mit  zottcnälmlichen 
Fortsätzen  in  den  Vordertheil  des  Glaskörpers  hineinwachsen.  Die  Chorioidea  ist 
ausnahmsweise  auf  einzelnen  Strecken  noch  erhalten,  wenigstens  kann  man  die 
Choriocapillaris  und  Vasculosa  mit  der  Fusca  noch  wohl  unterscheiden.  In  der 
Regel   jedoch  offenbart    sich  allenthalben  loeit    gediehene  Atrophie,    die  Gefässe    der 


384  Partielles  Sclerochorioidalstaphylom :  Pathologie:  Krankheitsbild. 

Choriocapillaris  und  Vasculosa  sind  bis  auf  geringe  Reste  oder  völlig  unterge- 
gangen; die  Stroviazellen  finden  sich  nur  mehr  spärlich  und  zumeist  im  Zustande 
der  Verfettung;  das  Pigment  ist  verblasst  und  sehr  vermindert,  oder  bis  auf  ein- 
zelne Häufchen  von  Körnern  vollkommen  verschwunden;  als  Grundlage  fungirt  ein 
zartes  Fasernetz,  welches  von  der  elastischen  Membran  gedeckt  wird  und  mehr 
minder  fest  der  Sclera  anhaftet.  Mitunter  ist  die  Chorioidea  wohl  auch  auf  eine 
dünne  Lage  hj'aÜner  starrer  trockener  Substanz  geschrumpft,  in  welcher  sich  blos 
eine  undeutliche  Faserstreifung  wahrnehmen  lässt  und  welche  sich  von  der  Leder- 
haut nur  in  kleinen  Schuppen  und  Bröckeln  abtrennen  lässt.  Doch  stösst  man 
manchmal  auch  auf  Fälle,  wo  die  Aderhaut  in  Folge  vorausgegangener  üppiger 
Witcheiungsprocesse  und  späteren  Schwundes  sich  als  eine  streckenweise  ziemlich 
mächtige  Schichte  einer  blassen  krümlichen,  von  Kernbildungen  durchstreuten 
Masse  darstellt,  die  von  einem  zarten  weitmaschigen  Fasernetze,  dem  L'^eberbleibsel 
des  Aderhautstromas,  zusammengehalten  wird.  Die  Laraina  elastica  verhält  sich  oft 
ziemlich  normal,  eben  so  oft  jedoch  ist  sie  sehr  verdickt  und  dann  gewöhnlich  mit 
zahlreicheu  choloiden  Kugeln  bedeckt.  Das  Tapet  ist  immer  in  sehr  hohem  Grade 
rareficirt ,  die  einzelnen  Epithelzellen  sind  auseinander  gerückt  und  bilden  oft 
grosse  Lücken ;  einzelne  erscheinen  vergrössert,  abgeplattet  und  mit  ganz  unregel- 
mässigen L^mrissen;  ihr  Farbstoff  ist  sehr  verblasst,  die  einzelnen  Körner  desselben 
sind  ohne  Ordnung  in  der  Zellenhöhle  vertheilt  und  im  Ganzen  vermindert; 
stellenweise  erscheinen  die  Tapetzellen  ganz  pigvientlos,  geschrumpft  und  mit  einem 
trüben  I;: halte  gefüllt,  stellenweise  jedoch  kommen  mitunter  auch  Gruppen  von 
Zellen  vd'-,  welche  von  dunklem  Pigmente  vollgepfropft  sind  und  ihrer  massigen 
Anhäufunc:  sowie  der  sehr  wandelbaren  Gestalt  nach  für  neugebildet  erklärt  werden 
müssen.  Die  unter  der  Aderhaut  ziehenden  Ciliamerven  sind  zum  Theile  marklos, 
hyalin  und  durchscheinend,  zum  Theile  ganz  iintergegangen ;  daher  denn  auch 
Ahnahme  der  Sensibilität  der  Hornhaut  und  Iridoplegie  zu  den  gewöhnlichen  Er- 
scheinungen gehören.  Die  Netzhaut  ist  iu  der  Regel  auffällig  trüb  und  gefässarm, 
merklich  atropldrt  und  verdünnt,  bisweilen  gerade  in  nächster  Nähe  der  Gefässe, 
so  dass  diese  beiderseits  von  florähnlichen  durchscheinenden  Bändern  eingefasst 
erscheinen  (Schiess).  Die  Limitans  ist  oft  lückenhaft  (Wedl).  Manchmal  ist  die 
Retina  von  der  Chorioidea  abgehoben.  In  anderen  Fällen  lassen  sich  von  ihr  nur 
mehr  bindegewebige  pigmentirte  Reste  nachweisen,  welche  der  Aderhaut  fest  an- 
kleben. Mitunter  ist  die  Retina  wohl  auch  gänzlich  untergegangen,  oder  auf  wenige 
fetzenähnliche  Ueberbleibsel  reducirt,  welche,  ^n  dem  Sehnerveneintritte  haftend, 
in  dem  hinteren  Augenraume  flottiren.  Die  Sehnervenpapille  ist,  da  der  Nervus 
opticus  in  den  meisten  Fällen  atrophirt,  gewöhnlich  stark  verfärbt.  In  sehr  vielen 
Fällen  erscheint  sie  ausgehöhlt,  ähnlich  wie  beim  Glauconi.  Der  Glaskörper  ist, 
wenigstens  in  seiner  Idnteren  Hälfte,  fast  immer  verflüssiget  und  das  Fluidum 
flockig  getrübt.  Die  vordere  Hälfte  des  Corpus  vitreum  pflegt  sich  länger  zu  er- 
halten und  zeigt  nicht  selten  bindegewebige  Neubildungen  in  ihrem  Inneren  (Wedl, 
Schweigger,  Schiess-  GenuiseusJ. 


b.  Das  partielle  Sclerochorioidalstaphylom. 

Dasselbe  präsentirt  sich  als  ein  dünnwandiger,  bläulichgrün  bis  dunkel 
schiefergrau  gefärbter ,  durchscheinender  also  durchleuchtbarer  Hügel, 
welcher  sich  mehr  weniger  über  die  Oberfläche  der  umgebenden  Scleral- 
partien  erhebt.  Es  tritt  oft  steil  oder  gar  mit  halsförmig  eingeschnürtem 
Fusse  hervor  und  stellt  dann,  einen  scharf  begrenzten  rundlichen  blasenähn- 
üchen  Knopf  von  Hirsekorn-  bis  Bohnengrösse  dar,  dessen  Oberfläche  bald 
glatt,  bald  von  einspringenden,  kreuz  und  quer  ziehenden  Sehnenstreifen 
gefurcht  ist  und  so  das  Aussehen  einer  Beerentraube  gewinnt.  In  anderen 
Fällen  stellt  das  Staphylom  einen  flachen  Buckel  mit  glatter  Oberfläche  und 
ganz  undeutlichen  Grenzen  dar,  dessen  Durchmesser  oft  kaum  eine  Linie 
erreichen,  oft  aber  auch  sehr  bedeutende  sind,  indem  die  vordere  oder 
hintere  Hälfte  eines  Quadranten  der  Lederhaut,  ja  noch  grössere  Portionen 


Pathol.  Aiiatomii' 


385 


Fig.  47. 


derselben,  ectatisch  werden.  In  manchen  Fällen  formirt  das  Staphylom 
einen  langen  und  breiten,  durch  einspringende  sehnige  Balken  in  unregel- 
mässige blasige  Vorsprünge  abgetheilten 
Wulst,  welcher  den  Augapfel  in  kleinerem 
oder  grösserem  Bogen  umgibt.  Man  findet 
solche  Wülste  in  den  verschiedensten  Zo- 
nen der  Lederhaut,  z.  B.  in  der  äquato- 
rialen (Fig.  47).  Am  häufigsten  kommen 
sie  aber  in  der  vordersten  Scleralzone  vor 
(Fig.  48,  h). 

Die  Wandung  des  Staphylomes  besteht 
aus  meistens  stark  pigmentirtem  Lederhaut- 
gefüge,  welches  durch  die  vorausgängigen 
Entzündungen  und  die  beträchtliche  Dehnung 
mehr  weniger  gelitten  hat.  Es  scheint  gewöhn- 
lich stai'k  gebilbt  durch  moleculäre  Nieder- 
schläge und  oft  ist  auch  seine  Fase7-ung  min- 
der deutlich  oder  blos  nach  gewissen  Richtun- 
gen scharf  ausgeprägt.  Die  innere  Oberfläche 
der  Blase  erscheint  constant  überkleidet  von 
einem     pigmentirten,    bräunlich    oder    schwarz 

gefleckten ,  innig  anhaftenden  zarten  Häutchen ,  dem  Reste  der  mit  der  Sclera 
ausgedehnten  Uvealpartie.  Es  lässt  sich  dieses  Häutchen  in  der  Regel  kaum 
mehr  trennen  von  der  unterlagerndeu  Sclerotica.  Das  Uvealgefüge  ist  in  demselben 
bereits  ganz  unkennbar  geworden ,  in  eine  unbestimmt  faserstreifige ,  gefäss-  und 
nervenlose  Masse  atrophirt,  in  welcher  wechselnde  Mengen  von  Pigmentzellen  ein- 
gelagert sind,  die  zum  Theile  noch  rundlich  und  reich  an  Farbestofl",  zum  Theile 
pigmentarm,  eckig,  sehr  in  die  Länge  gezogen  oder  gar  zu  spindeligen  pigmen- 
tirten Fasern  ausgesponnen  erscheinen.  Oft  unterscheidet  man  noch  deutlich  die 
Lamina  elastica,  auf  deren  Innenwand  das  stark  rareficirte  Tapet  sitzt.  Die  Höhle 
des  Staphyloms  ist  selten  mit  festen  entzündlichen  Producten ,  fast  immer  mit 
wässerigem  Fluidum  gefüllt.  Die  Netzhaut  zieht  bisweilen  frei  über  den  Fuss  des 
Staphyloms  hinweg.  Nicht  selten  aber  zeigt  sie  daselbst  eine  entsprechende  Aus- 
bauchung, welche  sackartig  in  die  Concavität  des  Staphyloms  hineinragt.  Oefters 
ist  die  Netzhaut  auch  mit  der  Innenwand  des  Staphylomes  fest  verwachsen,  sie 
überzieht  die  letztere  als  ein  zartes  florähnliches  Häutchen,  das  aus  netzförmig  ge- 
webten Bindegewebsfasern  mit  eingelagerter  Molecularmasse  besteht,  keine  Spur 
von  nervigen  Elementen  und  Gefässen,  wohl  aber  wechselnde  Mengen  Pigment  ent- 
hält und  von  der  meistens  lückenhaft  gewordenen  Limitans  überkleidet  wird  (Wedl, 
Schweigger,  SchiessJ. 

In  der  nächsten  Umgehung  des  Staphyloms  findet  man  die  Sclera  öfters  stark 
hyperämirt,  von  einem  trüben  serösen  Infiltrate  aufgelockert  und  von  entzündlich 
veränderten  Bindegewebskörpern  durchsetzt.  Die  Aderhaut  pflegt  im  weiten  Um- 
kreise oder  ihrer  ganzen  Ausdehnung  nach  die  Charaktere  des  entzündlichen 
Schivundes,  besonders  durch  starke  Pigmentrareßcation,  zu  verrathen.  Doch  kömmt 
es  auch  vor,  dass  trotz  der  Dehnung,  welche  die  Aderhaut  im  Ganzen  zu  erleiden 
hat,  die  Vasculosa  und  Choriocapillaris  gut  erhalten  ist,  die  Gefässe  der  letzteren 
wohl  gar  erweitert  scheinen,  und  überdies  die  Tapetzellen  bei  auflfälliger  Kleinheit 
dicht  aneinander  gedrängt  stehen,  also  offenbar  auf  eine  reichliche  Neubildung  hin- 
weisen (Schtoeigger).  Die  grösseren  Gefässe  der  Vasculosa  brechen  an  dem  Fusse 
des  Staphyloms  rasch  ab,  oder  überschreiten  denselben  nur  um  ein  geringes,  um 
dann  zu  verschwinden.  Dasselbe  geschieht  auch  mit  den  in  der  Lamina  fusca 
streichenden  Ciliarnerven,  daher  bei  einigem  Umfange  der  Staphylomöftnung  in  der 
Regel  eine  Verminderung  der  Cornealsensibilität  und  Motilitätsstörungen  der  Iris 
bemerkt  werden.  Auch  die  Netzhaut  ist  oft  in  weitem  Umfange  oder  der  ganzen 
Ausdehnung  nach  atrophirt.  Nicht  selten  hängt  sie  streckenweise  der  Aderhaut  an 
und  ist  dann  innerhalb  dieser  Bezirke  immer  auf  ein  zartes  bindegewebiges,  mit  Pig- 
ment durchsetztes  Häutchen  geschwunden.  Der  Sehnerveneintritt  erscheint  häufig 
excavirt. 

Stellwag,  Augenheilkunde.  25 


386  Sclerochorioidalstaphylom ;  Symptome;  Ursachen;  Entzündung;  Hyperämie. 

Im  Ganzen  zeigt  die  anatomische  und  ophthalmoskopische  Unter- 
suchung des  Auges  gewöhnlich  deutliche  Spuren  einer  abgelaufenen  aus- 
gebreiteten und  intensiven  Entzündung  der  Uvea  und  Netzhaut  nebst 
Trübungen  der  dioptrischen  Medien,  Verflüssigung  des  Glaskörpers  u.  s.  w. 
In  Folge  dieser  Veränderungen  ist  das  Auge  meistens  bis  auf  quantitative 
Lichtempfindung  oder  völlig  erblindet.  Doch  kommen  ausnahmsweise  auch 
Fälle  mit  vorderen  Sclerochorioidalstaphylomen  vor,  in  welchen  die  hinteren 
Partien  der  Netzhaut  noch  normal  functioniren,  also  blos  Einschränkungen  des 
Sehfeldes  gegeben  sind. 

Falls  Trübungen  den  Augengnind  nicht  decken,  erkennt  man  derartige  Sta- 
phylome  mit  dem  Augenspiegel  leicht  an  einem  mehr  weniger  scharf  begrenzten,  oft 
ringsum  stark  pigmentirten,  verschieden  geformten,  schmutzig  grauvveiss  oder  bräun- 
lichgelb gefärbten  und  mit  dunklem  Pigmente  ganz  unregelmässig  bestreuten  Fleck, 
dessen  Ausbauchung  sich  durch  die  Lage  der  darüberziehenden  Netzhautgefässe, 
jedenfalls  aber  durch  die  nach  der  Richtung  der  Spiegelaxe  wechselnden  Schatten 
beurkundet.  Bei  sehr  umfangreichen  Staphylomen  macht  sich  die  Ectasie  nicht 
selten  schon  dem  freien  Auge  durch  den  Reflex  weissen  Lichtes  bemerklich.  Die 
Diagnose  bedarf  übrigens  dieser  Symptome  kaum.  Selbst  hintere  Staphylome  wer- 
den nämlich  leicht  dadurch  in  Sicht  gebracht,  dass  man  das  Auge  möglichst  stai'k 
nach  einwärts  oder  auswärts  richten  lässt  und  dann  die  betreifende  Lidcommissur 
stark  zurückdrängt. 

Ursachen.  1.  Einige  seltene  Ausnahmsfalle  abgerechnet,  ist  die  frag- 
liche Ectasie  constant  eine  Folge  der  Sclerochorioiditis,  genauer  gesagt,  der 
mit  der  Entzündung  verbundenen  Lockerung  des  Scleralgefüges  und  des 
intraocularen  Druckes.  Totale  Sclerochorioidalstaphylome  resultiren  immer 
nur  aus  einer  totalen  Sclerochorioiditis.  Das  partielle  Sclerochorioidalstaphylom 
hingegen  kann  ebensowohl  aus  einer  totalen  als  partiellen  Sclerochorioiditis 
hervorgehen. 

aj  Die  durch  Entzündung  allein  begründeten  Ectasien  können  an 
jedem  beliebigen  Punkte  der  Lederhaut  auftreten.  Charalcteristisch  ist  ihnen 
eine  sehr  geringe  Convexität  des  Gipfels  und  grosse  Flachheit  der  Seiten- 
wandungen, welche  letztere  sich  ganz  allmälig,  ohne  deutlich  markirte 
Grenze,  in  die  nicht  ausgedehnten  Lederhautportionen  verlieren.  Es  hängt 
dieses  damit  zusammen,  dass  die  Entzündungsherde  in  der  Regel  nicht 
scharf  begrenzt  sind,  dass  also  auch  die  Resistenz  nur  ganz  allmälig  gegen 
das   Centrum  des  Herdes  hin  abnimmt. 

h)  In  sehr  vielen  Fällen  wirken  nehst  der  Eitzündung  passive 
Hyperämien  der  Ciliargefässstämme  bei  der  Entwickelung  von  Sclerochorioidal- 
staphylomen mit.  Wo  nämlich  eine  grössere  Anzahl  von  Gefässen  dicht 
an  einander  gedrängt  die  Sclerotica  durchbohrt,  ist  das  Gefüge  der  Leder- 
haut ohnehin  sehr  porös  und  somit  weniger  widerstandsfällig.  Kömmt 
dann  noch  eine  Ausdehnung  dieser  Gefässe  und  sohin  auch  ihrer  Durch- 
gangscanäle  hinzu,  so  bedarf  es  nur  einer  geringen  serösen  Durchfeuch- 
tung und  entzündlichen  Lockerung,  um  selbst  dem  normalen  intraocularen 
Drucke  das  Uebergewicht  zu  verschaffen  und  die  betreffende  Stelle  der 
Sclera  zum  Nachgeben  zu  zwingen.  Die  solchermassen  entstandenen 
Ectasien  sind  in  der  Regel  scharf  begrenzt  und  steigen  steil,  oft  mit  hais- 
förmig  eingeschnürtem  Fusse,  aus  der  Sclerotica  empor,  stark  convexe 
Blasen  bildend.  Entsprechend  der  anatomischen  Vertheilung  der  Gefäss- 
canäle  finden  sich  derlei  Staphylome  auch  vorwaltend  an  der  hinteren  und 
vorderen  Lederhautzone,   ausserdem  aber  im   Aequator  der  Sclerotica. 


Stapliyloma  corporis  ciliaris,  aiiriuhuv;  l'ath.  Anatomie. 


387 


Die  an  der  vorderen  Zone  der  Lederhaut  vorkommenden  Kctasien 
dieser  Art,  auch  Staphylomata  corporis  ciliaris  <)'enannt  (Sichel),  treten 
gewöhnlich  haufenweise  auf  und  bilden  einen  zusammenhängenden,  mehr 
weniger  breiten  Wulst,  welcher  die  Hornhaut  in  kleinerem  oder  grösserem 
Bogen  umgürtet  und  darum  auch  mit  dem  Namen  Staphyloma  annulare 
belegt  'ZU  werden  pÜegt. 

Bei  der  anatomischen  Untersuchung  im  Entstehen  begriifener  Ectasien  dieser 
letzteren  Art  findet  man  an  der  inneren  Fläche  der  vorderen  Lederhautzone  eine 
Menge  von  Lücken  in  den  innersten  Scleralschichten ,  welche  durch  zwirnfaden- 
dicke  bis  ^/^  Linien  lange,  meridional  ziehende,  den  innersten  Schichten  zuge- 
hörige Balken  von  einander  getrennt  sind  und  in  blinde  taschenartige  Räume 
führen,  die  von  den  ectatischen  äusseren  Scleralschichten  gebildet  und  von  aussen- 
her  als  jene  bläulich  durchscheinenden  Wülste  gesehen  werden. 

c)  Oft  entwickelt  sich  das  Staphyloma  sclerochorioidale  anticum  oder 
annulare  aber  auf  eine  andere  Weise.  Wenn  bei  Vorhandensein  einer 
Hclerochorioiditis  die  Lockerung  des  Gefüges  noch  durch  Blutstauungen  im 
Bereiche  der  Ciliargefässe  erhöht  wird,  berstet  bisweilen  unter  dem  Ein- 
flüsse des  intraocularen  Druckes  die  dünne  Scleralschichte,  welche  den 
venösen  Ciliarplexus  von  innenher  überkieidet,  worauf  dann  die  mehr  dehn- 
baren misseren  unverletzt  gebliebenen  Substanzlagen  der  Lederhaut  ausge- 
baucht und  hervorgetrieben  werden. 

Im  ersten  Beginne  erscheint  die  äussere  Oberfläche  der  betreffenden  Scleral- 
zone  völlig  vinverändert.  Bei  der  anatomischen  Untersuchung  findet  man  knapp 
hinter  dem  Rande  der  Descemeti,  gedeckt  von  dem  Ciliarmuskel,  im  Scleralgefüge 
eine  mehr  weniger  lange,  der  Hörn- 

hautperipherie     concentrisch     ver-  -     ^' 

laufende  flache  Furche  (Fig.  48  a) 
mit  etwas  wulstigen  burgzinnen- 
ähnlich  gezackten  Rändern,  welche 
von  den  auf  sich  selbst  zurück- 
gezogenen Enden  der  geborsteneu 
Faserlagen  gebildet  werden.  Unter 
fortgesetzter  Wirkung  der  mecha- 
nischen Verhältnisse  wird  die 
Furche  immer  breiter,  indem  die 
den  Boden  bildenden  äussei-en 
Scleralblätter  mehr  in  meridionaler 
Richtung  gedehnt  werden  und  so 
auf  Kosten  ihrer  Dicke  sich  ver- 
längern. Am  Ende  werden  sie 
durchscheinend  und  machen,  dass 
ein  bläulicher  Bogen  am  vorderen 
Scleralrande  äussei'lich  sichtbar 
wird.  Während  dieses  geschieht, 
nimmt  die  Furche  auch  an  Länge 
zu  und  schreitet  an  beiden  Enden 
im  Umkreise  der  Hornhaut  fort. 

Weiterhin  bauchen  sich 
die  solchermassen  gespannten 
äusseren  Schichtlageu  der  Leder- 
haut nach  aussen  in  Form  von  bläulichen  oder  selbst  schwärzlichen  Längsbuckeln, 
welche,  durch  sehnige  weissgraiie  von  voi'ne  nach  hinten  ziehende  Fäden  getrennt, 
eine  abwechselnde  Reihe  von  vorspringenden  Längsriffen  und  einspringenden 
Zwischenthälern  formiren  und  einen  grösseren  oder  geringeren  Bogen  der  Corneal- 
peripherie,  höchst  selten  dieselbe  ihrem  ganzen  Umfange  nach  umsäumen. 

Bisweilen  geht  die  Ausdehnung  stellenweise  noch  weiter,  während  die  Furche 
sich  um  die  Cornea  herum  fortsetzt  und  mehr  und  mehr  verbreitert.  Es  verschwin- 


388  Sclcrocliorioidalstiiphylom;  Ursachen:  Geschwüre  u.  Dnrchhruche  der  Lederhauf. 

den  dann  an  der  Aussenfläche  die  regulären  Längsriffe  und  es  tritt  an  dieser  Stelle 
die  Lederhaut  in  Gestalt  eines  sclimutzigbläulichen,  drusigen,  beeren-  oder  trauben- 
ähnlichen,  erbsen-  bis  nuss grossen  Tumors  h  hervor,  welcher  sich  in  die  Lidspalte 
drängt  und  deren  Schliessung  oft  erschwert,  jedenfalls  aber  die  Axe  des  Auges 
schief  stellt. 

Diese  enorme  Flächenvergrösserung  der  vorderen  Scleralzone  ist  nicht  blos 
durch  Dehnung  der  ursprünglicli  den  Boden  der  Furche  bildenden  Theile  der 
äusseren  Lederhautschichten  zu  erklären,  es  findet  auch  ein  Zuzug  von  Scleralsuh- 
stanz  an  die  Wandung  des  Risses  statt.  Während  nämlich  die  durchrissenen  inneren 
Blätter  der  Sclera  völlig  entspannt  sind  und  ihre  Rissenden  in  Gestalt  zweier 
Wülstchen  c  und  d  sich  von  der  Furche  zurückziehen,  haben  die  äusseren  Blätter 
die  ganze  Gewalt  des  intraocularen  Di'uckes  auszuhalten.  Es  dehnen  sich  dem- 
zufolge auch  die  jenseits  der  Grenzen  der  Furche  gelegenen  Theile  derselben  aus. 
Indem  diese  aber  dem  Zuge  nachgeben,  werden  sie  von  den  unterliegenden  Schich- 
ten abgetrennt  vind  deren  Rissränder  weichen  immer  mehr  aus  einander.  Besonders 
deiitlich  wird  dieses  an  der  vorderen  Grenze  des  Staphyloms.  Es  werden  nämlich 
durch  den  Zug  der  äusseren  Scleralblätter  die  vorderen  Lamellen  der  Cornea  ge- 
zerrt und  nicht  selten  so  bedeutend  gedehnt,  dass  der  Limbus  conjunctivalis  an  der 
betreffenden  Stelle  das  Drei-  und  Vierfache  seiner  normalen  Breite  erreicht;  wäh- 
rend die  hinteren  Cornealschichten  ihre  normalen  Dimensionen  behalten.  Die  Grenz- 
fläche zwischen  Cornea  und  Sclera  wird  so  im  Bereiche  der  Ectasie  mächtig  ver- 
breitert und  endlich  trennen  sich  die  Com ealhl älter  am  Fusse  des  Staphyloms,  ein 
Theil  der  Innenwand  des  Staphylomes  e  wird  von  den  blosgelegten  Randtheilen 
der  oberflächlichen  Cornealbl'ätter  gebildet  und  zeigt  sich  blätterigfetzig,  uneben 
und  durchscheinend. 

Durch  die  Ausdehniing  der  vorderen  Scleralzone  leiden  begreiflicher  Weise 
auch  die  damit  im  innigsten  Zusammenhange  stehenden  Theile,  die  Gefässe,  Ner- 
ven und  der  Ciliarkörper.  Die  Gefässe  und  Nerven  atrophiren  im  Bereiche  der 
Ectasie,  gehen  völlig  unter,  oder  werden  wohl  auch  durchrissen.  Der  Strahlen- 
Icörper  ist  im  Bereiche  weitgediehener  Ectasien  bisweilen  quer  dm-chrissen,  so  dass 
die  Köpfe  der  Ciliarfortsätze  mit  der  Iris  am  vorderen,  der  Rest  des  Strahlen- 
körpers am  hinteren  Grenzwulste  festhaften.  Häufiger  erfolgt  die  Trennung  an  der 
Grenze  zwischen  Iris  und  dem  Strahlenkranze,  so  dass  erstere  an  dem  vorderen, 
letzterer  an  dem  hinteren  Grenzwiilstchen  hängen  bleibt.  Mitunter  fällt  indessen 
der  Riss  in  die  vordere  Aderhautzone,  so  dass  die  Iris  mit  dem  Corpus  ciliare  nach 
vorne  gezogen  erscheint.  Mit  Ausnahme  dieser  letzteren  Fälle  wird  der  Ciliar- 
muskel  immer  durchrissen.  Die  Rissränder  der  Uvea  stehen  mit  einander  stets  durch 
ein  feines  pigmentirtes  Häutchen  f  in  Verbindung,  welches  die  hintere  Wand  des 
Staphyloms  überkleidet  und  aus  ectatischen  Resten  der   Uvea  besteht. 

2.  In  einzelnen  seltenen  Fällen  sind  oberflächliche  geschwürige  Substanzver- 
luste der  Lederhant  die  Ursache  partieller  Sclerochorioidalstaphylome.  Im  Ver- 
hältnisse zur  Dickenabnahme  der  betreffenden  Scleralportion  vermindert  sich  deren 
Resistenz ,  der  Geschwürsboden  sammt  der  unterlagernden  Uvea  wird  ausgedehnt, 
blasenartig  hervorgetrieben,  es  entwickelt  sich  eine  Ectasie,  welche,  da  der  intra- 
oculare  Druck  fortwirkt,  der  Gelegenheit  entbehrt,  sich  zurückzubilden  und  darum 
ständig  wird.  Sind  die  umgebenden  Scleralportionen  entzündet,  so  geben  sie  auch 
nach,  die  Grundfläche  des  Staphyloms  wird  grösser,  als  das  ursprüngliche  Geschwür 
es  war. 

3.  Bisweilen  ist  ein  Durchbruch  der  Lederhaut  und  Vorfall  der  Uvea 
das  pathogenetische  Moment.  Der  Durchbruch  kann  geschwürigen  Ursprunges 
sein.  Häufiger  ist  er  eine  penetrirende  Wunde  der  Sclera.  Die  dadurch 
biosgelegte  Partie  der  Uvea  wird  unter  dem  Drucke  der  Augapfelcontenta 
nach  aussen  gedrängt,  blasig  ausgedehnt,  sie  beginnt  zu  wuchern,  Fleisch- 
wärzchen anzubilden,  welche  sich  allmäüg  in  sehniges  Gefüge  umwandeln 
und  die  Staphylomwand  am  Ende  als  eine  Fortsetzung .  der  eigentlichen 
Lederhaut  erscheinen  lassen.  Je  nach  der  Form  der  DurchbruchsöfFnung 
ist  ein  solches  Staphylom  bald  rundlich,  bald  oval,  bei  linearen  Zusammen- 
hangstrennungen  in    der    Regel    wulstförmig.     An    seinem    Fusse  erscheint 


Aderliautvorfalle;  Vorhiuf;  Ausgänge.  389 

es  nieisthiii  halsförmig  eingeschnürt  (Traumatisches   Sclerochorioidalstaphylom, 
Sichel) . 

Nach  der  Lage  des  Durchbruches  ist  die  vorgefallene  Portion  der 
Uvea  bald  ein  Theil  der  Aderhaut,  bald  ein  Theil  des  Strahlenkranzes  oder 
der  Iris.  Es  ist  zu  bemerken,  dass  auch  bei  ziemlich  weit  von  der  Corneal- 
grcnzc  entfernt  liegenden  Sclei'aldurchbrüchen  Portionen  der  Iris  vorfallen 
können.  Die  Pupille  ei'scheint  dann  colobomähnlich  nach  dem  Durch- 
bruche hin  verzogen.  Oft  ist  ein  Tlieil  der  Iris  seiner  ganzen  Breite 
nach  sammt  dem  zugehörigen  Stücke  des  Pupillarrandes  in  die  Lederhaut- 
öffnung eingewachsen. 

Verlauf.  In  Folge  acut  und  mit  grosser  Intensität  auftretender  Pro- 
cesse  entwickeln  sich  8clerochorioidalstapliylome  bisweilen  sehr  rasch  und 
dann  meistens  unter  sehr  heftigen  Schmerzen,  nicht  selten  auch  unter 
lebhaften  subjectiven  Lichterscheinungen.  Innerhalb  Monatsfrist  erreicht 
die  Ectasie  unter  solchen  Umständen  bisweilen  eine  ganz  ansehnliche  Grösse 
und  bleibt  dann,  während  das  Grundleiden  in  den  chronischen  Decurs 
übergeht,   stehen   oder  schreitet  allmälig  vorwärts. 

In  der  Regel  aber  ist  die  Entstehung  und  Vergrösserung  des  Sclero- 
chorioidalstaphyloms  eine  langsame.  Oft  geschieht  es  sogar,  dass  das  ent- 
zündliche Grundleiden  schon  lange  besteht  oder  scheinbar  bereits  zurück- 
getreten ist,  wenn  die  Ectasie  anfängt,  sich  bemerklich  zu  machen.  Ist 
dieses  geschehen,  so  vergehen  oft  Monate  und  Jahre,  ehe  eine  Vergrösserung 
auffällig  wird. 

Die  Zunahme  ist  bald  eine  allmälige,  bald  eine  ruckweise.  Letzteres 
ist  besonders  dann  der  Fall,  wenn  die  zu  Grunde  liegende  chronische 
Sclerochorioiditis  öfters  exacerbirt.  Während  solchen  scheinbar  acuten 
Anfällen  pflegt  die  Ectasie  unter  sehr  heftigen  Schmerzen  i'asch  zu 
wachsen,  mit  eintretender  Remission  aber  wieder  stehen  zu  bleiben,  oder 
gar  etwas  zurückzugehen,  um  mit  der  nächsten  Exacerbation  wieder  eine 
Zunahme  zu   erfahren. 

Ausgänge.  Eine  spontane  wirkliche  Heilung  ist  wohl  kaum  zu  erwarten. 
Nur  Vorfälle  der  Aderhaut,  so  lange  sie  frisch  sind,  können  wieder  zurück- 
gehen, indem  das  auf  und  in  ihnen  wuchernde  neoplastische  Gefüge 
schrumpft  und  sich  zu  einer  flachen  Narbe  zusammenzieht.  In  der  Regel 
muss  man  froh  sein,  wenn  der  Bulbus  nach  Jahre  langem  Leiden  endlich 
zur  Ruhe  kömmt,  die  zu  Grunde  liegende  Sclerochorioiditis  zurückgeht,  die 
entzündlichen  Anfälle  ausbleiben  und  die  Ausdehnung  nicht  weiter  fort- 
schreitet, indem  die  intraocularen  Gebilde  durch  ihren  völligen  Schwund 
die  Neigung  zur  Entzündung  verlieren. 

Oft  pflanzt  sich  der  entzündliche  Process  auf  den  Sehnerven  fürt  und 
veranlasst  dann  bisweilen  ganz  unerträgliche  subjective  Lichterscheinungen. 
Das  Endresultat  ist  meistens  Schwund  des  Opticus,  häufig  mit  Excavation 
der  Papille. 

Nicht  ganz  selten  kömmt  es  während  heftigen  entzündlichen  Exacer- 
bationen zur  Eiterung  und  weiter  zur  Phthise  des  Auges.  Häufig  wird 
der  Bulbus  in  Folge  einer  zwischenlaufenden  Iridochorioiditis  welk,  weich 
und  schrumpft  späterhin. 

Ausserdem  liegt  noch  eine  Berstung  der  ectatischen  Scleralpartien  im 
Bereiche    der    Möglichkeit.     Man     hat     diese     am     öftesten    bei   partiellen 


390  Sclerochorioidalstaphyloiii;  Berstung:  CSrsophthalinus ;  Behandlung. 

StaphTlomen  und  ntir  ansnaluasweise  bei  totalen  Ectasien  beobachtet.  Die 
gewöhnlichste  Veranlassung  ist  eine  momentane  bedeutende  Steigerung  des 
intraocularen  Druckes,  z.  B.  durch  einen  Stoss,  einen  Schlag  auf  das  Auge, 
durch  eine  kräftige  Zusammenziehung  der  Augenmuskeln.  Seltener  erfolgt 
der  Durchbmch  spontan.  Nach  der  Berstung  entleert  sich  ein  grosser  Theil 
der  Bulbuscontenta  und  in  Folge  der  plötzhchen  Herabsetzung  des  intra- 
ocularen Druckes  kömmt  es  nicht  selten  zu  profusen  Blutungen,  welche 
Stunden  und  Tage  anhalten  und  den  Kranken  sogar  tödteu  können,  wenn 
ihnen  nicht  zeitlich  genug  Einhalt  gethan  wird.  Gewöhnheh  sind  heftige 
Entzündungen,  welche  den  Bulbus  auf  dem  Wege  der  Eiterung  oder  Atrophie 
schrumpfen  machen,  das  Endresultat  einer  solchen  Berstung.  Doch  können 
die  Wundränder  auch  wieder  rerheüen  und  das  Staphylom  kann  neuer- 
dings hervortreten,  ja  dieser  Torgang  kann  sich  öfters  wiederholen,  ehe 
Eiterung  oder  Atrophie  eintritt. 

Jene  Blutungen  in  Verbindung  mit  der  bläulichen  Farbe  und  der  äusseren 
Form  der  partiellen  Staphylome  waren  Veranlassung,  dass  man  in  diesen  ausge- 
dehnte  Venen,    Varices,    zu  sehen  glaubte  und   den  Zustand  Cirsophihalmus  nannte. 

Krebsbildungen  gehören  nicht  zu  den  Ausgängen,  wohl  aber  zu  den  möglichen 
Veranlassungen  der  Sclerochorioidalectasie. 

Behandlung.  Deren  Hauptaufgaben  sind  Bekämpfung  der  die  Gewebe 
lockernden  Eatsündung  und  Herabsetzung  des  intraocularen  Druckes  auf  oder 
unter  das  normale  Alass.  Am  meisten  verspricht  in  dieser  Beziehung  die 
Iridectomie  mit  entsprechender   Xachbehandlung. 

1.  Schon  im  prophglactischen  Interesse  sollte  die  Anlegung  einer  künst- 
lichen Pupille  nie  unterlassen  werden,  wo  bei  Vorhandensein  einer  Chorioiditis 
der  Bulbus  aufTällig  härter  erscheint,  heftige  Schmerzen  auf  Zerrung  der 
Nerven  deuten  oder  gar  schon  der  Beginn  einer  Ectasie  nachweisbar  wird. 
Paracentesen  der  Cornea,  selbst  wiederholte,  gewähren  weit  weniger  Sicher- 
heit des  Erfolges,  da  ihre  Wirkung  eine  mehr  vorübergehende  ist.  In 
wie  weit  die  Durchschneidung  des  Ciliarmuskels  (S.  305)  dem  Zwecke  genügt, 
müssen  weitere  Erfahrungen  nachweisen. 

Um  bei  Durchbrüchen  der  Sclei-a  einen  Vorfall  der  Uvea  zu  verhüten,  wird 
man  am  besten  thun,  den  Kranken  im  Bette  zu  halten,  grösste  Körperruhe  zu 
empfehlen  und  nebstbei  einen  Schutzverband  anziilegen  oder,  bei  grosser  Inten- 
sität der  Entzündung,  ein  entsprechendes  directes  antiphlogistisches  Verfahren  ein- 
zuleiten. Eepositionsversuche  sind  fast  immer  fruchtlos  und  wegen  der  mit  ihnen 
verbundeneu  Eeizwirkung  oft  auch  gefährlich. 

Bei  sehr  kleinen  und  ganz  frischen  Vorfällen  gelingt  es  indessen  bisweilen 
durch  leichte  Reibungen  der  Bulbusoberfläche  mittelst  eines  über  den  geschlossenen 
Lidern  hin  und  her  bewegten  Fingers  den  prolabirten  Theil  zur  Eetraction  zu 
veranlassen.  Uebrigens  bringen  derlei  kleine  Vorfälle,  besonders  wenn  die  Durch- 
bruchsöffnung linear  und  kurz  ist,  wenig  Gefahr,  sie  werden  vielmehr  häufig  unter 
Schrumpfung  der  neoplastischen  Hülle  wieder  abgeflacht. 

Bei  umfangsreicheren  Durchbrüchen  und  Vorfallen  ist  deren  Abtragung  mittelst 
einer  krummen  Schere  nach  allenfälliger  Spaltung  der  darüber  sti-eichenden  unver- 
letzten Bindehaut  das  sicherste,  ja  einzig  zu  empfehlende  Mittel.  Die  Xachbe- 
handlung besteht  in  dem  Tragen  eines  Schutzverbandes  und  in  Vermeidunsr  von 
ki-äftigen  Muskelcontractionen,  anfängÜch  bei  Bettlage.  Sie  ist  bis  zur  Consoli- 
dirung  der  Narbe  fortzusetzen. 

Aetzungen  des  Prolapsus  mit  Höllenstein ,  Opiumtinctur  etc.  sind ,  abgesehen 
von  ihrer  Reizwirkung  uud  Fähigkeit  heftige  Entzündungen  anzui'egen,  gefährlich, 
da  der  mit  ihnen  verbundene  Schmerz  gerne  kräftige  Contractionen  der  Augen- 
muskeln hex-von'uft. 


Olicrativo  Motliodcii;  Iridectomie;  Siiiiltiiiig;  Abtnij^ung.  391 

5.  Ist  das  Sclerocliorioidalstaphjlom  einmal  entwickelt,  so  kann  os  nur 
auf  operativem  Wcs^o  entfernt   werden. 

a)  Bei  Ideinen,  nicht  veralteten  Sclerochorioidalstax)hijlomen  genügt  bis- 
weilen die  Iridectomic  mit  längerem  Tragen  eines  Schutzverbandcs,  um  dio 
Ectasie  völlig  rückgängig  zu  machen.  Ocfters  jedoch  entwickelt  sich  nach- 
träglich das  Staphj'lom  von  neuem  an  der  alten  Stelle  oder  daneben. 
Etwas  mehr  Sicherheit  gewährt  die  Iridectomie  mit  einmaliger  oder  luieder- 
hoher  Paracentese  der  ectatischen  Lederhautportion ;  doch  auch  diese  Operation 
verhütet  nicht  immer  Recidiven. 

h)  Bei  veralteten  umfangreicheren  und  besonders  bei  steil  aufsteigenden 
Sclerochorioidalstaphylomen  reicht  die  Iridectomie  in  Verbindung  mit  der 
Paracentese  nicht  mehr  aus,  es  ist  neben  der  Iridectomie  die  Spaltung  der 
ectatischen  Portion,   häufig  sogar  deren  Abtragung  nothwendig. 

Die  Spaltung  kann  bei  Staphylomen  mit  flacher  Wölbung  mittelst  eines 
Staarmessers  vorgenommen  werden,  welches  in  meridionaler  Richtung  die 
Wandung  trennt ;  bei  Staphylomen  mit  steil  aufsteigenden  Wänden  lässt 
sie  sich  jedoch  zweckmässiger  mit  einem  Lanzenmesser  ausführen,  welches 
flach  auf  die  Lederhaut  aufgelegt  und  dann  so  vorgeschoben  wird,  dass 
seine  Spitze  knapp  am  Pusse  des  Staphyloms  eindringt  und  an  der  ent- 
gegengesetzten Seite  ausfährt. 

Behufs  der  Abtragung  dient  am  besten  ein  Staarmesser,  welches 
geradeso  wie  bei  der  Excision  eines  Cornealnarbenstaphyloms  flach  durch 
die  Staphylomwand  hindurchgestossen  wird,  so  dass  ein  Lappen  entsteht, 
welcher  nun  mit  der  Pincette  gefasst  und  mittelst  einer  Schere  abgetragen 
wird.  Es  ist  dabei  nicht  nothwendig,  dass  das  ganze  Staphylom  exstirpirt 
wird ,  bei  umfangreicheren  Ectasien  wäre  dies  sogar  gefährlich ;  im 
Allgemeinen  soll  vielmehr  die  erzeugte  Lochwunde  den  Umfang  einer 
kleinen  Erbse  nicht  übersteigen. 

Fliesst  während  der  Spaltung  und  Abtragung  des  Staphyloms  nur 
wenig  aus,  so  genügt  ein  Schutzverband;  entleert  sich  aber  eine  grosse 
Menge  des  Bulbusinhaltes  und  sinkt  dem  zu  Eolge  der  Augapfel  sehr 
zusammen,  so  muss  der  Verband  fester  angezogen  werden,  um  den  intra- 
ocularen  Di'uck  einigermassen  zu  ersetzen  und  massenhaften  Blutaustretungen 
so  wie  heftigen  Entzündungen  möglichst  zu  steuern.  Ganz  ist  diese  Gefahr 
überhaupt  nicht  zu  vermeiden,  ja  es  ist  nicht  einmal  ein  seltenes  Ereigniss, 
dass  unmittelbar  nach  der  Eröffnung  der  Bulbuswand  grössere  Gefässzweige 
unter  dem  plötzlichen  Andränge  des  Blutes  bersten  und  Extravasate  setzen, 
welche  einen  grossen  Theil  des  Augapfelraumes  ausfüllen,  indem  sie  sich 
zwischen  Netz-  und  Aderhaut  oder  zwischen  dieser  und  der  Lederhaut 
sammeln  und  die  nach  innen  gelegene  Membran  beuteiförmig  von  der 
Bulbuswand  abheben.  In  einzelnen  Fällen  reisst  die  das  stetig  wachsende 
Extravasat  deckende  Membran  wohl  auch,  das  Blut  ergiesst  sich  in  die 
Augapfelhöhle  und  dringt  durch  die  Scleralöffnung  nach  Aussen,  mitunter 
in  erschreckender  Menge.  Es  sind  dann  gewöhnlich  alle  Mittel,  die  er- 
schöpfende Hämorrhagie  zu  stillen,  fruchtlos ;  will  man  den  Kranken  nicht 
geföhrden,  so  bleibt  nichts  übrig,  als  sogleich  den  Bulbus  zu  enucleiren. 
In  anderen  Fällen  jedoch  genügt  die  Resistenz  der  von  dem  Extravasate 
abgehobenen  Ader-  oder  Netzhaut,  iim  die  Blutung  zu  sistiren.  Das  massen- 
hafte Extravasat  führt  dann    meistens  zu  eitriger  Zerstörung  des  Bulbus. 


392  Sclerochorioidalstaphylom;  Künstliche  Vereiterung  des  Bulbus. 

Wesentliche  Bedingung  zu  einem  günstigen  Verlaufe  der  Heilung  ist 
ruhiges  Verhalten  des  Kranken  und  namentlich  Vermeidung  von  Mtiskel- 
anstrengungen;  daher  für  die  ersten  Tage  Bettlage  sehr  zu  empfehlen  ist. 
Auch  antiphlogistische  Diät  gebietet  die  ^'ersieht,  selbst  wenn  sich  keine 
heftige  Entzündung  einstellt,  welche  zu  kräftigen  directen  Eingriffen  auf- 
fordert. Der  Verband  darf  in  keinem  Falle  früher  abgelegt  und  der 
Kranke  nicht  den  gewohnten  Beschäftigungen  zurückgegeben  werden,  bevor 
sich  die  JS'arbe  consolidirt  hat. 

Bei  der  Spaltung  geschieht  es  öfters,  dass  die  Wundränder  rasch  verheilen 
und  das  Staphylom  in  seiner  früheren  Gestalt  und  Grösse  wieder  hervortritt.  Es 
wird  dann  eine  Wiederholung-  der  Operation  nothwendig.  Einige  Autoren  em- 
pfehlen nach  Ablauf  der  Reizung  Aetzungen  der  Sfaphylomivand ,  um  eine  reich- 
lichere Gewebswucherung  und  damit  eine  kräftigere  Narbe  zu  erzeugen.  Bei 
Mangel  von  Reactionserscheinungen  kann  eine  wöchentlich  2 — 3mal  wiederholte 
vorsichtige  Aetzung  der  oberflächlichen  Strata  mit  Höllenstein  jedenfalls  den  Erfolg 
der  Operation  begünstigen. 

Nach  der  Abtragung  überzieht  sich  in  günstigen  Fällen  die  Scleralöflfnung 
bald  mit  einer  graulich  trüben  Haut,  welche  sich  mehr  und  mehr  verdickt  und 
contrahirt.  Bisweilen  entwickeln  sich  Fleischwärzchen  und  so  bildet  sich  eine 
derbe  und  feste  Narbe,  deren  Umfang  in  der  Regel  kleiner  ist,  als  es  die  Scleral- 
öfi'nung  war.  Zögert  diese  Neubildung,  so  kann  man  sie  bei  Abhandensein  von 
Reizerscheinungen  durch  Betupfen  der  Stelle  mit  Opiumtinctur  oder  Höllenstein 
fördern  (Sichel). 

c)  Bei  Totalstaphylomen  gelingt  es  bisweilen,  durch  Iridectomie  in  Ver- 
bindung mit  wiederholter  Paracentese  der  Lederhaut  oder  mit  Ausschneidung 
eines  kleinen  lanzettförmigen  Lappens  aus  der  Seitenwand,  der  Sclera  dem 
Bulbus  eine  der  jS^orm  näherstehende  Form  und  Grösse  zurückzugeben. 
In  der  Eegel  aber  bleibt  diese  Operation  erfolglos,  oder  sie  führt  zu 
intraocularen  Blutungen  und  heftigen  Entzündungen ,  welche  nach  dem 
oben  Erwähnten  bedenkliche  Folgen  haben  können. 

Die  Phthisis  bulbi  an  sich  ist  nun  freilich  kein  sonderlicher  Verlust. 
Sie  kann  sogar  als  ein  Gewinn  betrachtet  werden ,  wenn  der  Augapfel 
damit  zur  Euhe  gelangt  und  von  den  höchst  peinlichen  entzündlichen 
Eecidiven  befreit  wird ;  um  so  mehr ,  als  der  Stumpf  späterhin  vielleicht 
die  Einlegung  eines  künstlichen  Auges  gestattet  und  diesem  einige 
Beweglichkeit  ermöglichet. 

In  Anbetracht  dessen  empfiehlt  man  neuerer  Zeit  wieder,  die  Ver- 
eiterung des  Bulbus  direct  dadurch  anzustreben ,  dass  man  in  der  Ciliar- 
gegend  einen  Faden  durch  die  Sclerotica  und  den  Glaskörper  zieht  und 
ihn  1—4  Tage,  d.  i.  so  lange  liegen  lässt,  bis  Chemosis  als  das  erste 
Zeichen  einer  beginnenden  eitrigen  Chorioiditis  sich  zu  entwickeln  beginnt 
(Camper,  Ford).  Ein-  und  Ausstich  sollen  im  Ciliarkreise  liegen  und  etwa 
3  Linien  von  einander  entfernt  sein  (Graefe). 

Es  ist  dabei  jedoch  sehr  wohl  zu  berücksichtigen,  dass  der  Eiterungs- 
process  nicht  immer  ganz  glatt  abläuft.  Abgesehen  von  der  möglichen 
Gefahr  einer  Pyämie,  zieht  sich  der  Suppurationsprocess  öfters  unter  höchst 
qualvollen  Leiden  des  Kranken  lange  hinaus  und  kann  schwächlichen 
Kranken  durch  übermässigen  Säfteverlust  gefährlich  werden.  Zu  allem  dem 
schliesst  die  Eiterung  keineswegs  die  Gewissheit  einer  völligen  Schrumpfung 
und  Verhinderung  weiterer  Eecidiven  in  sich. 

d)  Im  Ganzen  kann  wegen  der  nicht  gering  anzuschlagenden  Gefahr 
und    der  Zweifelhaftigkeit    der    Erfolge  nicht   genug    vor   leichtsinniger   Vor- 


Enucleatio  bulln;  Staphyloiiui  posticuin  Scarpae;  Pathologie. 


393 


nähme  dieser  Operationsmethoden  gewarnt  werden.  Reclitfertigen  lassen  sich 
derlei  operative  Eingriffe  nur,  wo  das  kosmetische  Interesse  geradezu 
gebietend  auftritt. 

3.  Wo  fortwährende  Recidiven,  oder  sich  immer  wiederholende  Anfälle 
heftiger  Schmerzen,  oder  subjective  Lichterscheinungen  den  Zustand  unerträglich 
machen,  noch  mehr  aber,  wo  die  Gefahr  einer  sympathischen  Affection  des 
anderen  Auges  bestellt,  oder  diese  schon  vorhanden  ist :  erscheinen  die 
fraglichen  Operationsmethoden  wegen  der  Unsicherheit  ihres  Erfolges  und 
der  Möglichkeit  einer  anhaltenden  Steigerung  des  Reizzustandes  sehr 
bedenklich  oder  geradezu  verwerflich;  da  schwinden  alle  Rücksichten  auf 
kosmetische  Interessen  und  wird  die  ungesäumte  Enucleation  des  Bulbus  zum 
dringenden  Gebot.  Es  bietet  diese  Operation  den  Vortheil,  dass  sie  sicher 
und  rasch  zum  Ziele  führt,  ohne  sonderliche  Gefahren  heraufzubeschwören. 
Der  Haupteinwurf,  dass  sich  späterhin  schwerer  ein  Icünstliches  Auge  ein- 
legen lässt,  hat  nicht  allgemein,  sondern  nur  dort  Giltigkeit,  wo  das  Fett- 
polster der  Orbita  durch  vorwaltende  Ausdehnung  der  hinteren  Augapfel- 
theile  stark  zusammengedrückt  und  zum  Schwunde  gebracht  worden  ist. 

Quellen:  Ammon,  Klin.  Darstellungen  etc.  I.  Berlin.  1837.  Taf.  3,  4,  7,  10.  — 
SteUwag,  Zeitschrift  der  Wiener  Aerzte.  1852.  II.  S.  305;  Wien.  med.  Wochenschrift. 
1864.  Nro.  11;  Ophth.  II.  S.  711,  716,  718.  —  Wedl,  Atlas,  Cornea-Sclera,  Iris- 
Chorioidea.  —  Graefe,  A.  f.  O.  II.  1.  S.  242,  245,  249;  IV.  2.  S.  156;  IX.  2.  S.  105, 
109;  XII.  2.  S.  151,  155;  XV.  3.  S.  136;  kl.  Monatbl.  1868.  S.  165.  —  Sichel, 
A.  f.  0.  III.  2.  S.  211,  216,  223,  228,  232,  236,  240,  251,  254.  —  H.  Müller,  ibid.  IV. 
1.  S.  364,  365.  —  Schweigger,  ibid.  V.  2.  S.  219;  IX.  1.  S.  192,  197,  198.  — 
Graefe  und  Schweigger,  ibid.  VI.  1.  S.  156,  158,  160,  166.  —  AUhof,  ibid.  VIII.  1. 
S.  114,  122.  —  Schiess-Gemuseus,  Virchow's  Archiv.  24.  Bd.  S.  561;  A.  f.  O.  IX. 
3.  S.  171,  175,  178,  184,  188,  192,  196;  XI.  2.  S.  47,  51,  57,  61,  68,  72,  75.  — 
Iwanoff,  ibid.  XI.  1.  S.  144,  145.  —  Ed.  Jaeger,  Zeitschrift  der  Wien.  Aerzte.  1858. 
S.  487.  —  Arlt,  ibid.  1859  S.  148.  —  Pagenstecher  u.  Säinisch,  kl.  Beobachtungen. 
Wiesbaden,  1861.  II.  vS.  87,  89.  —  Caviper,  Ford  nach  Himly,  Krankheiten  und 
Missbildungen.  II.  Berlin.    1843.  S.  194. 


2.  Das  Staphyloma  scleroticae  posticum  Scarpae. 

Pathologie.  Das  Substrat  dieser  Ectasie  ist  ursprünglich  jene  schmale 
ringförmige  Zone  der  inneren  Lederhautfaserlage,  welche  den  Zwischenraum 
heider  Nervenscheiden  (Fig.  28.  S.  167)  nach  vorne  zu  abschliesst  (Ed.  Jaeger). 
Die  Ausdehnung  beginnt  mit  sel- 


Fig.  49 


h 


tenen  Ausnahmen  an  einem  Punkte 
der  äusseren  Zonenhälfte  und 
schreitet  von  hier  aus  an  dem 
Umfange  des  Sehnerveneintrittes 
allmälig  nach  oben  und  unten 
fort.  Der  fragliche  Zonenbogen 
wird  dabei  breiter  und  gewinnt 
Aehnlichkeit  mit  einer  Mondsichel, 
welche  sich  mit  ihrem  inneren 
concaven  Rande  unmittelbar  an 
den  Bindegewebsring  der  Opticus- 
papille   anschliesst,    während    der 

entsprechende    Theil    des  Scheidenzwischenraumes    eine    äquivalente    Auswei- 
tung erfährt  und   in  meridionalem  Durchschnitte   (Fig.   49   nach  Ed.  Jaeger) 


394  Staphyloma  posticum ;  Path.  Anatomie. 

kolbig  a  oder  spaltähnlich  b  erscheint.  Bei  fernerem  Wachsthume  der  Ectasie 
nimmt  die  Mondsichel,  auch  Conus  genannt,  gewöhnlich  die  Gestalt  eines 
abgerundeten  Spitzbogens  an,  indem  die  Ausdehnung  rascher  in  me- 
ridionaler,  als  in  circularer  Richtung  vor  sich  geht.  Mitunter  jedoch 
wird  der  Flächenumriss  des  Conus  mehr  dem  Absclinitte  eines  Kreises 
oder  einer  Ellipse  ähnlich,  oder  erscheint  ganz  unregelmässig  und  selbst 
buchtig.  Zugleich  rückt  die  Wandung  des  Conus  unter  der  AVirkung  des 
intraocularen  Druckes  nach  hinten  und  verengert  so  wieder  den  ausge- 
weiteten Grund  des  Scheidenzwischenraumes,  ja  am  Ende  kömmt  die  vordere 
und  hintere  Wand  des  horizontalen  Spalttheiles  theilweise  wohl  gar  wieder 
in  Berührung.  Geht  die  Dehnung  noch  loeiter ,  so  verschmelzen  die  beiden 
Wände  des  horizontalen  Spalttheiles  auch  völhg  und  werden  unter  fort- 
gesetzter gemeinsamer  Flächenvergrösserung  und  entsprechender  Dicken- 
abnahme nach  hinten  ausgebaucht. 

Ist  die  Ectasie  an  dem  äusseren  Umfange  des  Sehnerveneintrittes  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  gediehen,  so  dass  bereits  die  äusseren  Lederhaut- 
faserlagen in  auffälligerer  Weise  Antheil  an  der  Dehnung  nehmen  ,  so 
beginnt  gar  nicht  selten  auch  die  innere  Zonenhälfte  zu  weichen,  es  ent- 
wickelt sich  daselbst  eine  zweite  Mondsichel.  Es  ist  diese  anfänglich  sehr 
schmal  und  schwer  vom  Bindegewebsringe  zu  unterscheiden,  verbreitert 
sich  aber  bald  und  schiebt  ihre  beiden  Hörner  immer  weiter  vor.  Am 
Ende  fliessen  die  letzteren  mit  denen  der  äusseren  Mondsichel  zusammen 
und  das  Staphylom  stellt  nun  einen  den  Sehnerveneintritt  vollständig  ein- 
schliessenden  Ring  dar,  welcher  an  seiner  inneren  und  äusseren  Hälfte  aus- 
geweitet ist  (Ed.  Jaeger). 

Der  grösste  Breitendurchmesser  des  äusseren  Conus  fällt  in  der  Regel  etwas 
unterhalb,  selten  in  oder  gar  über  den  horizontalen  Meridian  des  Augapfels.  Sind 
zwei  Coni  gegeben,  so  liegen  diese  fast  immer  einander  gerade  gegenüber,  so  dass 
ihre  grössten  Breitendurchmesser  in  demselben  Meridiane  zusammenfallen.  Nur  in 
sehr  seltenen  Fällen  hat  man  einen  Conus  an  der  inneren  Seite  der  Papille  für 
sich  bestehend  gefunden.  Noch  seltener  sind  Coni  am  oberen  und  unteren  Umfange 
des  Sehnerveneintrittes  (Ed.  Jaeger,  Maidhner). 

Die  Flächenvergrösserung  der  betreffenden  Zone  bringt  nothwendig 
eine  Gestaltveränderung  der  hinteren  Bulbushälfte  mit  sich.  Diese  ist  indessen 
je  nach  den  obwaltenden  Verhältnissen  eine  überaus  wandelbare;  sie  ist 
eine  andere  bei  einfachen  und  bei  doppelten,  bei  schmalen  und  bei  breiten 
Conis.  So  sieht  man  bei  umfangsreichem  einfachen  hinteren  Scleralstaphylome 
den  Polartheil  der  Lederhaut  bald  sehr  verflacht  (Fig.  50),  bald  läuft  der 
Augapfel  gegen  den  Opticus  hin  spitz  zu  (Fig.  51).  Bei  sehr  mächtigeme 
Doppelconus  erscheint  das  Hinterende  des  Bulbus  wohl  gar  in  Form  einer 
ziemlich  scharf  abgegrenzten  Blase  herausgebaucht  (Fig.  52).  Jedenfalls 
resultirt,  da  der  Ectasie  eine  wesenthche  "V'ergrösserung  des  aequatorialen 
Durchmessers  nicht  parallel  geht,  eine  Verlängerung  der  optischen  Axe,  wo- 
bei die  dem  gelben  Flecke  entsprechenden  Theile  der  Formhäute  nach 
hinten  und  auch  etwas  zur  Seite  rücken.  Dabei  erleidet  die  Lage  der 
Sehnervenscheibe  zur  optischen  Axe  eine  Veränderung ,  die  Papille  stellt 
sich  in  einen  Wi7ikel  zur  letzteren  und  tritt,  falls  der  Conus  ein  doppelter 
ist,   auch  etwas  zurück. 


Veriiudermij'en  der  Aderluiut  im  Bereidu'  des  Conus. 


395 


Das    Gewehe  der  Lederhaut    orscheiiit    im    Ticreiche    des    Conus  nicht 
wosontlioh   vovändcu't,    die    faserigen    Elemente    lassen    daselbst    nur  einige 


Streckung  erkennen. 


Fig.  50. 


Fig.  51 


Anders  verhält  es  sich  mit  der  Aderhaut.  Diese  verfällt,  so  weit  das 
Staphylom  reicht,  immer  dem  Schwunde.  Da  ihr  hinterer  Theil,  besonders 
in  der  Gegend  des  gelben  Fleckes,  fester  mit  der  inneren  Scleralwand  ver- 
wachsen ist,  muss  sie  an  der  Ectasie  innigen  Antheil  nehmen,  ohne  dass  die 
damit  gesetzte  locale  Dehnung  durch  Zuzug  nachbarlicher  Portionen 
gemildert  und  so  ihr  nutritionsstörender  Effect  theilweise  beglichen  werden 
könnte.  Zuerst  äussert  sich  die  Atrophie  in  den  Pigmentzellen  des  Tapetes. 
Ihr  Farbestotf  geht  theilweise  unter,  wird  chemisch  umgewandelt,  während 
die  Zellen  selbst  grösser  und  flacher  werden.  Am  Ende  gehen  letztere 
ganz  unter  und  hinterlassen  blos  Haufen  freien  Pigmentes.  Am  Umfange 
des  Conus  vermehren  sich  dagegen  bisweilen  die  Zellen,  wenigstens  nimmt 
ihr  Pigmentgehalt  zu  und  der  Earbstotf  wird  dunkler,  selbst  tief  schwarz. 
Die  den  Conus  deckende  stark  gedehnte  Portion  der  Aderhaut  präsentirt 
sich  dem  zu  Folge  anfänglich  als  ein  zartes,  schmutzig  bräunlichgraues  und 
dunkler  gewölktes  oder  getäfeltes  Häutchen,  welches  noch  die  Gefässe  der 
Vascxilosa  nebst  Resten  der  Choriocapillaris-JS'etze  erkennen  lässt.  Die 
Stromazellen  bestehen  öfters  noch  lange  fort,  doch  wird  ihr  Farbstoff 
spärlicher  und  blässer,  um  schliesslich  ganz  zu  verschwinden.  Schreitet 
jedoch  die  Entwickelung  des  Staphyloms  iveiter  fort,  so  ändert  das  ectatische 
Aderhautstück  gänzlich  seinen  anatomischen  Charakter,  es  wird  auf  ein 
höchst  feines,  undeutlich  faserstreifiges,  oft  fast  homogenes  Häutchen  reducirt, 
welches  sich  nur  schwierig  von  der  unterlagernden  Sclera  trennen  lässt, 
hier  und  da  Pigmenthäufchen  nebst  einzelnen  in  Caliber  und  Wandung 
verkümmerten  Gefässen  enthält  und  meistens  von  ectatischen  Resten  der 
Lamina  elastica  überkleidet  wird.  Entzündliche  Producte  und  deren  Derivate, 
welche  liier  und  da  im  Bereiche  des  Conus  gefunden  werden  (H.  Müller), 
gehören  nicht  zum  Wesen  der  Krankheit,  sondern  auf  Rechnung  eines  com- 
plicir enden    Wucherungsprocesses. 

Die  ausserhalb  des  Conus  gelegenen  Theile  der  Leder-  und  Aderhaut 
bewahren  bei  minder    hochgradiger    und    langsam    entwickelter    Sclerectasia 


396  Staphyloma  posticum;  Path.  Anatomie;  Veränderungen  der  Netzhaut. 

posterior  in  der  Regel  ihre  Integrität,  höchstens  findet  man  in  ihrem 
Bereiche  Spuren  einer  Chor ioidalhy per ämie.  Bei  rasch  entstandenem  Staphy- 
loma posticum,  auch  niederen  Grades ,  lässt  sich  ein  Congestivzustand  der 
nachbarlichen  Aderhautportionen  in  der  Regel  nachweisen.  Später  zeigt 
sich  die  Chorioidea  an  diesem  Orte  meistens  leicht  atrophirt  und  bei  sehr 
grossen  Ectasien  ist  der  Schwund  wohl  auch  in  weitem  Umkreise  sehr 
deutlich  ausgesprochen,  wenigstens  ist  das  Tapet  verblasst  und  lückenhaft 
geworden.  Es  handelt  sich  dabei  meistens  um  einfache  Atrophie,  die  aus 
der  Dehnung  der  Membran  und  vorzüglich  aus  den  localen  Circulations- 
störungen  abzuleiten  ist,  welche  nothwendig  durch  das  Auseinanderweichen 
der  Lederhautelemente  und  durch  die  damit  gesetzte  Verscliiebung  und 
Verengerung  der  hinteren  Gefässdurchlässe  begründet  werden.  Mitunter, 
und  zwar  vorzüglich  bei  raschem  Vorschreiten  des  Processes,  gibt  die  Zerrung 
auch  ein  pathogenetisches  Moment  für  wahre  Entzündungen  ab,  die  sich  dann 
in  der  Form  der  Sclerochorioiditis  geltend  machen  und  gar  nicht  selten 
zu  complicirenden  Sclerochorioidalstaphylomen  führen.  In  der  Gegend  des 
gelben  Fleckes  sind  solche  Ausweitungen  in  der  That  öfters  Gegenstand 
der  Beobachtung.  Sie  entwickeln  sich  bisweilen  schon  sehr  frühzeitig,  ehe 
noch  der  Conus  einen   erheblichen  Umfang  erreicht  hat. 

Aehnliches  gilt  auch  von  der  Netzhaut.  Entwickelt  sich  die  Ectasie 
langsam  und  nur  zu  niederen  Graden,  so  kann  sich  die  mit  der  Ver- 
grösserung  der  hinteren  Bulbuswand  verknüpfte  Dehnung  leichter  vertheilen 
und  die  Elemente  der  Netzhaut  haben  Zeit,  sich  den  neuen  Verhältnissen 
anzupassen ;  daher  denn  auch  der  Voi-gang  ohne  sonderlichen  jS'achtheil  für 
die  Ernährung  und  Function  der  Membran  zu  bleiben  pflegt.  Hat  die 
Ectasie  aber  einen  grossen  Umfang  erreicht,  oder  ist  sie  schnell  entstanden, 
oder  um  ein  Beträchtliches  gewachsen,  so  leiden  die  hinteren  Portionen  der 
Retina  fast  immer  und  äussern  dies  durch  sehr  störende  Herabsetzungen 
der  Sehschärfe  etc.  Man  hat  die  Radiärfasern  an  der  Grenze  des  Conus 
wiederholt  schief  gestellt,  mit  ihren  hinteren  Enden  nach  vorne  gezogen 
gefunden  (Homer,  Iwanoff).  In  einzelnen  excessiven  Fällen  ist  die  Atrophie 
sehr  auffällig,  es  erscheint  der  über  dem  Conus  gelegene  Theil  der  Netzhaut 
schon  dem  freien  Auge  sehr  verdünnt  und  unter  dem  Mikroskope  auf  ein 
zartes  Bindegewebsnetz  ohne  Spur  nervöser  Elemente  reducirt,  welches  von 
der  bald  verdickten  (Iwanoff),  bald  sehr  verdünnten  und  stellenweise 
lückenhaft  gewordenen  Limitans  überkleidet  wird  (WedlJ.  Gar  oft  veran- 
lasst die  Zerrung  auch  heftige  Reizzustände  mit  starker  Hyperaemie  und 
selbst  mit  zerstreuten  retinalen  Blutextravasaten ;  ja  nicht  selten  kömmt 
es  zu  manifesten  Entzündungen,  welche  dann  gewöhnlich  unter  der  exsudativen 
Form  hervortreten,  oder  eine  Netzhautabhebung  veranlassen.  Auch  die 
Entzündungen  betreffen  zumeist  die  Gegend  des  gelben  Fleckes  und  den 
zwischen  diesem  und  der  Papille  gelegenen  Abschnitt ,  da  die  Macula 
lutea  fester  an  der  Chorioidea  anklebt,  und  sonach  die  Zerrung  dieser 
Stellen  um  so  grösser  sein  muss,  als  die  Axe  des  Conus  zumeist  in  diese 
Richtung  fällt  und  ein  ausgleichender  Zuzug  von  der  Nachbarschaft  her 
schwieriger  gemacht  ist. 

Im  Uebrigen  streicht  die  Netzhaut  gewöhnlich  frei  über  die  ectatische 
Stelle  des  Augengrundes  hinweg.  Ist  diese  ausgehöhlt,  so  erscheint  die 
Retina  in  ihrem  Bereiche  bisweilen  leicht  nach  hinten  gebaucht,  ragt  also 


Veräiuleninpfen  dps  Nevvenkopfes  n.  Glaskörpers:  KrüiikliPitsbili 


397 


in  die  von  wässeriger  Flüssigkeit  gefüllte  Staphylomhöhle  hinein.  Aus- 
nahmsweise findet  man  die  Netzhaut  auch  durch  Exsudate  an  den  Hand 
der  Ectasie  festgelöthet. 

Der  NervenJcopf  ist  bei  Jrisch  entstandener  und  namentlich  rasch  ent- 
wickelter Ectasie  oft  stark  hyperämirt.  Sonst  lässt  er  und  seine  binde- 
gewebigen Hüllen  nur  bei  umfangreicheren  Staphylomen  erhebliche  Ver- 
änderungen erkennen.  Die  vorspringende  Leiste,  welche  die  innere  Nerven- 
scheide bei  ihrem  Uebergange  in  die  vorderen  Lederhautschichten  bildet, 
und  über  welche  sich  die  Opticusröhren  im  Bogen  zur  Netzhaut  begeben, 
weicht  sammt  dem  anhaftenden  Bogentheile  des  Aderhautfaserringes  an  der 
Basis  des  Conus  nach  hinten,  oder  wird  wohl  gar  in  der  Eichtung  der 
Axe  des  letzteren  nach  Aussen  gezerrt.  Die  Eolge  davon  ist ,  dass  die 
dem  Conus  zulaufenden  Opticusfasern  gleich  bei  ihrem  Austritte  aus  der 
Lamina  cribrosa  sich  umlegen.  In  extremen  Fällen  wird  sogar  die  ganze 
hintere  Aderhautöifuung  nach  Seiten  des  Conus  verrückt,  so  zwar,  dass 
die  dem  letzteren  abgewendeten  Nervenröhren  an  dem  Faserringe  eine  starke 
Knickung  erleiden  und  die  Gefässpforte  an  den  Eand  der  Aderhautöffnung 
zu  liegen  kömmt   (Fig.   49.   S.    393   bei  c.  Ed.  Jaeger). 

Der  Glaskörper  ist  bei  höhergradigen  Ectasien  in  seinen  hinteren 
Portionen  nicht  selten  getrübt  und  von  der  Netzhaut  durch  flüssiges  serum- 
ähnliches Product  abgehoben.  Der  Glaskörper  nimmt  eben  nicht  an  Volum 
zu,  wenn  der  hintere  Augenhöhlenraum  durch  das  Staphylom  vergrössert 
wird,  vielmehr  wird  die  Lücke  durch  ein  wässeriges  Transsudat  gefüllt, 
welches  den  Glaskörper  von  der  Limitans ,  und  diese  nicht  selten  auch 
theilweise  von  der  unterlagernden  Netzhaut  ablöst,  in  Form  kleiner  Buckel 
emporhebt  (Iwanoff).  Am  hinteren  Pole  der  Linse  hat  man  öfters  eine  staarige 
Trübung  bemerkt. 

Krankheitsbild.  Das  Staphyloma  posticum  lässt  sich  unter  allen 
Umständen    am    sichersten    durch    den    Augenspiegel    nachweisen.      Der  erste 


Fig.  53. 


Fig.  54. 


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Beginn    desselben    pflegt    sich    durch  Anhäufungen    von  Pigment  an    dem 


betreffenden 


Bogentheile 


der     hinteren 


Aderhautöffnung     zu    verrathen. 


398  Staphyloma  posticum;  Kranklieitebild ;  Ophthalmoskop.  Erscheinungen. 

Dieser  duukle  Saum  spaltet  sich  daun  in  2 — 3  concentrische  Bogen- 
streifen,  oder  rückt  einfach  von  dem  Biudegewebsringe  des  Sehnervenein- 
trittes hinweg  und  es  kömmt  die  ectatische  Lederhautzone  in  Gestalt  eines 
hellen  schmalen  Saumes  zum  Vorscheine,  welcher  sich  allmähg  verbreitert 
und  eine  mondsichelähnliche  (Fig.  Ä,  E)  oder  ganz  unregelmässige  Ge- 
stalt annimmt.  Bei  fortgesetzter  staphylomatöser  Dehnung  rückt  der  äussere 
Kaud  des  Conus  immer  weiter  weg  vom  Eande  des  Sehnerveneintrittes, 
der  Conus  gewinnt  Aehnlichkeit  mit  einem  Spitzbogen  (Fig.  R),  oder  mit 
dem  Abschnitte  eines  Ovals  (Fig.  G),  eines  Kreises,  oder  er  wird  ganz 
unregelmässig  buchtig  (Fig.  S).  Gemeiniglich  greifen  so  grosse  Coni  schon 
über  den  grössten  Durchmesser  des  Sehnerveneintrittes  liinaus ,  oder 
umsäumen  letzteren  nach  Art  eines  Ringes  (Fig.  53),  ja  nicht  selten  ge- 
schieht es,  dass  der  dem  Conus  diametral  entgegengesetzte  Bogentheil  des 
Einges  ebenfalls  ausgeweitet,  zu  einer  Mondsichel,  einem  Spitzbogen  u.  s.  w. 
umgeformt  wird,  sonach  ein  doppelter  Conus  zur  Wahrnehmung  kömmt 
(Fig.   54). 

Ganz  frisch  entstandene  und  rasch  ausgebildete  Coni  heben  sich  von  den 
umgebenden  Theilen  des  Augengrundes  meistens  nicht  sehr  deutlich  ab ;  die 
sehnigweisse  OberÜäche  der  ectatischen  Lederhautzone  schimmert  nur  ganz 
matt  durch  die  noch  pigment-  und  gefässhältige  verdünnte  Aderhaut  durch, 
sie  erscheint  überkleidet  von  einem  mehr  weniger  dichten  graubräunlichen 
oder  bräunlichrothen  Flor,  in  welchem  sich  dunklere  wolkige  Zeichnungen, 
öfters  auch  Haufen  schwarzbraunen  Pigmentes,  ziemlich  starke  Gefässe 
aus  der  Vascalosa  und  bisweilen  kleine  Blutextravasate  erkennen  lassen. 
Es  grenzt  sich  dieser  im  Schwunde  begriffene  Aderhauttheil  auch  nicht 
scharf  gegen  die  nachbarlichen  normalen  Theile  des  Augengrundes  ab, 
sondern  bildet  eine  ganz  unregelmässig  zackige  und  verwaschene  Zone, 
liinter  welcher  man  den  Rand  des   Conus  mit  Mühe   erkennt. 

Besteht  das  Staphylom  schon  länger  und  schreitet  es  nur  sehr  langsam 
in  seiner  Entwickelung  vor,  so  erscheint  der  Conus  wegen  weit  gediehenem 
Schwunde  der  überlagernden  Chorioidalpartie  hell  glänzend  und  intensiv 
bläidichweiss,  sticht  also  sehr  stark  von  seinen  Umgebungen  ab  (Fig.  G), 
namentlich  wenn  sein  Rand  noch  von  Haufen  dunklen  Pigmentes  besetzt 
ist.  Doch  ist  die  Farbe  nicht  immer  eine  gleichmässige,  öfters  ist  der 
Conus  stellenweise  bräunlich  oder  grau  gewölkt,  von  dunklen  Pigment- 
haufen besetzt,  oder  er  zeigt  das  der  Vasculosa  eigenthümliche  Getäfel 
(Fig.  E,  R,  S.  54).  Auch  stärkere  Gefässästchen  werden  bisweilen  wahrge- 
nommen, welche  an  irgend  einem  Punkte  des  Conus  hervortreten  und 
sich  rasch  seiner  Grenze  zuwenden,  um  daselbst  in  der  Aderhaut  zu  ver- 
schwinden.  (Fig.   54). 

Bisweilen  bemerkt  man  au  der  Oberfläche  der  hellen  Figur  ganz  unregel- 
mässig gestaltete  schaftige  Flecke,  welche  durch  Richtungsänderung  des  eingelas- 
senen Spiegellichtes  in  Gestalt  und  Lage  etwas  modificirt  werden.  Sie  deuten  auf 
grubige  Vertiefungen  im  Conus ,  sonach  auf  eine  hügelige  Aussenwand  des  Staphy- 
lomes.  Häutiger  fällt  ein  mondsichelformiger  Schatten  auf,  welcher  dem  äusseren 
Rande  des  Conus  bald  näher  bald  ferner  liegt  und  gleichfalls  von  der  Richtung 
des  einfallenden  Lichtes  in  Lage  und  Gestalt  beeinflusst  wird.  Es  ist  ein  Zeichen 
der  Aushauchung  der  Staphylomwand  nach  hinten.  Es  lässt  sich  diese  Ausbauchung 
fibrigens  auch  noch  dadurch  erkennen,  dass  bei  ihrem  Vorhandensein  die  Netzhaut- 
gefüsse  in  einiger  Distanz  über  die  Oberfläche  des  Conus  hinwegziehen  oder,  falls 
die  Netzhaut  eine  Aushuchtiing  erlitten  hätte,  einen  Bogen  nach  hinten  beschreiben 
und  am  Rande  des  Conus  wieder  in  ihre  normale  Richtung  einbiegen. 


Aeussero  Symiilomc;  Sohstörungen ;  Myopie.  399 

Die  8ehnervenscheibc  erscheint  bei  umfangreichen  liintcren  Scleral- 
staphylomen  im  Spiegelbilde  gewöhnlich  oval  (Fig.  G,  li ,  53).  Ihr 
äusserer  Rand  ist  dann  nämlich  beträchtlich  nach  hinten  gerückt  und  ihre 
Fläche  präsentirt  sich  dem  speculirenden  Auge  unter  einem  grossen  Winkel. 
Doch  soll  diese  Formveränderun"-  nicht  blos  eine  scheinbare  sein  und  durch 
die  Projectionsvcrhältnissc  bedingt  werden,  sondern  wirklich  bestehen  (Lieb- 
reich, Donders). 

Ausserdem  wird  das  ophthalmoskopische  Bild  natürlich  durch  krank- 
hafte Veränderungen  des  Glaskörpers,  der  Linse,  der  das  Staphylom  um- 
gebenden Aderhauttheile  u.  s.  w.  modificirt.  Am  häufi<>;sten  findet  man 
ausgebreitete  Aderhautatrophien,  die  Ausgänge  einer  Ncurodictyitis  exsu- 
dativa u.  s.  w.  (Fig.  E,  G,  li,  S,  53).  Bei  rasch  loachsenden  Ectasien 
treten  in  den  Umgebungen  des  Conus  häufig  die  Gefässe  der  Vasculosa 
sehr  scharf  heraus,  sind  ansehnlich  verbreitert,  gestreckt  und  deuten  gleich 
der  meisthin  sehr  beträchtlichen  Röthung  der  Papille  auf  Congestivzustände 
(Fig.  R,   53,   54). 

2.  Umfangreiche  hintere  Scleralstaphylome  können  häufig  auch  ohne 
Zuhilfenahme  des  Augenspiegels  diagnosticirt  werden.  Lässt  man  den 
Kranken  das  Auge  möglichst  stark  nach  iimen  wenden  und  drückt  man 
dann  die  äussere  Commissur  der  Lidspalte  mit  den  nachbarlichen  Theilen 
der  Bindehaut  nach  hinten,  so  gewahrt  man  ganz  deutlich  die  bläulich 
durchscheinende  und  bisweilen  sogar  wulstförmig  vorspringende  Zone  an 
der  Grenze  des  Sehnerveneintrittes.  Bei  höchstgradig  entwickelter  Scler- 
ectasia  posterior  sind  die  Verlängerung  und  die  damit  gesetzte  Hervor- 
treibung  des  Auges,  oft  sogar  auch  die  Schiefstellung  und  Motilitätsstörung 
desselben  so  bedeutend,  dass  sie  schon  von  weitem  auffallen  und  die 
Diagnose  auf  den  ersten  Blick  stellen  lassen. 

3.  Die  Entwickelung  des  hinteren  Scleralstaphyloms  ist  wegen  dem 
dadurch  veranlassten  Zurückweichen  des  Netzhautcentrums  immer  mit  einer 
Vergrösserung  des  Refractionszustandes  verknüpft.  Höhergradig  hypermetropische 
Augen  werden  dadurch  also  im  minderen  Grade  übersichtig,  emmetropisch 
oder  kurzsichtig;  emmetropische  Augen  hingegen  werden  myopisch  und  in 
myopischen  steigt  der  Grad   der  Kurzsichtigkeit. 

4.  Im  Uebrigen  wird  die  Sehfunction  durch  die  Sclerectasia  posterior 
weit  weniger  gestört,  als  man  nach  dem  anatomischen  und  ophthal- 
moskopischen Befunde  vermuthen  sollte.  Niedergradige  Ectasien  verrathen 
sich  meistens  durch  keinerlei  suhjective  Symptome  und  selbst  ziemlich  breite 
Staphylome,  welche  die  Papille  in  mehr  als  der  Hälfte  ihres  ümfanges 
umgreifen,  sind  nicht  nuthwendig  mit  darauf  beziehbaren  auffälligen  Gesichts- 
fehlerji  verbunden.  Im  Allgemeinen  gilt  hierbei  die  Eegel,  dass  gleiche 
Entwickelungsgrade  des  Staphj'loms  um  so  leichter  und  zu  um  so  bedeutenderen 
Functionsstörungen  des  hchtempfindenden  Apparates  führen,  je  rascher  sie 
zu  Stande  gekommen  sind.  Bei  plötzlich  entstandenen  hinteren  Scleral- 
staphylomen,  auch  wenn  sie  noch  keinen  sehr  beträchtlichen  Umfang 
erreicht  haben,  fehlen  solche  Störungen  in  der  That  kaum  jemals,  sondern 
machen  sich  im  Gegentheile  meistens  in  sehr  beunruhigender  Weise  geltend. 
Sie  sind  sehr  verschiedener  Art  und  combiniren  sich  im  speciellen  Falle  in 
sehr  mannigfaltiger  Weise. 


400  Staphyloma  posticum ;  Kiankheitsbild ;  Sehstörungen ;  Ursachen. 

Zum  Theile  sind  es  die  bekannten  Erscheinungen  von  Congestiv- 
zuständen  in  der  Netz-  und  Aderhaut,  oder  Symptome  einer  mehr  weniger 
weit  gediehenen  Hyperästhesie  im  Bereiche  des  Kchtempfindenden  Apparates 
und  des  Ciliarsystems. 

Besonders  häufig  und  im  hohen  Grade  peinlich  ist  das  Auftreten  von 
beweglichen  und  fixen  Scotomen ,  welche  ihre  nächste  Veranlassung  in 
Wucherung  der  Glaskörperzelle.n,  ihren  ferneren  Grund  aber  gleich  den  erst- 
erwähnten krankhaften  Zuständen  in  der  Dehnung  der  Netz-  und  Ader- 
haut und  in  den  damit  gesetzten  Circulationsstörungen  und  jSTervenreizungen 
finden. 

Zu  den  Sehstörungen,  welche  in  direcfem  Causalzusammenhange  mit  der 
Staphylombildung  stehen,  gehört  vor  allem  anderen  die  Vergrösserung  des 
blinden  Fleckes.  Sie  resultirt  immittelbar  aus  den  materiellen  Veränderungen, 
welche  die  in  den  Bereich  des  Staphyloms  fallenden  Theile  der  liintersten 
Netzhautzone  bei  rasch  entwickelten  oder  weit  gediehenen  Ectasien  erleiden 
und  welche  sich  anfanglich  als  ein  Auseinanderrücken  der  lichtempfindenden 
Elemente,  später  aber  als  wirkliche  Atrophie  der  nervigen  Theile  definiren 
lassen.  Auch  ist  hierbei  vielleicht  das  rasche  Umbiegen  der  aus  der  Sieb- 
membran hervortretenden  Nervenröhren  und  die  damit  verbundene  Ver- 
rückung der  Stabschichtgrenze  nach  Seiten  des  Conus  ein  belangreiches 
Moment  (Ed.  JaegerJ.  Im  Anfange  pflegt  übrigens  die  Vei'grösserung  des 
bünden  Fleckes  nicht  sonderlich  ins  Auge  zu  fallen ;  derselbe  tritt  nur 
bei  darauf  gerichteter  Aufmerksamkeit  hervor,  wenn  es  sich  um  sehr  scharfe 
und  deutliche  Wahrnehmungen  handelt.  Er  zeigt  sich  dann  öfters  als  ein 
höchst  feiner  Nebel,  welcher  die  dem  Eixirpunkte  nach  Aussen  nahe  liegenden 
Objecttheile  überkleidet.  Weiterhin  jedoch  verschwimmen  die  betreffenden 
Stellen  im  Gesichtsfelde  immer  mehr,  es  ist  eine  wirkliche  Unterbrechung 
des  Sehfeldes  gegeben,  welche  den  Kranken  in  Gestalt  eines  oder  mehrerer 
kleiner  leerer  Flecke  unaufliörhch  verfolgt,  das  Lesen,  Schreiben  u.  s.  w. 
wesentlich  beirrt,  obgleich  das  centrale  Sehen  vielleicht  noch  nicht  im 
Mindesten  gestört  ist. 

Eine  andere  Folge  der  Staphylombildung  ist  in  nicht  ganz  seltenen 
Fällen  die  Metamorphopsie.  Die  Kranken  sehen  Objecte  oder  Objecttheile, 
welche  in  gewissen  Aichungen  des  Gesichtsfeldes  nahe  dem  Centrum  lagern, 
nach  bestimmten  Richtungen  verkrümmt,  verzerrt,  mitunter  auch  unter- 
brochen und  die  einzelnen  Theile  gegen  einander  verschoben.  Besonders 
an  Linien  und  Liniensystemen  ist  diese  Abweichung  sehr  auffällig.  Es 
ist  dieselbe  auf  Lageveränderungen  der  Stäbe  und  Zapfen  zu  beziehen 
und  diese  aus  der  unverhältnissmässigen  Dehnung  der  einzelneu  Netzhaut- 
abschnitte, besonders  der  an  der  Chorioidea  fester  haftenden  Centraltheile, 
abzuleiten. 

Bei  grösseren  Staphj^lomen  macht  sich  die  enorme  Dehnung  und  die 
damit  gesetzte  Nutritionsstörung  der  Netzhaut  gewöhnlich  auch  durch  eine 
sehr  auffällige  Verminderung  der  Sehschärfe  im  ganzen  Gesichtsfelde  und 
nebenbei  durch    Unterbrechungen  und  Einschränkungen  des   letzteren  geltend. 

Ursachen.  Die  Anlage  zum  Staphyloma  posticum  ist  wahrscheinüch 
angeboren  und  in  einer  geringeren  Festigkeit  der  Raphe  zu  suchen,  welche 
den  foetalen  Augenspalt  schliesst.  Es  deutet  darauf  der  Umstand  hin,  dass 
die    Ectasie    mit    wenigen    Ausnahmen    am    äusseren    unteren  Umfange  der 


Congestivzuständo ;  Zngwirkung  des  Ciliarmuskels.  401 

Sehnorvenscheibo,  also  an  einem  Punkte  beginnt,  welcher  der  Lage  der 
foetalen  Augenspaltc  und  der  sogenannten  Protubei'antia  scleroticae  (Ammon) 
entspricht.  Auch  lässt  sich  für  diese  Ansicht  die  exquisite  und  mit  Un- 
recht angezweifelte  (H.   Cohn)   Vererblichkeit  des  Uebels  verwerthen. 

Verlässliche  Untersnclmnpjen  einer  grossen  Anzahl  von  Kindern  haben 
nämlich  ergeben,  dass  das  Staphyloma  posticum  bei  den  Abkömmlingen  kurzsich- 
tiger Eltern  unverhältnissmässig  häufig  ist,  ja  dass  die  Lage  und  die  specielle 
Form  der  Ectasie  bei  Mutter  und  Kind,  selbst  bei  den  verschiedenen  Geschwistern 
und  an  beiden  Augen  eines  und  desselben  Individuums  oft  überraschend  ähnlich 
oder  gar  völlig  gleich  sind  (Ed.  Jaeger). 

Es  scheint,  dass  langgebaute  Augen  mehr  disponiren;  wenigstens  findet 
sich  bei  solchen  das  »Staphyloma  posticum  in  einem  autfallend  hohen  pro- 
centarischen  Verhältnisse.  Doch  entwickelt  sich  die  fragliche  Ectasie 
gelegentlich  in  jedem  beliebig  gebauten  Auge  und  wenn  sie  sich  in  der 
grössten  Mehrzahl  der  Fälle  an  Myopie  gebunden  zeigt,  so  liegt  der  Grund 
dai'iu,  dass  die  damit  gesetzte  Verlängerung  der  Bulbusaxe  eine  Erhöhung 
des  Refractionszustandes  nach  sich  zieht.  In  der  That  stösst  man  gar  nicht 
selten  (Dobrowolsky)  auf  das  Staphyloma  posticum  in  entschieden  hyperme- 
tropischen  Augen;  es  ist  hier  die  Verlängerung  des  Auges  eben  nicht 
gross  genug  gewesen,  um  den  stark  plathymorphisch  gebauten  Bulbus  in 
einen   emmetropischcn   oder  myopischen  zu  verwandeln. 

Das  Staphyloma  posticum  wird  in  seiner  Entwickelung  unzweifelhaft 
durch  Congesfivzustände  der  hinteren  Lederhautzone  begünstigt  und  ge- 
fördert. Es  sind  die  letzteren  unter  gewissen  Umständen  aus  Circulations- 
störungen  im  Verzweigungsgebiete  der  oberen  Hohlvene  abzuleiten.  Ilire 
hauptsächlichste  und  gewöhnlichste  Uuelle  jedoch  finden  sie  in  dauernden  und 
starken  Accommodationsanstrengungen  der  Augen.  Es  steht  nämlich  fest, 
dass  das  Staphyloma  posticum  in  den  niederen  Bevölkerungsschichten, 
namentlich  halbcivilisirter  Länder,  wo  die  Schulbildung  auf  einer  sehr 
tiefen  Stufe  steht  und  überdies  von  der  grössten  Mehrzahl  der  Individuen 
gänzlich  vernachlässigt  wird,  nur  äusserst  selten  vorkömmt  und  selbst  an 
hoch-  und  höchstgradig  kurzsichtigen  Augen  gewöhnlich  fehlt;  dass  hin- 
gegen laut  genauen  statistischen  Untersuchungen  (H.  Cohn)  die  Häufigkeit 
und  der  Entwickelungsgrad  des  Staphyloma  posticum  mit  der  Grösse  und 
der  Dauer  der  Anstrengungen  wachsen,  zu  welchen  die  Augen  behufs  der 
Jlrwerbung  und  Verwerthung  der  Schulbildung  verhalten  werden.  Es  ist 
aber  auch  bekannt,  dass  in  solchen  überbürdeten  Augen  fast  eonstant  eine 
beträchtliche  Hyperämie  des  Sehnerveneintrittes  besteht,  welclie  sich  un- 
zweifelhaft durch  die  natürlichen  Gefässverbindungen  auf  die  hintere 
Scleralzone  fortsetzt  und  hier  zu  einer  traussudativen  Lockerung  der 
Theile  um  so  leichter  Gelegenheit  geben  kann,  als  das  Gebiet  des  hinteren 
Scleralkranzes  dem  regulatorischeu  Einllusse  der  elastischen  Bulbuskapsel 
entrückt  ist. 

In  neuerer  Zeit  glaubt  man  dem  Zuge  des  Ciliarmuskels,  dessen  meridionale 
Bündel  in  hochgradig  kurzsichtigen  Augen  aiiflallig  stark  entwickelt  zu  sein  pflegen, 
aiif  die  hintere  Ansatzlinie  der  Aderhaut  eine  hervorragende  Rolle  bei  dem  Zu- 
standekommen des  Staphyloma  posticum  zuweisen  zu  dürfen  (Homer,  Iwanoff). 
Doch  steht  dieser  Ansicht  die  Thatsache  entgegen,  dass  die  fragliche  Ectasie  sich 
primär  mit  seltenen  Ausnahmen  blos  am  äusseren  Umfange  der  Papille ,  also 
gerade  an  jener  Stelle  entwickelt,  auf  welche  der  Ciliarmuskel  am  tvenigsfen  ein- 
zuwirken vermag,  da  er  hier  am  weitesten  vom  Sehnerveneintritte  entfernt 
ist  und  sein  Zug   überdies  durch    die   ziemlich    feste  Anheftnng    der  Chorioidea    an 

Stell  wag,   Augenheilkunde.  26 


402  Staphyloma  posticum ;  Verlauf;  Ausgänge;  Blutextravasate  in  der  Macula  lutea. 

die  Sclerotica  in  der  Gegend  der  Macula  lutea  unwirksam  gemacht  wird,  auch 
wenn  sich  sonst  der  Effect  seiner  Zusammenziehung  durch  die  sehr  dehnbare  Ader- 
haut bis  auf  den  Rand  der  Papille  fortzupflanzen  im  Stande  wäre. 

Die  Beobachtung  von  Fällen,  in  welchen  das  fragliche  Staphylom  gleich  von 
vorneherein  mit  den  Erscheinungen  einer  laufenden  intraocularen  Entzündung  oder 
ihrer  Folgen,  mit  Trübungen  der  Netzhaut,  des  Glaskörpers,  mit  Sehnervenexca- 
vation  etc.  zur  Wahrnehmung  kömmt,  hat  zu  dem  Irrthume  geführt,  als  wäre  eine 
Entzündung  die  Quelle  des  Staphyloma  posticum  (Graefe,  Heymann),  ein  Irrthum, 
welcher  sich  schon  dadurch  widerlegt,  dass  Wucherungsprodiicte  und  Entzün- 
dungserscheinungen bei  der  fraglichen  Ectasie  in  der  Regel  fehlen  und  dass  um- 
gekehrt primäre  eclatante  Sclerochorioiditides  nur  sehr  selten  zu  Staphyloma  posti- 
cum Veranlassung  geben. 

Verlauf  und  Ausgänge.  Die  ersten  Anfänge  des  Stapliyloms  zeigen 
sich  oft  schon  beim  Neugeborenen  (Ed.  JaegerJ.  Die  weitere  Ausbildung 
nach  der  Geburt  ist  in  vielen  Fällen  eine  überaus  langsame  und  durch  viel- 
fache Stillstände  unterbrochene^  so  dass  sie  viele  Jahre  in  Anspruch  nimmt. 
In  anderen  Eällen  jedoch  ist  die  Entwickelung  eine  sehr  rapide  und  gedeiht 
dann  binnen  kurzer  Zeit  zu  hohen  Graden  (Siehe  Verlauf  und  Ausgänge 
der  Myopie). 

Das  Staphylom  kann  m  jedem  Stadium  der  Entwickelung  stehen  bleiben, 
stationär  werden.  Gar  nicht  selten  kommen  Fälle  vor,  wo  Staphylome 
von  der  ersten  Jugend  bis  ins  höchste  Alter  völlig  unverändert  fortbestehen. 
Ein  Zurückgehen  der  einmal  entwickelten  Ectasie,  selbst  der  niedersten 
Entwickelungsgrade,  ist  kaum  anzuhoifen,  wenigstens  wurde  es  bisher  nicht 
beobachtet.  Wohl  aber  bersten  bisweilen  höchstgradige  blasige  Stapylome, 
das  wässerige  Contentum  wird  in  die  Orbita  diffundirt,  jedoch  bald  wieder 
aufgesaugt,  während  der  amaurotische  Bulbus  schrumpft  und  dann  unter  das 
normale  Grössenmass  herabsinkt. 

Die  grössere  Nachgiebigkeit  der  Sclerotica,  welche  im  Staphyloma 
posticum  zum  Ausdrucke  kömmt,  ist  intraocularen  Drucksteigerungen  im 
Ganzen  ungünstig,  daher  denn  auch  glaucomatöse  Processe  in  derlei  Augen, 
besonders  wenn  sie  lang  gebaut  sind,  nur  sehr  selten  beobachtet  werden. 
Doch  bietet  das  hintere  Scleralstaphylom  keineswegs  eine  Bürgschaft  gegen 
nachträgliche  Sclerose  der  Lederhaut  und  kann  durch  die  Dehnung  des 
hinteren  Scleralgürtels  zur  Verstopfung  einzelner  Venenemissarien  und 
damit  zur  Binnendrucksteigerung  selbst  Veranlassung  geben   (S.    350). 

Am  meisten  zu  fürchten  ist  die  nicht  seltene  Abhebung  der  Netzhaut, 
da  diese  in  der  Regel  beiden  Augen  verderblich  wird  und  sie  schliesslich 
der  Atrophie  überantwortet  (S.   222). 

Auch  kommen  nicht  selten  Blutergüsse  in  der  Gegend  des  gelben  Fleckes 
vor  (Fig.  i?),  besonders  wenn  die  Ectasie  rasch  zunimmt.  Sie  gehören 
wohl  meistens  der  Vasculosa  an  und  sind  Folge  der  mit  übermässiger 
localer  Zerrung  verbundenen  Gefässzerreissung.  Doch  berstet  öfters  auch 
die  Elastica;  das  Blut  ergiesst  sich  dann  unter  die  Netzhaut  und  kann  die- 
selbe bei  grosser  Massenhaftigkeit  beutelähnlich  emporheben ;  oder  das 
Extravasat  dringt  ein  in  das  retinale  Gefüge,  es  zertrümmernd.  Stets  ent- 
wickeln sich  im  Bereiche  der  Hämorrhagie  Eitzündungen  und  die  damit 
verknüpften  Veränderungen  des  Retinalgefüges  vernichten  jede  Hoffnung 
auf  vollständige  Herstellung  der  Functionstüchtigkeit,  in  der  Regel  bleibt 
zum  mindesten  eine   centrale  Unterbrechung  des  Gesichtsfeldes  zurück. 

Behandlung.  Bei  Augen  mit  stark  myopischem  Bau  muss  schon  von 
vorneherein    auf    die    dringende     Gefahr    der    Scleralausdehnung    Rücksicht 


Behandlung ;  Quellen.  403 

genommen  und  alles  vermieden  werden,  was  Congestivzusiände  mit  sich 
bringen  könnte   (Siehe   Therapie  der  Kurzsichtigkeit). 

Zeigt  sich  sclion  die  Ectasie  und  ist  sie  in  fortschreitender  Ent- 
wickelung  begriffen,  so  ist  die  Einhaltung  einer  strengeren  Augendiät  bis 
zur  völligen  Stabilisirung  des  Zustandes  natürlich  um  so  dringlicher.  Jst 
die  Entwickeliing  eine  rapide,  oder  macht  sich  das  Leiden  gar  schon  durch 
Sehstörungen  geltend,  so  ist  die  Gefahr  für  die  functionelle  Integrität  der 
Netzhaut  so  gestiegen,  dass  jede  andere  Rücksicht  verschwindet  und  der 
Ki-anke  unter  Hinweisung  auf  die  möglichen  Folgen  mit  der  ganzen  Kraft 
des  moralischen  Einflusses  zur  unbedingten  Schonung  der  Augen  anzuhalten 
ist.  Insbesondere  muss  auf  die  Beseitigung  der  gewohnten  Augengläser, 
auf  Vermeidung  jeder  accommodativen  Thätigkeit  und  grellen  Lichtes,  so  wie 
besonders  stärkerer  Lichtcontraste  und  auf  die  sorgfältigste  Verhütung  aller 
Gelegenheiten  zu  localem  Blutandrange  hingewirkt  werden. 

Zwischenlaufende  Congestionszustände  verstärken  die  Indicatiou  des 
geschilderten  strengen  Verhaltens  und  sind  sorgfältigst  nach  den  allgemein 
bekannten  Grundsätzen  zu  behandeln. 

Doch  ist  vor  wiederholten  und  reichlichen  örtlichen  Blutenizlehungen  zu 
warnen.  Ihr  Nutzen  ist  mehr  als  problematisch,  die  damit  verbundenen  Nachtheile  sind 
für  den  allgemeinen  Gesundheitszustand  des  Kranken  dagegen  recht  oft  in  hohem 
Grade  bedauerlicli.  Dasselbe  gilt  von  Mercurialien.  Reizende  Fussbäder  und  leicht 
abführende  Mineralwässer,  massig  angewendet,  schaden  wenigstens  nicht,  wenn 
davon  auch  nichts  zu  erwarten  ist. 

Die  Iridectomie  hat  sich  bereits  als  unzureichend  erwiesen ,  um  dem  Fort- 
schreiten der  Ectasie  Einhalt  zu  thun  (Graefe).  Sie  ist  jedoch  am  Orte,  wenn  unter 
einiger  Vermehrung  der  ßulbushärte  der  Sehnerveneintritt  sich  auszuhöhlen  beginnt. 
Wiederholte  Paracentesen  der  Cornea  (S.  108)  sind  gefährlich  (SecondiJ  und  darum 
zu  meiden.  Die  D^irchschneidnng  des  Ciliarmuskels  (S.  305)  leistet  gewiss  nicht 
mehr,  als  eine  gehörig  ausgeführte  Iridectomie. 

Quellen:  Scm-pa,  Trattato  d.  princ.  mal.  d.  occhi.  Pavia.  1816.  II.  S.  146.  — 
Ammon,  Zeitschft.  f.  Ophth.  I.  S.  55 ;  II.  S.  248 ;  Klin.  Darstellungen  etc.  I.  Berlin, 
1837.  Taf.  7;  A.  f.  O.  IV.  1.  S.  40.  —  Stellimg,  Ophth.  II.  S.  723;  der  intraoc. 
Druck.  1868.  S.  58.  —  Ed.  Jaeger,  Einstellungen  des  dioptr.  Apparates.  Wien. 
1861.  S.  25,  33,  42,  46,  50,  54,  62,  70;  Handatlas,  Fig.  41—43,  59,  60,  109—128.  — 
Donders,  Die  Anomalien  der  Refraction  und  Acc.  Wien.  1866.  S.  296,  302,  304, 
306,  311,  313,  316,  318,  322,  324,  330,  332,  337.  —  Graefe,  A.  f.  O.  I.  1.  S.  390, 
394,  397,  399;  I.  2.  S.  307,  309,  310;  II.  2.  S.  241,  294;  III.  S.  394,  396;  IV. 
2.  S.  153,  155;  VIII.  2.  S.  304,  306;  XV.  3.  S.  173.  —  Heymann,  ibid.  II.  2. 
S.  131,  134;  Ophthalmologisches.  1868.  S.  27.  —  Sichel,  A.  f.  O.  III.  2.  S.  234, 
243.  —  Schweigger,  ibid.  IX.  1.  S.  194,  196;  Vorlesgn.  über  den  Gebrauch  des  Augen- 
spiegels. Berlin,  1864.  S.  81,  84.  —  H.  Müller,  Verhandlgn.  der  Würzb.  phys.  med. 
Gesellschft.  1858.  8.  Mai.  c.  —  Wedl,  Atlas,  Iris-Chorioidea,  Retina- Opticus.  — 
Liebreich,  A.  f.  O.  VII.  2.  S.  124;  Atlas  der  Ophth.  Berlin,  1863.  Taf.  3.  — 
Coccius,  Ueber  Glaucom,  Entzündg.  etc.  Leipzig.  1859.  S.  40;  der  Mechan.  d.  Acc. 
Leipzig.  1868.  S.  71,  84,  87.  —  Secondi,  Clinica  oc.  di  Genova.  Riassunto.  Torino. 
1865.  S.  49.  —  //.  Cohn,  Untersuchungen  von  10060  Schulkindern.  Leipzig.  1867. 
S.  60;  Berlin,  kl.  Wochenschrift.  1867.  No.  50;  1868.  No.  50.  —  Dohrowolslqi,  kl. 
Monatbl.  1868.  Beilage.  S.  99,  193.  —  Poioer,  Lancet.  1868.  L  S.  16.  —  Mauthner, 
Lehrb.  d.  Ophthscop.  Wien.  1868.  S.  419  —  426.  —  Iwanof,  A.  f.  O.  XV.  2.  S.  31, 
55,  58;  XV.  3.  S.  295,  —  Homer,  ibid. 


26' 


4:04  Bindehaut;  Anatomie:  Limbos  conj. :  halbmondförmige  Falte;  Carunkel. 


ACHTER  ABSCHNITT. 

Die  Entzündung  der  Bindehaut,  Syndesmitis. 


Anatomie.  Die  Conjunctiva  ist  eine  Schleimhaut.  Sie  beginnt  als 
unmittelbare  Fortsetzung  der  äusseren  Haut  am  Eande  der  Lider  und  über- 
zieht als  Lidbindehaut  oder  Conjunctiva  palpebralis  die  hintere  Fläche  der 
Augendeckel.  Xahe  dem  Orbitalrande  biegt  sie  von  da  ab  und  schlägt  sich 
als  Uebergangstheil  der  Bindehaut  auf  den  Augapfel  hinüber.  Auf  diesem 
angelangt,  schmiegt  sie  sich  der  Lederhaut  innig  an  und  überzieht  deren 
Vorderhälfte  nahe  vom  Aequator  an  bis  zum  Eande  der  Hornhaut,  den 
Xamen  Augapfelbindehaut,  Conjunctiva  bulbi,  führend.  Sie  übergreift  sogar 
den  äussersten  Eand  der  Sclera  und  tritt  als  ein  schmaler  Saum,  Limbus 
conjunctivalis,  auf  die  Cornea  über,  um  mit  dem  Gefüge  der  letzteren  völlig 
zu  verschmelzen.  Die  dem  inneren  Lidspalten-winkel  entsprechende  Portion 
des  Uebergangstheiles  tritt  in  Gestalt  einer  mondsichelföi'migen  Falte,  der 
Plica  semilunaris,  hervor.  Dem  vorderen  Blatte  dieser  Falte  sitzt  die 
ThränenJcarunkel  auf,  welche  ein  durch  Bindegewebe  zusammengehaltenes 
Conglomerat  von  Haarfollikeln  mit  rosettenfömiigen  Talgdrüsen  und  zwischen- 
gelagerten Fettzellen  darstellt.  Es  ist  dieselbe  durch  ein  Bündel  sehniger 
Fasern  mit  der  Scheidenhaut  des  Auges  an  der  Stelle  verbunden,  an  welcher 
die  letztere  von  dem  Muse,  internus   durchbohrt  wird    (Luschka). 

Die  Bindehaut  besteht  aui:  reticulirtem  Bindegewebe,  dessen  Haupt- 
bestandtheile  die  sogenannten  Bindegewebskörper  und  eine  dazwischen  ge- 
lagerte, lockig  gefaserte  Intercellularsubstanz  sind.  In  der  ersten  Kindes- 
periode steht  dieses  Gefüge  ziemlich  rein  da;  späterhin  aber  erscheint  es, 
namentlich  im  Tarsal-  und  Uebergangstheile,  reichlich  durchsetzt  von  lym- 
phoiden  Zellen  und  gewinnt  dadurch  einen  adenoiden  Charakter  (Henle). 
Jfach  vorne  hin  verdichtet  sich  das  Gefüge  zu  einer  dichten  Basalmem- 
bran, welcher  das  mehrschichtige,  im  Allgemeinen  cylinderförmige  Epithel 
auflagert. 

Die  Bindegewebsköi-per  sind  spindeli^e  oder  sternförmige  Kemzellen,  von 
deren  Wand  eine  Anzahl  höchst  feiner,  baumartig  verzweigter,  schlauchähnlicher 
Fortsätze  ausgeht,  die  mit  ähnlichen  Fortsätzen  nachbailicher  Bindegewebskörper 
anastomosiren  und  so  eine  Art  Netzwerk  darstellen,  als  dessen  Maschenknoten  die 
Zellen  selbst  zu  betrachten  sind.  Die  Intercellularsuhstanz  ist  durchsichtig,  homogen, 
aber  nach  gewissen  Richtungen  spaltbar,  wodurch  sie  das  Ansehen  gewinnt,  als 
wäre  sie  aus  verfilzten  Bündeln  höchst  feiner,  parallel  neben  einander  ziehender, 
wellenartig  geschlängelter  Fasern  zusammengesetzt.  Gemischt  mit  diesen  Elementen 
finden  sich  elastische  Fasern  in  wandelbarer  Menge.  Das  Epithel  besteht  in  den 
untersten  Lajen  aus  runden  Zellen,  in  den  oberflächlicheren  aber  aus  Zellen, 
welche  sich  entschieden  der  Cylinderform  nähern,  doch  etwas  abgeflacht  sind  und 
so  Uebergänge  zu  jenen  des  Pflasterepithels  darstellen  (Wolfring).  Im  Bereiche 
der  Conjunctiva  palpebrarum  sind  darunter  auch  Riff-  oder  Stacheizellen  nachge- 
wiesen worden  '3/.  Schnitze). 

Jede  der  einzelnen  namhaft  gemachten  Bindehautportionen  hat  ihre 
anatomischen  Besonderheiten.   Die  Lidbindehaut  besteht   aus  einer  der  Cutis 


Lidbiiuleluiut ;  Uebergangstheil ;  Mil«-.  Aiiat.  405 

enispreclienden  derben  Bindegewebslage,  welche  sehr  innig  mil.  der  hinteren 
Fläche  des  Lidknorpels  ziisammcnhiingi,  indem  von  letzlerer  eine  Anzalil 
kurzer  slrafter  Fasern  in  das  Conjuuctivalgewebe  pinselarlig  ausstrahlt 
(Wolfring).  Doch  scheiden  sich  die  beiden  Organe  an  feinen  Durchschnitten 
sehr  deutlich  durch  die  auffallend  dunkle  Färbung,  welche  die  Conjunctiva 
durch  die  massenhaft  eingelagerten  lymphoiden  Körper  erhält.  Die  Ober- 
fläche der  Tarsalbindchaut  wird  von  zahlrciclien,  nach  allen  llichtungen  hin 
streichenden,  sich  vielfach  durchkreuzenden,  bald  tieferen  bald  seichteren, 
bald  gerade  bald  schief  in  die  Tiefe  dringenden,  hie  und  da  mit  blinden 
Zipfeln  endigenden  Furchen  oder  Einschnitten  durchsetzt,  welche  im  Quer- 
schnitte viele  Aehnlichkeit  mit  drüsenartigen  Lücken  haben  und  thatsächlich 
auch  für  solche  gehalten  worden  sind.  Bei  Kindern  sind  diese  Furchen  und 
Einschnitte  noch  wenig  entwickelt,  bei  Erwachsenen  jedoch  sind  sie  sehr 
scharf  ausgeprägt  (Stieda^  Wolfring).  Nach  dem  Augenlidrande  hin,  wo  die 
Bindehaut  sehr  dünn  und  mit  dem  Tarsus  straff  verbunden  ist,  erscheinen 
sie  dichter,  zahlreicher  und  sehr  flach ;  nach  dem  convexen  Eande  des 
Tarsus  hin  werden  sie  weniger  zahlreich,  aber  dafür  tiefer ;  am  Tarsalrande 
selbst,  wo  die  Bindehaut  dicker  und  nur  noch  locker  am  Tarsus  angeheftet 
ist,  beginnen  sie  unmittelbar  in  die  tiefen  Furchen  überzugehen,  welche 
die  Falten  im  Uebergaugstheile  von  einander  abgrenzen  und  meist  dem 
Rande  des  Tarsus  parallel  angeordnet  sind.  Demgemäss  findet  man  auch 
die  Conjunctiva  unmittelbar  am  freien  Lidrande  noch  ganz  glatt,  daneben 
sieht  man  die  kleinsten  j3«j)i7Ze9mrij^e?j  Erhabenheiten,  die  selbst  mit  der  Loupe 
kaum  wahrzunehmen  sind;  weiterhin  nach  dem  Uebergangstheile  der  Binde- 
haut und  dem  Augenwinkel  hin  werden  sie  allmälig  grösser,  bis  sie  zuletzt  mit 
unbewaffnetem  Auge  schon  wahrnehmbar  werden  und  in  die  Falten  der 
Schleimhaut  am  convexen  Rande  des  Tarsus  übergehen.  Man  pflegt  diese 
Erhabenheiten  als  Papillen  zu  beschreiben ;  doch  kommt  ihnen  streng  ge- 
nommen dieser  Charakter  nicht  zu.  Jedenfalls  fehlen  ihnen  die  schlingen- 
arfigen  Gefässendigungen ;  vielmehr  ist  die  Vertheilung  der  Gefässe  allent- 
halben  eine  mehr  gleichmässige  netzartige   (Stieda,    Wolfring). 

Der  Uehergangstheil  der  Bindehaut  ist  viel  lockerer  gewebt,  von  lym- 
phoiden Zellen  besonders  reichlich  durchsetzt  (Blumberg),  dicker,  und  hängt 
durch  ein  sehr  langfaseriges  und  grobmaschiges  flockenähnliches  Binde- 
gewebe, welches  eine  bedeutende  Verschiebbarkeit  bedingt,  mit  dem  Orbital- 
gefüge,  namentlich  mit  den  fascienähnlich  verdichteten  Theilen  desselben 
zusammen.  Statt  den  papillenartigen  Erhabenheiten  finden  sich  an  seiner 
Oberfläche,  wie  schon  erwähnt  wurde,  tiefe  Furchen,  deren  grösste  dem 
Tarsalrand  ziemlich  parallel  laufen  und  den  betreffenden  Bindehauttheil 
quer  gefaltet  erscheinen  lassen. 

Innerhalb  der  Furchen  des  Tarsal-  und  Uebergangstheiles  ist  die  Cylinder- 
form  der  Epithelzellen  im  Allgemeinen  etwas  schärfer  ausgeprägt  als  au  der  Ober- 
fläche der  Erhabenheiten,  welche  dem  Liddrucke  und  der  Abschürfung  viel  mehr 
ausgesetzt  ist.  Zwischen  den  Epithelzellen  der  Bindehaut  finden  sich  oft  äusserst 
zahlreiche  rundliche  Lücken  von  der  Form  einer  stark  ausgebauchten  Flasche, 
welche  mit  sehr  engem  Halse  frei  an  der  Oberfläche  münden,  und  mit  der  Schleim- 
absondertmg  in  näheren  Zusammenhang  gebracht  werden.  Man  pflegt  sie  als  Becher- 
zellen zu  beschreiben  (Stieda,  F.  E.  Schidtze,  Eimer,  Fries).  Dazu  kömmt  im  Ueber- 
gangstheile eine  Anzahl  zzisammengesetzter  trauhenförmiger  Drüsen,  die  im  Subcon- 
junctivalgewebe  lagern,  mit  langem  Ausführungsgange  schief  an  der  Oberfläche 
münden  und  in  ihrem  ganzen  Baue  mit  der  Thränendrüse  übereinstimmen ,  daher 
sie  denn  auch  als  accessorische  Thränendrüsen  beschrieben  werden  (Krause). 


406  Bindehaut;  Anatomie;  Gefässe;  Lymphgefässe. 

Die  Conjunctiva  bulbi  oder  scleroticae  ist  minder  derb  und  dick,  als 
jene  der  Lider,  reich  an  elastischen  Fasern  nnd  durch  ein  reichliches  sub- 
mucöses,  mit  Pettzellen  in  wechselnder  Menge  versehenes  Bindegewebe 
locker  nnd  verschiebbar  an  die  die  vordere  Lederhautzone  deckende 
Scheidenhaut  des  Augapfels  geheftet.  Papillen  und  Drüsen  fehlen  an  dieser 
Portion,  dagegen  ist  das  Epithel  stark  entwickelt.  Es  setzt  sich  dasselbe 
ununterbrochen  auf  die  Hornhaut  fort. 

Die    Gefässe  sind  in  allen  Theilen   der  Bindehaut  reichlich  vertreten, 

besonders  an  der  Tarsalportion  und  am  Limbus    conjunctivalis.     Dieselben 

sind    in   vordere    und    hintere    zu  sondern.      Die    ersteren  versorgen  den  der 

Cornea    nächsten    Gürtel    der    Conjunctiva    bulbi    und    stehen  im  innigsten 

Verbände    mit    den    Episcleralgefässen    (S.   379),    sind    in    weiterer  Instanz 

also   Zweige   der  vorderen   Ciliaradem.  Die  hinteren  Bindehautgefässe  speisen 

die    hintere    Zone    der    Cunjunctiva    bulbi,     den    Uebergangsthoil    und    die 

Tarsalportion.   Die   arteriellen   Zweige    derselben  stammen  aus   den  Gefässen 

der  Lider  und  der  Thräuendrüse,  bekommen  jedoch  auch  Zuwachs  aus  der 

Arteria  angularis,   temporalis  und  infraorbitalis.     Die    Venen  gehen  grössten 

Theils   in    die    Vena  angularis    und  in  die   Schläfenblutadern  über,   anasto- 

mosiren  dabei  aber  auch  mit  den  Orbitalvenen. 

Die  die  Lidhindehaiit  versehenden  arteriellen  Zweige  kommen  grösstentheils 
von  den  an  der  Vorderfläche  des  Tarsus  gelegenen  Schlagaderbögen,  durchbohren 
den  Knorpel  und  streichen  an  dessen  innerer  Fläche  den  Drüsenschläuchen  pai-allel, 
eine  Menge  Aestchen  abgebend,  welche  theils  rückwärts  zu  den  Tarsaldrüsen 
gehen,  theils  in  die  papillenartigen  Erhabenheiten  der  Conjunctiva  eintreten.  Die 
Venen  dieses  Gebietes  nehmen  einen  ganz  ähnlichen  Verlauf  (Wolfi-ing). 

Die  hinteren  Bindehautgefässe  stehen  mit  den  vorderen  und  durch 
diese  mit  dem  Ciliarsystem  in  Verbindung ;  ein  unmittelbarer  Zusammenhang 
mit  dem  letzteren  besteht  aber  nicht,  oder  ist  doch  ein  überaus  spär- 
licher (Leber).  Es  erklärt  dieses  anatomische  Verhältniss  das  Zustande- 
kommen des  sogenannten  Gefässkranzes,  d.  i.  die  dichte  Einspritzung 
des  vordersten  Gürtels  der  Episclera  und  Conjunctiva  bulbi  bei  Reizzu- 
ständen  und  Entzündangen  im  Bereiche  der  Cornea,  L:is  und  des  Strahlen- 
kranzes. 

Am  dichtesten  pflegt  die  Injection  im  Limhus  conjunctivalis  zu  sein.  Derselbe 
stellt  sich  dann  als  ein  gleichmässig  rothes,  nach  vorne  scharf  abgegrenztes  Bänd- 
chen dar,  welches  dem  Hornhautrande  von  vorneher  auflagert.  In  dessen  unmittel- 
barer Nähe  gewinnt  nämlich  das  episclerale  Gefässsystem  eine  stärkere  Entwicke- 
lung;  eine  grössere  Anzahl  der  kleinen  Arterien  biegt  seitlich  um  und  läuft  im 
Limbus,  welcher  des  subconjunctivalen  Gefüges  entbehrt  und  demnach  der  Cornea 
unmittelbar  aufliegt,  an  der  Peripherie  der  Hoi-nhaut  hin,  gibt  dabei  aber  eine 
Menge  feinerer  Reiserchen  ab,  welche  sich  bogenförmig  mit  einander  vereinigen. 
Aus  diesen  Bögen  gehen  feinere  Zweigchen  hervor,  welche  sich  wieder  durch 
Anastomosen  verbinden  und  so  ein  überaus  dichtes  Netzwerk  erzeugen ,  das  bis 
auf  den  centralen  Rand  des  Bindehautblättchens  reicht  und  einerseits  dem  liand- 
schlivgennelze  der  Cornea  zur  Quelle  dient,  anderseits  aber  auch  zahlreiche  Aeste 
in  die  Bindehaut  zurückschickt  und  durch  deren  Gezweige  mit  den  hinteren  Con- 
junctivalgefässen  in  Zusammenhang  steht.  Die  feinsten  Endschlingen  des  im  Lim- 
bus gelegenen  Netzes  biegen  in  Venen  um,  sammeln  sich  zu  feinen  Aesten,  die  in 
ähnlicher  Weise  zu  einem  dichten  Maschenwerk  verstrickt  sind  und  grösstentheils 
in  die  episcleralen  Stämmchen  der  vorderen  Ciliarvenen  münden,  ein  verhältniss- 
mässig  sehr  kleines  Quantum  Blutes  jedoch  auch  in  die  peripheren  Bindehautvenen 
gelangen  lassen  (Leher). 

Die  Lymphgefässe  sind  in  der  Conjunctiva  sehr  zahlreich.  Es  scheint,  dass 
sie  frei  in  die  Interstitien  des  Bindegewebes  münden  (Billroth,  TomsaJ.  Am  Rande 


Nerven;  Syndesmitis ;  Nosologie.  407 

der  Cornea  sollen  sie  ein  dichtes  Netz  bilden ,  welches  gegen  die  letztere  hin  in 
eine  grosse  Anzahl  wenig  gekrümmter  Bögen  übergeht.  An  seiner  Peripherie  sah 
man  ein  stärkeres  lymphatisches  Gefäss,  welches  den  Hornhautrand  in  einem  ziem- 
lich regelmässigen  Kreise  umgibt.  Von  ihm  sollen  viele  Aeste  auf  die  Cornea  über- 
gehen, während  anderseits  eine  Menge  von  Zweigen  nach  hinten  ausläuft  und  in 
eigentlich  lymphatische  Stämme  mündet,  welche  weiterhin  mit  den  Snbmaxillar- 
driisen  in  Verbindung  stehen  (W.  Krause,  Mauchle). 

Auch  an  Nerven  ist  die  Bindehaut  reich,  namentlich  der  Palpebral- 
theil  und  der  Limbus  conjunctivalis,  weniger  der  Uebergangstheil.  Sie  ge- 
hören zum  allergrössten  Theile  dem  Nervus  quintus  an.  Der  Rest  ist  sym- 
pathischen Ursprunges   (S.    9). 

Dieselben  treten  in  zwei  starke  Bündel  zusammengedrängt  nahe  den  beiden 
Augenwinkeln  in  den  Hintertheil  der  Conjunctiva  ein,  verzweigen  sich  rasch  baum- 
artig und  verbreiten  sich  über  den  gesammten  Conjunctivalsack.  In  der  vordersten 
Schichte  bilden  sie  ein  weitmaschiges  Geflecht,  welches  theils  unter  theils  über 
dem  Capillarstratum  lagert  und  eine  grosse  Anzahl  von  feinen  marklosen  Fäden 
abgehen  lässt,  welche  unmittelbar  unter  dem  Epithel  grössere  Strecken  weit  in 
leicht  geschlängeltem  Zuge  horizontal  verlaufen,  einzelne  Zweige  absenden  und 
schliesslich  iu  der  Regel  frei  enden,  ohne  in  das  Epithel  selbst  einzudringen  (Helf- 
reich). In  der  Scleralbindehaut  und  in  der  halbmondförmigen  Falte  kommen,  wenn 
auch  spärlich,  Endkolben  vor  (KöUilcer).  In  manchen  papillenartigen  Erhabenheiten 
sollen  einzelne  Nervenfäden  in   Tastkörperchen  übergehen  (Krause). 

Die  ungleiche  Vertheilung  der  Bindehautnerven  macht,  dass  die  Palpehral- 
portion  am  empfindlichsten  erscheint,  während  die  Uehergangsfalte  einen  niederen 
Grad  von  Sensibilität  beurkundet,  so  dass  fremde  Körper  durch  längere  Zeit 
daselbst  lagern  können,  ohne  Schmerzen  zu  verursachen.  Es  stehen  diese  Nerven 
im  innigsten  functionellen  Verbände  mit  den  übrigen  Zweigen  des  Nervus  trigeminus, 
besonders  mit  den  Ciliarnerven  und  durch  diese  mittelbar  mit  dem  lichtempfinden- 
den Apparate.  Stärkere  Irritationen  der  Bindehautnerven  führen  daher  gerne  zu 
Hyperästhesien  im  Bereiche  des  Ciliarsystems  und  des  Opticus,  während  umgekehrt 
diese  wieder  gerne  Erregungszustände  der  ersteren  veranlassen. 

Das  Secret  der  Bindehaut  ist  nicht  blos  Schleim,  sondern  auch  Thränen- 

flüssigkeit.     Man    kann    mit    Recht    sagen,    dass    ein  grosser   Theil  der  den 

Bindehautsack  beständig  überdeckenden  Thränen  seine  Quelle  in  den 
Conjunctivalgefässen  finde. 

Die  Resorptionsfähigkeit  der  Bindehaut  ist  vermöge  dem  Gefässreich- 
thume  des  Conjunctivalgefüges  eine  überaus  grosse. 

Nosologie.  A.  Die  Entzündung  charakterisirt  sich  wie  anderwärts 
so  auch  in  der  Bindehaut  durch  massenhafte  Auswanderung  weisser  Blut- 
körperchen aus  den  Gefässen  und  durch  Vermehrung  derselben  auf  dem 
Wege  der  Prolification.  Die  jungen  Zellen  erscheinen  dicht  gehäuft  an 
den  Wandungen  der  Gefässe  und  bilden  in  den  tieferen  Schichten  der 
Conjunctiva  vielfach  verzweigte,  mehr  weniger  mächtige  Züge,  welche  unter 
einander  anastomosirend  eine  Art  Netzwerk  darstellen,  dessen  weite  Maschen 
von  dem  serös  infiltrirten  und  spärlicher  mit  eingewanderten  Zellen  durch- 
streuten Bindegewebe  ausgefüllt  werden.  Nach  Vorne  hin  werden  die 
Maschen  enger,  das  Gefüge  der  Bindehaut  immer  mehr  verdrängt  und 
nahe  der  Oberfläche  völlig  ersetzt  durch  eine  an  Mächtigkeit  wechselnde 
Schichte  von  jungen  Zellen,  welche  allen  Erhabenheiten  und  Vertiefungen 
folgt  und  nur  durch  die  Basalmembran  von  der  überlagernden,  stark  auf- 
gequollenen Oberhaut  getrennt  ist.  Diese  ist  in  ihren  tieferen  Schichten 
zum  grossen  Theile  oder  gänzlich  aus  jungen  Zellen  lymphoiden  Charakters 
gebildet  und  nur  die  oberflächlichen  Strata  mahnen  durch  ihre  eckige  ab- 
geplattete   Form    an    Epithelialgebilde,     Bei    höheren    Intensitätsgraden    des 


408  Syndesmitis;  Nosologie:  catarrh.  Weimorrli.  pyorrli.  Se<rret. 

Processes  jedoch  verschwindet  dieser  Unterschied  in  den  Oberhautlagen 
und  oft  geht  anch  streckenweise  die  Basalmembran  zu  Grunde,  so  dass 
das  Infiltrat  des  Bindehautgefiiges  und  die  das  Epithel  ersetzende  Zellen- 
schichte  ein  einheitliches  zusammenhängendes  Stratum  bilden,  welches  schon 
oft  mit  freiem  Auge  und  auf  einige  Distanz  als  ein  trüber  Belag  der  Con- 
junetivaloberfläche  wahi-genommen  werden  kann. 

1.  Die  äussersten  Lagen  dieses  Stratums  stossen  sich  fortwährend  los, 
und  zwar  ist  diese  Abscheidung  neoplastischer  Elemente  eine  um  so 
massenhaftere,  je  rapider  der  Process  verläuft,  je  üppiger  die  Gewebs- 
wucherung ist,  je  rascher  also  von  der  Tiefe  her  neue  Elemente  nach- 
rücken. 

Bei  niederen  Intensitäts^aden  des  Processes  tragen  die  neugebildeten  und 
sich  abstossendeu  Zellen  im  Einklänge  mit  dem  oben  Gesagten  zumeist  den 
Charakter  junger  EpHhelzdlen:  theilweise  indessen  präsentiren  sie  sich  unter  dem 
Mikroskope  in  der  Form  von  Schleimköi-pern,  kenntlich  an  dem  trüben  Inhalte  und 
dem  unverhältnissmässig  kleinen  Kerne.  Bei  ii-achsender  Intensität  des  Processes 
entfernen  sich  die  Elemente  immer  mehr  von  der  epithelialen  Form,  sie  wandeln 
sich  siivieist  in  Schleim-  und  EiterVörper  um.  Bei  hohen  Intensitätsgradeu  gewinnen 
die  Eiferkörper  weitaus  die  Oberhand  und  die  epithelialen  Zellenformen  verschwin- 
den ganz. 

Gleichzeitig  wird  immer  InterceUularsuh stanz  abgeschieden ,  welche 
gleichsam  das  Menstruum  darstellt,  in  dem  die  geformten  Elemente  suspen- 
dirt  siad.  Auch  diese  InterceUularsuh  stanz  wechselt  ausserordentlich  in 
Menge  und  Beschaffenheit  je  nach  der  jeweiligen  Intensität  des  Processes 
und  beeinflusst  solchermassen  in  höchst  aufialliger  Weise  die  Qualität 
und  Quantität  des  sogenannten  entzündlichen  Secretes,  welches  eben  nichts 
Anderes  ist,  als  die  Mischung  der  Intercellularsubstanz  mit  den  er- 
wähnten ,  von  der  Oberfläche  der  Conjunctiva  abgestossenen ,  geformten 
Elementen. 

Bei  den  niedersten  Intensitätsgraden  des  Processes  ist  die  Absonderung 
der  Intercellularsubstanz  und  der  Zellen  eine  spärliche  und  jene  zeigt  alle 
Eigenschaften  des  Schleimes,  das  Secret  als  Ganzes  ballt  sich  und  mischt 
sich  nicht  mit  den  Thränen.  Es  ist  der  Schleim  um  so  dichter  und  um 
so  durchsichtiger,  je  langsamer  der  Process  einhergeht.  Bei  rascherem 
Verlaufe  und  grösserer  Intensität  der  Entzündung  wird  die  schleimige 
Grundlage  an  sich  trüber  und  das  Secret  wird  von  dem  zunehmenden 
Gehalte  abgestossener  Schleim-  und  Eiterzellen  woUdg  streifig,  oder  von 
massenhafter  Beimischung  von  Eiterkörpern  völlig  opak  und  gleichmässig 
weissgelb   oder  grünlichgrau  gefärbt  (catarrhalisches   Secret). 

Bei  hohen  Intensitätsgraden  des  Processes  wird  nicht  nur  die  Production 
von  Eiterelementen,  sondern  auch  die  Abscheidung  der  Intercellularsubstanz 
eine  massenhafte,  die  letztere  verKert  dabei  aber  an  Consistenz,  wird  dünner, 
ohne  jedoch  die  Fähigkeit  des  Fadenziehens  zu  verlieren  und  ohne  mit 
den  Thränen  zusammenzufliessen.  Das  den  Conjunctivalsack  in  grosser 
Menge  überfluthende  Secret  erscheint  dünnschleimig,  gleichmässig  trüb  und 
graugelb,   oder  völlig  opak  und  eitergelb   (blennorrhoisches  Secret). 

Bei  den  hccJisten  Intensitätsgraden  endlich  tritt  der  schleimige  Charakter 
der  stromweise  hervorquellenden  Intercellularsubstanz  ganz  zurück,  diese 
wird  dünnflüssig,  von  Molecularmasse  und  fettigem  Detritus  trüb  und 
mischt  sich  mit  den  Thränen.  Je  nach  dem  grösseren  oder  geringeren 
Gehalte  an  geformten  Eiterelementen  zeigt  sieh  dann    das  Secret  bald  als 


Schwplliiiipf :  Clioiiiose;  Oedeiu.  409 

ein  rahmähnliclicv  dicklichov,  in  den  Tlivänon  zorfliosseiidcr  Eilcr,  hnld 
als  oin  grauwoisscs  oder  golbliches,  molken-  oder  Üei.schwasserähnliclics 
Fluiduni  (pyorrhoisches  Secret). 

2.  So  wie  an  der  OberÜächc  wird  auch  in  den  tieferen  Schichten  der 
entzündlichen  Bindehaut  neben  geformten  Elementen  eine  grössere  oder 
geringere  Menge  neoplastischer  Intercellularsubslanz  pvodiiciri.  Piese  schivitzt 
theilweise  durch  und  vermehrt  die  JMassc  der  krankhaften  Absonderung; 
zum  anderen  Theilo  aber  infiltrirt  sie  sich  in  das  Gefüge  der  Conjunctiva 
und  bedingt  im  Vereine  mit  der  Volumszunahme  der  Eindegewebskörper 
und  mit  der  hyperämischen  Ausdehnung  der  Gefässe  eine  auffällige 
Schwellung  des   Organes. 

In  der  Lidportion  kann  vermöge  der  Strafflieit  dos  Conjunctival-  und 
Siibconjunctivalgewebes  und  vermöge  dem  Drucke,  unter  welchem  das  letztere 
steht,  die  Infiltration  niemals  eine  sehr  grosse  sein ;  wohl  aber  in  dem 
Uebergangstheile  iind  in  der  Augapfelhindehaut,  wo  die  Lockerheit  der 
Textur  und  ein  relativ  viel  geringerer  äusserer  Druck  für  Intumescenzen 
weit  günstigere  Bedingungen  setzen.  In  der  That  findet  man  den  Ueber- 
gangstheil  sehr  gewöhnlich  stark  angeschwollen ;  er  tritt  bei  Abziehung 
oder  Umstülpung  der  Lider  in  Gestalt  eines  breiten,  oder  mehrerer  schmaler, 
parallel  neben  einander  liegender  Wülste  hei'vor,  und  zwar  bisweilen  so 
weit,  dass  die  Kückkehr  der  Lider  in  ihre  normale  Stellung  erschwert 
wird.  In  gleicher  Weise  schwillt  oft  die  Conjunctiva  hulbi  auf  das  Doppelte 
und  Mehrfache  an  und  drängt  sich  aus  der  Lidspalte  hervor;  nicht  selten 
wird  sie  sogar  zu  mächtigen  Wülsten  aufgetrieben,  welche  die  Schliessung 
der  Lidspalte  erschweren  und  die  Hornhaut  theilweise  oder  gaiiz  über- 
decken. 

Die  Grösse  der  entzündlichen  Schioellimg  pflegt  eine  um  so  bedeutendere 
zu  sein,  je  heftiger  die  Entzündung  in  dem  betreffenden  Zeiträume  ist. 
Bei  niederen  Intensitätsgraden  des  Leidens  macht  sie  sich  gewöhnlich  nur 
im  Uebergangstheile  auffällig  und  ist  auch  da  sehr  oft  nur  eine  geringe. 
Bei  hohen  und  höchsten  Intensitätsgraden  jedoch  ist  sie  in  den  meisten 
Fällen  eine  sehr  grosse  und  beschränkt  sich  nicht  auf  die  Conjunctiva  und 
das  Untei'bindeliaulgewebe,  sondern  greift  auch  auf  die  Augendeckel  und 
deren  Umgebungen  über.  Ist  dann  die  Geschwulst  sehr  prall,  tief  und 
gleiehmässig  gcröthet,  überdies  auch  sehr  heiss  und  empfindlich,  so  nennt 
man  den  Zustand    Chemosis. 

Ausnahmsweise  ist  freilich  auch  bei  niederen  Intensitätsgraden  des  Processes 
die  Schwelhuig  der  Bindehaut  und  ihrer  Nachbarorgane  eine  sehr  grosse.  Bei 
Kindern  und  bei  Erwachsenen  mit  schlaffer  icelker  Haut  kömrat  dieses  sehr  häufig 
vor.  Das  Infiltrat  trägt  dann  aber  nicht  sowohl  den  enlzündlichen  Charakter,  es  ist 
sehr  arm  an  festen  Bestandtlieilen,  es  erweiset  sich  als  7-eines  Serum,  der  Zustand 
ist  als  ein  wahres  Oedem  aufzufassen. 

Die  Geschwulst  pflegt  bis  zur  Acme  des  Processes  zu  steigen.  Hat  dieser 
den  Höhepunkt  überschritten,  so  nimmt  in  der  Regel  auch  das  Infiltrat 
an  Masse  ab,  die  Geschwulst  sinkt,  die  Bindehaut  faltet  sich,  wird  welk, 
ihr  Gefüge  erschlafft,  während  die  Gefässe  erweitert  und  injicirt  bleiben. 
Am  Ende  bilden  sich  die  neoplastischen  Elemente  zurück,  die  Bindege^vfebs- 
körper  und  ihre  Ausläufer  bekommen  ilu*  normales  Aussehen  wieder,  die 
Intercellularsubstanz  wird  unter  völliger  Absorption  des  Infiltrates  auf  das 
natürliche    Volum    reducirt,   die   Gefässe  ziehen    sich  zusammen,   das  ober- 


410  Syndesmitis ;  Nosologie;  Hypertrophirende  Fonnen;  Trachom. 

flächliche  Zellenstratnm  verschmächtiget  sich  unter  Ahstossung  des  Ueber- 

flüssigen  und  gewinnt  unter  Höhergestaltung  der  Zellen  ganz  den  Charakter 

des  normalen  Epithels. 

Die  Absonderung  wird  bei  beginnender  Erschlaffung  nicht  nothwendig  sogleich 
an  Masse  bedeutend  verringert;  im  Gegentheile  beobachtet  man  gar  nicht  selten 
eine  vorübergehende  ansehnliche  Sfeigeintng  der  Secretion,  sei  es  weil  unter  Ab- 
nahme der  Geschwulst  und  sohin  auch  des  auf  der  Bindehaut  lastenden  Druckes 
die  Circulation  und  damit  die  Zufuhr  der  Nutritionsstoffe  erleichtert  wird,  oder 
dass  die  Erschlaffung  des  Gefüges  an  sich  die  Secretion  fördert.  Bei  weiterem 
Rucks  ehr  eilen  des  Processes  wird  die  Absonderung  jedoch  immer  spärlicher,  die 
Eiterkörper  verschwinden  aus  dem  Secrete ,  sie  werden  durch  Schleimkörper  und 
grosskernige  Zellen  ersetzt;  die  schleimige  Grundlage  wird  dichter,  heller,  durch- 
sichtiger, bis  zuletzt  die  Quantität  und  Qualität  des  Productes  dem  normalen  Binde- 
hautschleime entspricht. 

3.  Doch  nicht  immer  kehrt  die  Bindehaut  in  der  geschilderten  "Weise 
zni  ihrem  Xormalzustande  zurück.  Im  Gegentheile  kömmt  es  sehr  häufig 
vor,  dass  die  neiigebildeten  Elemente  in  dem  Masse,  als  die  Gewebs- 
wucherung langsamer  einherzuschreiten  beginnt,  sich  vollständiger  aus- 
bilden, und  dass  in  Folge  dessen  die  Bindehaut  in  allen  ihren  Theilen  hyper- 
trophirt. 

Ein  ganz  ähnliches  Resultat  kann  der  Gewebswucherungsprocess  auch 
von  vorneherein  Liefern,  wenn  seine  Intensität  einen  gewissen  Grad  nicht 
überschreitet. 

Am  auffälligsten  pflegt  dann  die  Neubildung  in  dem  Tarsaltheile  der 
Bindehaut  hervorzutreten.  Es  schwillt  derselbe  in  Folge  des  Gewebs- 
wucherungsprocesses  etwas  an  und  aus  seiner  Oberfläche  erheben  sich 
warzenähnliche  Erhabenheiten,  welche  das  charakteristische  Kennzeichen  des 
sogenannten  Trachoms  oder  der  Ophthalmia  granulosa  abgeben.  Sie  ähneln 
bei  niederen  Entwickelungsgraden  der  Form  nach  sehr  den  normalen 
Papillen  und  sind  in  der  That  auch  nichts  anderes,  als  hypertrophirte 
Papillen,  daher  sie  als  ,,papilläre  Granulationen'^  beschrieben  werden.  Bei 
höheren  und  höchsten  Entwickelungsgraden  gewinnen  diese  Auswüchse  eine 
sehr  grosse  Aehnlichkeit  mit  den  Fleischwärzchen  auf  eiternden  Wunden, 
fliessen  unter  einander  zusammen  und  können  darum  mit  dem  Xamen 
„diffuse    Granulationen^''   belegt  werden. 

Im  Uebergangstheile  kommen  solche  Auswüchse  nicht  vor,  die  Binde- 
haut zeigt  sich  daselbst  blos  zart  sammtähnlich  rauh  und  schwillt  mehr 
weniger  an.  Diese  Intumescenz  ist  aber  keine  gleichmiissige,  vielmehr 
erkennt  man  an  der  Oberfläche  der  geschwollenen  Uebergangsfalte  sehr  leicht 
eine  Anzahl  hinter  einander  gelegener,  nahezu  parallel  laufender,  schmaler 
und  niederer  Längswülste,  welche  durch  seichte  Querfurchen  gerifft  erscheinen 
und  so  das  Ansehen  haben,  als  wären  sie  zusammengesetzt  aus  einer  Anzahl 
von  reihenweise  neben  einander  liegenden  Körnern,  die  nur  mit  dem  Zenith 
aus  der  Bindehaut  herausrageu,  mit  ihrem  Körper  aber  in  das  Parencliym 
eingebettet  sind  und  daselbst  ohne  deutliche  Grenzen  unter  einander 
und  mit  dem  h3^ertrophirten  Stroma  der  Conjunctiva  verschmelzen. 
Man  kann  diese  Erhabenheiten  mit  dem  Namen  „trachomatöse  Körner'^ 
bezeichnen. 

In  der  Conjunctiva  bulbi  entwickeln  sich  weder  Granulationen  noch 
rundliche  Körner,  die  hypertrophische  Massenzunahme  ist  daselbst  immer 
eine  gleichmässige  und  in  der  Kegel   auch  eine  unverhältnissmässig  geringe. 


Anatomie  der  trachom.  Granulationen  u.  Körner.  411 

Die  Oberfläche  der  trachoraatösen  Bindehaitt  zeigt  sich  unter  dem 
Mikroskope  von  einem  raäehtio-cn  Lag'er  junger  Zellen  überkleidet,  welches 
allen  Unebenheiten  folgt  und  daher  auf  senkrechten  Durchschnitten  in 
ganz  unrege Imässigo,  tief  in  das  Gefüge  einschneidende  Falten  geworfen 
erscheint.  Die  Elemente  der  äussersten  Schichte  tragen,  besonders  in  mehr 
chronisch  verlaufenden  älteren  Fällen,  den  epithelialen  ('harakter.  Jene  des 
darauf  folgenden  Stratums  entfernen  sich  vermöge  ihrer  Kleinheit  und 
rundlichen  Gestalt  noch  wenig  von  dem  Typus  der  Bildungszellen  jugend- 
lichsten Alters.  In  der  innersten  Schichte  wachsen  die  neoplastischen  Zellen 
bereits  aus ,  zeigen  ovale  vind  spindelige  Formen ,  besitzen  zum  Theile 
schon  Fortsätze,  gruppiren  sich  in  Züge,  lassen  überdies  auch  Spuren 
einer  streifigen  Intercellularsubstanz  nachweisen  und  sind  von  einem 
dichten  Netze  neugebildeter  Capillaren  durchstrickt,  bekunden  also  un- 
zweideutig den  Uebergaug  in  vascularisirtes  Bindegewebe.  Es  ist  diese 
j^Granulatioiisschichte^''  im  Bereiche  der  Tarsalconjunctiva  gewöhnlich  am 
dicksten  und  treibt  hier  überdies  nicht  selten  warzige,  kolbige,  bisweilen 
sogar  blumenkohlähnliche  Auswüchse,  welche  die  Rauhigkeit  daselbst  um 
ein  Beträchtliches  vermehren.  In  der  Uehergangsfalte  tritt  diese  Schichte 
etwas  mehr  zurück  und  hat  gemeiniglich  eine  ziemlich  gleichmässige  Dicke. 
Nach  hinten  hin  setzt  sie  sich  in  Gestalt  verzweigter  Balken  in  das  unter- 
lagernde adenoide  Gewebe  der  Conjunctiva  fort.  Die  lymphoiden  Zellen 
erscheinen  in  letzterem  ansehnlich  vermehrt  und  häufen  sich  in  den  mehr 
lockeren  Theilen,  besonders  in  den  papillenartigen  Erhabenheiten  der 
Lidbindehaut  und  in  den  Falten  der  Uebergangsportion ,  zu  förmlichen 
Nestern  (Wolfring,  Blumberg).  Es  sind  diese  Nester  oft  durch  eine  dünne 
Lage  verdichteten  Bindegewebes ,  auf  welcher  sich  ein  reiches  Gefässnetz 
verzweigt,  von  der  Umgebung  scharf  abgegrenzt  und  zeigen  dann  vermöge 
ihrer  rundlichen  Gestalt  eine  grosse  Aehnlichkeit  mit  angeschwollenen 
DrüsenfoUikeln,  für  welche  sie  wirklich  lange  Zeit  gehalten  worden  sind. 
Doch  ist  ihre  Grundlage  nichts  weiter,  als  ein  gefässarmes  bindegewebiges 
Maschenwerk,  welches  gleich  der  Hülle  seine  Gestalt  lediglich  der  Verdrän- 
gung durch  die  aufgehäuften  Zellen  verdankt.  Dazu  kömmt,  dass  die  Hülle 
häufig  nur  an  der  der  Oberfläche  zugekehrten  Seite  nachweisbar  ist  oder 
gänzlich  fehlt,  das  Zellennest  sich  daher  ohne  deutliche  Grenze  im  um- 
liegenden Gewebe  verliert.  Im  Inneren  der  Nester  verzweigen  sich  Lymph- 
gefässe,  welche  mit  den  in  der  Conjunctiva  verlaufenden  Stämmen  im 
Ztisammenhange  stehen   (Wolfring). 

Die  lymphoiden  Zellenhaufen  vergrössern  im  Bereiche  der  Tarsal- 
bindehaut  den  Umfang  der  papillären  Excrescenzen  nicht  unbedeutend. 
Im  Uebergangstheile ,  wo  sie  sich  am  mächtigsten  zu  entwickeln  pflegen 
und  die  darüber  liegende  Granulationsschichte  minder  dick  ist,  bilden  sie 
die  eigentliche  Grundlage  der  trachomatösen  Körner  und  bestimmen  deren 
Form  und  Grösse.  In  der  Eegel  werden  sie  von  der  stark  vascularisirten 
Granulationsschichte  völlig  gedeckt,  die  kranke  Conjunctiva  zeigt  allent- 
halben ein  ziemlich  gleichmässiges  Roth ,  welches  durch  die  grössere  oder 
geringere  Dicke  des  überlagernden  Epithelstratums  mehr  oder  weniger 
mit  Grau  gedämpft  wird.  Nicht  selten  jedoch  kömmt  es  innerhalb  der 
lymphoiden  Zellennester  zur  Ausscheidung  grösserer  Mengen  einer  gelatinösen 
Intercellularsubstanz  oder  einer  serösen  Flüssigkeit.  Die   trachomatösen  Körner 


4-12  Syndesmitis:  Nosologie:  Reines  Trachom:  chron.  Blennorrhoe. 

nehmen  dann  selbstverptändlich  sehr  bedeutend  an  Umfang  zu  und  können 
die  sie  deckende  Granulationsschichte  -wohl  auch  durch  Druck  verdünnen 
und  zum  Theile  ihres  Blutgehaltes  berauben.  Die  Folge  ist,  dass  die 
Ivmphoiden  Zellennester  nun  als  blasse,  senf-  bis  hanßcorngrosse  halbkugelige, 
sulzartig  oder  lympTi'dhnlich  durchscheinende  Körner,  welche  die  grösste  Aehn- 
lickeit  mit  den  Eiern  des  Frosch-  oder  Fischlaiches  haben,  sehr  stark  über 
die  Oberfläche  der  Bindehaut  hervorragen. 

Es  finden  sich  derartige  froschlaichähnliche  Kömer  im  üebergangstheüe 
häufig  einzeln,  oder  sparsam  und  zerstreut,  Jieben  exquisitem  Trachome  der 
vorhin  geschilderten  Form.  Sie  erscheinen  dann  gewöhnlich  zwischengestreut 
zwischen  die  opaken  Körner  und  man  kann  aus  den  zahlreichen  Uebergangs- 
formen  sehr  deuthch  erkennen,  dass  die  ersteren  eigentlich  nichts  anderes 
als  Modificationen  der  letzteren  sind. 

Mitunter  strotzt  aber  auch  der  üebergangstheil  von  einem  solchen 
sulzigen  Infiltrate  und  dessen  Oberfläche  ist  so  dicht  mit  froschlaich- 
ähnhchen  Körnern  besäet,  dass  dieselben  sich  an  der  Basis  gegenseitig 
abplatten  und  dass  die  Zwischenräume  ganz  verschwinden.  Die  übrigen 
Portionen  der  Bindehaut  können  dabei  in  ganz  ähnlicher  Weise  alterirt 
sein ,  wie  bei  der  gewöhnlichen  Fonn  des  Trachoms ;  oder  es  lässt  die 
Tarsalbindehaut  blos  die  Symptome  eines  leichten  Catarrhes  mit  unbe- 
deutender Schwellung  der  papillenartigen  Erhabenheiten  erkennen;  oder 
endlich  es»  ist  die  Conjunctiva  bulbi  und  palpebrarum  nur  von  einem 
ganz  schütteren  Gefassnetze  durchstrickt  und  gleich  der  Uebergangsportion 
gelatinös   oder  serös  infiltrirt. 

Man  hat  da-i  reine  froschlaichartige  Trachom,  als  eine  ganz  besondere  Art  der 
Bindehautentzündung  erklärt  und  als  „Trachom  im  eyigeren  Wortsinne''^  den  mit 
papillären  Granulationen  eiuherschreitenden  Formen,  welche  Manche  auch  mit  dem 
Namen  ^chronische  Blennorrhoe"^  belegen  (Piringer,  Arlt),  gegenüber  gestellt.  Es 
lässt  sich  dagegen  nicht  viel  einwenden ,  da  die  Grenzbestimmung  der  einzelnen 
Arten  der  Syndesmitis  immer  eine  ziemlich  icillkürliche  bleiben  muss.  Richtiger 
dürfte  es  indessen  sein,  in  den  beiden  genannten  Formen  nur  die  Endglieder  Einer 
zusammenhängenden  Kette  von  Modificationen  eines  und  desselben  Processes  zu  erkennen. 
Es  kommen  nämlich  die  froschlaichartigen  Körner  im  Uebergangstheile  weitaus  am 
häufigsten  nehen  exquisitem  papillwen  Tj-achome  der  Tarsalbindehaut  zur  Entwicke- 
lung  und  machen  unter  Beibehaltung  jenes  Unterschiedes  die  Aufstellung  einer 
Zwischenform,  „des  gemischten  Trachomss,^  unbedingt  nothwendig.  Auch  ist  nicht 
zu  übersehen,  dass  hochgradig  entwickelte  Fälle  von  papillarevi  uud  gemisclitem 
Trachome ,  wenn  sie  veralten ,  unter  Entwickelung  froschlaichartiger  Körner  sehr 
gerne  in  sidzartige  Degeneration  des  Conjunctivalgefüges  übergehen. 

Die  Gewebswucherung  ist  bei  höhergradigen  Fällen  keineswegs  auf 
die  Bindehaut  im  engeren  Wortsinne  beschränkt.  Auch  das  lockere  Suh- 
conjunctivalgefüge  leidet  in  derselben  Weise  und  wird  ganz  gewöhnlich 
durch  sulzähnliches  Infiltrat  mächtig  aufgetrieben.  Ausserdem  pflanzt  sich 
die  Entzündung  gerne  auf  die  Hornhaut  fort ,  die  Erscheinungen  der 
Keratitis  vasculosa  bedingend.  Auch  greift  sie  häufig  auf  den  Lidknorpel 
über,  dessen  Gefüge  wird,  besonders  in  der  gefässreichen  Umgebung  der 
Drüsenfollikel ,  von  Ivmphoiden  Zellen  reichlich  durchsetzt  (Wolfring), 
die  InterceUularsubstanz  schwillt  auf,  wird  lockerer,  saftreicher  und 
der  Tarsus  wird  dadurch  nicht  selten  so  erweicht,  dass  er  sich  unter 
dem  Drucke  des  Bindehauttumors  nach  allen  Eichtungen  hin  bedeutend 
ausdehnt. 


Syndesmitis  degenerativa,  mombranosa.  413 

4.  In  seltenen  Füllen  gevätli  die  Bindehaut  ihrer  ganzen  Ausdohnung; 
nach  in  einen  chronisch  schleichenden  Wucherungsprocess ,  si(!  lockert  sich 
ihrer  ganzen  Dicke  nach  auf,  verwandelt  sich  in  ein  leicht  blutendes 
fleischwärzchenähnliches  Gefüge ,  treibt  aus  ihrer  sammtähnlich  rauhen 
Oberfläche  lockere  geftissreiche  oder  blasse  weissgrauliche  Geschwülste  von 
verschiedenem  Umfange,  welche  rasch  mit  dem  gegenüberliegenden  Theile 
der  ConjunctivaloberÜäche  verschmelzen  und  sich  meistens  auch  bald  auf 
die  Cornea  fortsetzen,  nachdem  diese  vorläufig  in  ihrer  Nachbarschaft 
infiltrirt  und  stellenweise  an  der  Oberfläche  exulcerirt  worden  ist.  Der 
Process  schreitet  im  Laufe  von  Wochen  und  Monaten  unaufhaltsam  weiter, 
ohne  dass  irgend  welche  Mittel  einen  sonderlichen  Einfluss  auf  ihn  nähmen. 
Am  Ende  schrumpft  die  Bindehaut  zu.  einem  derben  sehnigen  Gefüge  und 
verkürzt  sich  oft  so,  dass  die  Lidspalte  auf  eine  schmale  Einne  zusammen- 
gezogen wird ,  welche  von  fibröser  Masse  ausgekleidet  ist.  Das  Resultat 
ist  also  ein  Xerophthalmus.  Man  kann  den  Process  bis  auf  weiteres  mit 
dem  Namen  Syndesmitis  degenerativa  bezeichnen. 

Es  scheint,  dass  man  die  Krankheit  jüngst  als  Lupiis  conjunctivae  beschrieben 
habe  (Arlt).  Gegen  die  bipöse  Natur  spricht  aber  die  scharfe  Begrenzung  am  Lid- 
rande. Wenn  einmal  hipöse  Herde  an  der  Gesichtshaut  nebenher  gingen,  so  kann 
dies  wohl  auch  auf  einem  Ztifalle  beruhen. 

5.  Bei  den  bisher  geschilderten  Formen  der  Syndesmitis  erscheint 
die  neben  und  aus  den  wucherndeii  Zellen  entwickelte  Intercellularsubstanz 
relativ  arm  an  gerinnenden  Bestandfheilen.  Sie  wird  theils  an  die  Oberfläche 
der  Conjunctiva  ergossen  und  trägt  dann  den  Charakter  des  Schleimes 
oder  einer  trüben  Flüssigkeit  (secretorische  Formen);  theils  wird  sie  in  das 
Gefüge  der  Bindehaut  selbst  infiltrirt  und  verfällt  entweder  der  Resorption, 
oder  verdichtet  sich  allmälig  und  wird  endlich  m  bindegewebiges  Stroma 
umgewandelt  (hypertrophirende  Formen).  Li  gewissen  Fällen  nun  wird  bei 
Gegebensein  eines  intensiven  Gewebswuchei'ungsprocesses  die  neugebildete 
Intercellularsubstanz  überaus  reich  an  plastischen  Bestandtheilen,  sie  gerinnt 
sehr  rasch  und  stellt  in  Verbindung  mit  den  neoplastischen  Zellenelementen 
ein  derbes  starres  Product  dar. 

a)  Bisweilen  kömmt  es  nur  in  den  oberflächlichen  gefässreicheren 
Schichten  der  Bindehaut  zur  Ausscheidung  einer  solchen  starren  Masse :  in 
den  tieferen  Lagen  der  Conjunctiva  wird  ein  an  plastischen  Bestandtheilen 
ärmeres  sulzähnliches  oder  gar  serumartiges  Product  ausgeschieden.  Es  hüllt 
jene  starre,  geronnenem  Faserstoff'e  analoge  Intercellularsubstanz  die  ober- 
flächlichen wuchernden  Zellenstrata  ein  und  präsentirt  sich  unter  der 
Gestalt  hautartiger  Schwarten  von  grösserer  oder  geringerer  Mächtigkeit, 
welche  der  Bindehautoberfläche  aufliegen  und ,  indem  aus  ihrer  Hinter- 
fläche  zahlreiche  flockige  Fortsätze  in  das  Conjunctivalgefüge  eindringen, 
mit  diesem  fest  zusammenhängen ,  so  dass  eine  Lostrennung  nur  unter 
Erregung  parenchjanatöser  Blutungen  möglich  ist.  Es  sind  diese  Schwarten 
das  charakteristische  Merkmal  der  sogenannten  Syndesmitis  membranosa. 
Sie  sind  öfters  über  die  ^'esamm^e  Bindehautoberfläche  ausgebreitet ;  häufiger 
jedoch  erscheinen  sie  nur  stellenweise,  während  an  den  übrigen  Portionen 
der  Bindehautoberfläche  die  Intercellularsubstanz  unter  der  Form  von 
Schleim  zu   Tage  geht. 

Es  spricht  sich  darin  die  innige  Verwandtschaft  der  Syndesmitis  membranosa 
mit  den  secretorischen  Formen  der  Bindehautentzündung  aus,    eine  Verwandtschaft, 


414  Syndesmitis;  Nosologie;  diphtherische,  exanthematische,  suppurative  Form. 

welche  sich  übrigens  auch  noch  dadurch  beurkundet,  dass  jene  sich  sehr  oft  atis 
diesen  entwickelt  und  dass  umgekehrt  die  Syndesmitis  membranosa  immer  unter 
abnehmender  Intensität  des  Gewebswucherungsprocesses  in  die  secretorischen  For- 
men der  Bindehautentzündung  übergeht,  oder  sich  mittelbar  in  ein  Trachom  um- 
wandelt. 

h)  In    anderen    ebenfalls    ziemlich    seltenen    Fällen    wird    bei  höchst- 

gradiger  Intensität  des  Entzündnngsprocesses    nicht  nur    an  der  Oberfläche 

starres    Exsudat    in    Menge    abgeschieden ,    sondern    auch    das   Gefüge    der 

Bindehaut  und   selbst  das  Suhconjunctivalgewehe  von  einem  rasch  gei'innen- 

den  derben  Producte  in  solchem  Masse  infiltrirt,   dass  es  die  Gefässe  com- 

primirt,   dass  das  ParenchjTn  also  blutleer,   blass  wird  und  aus  Mangel  an 

dem  nöthigen  Stoffwechsel  nicht  selten  theilweise  abstirbt.  An  der  gefäss- 

reichen    Oberfläche   der    Bindehaut,    namentlich  im  PapiUarbezirke,    wird  in 

der  Regel  am  meisten  producirt ;   es  kömmt  daselbst  bisweilen  zur  Anbildung 

von    dicken    Exsudatschwarten    und    die     Conjunctiva    tarsi    wird    wie  beim 

Trachome  von  warzigen  Auswüchsen  rauh  (Syndesmitis  diphtherica) . 

Das  diphtheritische  Product  stellt  sich  nach  neueren  Untersuchungen  an  der 
Kehlkopfschleimhaut  u.  s.  w.  mikroskopisch  als  ein  helles  glänzendes  Netzwerk 
dar,  dessen  Fäden  sehr  verschiedene  Dicke  und  Breite  haben.  Die  Lücken  da- 
zwischen enthalten  oft  keine  weiteren  körperlichen  Elemente;  häufiger  aber  Lymph- 
oder Eiterkörperchen  in  verhältnissmässig  grossen  Höhlen  und  in  sehr  wechselnder 
Menge  (E.    Wagner,  BiUroth). 

■  c)  In  einer  dritten  Reihe  von  Fällen  sammelt  sich  starres  Entzündungs- 
product  an  einzelnen  Stellen  im  Gefüge  der  Bindehaut,  zerfliesst  aber  alsbald 
und  stellt  solchermassen  Eiterherde  dar,  welche  je  nach  ihrer  mehr  ober- 
flächlichen oder  tiefen  Lage,  nach  der  Art  ihrer  Begrenzung  u.  s.  w. 
mannigfaltige  Formen  darbieten. 

a)  Einmal  sind  es  Äbscesse  vor  grösserer  oder  geringerer  Ausbreitung, 
welche  sich  bisweilen  im  Subconjunctivalgefüge  difi'undiren,  durchbrechen 
und  verheilen,  oder  sich  vorerst  in  ein  offenes,  seltener  in  ein  Hohlgeschwür 
umwandeln. 

ß)  Das  andere  Mal  wird  durch  die  Schmelzung  eines  oberflächlichen 
Productherdes  gleich  von  vorneherein   ein   offenes    Geschwür  dargestellt. 

y)  In  sehr  seltenen  Fällen  kömmt  es  während  dem  Verlaufe  des  Blattem- 
processes  oder  bei  Gegebensein  eines  Eczemes  der  Gesichtshaut  zur  Bildung  von 
Eiterpusteln.  Deren  häufigster  Sitz  ist  die  dem  Lidrande  nächste  Zone  der  Tarsal- 
bindehaut  und  der  Uebergangstheil.  Die  am  letztgenannten  Orte  aufschiessenden 
Pusteln  sind  ihrer  äusseren  Form  und  dem  analvmischen  Verhalten  nach  den  frosch- 
laichartigen Trachomkörnern  völlig  gleich,  der  Unterschied  wird  allein  durch  die 
eiterige  Beschaffenheit  des  Productes  und  durch  die  davon  abhängige  Opacität  und 
eitergelbe  P"'arbe  der  körnigen  Erhabenheiten  begründet. 

o)  Ausnahmsweise  hat  man  bei  chronischem  PenqjJiigiis  anderer  Körpertheile 
in  der  Bindehaut  das  wiederholte  Aufschiessen  grösserer  Blasen  mit  trübem  In- 
halte beobachtet.  Die  Blasen  hinterliessen  nach  ihrer  Berstung  eine  Excoriation  mit 
trübem  Secrete  ixnd  führten  später  zur  Schrumpfung  und  Xerose  der  Bindehaut 
(White  Cooper,    Weclcer). 

e)  Ileberaus  häufig  kommen  herpetische  Efflorescenzen  vor.  Es  sind 
rundliche,  scharf  umgrenzte,  hirse-  bis  hanfkorngrosse  Knoten,  welche  durch 
rasche  Schmelzung  ihrer  vordersten  Schichten  und  durch  Abstossung  des 
vorläufig  in  Bläschenform  emporgebauchten  Epithels  in  oberflächüche 
seichte,  scharf  contourirte  Geschwürchen  umgewandelt  werden  und  ganz  all- 
mälig  in  die  Tiefe  greifen ;  bisweilen  jedoch  auch  ihrer  ganzen  Masse  nach 
auf  einmal  schmelzen  und   dann  geschwürige  Substanzlücken  mit  steil  ab- 


Combinationen,  Hyperämien;  Blutextra vasate.  415 

fallenden  lländern  erzeugen,   deren  infiltrirtcr   Boden  sich  öfters  unter  das 
Niveau  der  eigentlichen  Bindehaut  senkt. 

B.  Es  kann  nicht  genug  betont  werden,  dass  sich  in  den  geschilderten 
Differenzen  durchaus  nicht  essentiel  verschiedene  krankhafte  Vorgänge  spiegeln, 
sondern  dass  darin  nur  Modificationen  eines  und  desselben  Processes  gesucht 
werden  dürfen,  welche  von  mannigfaltigen,  zum  Theile  äusseren  Verhält- 
nissen, von  der  Intensität  und  Qualität  der  Noxe,  von  der  Dauer  der 
Schädlichkeitseinwirkung,  von  dem  Stadium  des  Processes,  von  dem  Zustande 
der  Gefässe ,  beziehungsweise  selbst  von  der  grösseren  oder  geringeren 
Betheiligung  der  Bindehautnerven  etc.  abhängig  sind. 

In  der  That  lässt  sich  eine  auf  jene  Unterschiede  gegründete  Eintheilung 
der  verschiedenen  Formen  der  Syndesnjitis  nur  in  der  Theorie  durchführen ;  in  der 
Wirklichkeit  schwimmen  die  einzelnen  scheinbar  streng  gesonderten  Formen  der 
Bindehautentzündung  durch  zahlreiche  Zwischenformen  iind  Combinationen  völlig 
in  einander,  so  dass  es  häutig  ganz  allein  von  den  suhjectiven  Anschauungsweisen 
des  Arztes  abhängt,  ob  er  diese  oder  jene  Form  der  Syndesmitis  diagnosticiren 
will.  Sehr  gewöhnlich  wechselt  überdies  in  einem  und  demselben  Falle  mit  der  Inten- 
sität des  Wucherungsprocesses  die  Qualität  und  Quantität  der  Producte  sowie  deren 
Vertheilung.  Es  scheint  dann,  als  ob  sich  eine  Form  der  Syndesmitis  aus  der  an- 
deren heraus  entwickelte.  Es  tritt  z.  B.  der  Process  als  Blennorrhoe  auf,  geht  in 
Diphtheritis  über,  um  abermals  zur  Blennorrhoe  zu  werden  und  endlich  durch  den 
Katarrh  der  Heilung  zuzuschreiten,  oder  aber  durch  Hypertrophie  des  Conjunc- 
tivalgefüges  den  Begriff  des  Trachoms  zu  erschöpfen.  Ebenso  häufig  kommen 
Mischformen  vor,  z.  B.  Trachome  mit  blennorrhoischer  Absonderung,  mit  fortwährend 
recidivirenden  herpetischen  Efflorescenzen;  Katarrhe  mit  membi-anösen  Fladen  auf 
einzelnen  Bindehautstellen;  Herpetes,  welche  sich  allmälig  mit  Katan-h,  mit  Tra- 
chom u.  s.  w.  vergesellschaften  u.  s.  w. 

C.  Der  entzündliche  Process  verläuft  in  der  Bindehaut  immer  unter 
einer  melu*  weniger  auiFälligen  Hyperämie  des  Gefüges.  Es  steht  diese  im 
Allgemeinen  im  Verhältnisse  zur  Intensität  des  Processes  und  zur  Grösse 
der  Productivität  der  Entzündung.  Im  Besonderen  sind  jedoch  manche 
Ausnahmen  zu  beobachten.  Gerade  bei  der  intensivsten  Form  der  Syndes- 
mitis, bei  der  Diphtheritis  conjunctivae,  wird  die  infiltrirte  Bindehaut 
wegen  Compression  der  Gefässe  nicht  selten  im  hohen  Grade  blutleer. 
Auch  bei  dem  reinen  froschlaichartigen  Trachome  ist  aus  ähnlichen  Gründen 
die  Hyperämie  relativ  wenig  entwickelt. 

Der  Ton  der  Injectionsröthe  variirt  sehr.  Er  nähert  sich  bald  dem  hellen 
Roth  des  arteriellen  Blutes,  bald  tritt  mehr  die  bläuliche  Farbe  des  venösen  Blutes 
hervor.  Es  spiegelt  sich  darin  einigermassen  der  mehr  arterielle  oder  venöse  Charak- 
ter der  Hyperämie.  Beim  Scorbut  verändert  sich  die  Farbe  auffällig  ins  Violette 
und  Braune.  Es  liat  übrigens  auch  der  Zustand  des  Epithelstratums  einen  sehr 
bedeutenden  Einfluss  auf  die  Nuance.  Indem  die  Oberhaut  nämlich  unter  der  ent- 
zündlichen Wucherung  an  Mächtigkeit  gewinnt,  theilt  sie  der  Injectionsröthe  der 
darunter  gelegenen  Conjunctiva  einen  Stich  ins  Graue  oder  Graugelbe  mit,  welcher 
lam  so  deutlicher  hervortritt,  je  grösser  die  Massenzunahme  ist  und  je  trüber  die 
nengebildeten  Elemente  sind.  Es  nähert  sich  in  Folge  dessen  die  Farbe  der  Binde- 
haut mehr  dem  blassen  Rosa  oder  Lila,  oder  einem  schmutzigen  Gelbroth.  Ausser- 
dem wird  die  Injectionsröthe  der  Conjunctiva  öfters  auch  durch  imbibirtes  Humatin 
ins  helle  Gelblichroth  oder  Bräunlichroth  abgeändert. 

Bei  stärkerer  Injection  der  Bindehaut  kömmt  es  nicht  selten  zu  Blut- 
extravasaten.  Es  repräsentiren  sich  dieselben  anfänglich  meistens  als  ganz 
unregelmässige  hellrothe  Flecken,  welche  ilire  Färbung  später  ins  Bläulich- 
oder Bräunlichrothe  umwandeln,  bei  massenhaften  Ergüssen  jedoch  auch 
dunkel  blut-  oder  purpurfarben,  selbst  schwarz  erscheinen  können.  Besonders 


416  Syndesmitis :  Nosologie:  Quellen;  Bindehautcatarrli. 

charakteristisch  ist  ihnen  die    Gleichmässiglceit  ihrer  Färbung  und  die    Ver- 
tvaschung  ihrer  Ränder  ins  Helhothe,    Gelbliche   oder  Brännliche. 

D.  Der  Gewebswncheningsproeess  verläuft  in  der  Bindehaut  wie  ander- 
wärts in  der  Eegel  unter  einiger  Erhöhung  der  Temperatur.  Doch  ist  diese 
meistens  nur  bei  höheren  Intensitätsgraden  des  Processes,  zumal  bei  Vor- 
handensein von  Chemose,  ohjectiv  auffällig.  Bei  niederen  Intensitätsgi-adeu 
der  Entzündung  entgeht  die  locale  Wärmezunahme  meistens  der  Beobach- 
tung, nur  die  rÄrä?2e??, »falls  sie  reichlicher  fliessen,  lassen  einige  Steigerung 
der  Temperatur  erkennen. 

Quellen:  KöUil-er,  mikrosk.  Anat.  II.  Leipzig.  1854.  S.  721.  —  Henle.  Handb. 
der  Auat.  II.  Braunschweig.  1866.  S.  702—705.  —  M.  Schnitze,  Centralblatt  f.  med. 
"Wiss.  1864.  Nro.  12,  17.  —  Virchow,  ibid.  Nro.  15.  19.  —  W.  Krause,  Etudes 
opLtb.  p.  Wecker.  I.  Paris.  1863.  S.  1 ;  A.  f.  O.  Xn.  2.  S.  296.  —  StiedM,  Arch.  f. 
mikr.  Anat.  UI.  S.  357  u.  f.  —  Wolf  ring,  kl.  Monatbl.  1869,  S.  116;  A.  f.  O.  XIV. 
3.  S.  159.  u.  f.  —  Blumberg,  kl.  Monatbl.  1868.  S.  132;  A.  f.  O.  XV.  1.  S.  129.  — 
Luschka,  A.  f.  O.  XEH.  2.  S.  408.  —  F.  E.  SchuÜze,  Centralbl.  1866.  S.  161;  1867. 
S.  389.  —  Fries,  Virchow's  Arcb.  40.  Bd.  S.  519,  528.  —  Eimer,  ibid.  S.  282;  42.  Bd. 
S.  490.  —  MaucMe.  ibid.  41.  Bd.  S.  148,  154.  —  Helfreich,  Ueber  die  Nerven  der 
Conj.  u.  Sclera.  Würzburg.  1870.  S.  7—23.  —  BiUroth,  kl.  MonatbL  1868.  S.  35; 
Wien.  med.  Jahrb.  XVIU.  4.  5.  S.  21,  27.  —  Frey,  kl.  Monatbl.  1863.  S.  123.  — 
Manz,  Zeitschrift  für  rat.  Medizin.  3.  ß.  V.  S.  126.  —  EJeinschmidt,  A.  f.  O.  IX. 
3.  S.  145.  —  Leher,  Denkschriften  der  Wien.  k.  Akad.  d.  Wiss.  24.  Bd.  S.  319, 
331;  A.  f.  O.  XI.  1.  S.  34,  38,  42,  47.  —  Donders,  kl.  Monatbl.  1864.  425.  — 
Piringer,  Die  Blennorhoe  am  Menschenauge.  Graz.  1841.  S.  5,  131.  141,  147,  154, 
212,  222,  279.  —  Elle,  Ueber  den  Bau  und  die  Krankh.  der  Bindehaut.  Wien. 
1828.  S.  9—73,  77—123,  132,  147,  150;  Die  sog.  coutag.  oder  egypt.  Augenent- 
zünduug.  Stuttgart.  1839.  S.  103,  118,  129,  133.  —  Loiseau,  Ann.  d'oc.  IV.  S.  41.  — 
Arlt,  Die  Kraukh.  des  Anges.  I.Prag.  1851.  S.  23.  53,  63,  106;  kl.  Monatbl.  1864. 
S.  330.  —  Roeser,  Congres  intern.  d"ophth.  Paris.  1863.  S.  209.  —  Stellwag,  Zeit- 
schrift der  Wiener  Aerzte.  1851.  11.  S.  903;  Ophth.  U.  S.  749,  801,  804.  —  Wedi, 
Zeitschrift  der  Wiener  Aerzte.  1859.  S.  41;  Atlas,  Conj.  Sclera.  —  Buhl,  Aerztl. 
lutelligenzbl.  1858.  Nro.  27.  —  Prosoroff,  A.  f.  O.  XI.  2.  S.  145.  —  Jacobson, 
Königsberg,  med.  Jahrb.  III.  S.  78,  79.  —  Quadri,  De  la  grannlation  palp.  Naples. 
1863.  —  E.  Wagner,  Centralbl.  1867.  S.  43.  —  White  Cooper,  Wecker,  kl.  Monatbl. 
1868.  S.  232. 


1.  Bindeliautkatarrh. 

Krankheitsbild.  Cltarakteristisch  ist  neben  den  Erscheinungen  der 
Hyperämie  und  Schwellung  die  Absonderung  eines  trüb  schleimigen  oder  eiterig 
schleimigen   Productes  in  wechselnden,  immer  aber  massigen    Quantitäten. 

1 .  Die  Hyperämie  ist  in-  und  extensiv  sehr  wandelbar  je  nach  dem 
Grade  der  katarrhalischen  Affection.  Sie  kann  sich  auf  den  Papillarbezirk 
beschränken ,  häufiger  aber  greift  sie  selbst  bei  niederen  Graden  des 
Katarrhes  auf  die  Uebergangsportion,  einscliliesslich  der  halbmondförmigen 
Falte  und  Carunkel,  über.  Bei  hölieren  Gi"aden  erscheint  neben  der  gleich- 
massigen  Injeclionsröthe  des  Lid-  und  Uebergangstheiles  auch  die  Augapfel- 
bindehant  netzförmig  eingespritzt.  Bei  den  höchsten  Graden  des  Katarrhes 
ist  die  Bindehaut  ihrer  ganzen  Ausdehnung  nach  gleichmäss^ig  geröthet.  Die 
Jnjectionsröthe  ist  im  Beginne,  so  lange  die  Reizerscheinungen  vorwiegen, 
eine  mehr  helle ;  bei  längerem  Bestände  des  Katanhes  spielt  sie  mehr  ins 
BläuUche   und   wird   durch   die  Massenzunahme    der  oberflächüchen   Zellen- 


Krankheitsbiia.  417 

schichte  in  sehr  auffälliger  Weise   mit  Grau  gemischt,   lila  oder  gi'au  violett. 
Blulextravasate  sind  bei  höliergradigeiT  Katarrhen  anfänglich  nichts  Seltenes, 

2.  Die  Schwellung  des  Gefüges  spricht  sich  bei  niederen  Gi'aden  des 
Katarrhes  meisthin  nur  in  der  halbmondförmigen  Falte  und  Carunlcel  etwas 
deutlicher  aus.  Bei  höheren  (xraden  erscheint  auch  der  Ueb er g angstheil 
etwas  gewulstet.  Bei  den  höchsten  Graden  endlich  findet  man  bisweilen 
eine  der  Chemose  nahestehende  Auftreibung  der  Conjunctiva.  In  den  ersten 
Stadien  ist  die  Geschwulst  eine  mehr  pralle  und  darum  die  Oberfläche  der 
infiltrirton  Bindehautportionen  eine  glatte,  spiegelnde.  Im  weiteren  Verlaufe 
wird  die  Bindehaut  unter  Abnahme  der  Tumescenz  schlaff,  welk,  sie  wirft 
Falten  und  zeigt  ganz  unverkennbar  eine  schwammähnliche  Auflockerung. 
Durch  die  Anschwellung  der  Papillen  gewinnt  der  Tarsaltheil  der  Binde- 
haut gerne  ein  leicht  sammtähnlich  rauhes  Aussehen. 

Die  Grösse  der  Geschwulst  ist  indessen  keineswegs  allein  von  der  Intensität 
des  Entzündungsprocesses  abhängig,  denn  selbst  leicht c/i-adige  Katarrhe  combiniren 
sich  nicht  gerade  selten  mit  Oedevi  der  Bindehaiit  und  der  Lider.  Diese  Theile 
schwellen  dann  sehr  bedeutend  an,  trotzdem  die  Injectionsröthe  eine  sehr  blasse 
ist,  ja  es  kommen  Fälle  vor,  in  welchen  nur  ein  sehr  schütteres  Gefässnetz  die  zu 
mächtigen  Wülsten  aufgeblähte  Conjunctiva  durchwebt.  Dieser  Umstand,  sowie  die 
deJ^j^'eBeschaifenheit  lassen  dann  den  Charakter  der  Geschwulst  nicht  leicht  verkennen. 

3.  Eine  merkliehe  Temperaturerhöhung  findet  man  wohl  nur  bei  sehr 
hochgradigen  Katarrhen  und  auch  da  nimmt  sie  sogleich  ab,  wenn  die  katar- 
rhalische Erschlaffung  sich  einzustellen  beginnt. 

4.  Eben  so  wenig  gehören  heftigere  Schmerzen,  Lichtscheu  etc.  zu  dem 
Krankheitsbilde  des  reinen  Katarrhes.  Dieser  verläuft  meistens  schmerz- 
los, nur  ein  Gefühl  von  Brennen,  Beissen,  Jucken,  oder  als  ob  ein  fremder 
Körper,  Sand ,  in  dem  Auge  wäre ,  macht  sich  bemerklich.  Und  selbst 
diese  subjectiven  Symptome  belästigen  den  Ki'anken  häufig  nur  zu  gewissen 
Zeiten,  beim  Aufenthalt  in  unreiner  oder  heisser  Luft ,  bei  Einwirkung 
intensiveren  Lichtes  oder  starker  Lichtcontraste,  besonders  aber  bei  künst- 
licher Beleuchtung,  nach  und  während  stärkeren  Anstrengungen  der  Augen 
behufs  der  Wahrnehmung  kleiner  Objecte,  nach  grösseren  Bethätiguugen 
der  Kaumuskeln  etc.,  wenn  Wallungen  oder  Stauungen  im  Bereiche  der 
oberen  Hohlvene  veranlasst  werden,  z.  B.  nach  starken  Mahlzeiten  etc. 

Heftigere  Schmerzen,  besonders  wenn  sie  mit  Lichtscheu  und  reichlichem 
Flusse  wärmerer  Thränen  gepaart  sind,  deuten  auf  krankhafte  Theilnahme  der 
mit  den  Ciliarnerven  in  näherem  Verbände  stehenden  Theile.  In  der  Regel  wird 
man  die  stärkere  Injection  des  episcleralen  Gefüges  bei  Vorhandensein  jener  Sym- 
ptome nachweisen  können,  oft  sogar  schon  die  Anfänge  lierpetischer  Efflorescenzen, 
einer  Keratitis,  oberflächliche  Excorialionen  des  Cornealrandes  u.  s.  w.  vorfinden. 
Wo  aber  die  gleichmässige  Injection  der  Conjunctiva  bulbi  die  Wahrnehmung  der 
episcleralen  Injection  unmöglich  macht,  wird  man  selten  fehlen,  wenn  man  sie  vor- 
aussetzt und  darnach  seine  therapeutischen  Massregeln  trifft. 

5.  Das  katarrhalische  Product  wechselt  einigermassen  in  Bezug  auf 
Qualität  und  Quantität  je  nach  der  jeweiligen  Intensität  des  Processes. 
Im  ersten  Beginne  der  Krankheit ,  kurz  nach  der  Einwirkung  der  Noxe, 
zeigt  sich  in  der  Regel  nur  eine  gesteigerte  Secretion  von  Thränen;  diese 
erscheinen  meistens  etwas  viscider,  schäumen  leicht,  sind  wohl  auch 
gelblich  oder  röthlich  gefärbt  und  führen  sparsame  kleine  Flocken  trüben 
zähen  Schleimes.  Während  sich  die  Entzündung  allmähg  entwickelt, 
nimmt  das  schleimige  Product  an  Masse  zu,  wird  trüber  und  kann  bei 
hochgradigen  Fällen    selbst  die    Farbe  und  die    Opacität    des  reinen  Eiters 

stell  wag,  Augenheilkunde.  27 


418  Catarrhns  conjunctivae:  Krankheitsbild ;  Secret. 

annelimen;  es  unterscheidet  sich  von  letzterem  jedoch  genugsam  durch 
seine  Consistenz  und  durch  seine  Unfähigkeit ,  sich  in  den  Thi-änen  auf- 
zulösen. Hat  der  Entzüudungsprocess  seinen  Höhenpnntt  überschritten, 
macht  sich  mehr  und  mehr  die  Erschlaffung  des  Conjunctivalgefüges  geltend : 
so  steigert  sich  die  Secretion  des  charakteristischen  Productes  und  dieses 
■flrird  nicht  selten  trüber,  eiterähnlicher  als  zuvor.  Dafür  tritt  aber  die 
Thränenabsonderung  mehr  zurück,  das  katai-rhaUsche  Secret  gewinnt 
aUmälig  die  Oberhand.  Weiterhin  nimmt  auch  die  Menge  des  letzteren 
ab;  ausserdem  wird  es  heller,  durchscheinender;  am  Ende  zeigt  es  nur 
mehr  trübe  Streifen  und  gewinnt  so  immer  mehr  Aehnhchkeit  mit  dem 
normalen  Schleime  der  Bindehaut.  Bei  alten  chronischen  Katarrhen  kann 
der  reichlich  abgesonderte  Schleim  sos^ar  slasähnlich  durchsichtig  werden. 
Die  krankhafte  Secretion  wird  übrigens  durch  alles  beeinliusst,  was 
den  Eeizzustand  der  Bindehaut  und  die  Hyperämie  der  Gefässe  vorüber- 
gehend zn  steigern  vei-mag.  Blutwallungen  und  Blutstauungen,  Einwirkung 
von  Staub,  unreiner  Luft,  höheren  Wärmegi*aden,  helles  Licht,  Anstrengungen 
der  Augen  u.  s.  w.  vermehren  auffällig  die  Quantität  des  Productes  und 
dessen  Trübheit:  während  die  entgegengesetzten  Verhältnisse,  der  Aufenthalt 
in  kühler  reiner  finscher  Luft,  in  massig  erleuchteten  Orten,  Buhe  der 
Augen  u.  s.  w.  die  Absonderung  vermindern  und  der  Qualität  nach  dem 
XormaLzustande  melir  nähern.  Am  reichlichsten  pflegt  die  Absonderung 
des  Abends  und  besonders  des  Morgens  wälirend  dem  Halbschlafe  zu  sein. 
Während  dem  nächtlichen  Schlafe  tritt  sie  etwas  zurück  und  wird  bei 
geringgradigen,  besonders  bei  veralteten  chronischen  Katarrhen,  bisweilen 
so  gering,  dass  der  Kranke  beim  nächtlichen  Erwachen  aus  dem  Schlafe 
wegen  dem  Mangel  der  die  Bindehaut  feucht  und  schlüpferig  erhaltenden 
Secrete  platterdings  ausser  Stande  ist,  die  Lidspalte  zu  öffnen.  Er  muss 
die  Lider  erst  reiben  oder  mit  Speichel  befeuchten,  ehe  unter  merklicher 
Zunahme  der  Hyperämie  und  darin  begriindeter  Vermehrung  der  Absonderung 
die  Beweglichkeit  der  Lider  zuriickkehrt.  Oft  klagen  die  Kranken  haupt- 
sächhch  über  diese  Trockenheit  der  Äugen  beim  nächtlichen  Erwachen,  sie 
ist  das  Lästigste  und  darum  auffiilligste  Symptom. 

Der  ohjecdve  Xachiceia  des  katarrhalischen  Secretes  ist  bei  geringgradiger 
Entwickelung  des  Leidens  und  bei  reinlichen  Kranken  nicht  in  jedem  Augenblicke 
gleich  leicht.  Doch  wird  man  in  den  meisten  Fällen  wenigstens  in  der  unteren 
Uehergang\fal'e  einige  Flöckchen  vorfinden,  wenn  man  das  betreffende  Lid  abzieht 
und  den  Kranken  nach  aufwärts  blicken  lässt. 

Ausserdem  trilft  mau  das  Secret  gewöhnlich  im  inneren  LidicinJcel,  entweder 
in  frischem  Zustande,  oder  zu  gelblichen  oder  bräunlichen  Krusten  vertrocknet. 
Die  in  den  Thränenbach  gelangten  Flocken  werden  durch  den  Lidschlag  nämlich 
gegen  den  inneren  Augenwinkel  getrieben  und  da  sie  die  Thränenpunkte  nicht 
passiren  können,  sammeln  sie  sich  daselbst  und  dorren  unter  dem  Einflüsse  der 
atmosphärischen  Luft  ein. 

Während  des  nächtlichen  Schlafes,  wo  eine  Bewegung  der  Lider  nicht  statt- 
findet, ist  eine  derartige  Verschiebung  der  Secrete  gegen  den  inneren  Augenwinkel 
nicht  möglich,  es  dringen  die  schleimigen  Producte  unter  dem  Drucke  des  Orbi- 
cularmuskels  einfach  in  die  Lidspalte  vor,  bleiben  hier  zwischen  den  Wimpern 
hängen,  vertrocknen  daselbst  und  kleben  die  äusseren  Lefzen  der  beiden  Lidränder 
zusammen.  Bei  höher^radi^en  Katarrhen  bilden  sich  während  der  Naclit  dicke 
Krusten  an  den  Lidrändem  und  auch  während  des  Tages  wird  man  constant  eine 
grössere  Menge  von  katarrhalischen  Producten  im  Bindehautsacke  und  der  Lid- 
spalte antreffen. 

Ist  der  Kranke  unreinlich,  so  häuft  sich  öfters  das  frische  Secret  und  es 
entwickeln  sich  mächtige  Krusten   in  grosser  Menge,    so  dass  man   für  den  ersten 


Sehstörungen;  Ursachen;  Ophth.  moibill.,  scarlat.,  variol.  419 

Augenblick  an  das  Geg^ebensoin  einer  Blennorrhoe  denken  könnte.  Es  genügt  aber 
die  iieinigiing,  um  das  wahre  (.^uautiun  der  Absonderung-  zu  constatiren. 

G.  Der  Bindehautkatarrh  ist  in  der  Kegel  mit  Gesichtsstörungen  ver- 
knüpft. Eei  niederen  Graden  des  Katarrhes  bilden  dieselben  bisweilen 
den  HavptJdagepunJd  der  Krankon,  diese  werden  durch  jene  in  ihren 
gewöhnlichen  Beschiiftigungon  ausnehmend  belästigt  und  oft  sogar  gehindert. 
Die  in  den  Thränen  suspendirtcn  Flocken  werden  nämlich  durch  den  Lid- 
schlag mit  den  Thränen  über  die  Hornhautoh  er  fläche  hingeschmiert  und 
müssen  vermöge  ihrer  optischen  Ungleichartigkeit  sich  im  Gesichtsfelde 
geltend  maclien,  da  sie  die  Objectbilder  gerade  so  trüben,  als  ob  der  Kranke 
ein  trübes  Glas  vor  den  Augen  trüge. 

Das  Bild  einer  Flamme  erscheint  daher  wie  in  einen  Dunstkreis  eingehüllt 
und  nicht  selten  in  Regenbogenfarben.  Andere  Objecte  werden  wie  von  einem 
Schleier  oder  Nebel  bedeckt  wahrgenommen,  welcher  sich  um  so  mehr  verdichtet, 
je  mehr  der  Kranke  sich  anstrengt,  jene  deutlich  zu  sehen,  da  er  damit  den  Reiz- 
zustand seiner  Bindehaut  vermehrt.  Daher  die  Klage  der  Kranken:  sie  können 
beim  Lesen,  Schreiben  etc.  nicht  ausdauern,  indem  alle  Objecte  verschwimmen 
und  nur  zeitweise  rein  erscheinen,  wenn  die  Augen  ausgewischt  worden  sind. 

Blickt  der  Kranke  auf  eine  hell  erleuchtete  weisse  Wand  oder  auf  das  Fir- 
mament bei  Tageslicht,  so  erscheint  das  Gesichtsfeld  neblig  streifig,  von  Myria- 
den dunkler  und  heller  Punkte,  Flecken,  Ringe,  Ketten  etc.  durchsäet,  welche 
Figuren  sämmtlich  beweglich  sind  und  eine  auffällige  constante  Tendenz  zum 
Abwärtssinken  lieurkunden  (Spectrum  mvcolacripnalej.  Es  tritt  dieses  Phänomen 
besonders  deutlich  hervor,  wenn  man  den  Kranken  durch  ein  feines  Loch  in  einer 
Karte  schauen  lässt.  Es  sind  jene  Figuren  die  Schatten  von  dem  auf  der  Horn- 
haut befindlichen  Schleime  und  des  in  ihm  enthaltenen  Epitheldetritus,  so  wie  der 
darin  sich  bildenden  Luftbläschen  (Siehe  Scotome). 

Ursachen.  1 .  Der  Katarrh  der  Bindehaut  entwickelt  sich  ziemlich 
häufig  in  secundärer  Weise  und  ist  dann  in  dem  anatomischen  oder 
functionellen  Verbände  begründet,  in  welchem  die  Bindehaut  mit  den 
Nachbar  Organen  steht.  So  verlaufen  im  Ausstrahlung  shezirke  des  Ciliar- 
nervensystems,  in  der  Nasenschleimhaut,  in  der  Thränensackgegend  und  an  den 
Lidrändern  nur  selten  heftigere  Entzündungen,  ohne  dass  die  Bindehaut 
in  Mitleidenschaft  gezogen  würde.  Nicht  minder  häufig  pflanzt  sich  der 
Process  von  der  äusseren  Gesichtshaut  auf  die  Conjunctiva  fort.  Wirklich 
geschieht  es  ganz  gewöhnlich  bei  Erysipelas  faciei,  dass  die  Bindehaut 
sich  injicirt  und  in  Gestalt  mächtiger  Wülste  hervorspringt,  welche  je 
nach  dem  Charakter  des  Erysipels  bald  mehr  dem  Oedeme,  bald  der 
wahren  Chemose  entsprechen,  beim  .Rückgange  des  Erysipels  zusammen- 
fallen und  die  Bindehaut  in  wahrhaft  katarrhalischem  Zustande  zurück- 
lassen. Auch  bei  Impetigo,  Eczem,  Herpes  zoster  u.  s.  w.  der  Gesichtshaut 
participirt  nicht  selten  die  Conjunctiva  unter  der  Form  des  Katarrhes. 

2.  Es  leidet  die  Bindehaut  weiters  fast  constant  in  sehr  auffälliger 
Weise  bei  den  acuten  exanthematischen  Processen,  bei  den  Blattern,  Masern, 
dem  Scharlach.  Ihre  AiFection  macht  sich  schon  im  ersten  Beginne  des 
Eruptionsstadiums  geltend  und  charakterisirt  sich  bald  als  einfache  Reizung, 
bald  als  ein  mehr  minder  heftiger  Katarrh,  ja  es  kann  sich  die  Syndes- 
mitis  sogar  bis  zum  Grade  einer  Blennorrhoe  steigern.  Die  Bindehaut 
participirt  hier  als  ein  Theil  des  allgemeinen  Hautsystemes  an  der  Krankheit, 
daher  denn  auch  die  Bezeichnung  dieser  Form  des  Katarrhes  als  Ophthalmia 
variolosaj   morhillosa,  scarlatinosa  eine  vollkommen  berechtigte  ist. 

27* 


420      Catarrlins  conjunctivae;  Ursachen;  Aenssere  ScMdliclikeiten ;  Catarrh.  sicc;  Ansteckung. 

Doch  darf  nicht  vergessen  werden,  dass  unter  diesem  Namen  auch  ganz 
differente  Zustände  beschrieben  werden .  die  PanOphthalmitis  metastatica  und  embo- 
lica  (S.  370)  nämlich,  welche  im  Höhestadium  anomal  verlaufender  Processe  bis- 
weilen zur  Entwickelung  kömmt,  und  der  Heifes ,  welcher  im  TJesiccationsstadiuni 
jener  Exantheme  sehr  gerne  auf  der  Cornea  und  Bindehaut  aufschiesst. 

3.  Weitaus  in  den  meisten  Fällen  ist  der  Bindehautkatarrh  primär, 
durch  Scli'ddlichkeiten  bedingt,  welche  die  Conjunctiva  direct  getroffen  haben. 
Traumatische  Eingriff'e,  fremde  Körper  und  chemische  Agentien,  welche 
zufällig  oder  absichtlich  in  den  Bindehautsack  gelangten,  nehmen  unter 
diesen  Schädlichkeiten  wegen  der  Häufigkeit  ihrer  ätiologischen  Wirksam- 
keit den  ersten  Platz  ein.  Besonders  aber  ist  unreine,  mit  ammoniakali- 
schen  und  überhaupt  excrementitiellen  Exlialationen,  mit  Eauch,  Tabaks- 
dampf, feinen  Staubtheilen  etc.  geschwängerte  Luft  als  ein  höchst  gewichtiger 
Factor  in  der  Aetiologie  der  Bindehautentzündung  hervorzuheben.  Stark 
besuchte  Wirths-  und  Kaffeehäuser,  Ballsäle,  Küchen  und  Bäckereien, 
Fabrikslocale,  in  welchen  eine  namhafte  Anzahl  von  Arbeitern  einen 
grossen  Theil  des  Tages  beisammen  leben  und  sich  allenfalls  noch  mit 
staubenden  Körpern  beschäftigen;  überfüllte  Schifi'sräume,  Wohn-  und 
Schlafstuben  :  Gefangenhäuser,  Erziehungsanstalten,  Armenhäuser,  Herbergen 
für  Handwerksbursche  und  ähnliche  Localitäten,  vornehmlich  aber  Casernen, 
sind  als  wahre  Brutorte  für  Ophthalmien  allgemein  anerkannt.  Unter  den 
physikalischen  Schädlichkeiten  ist  besonders  der  Wind  und  die  Zugluft  her- 
vorzuheben. Aber  auch  längere  Einwirkung  der  atmosphärischen  Luft  auf 
Theile  des  Bindehautsackes,  welche  für  gewöhnlich  nicht  im  Bereiche  der 
Lidspalte  liegen,  kann  Ursache  von  Conjunctivalkatarrhen  werden.  Ectropien, 
Verlust  der  Lider,  Exophthalmus  u.  s.  w.  sind  in  der  Kegel  mit  Bindehaut- 
katarrhen complicirt.  Zu  den  functionellen  Schädlichkeiten  zählen  über- 
mässige .Aastrengungen  der  Augen  behufs  deuthcheu  Sehens,  Beschäftigungen 
mit  kleinen  Objecten  bei  unzweckmässiger  Beleuchtung  u.  s.  w.,  besonders 
wenn  das  Accommodationsvermögen  anfangt  unzureichend  zu  werden.  In 
der  That  sind  katarrhalische  Zustände  der  Bindehaut  sehr  gewöhnliche  Be- 
gleiter asthenoplscher  Beschwerden  und  dann  bisweilen  ausserordentlich  hart- 
näckig, besonders  wenn  die  Correction  des  Accommodationsfehlers  vernach- 
lässigt wird.  Es  pflegen  sich  diese  Bindehautaffectionen  mehr  durch  lästige 
Gefühle  und  Köthung,  als  durch  vermehrte  Schleimabsonderung  zu  ver- 
rathen,  daher  man  für  sie  einen  eigenen  K^amen,  nämlich  „Catarrhus  siccus" 
vorgeschlagen  hat  (Schirmer). 

4.  Endlich  darf  der  wahrscheinlichen  Uebertragbarkeit  des  Catarrhes 
von  einem  Individuum  auf  das  andere  durch  das  Secret  nicht  vergessen 
werden.  Wenigstens  in  Bezug  auf  die  mehr  eiterähnlichen  Producte  ist  die 
Ansteckungsfälligkeit  kaum  zu  bezweifeln.  Beim  chronischen  Katarrhe  hin- 
gegen ist  dieselbe  laut  direeten  Versuchen  (Piringer)  Xull. 

5.  Als  disponirendes  Moment  kömmt  in  Rechnung  die  Erschlaffung  des 
Bindehautgefüges  und  der  Gefässe,  wie  selbe  besonders  bei  alten  Leuten, 
ausserdem  aber  auch  noch  in  Folge  öfters  überstandener  oder  lange 
dauernder  Bindehautentzündungen  häufig  beobachtet  wird. 

Der  VerlaTif  des  Katarrhes  ist  im  Allgemeinen  um  so  langwieriger, 
je  weniger  das  ergriffene  Individuum  den  veranlassenden  Schädlichkeiten 
sich  entziehen  kann.  Ist  dieses  aber  möglich  geworden,  so  zeigt  der 
Katarrh  eine  um  so  grössere  Hartnäckigkeit,  je  länger   er  bereits  bestand. 


Verlauf;  Ausgänge;  Verödung;  flor  Bindehaut;  Ectropium;  Blepharitis.  421 

Frisch  entstandene  und  durch  zufällige,  nur  kurze  Zeit  einwirkende  Schäd- 
lichkeiten veranlasste  AfFectionon  gestatten  demnach  im  Allgemeinen  die 
günstigste  Prognose ;  bei  zweckmässigem  V^erhalten  des  Kranken  und 
richtiger  Therapie,  ja  wohl  auch  ohne  alle  Therapie,  reichen  oft  wenige 
Tage,  in  schwereren  Fällen  2 — 3  Wochen  hin,  um  den  Process  seinem 
Ende  zuzuführen.  Bei  Ectropien,  Substanzverlusten  der  Lider  u.  s.  w., 
wo  die  ätiologischen  Momente  fortwirken,  so  wie  bei  hochbetagten  Leuten 
mit  sehr  schlafl'em  Gefüge  wird  der  Katarrh  wohl  auch  habltuel  und 
widersteht  häufig  allen  Kurversuchen.  Dieses  gilt  jedoch  natürlich  nur 
im  Allgemeinen,  im  concreten  Falle  machen  sich  öfters  Ausnahmen  geltend. 
Der  Verlauf  ist  übrigens  durchaus  nicht  immer  ein  regulärer,  so  dass 
der  Process  sich  allmälig  bis  zu  einem  bestimmten  Grade  entwickelt  und 
nach  und  nach  der  Heilung  wieder  zuschreitet;  sehr  oft  machen  sich 
Schwankungen  bemerklich,  indem  bald  die  Reizerscheinungen  mehr  hervor- 
treten, bald  die  katarrhalische  Erschlatfung  mit  Vermehrung  der  Secretion. 
Besonders  häufig  wird  der  Verlauf  modificirt  durch  Complication  des 
Katarrhes  mit  Reizungen  im   Ciliarsysteme. 

Ausgänge.  Der  reguläre  Ausgang  ist  jener  in  Heilung.  Unter  ungünstigen 
Verhältnissen  kann  der  Katarrh  sich  indessen  auch  zur  Blennorhöe  etc. 
steigern  oder  in   Trachom   übergehen. 

Bei  veralteten  chronischen  Katarrhen  kommt  es  nicht  selten  zu  merk- 
licher Verdickung  und  Wulstung  der  Bindehaut;  diese  hypertrophirt  und 
obsolescirt  zuletzt  wohl  gar  in  grosser  Ausdehnung,  sehnige  derbe  Narben- 
flecke zurücklassend  und  Verkürzung  der  Uebergangsfalte,  oft  mit  Ein- 
wärtskehrung  der  Lidrandfläche  (Entropium)  bedingend.  Bei  polnischen 
Juden  ist  ein  solcher  Ausgang  nicht  ganz  selten  Gegenstand  der  Beobachtung. 
Man  pflegt  ihn  durch  ein  vorausgängiges  Trachom  zu  erklären.  Doch  ist 
dies  nicht  für  alle  Fälle  richtig,  da  manchmal  während  dem  ganzen  Ver- 
laufe der  Krankheit  jede  Spur  der  charakteristischen  Granulationen  und 
Körner  fehlt  und  nur  eine  ganz  gleichmässige  Wulstung  der  Schleimhaut  mit 
Schleimabsonderung  nachzuweisen  ist. 

In  anderen  Fällen  und  zwar  vorzüglich  bei  Greisen  entwickeln  sich 
im  Gefolge  chronischer  Katarrhe  Ectropien.  Es  leidet  nämlich  unter  fort- 
gesetzter katarrhalischer  Entzündung  der  Bindehaut  am  Ende  auch  der 
Lidknorpel,  wird  allmälig  erweicht  und,  indem  seine  Resistenz  nicht  mehr 
zureicht,  um  das  untere  Lid  zu  stützen,  hebt  sich  dieses  etwas  vom 
Bulbus  ab,  senkt  sich.  Die  damit  verknüpfte  Auswärtskehrung  der  Thränen- 
punkte  verstärkt  dann  noch  die  Hindernisse,  welche  die  Thränenleitung  in 
der  falschen  Stellung  des  Lidrandes  findet,  es  träufeln  die  Thränen  fort- 
während über  die  Lid-  und  Wangenhaut,  excoriiren  dieselbe,  führen  zu 
erythematösen  Entzündungen  und  endlich  zur  Schi-umpfung  derselben,  wo- 
durch das  Ectropium  vermehrt,  gleichzeitig  aber  auch  wegen  Bloslegung  eines 
Theiles  der  Bindehaut  deren  Entzündung  und  das  Leiden  des  Knorpels 
gesteigert  und  unterhalten  wird. 

Oefters  führt  der  Katarrh,  besonders  wenn  er  lange  dauert,  zur 
Blepharitis  ciliaris,  indem  die  Entzündung  sich  unmittelbar  von  der  Binde- 
haut auf  die  Umgebung  der  Liddrüsen  fortsetzt  oder  aber,  und  dieses  ist 
häufiger  der  Fall,  indem  die  aus  dem  katarrhalischen  Producte  durch  Ver- 
trockung     entstandenen    Krusten     in    Folge    ihrer     Zusammenziehung     das 


422  Catarrlius  conjunctivae;  Behandlung;  Antiphlogosis ;  Adstringentia. 

Epithel  des  Lidrandes  einreissen,  Sprünge  erzeugen  und  so  die  Einwirkung 
der  Luft,  der  Thränen  u.  s.  w.  auf  das  blosgelegte  Gefüge  der  Liddecke 
ermöglichen.  Oft.  tragen  die  Kranken  hierzu  insoferne  bei,  als  sie  die 
Krusten  abreiben  und  so  Abschürfungen  bedingen. 

Behandlung.  Deren  Aufgaben  sind  ausser  der  Entfernung  der  etwa 
noch  wirksamen  Krankheitsursachen:  Beschrcbikung  und  Unterdrückung  des 
entzündlichen  Geioebsivucherungsprocesses ;  späterhin  Tilgung  des  Erschlaffungs- 
zustandes  in  dem  bindegewebigen  Stroma  und  in  den  Gefässen;  ausserdem 
aber  auch  Verhütung  der  melu"  indirecten  Folgezustände  des  Katarrhes, 
besonders    Verhinderung  der  Krustenbildung  an  den  Lidrändern. 

1.  Wo  die  Beizerscheinungen  vorwiegen,  sei  es  im  Beginne  der  Krank- 
heit, oder  wenn  während  dem  weiteren  Verlaufe  zufällig  einwirkende 
äussere  Schädlichkeiten  die  vorhandenen  entzündlichen  Störungen  ver- 
grössert  haben ;  insbesondere  aber,  wenn  gleichzeitig  eine  beträchtliche 
Injection  des  Episcleralgewebes  hervortritt  und  die  Irritation  des  Ciliai-- 
nervensj-stems  sich  durch  lebhaftere  Schmerzen,  Lichtscheu  und  deren 
Attribute  geltend  macht :  muss  die  Behandlung  eine  reizwidrige,  antiphlo- 
gistische sein,   alle  irritirenden  Mittel   sind   dann  zu  vermeiden. 

Bei  grösserer  Intensität  der  entzündlichen  Erscheinungen    wird   es  ge- 

rathen  sein,    den  Ki-anken   im  Zimmer   zu    halten    und  für    eine  strengere 

Augendiät    zu    sorgen.     Als  directes  Mittel    empfehlen  sicli    besonders  kühle 

Umschläge  und,   falls  die  nervösen  Symptome   sehr  hervorstechen,   Atropinein- 

träufelungen. 

Doch  ist  sehr  zu  warnen  vor  einer  übertrieben  emsigen  Anwendung  der  Ueber- 
schläge,  da  beim  Katarrhe  die  locale  Wärmeentwickelung  eine  zu  geringe  ist,  als 
dass  fortgesetzte  Kälteeiuwirkung  vertragen  würde.  In  der  Regel  genügt  es  voll- 
kommen, mehrmals  des  Tages,  besonders  während  etwaiger  Exacerbationen,  einige 
gut  ausgedrückte  Ueberschläge  zii  appliciren,  die  übrige  Zeit  aber  exspectativ  zu 
verfahren. 

2.  Treten  die  Erscheinungen  der  entzündlichen  Reizung  mehr  zurück, 
wird  die  Bindehaut  schon  etwas  blässer  und  zeigt  dieselbe  durch  ihre 
Lockerheit,  Aufwulstung  und  durch  die  Welkheit  ihrer  Falten  bereits  deut- 
lich ihre  Erschlaffung,  fehlen  zudem  alle  auf  L-ritation  des  Ciliarsystems 
hindeutenden  Erscheinungen  :  so  ist  es  an  der  Zeit,  zu  den  adstringirenden 
Mitteln  überzugehen;  die  reine  Antiphlogose  genügt  nicht  mehr,  um  den 
Process  in  möglichst  kurzer  Zeit  zum  Abschlüsse  zu  bringen. 

Bei  weitem  am  meisten  leisten  Bestreichungen  der  Bindehaut  mit 
einer  Lösung  von  1 — 5  GraTien  Höllenstein  auf  die  Unze  destillirten  Wassers 
(S.  48).  Wo  immer  die  Auflockerung  des  Gefüges  bei  Conjunctivalkatarrh 
etwas  deutlicher  hervortritt  imd  die  Eeizsymptome  nicht  entgegen  sind, 
sollte  die  Kur  mit  diesem  Mittel  begonnen  und  fortgesetzt  werden,  bis  die 
Auflockerung   und    die    krankhafte    Secretion    der   Bindehaut  beseitigt  sind. 

Ist  uiiter  einer  solchen  Behandlung  der  krankhafte  Zustand  bis  auf 
einige  Hyperämie  der  Bindehaut  getilgt  worden,  oder  ist  der  Katarrh  von 
vorneherein  ein  sehr  unbedeutender  und  die  Auflockerung  des  Gefüges 
wenig  merkbar;  oder  ist  der  Kranke  nicht  in  der  Lage,  den  Arzt  täglich 
consultiren  und  jene  Bestreichungen  vornehmen  lassen  zu  können :  so 
empfelilen  sich  die  adstringirenden   Collyrien   (S.   46). 

3.  Bei  veralteten  chronischen  Katarrhen,  überhaupt  wo  die  Erschlaffung 
der    Bindehaut    und    ihrer    Gefässe    einen    sehr    hohen    Grad    erreicht    hat. 


Caustica;  Verhinduruiig  der  Krustonbildung.  423 

insonderheit  bei  dem  habituellen  Katarrhe  alter  Leute,  genügt  das  angeführte 
therapeutische  Verfahren  öfters  nicht,  um  die  gewünschten  Erfolge  zu 
erzielen.  Dagegen  pflegt  unter  solchen  Verhältnissen  die  täglich  einmalige 
Bestreichung  des  Tarsal-  und  Uebergangstheiles  der  IJindeliaut  mit  der 
glatten  Fläche  eines  Kupfervitriolkrysialles  (S.  49)  vorzüghches  zu  leisten. 
Ist  der  Kranke  aber  nicht  in  der  J.age,  täglich  den  Ai-zt  zu  besuchen,  so 
kann  man  den  Bestreicluingen  mit  dem  Krystallc  eine  Salbe  aus  gr.  5 
Sulfat.  Cupri  ad  drachm.  2  Ungt.  comm.  substituiren,  welche  der  Patient 
sich  mittelst  eines  Pinsels  alle  Tage  einmal  in  den  Bindehautsack  ein- 
streichen lässt  oder  selbst  einstreicht. 

Sollte  jedoch  die  sehr  erschlaifte  und  aufgelockerte  Bindehaut  ober- 
flächlich rauh,  sammtähnlich  oder  gar  körnig  sein,  so  thut  man  besser, 
wenn  man  vorerst  durch  einige  Zeit  die  Bindehaut  täglich  einmal  mit 
einer  Lösung  von  1 0  Gran  Höllenstein  auf  die  Unze  Wasser  bestreicht  und 
damit  fortführt,  bis  die  Conjunctiva  glatter  geworden  ist,  worauf  dann  das 
schwefelsaure  Kupferoxyd  in  Kiystall-  oder  Salbenform  bis  zum  Ende  der 
Krankheit  fortzugebrauchen  ist. 

4.  Um  der  Krustenbildung  an  den  Lidrändern  und  deren  üblen  Folgen 
vorzubeugen,  dient  während  dem  Wachsein  des  Kranken  die  öftere  Keinigung 
des  Lidraudes  mit  nassen  Leinwandläppchen.  Während  des  nächtlichen 
Schlafes  ist  die  Reinigung  nicht  leicht  möglich.  Da  dient  zu  jenem  Zwecke 
die  Bestreichung  der  Lidränder  mit  einem  reinen  frischen  Fette,  mit  Unguentum 
simplex  oder  Cremor  coelestis. 

Am  besten  ist  es,  das  Fett  mittelst  eines  Pinsels  auf  den  Lidrand  auf- 
zutragen und  dafür  zu  sorgen,  dass  dasselbe  zwischen  die  Wimpern  ein- 
dringe. Die  Application  geschieht  bei  geschlossener  Lidspalte  und  der 
Kranke  ist  anzuweisen,  nach  der  Application  die  Lidspalte  nicht  mehr 
zu  öffnen ,  um  den  Bindehautsack  vor  der  Einwirkung  der  Salbe  zu 
sichern.  Man  hat  sich  dabei  zu  hüten,  dass  nicht  zu  viel  Fett  aufgeschmiert 
werde.  Die  Theile  sollen  nur  von  einer  ganz  dünnen  Fettschichte  über- 
kleidet  werden. 

Haben  sich  trotz  allen  Vorsichten  oder  wegen  unzureichenden  thera- 
peutischen Massregeln  dicke  harte  Krusten  an  den  Lidrändern  gebildet, 
welche  fest  an  den  Wimpern  und  der  Epidermis  haften,  so  müssen  die- 
selben durch  Bähungen  mittelst  eines  in  laues  Wasser  getauchten  feinen 
Badeschwammes  oder  Leinwandläppchens  vorerst  völlig  aufgeweicht  werden, 
ehe  man  sie  durch  Wischen  entfernen  darf,  weil  sonst  leicht  Excoriationen 
bedingt  werden.      Statt  Wasser  kann  man  auch  laue  Milch   verwenden. 

Quellen:  Eble,  Ueber  den  Bau  uud  die  Krankheiten  dei-  Bindehaut.  Wien. 
1828.  S.  84.  —  Piringer,  Die  Blenn.  am  Menschenauge.  Graz.  1841.  S.  2,  4,  267, 
271,  275.  —  Arlt,  Die  Krankheiten  des  Auges  I.  Prag.  1851.  S.  8;  kl.  Monatbl. 
1863.  S.  182.  —  Gtdz,  Die  sog.  egypt.  Augenentzündung.  Wien.  1850.  S.  22.  — 
Stillimj,  kl.  Monatbl.  1869.  S.  189.  —  Galezowski,  Gaz.  d.  hop.  1868.  Nro.  108.  — 
Schirmer,  kl.  Monatbl.  1867.  S.  114. 


2.  Syndesmitis  membranosa. 

Erankheitsbild.      Charakteristisch    ist  ausser  den    Erscheinungen  einer 
meistens    ziemlich    hochgradigen    Hyperämie    und  Schwellung    der  Bindehaut  die 


424  Syndesmitis  membranosa;  Krankheitsbild;  Ursachen. 

Entwicl'elung  eines  faserstoffigen,   zu  hautartigen  Schollen  gerinnenden,  der  Ober- 
fläche  der  Bindehaut  anhaftenden  Productes. 

Die  Hyperämie  ist  gewöhnlich  über  die  ganze  Bindehaut,  oft  sogar 
auch  über  deren  Umgebung,  besonders  die  Lider,  ausgebreitet.  Sie  beur- 
kundet sich  durch  eine  ganz  gleichmässige,  mehr  -weniger  lebhafte,  oft  auch 
dunkle  und  ins  Bräunliche  spielende  Injectionsröthe.  Auch  die  Schwellung 
ist  meisthin  sehr  stark,  öfters  sogar  'wirklich  chemotisch.  Oertüche  Temperatur- 
erhöhung sowie  lebhafte  Schmerzen  im  Auge  und  der  entsprechenden  Kopf- 
hälfte fehlen,  wenigstens  im  Beginne,  selten.  In  manchen  Fällen  ist  auch 
Fieber  nachweisbar. 

Das  Product  erscheint  in  Fällen  niederen  Grades  öfters  in  Gestalt 
eines  dünnen  und  zarten  florähnlichen  netzartigen  Beschlages.  In  anderen 
Fällen  ist  es  massenhafter  und  präsentirt  sich  als  eine  dichte  und  in  ihrer 
Dicke  sehr  wandelbare,  bisweilen  ^j^'"  und  darüber  mächtige,  hautartige 
Gerinnung  von  faserstofTähnlichem  Aussehen  und  grösserer  oder  geringerer 
Consistenz,  welche  den  Bindehautsack  seiner  ganzen  Ausdehnung  nach 
überzieht,  im  Umfange  der  Hornhaut  durchbrochen  ist  und  an  der  inneren 
Lidlefze  meistens  eine  scharfe  Grenze  findet,  manchmal  jedoch  auch  auf 
den  Lidrand  übergreift,  in  seltenen  Fällen  sogar  die  beiden  sich  berühren- 
den Lidränder  zusammenklebt  und  so  die  Lidspalte  schliesst.  Das  Product 
ist  durchscheinend,  graulich ,  bei  grösserer  Dicke  der  membranartigen 
Gerinnung  aber  völhg  opak,  sehnigweiss  oder  gelblich.  Es  hat  geringe 
Keigung  zur  Schmelzung  und  stösst  sich  daher  fast  immer  in  Form  von 
Fetzen  oder  auch  im  Zusammenhange  von  der  Bindehaut  los.  Wo  das 
Product  schmilzt,  liegt  nicht  sowohl  eine  reine  Syndesmitis  membranosa, 
als  vielmehr  eine  Uebergangsform  zur  Syndesmitis  diphtherica  vor. 

Ueberhaupt  kömmt  die  Syndesmitis  membranosa  nur  selteti  in  reiner 
Form  zur  Beobachtung.  Abgesehen  von  den  Uebergängen  zur  Syndes- 
mitis diphtherica  stösst  man  ziemlich  häufig  auf  Fälle,  in  welchen  die 
scholligen  Gerinnungen  nur  einzelne  Theile  der  Bindehaut,  am  gewöhnlichsten 
die  Uebergangsportion  und  die  Conjunctiva  tarsi,  decken ,  während  der 
Rest  der  Bindehaut  einfach  katarrhalische  oder  blennorrhoische  Producte 
liefert,   die  nicht  haften. 

Ursachen.  Die  Aetiologie  fällt  grösstentheils  mit  der  des  Katarrhes 
zusammen.  Es  ist  auch  sehr  wahrscheinlich ,  dass  die  Syndesmitis  mem- 
branosa sich  durch  Ansteckung  fortpflanzen  könne;  dass  hierzu  jedoch  durchaus 
nicht  Secrete  gerade  dieser  Krankheitsform  nothwendig  seien,  sondern  dass 
vielmehr  katarrhalische,  blennon'hoische,  ja  selbst  trachomatöse  Secrete  die 
Veranlassung  einer  Syndesmitis  membranosa  werden  können  und  dass  um- 
gekehrt die  Secrete  der  letzteren  durch  Uebertragung  einen  Katarrh,  eine 
Blennorrhoe,   ein  Trachom  u.   s.  w.   erzeugen  können. 

Immerhin  ist  die  in  Rede  stehende  Krankheit  eine  selten  vorkommende. 
Zu  Zeiten  wird  sie  indessen  häufiger  beobachtet.  Im  Frühling  und  Sommer 
bei  sehr  heissem  und  anhaltend  trockenem  Wetter  findet  sich  dieselbe  öfters 
neben  Fällen  von  acut  auftretendem  Trachom,  Blennorrhoe  u.   s.  w. 

Verlauf.  Wenn  die  Krankheit  mehr  selbständig  auftritt ,  entwickelt 
sie  sich  gewöhnlich  unter  ziemlich  stürmischen  Erscheinungen  und  hat 
binnen  wenigen  Tagen  ihre  Höhe  erreicht.  In  günstigen  Fällen  treten 
dann    die    entzündlichen    Erscheinvmgen    wieder    zurück,    die    Geschwidst 


Verlauf;  Ausgänge;  Symblepharon;  Xerophthalmus.  425 

sinkt  unter  Abnahme  der  örtlichen  Temperatur  und  der  Schmerzhaftigkeit 
sowie  des  Fiebers,  wird  weicher  und  schlaffer,  es  stellen  sich  schleimige 
Secrete  ein,  das  Gerinnsel  stösst  sich  fetzenweise  oder  im  Zusammenhange 
ab  und  die  Syndesmitis  membranosa  erscheint  in  einen  Katarrh  oder  in 
eine  Blennorrhoe  umgewandelt.  Es  geschieht  indessen  atich  nicht  selten, 
dass  nach  einer  solchen  partiellen  oder  totalen  Abstossung  der  Gerinnsel, 
oder  nach  einer  künstlichen  Abtrennung  derselben,  sich  neue  Exsudat- 
schwarten erzeugen,  und  dass  so  das  Krankheitsbild  der  Syndesmitis  mem- 
branosa durch  längere  Zeit  unverändert  fortbesteht,  ehe  unter  allmäliger 
Erschlaffung  der  Gewebe  die  Secretion  ein  mehr  katarrhalisches  oder 
blennorrhoisches  Aussehen  gewinnt. 

In  den  meisten  Fällen  jedoch  stellt  die  Syndesmitis  membranosa 
gleichsam  nur  eine  Episode  in  dem  Decurse  eines  hochgradigen  Katarrhes 
oder  einer  Blennorrhoe  dar,  indem  sie  sich  durch  den  zeitweiligen  Wechsel 
der  Productquahtät  aus  diesen  herausbildet,  um  alsbald  wieder  in  sie 
überzugehen. 

Ausgänge.  Die  Syndesmitis  membranosa  endet,  wie  erwähnt,  gewöhn- 
lich nicht  direct  in  Heilung,  sondern  geht  der  Regel  nach  in  andere 
Formen  der  Bindehautentzündung,  mit  Vorliebe  in  Katarrh  und  Blennorrhoe 
sowie  in  Trachom,  über.  An  und  für  sich  ist  sie  bei  gehöriger  Behand- 
lung nicht  gerade  sehr  gefährlich.  Immerhin  jedoch  kann  sie  missliche 
Zustände  im  Gefolge  haben.  So  kömmt  es  ziemlich  häufig  vor,  dass 
einzelne  Theile  der  sich  berührenden  Flächen  des  Bindehautsackes  durch 
das  Product  verkleben  und,  falls  diese  Verbindung  nicht  zeitig  wieder  auf- 
gehoben wird,  wirklich  ueriüöcÄseji  und  dann /örwi^icÄ  obsolesciren.  Besonders 
in  dem  gewnisteten  Uebergangstheile  sind  derartige  Verklebungen  der  Con- 
junctivalf alten  etwas  sehr  Gewöhnliches  und  können  zur  Verkürzung  des 
Bindehautsackes  (Symblepharon  posterius)  mit  allen  deren  üblen  Folgen,  ja 
vielleicht  selbst  zum  Xerophthalmus  führen.  Ausserdem  ist  bei  hochgradiger 
Entwickelung  der  Entzündungserscheinungen  auch  noch  die  Fortpflanzung 
des  Processes  auf  die  Hornhaut  zu  fürchten.  Das  Resultat  können  unheil- 
bare Trübungen  sein.  Verschwärungen  der  Cornea  dürften  weniger  der 
Syndesmitis  membranosa  im  engeren  Wortsinne,  als  vielmehr  den  Com- 
binationen  derselben  mit  Blennorrhoe,  insbesondere  aber  den  Uebergangs- 
formen  der  Syndesmitis  diphtherica,   auf  Rechnung  kommen. 

Behandlung.  Deren  Aufgaben  sind  ausser  der  Beseitigung  und  weiteren 
Fernhaltung  aller  Schädlichkeiten,  welche  den  Process  unterhalten,  steigern, 
oder  dessen  Ausbreitung  auf  bisher  gesunde  Theile  begünstigen  könnten : 
Die  Tilgung  des  Gewebswucherungsprocesses  als  solchen  und  die  Verhütung 
jener  üblen  Folgen,  welche  die  starren  hautähnlichen  Producte  durch  Ver- 
klebung der  einzelnen  Bindehauttheile  unter  einander  etc.  zu  bedingen 
vermögen. 

1.  Im  prophylaktischen  Interesse  ist  es  bei  einseitiger  Erkrankung 
gerathen,  das  gesunde  Auge  durch  einen  hermetischen  Schutzverhand  vor 
der  Uebertragung  des  möghcherweise  ansteckenden  Productes  auf  seine 
Bindehaut  zu  bewahren.  Es  ist  dieser  Verband  unter  öfterer  Erneuerung 
des  Charpiebausches  so  lange  zu  tragen,  als  die  Qualität  des  Krankheits- 
productes  eine  Ansteckung  befürchten  lässt.  Zeigen  sich  bereits  die  ersten 
Spuren  der  Affection  an  dem  bisher  gesunden  Auge,  so  muss  der  Schutz- 


426  Syndesmitis  membranosa;  Behandlung;  Quellen. 

verband  sogleich  entfernt  und   die  directe  Behandlung    des  zweitergriffenen 
Aiisies  eingeleitet  werden. 

2.  Die  directe  Behandlung  muss,  entsprechend  dem  Charakter  der 
Entzündung,  eine  streng  antiphlogistische  sein  und  um  so  kräftiger  gehand- 
liabt  werden,  je  acuter  der  Process  sich  entwickelt  und  vorwärts  schreitet, 
je  grösser  die  Circulationsstörung,  je  praller  die  Geschwulst,  je  bedeutender 
die  locale  Temperaturerhöhung  und  je  heftiger  die  entzündlichen  Schmerzen 
sind.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  werden  anfänglich  kalte  Ueberschläge 
und  vielleicht  auch  Blutegel  am  Orte  sein.  Mercurialien  zind  zum  mindesten 
überflüssig. 

3.  3Iit  dem  Zurücktreten  der  entzündlichen  Erscheinungen  muss  auch  die 
Antiphlogose  beschränkt  werden.  Wird  im  weiteren  Verlaufe  die  Injections- 
röthe  blässer,  die  Geschwulst  weich  und  schlaff,  die  Bindehaut  faltig, 
sinkt  die  örtliche  Temperatur  auf  das  normale  Mass,  stellt  sich  endlich 
eine  mehr  katarrhalische  oder  blennorrhoische  Secretion  ein,  während  die 
membranösen  Producte  sich  fetzenweise  abstossen,  ohne  sich  wieder  zu 
ersetzen:  so  ist  es  Zeit,  zu  den  adstringirenden  Mitteln  überzugehen,  die 
Behandlung  des  Katan-hes,  der  Blennorrhoe  einzuleiten,  oder  einem  etwa 
in  Entwickelung  begriffenen  Trachome  wirksam  entgegenzutreten.  Es  muss 
dieses  vorerst  mit  grosser  Vorsicht  geschehen.  Sollte  unter  Anwendung 
der  betreffenden  Mittel  die  Entzündung  wieder  steigen,  so  ist  zur  ein- 
fachen Antiphlogose  zurückzukelrren  und  die  Application  der  Adstringentien 
zu  suspendiren,  bis  sich  die  Anzeigen  für  dieselben  wieder  dringender 
gestalten. 

4.  Die  häutigen  Exsudate  müssen  stets  auf  das  Sorgfältigste  beobachtet 
werden.  So  lange  die  Entzündung  noch  eine  höhergradige  ist  und  die 
Membranen  ihrer  ganzen  Ausdehnung  nach  der  Bindehaut  fest  anhaften, 
ist  eine  künstliche  Trennung  und  Entfernung  derselben  kaum  anzurathen, 
indem  dadurch  ein  heftiger  Eeiz  gesetzt  und  die  Erzeugung  neuer 
Exsudate  gefördert  wird.  Stossen  sich  die  Membranen  aber  stellenweise  los, 
so  ist  eine  Beseitigung  derselben  mittelst  der  Pincette  oder  mittelst  eines 
Leinenläppchens,  welches  man  darüber  hinwischt,  nothwendig,  da  dieselben 
bei  jedem  Lidschlage  sich  falten  und  als  fremde  Körper  heftiger  reizen,  als 
dieses  eine  vorsichtige  Ablösung  befürchten  lässt. 

Besondere  Aufmerksamkeit  ist  auf  etwaige  Verklebungen  der  sich 
berührenden  Theile  der  Bindehaut  zu  lenken.  Man  verabsäume  nie, 
ein-  oder  mehrmal  des  Tages  unter  Abziehung  des  einen  und  des  anderen 
Lides  die  Uebergangsfalten  auf  das  genaueste  zu  untersuchen,  um  derartige 
Verklebungen  zu  entdecken.  Man  wird  dann  öfters  sehr  seichte,  der 
Uebergangsfalte  parallel  streichende  Rinnen  auf  den  vorspringenden  Wülsten 
dieser  Bindehautportion  finden,  und  diese  Rinnen  werden  sich  als  die 
Reste  tief  einspringender  Falten  ergeben,  deren  Wandungen  völlig  zusammen- 
geklebt sind.  Durch  Streichen  mit  dem  Finger,  mit  einem  Federkiele 
oder  mit  dem  vorderen  Ende  eines  Schlüssels  wird  die  Trennung  leicht 
gelingen. 

Oeleinträufelungen,  Zwischenlegung  eines  Ei-  oder  Goldschlägerhäutchens  etc. 
sind ,  da  sie  zu  sehr  reizen  und  ausserdem  die  Verwachsung  nicht  sicherer  ver- 
hüten, verwerflich. 

Quellen:  Arlt,  Die  Krankheiten  des  Auges.  I.  Prag.  1851.  S.  85.  —  Guh, 
Die  egypt.  Augenentzündung.  Wien.  1850.  S.  34.  —  Buhne,  kl.  Monatbl.  1864.  S.  44. 


Blennorrhoe;  Krankheitsbild.  427 


8.  Die  Blcniiorrlioe,  der  Sclileimfluss  der  Bindeliaut. 

Krankheitsbild.  Sie  charakterisirt  sich  durch  die  Erscheinungen  einer 
wahren  Chemose  und  durch  massenhafte  Ausscheidung  schleimig  eiteriger  zu  Flocken 
sich  ballender,  oder  eiteriger  in  den  Thränen  zerfliessender  Prodxicte. 

1.  Die  Hyperämie  ist  auf  die  gesammte  Bindehaut  ausgebreitet,  in 
der  Eegel  sogar  auch  auf  der  äusseren  Lidhaut  und  selbst  in  grösserer 
Ausdehnung  bemerklich.  Die  Injectionsröthe  ist  eine  völlig  gloichmässige, 
meistens  ziemlich  dunkle  mit  einem  Stiche  ins  Bläuliche,  in  den  späteren 
Stadien  oder  bei  minder  hohen  Graden  der  Krankheit  wohl  auch  ins 
Gelbliche  spielende.  Wo  bereits  die  Erschlaffung  das  Uebergewicht  er- 
langt hat,  neigt  die  Farbe  wegen  der  Ansammlung  eines  dichten  Stratums 
neugebildeter  Zellen  und  eiteriger  Producte  auf  der  Oberfläche  der 
Bindehaut  mehr  ins  Graue,  sie  nähert  sich  einem  schmutzigen  Lila 
oder  Violett. 

Die  Schivellung  der  Theile  ist  eine  bedeutende.  Die  Lider  springen 
in  Gestalt  dicker  gerötheter  Wülste  hervor,  sind  fast  unbeweglich,  die 
Lidspalte  ist  geschlossen  und  das  obere  Lid  häufig  über  den  Band  des 
unteren  Augendeckels  hinübergeschoben.  Wird  die  Lidspalte  gewaltsam 
eröffnet,  so  drängt  sich  der  mächtig  gewulstete  Ueb er g angstheil  hervor  und 
stülpt  gerne  das  Lid  um.  Die  Conjunctiva  bulbi  ist  wallartig  rings  um 
die  Cornea  emporgetrieben  und  deckt  deren  Peripherie,  ja  häufig  erscheint 
die  Hornhaut  in  den  Wülsten  wie  vergraben  und  nur  das  Centrum  derselben 
sieht  hinter  den  letzteren  hervor.  In  den  ersten  Stadien  ist  die  Geschwulst 
allenthalben  mehr  weniger  prall  und  elastisch;  späterhin  werden  die  Wülste 
aber  weich,  welk,  schlaff,  lassen  sich  leicht  zusammendrücken  und  ver- 
schieben, und  wechseln  vermöge  ihrer  eigenen  Schwere  je  nach  der 
Stellung  des  Kranken  ihre  Lage ;  die  früher  unbeweglichen  Ldder  werden 
wieder,  wenn  auch  im  geringen  Grade,  beweglich  und  der  fast  starr 
gewesene  Bulbus  beginnt  den  Gesichtsobjecten  leichter  zu  folgen. 

Die  örtliche  Temperatur  ist  in  den  ersten  Stadien  immer  merklich 
erhöht,  sinkt  mit  dem  Eintritte  der  Erschlaffung  aber  allmälig  auf  das 
normale  Mass  herab. 

Auch  Schmerzen  pfl.egen  nur  die  ersten  Stadien  ,  in  welchen  der 
sthenische  Charakter  der  Entzündung  vorschlägt,  zu  begleiten ;  sie  können 
unter  Ausstrahlung  auf  die  ganze  betreffende  Kopfhälfte  ziemlich  hohe 
Intensitätsgrade  erreichen,  besonders  wenn  gleichzeitig  ein  heftiger  Keiz- 
zustand  im  Bereiche  des  Ciliarsystems  nebenher  läuft.  In  den  späteren 
Zeiten  treten  die  Schmerzen  meistens  sehr  zurück,  oder  schwinden  ganz, 
vorausgesetzt,  dass  die  Blennorrhoe  rein  dasteht.  Fieberbewegungen  sind 
während  dem  Beginne  und  dem  Höhestadium  der  Entzündung  häufige  Er- 
scheinungen. 

Das  Product  entspricht  seiner  Qualität  nach  in  minder  heftigen  Fällen 
ganz  dem  katarrhalischen,  der  Unterschied  liegt  nur  in  der  Massenhaftig- 
keit,  daher  es  denn  auch  recht  oft  ganz  von  der  Willkür  des  Arztes  ab- 
hängt, ob  er  einen  hochgradigen  Katarrh  oder  eine  Blennorrhoe  diagnosticiren 
will.  Bei  den  höheren  und  höchsten  Intensitätsstufen  des  Processes  schwindet 
die  schleimige  Grundlage  des  Secretes,   dasselbe  wird  rein  eitrig  und  löst  sich 


428  Blennorrhoe;  Pyorrhoe;  KrankheitsWld ;  Ursachen. 

gleichsam    in    den    nebenher    abgesonderten  Thränen  auf.    In  Folge  dessen 

erscheint    das    Product    je    nach    dem   wechselnden    Verhältnisse  der    sich 

mischenden    Absonderungen  bald    wässerig    trüb,     dem    Fleischwasser    oder 

einer  trüben  Molke  ähnlich;   bald  gleicht  es  mehr  einer  schlechten  Milch; 

bald  endlich  ähnelt  es  einem  gelben    oder    grünlichen    dicken  Rahme  und 

ist  völlig  opak.      Eigentliche   Gerinnungen   sind  darin  selten. 

Strenge  genomineu  sollte  man  die  Fälle  mit  schleimiger  Productbasis  von 
jenen  sondern,  bei  welchen  das  Product  mehr  den  Charakter  des  wahren  Eiters 
trägt  und  in  den  Thränen  löslich  ist.  Für  die  ersteren  würde  der  Name  Blennorrhoe, 
für  letztere  Pyorrhoe  passen.  Es  wäre  eine  solche  Scheidung  um  so  mehr  gerecht- 
fertigt, als  die  beiden  Formen  in  Bezug  auf  ihre  möglichen  Ausgänge  nicht  ganz 
übereinstimmen  und  auch  wohl  eine  etwas  abweichende  Therapie  verlangen.  Immer- 
hin stellen  sie  nur  Gradunterschiede  dar  und  gehen  in  einander  über,  insoferne 
man  häufig  neben  dem  eigentlich  pyorrhoischen  Secrete  und  in  demselben  schwim- 
mend die  schleimig  eitrigen  Flocken  der  Blennorhoe  findet. 

Anfänglich  ist  die  Secretion  weniger  reichlich,  mehr  wässerig,  steigt 
aber  bald  an  Menge  und  an  Gehalt  fester  Producte.  Sie  wkd  dann  oft 
so  massenhaft,  dass  eine  kurze  Unterbrechung  der  Reinigung  des  Auges 
genügt,  um  alle  Räume  zwischen  den  Wülsten  der  Bindehaut  zu  füllen 
und  die  Lidspalte  mit  Secreten  völlig  zu  überschwemmen.  Bald  über- 
schreitet das  Product  auch  die  Lidränder  und  ergiesst  sich  in  einem  oder 
mehreren  dicken  Strömen  über  die  Wange,  dieselbe  allenthalben  mit 
Krusten  überdeckend  und  Excoriationen  veranlassend.  Selbst  wälirend  des 
nächtlichen  Schlafes,  wo  die  Secretion  etwas  zurücktritt,  ist  die  Masse  des 
Productes  noch  immer  eine  so  reichliche,  dass  eine  völlige  Verklebung  kaum 
stattfindet,  indem  die  sieh  fortwährend  nach  aussen  drängenden  Ströme 
die  mittlerweile  gebildeten  Krusten  stets  wieder  durchbrechen. 

Ursachen.  Die  Blennorrhoe  entwickelt  sich  häufig  in  Folge  der  Ein- 
wirkung von  Schädlichkeiten  der  mannigfaltigsten  Art,  wie  selbe  auch  andere 
Formen  der  Bindehautentzündung,  insbesondere  den  Katarrh  (S.  420),  zu 
veranlassen  im  Stande  sind. 

Ein  höchst  wichtiges  ätiologisches  Moment  der  Blennorrhoe  ist  ausser- 
dem die  Ansteckung  in  Folge  der  directen  Uebertragung  des  blennorrhoi- 
schen  Secretes  von  einer  kranken  Bindehaut  auf  die  Conjunctiva  eines 
anderen  Auges.  In  der  That  ist  die  Contagiosität  des  blennorrhoischen 
Secretes  eine  überaus  starke  und  zwar  erwiesener  Massen  um  so  grössere, 
je  intensiver  die  Blennorrhoe  auftritt,  je  mehr  der  Eiter  in  dem  Producte 
vorwiegt  und  je  frischer  und  reiner  dasselbe  auf  eine  Bindehaut  über- 
tragen wird. 

Während  der  Zunahme  und  im  Höhestadium  der  Blennorrhoe  ist  die  An- 
steckungsfähigkeit des  Secretes  eine  bedeutendere,  als  im  Stadium  der  Abnahme 
und  nachdem  das  Secret  ein  vorwiegend  schleimiges  Aixssehen  gewonnen  hat. 
Durch  Vertrockmmg  sowie  durch  wenigstens  40fache  Verdünnung  mit  Wasser  ver- 
liert das  Product  sehr  an  Contagiosität  und  haftet  schwerer  (PiringerJ,  obwohl  die 
Gefahr  der  Ansteckung  durch  dasselbe  immer  noch  besteht.  Im  Allgemeinen  kann 
man  wohl  auch  sagen ,  dass  durch  mehrmalige  Uebertragung  des  Secretes  seine 
Wirksamkeit  als  Ansteckungsstoff  etwas  abnimmt;  denn  es  ist  eine  gewöhnliche 
Beobachtung,  dass,  wenn  das  zweite  Auge  durch  das  Secret  des  ersterkrankten 
angesteckt  wird ,  der  Process  daselbst  milder  verläuft  und  weniger  hohe  Grade 
erreicht. 

Es  gilt  dieses  alles  aber  nur  im  Allgemeinen,  im  concreten  Falle  ergeben 
sich  sehr  viele  Ausnahmen,  welche  in  Anbetracht  der  Wichtigkeit  der  Sache  die 
grösste  Beachtung  verdienen.    Besondere  Berücksichtigung  erheischt    der  Umstand, 


Ansteckung;  Trippersecret;  Inculiation ;  Ansteckung  ihucli  die  Luft.  429 

dass  die  Intensität  und  selbst  die  specielle  Form  der  durch  Uehertragung  eines 
solchen  Secretes  veranlassten  Entzündung  durchaus  nicht  immer  dem  Processe  ent 
spricht,  welcher  den  ansteckenden  Stoft'  ffeliefert  hat.  Es  kommen  Fälle  vor,  wo 
die  Uebertranjunfjj  des  Secretes  von  hochgradif^en  Katarrhen,  von  leichten  Blennor- 
rhoen  und  selbst  von  acuten  Trachomen  hikhstgradige  perniciüse  Pyorrhoen  veran- 
lasst, während  umgekehrt  die  secundäre  Aft'ection  an  Intensität  der  primären  nach- 
stehen kann. 

Aehnlicli  wie  das  blenuorrhüisdu!  lUndehautsecret  wirkt  auch  der  auf 
der  Schleimhaut  der  Urethra  und  Vagina  erzeugte  Tripperschleim  auf  die 
Conjunctiva  und  kann  wahre  Pyorrhoen  der  letzteren  veranlassen.  Auch 
hier  gilt  als  (Jrviudsatz,  dass  die  Intensität  des  auf  der  Bindehaut  hervor- 
gerufenen Processes  nicht  immer  im  Einklänge  steht  mit  dem  Höhengrade 
des  Trippers.  Zahlreiche'  Beobachtungen  stellen  nämlich  ausser  allen  Zweifel, 
dass  in  entschiedener  Abnahme  begriffene,  ja  selbst  bereits  zur  Chronicität 
neigende  Gonorrhoen  Bindehauteitertlüsse  der  verderblichsten  Art  im  Gefolge 
haben  können,  während  das  itmgekehi'te  Verhältniss  wohl  freilich  aus- 
nehmend selten  ist. 

Es  muss  hervorgehoben  werden,  dass  eine  Ansteckung  der  Bindehaut  von 
der  Genitaliensclileimhaut  aus  gariz  besonders  günstige  Verhältnisse  voraussetze  und 
weit  seltener  vorkomme,  als  man  zu  glauben  geneigt  ist.  Die  Seltenheit  der  Oph- 
thalmoblemiorrhoe  auf  syphilitischen  Abtheilungen  und  in  der  Privatpraxis,  ver- 
glichen mit  der  Häufigkeit  des  Trippers  und  mit  der  geringen  Vorsicht  der  Tripper- 
afficirten,  ist  hierfür  ein  unuinstösslicher  Beweis.  Man  hat  also  wohl  Grund  zu 
der  Behauptung,  das  Trippersecret  habe  weniger  Verwandtschaft  zur  Bindehaut,  als 
blennorrhoisches  C'onjimctivalproduct  und  umgekehrt.  Letzteres  ergibt  sich  aus  der 
seltenen  Erkrankung  der  Genitalienschleimhaut  bei  primär  aufgetretener  Binde- 
hautblennorrhoe. 

Das  Incuhationsstadium  nach  erfolgter  Uebertraa'uncr  des  Ansteckunars- 


o'- 


stoffes  auf  die  Bindehaut  wechselt  zwischen  einigen  )Stunden  und  Tagen. 
Der  Ausbruch  der  Blennorrhoe  erfolgt  um  so  rascher,  je  günstiger  die 
Verhältnisse  der  Ansteckung  waren,  je  kräftiger  das  Secret  also  einzu- 
wirken im  Stande  ist. 

Für  eine  Uebertragbarkeit  des  Ansteckungsstoft'es  durch  die  Luft  lassen  sich 
durchaus  keine  schlagenden  Gründe  vorbringen  und  man  hat  alle  Ursache,  an  der 
Richtigkeit  dieser  Hypotliese  zu  zweifeln.  Allerdings  will  man  jüngst  in  der  At- 
mosphäre von  Augenkrankensälen  Epithelzellen  gefunden  haben  (Frank,  Eiselt)  und 
directe  Versuche  (Marston)  deuten  darauf  hin,  dass  ein  starker  Luftstrom,  welcher 
über  einen  mit  frischem  Eiter  getränkten  Lappen  getrieben  wird ,  Eiterkörperchen 
mit  sich  zu  reissen  vermöge.  Allein  von  diesen  Erfahrungen,  auch  wenn  sie  ganz 
richtig  sind,  bis  zum  Nachweise  einer  durch  die  Luft  vermittelten  Ansteckung  ist 
ein  weiter  Weg,  besonders  wenn  man  die  Exjjerimente  berücksichtigt,  welche  mit 
verdünntem  und  vertf'ocknetem  Eiter  angestellt  worden  sind  (Piringer).  Immerhin 
liegt  darin  eine  Aufforderung  zur  grössten  Vorsicht,  und  man  wird  wohl  thun,  stets 
so  zu  verfahren,  als  wäre  die  Ansteckung  durch  die  Luft  eine  vollendete  That- 
sache.  Wenn  man  in  einem  Krankensale  nach  dem  Auskehren  beim  directen  Son- 
nenlichte, welches  durch  die  Fenster  scheint,  die  Myriaden  von  feinen  Fasern, 
Staubkörnern  u.  s.  w.  sieht,  welche  die  Luft  verunreinigen,  kann  man  sich  wirklich 
des  Gedankens  nicht  erwehren,  dass  darunter  gar  manche  Partikelchen  von  Charpie, 
Leinwäsche  u.  s.  w.  sind,  welche  von  dem  Eiter  verunreinigt  zu  Boden  fielen  und 
nun  in  der  Luft  herumwirbeln,  nachdem  sie  vertrocknet  sind.  Dass  frische  Eiter- 
elemente durch  Verdunstung  ihres  Menstruums  dem  Secrete  entführt  und  eine  Zeit 
lang  unter  gewöhnlichen  Umständen,  bei  Ausschluss  eines  starken  Luftstromes,  in 
der  Atmosphäre  schwebend  erhalten  werden  können  (Arlt,  GraefeJ ,  ist  vor  der 
Beibringung  thatsächlicher  Belege  schwer  zu  glauben.  Doch  ist  eines  Umstandes 
zu  erwähnen,  welcher  manche  Ansteckung  wohl  zu  erklären  im  Stande  wäre.  Das 
ziemlich  klebrige  Prodiict  wirft  bei  Lidbewegungen  oder  beim  mechanischen  Aus- 
einanderzerren   der  Augendeckel    nicht  selten    kleine  Blasen,    welche  bersten    und 


430  Blennorrhoe;  Verlauf. 

dabei  Theile  ihrer  Wandung  auf  ziemliche  Entfernung  spritzen.  Bei  einiger  Auf- 
merksamlieit  auf  den  Vorgang  hat  man  oft  Gelegenheit,  dies  zu  beobachten.  Es 
kann  solchermassen  nun  leicht  geschehen,  dass  kleine  Mengen  des  Ansteckungs- 
stoffes in  das  Auge  eines  mit  dem  Kranken  Sprechenden  oder  denselben  Unter- 
suchenden gelangen,  namentlich  wenn  derselbe  sein  Gesicht  dem  Patienten  sehr 
nähert. 

Verlauf.  Die  Blennorrhoe  als  solche  verläuft  immer  acut,  innerhalb 
wenigen  Tagen  bis  höclisteus  3  Wochen.  Der  Process  im  Ganzen  kann 
sich  freilich  Monate  lang  hinausziehen :  dann  handelt  es  sich  aber  nicht 
um  eine  reine  Blennorrhoe ;  sondern  am  andere  Formen  der  Bindehaut- 
entzündung, welche  entweder  blos  zeitweilig  den  Charakter  einer  Blennorrhoe 
angenommen,  oder  welche  sich  aus  einer  Blennorrhoe  allmälig  heraus- 
gebildet haben.  In  der  That  gescliieht  es  häufig,  dass  ein  Katarrh 
sich  für  einige  Zeit  durch  Massenvermehrung  des  Secretes  zu  einer 
Blennorrhoe  steigert,  oder  dass  eine  Syndesmitis  membranosa  oder  diph- 
therica  durch  den  Wechsel  des  Productes  in  eine  Blennorhoe  übergeht, 
welche  dann  ihrerseits,  gleich  primär  entstandenen  Schleimflüssen  ent- 
weder rasch  der  Heilung  zuschreitet,  oder  sich  in  einen  Katarrh  oder  in 
ein  Trachom  umsetzt,  und  als  solche  einen  mehr  weniger  chronischen  Decurs 
nimmt.  Andererseits  kann  der  Process  auch  dadurch  ein  chronischer  wer- 
den, dass  in  Folge  der  Mitleidenschaft  nachbarlicher  Gebilde,  des  Knorpels, 
der  Cornea  etc.  Zustände  gesetzt  werden,  welche  zu  ihrer  Eückbildung 
oder  Ausgleichung  längere  Zeit  in  Anspruch   nelimen. 

Sieht  man  von  diesen  Verhältnissen  ab  und  fasst  man  die  Blennorhoe 
nur  in  der  oben  festgestellten  Bedeutung  ins  Auge,  so  kann  hlos  von  einem 
acuten  Verlaufe  die  Rede  sein  und  man  kann  sagen,  dass  dort,  wo  der 
Verlauf  nicht  durch  widrige  Verhältnisse  modificirt  wird,  die  Blennorrhoe 
sich  rasch  entwickele,  innerlialb  weniger  Tage  ihr  Höhestadium  ei'klimme, 
sodann  binnen  Kurzem  unter  sichtlicher  Erschlaffung  der  Gewebe  von 
ihrer  Acme  herabsteige  und  in  einen  einfachen  Katarrh  oder  in  Trachom 
übergehe,   als  Blennorhoe  demnach  ihr  Ende   erreiche. 

Wo  neue  Schädlichkeiten  auf  die  Bindehaut  einwirken  oder  die  alten 
fortbestehen,  oder  wo  ein  irrationelles  Kurverfahren  eingeschlagen  wird, 
kömmt  es  jedoch  oft  auch  vor,  dass  die  Blennorrhoe,  nachdem  sie  sichtlich 
in  Abnahme  begriffen  war,  wieder  mit  grösserer  Intensität  hervortritt  und 
dass  so  Exacerbationen  mit  Remissionen ,  die  Blennorrhoe  mit  Katarrh 
wechseln,   ehe  der  Process  zu  seinem  Ende  geht. 

Die  Raschheit,  mit  welcher  sich  die  Symptome  entwickeln  und  steigern,  lässt 
die  Blennorrhoe  gewöhnlich  schon  im  ersten  Beginne  diaguosticiren,  bevor  noch 
die  Ersclieinungen  der  Entzündung  und  das  Secret  den  Begriff  des  Schleimflusses 
erschöpfen.  Bei  der  primär  auftretenden  Blennorrhoe  findet  man  nämlich  immer 
schon  wenige  Stunden  nach  dem  Beginne  der  Krankheit  die  Conjunctiva  tarsi  und 
den  Uebergangstheil  stark  gelockert  und  fast  gleichmässig  geröthet,  die  Conjunctiva 
bulbi ,  besonders  im  Lidspaltentheile,  mit  groben  Gefässnetzeii  durchwebt,  sulzig 
infiltrirt,  oft  schon  stellenweise  wulstig,  während  gelblich  gefärbte  viscide,  mit 
Exsudatflocken  gemisclite  Thränen  in  reichliclier  Masse  ausgeschieden  werden. 
Am  zweiten  oder  dritten  Tage  ist  das  Bild  der  Blennorrhoe  nieisthin  schon  völlig 
ausgeprägt. 

Ausgänge.  Die  Blennorrhoe  im  wahren  Wortsinne  ist  eine  der  ver- 
derblichsten Augenkrankheiten,  da  sie  sehr  häufig  trotz  sorgfältigster  und 
anerkannt  zweckmässiger  Behandlung  arge  Schäden  setzt  oder  das  Auge 
durch  Phthise  völlig  zu  Grunde  richtet. 


Ausgänge;  Uornhautgeschwüre.  431 

1.  Die  Ilaupfqpfalir  liegt  in  der  ]\röp,lichkeit  flei"  Fortpflanzung  des 
Entzündiingsprocesses  auf  die  Hornhaut  und  in  der  dadurch  bcgründbiircn 
theilwcisen  oder  gänzlichen  Zerstörung  der  letzteren  durch  Abscess-  und 
Geschwür  sbilduny. 

Es  kömmt  wohl  aucli  vor,  dass  wälireiid  dem  Verlaute  einer  Blennorrhoe 
sich  eine  sogenannte  Kerafitis  v an ci darin  entwickelt  und  in  Panmi.t  nhergeht.  Dieses 
ist  aber  ein  höchst  seltener  Ausgang.  Er  geliört  uieln-  jenen  Fällen  zu,  in  welchen 
gleich  beim  Beginne  des  krankhaften  Processes  der  Papillarkörper  stark  aufschwillt 
und  wuchert,  wo  also  die  Blennorrhoe  gleichsam  in  Combinatiüii  mit  dem  Trachome 
sich  entwickelt,  oder  besser  gesagt,  wo  ein  Trachom  nnter  den  Erscheinungen 
einer  Blennorrhoe  in  höchst  acuter  Weise  zn  Stande  kömmt. 

Es  kann  jeder  Theil  der  Hornhaut,  das  Centrum  ebenso  gut  wie  die 
Peripherie,  den  Hauptsitz  des  secundär  angeregten  Eiterungsprocesses 
abgeben.  Man  hat  diesen  Ausgang  um  so  mehr  zu  fürchten ,  je  höher- 
gradig  die  entzündlichen  Erscheinungen  in  der  Bindehaut  ausgeprägt  sind, 
je  lebhafter  die  Injectionsröthe,  je  grösser  und  praller  der  Conjunctival- 
wulst  rings  um  die  Hornhaut  und  je  bedeutender  die  örthche  Temperatur- 
zunahme ist.  Insbesondere  aber  drohet  jene  Gefahr  dann,  wenn  sich  zu 
allen  diesen  Erscheinungen  auffällige  S3'mptome  einer  heftigen  Ciliar reizung, 
intensive ,  über  den  Ausstrahlungsbezirk  des  Frontalnerven  ausgebreitete, 
mit  hochgradiger  Lichtscheu ,  Tln'änenliuss  und  Lidkrampf  gepaarte 
Schmei'zen  gesellen.  Nicht  selten  sclii essen  dann  an  einer  oder  der 
anderen  Stelle  der  Cornea,  meistens  aber  am  Limbus  conjunctivalis,  eine 
oder  mehrere  herpetische  Efflorescenzen  auf,  welche  sich  rasch  in  secitn- 
däre  Geschwüre  von  grösserer  oder  geringerer  Ausbreitung  umwandeln  und 
arge  Zerstörungen  begründen.  Häufiger  aber  trübt  sich  gleich  anfangs  ein 
Theil  der  Hornhaut,  am  gewöhnlichsten  die  Oberfläche  zuerst,  indem  das 
Epithel  sich  auflockert,  eine  grauliche  Parbe  annimmt  und  durch  Abstossung 
einzelner  Zellenhäufchen  ein  rauhes  Ansehen  gewinnt.  Alsbald  greift 
dann  die  Trübung  in  die  Tiefe,  ilu-e  Farbe  weicht  mehr  ins  Gelbe  und 
binnen  kurzem  ist  ein  Äbcess  oder  ein  Geschwür  zu  Stande  gebracht, 
welche  rasch  nach  allen  Richtungen  hin  sich  vergrössern  und  in  Beziig 
auf  ihre  misslichen  Folgen  ganz  mit  primär  entwickelten,  von  Blennorrhoe 
also   unabhängigen   Abcessen   und   Geschwüren   übereinkommen. 

Bei  den  höchsten  Intensitätsgraden  des  Processes  mit  pyorrhoischem  Cha- 
rakter des  Productes  droht  übrigens  noch  eine  andere  Form  der  Hornhaut- 
affection  und  zwar  die  allergefalu'lichste,  da  sie  in  der  Regel  unaufhaltsam 
zum  Ruine  der  Cornea  und  damit  auch  des  ganzen  Auges  führt.  Sie  kann 
von  jedem  Punkte  der  Hornhautoberfläche  ausgehen.  Meistens  aber  beginnt 
der  entzündliche  Zerstörungsprocess  an  einem  Punkte  der  unteren  Horn- 
hautperipherie. Das  Epithel  trübt  sich  an  jener  Stelle  und  stösst  sich 
ab,  einen  kleinen  Substanzverlust  setzend,  der  allmälig  tiefer  greift,  wäh- 
rend er  an  dem  Rande  der  Hornhaut  rasch  fortschreitet  und  verhältniss- 
mässig  langsam  gegen  das  Centrum  der  Hornhaut  hin  weiter  greift.  Es 
entsteht  auf  diese  Weise  eine  mondsichel förmige  Vertiefung  oder  Rinne,  welche 
in  grösserem  oder  kleinerem  Bogen  die  Cornealperipherie  umsäumt,  an  der 
Ursprungsstelle  immer  am  tiefsten  und  breitesten  ist,  im  seuki-echten  Durch- 
schnitte eine  äussere  fast  rechtwinkelig  abfallende,  und  eine  innere,  sehr 
allmälig  in    die  Tiefe  sich  senkende ,    grubig  buchtige  oder  treppenförmige 


4:32  Blennorrhoe;  Ausgänge;  Mondsichelförmige  Geschwüre;   Phthisis  bulbi. 

Wand  darbietet,  und  deren  Grund  und  Ränder  mit  einem  an  Detritus 
sehr  reichen   eitrigen  Producte  infiltrirt  und  bedeckt  sind. 

Es  ist  möglich,  dass  dieser  Verschwärungspi'ocess  in  einem  näheren 
causalen  Bezüge  zu  dem  pyorrhoischen  Secrete  als  solchem  stehe  und  durch 
eine  Ai-t  katalytischer  Einwirkung  desselben  auf  die  Hornhautsubstanz  her- 
vorgerufen oder  wenigstens  begünstiget  werde. 

Es  spricht  für  eine  solche  Ansicht  der  Umstand,  dass  die  mondsichelförmigen 
Geschwüre  fast  ausschliesslich  nur  hei  der  Pyorrhoe  und  der  ihr  am  nächsten  ver- 
wandten Diphtheritis ,  kaum  jemals  aber  bei  Blennorrhoen  mit  ausgesprochen 
schleimiger  Productbasis  beobachtet  werden,  obwohl  bei  letzteren  bis  auf  die  ver- 
schiedene Qualität  der  Secrete  alle  anderen  Erscheinungen  dieselben  sind.  TVeiters 
lässt  sich  als  ein  stützender  Grund  anführen,  dass  die  Zerstörung  immer  von  der 
Oberfläche  beginnt  und  allmälig  in  die  Tiefe  greift  und  dass  der  Process  in  der 
Eegel  von  dem  tiefstgelagerten  Punkte  jener  Rinne  ausgeht,  welche  durch  die 
wallartig  aufgetriebene  Conjunctiva  bulbi  im  Vereine  mit  der  Hornhautperipherie 
gebildet  wird,  also  von  dem  unteren,  oder  unteren  und  äusseren  Umfange  der 
Hornhaut,  wo  sich  das  Secret  am  leichtesten  in,  grosser  Menge  sammeln  und  auf 
das  Cornealsrefüge  einwirken  kann. 

Einmal  begonnen,  schreitet  der  Process  meistens  rasch  vorwärts. 
Namentlich  ist  dieses  dann  zu  fürchten ,  wenn  der  Homhautrand  gleich 
in  den  ersten  Stadien  der  Ki'ankheit  zu  leiden  beginnt,  und  wenn  die 
Pyorrhoe  nach  Entwickelung  eines  solchen  Substanzverlustes  nicht  rasch 
ihren  Charakter  zum  Guten  wendet.  Da  wird  meisthin  der  grösste  Theil 
oder  die  gesummte  Hornhaut  zerstört.  Beginnt  die  Yerschwärung  erst, 
nachdem  der  Process  an  Intensität  bereits  abgenommen  hat,  so  kann  man 
eher  auf  Erhaltung  der  Cornea  rechnen. 

Die  weiteren  Folgen  der  mondsichelförmigen  Geschwüre  sind  ausgebreitete, 
bei  stattgehabtem  Durchbruche  mit  vorderen  Synechien  gepaarte  Narben, 
welche    das    Sehvermögen    mehr    weniger   beeinträchtigen    oder    wohl  auch 

o  c  o 

gänzlich  vernichten.  Es  trägt  hierzu  nicht  selten  der  Umstand  wesentlich 
bei,  dass  die  den  Substanzverlust  ersetzende  Xarbe  unter  allmäüger 
Schrumpfung  den  von  ilir  umschlossenen  Hornliautlappen  abflacht  oder, 
indem  sie  dem  intraocularen  Dracke  nachgibt  und  ausgedehnt  wird, 
die  Hornhautmitte  hervortreten  macht  und  ihr  eine  falsche  Kiiimmung 
gibt  (S.   145). 

Erfolgt  ein  Durchbruch  der  Cornea,  so  entleert  sich  wohl  auch  die 
Linse  und  ein  Theil  des  Glaskörpers.  Das  Resultat  ist  dann  gewöhnlich 
Phthisis  bulbi.  Um  so  gewisser  geschieht  dieses,  wenn,  was  ziemHch  häufig 
der  Fall  ist,  der  bisher  verschont  gebliebene  Cornealtheil  sich  nachträglich 
infiltrirt  und  verschwärt,  oder  der  in  weitem  Bogen  abgetrennte  Hom- 
hautlappen  brandig  abstirbt. 

In  seltenen  Fällen,  namentlich  bei  exquisit  sthenischem  Charakter  der  Ent- 
zündung und  höchstgradiger  Spannung  der  Theile,  stirbt  die  Hornhaut  gleich  von 
vorneherein  ihrer  ganzen  Ausdehming  nach  ab.  wird  trübe  und  verwandelt  sich  in 
einen  granlichen  schmierigen  Brei,  welcher  bisweilen  eine  Zeit  lang  der  Iris 
auflao-ert,  in  der  Ree:el  aber  unter  dem  Drucke  der  Bulbuscontenta  und  mit  diesen 
ausgestossen  wird,  worauf  der  Augapfel  phthisisch  zu  Grunde  geht. 

2.  Weiters  kömmt  als  ein  sehr  gewöhnhcher  Ausgang  der  Blennorrhoe 
das  Trachom  in  Betracht.  Sehr  oft  lassen  sich  die  dem  Trachome  charakte- 
ristischen Bindehautrauhigkeiten  schon  sehr  frühzeitig,  im  Höhestadium  des 
Schleimflusses ,  nachweisen ,  das  Trachom  entwickelt  sich  unter  den  Er- 
scheinungen   einer   Blennorrhoe.     In    anderen  Fällen   jedoch  wuchern  jene 


Ptosis;  Ectropium;  Behandlung.  433 

Granulationen  erst  in  den  späteren  Stadien  der  Ophtlialraie  auffällig  hervor, 
das  Trachom  lässt  sich  im  eigentlichen  Wortsinne  als  ein  Aiisgang  der 
Blennorrhoe   bezeichnen. 

3.  Ausserdem  zählen  zu  den  Ausgängen  der  Blennorrhoe  noch  der 
Vorfall  des  oberen  Lides  und  das  Ectropium  des  unteren  oder  beider  Augen- 
deckel. 

Der  Vor/all  (Ptosis)  des  oberen  Lides  resultirt  einenseits  aus  der  Schwellung 
der  oberen  Uebergangsfalte ,  welche  maclit ,  dass  das  verdickte  obere  Lid  nur 
schwer  oder  gar  nicht  zwischen  das  Orbitaldach  und  die  Bulbusoberfläclie  empor- 
gezogen werden  kann.  Andererseits  ist  die  bedeutende  Zunahme  an  Volura  und 
Gewicht  im  Spiele,  welche  das  Lid  im  Ganzen  und  in  allen  seinen  constituirenden 
Theilen,  ausschliesslich  des  Knorpels  und  der  äusseren  Decke,  erleidet.  Endlich 
liegt  ein  wichtiger  Factor  in  dem  Umstände,  dass  der  Knorpel  unter  dem  Drucke 
der  von  liinten  andräntrenden  chemotischen  Bindehautwülste  und  wecken  der  mit 
der  Wucherung  seiner  Elemente  einhergehenden  Erweichung  nach  allen  Richtungen 
stark  ausgedehnt  wird,  und  zwar  oft  in  dem  Grade,  dass  das  Lid  selbst  nach  dem 
Sinken  der  chemotischen  Geschwulst  sich  nicht  mehr  dem  Bulbus  anschmiegen 
kann,  sondern  in  Gestalt  eines  schlaffen  Vorhanges  an  ihm  herabhängt. 

Die  Ectropien  entstehen  nicht  selten  während  dem  Verlaufe  der  Blennorrhoe, 
lassen  sich  aber  leicht  wieder  ziirückbringen  und  werden  so  in  der  Regel  gehin- 
dert, in  die  ständige  Form  überzugehen,  was  leicht  geschieht,  wenn  die  Rück- 
lagerung des  umgestülpten  Lides  versäumt  wird.  Die  Uvistütpung  des  Lides  erfolgt 
meistens  durch  vmgeschickte  Hantirung  des  Kranken  oder  seiner  Wärter,  bisweilen 
aber  auch  selbständig.  Indem  die  Conjunctiva  bulbi  und  der  Uebergangstheil 
mächtig  aufschwellen,  werden  die  Lider  nach  aussen  hervorgetrieben  und  bedeu- 
tend gespannt.  An  den  Lidründern  ist  —  wegen  der  Resistenz  des  Knorpels  und 
der  ihn  nach  innen  und  aussen  an  den  Orbitalrand  anheftenden  Ligamente  —  der 
Widerstand  am  grössten,  daher  dieselben  weniger  hervorgebaucht  werden,  als  die 
Flächen  der  beiden  Augendeckel.  Die  Folge  ist,  dass  die  Lidgeschwulst  durch  die 
tief  einschneidenden  Tarsalränder  in  zwei  mächtige  ovale  quergelagerte  Wülste  ab- 
getheilt  erscheint.  Hat  nun  der  übermässig  geschwollene  Uebergangstheil  der  Binde- 
haut einmal  Gelegenheit  zwischen  den  Bulbus  und  den  einschneidenden  Lidrand 
zu  gelangen,  so  wird  er  leicht  unter  dem  mächtigen,  von  aussen  her  auf  ihn  wir- 
kenden Drucke  aus  der  Lidspalte  hervordringen  und,  indem  er  die  am  Knorpel 
festhaftende  Lidbindehaut  mitreisst,  das  Lid  umstülpen.  Nun  wirkt  der  vom  Lid- 
rande ausgehende  Druck  auf  die  Basis  der  nach  aiissen  gedrungenen  Geschwulst, 
die  in  ihr  ziehenden  Gefässe  werden  comprimirt,  sohin  Stauungen  des  Blutes  be- 
gründet und  damit  auch  eine  Vergrösserung  der  Geschwulst  durch  seröse  Aus- 
schwitzungen veranlasst.  Die  Reposition  wird  daher  immer  schwieriger  und  zuletzt 
wohl  auch  ganz  unmöglich.  Namentlich  ist  dieses  der  Fall,  wenn  der  Tarsus  selber 
in  auffälligerem  Grade  mitleidet,  erweicht  und  allmälig  ausgedehnt  wird.  Dann 
kann  das  Lid  auch  nach  Abnahme  der  Bindehautgeschwulst  und  nach  künstlicher 
Reposition  seine  normale  Stellung  nicht  mehr  behaupten. 

Die  Behandlung  hat  die  Uebertragung  des  höchst  ansteckenden  Secretes 
auf  andere  bisher  gesunde  Bindehäute  zu  verhüten;  das  bereits  ergriffene 
Auge  durch  Fernhaltung  aller  iveiteren  Schädlichkeiten  unter  die  möglichst 
günstigen  Lebensbedingungen  zu  versetzen  und  so  den  Ausgleich  der  vor- 
handenen Nutritionsstörungen  thunlichst  zu  erleichtern;  die  Gewebswucherung 
direct  zu  bekämpfen  und  so  jenen  Folgen  vorzubeugen ,  welche  die  Blen- 
norrhoe zu  einer  gefürchteten  Krankheit  des  Auges  machen. 

1.  Li  prophylaktischem  Interesse  muss  a.  bei  einseitiger  Erkrankung  das 
gesunde  Auge  immer  sorgfältigst  durch  einen  vollkommen  verlässHehen, 
hermetisch  schliessenden  Verband  vor  Ansteckung  geschützt  werden.  Der 
gewöhnliche  Schutzverband  wird ,  namentlich  bei  unruhigen  Kranken  und 
während  des  nächtlichen  Schlafes ,  zu  leicht  verschoben  und  ausserdem  ist 
der  Flanell  und    die  Charpie    für  grössere  Mengen    dünnÜüssiger  Producte 

stellwag,  Augenheilkunde.  28 


434  Blennorrhoe:  Behandlung;  Prophylaxis:  Hermetischer  Verhand. 

ZU  leicht  permeabel,  als  dass  der  Erfolg  damit  verbürgt  sein  könnte.  Da- 
gegen gewährt  der  sogenannte  heimefische  oder  Collodiumverhand  (Graefe), 
wenn  er  gut  angelegt  wird ,  volle  Sicherheit  und  ist  darum  dringend  zu 
empfehlen.  Zu  diesem  Ende  werden  die  geschlossenen  Augendeckel  mit 
kleinen  lockeren  Charpieballen  dick  belegt  und  die  umgebenden  Vertiefungen 
ausgefällt,  auf  dieses  Polster  eine  WachstafFetdecke  und  hierüber  noch  eine 
doppelte  Leinwand  gelegt,  welche  vordem  in  ein  Oval  von  entsprechenden 
Durchmessern  zugeschnitten  und,  wo  sie  Falten  wirft,  vom  Eande  her  eine 
Strecke  weit  gespalten  worden  ist.  Passt  alles  gut,  so  sind  die  Ränder  der 
Linnendecke  mittelst  CoUodium  auf  mehrere  Linien  Breite  ringsum  sorgfältig 
an  die  äussere  Haut  der  Stime ,  Schläfe ,  Wange  und  der  Xasenwand  zu 
kleben,  damit  nirgends  auch  nur  eine  kleine  Oeffnung  bleibe,  und  endlich 
die  Oberfläche  des  Verbandes  mehrmals  mit  Collodium  zu  bestreichen,  so 
da^is  ein  steifer  Panzer  das  Ganze  abschliesst.  Alan  kann  diesen  Verband 
täghch  oder  alle  2  Tage  an  der  Seite  lüften,  um  sich  von  dem  Zustande 
des  Auges  zu  überzeugen  und,  falls  dieses  seine  Litegrität  bewahrt  hat, 
wieder  ankleben. 

Der  Rath,  statt  des  CoUodiumverbandes  eine  gläserne,  genau  anschliessende 
Schale  über  dem  gesunden  Auge  zu  befestigen  und  so  neben  vollem  Schutze  den 
Gebrauch  des  betreffenden  Bulbus  zu  ermöglichen  (Snellen) ,  ist  kaum  praktisch. 
Die  reichlichen  Dünste,  welche  der  Bindehaut  und  Cutis  entströmen,  werden  hier 
nämlich  nicht  wie  beim  Collodiumverbande  durch  Charpie  aufgesaugt  und  können 
an  sich  dem  Auge  gefährlich  werden,  Katarrhe  etc.  erzeugen;  während  anderseits 
ein  grosser  Theil  cerselben  sich  an  der  inneren  Wand  der  Schale  niederschlägt 
und  den  Hauptvortheil  der  ganzen  Methode,  den  Fortbestand  eines  gewissen  Grades 
von  Sehvermögen,  zu  nichte  macht. 

Als  ein  Ersatzmittel  verdient  die  Aqua  Chlori  ihrer  desinficirenden  Eigen- 
schaft wegen  Erwähnung.  Wo  der  hermetische  Verband  aus  irgend  einem  Grunde 
nicht  verwendbar  ist.  kann  der  Charpiebausch  eines  gewöhnlichen  Schutzverbandes 
damit  getränkt  werden.  Wo  auch  dieser  nicht  ziilässig  ist,  z.  B.  bei  kleinen  Kindern 
und  nachlässiger  Wartung,  gewähren  J7eherschläge  mit  verdünnter  Aqua  Chlori 
doch  einigen  Schutz  (Graefe).  Einträufelungen  in  den  Biudehautsack  sind  wegen 
der  reizenden  Wirkung  des  Mittels  bei  gesundem  Auge  kaum  räthlich. 

h.  Die  Umgehung  des  Kranken  muss  vor  jeder  unuötliigen  Berührung 
des  Kranken  und  der  von  ihm  benützten  Gegenstände  gewai-nt  werden. 
Dem  Wartpersonale  ist  an  das  Herz  zu  legen,  dass  es  sich  nach  den  er- 
forderlichen Hilfeleistungen  jedesmal  die  Hände  auf  das  sorgfältigste  mit 
Seife  oder  Aqua  Chlori  wasche  und  überhaupt  jede  Berührung  der  eigenen 
Augen  vermeide.  Die  Wäsche  des  Kranken,  besonders  die  Bettwäsche,  die 
Handtücher,  Schnupftücher  et«,  dürfen  erst  nach  eingehender  Reinigung 
durch  Kochen  mit  Seife  oder  Lauge  von  Anderen  und  auch  von  dem 
Kranken  wieder   in   Gebrauch   gezogen   werden. 

c.  Ist  ein  Genitalientripper  vorhanden ,  so  muss  derselbe  nach  den 
dafür  bestehenden  Regeln  möglichst  schnell  beseitigt  werden.  Der  Kranke 
muss  vor  überflüssigen  Berührungen  seiner  Geschlechtstheile  gewarnt  und 
angewiesen  werden,  nach  jeder  nothwendigen  Hantirung  an  der  genannten 
Stelle  seine  Hände  sorgßiltigst  zu  reinigen.  Es  ist  dieses  nothwendig,  um 
neuen  Ansteckungen  vorzubeugen;  denn  nichts  ist  gefährücher,  als  eine 
Recidive  der  Blennorrhoe  und  diese  kann  factisch  durch  neuerliche  Ueber- 
tragungen  des  Trippercontagiums  bedingt  werden. 

d.  Ist  durch  Zufall  blennorrhoisches  Bindehautseeret  oder  Tripperproduct 
auf  eine  gesunde   Conjunctiva  übertragen   iLorden,  so  müssen  allsogleich  einige 


Directe  Behandlung;  Wärme  und  Blutentziehungen.  435 

Tropfen  einer  Lösung  von  Höllenstoin ,  von  Sublimat,  von  Aqua  Chlori, 
von  wenip;  vcrdünntom  Alkohol  (Gosselin)  etc.  oder,  falls  nichts  anderes 
augenblicklieh  vorluuulen  wäre,  von  Kochsalz  in  den  Bindehautsack 
eingeträufelt  und  dafür  gesorgt  werden ,  dass  das  CoUyrium  mit  allen 
Punlcten  der  Bindehaut  in  Berührung  komme  (S.  47).  Folgt  die  Ein- 
wii'kung  dieser  Mittel  direct  oder  doch  in  kürzester  Zeit  der  Uebertragung 
des  Contagiums,  so  kann  man  mit  Grund  hotfen,  die  Kranklieit  werde 
nicht  zum  Ausbruche  kommen.  Später  ist  die  Aussicht  auf  Erfolg  nur 
mehr  gering  oder  Null. 

e.  So  lange  die  Krankheit  die  blennorrhoische  Form  darbietet,  darf 
der  Patient  nicht  das  Bett  verlassen.  Man  sorge  in  Spitälern  dafür,  dass 
nicht  zu  viele  Individuen  beisammen  in  einem  Zimmer  und  nicht  zu  nahe 
an  einander  liegen.  Das  Krankenlocal  muss  so  rein  als  möglich  gehalten, 
bestens  gelüftet ,  wenig  geheizt,  durch  Vorhänge  und  Lichtschirme  vor 
grellem  und  ungleichmässigem  Lichte  geschützt  werden.  Der  Ki'anke  selbst 
muss  körperlich  und  geistig  möglichste  Euhe  bewahren  und  überhaupt 
zur  strengsten  Augendiät  angehalten  werden. 

2.  Die  directe  Behandlung  betreffend,  ist  wohl  zu  berücksichtigen, 
dass  die  Hauptgefahr  der  Blennon-hoe  in  einer  Fortpflanzung  der  Ent- 
zündung von  der  Bindehaut  auf  die  Hornhaut  bestehe,  und  dass  diese 
Fortpflanzung  des  Processes  um  so  leichter  erfolge ,  je  grösser  die  Inten- 
sität des  letzteren  ist,  dass  die  Theilnahmschaft  der  Cornea  demnach  auch 
durch  alles  begünstiget  werde,  was  den  entzündlichen  Process  auf  einer 
gewissen  Höhe  zu  erhalten  oder  darüber  hinaus  zu  steigern  im  Stande 
ist.  So  lange  die  Erschlaffung  der  Bindehaut  nicht  ganz  entschieden  nachzu- 
loeisen  ist,  muss  darum  die  Behandlung  der  Blennorrhoe  eine  überwiegend 
antiphlogistische  sein  und  diese  soll  um  so  energischer  gehandhabt  werden, 
je  mehr  der  sthenische  Charakter  der  Entzündung  hervortritt.  Die  vorzüg- 
lichsten Mittel  hierzu  liegen  in  strenger  antiphlogistischer  Diät,  in  örtlicher 
Wärme-   und   Blutentziehung. 

a.  Behufs  der  örtlichen  Wärmeentziehung  sind  fleissig  gewechselte  FAs- 
überschläge  allen  andei-en  Mitteln  vorzuziehen  und  nur  im  Nothfalle  durch 
Ueberschläge  von  in  kaltes  Wasser  getauchten  Leinwandcompressen  zu 
ersetzen.  Bei  sehr  hohen  Intensitätsgraden  der  Entzündung  sind  sie  Tag 
und  Nacht  ununterbrochen  fortzusetzen,  bis  die  örtliche  Temperatur  der 
Augengegend  auf  das  normale  Mass  herabgesunken  ist.  Bei  weniger  hohen 
Intensitätsgraden  des  Processes  genügen  zeitweilige  Applicationen  vollständig, 
ja  eine   übermässige  Wärmeentziehung  kann  sogar  Schaden  bringen  (S.  26). 

b.  Die  örtlichen  Blutentziehungen  sind  besonders  vor  und  während  den 
Exacerbationen  des  Processes  von  günstigem  Erfolge  und  daher  möglichst 
auf  diese  Zeiten  zu  sparen.  Wo  indessen  die  entzündliche  Röthe  eine  sehr 
lebhafte,  die  Geschwulst  sehr  gross ,  hart  und  gespannt,  überdies  auch  sehr 
heiss  ist ,  wo  die  entzündlichen  Schmerzen  überaiis  heftig  sind  und  die 
energische  Anwendung  der  Kälte  sich  ungenügend  erweiset,  um  jene  Er- 
scheinungen rasch  in  auffallender  Weise  zu  mildern :  wird  man  die  Exa- 
cerbationen nicht  abwarten  dürfen,  sondern  in  Berücksichtigung  der  Leiden 
des  Kranken  und  der  Gefahr,  welche  die  Hornhaut  läuft,  ohne  tveiters 
zur  Application  einer  ausgiebigen  Zahl  von  Blutegeln  schreiten  und  selbe 
nach   Bedarf  auch  öfters  wiederholen. 

28* 


436      Blennorrhoe;  Behandlung;  Spaltung  der  Conunissnr;  Scariflcationen;  Hornhautgeschwüre. 

c.  Erscheint  die  Gefahr  sehr  dringend,  so  thut  man  wohl,  einen  horizon- 
talen Schnitt  in  die  äussere  Lidcommissur  durch  die  äussere  Decke ,  den 
Muskel  und  die  Fascie  hindurch  zu  führen,  die  Bindehaut  aber  zu  schonen, 
um  der  Entstehung  von  Ectropien  nicht  gar  zu  günstige  Bedingungen  zu 
Uefern    (GraefeJ. 

Indem  durch  einen  solchen ,  mehrere  Linien  langen  und  tiefen  Schnitt 
mehrere  arterielle  und  venöse  Aeste  getrofl'en  werden,  ist  die  Blutung  meistens 
eine  sehr  reichliche,  kann  indessen  leicht  nach  Bedarf  sistirt  werden.  Andererseits 
wird  durch  die  Trennung  der  äusseren  Coinmissur  der  Druck  wesentlich  vermindert, 
welchen  die  geschwollene  Conjunctiva  und  zum  Theil  auch  der  Augapfel  von 
Seite  der  vor  Erweichung  des  Knorpels  sehr  wenig  ausdehnbaren  Lider  und  des 
Orbicularmuskels  auszuhalten  haben.  Dass  Erleichterung  der  Circulation  durch 
directe  Entleerung  von  Blut  und  durch  Verminderung  eines  übermässigen  äusseren 
Druckes  die  Lebensbedingungen  kranker  Theile  namhaft  bessert,  sohin  dem  Aus- 
gleiche vorhandener  Störungen  in  sehr  hohem  Grade  zu  gute  kömmt,  ist  männiglich 
bekannt  und  dürfte  auch  bei  sehr  intensiven  Blennorrhoen  mit  praller  Spannung 
der  Theile  ihre  Wiikung  nicht  versagten. 

Die  früher  sehr  warm  empfohlenen  Scai-ificationen  und  Au^schneidungen  der 
chemotischen  Augapfelbindehaut  sind  in  ihren  Heilwirkungen  zum  mindesten  sehr 
unzuverlässlich  und  haben  den  Uebelstand,  dass  sich  an  den  Wundflächen  nach- 
träglich gerne  Gramdationen  bilden,  welche  weiterhin  zu  Xarhen  schrumpfen  und 
damit  eine  grosse  Neigung  zu  fortdauernden  Reizzuständen  des  Auges  begründen, 
oft  sogar  zu  unheilbarem  Pannus  u.  s.  w.  führen. 

d.  Sind  schon  tiefgreifende  Hornhautgeschwüre  da,  welche  den  Durch- 
bruch drohen  oder  bereits  perforirt  haben,  so  gelten  dieselben  therapeuti- 
schen Regeln,  welche  bei  primären  Cornealulcerationen  zu  beobachten  sind. 
Paracentesen  jedoch  tind  Iridectomien  müssen  im  Verlaufe  blennorrhoischer 
Processe  gemieden  werden,  weil  die  entzündliche  Reaction  im  Bereiche  der 
Wundränder  leicht  ausgebreitete  Verschwärungen  veranlassen  kann.  Ausser- 
dem wird  durch  den  operativen  Eingriff  die  energische  Anwendung  der 
von  dem  Grundleiden  oft  dringend  gebotenen  reizenden  lüttel  bedenklich 
gemacht. 

e)  Innerliche  Mittel  kann  mau  ohne  alle  Besorgniss  bei  Seite  lassen.  Leicht 
säuerliche  Getränke,  Tisanen  mit  Nitiiim  u.  s.  w.  werden  indessen  bei  stärkerem 
Fieber  mit  Vortheil  ano^ewendet.  Mei-curialien  sind  zu  meiden.  Selbst  enercrische 
Schmierkuren  haben  laut  mehrfachen  Versuchen  keinen  merklichen  Einfluss  auf 
den  Verlauf  von  Blennorrhoen.  Bei  vorhandener  Sfuhlvei-stopfung  genügen  Klystiere 
und  Eccoprotica.  Narkotische  Mittel  nützen  in  der  Regel  so  lange  nichts,  als  die 
Intensität  der  Entzündung  durch  den  antiphlogistischen  Apparat  nicht  gebrochen 
ist.  Ist  dieses  aber  der  Fall,  so  finden  sie  wohl  nur  selten  mehr  eine  Anzeige. 

3.  Eine  der  wichtigsten  Aufgaben  bei  der  Behandlung  der  Blennorrhoe 
ist  die  sorgfältigste  Entfernung  der  Secrete.  Was  aus  der  Lidspalte  hervor- 
tritt, wird  am  besten  mittelst  eines  Bäuschchens  von  feiner  Leinwandcharpie 
aufgetupft,  wobei  das  Wischen  strenge-  zu  vermeiden  ist,  da  es  mit  der  Zeit 
leicht  zu  Excoriationeu  fülu't.  Der  Bindehautsack  wird  am  schonendsten 
gereinigt,  indem  man  bei  horizontaler  Lage  des  Kranken  einen  Strom 
kalten  Wassers  darauf  leitet. 

Laues  Wasser  verträgt  der  Kranke  nicht,  so  lange  man  noch  kalte  Um- 
schläge macht,  wegen  dem  grellen  Temperaturwechsel.  Am  besten  ist  es,  den  Strom 
durch  einen  nahe  über  dem  Auge  gehaltenen  und  durch  Druck  aUmälig  entleerten, 
mit  reinem  Wasser  getränkten,  reinen  Badeschwamm  zu  erzeugen.  Das  Ausspritzen 
des  Bindehautsackes  ist  für  den  Manipulirenden  sehr  gefährlich ,  da  leicht  der 
Strom  in  dessen  Auge  zurückprallen  kann.  Uebrigens  reizt  es  auch  zu  sehr. 

Damit  der  Strom  alles  Secret  entfernen  könne,  ist  es  nothweudig,  die 
Uebergangsfalte  durch  Abziehen  des  einen  und  des  anderen  Lides  und  durch 


Beseitigung  der  Secrete;  Adstringirende  Collyrien.  437 

jeweilige  Richtung  des  Auges  nach  der  entgegengesetzten  Seite  bloHzu- 
legen,  d.  h.  um  die  untei'e  Hälfte  des  Uebergangstheiles  zu  bespülen, 
rauss  das  untere  Lid  abgezogen  werden  und  der  Kranke  das  Auge 
thunlichst  nach  oben  keliren.  Bei  Vernachlässigung  dieser  Vorsicht  bleibt 
die  Reinigung  stets  eine  unvollkommene.' 

Solche  Ausspülungen  düi'fen  indessen  nicht  gar  oft  vorgenommen 
werden,  da  zu  vieles  Manipuliren  reizt  und  die  Entzündung  steigert.  Es 
sind  im  Allgemeinen  5 — 6  Ausspülungen  binnen  24  Stunden  gerade  das 
rechte  Mass.  Bei  einem  emsigeren  A^orgehen  vergrössern  sich  meistens  die 
Wülste,  werden  praller,  heisser  und  gegen  jede  Berührung  überaus  empfind- 
lich, so  dass  die  fernere  Hantirung  auf  grosse  Hindernisse  stösst  und  oft 
auch   der  Zustand  in  augenscheinlicher  Weise  verschlimmert  wird. 

Haben  sich  in  Folge  von  nachlässig^er  Wartung  des  Kranken  Krusten  an 
den  Lidern  und  Wangen  gebildet,  so  sind  dieselben  durch  Umschläge  von  kaltem, 
Wasser  aufzuweichen,  ehe  sie  abgetupft  werden.  Nur  wenn  man  die  kalten  Um- 
schläge bereits  aufgegeben  hat,  kann  hierzu  laues  Wasser  benutzt  werden.  Sind 
Excoriationen  entstanden,  so  sind  Fetleiiireibungen  dagegen  anzuempfehlen. 

Bei  Blennorrhoen  milderen  Charakters  mit  ausgesprochen  schleimiger 
Productbasis  thut  man  während  dem  Steigen  der  Entzündung  und  im 
Höhestadium  derselben  gut,  sich  auf  strenge  Antiphlogose,  wie  sie  oben  vor- 
gezeichnet wurde,  und  auf  derlei  Ausspülungen  mit  Wasser  zu  beschränken. 
Adstringirende,  caustische  und  überhaupt  alle  reizenden  Mittel  finden  unter 
solchen  Umständen  keine  vernünftige  Anzeige  und  sind  weit  eher  schäd- 
lich als  nützlich ;  sie  lassen  sich  erst  dann  mit  grossem  Vortheile  an- 
wenden, wenn  die  entzündliche  Bindehaut  alle  Zeichen  der  Erschlaffung 
darbietet. 

Bei  den  eigentlichen  Pyorrhoen  jedoch ,  wo  die  katalytische  Kraft 
des  Productes  möglicher  Weise  mit  in  Betracht  kömmt,  können  Aus- 
spülungen mit  Wasser  den  schädlichen  Einwirkungen  des  Secretes  auf  die 
Hornhaut  nur  dann  wirksam  vorbeugen,  wenn  sie  in  sehr  kurzen  Zwischen- 
pausen Tag  und  Nacht  wiederholt  würden,  was  aber,  wie  schon  erwähnt 
wurde,  niemals  vertragen  wird,  wenn  es  auch  ausführbar  wäre.  Man  ist 
also  geradezu  auf  Mittel  angewiesen,  welche  durch  chemische  Alteration 
der  oberflächlichsten  Zellenstrata  die  Quelle  der  pyorrhoischen  Ausscheidung 
eine  Zeit  lang  stopfen  und  dadurch  dem  Ai'zte  Gelegenheit  geben,  in  den 
Zwischenzeiten  mit  aller  Energie   der  Antiphlogose   obliegen   zu  können. 

Als  solche  Mittel  kann  man  ausser  dem  Höllensteine  den  Sublimat,  den 
Alaun,  den  Kupfer-  und  Ziukvilriol  etc.  verwenden.  Man  zieht  jedoch  den  Höllen- 
stein allen  übrigen  Mitteln  vor,  da  er  eine  grosse  chemische  Kraft  besitzt  und  am 
wenigsten  reizt,  indem  sich  seine  Wirkung  auf  die  Oberfläche  beschränkt. 

Am  meisten  empfehlen  sich  wahrend  und  vor  dem  Höhestadium  eigent- 
licher Pyorrhoen  schwache  Collyrien  von  1 — 3  Gran  Höllenstein  auf  Eine 
Unze  Wasser.  Damit  sie  ihren  Zweck  erfüllen,  müssen  sie  jedesmal  un- 
mittelbar nach  dem  Ausspülen  des  Conjunctivalsackes  mit  Sorgfalt  einge- 
träufelt werden.  Es  soll  dabei  das  in  die  geöffnete  Lidspalte  gebrachte 
Augenwasser  unter  starker  Abziehung  und  Bewegung  der  Augendeckel  in 
alle  Falten  der  Bindehaut  geleitet  und  so  lange  über  dem  Conjunctival- 
sacke  stehend  erhalten  werden,  bis  seine  Trübung  nicht  mehr  zunimmt. 
Alsdann  kann  vorsorglich  noch  etwas  von  dem  CoUyrium  nachgeschüttet 
werden.      Trübt  sich  diese  zweite  Dosis  nicht  mehr,   so  lässt  man  die  Lid- 


438  Blennorrhoe:  Behandlmig:  Caustica. 

spalte  schliessen  iind  kalte  Ueberschläge  anwenden,  bis  die  Umstände  eine 
Wiederholung  des  geschilderten  ReinigungsTerfahiens  nothwendig  machen. 
Als  beihelfendes  Mittel  leisten  leichte  Compressen,  welche  mit  5 — lOgra- 
digen  HöUensteinlösungen  getränkt  sind  und  unter  häufigem  Wechsel  Tag 
und  Xacht  die  Augen  decken,  vortreffliche  Dienste. 

Thatsächlich  lassen  sich  auch  die  Einträufelnngen  schwacher  Hölleustein- 
lösungen  nicht  von  dem  Vorwurfe  gref  ährlich  er  Eeizwirkung  lossprechen.  Es  muss 
vielmehr  zugestanden  werden,  dass  diese  Reizwirkung  bei  ausgesprochen  sthenischem 
Charakter  der  Pjon-hoe  sehr  gewichtig  in  die  Wagschale  falle  und  in  hohem 
Grade  verderblich  werden  könne.  Insbesondere  scheint  dabei  die  nur  schwer  zu 
vermeidende  chemische  Einwirkung  des  Mittels  auf  die  Cornea  in  Betracht  zu 
kommen ,  indem  durch  theilweise  Zerstörung  des  Epithellagers  die  Hornhaut  ihres 
natürlichen  Schutzes  beraubt  wird  und  sowohl  von  dem  pyorrhoischen  Secrete,  als 
von  den  späteren  Einträufelungen  der  Höllensteinlösung  empfindlicher  getroffen 
werden  muss. 

In  richtiger  Würdisrung  dessen  haben  Viele  die  Höllensteinlösuneen  in  der 
Form  von  Collyrien  ganz  verlassen.  Statt  deren  bestreichen  sie  die  pvorrhoische 
Bindehaut  täglich  1 — 2mal  mit  Xiti-as  argenti  in  Substanz,  oder  mit  v%itiffirtevi 
Lapis  infemalis;  oder  sie  bepinseln  selbe  mit  starken  Höllensteinlösungen  nach  der 
bei  Trachom  üblichen  Weise.  Es  lässt  sich  nicht  läugnen,  dass  bei  solchem  Ver- 
fahren unter  Anwendung  gehöriger  Vorsicht  die  Hornhaut  vor  directer  Beschädi- 
gung  gesichert  werden  könne.  Es  steht  aber  auch  fest,  dass  die  enorme  Geschwulst 
der  Lider,  die  Unmöglichkeit  ihrer  Umsttilpung  sowie  die  Grösse  und  Prallheit 
der  Conjunctivalwülste  einer  Bestreichung  sämmtlichei-  Theile  der  Bindehautober- 
fläche öfters  schwer  zu  bewältigende  Hindemisse  in  den  Weg  legen :  dass  durch 
Bestreichung  also  das  vorgesteckte  Ziel  nur  theUiceise  erreicht  werden  könne.  Es 
haben  diese  Aetzungen  übrigens  auch  noch  directe  Nachtheile.  Abgesehen  davon, 
dass  bei  Verwendung  des  Lapis  infemalis  in  Substanz  vermöge  dessen  Zerfliess- 
lichkeit  die  Einwirkung  in  die  Tiefe  nicht  nach  Wunsch  beschränkt  werden  kann 
und  dass  durch  eine  zu  starke  Cauterisation  leicht  der  Grund  zur  Entwickelung 
ausgedehnter  Narben  in  der  Bindehaut  und  damit  zu  schweren  Folgeübeln  gelegt 
wird,  kömmt  die  viechanische  Reizwirkung  der  durch  stärkere  Cauterisation  gesetzten 
Schorfe  in  Betracht.  Diese  Schorfe  sind  um  so  dicker  und  steifer,  sie  entfalten 
daher  eine  um  so  grössere  mechanische  Reizwirkung,  je  kräftiger  das  Aetzmittel 
gehandhabt  wurde.  Es  liegt  nun  aber  auf  der  Hand ,  dass  diese  Reizwirkung  in 
ihren  Folgen  desto  bedenklicher  sein  müsse,  je  höhere  Intensitätsgrade  der  ent- 
zündliche Process  jeweilig  beurkundet  und  dieses  zwar  ganz  abgesehen  davon, 
dass  mit  der  Grösse  der  Geschwulst  und  der  Spannung  der  Lider  der  von  den 
Schorfen  ausgeübte  Druck  und  die  Schwierigkeit  wächst,  die  Schorfe  durch  Be- 
wegungen der  Augendeckel  rasch  abzustossen  und  die  Daner  ihrer  Einwirkung  auf 
ein  Kleines  zu  beschränken. 

Wiederholt  wurde  der  Versuch  gemacht,  den  Höllenstein  in  starken  Lösungen, 
von  10 — 30  Gran  auf  die  Unze  Wasser,  bloss  ton  aussen  her  auf  die  geschlossenen 
Lider  wirken  zu  lassen,  indem  man  bei  Vernachlässigung  von  Eisumschlägen 
Charpiebänschchen  mit  jenen  Solutionen  tränkte  und  diese  unter  3 — Smaliger 
täglicher  Erneuerung  mittelst  einer  Flanellbinde  über  den  Lidern  befestigte.  Es 
ist  dieses  ein  Verfahren,  welches  schon  vor  einer  Reihe  von  Jahren  vielfach  in 
Anwendung  gezogen  wurde  und  sich  eines  hohen  Rufes  erfreute. 

•4.  Treten  die  athenischen  Erscheinungen  mehr  zurück,  ist  die  entzünd- 
liche Eöthe  blässer  geworden  oder  gar  durch  ein  mächtiges  Stratum  trüber 
Zellen  an  der  Oberfläche  der  Bindehaut  ins  Graue  oder  GraugelbHche 
nuancirt.  ist  die  Geschwulst  mehr  weich,  schlaff,  ihre  Temperatur  nur 
wenig  erhöht  und  die  Secretion  noch  immer  eine  sehr  reichliche :  so  ist 
die  Zeit  gekommen,  zu  den  caustischen  Adstringentien  überzugehen.  In  der 
Regel  fahrt  man  da  am  besten  mit  täglich  ein-,  höchstens  zweimal  wieder- 
holten Bestreichungen  der  Bindehaut  mit  einer  Lösung  Ton  5 — 10  Gran 
Höllenstein    auf    die   Unze    Wasser    (S.   48).     Im  Anfange    ist  dabei  grosse 


Ectropmm;  Quollen.  439 

A^orsicht  notliwendig'  und  namcntlicli  auf  das  Sorgfältigste-  zu  beobachten, 
ob  in  Folge  des  Mittels  die  Entzündung  nicht  wieder  steigt.  Ist  dies  der 
Fall,  so  muss  vorläufig  sogleich  wieder  zu  dem  entzündungswidrigen  Ver- 
fahren zurückgekehrt  werden. 

5.  Hat  sich  ein  Lid  umgestülpt,  so  muss  es  allsogloich  reponirt  werden. 
Meisthin  wii'd  es  ein  unteres  Lid  sein,  welches  die  Zurückbringung  in  die 
normale  Lage  verlangt.  Afan  fasst  zu  diesem  Ende  ein  Büschel  der  Cilien, 
zieht  den  Lidrand  weitmöglichst  ab  und  stopft,  während  man  denselben 
in  die  Höhe  der  Lidspalte  emporhobt,  mit  dem  Zeigefinger  der  anderen 
Hand  den  geschwulstähnlich  hervortretenden  Uebergangsthcil  über  den 
Lidrand  weg  zwischen  die  Oberfläche  des  Bulbus  und  des  Lidknorpels  hin- 
ein. Ist  die  Geschwulst  unter  das  Niveau  des  erapoi'gehobenen  und  vom 
Bulbus  abgezogenen  Lidrandes  getreten,  so  lässt  man  das  Lid  aus,  es 
schnellt  mit  Leichtigkeit  in  seine  normale  Stellung  und  hält  vermöge  der 
Spannung  des  Lidrandes  den  Tumor  von  dem  weiteren   Vortreten  ab. 

Ist  indessen  der  Tarsus  erweicht  und  in  horizontaler  Richtung  verlängert, 
so  kann  der  Lidrand  den  gewulsteten  Uebergangstheil  nicht  mehr  zurück- 
halten, das  Lid  sinkt  immer  wieder  in  seine  frühere  abnorme  Lage  zurück. 
Dann  muss  mit  aller  Energie  die  Behandlung  der  Blennorrhoe  fortgesetzt 
und  das  Lid  einstweilen  in  seiner  falschen  Lage  behalten  werden,  da  alle 
Verbände  behufs  der  Fixation  des  Lides  zum  Schaden  ausschlagen  würden. 
Ist  die  Secretion  aber  zurückgetreten,  so  muss  man  sogleich  die  Reposition 
vornehmen  und  dui'ch  einen  geeigneten  Verband  das  Lid  fixiren.  Ver- 
klebungen der  Lidspalte  durch  lange  und  bei  2'"  breite  Streifen  englischen 
Pflasters  reichen  oft  aus,  um  dem  Lide  seine  normale  Stellung  zurück- 
zugeben. Sicherer  wird  man  indessen  fahren,  wenn  man  einen  wulstförmigen 
Charpiebausch  auf  die  Fläche  des  in  die  richtige  Lage  zurückgestülpten 
Lides  auflegt,  diesen  Wulst  und  das  andere  Lid  durch  einen  mehr  flachen 
Bausch  von  Charpie  deckt  und  Alles  durch  eine  Flanellbinde  fixirt.  Bis- 
weilen reichen  wenige  Tage  hin,  um  unter  der  Anwendung  des  Druck- 
verbandes das  Lid  in  seine  normale  Stellung  zurückkehren  und  den  Binde- 
hauttumor schwinden  zu   machen. 

Immerhin  jedoch  bleibt  gerne   eine  beträchtliche  Erschlaffung  des  Lides 

und  der  Bindehaut,   häufig  auch   eine   trachomatöse  Aufwulstung  der  letzteren, 

zurück.      Um    sie    zu    beseitigen,   dienen  tägliche  Bestreichungen  der  Con- 

junctiva  mit  Kupfervitriol. 

Quellen:  Ehle,  Ueber  den  Bau  und  die  Krankheiten  der  Bindehaut.  Wien. 
1828.  S.  92,  164,  168,  170,  174,  186;  die  sog.  contag.  o.  egypt.  Augenentzündung. 
Stuttgart.  1839.  S.  89.  —  Pirii^ger,  Die  Blennorrhoe  am  Menschenauge.  Graz.  1841, 
S.  7,  14,  40,  46,  57,  66,  74,  77,  82,  86,  89,  93,  110,  112,  159,  177,  198,  202,  230, 
245,  288,  293,  297,  303,  312,  324,  350,  352,  354,  367,  380.  —  Guh,  die  sog.  egypt. 
Augenentzündung.  Wien,  1850.  S.  32,  49,  58,  62,  65,  74.  —  ArÜ,  Die  Krankheiten 
des  Auges  I.  Prag.  1851.  S.  18,  40,  42,  43,  79,  83.  —  Stellwag,  Ophth.  II.  S.  782, 
784.  —  Frank  und  Marston,  kl.  Monatbl.  1863.  S.  124.  —  Eiselt,  Zeitschrift  der 
Wien.  Aerzte.  1861.  Wochenblatt.  S.  97.  —  Graefe,  Deutsehe  Klinik.  1864.  S.  79; 
A.  f.  O.  I.  1.  S.  168,  171,  199,  206,  212,  215,  219,  221,  226,  236;  II.  2.  S.  242; 
VI.  2.  S.  123,  124,  127;  IX.  2.  S.  122;  X.  2.  S.  191,  192,  196.  —  Snellen,  klin. 
Monatbl.  1864.  S.  394.  —  Weh,  ibid.  1863.  S.  502.  —  Niemetschek,  Prag.  Viertel- 
jahrschft.  101.  Bd.  S.  70.  —  Gosselin,  Schmidt's  Jahrb.  127.  Bd.  S.  204;  134.  Bd. 
S.  75.  —  Mooren,  Ophth.  Beiträge.  S.  71.  —  Kämpf,  Virchow's  Jahresber.  1868. 
II.  S.  489. 


4^40  Oplithalmobleiuioiiiioea  luEuitiim;  EiankheitBbfld. 


4.  Ophtlialmoblennorrhoea  infantum. 

Tom  rein  icissenschaftlichen  Standpunkte  ans  lässt  sich  der  Angen- 
schleimflnss  der  Kinder  nicht  •wohl  als  eine  besondere  Form  der  Syndes- 
mitis  betrachten.  Derselbe  hat  im  concreten  Falle  nämHeh  bald  die 
Bedentnng  eines  Eatarrhes,  bald  die  Bedeutung  einer  reinen  oder  zur  Diph- 
theritis  neigenden  Blennorrhoe,  bald  charakteiisirt  er  sich  als  ein  unter  der 
Form  der  Blennorrhoe  auftretendes  Trachom.  Im  praktischen  Literesse 
jedoch  ist  eine  Trennung  der  Ophthabnoblennorrhoea  infantum  erspriessMch. 
da  die  Eigenthümlichkeiten  des  kindlichen  Organismus  nicht  nur  die 
Symptomatologie,  sondern  auch  den  Verlauf  und  die  Ausgänge,  besonders 
aber  die  Therapie,  wesentlich  modificiren.  Man  kann  zvcei  verschiedene 
Formen  oder  eigentlich  Grade  unterscheiden,  die  katarrhalische  und  die 
blennorrhoische.  Es  hängen  dieselben  jedoch  durch  zahlreiche  Zwischen- 
formen mit  einander  zusammen,  es  kommen  in  der  Wirklichkeit  häufig 
genug  Fälle  vor,  welche  sich  sowohl  dieser  wie  jener  Form  beizählen 
lassen. 

Krankheitsbild.  Das  am  meisten  in  die  Augen  springende  Symptom 
ist  die  Geschwulst  der  Tkeile.  Es  ist  dieselbe  nur  bei  den  niedersten  Graden 
der  Ophthalmie  minder  beträchtlich,  in  der  Eegel  ist  sie  sehr  gross,  da 
die  Zartheit  und  Lockerheit  der  kindlichen  Gewebe  massenhaften  Aus- 
schwitzungen sehr  günstig  ist.  Die  Lider  treten  daher  selbst  bei  leichteren 
Fällen  in  Gestalt  mächtiger  Geschwülste  über  die  Orbitalöffiaung  hervor, 
werden  unbeweglich  und  die  Lidspalte  erscheint  geschlossen.  Oft  schiebt 
sich  sogar  das  obere  Lid  über  das  untere  hinüber  und  deckt  das  letztere 
nahezu  vollständig.  Die  Lidbindehaut  zeigt  sich  meistens  stark  aufgequollen 
und  gelockert.  Der  Uebergangstheü  drängt  sich  beim  Abziehen  der  Lider 
in  Gestalt  mächtiger  Wülste  aus  der  Lidspalte  hervor  und  veranlasst 
daher  gerne  Umstülpungen  der  AiigendecJcel  mit  allen  deren  FolgeiL  Die 
Augapfelbindehaut  ist  sehr  oft  wallartig  rings  um  die  Cornea  angetrieben, 
so   dass  diese  in  der  Geschwulst  gleichsam   begraben  erscheint. 

Bei  der  katarrhalischen  Form  trägt  die  Geschwulst  mehr  den  Charakter 
des  reinen  oder  congestiven  Oedems.  Das  Secret  ist  minder  reichlich  oder 
doch  nicht  massenhaft  und  enthält  neben  Flocken  und  Klumpen  dicken 
trüben  Schleimes  in  der  Regel  eine  unverhältnissmässige  Menge  von  Eiter- 
elementen,  daher  es  sich  in  seinem  äusseren  Ansehen  stets  dem  reinen  Eiter 
sehr  nähert. 

Bei  der  blennorrhoischen  Form  ist  die  Geschwulst  immer  im  wahren 
Wortsinne  eine  chemotische,  stark  gerothet.  hart  und  gespannt,  daher  ober- 
flächlich glänzend,  heiss  und  überaus  empfindlich  gegen  Berührung.  Sie 
entwickelt  sich  unter  heftigen  Schmerzen  und  hochgradiger  Lichtscheu, 
in  der  Eegel  auch  unter  lebhaftem  Fieber.  Erst  später  verliert  sie  ihr 
erysipelartiges  Aussehen,  wird  schlaff  faltig  weich,  während  ihre  Farbe 
mehr  ins  Bläuliche  neigt,  die  Temperatur  etwas  sinkt  und  die  Empfind- 
lichkeit abnimmt.  Die  Secretion  ist  sehr  massenhaft,  das  Product  ent- 
leert sich  fortwährend  aus  dem  Bindehautsacke  und  rinnt  oft  stromweise 
über  die  Wangen  herab,   deren  äussere  Decke  excorürend  und  so  zu  Ent- 


Ursachen;  Endemien.  441 

Zündungen  Veranlassung  gebend.  Besonders  bei  gewaltsamer  Eröffnung 
der  meist  krampfhaft  geschlofisenen  Lidspalte  drängt  sich  eine  ansehnliche 
Menge  des  eigenthümliclien  Secretes  hervor.  Es  ist  dieses  in  der  Regel 
ein  ganz  gleichnässiger,  aller  Schleimüocken  entbehrender  und  nur  bis- 
weilen festere  faserstoffige  Gerinnungen  enthaltender,  gelblicher  oder  grün- 
licher Eiter,  der  bald  dick  rahmartig,  bald  mehr  dUnnliüssig  und  selbst 
molkenähnlich  erscheint,  indem  er  stets  mit  Thränen  innigst  gemischt  zu 
Tage  kömmt. 

Ursachen.  Es  ist  mehr  als  wahrscheinlich,  dass  der  Einfluss  grellen 
Lichtes  auf  das  Auge  eines  Neugeborenen  im  Stande  sei,  eine  derartige 
Ophthalmie  zu  begründen.  Gleiches  gilt  auch  von  raschen  Temperatur- 
wechseln, welche  häufig  als  Veranlassung  der  Krankheit  angeklagt  werden. 
Uniäugbar  ist  es,  dass  unreine,  von  excrementitiellen  Exhalationen,  von 
Rauch,  Dunst  oder  beissenden  Dämpfen  erfüllte  dumpfige  feuchte  Zimmer- 
luft, Unreinlichkeit  der  Wäsche  und  des  Körpers  des  Kindes,  so  wie  Unsauher- 
Iceit  der  pflegenden  Hände  am  häufigsteii  den  nächsten  Grund  der  Erkrankung 
abgeben.  Darum  werden  auch  die  Kinder  der  niederen  Volksklassen,  besonders 
grosser  Städte  viel  häufiger  ergriffen,  als  die  wohl  gepfiee'ten  Kinder  der 
in  reinlicheren  und  comfortableren  Wohnungen  hausenden  Bürgerklasse. 
Aus  demselben  Grunde  aber  ist  auch  in  Finddhäusern,  wo  alle  die  genann- 
ten Schädlichkeiten  nebst  einer  Unzahl  ungenannter  und  unnennbarer  ver- 
derblicher Einflüsse  gleichsam  im  concentrirten  Zustande  auf  die  armen 
Kleinen  wirken,  das  procentarische  Verhältniss  der  Erkrankungen  ein 
ungeheueres.  Sporadische  Fälle  gehen  daselbst  fast  niemals  aus  und  sehr 
oft  steigert  sich  ihre  Zahl  enorm,  die  Krankheit  erscheint  unter  der 
Gestalt  einer  Endemie,  an  der  nicht  nur  ganz  junge  Säuglinge,  sondern 
auch  Kinder  von  1,  2  und  mehr  Jahren,  ja  auch  Ammen  und  Wärterinnen 
Theil  nehmen. 

Das  procentarische  Verhältniss  der  Erkrankungen  und  die  relative  Zahl  der 
höheren  und  niederen  Krankheitsgrade  ist  in  den  verschiedenen  Endemien  eine  ver- 
schiedene, ja  selbst  wälirend  einer  und  derselben  Endemie  sind  oft  Wechsel  zu 
beobachten.  Gewöhnlich  jedoch  ist  die  Zahl  der  minder  hochgradigen  Fälle  die 
weithin  überwiegende;  eigentlich  blennorrhoisdie  Formen  finden  sich  meistens  nur 
in  einem  relativ  geringen  procentarischen  Verhältnisse,  selten  übersteigen  sie  die 
Zahl  der  katarrhalischen  Erkrankungen.  Worin  dieser  Wechsel  begründet  sei,  ist 
nicht  genau  bestimmt.  Wahrscheinlich  ist  es ,  dass  der  Charakter  der  Endemien 
vorwiegend  abhängig  sei  von  der  nach  Zeit  und  Umständen  verschiedengradigen 
Ungunst  der  Verhältnisse,  unter  welchen  die  Findlinge  in  den  Anstalten  leben  und 
welche  einerseits  aus  der  Anhäufung  der  Kinder  und  Ammen  in  einzelnen  Sälen, 
andererseits  aus  der  von  der  Witterung  abhängigen  grösseren  oder  geringeren 
Leichtigkeit  einer  vollständigen  Lüftung,  einer  genügenden  Reinigung  der 
Wäsche  u.  s.  w.  resultiren.  Völlig  erklärt  ist  damit  aber  keineswegs  die  Wandel- 
barkeit der  Intensität  und  Ausbreitvuig  der  Endemien  und  es  bleibt  daher  ein 
ziemlicher  Spielraum  für  die  Annahme  eines  wechselnden  Genius  epidemicus. 

Man  ist  sehr  geneigt,  der  Constitution  der  ergriffenen  Individuen  einen  besonderen 
Einfluss  auf  die  Intensität  des  Processes  und  die  Qualität  der  Producte  zuzuschreiben, 
sohin  auch  die  Intensität  der  Endemien  in  einer  mittelbaren  Abhängigkeit  von  diesen 
Verhältnissen  zu  denken.  Allein  die  Wandelbarkeit  des  Charakters  der  einzelnen 
Endemien,  verglichen  mit  der  grossen  Stabilität,  welche  in  Bezug  auf  das  geringe 
materielle  Gedeihen  der  Findlinge  herrscht,  lässt  diesen  Einfluss  nur  als  einen 
sehr  untergeordneten  erscheinen.  Uebrigens  steht  es  fest,  dass  während  einer  und 
derselben  Endemie  oft  starke  und  wohlgenährte  Individuen  an  höchstgradigen 
Formen  erkranken,  während  elende  Geschöpfe  mit  einem  gei-ingfügigen  Katarrhe 
davon  kommen.  Und  wenn  auch  bei  Endemien  mit  bösartigem  Charakter  schwäch- 
liche   herabgekommene    Kinder    das    grösste  Contingent    schwerer    Fälle   liefern,  so 


442  OpMhalmoWennorrhoea  infantum;  Ursachen;  Verlauf. 

lässt  sich  dieses  leicht  daraus  erklären,  dass  solche  Kinder  in  Fiudelhäuserii  an 
Zahl  weit  überwiegen  und  ohne  Zweifel  öfter  erkranken,  als  gesunde  und  wohl- 
genährte, weil  eben  das  Gedeihen  des  kindlichen  Organismus  hauptsächlich  von 
sorgsamer  Pflege  und  genügender  Nahrung  abhängt,  gesunde  Kinder  sohin  gesunde 
und  sorgsame  Ammen  voraussetzen ,  welche  eine  grosse  Zahl  der  die  Ophthalmie 
zunächst  veranlassenden  Schädlichkeiten  von  den  ihnen  anvertrauten  Kindern 
abhalten. 

Sicherlich  kömmt  indessen  in  Findelhäusern  noch  die  Ansteckung  in 
Betracht,  und  zwar  als  ein  Factor  von  hoher  Bedeutung,  namentlich  wenn 
die  ungünstigen  Verhältnisse  bereits  eine  grössere  Anzahl  von  Individuen 
an  Blennorrhoe  erkranken  gemacht  haben.  Die  bei  der  Pflege  und  Wartung 
nothwendigen  Hantirungen  bieten  nämlich  eine  überaus  reichliche  Gelegen- 
heit zur  XJebertragung  der   ansteckenden  Producte. 

Dass  eine  solche  XJebertragung  blennorrhoischer  Producte,  sowohl  von 
der  Bhidehaut  als  auch  von  der  Genitalienschleimhaut  der  Mütter  und  der 
Ammen,  öfters  sporadische  Fälle  von  Ophthalmia  infantum  veranlasst,  ver- 
steht sich  von  selbst. 

Man  hat  in  dieser  Beziehung  besonders  dem  Geburtsacte,  dem  Durchgänge  des 
Kindskopfes  durch  eine  blenuorrhoisch  erkrankte  Scheide,  viel  Wichtigkeit  bei- 
gemessen (Mackenzie).  Es  ist  diesem  Momente  jedoch  sicherlich  nur  eine  ganz 
untergeordnete  Bedeutung  zuzuschreiben,  indem  die  Augen  des  Kindes  während  der 
Geburt  geschlossen  und  überdies  noch  durch  eine  dicke  Schichte  von  Hautschmeer 
überzogen  sind,  eine  Ansteckung  daher  nicht  leicht  erfolgen  kann.  Uebrigens  werden 
sehr  oft  auch  die  Kinder  von  Müttern  ergritfen,  welche  an  keinem  krankhaften 
Scheidenausflusse  leiden.  Ausserdem  lässt  die  Zeil  des  Auftretens  der  Ophthalmie 
öfters  mit  Grund  auf  eine  Ansteckung  in  einer  .s^^ä^ej-e?«  Periode  schliessen,  zu 
welcher  die  nach  der  Geburt  erforderlichen  Manipulationen  bei  blennorrhoischen 
Erkrankungen  und  bei  T'ureinlichkeit  der  Mütter  tausendfältige  Gelegenheit  bieten. 
Es  wäre  überhaupt  auch  wohl  denkbar,  dass  die  Lochien,  besonders  bei  minder 
reinlichen  Individuen ,  durch  XJebertragung  auf  die  Bindehaut  als  reizende  Stoffe 
Veranlassung  zur  fraglichen  Ophthalmie  geben  können.  Es  ist  nämlich  allerdings 
richtig,  dass  der  Beginn  der  letzteren  sehr  häufig  in  die  ersten  Lebenstage  fällt; 
es  kann  aber  auch  nicht  geläugnet  werden,  dass  die  Krankheit  in  einer  sehr 
grossen  Anzahl  von  J'ällen  erst  nach  2 — ^4  Wochen  und  später  zum  Ausbruche 
kömmt. 

Verlauf.  Die  Ophthalmie  entwickelt  sich  fast  immer  zuerst  an  dem 
einen  Auge,  das  andere  wird  nachträglich  nach  Verlauf  von  mehreren 
Tagen  afficirt,  wenn  nicht  besondere  ^'orsichten  dieses  verhindern.  Es 
scheint  nämüch  die  Uebertragung  des  Secretes  von  einem  auf  das  zweite 
Auge   den  gewöhnlichen   Crrund   der  Affection   des  letzteren  abzugeben. 

Im  Anfange  herrschen  meistens  die  entzündlichen  Erscheinungen  vor, 
die  Secretion  der  charakteristischen  Producte  ist  eine  weniger  reichliche. 
Beschränkt  sich  die  Ivrankheit  auf  einen  niederen  Grad,  so  steigen  die 
Hyperämie,  die  Geschwulst  und  die  örtliche  Wärme  in  der  Regel  lang- 
samer, oft  5 — 8  Tage,  ehe  sie  ihre  Höhe  eiTeicht  haben.  In  höher-  und 
höchstgradigen  Fällen  jedoch  genügen  oft  ein  oder  zwei  Tage,  um  die 
Chemose  zur  höchsten  Entwickelung  zu  bringen.  Auf  der  Acme  ver- 
harrt der  Process  gewöhnlich  einen  oder  mehrere  Tage,  während  die 
Secretion  zusehends  sich  mehrt  und  so  die  eigentliche  Bedeutung  des  Pro- 
cesses  als  Katarrh  oder  Blennorrhoe  ans  Tageslicht  bringt.  Dann  beginnen 
die  geschwollenen  Theile  unter  reichlicher  Secretion  mehr  und  mehr  zu 
erschlaffen.  In  dieser  Form  nun  besteht  der  Process  gemeinighch  längere 
Zeit.  Selten  ist  es  möglich,  ihn  innerhalb  8 — 14  Tagen  völhg  zu  tilgen, 
es    sei   denn,     dass  man  es  mit    einem  ganz  niederen    Grade  zu  thun  hat. 


Ausgänge;  Hornliautgesohwüre.  443 

Meistens  dauert  die  Krankheit  mehrere  Wochen,  ehe  sie  unter  allmäliger 
Abnahme  der  Hyperämie  und  Gesehwulst,  so  wie  unter  succcssiver 
HersteHuno-  des  normalen  Tonus  und  unter  Versiegung  der  Secretion, 
durch  das  Mittelglied  eines  einfachen  Katarrhes ,  zur  Norm  überfiihrt 
werden  kann. 

Doch  ist  der  Verlauf  keineswegs  immer  ein  regulärer.  Gleichwie  bei 
der  Elennori'hoe  der  Erwachsenen  wechselt  auch  bei  der  fraglichen  Oph- 
thalmie in  einem  und  demselben  Falle  öfters  die  Bedeutung  dos  Processes, 
es  wechselt  die  Intensität  der  Entzündungserscheinungen,  die  Qualität  und 
Quantität  der  Secrete,  was  in  Bezug  auf  die  Therapie  von  höchster  Be- 
deutung ist. 

Ausgänge.  Diese  sind  vorwaltend  von  der  Höhe,  bis  zu  welcher  der 
Process   im  concreten  Falle  sich  entwickelt,   abhängig. 

Die  niederen  Grade  der  Ophthalmie,  bei  welchen  es  nicht  zu  einer 
förmlichen  Chemose  kömmt,  die  Geschwulst  vielmehr  einen  mehr  ödema- 
tösen  Charakter  darbietet  und  das  Secret  vorwaltend  schleimig  ist,  sind 
meistens  ohne  Gefahr,  vorausgesetzt,  dass  die  Krankheit  sich  im  weiteren 
Verlaufe  nicht  noch  steigert  oder  durch  unzweckmässige  Therapie  gesteigert 
wird.  Ihr  Ausgang  ist  bei  vernünftiger  Beliandlung  in  der  Regel  völlige 
Heilung.  Selbst  eine  etwa  zu  Stande  gekommene  trachomatöse  Wu.cherung 
des  Tarsaltheiles  hat  wenig  auf  sich,  da  bei  Kindern  trachomatöse  Granu- 
lationen leicht  getilgt  werden  können. 

Fälle,  bei  welchen  die  Entzündung  einen  selir  hohen  Intensitätsgrad 
beurkundet,  die  Chemosis  also  stark  entwickelt,  die  entzündliche  llöthe 
eine  sehr  tiefe  und  die  örtliche  Wärme  namhaft  gesteigert  ist,  sind  schon 
weit  gefährlicher,  und  dieses  zwar  trotz  etwaiger  Spärlichkeit  und  völlig 
unbedenklicher  Qualität  des  Secretes.  Sie  sind  weit  gefährlicher,  als 
hochgi'adige  Blennoi-rhoen  bei  Erwachsenen,  indem  bei  Kindern  erfahrungs- 
gemäss  die  Fortpflanzung  der  Entzündung  von  der  Bindehaut  auf  die  Cornea 
leichter  erfolgt  und  sohin  die  Functionstüchtigkeit  des  Auges  durch  Abscess- 
iind  Geschioürbildung  der  Hornhaut  häufiger  in  Frage  gestellt  wird,  als  in 
den  späteren  Altersperioden. 

Beginnt  die  Hornhaut  sich  bereits  an  einzelnen  Stellen  zu  trüben,  so 
ist  die  Gefahr  auf  das  Höchste  gestiegen  und  es  kömmt  nun  alles  darauf 
an,  wie  weit  die  Zerstörung  sich  ausbreiten  werde.  Abscesse  und  runde 
Geschwüre  sind  im  Allgemeinen  günstiger,  da  sie  selten  die  ganze  Horn- 
haut vernichten.  Sie  lassen  um  so  mehr  Hoffnung  auf  Rettung  eines 
Theiles  des  Sehvermögens  oder  auf  geringe  Beschädigung  desselben,  je 
mehr  peripher  sie  sitzen  und  je  rascher  die  Entzündung  unter  der  An- 
wendung einer  kräftigen  Therapie  sich  vermindert.  Mondsichelförmige  Ge- 
schwüre der  Peripherie  hingegen  sind  stets  von  übelster  Bedeutung,  denn 
sie  lassen  sich  nur  selten  aufhalten  und  führen  oft  zur  vollständigen  Con- 
sumtion  der  Cornea  mit  allen  deren  Folgen.  Wo  periphere  Erweichung 
und  centrale  Abscedirung  zusammenfallen,  da  wird  nur  selten  ein  kleiner 
Theil  der  Cornea  gerettet. 

Ifmstülpungen  der  Lider  und  daraus  hervorgehende  ständige  Ectropien 
sowie  die  Erschlaffung  des  oberen  Augendeckels  sind  im  Ganzen  von  geringerem 
Belange,  da  sie  sich  unschwer  durch  eine  zweckentsprechende  Behandlung 
beseitigen  lassen. 


444  Ophthalmoblennorrhoea  infantum;  Behandlung. 

Behandlung.  Die  Aufgaben  der  Therapie  sind  selbstverständlich  Ton 
denen  nicht  verschieden,  welche  dieselben  Krankheitszustände  bei  Erwach- 
senen stellen. 

1 .  Zuförderst  ist  die  Verhütung  der  Krankheit  anzustreben.  Zu  diesem 
Ende  empfiehlt  sich  bei  K'eugeborenen  und  Säuglingen  mehr  düstere 
Beleuchtung  des  Kindszimmers ,  möglichste  Abhaltung  von  Licht-  und 
Wärmecontrasten,  Sorge  für  reine  Luft,  für  grösste  Reinlichkeit  des  Körpers 
und  der  Wäsche  des  Kindes,  sowie  für  stete  Reinhaltung  der  Hände  der 
Pflegerinnen,  besonders  der  Mütter  und  Ammen,  so  lange  sie  an  einem 
Lochialflusse  leiden,  noch  mehr  aber  falls  sie  mit  Vaginalblennorrhoe  be- 
haftet sind. 

Ist  die  Ophthalmie  einmal  ausgehrochen,  so  müssen  diese  Vorsichts- 
massregelu  noch  mehr  vei'schärft  werden.  In  Findelhäusern  und  Kinder- 
spitälern ist  überdies  noch  mit  Strenge  dahin  zu  wirken,  dass  augenkranke 
Kinder  sogleich  von  den  gesunden  völlig  getrennt  werden,  dass  dieselbe 
Wärterin  oder  Amme  neben  den  kranken  Kindern  nicht  noch  gesunde  zu 
besorgen  habe;  dass  die  zum  Baden  und  Waschen  nöthigen  Geräthschaften 
nicht  zugleich  von  gesunden  Kindern  benützt  werden ;  dass  die  Wäsche 
augenkranker  Kinder  nicht  vor  gehöriger  Reinigung  gesunden  Kindern 
angelegt  werde ;  dass  die  kranken  Kinder  in  möglichst  günstige  Verhält- 
nisse gebracht  und  bei  Ausbruch  einer  Endemie  nicht  in  einem  oder 
mehreren  Sälen  zusammengedrängt  werden. 

Allerdings  wird  durch  solche  Massregeln  der  Kostenaufwand  vermehrt,  doch 
können  sich  kleine  Seelen  damit  beruhigen,  dass  selbst  eine  kleine  Zahl  lebend 
aus  den  P^indelhäusern  hinauskommender  blinder  Kinder  dem  Staate  weit  mehr 
Lasten  auferlegt,  und  dass  so  die  Rechnung  am  Ende  wohl  ausgeglichen  werden 
dürfte. 

2.  Die  directe  Behandlung  wird  wesentlich  von  dem  jeweiligen  Krank- 
heitszustände bestimmt. 

a.  So  lange  die  Krankheit  sich  auf  niedere  Grade  beschränkt,  hüthe 
man  sich  vornehmlich  vor  dem  Zuvielthun,  da  dadurch  sicherlich  nur 
geschadet  wird.  Sind  die  Reizerscheinungen  von  vorne  herein  wenig  ent- 
wickelt, namentlich  die  Geschwulst  gering  und  das  Secret  sparsam,  so 
thut  man  gut,  sich  einfach  auf  die  stete  Beseitigung  der  Secrete  von  den 
Lidrändern  und  Lidwinkeln  durch  zartes  Abtupfen  mit  feinster  Charpie, 
sowie  auf  möglichste  Abhaltung  aller  reizenden  Schädlichkeiten  zu  be- 
schränken und  nebenbei  von  Zeit  zu  Zeit  Umschläge  von  Aqita  saturnina 
zu  geben.  Wenn  aber  bereits  die  Reizsymptome  sehr  zurückgetreten  sind 
und  die  Erschlaffung  sehr  deutlich  hervortritt,  übrigens  die  normwidrige 
Secretion  sich  in  die  Länge  zieht  und  adstringirende  Ueberschläge  keinen 
Erfolg  zeigen,  so  ist  zu  stärkeren  Adstringentien  überzugehen.  Doch  wähle 
man  stets  nur  milde  ]\Iittel,  CoUji'ien  aus  Rp.  Aq.  saturn.,  Aq.  dest.  simpl. 
aa  unc.  1;  die  Aq.  Opii;  Lösungen  von  Tannini  pur.  gr.  10  ad  unc.  1 
Aq.  dest.  u.  s.  w.,  welche  je  nach  Bedarf  2 — 3  Mal  des  Tages  angewendet 
werden  sollen.  Besser  noch  wird  man  mit  1 — 3  graniger  Höllensteinlösung 
fahren,  welche  täglich  einmal,  höchstens  zweimal  mittelst  eines  Pinsels 
aufgestrichen  wird   (S.   49). 

h.  Ist  die  entzündliche  Schwellung  sehr  gross  und  zeigt  die  Ophthalmie 
überhaupt  einen  höheren  Entwickelungsgrad,  oder  stellt  sie  sich  als  Blennor- 
rhoe im  engeren  Wortsinne  dar:    so    genügen  jene  Mittel   kaum   mehr,    der 


Syndesmitis  diphtherica ;  Krankheitsbild.  445 

Process  fordert  ein  energischeres  Einschreiten.  Es  wird  dieses,  so  lange  die 
entzündlichen  Erscheinungen  einen  ausgesprochen  sthenischen  Charakter 
widerspiegehi,  vorwiegend  auf  kräftige  Antiphlogose  zu.  richten  sein ;  jenseits 
dem  Höhenpunkte  aber,  wenn  die  Geschwulst  sinkt,  weich,  welk,  minder 
heiss  wird  und  die  Absonderung  eitriger  Producte  massenhaft  bleibt,  eine 
adstringirende  Wirkung  uud  bezieliungsweise  auch  die  Zerstörung  der  die 
Hornhaut  auf  katalytischem  Wege  gefährdenden  Secrete  anzustreben  haben. 
Behufs  der  ^Verminderung  und  chemischen  Umsetzung  der  ki-ankhaften  Aus- 
scheidungen sind  häufig  gewechselte  Ueberschläge  oder  Bestreichungen  der 
Bindehaut  mit  Lösungen  von  3 — 5  Gran  Nitras  Argenti  auf  1  Unze  Aq. 
dest.  zu  empfehlen.  Die  letzteren  sollen  täglich  1 — 2  Mal  vorgenommen 
und  in  den  Zwischenzeiten  je  nach  Bedarf  kalte  Ueberschläge  und  wieder- 
holte Eeinigungen  der  Augen  mit  kühlem  Wasser  in  Anwendung  gebracht 
werden. 

Das  Vorhandensein  von  Cornealgeschwüren  ändert  im  Allgemeinen  nicht 
die  auf  die  Blennorrhoe  Bezug  habenden  Indicationen.  Doch  muss  dann 
der  Stand  des  Pupillarrandes  wohl  berücksichtigt  werden,  um  Vorfällen 
desselben  rechtzeitig  vorzubeugen  oder  selbe  möglichst  unschädlich  machen 
zu  können   (S.    lOG). 

Quellen:  Mackenzie,  Prakt.  Abhandlung  über  die  Krankheiten  des  Auges. 
Weimar.  1832.  S.  351,  354;  Traduction  par  Warlomont  et  Testelin.  I.  Paris.  1856. 
S.  758.  Nota.  —  Piringer,  Die  Blennorrhoe  am  Menschenauge.  1841.  Graz.  S.  23, 
28,  48,  57,  98,   114,  145,  148,  207,  288,  409.   —  Ärlt,  Die  Krankheiten  des  Auges. 

I.  Prag.   1851.  S.  51,  53,   58,  79,    82.  —  Stellwag,  Wiener    Jahrb.  f.  Kinderheilkde. 

II.  3.  S.  126;  III.  S.  34.  —  Alf.  Graefe,  kl.  Monatbl.  1865.  S.  370;  Berlin,  klin. 
Wochenschrift.  1868.  Nro.  6.  —  Graefe,  A.  f.  O.  I.  1.  S.  168,  236,  237,  244.  — 
Delgado,  kl.  Monatbl.    1866.  S.  214.   —  Stavenhagen,    kl.  Beob.  Riga.   1868.   S.  38. 

5.   Der    Bindehantcroup,    Syndesmitis    diphtherica. 

Krankheitsbild.  Charakteristisch  ist  die  Entwickelung  eines  gelblichen 
derben  starren  Productes,  welches  sich  sowohl  im  Gefüge  als  an  der  freien 
Oberfläche  der  Bindehaut  häuft  und,  indem  es  später  schmilzt,  ein  dem  pyor- 
rhoischen   ähnliches  eiterartiges    Secret   darstellt. 

1.  Die  entzündlichen  Erscheinungen  sind  dem  Grade  nach  einigermassen 
wandelbar.  Bisweilen  fehlen  sie  nahezu  ganz,  die  stellenweise  von  diphthe- 
ritischen  Fladen  bedeckte  Bindehaut  erscheint  wachsähnlich  blass,  oder 
doch  nur  von  einem  schütteren  Gefässnetze  durchstrickt;  sie  ist  kaum 
merklich  geschwollen,  oder  sammt  den  Lidern  durch  seröses  oder  gelati- 
nöses Infiltrat  aufgetrieben,  lässt  aber  keine  Erhöhung  der  Temperatur 
wahrnehmen. 

In  der  Regel  ist  die  Hyperämie,  die  örtliche  Wärmezunahme  u.  s.  w. 
weit  deutlicher  ausgesprochen,  ja  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  findet  man 
beim  Bindehautcroup  eine  höchstgradige  Chemose  und  das  Krankheitsbild 
desselben  gestaltet  sich  dem  der  Blennorrhoe  ganz  ähnlich.  Es  ist  dann  die 
entzündliche  Röthe  in  der  äusseren  Lidhaut  ,uud  in  deren  Umgebungen  sehr 
auffällig,  bald  heller,  bald  dunkler  und  mehr  ins  Bläuliche  spielend.  In 
der  Bindehaut  jedoch  pflegt  sie  nur  anfänglich  stäi-ker  entwickelt  zu  sein; 
später  tritt  sie,  besondei's  am  Tarsal-  und  Uebergangstheile,  sehr  zurück, 
oder  geht  wohl  gar  in  eine  mehr  graugelbe  Nuance  über,  indem  massen- 


446  Syndesmitis  diphtherica ;  Krankheitsbild. 

hafte  starre  Entzündungsproducte  in  das  Conjunctivalgefüge  abgelagert 
werden  und  die  Gefässe  förmlich  zusammendrücken,  so  dass  nur  ein  grob- 
maschiges Netz  an  der  Oberfläche  sichtbar  bleibt,  dessen  einzelne  Zweige 
plötzlich  aus  der  Tiefe  hervortreten  und  nach  kurzem  Laufe  sich  sogleich 
wieder  in  das  graugelbe,  von  kleinen  Blutextravasaten  gescheckte  Parenchym 
der  Bindehaut  einsenken.  Die  Geschwulst  der  Conjunctiva  und  der  Lider 
ist  unter  solchen  Umständen  meistens  eine  ausnehmend  grosse  und  in  Folge 
der  Starrheit  des  Infiltrates  durch  eine  höchst  auffällige,  oft  holzähnliche 
Härte  ausgezeichnet.  Die  Oberfläche  der  geschwollenen  Bindehaut  erscheint 
dabei  meistens  glatt;  doch  macht  sich  am  Tarsaltheile  öfters  schon  eine 
feine  Granulirung  geltend.  Späterhin  kömmt  es  an  der  Lidbindehaut  nicht 
selten  zur  Entwickelung  massiger  trachomähnlicher  Granulationen  oder,  in 
Folge  partieller  brandiger  Absterbungen,  zu  grubigen  Sabstanzverlusten.  Die 
Temperaturerhöhung  ist  in  solchen  Fällen  immer  eine  sehr  bedeutende ; 
öfters  ist  sie  auch  dem  Kranken  subjectiv  durch  das  Gefühl  brennender 
Hitze  peinlich,  ja  sie  kann  sich  bis  zum  Calor  mordax  steigern.  Ausser- 
dem sind  die  betroffenen  Theile  auch  im  höchsten  Grade  schmerzhaft  und 
besonders  gegen  Berühi'ung  äusserst  empfindlich.  Gewöhnlich  leidet  der 
ganze  Körper  mit  und  beurkundet  seine  Theilnahme  durch  Fieber  und  nicht 
selten  durch    analoge    Veränderungen   in  anderen   Schleimhauttracten  (Graefe). 

2.  Das  an  der  Oberfläche  der  Bindehaut  sich  sammelnde  diphtheritische 
Product  stellt  oft  nur  einen  dünnen  florähnlichen  reticulirten  Beschlag 
oder  eine  zarte  continuirliehe  Schichte  von  graugelblicher,  gelblichweisser 
oder  eitergelber  Farbe  dar  und  lässt  vermöge  seiner  Dünnheit  die  unter- 
gelegene infiltrirte  Bindehaut  durchscheinen.  Eben  so  oft  jedoch  formirt 
es  auch  mehr  minder  mächtige  opake  Schollen  von  wechselnder  Aus- 
dehnung und  ganz  unregelmässiger  Begrenzung,  welche  sich  bisweilen  in 
Gestalt  von  Zacken  über  die  innere  Lidlefze  auf  die  freie  Lidrandfläche 
fortsetzen,  auf  die  letztere  gleichsam  übergreifen.  Ausnahmsweise  nur 
bilden  die  diphtheritischen  Producte  einen  hautartigen  Ueberzug  von  einiger 
Mächtigkeit,  welcher  die  Bindehaut  ihrer  ganzen  Ausdehnung  nach  über- 
kleidet. Es  hängen  diese  Producte  fest  mit  der  Conjanctiva  zusammen,  eine 
künstliche  Abtrennung  ist  immer  mit  einer  reichlichen  parenchymatösen 
Blutung  verknüpft. 

3.  Ausser  diesem  der  Bindehaut  anhaftenden  Producte  findet  man  im 
Conjunctivalsacke  immer  eine  grössere  oder  geringere  Menge  flüssigen  Secretes, 
welches  zum  Theile  von  der  Schmelzung  und  Abstossung  der  diphtheritischen 
Auflagerungen  herrührt.  Anfänglich  ist  dieses  Secret  meistens  wegen  über- 
wiegendem Gehalte  an  Thränen  dünnflüssig,  trüber  Molke  ähnlich,  schmutzig 
graulich,  durchscheinend  und  enthält  eine  Menge  graulicher  oder  grau- 
gelblicher Fetzen  und  Flocken.  Später  wird  es  unter  zunehmender  Schmel- 
zung der  diphtheritischen  Neubildung  mehr  eiterähnlich,  gelblich,  grünlich, 
es  gewinnt  mehr  an  Consistenz  und  erscheint  bisweilen  ganz  rahmartig 
dicklich.  Es  ist  öfters  mit  grösseren  starren  Schollen  gemischt,  welche  hier 
und  da  sich  von  der  Oberfläche  der  Bindehaut  losgelöst  haben,  sich  aber 
meistens  rasch  wieder  ersetzen,  bis  der  Process  seinen  Charakter  gewech- 
selt hat. 

Ursachen.  Die  Diphtheritis  conjunctivae  ist  öfters  nur  die  Theil- 
erscheinung    eines  allgemeinen    Processes,   welcher  sich  gleichzeitig  auf  ver- 


Ursachen ;  Verlauf.  447 

schiedenen  Scliloimliäuten ,  besonders  der  Luftwege  und  dos  Kehlkopfes, 
lücalisirt,  und  liüuiig  mit  exanthematischen  Processen,  Masern,  Blattern, 
Scharlach,  im  Zusammenhange  steht.  Die  Krankheit  trägt  dann  gewöhnlich 
einen  en-  oder  epidemischen  Charakter  (Graefe,  Hirschherg).  Im  Uebrigen 
fällt  die  Aetiologie  der  Diphthcritis  conjunetivae  grösstentheils  mit  jener 
der  übrigen  Formen  der  Eindchautentzündung  zusammen,  indem  dieselben 
äusseren  Schädlichkeiten,  welche  eine  Blennorrhoe  u.  s.  w.  zu  vex'anlassen 
im  Stande  sind,  auch  die  Ursache  des  diphtheritischen  Processes  werden 
können.  Insbesondere  jedoch  muss  als  ein  wichtiges  ursächliches  Moment 
die  übertriebene  Anwendung  starker  Höllensteinlösungen  und  des  Lapis  infer- 
nalis  mitigatus  hervorgehoben  werden.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  das» 
nicht  wenige  der  vorgekommenen  Fälle  von  Croup  aus  einer  Steigerung 
des  Wucherungsprocesses  in  Folge  unvorsiclitigen  Gebahrens  mit  caustischeu 
Mitteln  ihren  Ursprung  ableiten.  Die  Krankheit  ist  darum  auch  seltener, 
wo  gewagte  Behandlungsweisen  nur  im  äussersten  Nothfalle  versucht  werden. 

Zweifelsohne  gibt  auch  die  Ansteckung  ein  gewichtiges  ätiologisches 
Moment  ab  (Homer)  und  kann  insbesondere  die  Ausbreitung  einer  En-  oder 
Epidemie  wesentlich  begünstigen.  Beobachtungen  und  Experimente  stellen 
nämlich  die  Syndesmitis  diphtherica  als  entschieden  contagiös  heraus  und  als 
Träger  des  Contagiums  erweiset  sich  vornehmlich  das  flüssige  eiterähnliche 
Secret.  Auf  gesunde  Bindehäute  gebracht,  regt  es  in  der  Regel  wieder 
eine  Syndesmitis  diphtherica  an,  seltener  eine  Blennorrhoe  reiner  Form, 
deren  Producte  aber  umgekehrt  wieder  eine  diphtheritische  Syndesmitis 
hervorbringen  können. 

Es  lässt  sich  indessen  auch  nicht  in  Abrede  stellen,  dass  die  Syndes- 
mitis diphtherica  bei  Kindern  in  ihrem  Auftreten  wesentlich  begünstigt 
werde  durch  gewisse  in  der  Constitution  der  Kinder  selbst  gelegene  Verhält- 
nisse, ja  dass  in  manchen  Fällen  diese  Verhältnisse  an  und  für  sich  hin- 
reichen,  um   eine   Syndesmitis   diphtherica  zu  begründen. 

Stützpinikte  für  diese  Ansicht  liegen  einerseits  schon  in  der  fast  constanten, 
durch  Fieherbewegungen  sich  äiissernden  Mitleidenschaft  des  gesammfen  Organismus, 
andererseits  aber  iu  der  entschiedenen  Dhposition  scliwächlicher ,  von  kranken 
Müttern  stammender,  schlecht  genährter,  oder  wiriilich  kranker  nnd  sehr  herab- 
gekommener, mit  constitutioiieller  Syphilis  behafteter,  besonders  2 — Sjähriger 
Kinder,  welche  letztere  diphtheritischen  Affectionen  überhaupt  mehr  unterworfen 
sind,  als  die  übrigen  Altersklassen,  vornehmlich  jene  unter  einem  und  über  fünf 
Jahren. 

Der  Verlauf  ist  ziemlich  wandelbar.  So  kommen,  vorzüglich  bei  Er- 
vmchsenen,  öfters  Fälle  vor,  in  welchen  die  Syndesmitis  diphtherica  eigentlich 
nur  eine  Episode  im  Verlaufe  einer  Blennorrhoe  bildet,  indem  die  Secrete 
zeitweise  eine  grössere  Consistenz  gewinnen  und  der  Bindehaut  anhaften, 
dann  aber  verflüssigen ;  oder  aber  indem  die  Syndesmitis  diphtherica  sich 
primär  als  solche  entwickelt,  jedoch  alsbald  durch  den  Wechsel  der  Pro- 
ducte in  die  Blennorhoe  übergeht.  Immer  sind  dieses  Fälle  geringerer 
Entwickelung,  eigentlich  Uebergangsformen,  bei  welchen  der  Croup  des 
Bindehautgefüges  sehr  wenig  entwickelt  ist  und  im  Ganzen  nur  eine  sehr 
untergeordnete  Rolle  spielt. 

Wo  die  charakteristische  Veränderung  des  Conjunctivalparenchyms  deut- 
licher hervorsticht,  wie  dieses  bei  Kindern  häufiger  der  Fall  ist,  zeigt  die 
Krankheit  eine  beständigere   Form,     sie   möge  sich    nun    allmälig  aus  einer 


448  Syndesmitis  dipMlierica ;  Verlauf;  Ausgänge. 

anderen  Form  der  Bindehautentzündung  herausgebildet  haben,  oder  gleich 
als  solche  in  reiner  Form  zur  Entwickelung  gekommen  sein.  Im  letzteren 
Falle  ist  das  Auftreten  der  Krankheit  gewöhnlich  von  stürmischen  Erschei- 
nungen begleitet  und  meistens  reichen  2  oder  3  Tage  hin,  um  das  eigen- 
thümliche  Bild  der  Krankheit  zur  Vollendung  zu  bringen.  Oefters  hat 
die  Krankheit  binnen  dieser  Zeit  sogar  schon  ihren  Höhenpunkt  erreicht. 
Auf  diesem  bleibt  sie  in  der  Regel  mehrere  Tage  stehen.  Hierauf 
beginnen  die  entzündlichen  Erscheinungen  etwas  abzunehmen,  ohne  dass 
jedoch  die  Infiltration  des  Gefüges  eine  wesentliche  Aenderung  erfährt. 
Es  bedarf  gewöhnlich  einer  oder  mehrerer  Wochen,  ehe  die  Härte  der 
infiltrirten  Bindehaut  und  die  graugelbe  fahle  Färbung  derselben  schwin- 
det. Man  findet  dann  die  Conjunctiva  wieder  mehr  weniger  tief  geröthet, 
zugleich  aber  auch  aufgelockert,  gleichsam  schwammig  und  von  pyorrhoi- 
schen  Secreten  überschwemmt.  Oft  erscheint  ihre  Oberfläche  wohl  auch 
von  massenhaften  fleischwärzchenähnlichen  Auswüchsen  besetzt,  welche 
leicht  bluten,  die  Syndesmitis  diphtherica  ist  in  ein  Trachom  mit  blennor- 
rhoischer  Secretion  umgewandelt  worden  und  geht  fürder  den  dieser  Ent- 
zündungsform eigenthümlichen  Gang. 

In  anderen  Fällen  der  schwersten  Art  beginnt  alsbald,  nachdem  die 
Krankheit  ihren  Höhenpunkt  erreicht  hat,  die  nekrotische  Zerstörung  des 
Gefüges.  Es  stossen  sich  die  Auflagerungen  stellenweise  ab,  tiefe  Substanz- 
verluste hintei'lassend ,  auf  deren  Boden  die  blossgelegten  und  angeätzten 
Gefässe  nicht  selten  Veranlassung  zu  heftigen  Blutungen  geben.  Während 
das  Infiltrat  sodann  in  grösserer  oder  geringerer  Ausdehnung  schmilzt  und 
das  ohnehin  reichliche  pyorrhoische,  oft  jaucheähnliche  Secret  noch  ver- 
mehrt, lockert  sich  das  Gefüge  der  Bindehaut  immer  mehr  auf,  wird 
gleichsam  saftiger  und  es  treten  schwammähnliche  rothe,  leicht  blutende  Aus- 
wüchse gleich  Inseln  aus  der  graugelben  Bindehaut  hervor  (Graefe).  Es 
schmelzen  diese  Auswüchse  dann  wieder,  während  ihre  Umgebungen  sich 
ebenfalls  schwammig  auflockern;  das  Resultat  ist  ein  hochgradiges  diffuses 
Trachom  mit  massenhafter  pyorrhoischer  Secretion,  Bisweilen  wird  die  bereits 
eingeleitete  schwammige  Erweichung  durch  eine  Wiederholung  der  diphtheri- 
lischen  Exsudation  unterbrochen  und  diese  letztere  kann  auch  wohl  2 — 3 
Mal  recidiviren.  Gewöhnlich  aber  geht  der  Process  mit  der  beginnenden 
Auflockerung  des  Gefüges  seinem  Abschlüsse   entgegen. 

Ausgänge.  Die  Syndesmitis  diphtherica  ist  unstreitig  eine  der  ver- 
derblichsten Augenkrankheiten.  Wenn  dieselbe  bei  sehr  stürmischer  Ent- 
wickelung, namentlich  aber  bei  rascher  und  massenhafter  Infiltration  des 
Bindehautgefüges,  ohne  allen  Schaden  abläuft,  kann  man  vom  Glücke 
sagen.  Bei  Erwachsenen  sind  üble  Ausgänge  mehr  zu  fürchten  als  bei 
Kindern.  Wie  bei  anderen  epidemisch  auftretenden  Krankheiten  soll  im 
Beginne  der  Epidemien  das  procentarische  Verhältniss  der  ungünstig  ver- 
laufenden Fälle  ein  grösseres  sein ,  als  während  der  Abnahme  der 
Epidemien  (Graefe). 

Die  Syndesmitis  diphtherica  gefährdet  die  Functionstüchtigkeit  der 
ergriffenen  Augen  noch  weit  mehr  als  die  Blennorrhoe,  so  dass  man  es 
als  ein  günstiges  prognostisches  Moment  zu  erachten  hat,  wenn  unter 
allmäliger  Auflockerung  der  Bindehaut  deren  Färbung  allmälig  ins  Rothe 
übergeht  und  das  Krankheitsbild   die   Charaktere   der  Blennorrhoe  annimmt. 


Hornhautgeschwüre ;  Bindehautverödung;  Behandlung.  449 

Beruhigung  flösst  erst  die  Umwandlung  des  Secretes  in  ein  vorwaltend 
schhimiges  Product  ein,  docli  dai'f  hierbei  die  Möglichkeit  einer  Wiederkelir 
der  diphtlicritischcn  Aussonderung  und  Einlagerung  in  das  (jlefdge  der 
Bindehaut  nicht  vergessen  werden. 

Die  Cornea  kann  sowolil  durcli  Abscedirung  zerstört,  als  in  einen  von 
der  Oberlläche  gegen  die  Tiefe  vordringenden  Verschwärungsproeess  (S.  431) 
verwickelt  werden. 

Gleich  im  Beginne  oder  überhaupt  während  den  ersten  Stadien  des 
Processes  zur  Entwickelung  kommende  Geschwüre  sind  von  üblerer  Be- 
deutung, als  solche,  welche  in  späteren  Stadien  sich  bilden,  da  letztere 
sich  häufiger  begrenzen,  während  die  ersteren  sehr  gewöhnlich  zu  totalem 
Verluste  der  Hornhaut  führen. 

Die  Bindehaut  kann  in  Folge  theilweiser  oder  vtilliger  Verklebung  der 
einen  und  der  anderen  oder  beider  Hälften  des  Bindehautsackes  und  in 
Folge  späterer  Verwachsung  der  sich  berührenden  Conjunctivaltheile,  also 
durch  ein  Symblepharon  posterius  oder  auch  durch  ein  Symblepharon  anterius, 
zu  Schaden  kommen,  ja  selbst  die  VerändcTungen  eines  totalen  und  hoch- 
gradigen Xerophthalmus  erleiden.  Ein  ähnlicher  Ausgang  ergibt  sich  aber 
auch  bisweilen  aus  der  Obsolescenz  des  schwammigen  aufgeweichten  wuchern- 
den Gefüges,  aus  der  Schrumpfung,  Verkürzung  und  endlichen  Umwandlung 
desselben  in  Narbengev^ebe.  Am  gewöhnlichsten  geschieht  dieses,  wenn  das 
wuchernde  Bindehautgewebe  in  Folge  partieller  Verschwärung  oder  nekrotischer 
Abstossung  Substanzverluste  erleidet.  Es  bilden  sich  dann  narbige  sehnen- 
ähnliche Netzwerke  oder  Fladen,  zwischen  denen  gleich  Inseln  die  schwammi- 
gen Wucherungen  hervortreten.  Allmälig  sinken  auch  die  Auswüchse  ein, 
das  Bereich  der  sehnigen  Entartung  wächst  und  endlich  haben  sich  jene 
ständigen  Ausgänge  völlig  entwickelt,  welche  keine  Hoffnung  auf  Wieder- 
herstellung der  Functionstüchtigkeit  des  Auges  übrig  lassen.  Ein  solches 
trauriges  Ende  ist  indessen  wohl  nur  bei  sehr  hochgradigem  Croup  zu 
fürchten.  In  den  glücklicher  Weise  häufigeren  Fällen  geringerer  Intensität 
lässt  sich  das  zurückbleibende  diffuse  Trachom  unter  entsprechender  Therapie 
meisthin  tilgen. 

Behandlung.  Diese  hat  nebst  genauer  Erfüllung  der  Causalindication 
die  Aufgabe,  den  Gewebswucherungsprocess  zu  beschränken,  die  ungünstigen 
Circulations-  und  Nutritionsverhältnisse  in  dem  infiltrii'ten  Theile  thunlichst 
zu  verbesseiii  und  etwa  nicht  zu  verhütende  Schäden  auf  ein  Kleinstes  zu 
reduciren. 

1.  Die  Causalindication  fordert  nicht  nur  die  Beseitigung  und  Fern- 
haltung aller  Schädlichkeiten,  welche  den  Process  unterhalten  oder  steigern 
könnten,  sondern  auch  die  Verhütung  der  Weiterverbreitung  des  Leidens 
durch  Ansteckung   (S.    433). 

2.  Die  Indicatio  morbi  geht  natürlich  auf  Antiphlogose  liinaus  und 
fordert  eine  um  so  strengere  Handhabung  derselben,  je  grössere  Intensität 
der  Process  zeigt,  je  deutlicher  der  sthenische  Charakter  desselben  ausge- 
sprochen ist, 

a.  Wo  der  Bindehautcroup  unter  den  Erscheinungen  einer  wahren 
Chemosis  verläuft,  die  Hyperämie  sehr  ausgebreitet  und  hochgradig  ent- 
wickelt ist,   die  Geschwulst  sich  prall  und    heiss  anfühlt:    wird  fast  allge- 

Stellwag,  Augenheilkunde.  29 


450  Syndesmitis  diphtherica:  Behandlung. 

mein  auf  energische  Anwendung  der  Kälte,  auf  ausgiebige  locale  Blutent- 
leerungen und   strengste   antiphlogistische  Diät   gedrungen. 

Besonderes  Gewicht  wird  unter  solchen  Verhältuissen  gelegt  auf  die  ununter- 
brochene, Tag  und  Nacht  fortgesetzte  Application  von  Eisüberschlägen ,  während 
Andere  sich  für  die  Anwendung  warmer  Cataplasmen  erklären  (Mooren).  Behufs  atisgie- 
biger  Bhäentleerung  sollen  zu  wiederholten  Malen  Blutegel»  in  grösserer  Zahl  an 
die  Schläfe  oder  Angulargegend  gelegt  und  reichliche  Nachblutungen  unterhalten 
werden.  Einzelne  Autoren  empfehlen  statt  dessen  wohl  auch  tiefe  Einschnitte, 
welche  durch  die  iufiltrirte  Bindehaut  bis  in  deren  bluthältige  Unterlagen  dringen 
und  so  einerseits  profuse  Hämorrhagien  zu  veranlassen,  andererseits  aber  durch 
Entspannung  der  infiltrirten  Theile  die  Circulationsverhältnisse  wesentlich  zu  bessern 
im  Stande  sind  fJacohsoni;  wogegen  von  anderer  Seite  der  hervorragende  Nutzen 
eines  solchen  Eingriffes  bestritten  und  die  fast  constante  massenhafte  Ablagerung 
diphtheritischer  Producte  an  den  Wundflächen  als  ein  in  seinen  Folgen  sehr  schwer 
wiegender  Nachtheil  gefürchtet  wird  (Grapfe). 

Von  pharmaceutischen  Mitteln  wurden  besonders  die  Mercurialien  und  zwar 
in  kräftigen  Dosen,  oft  sogar  bis  zur  Salivation,  in  Anwendung  gezogen  (G-raefe). 
Doch  gestehen  selbst  die  grössten  Verehrer  des  Quecksilbers  ein,  von  demselben 
keinerlei  Nutzen,  wohl  aber  bedauerliche  Schäden  gesehen  zu  haben.  Um  so 
weniger  ist  natürlich  von  den  kohlensauren  Alkalien ,  welche  einige  Zeit  im  Ge- 
brauche standen,  zu  erwarten.  Die  inneren  Mittel  wurden  darum  so  ziemlich  ver- 
lassen. Bei  starkem  Fieber  dürften  indessen  die  Digitalis,  das  Aconitum  etc.  am 
Platze  sein,  da  sie  erfahrungsgemäss  den  Gefässstnrm  mildern.  Eigentliche  Narcotica 
erscheinen  besonders  bei  sehr  unruhigen  und  viel  schreienden  Kindern  angezeigt. 

6.  Hat  die  Entzündung  ihren  Höhepunkt  überschritten,  ist  die  Temperatur 
der  Geschwulst  beträchtlich  gesunken,  erscheint  die  Bindehaut  vermöge 
der  Massenhaftigkeit  des  Infiltrates  vielleicht  gar  schon  blutarm  und  inso- 
ferne  auch  in  ihrem  Stoffwechsel  wesentlich  beschränkt :  so  liegt  kein  ver- 
nünftiger Grund  für  Fortsetzung  der  Eisüberschläge  und  Blutentziehungen  mehr 
vor.  Es  wäre  sogar  möglich,  dass  in  Folge  weiterer  Temperaturerniedrigung 
und  der  Verminderung  der  Stoffzufuhr  die  brandige  Absterbung  begünstigt 
wird;  wenigstens  widersprechen  die  bisher  gewonnenen  therapeutischen 
Resultate  einer  solchen  Annahme  nicht.  Betreffs  der  Blutentleerungen 
kömmt  aber  auch,  besonders  bei  Kindern,  deren  Einfiuss  auf  die  gesammte 
Blutmasse  und  die  Erfahrung  in  Anschlag,  nach  welcher  der  Bindehaut- 
croup  elenden  herabgekommenen  Individuen  viel  häufiger  verderblich  wird, 
als  gesunden  und  kräftigen.  Man  ist  also  gleichsam  angewiesen  auf  die 
in  ihrem  Erfolge  sehr  zweifelhaften  Einschnitte  und  auf  die  bestimmt 
ganz  unwirksamen  „antiplastischen''  inneren  Mittel.  In  Uebereiustimmung 
mit  der  Hilflosigkeit  der  Lage  und  Perniciosität  des  Leidens  sind  unter 
solchen  Verhältnissen  denn  auch  die  therapeutischen  Erfolge  bisher  allent- 
halben zugestandener  Massen  möglichst  kläglich  gewesen. 

In  Anbetracht  dessen  lässt  sich  mit  ganz  gutem  Gewissen  die  Anlegung 
eines  Schutzverbandes  mit  ünterlagerung  eines  in  eine  Lösung  von  Nitrat. 
Argenti  gr.  10  ad.  unc.  1  Aq.  dest.  getauchten  Charpiebausches  nach  der 
(S.  438)  geschilderten  Methode  empfehlen.  Namentlich  bei  Kindern,  welche 
gegen  jeden  nur  einigermassen  schmerzhaften  oder  auch  blos  lästigen  Ein- 
griff durch  heftiges  Schreien,  Sträuben  u.  s.  w.  reagiren  und  solcher- 
massen  selbst  vortreffliche  Mittel  in  ihrem  Erfolge  gefährden  oder  gar  zu 
wahren  Schädlichkeiten  gestalten,  dürfte  dieses  Verfahren  ganz  am  Platze  sein. 

In  der  That  wurden  damit  günstige  Resultate  erzielt,  sowohl  in  einzelnen 
sporadischen  Fällen,  als  während  zweier  Endemien  bösartigen  Charakters,  bei  deren 
einer  das  unter  a.  erwähnte  Verfahren,  von  kundigster  Hand  geleitet,  in  bedauer- 
licher Weise  versagte.  Es  wird  hiermit  nicht  behauptet,  dass  der  Höllenstein  in 
der    fraglichen    Applicationsweise    ein    vortreffliches    oder     auch    nur    befriedigendes 


Trachom;  KrankheitsT)ild.  451 

Mittel  darstelle;  im  Gegentheile  wird  zugegeben,  dass  er  öfters,  besonders  in  ge- 
wissen Epidemien,  sich  als  univirknant,  erweisen  werde.  Dadurch  stellt  er  sich  jedoch 
im  schlimmsten  P'alle  nur  auf  die  Wertlistufe,  loelche  die  bisher  üblichen  Mittel  ein- 
nehmen und  hat  noch  den  Vorzug,  dass  seine  Ajiwendung  eine  schonendere  ist, 
also  schon  darum  bei  Kindern  weniger  Gefahren  in  sich  schliesst. 

c.  Wo  der  Bindehautcroup  unter  auffälliger  Blässe  der  Conjunctiva  und 
der  Lider,  bei  entschieden  ödematöser  Schwellung  der  Theile  und  bei 
Mangel  aller  Tempcratui-crhöhung  auftritt,  dort  passt  die  strenge  Antiphlo- 
gose  nicht  und  auch  der  Höllenstein  in  Verbindung  mit  dem  Druck- 
verbande hat  sich  dabei  nicht  bewährt.  Strenge  Augendiät  tind  Bedeckung 
der  Augen  durch  einen  Lappen  aus  feinen  Linnen  dürfte  dann  genügen, 
oder  wenigstens  nichts  verderben.  Es  ist  hierbei  zu  bemerken,  dass  der 
Bindehautcroup  in  dieser  Form  öfters  bei  sehr  elenden,  hex'abgekommenen 
Kindern  auftritt  und  trotz  der  Unscheinbarkeit  der  örtlichen  Symptome 
einen  höchst  verderblichen  Ausgang  nimmt.  Eine  entsprechende  allgemeine 
Behandlung  ist  dann  geboten,  hat  aber  so  wenig  wie  örtliche  Mittel  einen 
sonderlichen  Effect,  denn  es  verschwären  gewöhnlich  rasch  die  Hornhäute 
und   oft  stirbt  das  Band  auch  bald  darnach  ab. 

3.  Ist  die  Auflockerung  der  Bindehaut  bereits  weiter  vorgeschritten,  fehlen 
die  diphtheri tischen  Infiltrationen  gänzlich,  und  sind  die  Erscheinungen 
der  Blennorrhoe  in  den  Vordergrund  getreten,  oder  wuchert  die  ganze 
Tarsalbindehaut  in  Gestalt  eines  diffusen  Trachoms:  so  ist  mit  der  Aus- 
führung jener  therapeutischen  Regeln  zu  beginnen,  welche  der  Eiterfluss 
der  Bindehaut  oder  beziehungsweise  das  Trachom  indicirt. 

4.  Bei  brandiger  Absterbung  der  infiltrirten  Bindehaut  dürfte  wohl 
jede  Therapie  zu  Schanden  werden.  Vielleicht  leistet  dann  feuchte  Wärme 
etwas. 

5.  Geschwürsbildungen  in  der  Cornea  stellen  je  nach  den  obwaltenden 

Verhältnissen  verschiedene  Indicationen,   ändern  jedoch  die  von  dem  diph- 

theritischen  Processe  als  solchen  abhängigen  Anzeigen  in  keiner  Weise. 

Quellen:  Graefe,  A.  f.  O.  I.  1.  S.  168,  176,  183,  186,  194,  231,  237,  238, 
240,  243,  244,  247,  249;  X.  2.  S.  106.  —  Pih,  Lehrb.  der  Augenheilkunde.  Prag. 
1859.  S.  322.  —  Jacobson,  A.  f.  O.  VI.  2.  S.  180,  196,  198,  201,  204,  208;  Königs- 
berger med.  Jahrb.  III.  S.  78,  81,  84,  89,  95,  99.  —  Pagenstecher  und  Sämisch, 
Kliu.  Beobachtungen.  I.  Wiesbaden.  1861.  S.  10.  —  Stellwag,  Wiener  Jahrbücher 
f.  Kinderheilkunde  II.  S.  126;  III.  S.  34;  Wiener  med.  Jahrbücher.  Fachbericht. 
1861.  S.  246;  1862.  S.  74.  —  Be7-lin,  kl.  Monatbl.  1864.  S.  259.  —  0.  Becker  imd 
Tetzer,  Wiener  Augenklinik.  Ber.  S.  44,  46.  —  Mooren,  Ophth.  Beob.  S.  69,  70.  — 
Homer,  kl.  Monatbl.  1869.  S.  129.  —  Hirschberg,  Berlin,  kl.  Wochenschrift.  1869. 
Nro.  3. 


6.  Das  Trachom  oder  die  Ophthalmia  granulosa. 

Krankheitsbild.  Charakteristisch  sind  neben  Hyperämie  und  Schwellung 
der  Conjunctiva  eigenthümliche  Rauhigkeiten,  welche  sich  am  Tarsaltheile  bald 
als  angeschwollene  Papillen,  bald  als  diffuse  fleischwärzchenähnliche  blutreiche 
Ausxvüchse,  im  Uehergangstheile  aber  als  reihenweise  an  einander  geordnete  rund- 
liche Körner  darstellen,  die  bald  der  Conjunctiva  gleichfarbig  sind  und  nur 
wenig  hervortreten,  bald  aber  über  deren  Oberfläche  sich  mächtig  erheben  und 
durch  ihre  Form  und  sulzähnliche  Durchscheinbarkeit  den  Eiern  des  Fisch-  und 
Froschlaiches  sehr  ähnlich  werden. 

29* 


452  Trachom;  Krankheitsbild;  Körnige,  papilläre  Form. 

Je  nach  der  grösseren  oder  geringeren  Entwickelung  der  Erhaben- 
heiten und  je  nach  dem  Verhältnisse,  in  welchem  sich  die  einzelnen 
Formen  derselben  auf  der  Conjunctiva  mischen,  wird  das  Krankheitsbild 
wesentlich  modificirt,  so  zwar,  dass  vom  praktischen  Standpunkte  aus  die 
Unterscheidung  mehrerer  Unterarten  des  Trachomes  erspriesslich  erscheint, 
um  so  mehr,  als  jene  Differenzen  auch  auf  den  Verlauf,  auf  die  Ausgänge 
und  die  Therapie  von  Einiiuss  sind.  Diese  Unterarten  sind :  Das  reine  körnige 
und   das  papilläre    Trachom,   das  gemischte  und   das  diffuse    Trachom. 

A.  a.  Bei  niederen  Entwickelungsgraden  des  körnigen  Trachomes  findet 
man  den  Grund  der  Uebergangsfalte,  besonders  der  unteren  Hälfte,  reichlich 
bestreut  mit  froschlaichähnlichen  Körnern,  etwas  geschwellt  und  von  einem 
grobmaschigen  Gefässnetze  durchstrickt.  Der  Tarsaltheil  erscheint  etwas 
stärker  eingespritzt,  sonst  normal.  Bei  hoch-  und  höchstgradigen  Formen 
jedoch  ist  die  Schwellung  des  Uehergangstheiles  eine  sehr  bedeutende.  Werden 
die  Lider  umgestülpt,  so  tritt  derselbe  in  Gestalt  eines  mächtigen  Tumors 
hervor,  dessen  Oberfläche  von  grösseren  und  kleineren  froschlaichähnlichen 
Körnern  dicht  besäet  ist  und  dadurch  ein  ganz  drusiges  Aussehen  gewinnt. 
Die  einzelnen  Körner  sind  an  ihrer  Basis  bald  von  lebhaft  gerötheten,  bald 
von  blassrothen  confluirenden  Höfen  umsäumt;  öfters  aber  äussert  sich  in 
der  Geschwulst  eine  auffällige  Blutleere,  indem  die  Körner  auf  einer  ganz 
blassen  wachsähnlichen,  nur  von  einzelnen  Gefässchen  durchstrickten  Basis 
ruhen.  Die  Tarsalbindehaut  ist  dabei  meistens  ganz  glatt,  von  serösem  oder 
sulzigem  Infiltrate  leicht  aufgelockert  und  mehr  weniger  dicht  injicirt. 
Oefters  trifft  man  an  derselben  gleichfalls  einzelne  froschlaichähnliche 
Körner  kleineren  Kalibers.  Häufiger  lassen  sich  an  derselben  feine  papilläre 
Granulationen  nachweisen,  womit  ein  Uebergang  zum  gemischten  Trachome 
angedeutet  wird. 

6.  Das  reine  papilläre  Trachom  ist  der  Natur  der  Sache  nach  immer 
auf  den  Lidtheil  der  Conjunctiva  beschränkt  und  stellt  einen  niederen  Ent- 
wickelungsgrad  der  Ophthalmia  granulosa  dar.  Die  Tarsalbindehaut  ist  ein 
wenig  aufgelockert  und  an  ihrer  Oberfläche  dicht  besetzt  von  feinen  Granu- 
lationen. Diese  beginnen  ungefähr  1'"  entfernt  von  der  inneren  Lidlefze 
als  höchst  feine  stumpfkegelige,  zapfenähnliche  oder  keulenkopfförmige 
Erhabenheiten,  nehmen  nach  liinten  aber  allmälig  an  Grösse  zu.  In  der 
Gegend  des  couvexen  Tarsalrandes,  welchen  sie  noch  um  \"'  überschreiten, 
besitzen  sie  bereits  einen  ansehnlichen  Umfang  und  haben  mehr  die  Gestalt 
von  warzigen  Knollen,  welche  auf  einem  dicken  Stiele  sitzen.  Die  Lid- 
bindehaut mit  ihren  liauhigkeiten  erscheint,  so  lange  der  entzündliche 
Process  noch  rege  ist  und  überhaupt  während  stärkeren  Reizzuständen, 
bald  lebhaft  roth,  bald  dunkler  mit  einem  Stiche  ins  Blaue,  bei  Scorbut- 
kranken  wohl  auch  ins  Purpurbraune.  Späterhin  erblasst  die  hyperämische 
Röthe  und  gewinnt  in  Folge  der  reichlicheren  Ansammlung  von  trüben 
Zellen  an  der  Oberfläche  einen  mehr  rosenrothen,  violetten  oder  schmutzig 
graubräunlichrothen  Farbenton. 

c.  Das  gemischte  Trachom,  welches  von  anderen  auch  als  „katarrhalisch 
entzündliches  oder  blennorrhoisch  entzündliches  Trachom^  beschrieben  wird 
(Sei/z),  ist  die  bei  weitem  häufigste,  die  gewöhnliche  Form  der  Ophthalmia 
granulosa.  Das  Krankheitsbild  desselben  setzt  sich  aus  den  Erscheinungen 
des    körnigen    und    des  papillären  Trachomes  zusammen.      Der   Papillarbezirk 


Gemischtes,  diffuses  Trachom ;  Ilypertrophirte  Bindehautfalten.  453 

ist  merklich  geschwellt,  etwas  aufgelockert  und  dicht  besetzt  von  papillösen 
Auswüchsen,  welche  jene  des  reinen  papillären  Trachoms  in  der  Regel  bei 
weitem  an  Grösse  übertreffen  und  durch  ihre  breitere  Basis,  durch  die 
mehr  kolbige  Gestalt  und  durch  ihre  Neigung,  gegenseitig  zu  verschmelzen, 
oft  schon  Uebergänge  zur  diffusen  Form  der  Granulationen  bilden.  Der 
Uebergangstheil  drängt  sich  bei  Umstülpung  der  Lider  in  Gestalt  eines 
länglichen  Wulstes  hervor,  an  dessen  Oberfläche  der  Länge  nach  in  lleihen 
geordnet  die  trachomatösen  Körner  sitzen.  Doch  haben  dieselben  keines- 
wegs immer  das  charakteristische  froschlaichähnliche  Ansehen ,  wie  beim 
reinen  körnigen  Trachome.  Im  Gegentheile  erscheinen  sie  in  der  Regel 
viel  weniger  entwickelt  und  werden  darum  leicht  übersehen.  Sie  stellen 
vermöge  ihrer  dichten  Aneinanderreihung  schmale,  parallel  hinter  einander 
lagernde  und  wenig  erhabene,  der  hyperämischen  Basis  gleichfarbige  Wülste 
oder  Leisten  dar,  an  deren  Oberfläche  seichte  und  in  gleichen  Abständen 
sich  wiederholende  quere  Einkerbungen  die  Grenzen  der  einzelnen  Körner 
andeuten.  Doch  stechen  in  diesen  Wülsten  sehr  häufig  schon  einzelne 
Körner  durch  ihre  blasse  Farbe  sowie  durch  ihre  grössere  Durchscheinbar- 
keit  und  durch  bedeutenderen  Umfang  heraus,  ja  nicht  selten  findet  man 
jene  Längswülstchen  fast  durchgehends  aus  solchen  diaphanen  und  deut- 
licher abgegrenzten  Körnern  zusammengesetzt  und  von  einzelnen  grossen 
wahrhaft  froschlaichähnlichen  Körnern  durchstreut.  Ein  Ueberwiegen  dieser  völlig 
entwickelten  froschlaichähnlichen  Körner,  oder  eine  ausschliessliche  Zusammen- 
setzung der  Wülste  aus  Erhabenheiten  der  letzteren  Art  gehört  jedoch  bei 
dem  gemischten  Trachome  zu  den  seltenen  Vorkommnissen.  In  letzterem 
Falle  tritt  die  Injection  gleichwie  beim  reinen  körnigen  Trachome  im 
Uebergangstheile  etwas  zurück.  Sonst  erscheint  die  Uebergangsfalte  und 
die  Conjunctiva  tarsi  in  der  Regel  nahezu  gleichmässig  geröthet.  Der 
Farbenton  ist  je  nach  der  jeweiligen  Intensität  des  Processes  bald  hell 
bald  dunkel  blutroth,  bald  mit  Grau  gemischt,  rosa,  violett  oder  ins 
Bläuliche  spielend. 

d.  Das  diffuse  Trachom  ist  als  ein  höherer  Entwicklungsgrad  des 
gemischten  Trachoms  aufzufassen  und  erscheint  durch  die  Massenhaftigkeit 
der  Neubildung  in  und  auf  der  Conjunctiva  sowie  durch  die  sehr  auf- 
fällige Mitleidenschaft  des  Knorpels,  der  äusseren  Lidhaut  und  der  C!ornea 
ausgezeichnet.  Der  Tarsalbezirk  ist  mächtig  geschwellt ,  aufgelockert, 
schwammig  und  bis  nahe  an  die  innere  Lidlefze  bedeckt  mit  diffusen  Gra- 
nulationen,  welche  ganz  unregelmässige,  durch  tiefe  Rinnen  von  einander 
getrennte,  oberflächlich  sammtartig  rauhe  oder  zottig  filzige,  bisweilen 
hahnenkammähnliche ,  den  Fleischwärzchen  oder  breiten  Condylomen 
gleichende  Neubildungen  darstellen.  Der  Uebergangstheil  ist  mächtig  aufge- 
trieben und  dicht  besetzt  mit  trachomatösen  Körnern,  welche  gleich  wie 
beim  gemischten  Trachome  in  Bezug  auf  Grösse,  Diaphanität,  Farbe  u.  s.  w. 
mannigfach  wechseln. 

Eine  besondere  Erwähnung  verdient  das  öftere  Zustandekommen  mächtiger 
DuppUcaturen  im  hypertrophirten  Uebergangstheile  (Amvion).  Es  finden  sich  derlei 
Falten  gelegentlich  an  jeder  Stelle  des  Uebergangstheiles,  obgleich  sie  in  der  Mehr- 
zahl der  Fälle  nur  eine  Vergrösserung  der  Plica  semilunaris  darstellen.  Nicht  selten 
haben  sie  bei  einer  Länge  von  einem  Zolle  eine  Breite  von  mehreren  Linien  und 
erreichen  ganz  gewöhnlich  eine  sehr  ansehnliche  Dicke.  Sie  überdecken  gleich 
einem    dritten  Lide    einen   grossen  Theil    der    vorderen  Bulbusoberfläche.     In    den 


454  Trachom;  Krankheitstild ;  Nebenerscheinungen. 

ersten  Stadien  des  Trachomes,  so  lange  das  subconjunctivale  Gewebe  noch  sehr 
geschwollen  ist,  findet  man  derlei  Falten  kaum  jemals,  wenigstens  nicht  in  der 
angegebenen  Grösse.  Es  scheint,  dass  bei  ihrer  Bildung  die  Schrumpfung  des  Sub- 
conjunctivalgewebes  von  Belang  sei. 

B.  Das  Bild  des  Trachoms  vervollständigt  sich  durch  eine  Eeihe 
von  ki'ankhaften  Erscheinungen  untergeordneten  Ranges,  welche  allen  oder 
mehreren  der  einzelnen  Formen  gemeinschaftlich  sind. 

Die  halbmondförmige  Falte  und  Carunkel  finden  sich  allenthalben  stark 
gewulstet  und  geröthet.  Bei  höhergradigem  körnigen  und  beim  gemischten, 
so  wie  beim  diffusen  Trachome  ist  erstere  oft  dicht  besetzt  mit  froschlaich- 
ähnlichen Körnern. 

Die  Augapfelbindehaut  vei'hält  sich  beim  körnigen  und  beim  reinen 
papillären  Trachome  nicht  selten  während  dem  ganzen  Verlaufe  der  Krank- 
heit ziemlich  normal  oder  zeigt  höchstens  vorübergehend  einige  Gefäss- 
einspritzung.  Bei  hochgradigem  körnigen  Trachome  gewinnt  sie  bisweilen  in 
den  späteren  Stadien  ein  ganz  eigenthümliches  wachsartiges  Aussehen  und 
führt  in  der  dem  Uebergangstheile  nahe  stehenden  Zone  froschlaichähnliche 
Körner.  Beim  gemischten  und  vornehmlich  beim  diffusen  Trachome  erscheint 
sie  anfänglich  in  der  Hegel  dicht  injicirt,  oft  sogar  gleichmässig  und  lebhaft 
geröthet,  durch  seröses  Infiltrat  geschwellt,  ja  häufig  im  eigentlichen  Wort- 
sinne chemotisch.  Mit  der  Abnahme  der  Intensität  des  Pi'ocesses  sinkt 
jedoch  in  den  meisten  Fällen  die  Geschwulst  rasch,  die  gleichmässige 
Röthe  löst  sich  bald  in  ein  schütteres  Gefässnetz  auf  und  auch  dieses 
schwindet  endlich ,  so  dass  die  Augapfelbindehaut  zeitweilig  ganz  normal 
aussieht  und  nur  durch  ihre  ausserordentliche  Neigung  zu  Congestivzuständen 
den  pathologischen  Zustand  der  Gefässe  bexirkundet.  Bei  diffusen  Formen 
kömmt  es  übrigens  auch  bisweilen  vor,  dass  sie  nach  dem  Sinken  der 
Geschwulst  durch  schwammige  Auflockerung  und  durch  merkliche  Ver- 
dickung einen  nicht  unbedeutenden  Grad  von  Hypertrophie  erkennen  lässt. 

Die  Secretion  ist  im  Ganzen  stets  vermehrt.  Im  Beginne  des  Leidens 
überwiegt  gemeiniglich  die  Thränenausscheidung,  das  Product  ist  ein  wässe- 
riges. Beim  körnigen  Trachome  bleibt  es  dies  oft,  so  lange  der  Process  läuft, 
doch  sind  die  Thränen  etwas  klebrig  und  haben  einen  Stich  ins  Gelbliche. 
Bei  den  übrigen  Formen  mischen  sich  alsbald  kleine  Flocken  trüben 
Schleimes  bei  und  diese  mehren  sich  rasch,  so  dass  die  Absonderung  jener 
eines  heftigen  acuten  Katarrhes  und  zeitweilig  selbst  einer  Blennorrhoe 
gleicht.  In  den  späteren  Stadien,  nachdem  der  Process  in  den  chronischen 
Verlauf  eingebogen  hat ,  nimmt  es  wieder  an  Menge  ab ,  wird  trüb 
schleimig,  wie  bei  einem  chronischen  Katarrhe.  Oft  klagen  dann  die  Kranken 
wohl  auch  über  zeitweilige  höchst  lästige  Trockenheit  des  Bindehautsackes. 

Die  Lider  sind  bei  grosser  Heftigkeit  des  Wucherungsprocesses,  also 
vornehmlich  im  Beginne  der  höhergradigen  Formen,  häufig  leicht  geröthet 
und  mehr  weniger  geschwollen,  nicht  selten  auch  gleich  der  Conjunctiva 
im  wahren  Wortsinne  chemotisch.  Nimmt  weiterhin  die  Intensität  der  Ent- 
zündung ab,  so  sinkt  auch  die  Geschwulst  und  die  normale  Färbung  kehrt 
zurück.  Doch  bleibt  die  Beweglichkeit  etwas  beschränkt.  Namentlich  gilt 
dies  vom  oberen  Lide,  dessen  Rand  immer  merklich  tiefer  steht,  selbst  bei 
niederen  Gx'aden  des  Leidens,  so  dass  die  Lidspalte  etwas  verengert  erscheint. 
Es  stellt  sich  nämlich  die  Schwellung  des  üebergangstheiles  der  Bindehaut 
dem  Zuge    des  Aufhebemuskels    hinderlich    in    den    Weg.    Bei    den    höher- 


Veränderungen  der  Lider,  des  Knorpels;  Sehstörnngen ;  Complicationen.  4oO 

gradigen  Formen  des  körnigen,  so  wie  beim  gemischten  und  vorzüglich  beim 
diffusen  Tnicliome  kömmt  duzu  Jioch  die  entzündliche  Theilnahme  des  Knorpels. 
Es  schwillt  dieser  an,  lockert  sich  auf,  verliert  an  Resistenz  und  wird 
unter  dem  Drucke,  welchen  er  von  Seite  der  Bindehautgeschwulst  auszu- 
halten hat,  leicht  ausgedehnt,  in  der  Richtung  der  Lidspalte  verbreitert, 
so  dass  sich  die  Lidründer  verlängern.  War  die  Conjunctivalgeschwulst  eine 
chemotische  und  nimmti  diese  rasch  ab ,  was  beim  diffusen  Trachome  oft 
geschieht,  so  passen  die  Augendeckel  nicht  mehr  an  den  Bulbus.  Das 
obere  Lid  hänart  schlaff  hei-ab  und  deckt  häufig  einen  Theil  des  unteren. 
Das  letztere  aber  steht  vom  Augapfel  ab ,  oder  senkt  sich  gar  seiner 
eigenen  Schwere  folgend  nach  abwärts,  ja  stülpt  sich  förmlich  um  und 
bringt  so  die  granulirende  Lidbindehaut  zum  Vorscheine ,  ein  Zustand, 
welchen  man  Ectropium  litxurians  benannt  hat. 

Bei  hochgradigem  k'miiigen  Trachome  äussern  die  Meihovi'schen  Drüsen  bis- 
weilen ihre  Mitleidenschaft  durch  bedeutende  Anschwellung  der  nächsten  Umge- 
bung ihrer  Mündungen  und  durch  daheriges  Hervortreten  derselben  in  Gestalt  von 
Körnern,  welche  denen  des  Uebergangstheiles  völlig  gleichen  und  die  innere  Lid- 
lefze dicht  gedrängt  unter  gegenseitiger  Abplattung  besetzen. 

Das  Sehvermögen  ist  meistens  etwas  beeinträchtigt.  Trübsehen  ist  eine 
ganz  gewöhnliche  Erscheinung,  besonders  des  Morgens  nach  dem  nächt- 
lichen Schlafe.  Ausserdem  sind  die  Augen  sehr  reizbar,  sie  reagiren  sehr 
heftig  auf  jede  äussere  Schädlichkeit,  insbesondere  auf  Rauch,  Staub, 
Wind,  unreine  Luft,  grelles  Licht  und  vertragen  durchaus  keine  Anstren- 
gung. Lesen,  Schreiben  und  jede  feinere  Ai'beit,  namentlich  bei  künstlicher 
Beleuchtung,  erregt  höchst  unangenehme  Gefühle,  bedingt  eine  auffällige 
Steigerung  der  Hyperämie  und  Secretiou  und  fördert  wohl  auch  die  Ge- 
webswucherung. 

Das  Trübsehen  rührt  her  einerseits  von  der  schleimigen  Absonderung  der 
Bindehaut,  andererseits  von  der  Verstärkung  des  Epithellagers  auf  der  Cornea. 
Die  letztere  scheint  wieder  abhängig  zu  sein  theils  von  vermehrter  Bildung,  theils 
von  verminderter  Abstossung  als  Folge  der  Beschränkung  des  Lidschlages. 

Häufig  pflanzt  sich  auch  der  Process  auf  die  Hornhaut  fort  und 
stellt  sich  in  deren  Bereiche  unter  der  Form  einer  Keratitis  vascularis  dar, 
die  späterhin  zum  Pannus  trachomatosus  führt,  bisweilen  wohl  auch  durch 
Verminderung  der  Resistenz  des  Hornhautgefüges  eine  Ausdehnung  der 
Cornea  mit  deren  höchst  missliebigen  Folgen,  eine  Ectasia  ex  panno, 
bedingt. 

Complicationen.  Ausser  jenen  Complicationen,  welche  das  Trachom 
mit  der  Blennorrhoe,  der  Syndesmitis  diphtherica  und  membranosa  eingeht,  und 
welche  eigentlich  keine  Complicationen  sind,  sondern  nur-  Blennorrhöen  etc., 
bei  denen  die  erkrankte  Bindehaut  gleiclizeitig  unter  der  Gestalt  eines 
Trachoms  hypertrophirt :  ist  besonders  die  Complication  mit  dem  herpetischen 
Processe  zu  erwähnen ,  da  diese  sehr  häufig  ist  und  ganz  bedeutend  die 
therapeutischen  Indicationen  ,  theilweise  wohl  auch  den  Verlauf  und  die 
Ausgänge  beeinflusst.  (S.  74.  8).  Es  kündigt  sich  eine  solche  Complication 
immer  durch  starke  Injection  der  episcleralen  Geflissnetze  und  der  Binde- 
haut, durch  Schmerzen  und  Lichtscheu,  durch  Thränenfluss  und  häufig 
auch  durch  Lidkrampf  an.  Diese  Erscheinungen  bestehen  dann  in  der 
Regel  fort,  bis  der  herpetische  Process  als  solcher  abgelaufen  ist.  Mcht 
selten  führen  öfters  recidivirende  herpetische  Processe  zum  Pannus  herpeticus 


456  Trachom;  Ursaclien;  Ansteckung:  En-  und  Epidemien. 

der  Bindehaut  und  der  Cornea,  oder  aber  es  entwickeln  sich  auf  dem  Boden 
herpetischer  Efflorescenzen  ausgebreitete  Hornhautgeschwüre, 

Ursachen.  Es  liegt  nichts  vor,  was  das  Trachom  als  den  örtlichen 
Ausdruck  eines  allgemeinen  Leidens  ansehen  liesse.  A^ielmehr  deutet  alles 
darauf  hin,  dass  dasselbe  ein  rein  örtliches  Leiden  darstelle  und  stets  durch 
äussere,  den  Bindehautsack  selbst  treffende  Schädlichkeiten  veranlasst  werde. 
Diese  Schädlichkeiten  sind  dieselben,  welche  als  Gelegenheitsursachen  des 
Katarrhes,  der  Blennorrhoe  u.  s.  w.  aufgeführt  wurden.  Warum  in  einem 
Falle  diese,  in  einem  anderen  jene  Form  der  Bindehautentzündung  ver- 
anlasst wird,  ist  nicht  vollständig  aufgeklärt.  Doch  dürfte  es  kaum  gefehlt 
sein,  anzunehmen,  dass  häufigere  oder  gar  ununterbrochene  Einwirkung  von 
I^oxen  durch  Unterhaltung  eines  gewissen  Eeizungszustandes  die  Neigung 
zur  Hypertrophie  erzeuge  und  so  mache,  dass  der  Wucherungsprocess,  ein- 
mal ausbrechend,  in  der  gleichsam  vorbereiteten  Bindehaut  sich  zum  Trachome 
gestaltet.  Es  steht  damit  recht  gut  im  Einklänge,  dass  Orte,  in  welchen 
eine  grosse  Menge  von  Menschen  zusammenlebt,  und  wo  die  Eeinlichkeit 
und  Lüftung  nicht  in  dem  erforderlichen  Masse  gehandhabt  wird ,  die 
meisten  Fälle  liefern  (Cunier^^  während  Individuen,  welche  nur  zeitweise, 
nach  längeren  Zwischenpausen  und  relativ  kurze  Zeit  solchen  Einflüssen 
sich  aussetzen,  seltener  am  Trachome  erkranken  und  statt  dessen  gewöhnlich 
einen  Katarrh,   eine  Blennon-hoe  etc.   davon  tragen. 

Die  wichtigste  Eolle  spielt  die  Ansteckung.  Die  Zahl  der  durch  sie 
bedingten  Fälle  ist  jedenfalls  überwiegend,  namentlich  an  Orten,  an 
welchen  eine  grosse  Menge  Menschen  beisammen  lebt,  in  vielfache  gegen- 
seitige Berührung  kömmt ,  oder  wohl  gar  auf  die  gemeinschaftliche 
Benützung  der  Geräthe  zur  Körperreinigung  angewiesen  ist ,  wie  dieses 
in  Casernen,  Arbeitshäusern ,  Herbergen  u.  s.  w.  der  Fall  zu  sein  pflegt. 
Ist  in  solchen  Anstalten  durch  äussere  SchädKchkeiten  einmal  eine  Anzahl 
von  Individuen  trachomatös  erkrankt  und  werden  diese  nicht  sorgfältig 
von  den  Gesunden  getrennt,  so  steigert  sich  in  Folge  der  gegenseitigen 
Ansteckung  das  procentarische  Verhältniss  der  Erkrankungen  in  der  Eegel 
sehr  rasch  und  so  wird  die  Contagion  ein  gewichtiger  Factor  in  der  Ent- 
wickelung  ixnd  Ausbreitung  von  Endemien  und  Epidemien,  wie  selbe  seit 
Jahrzehenden  zu  einer  ständigen  Plage  geworden  sind.  In  gleicher  Weise 
erklären  sich  durch  die  Ansteckungsfähigkeit  des  Trachoms  die  neuerer 
Zeit  so  zahlreich  vorkommenden  Beispiele  von  Verschleppung  der  Krankheit 
aus  den  Brutstätten  derselben  auf  Glieder  einer  Familie  oder  auf  ganze 
Hausgenossenschaften ,  deren  Verbreitung  über  Ortschaften  und  Gegenden, 
welche  vordem  völlig  frei  waren  und  den  das  Trachom  primär  erzeugen- 
den Schädlichkeiten  nicht  ausgesetzt  sind. 

Als  Träger  des  Ansteckungsstoffes  kann  nur  das  eitrige  und  schleimig- 
eitrige Secret  des  trachomatösen  Bindehautsackes  aufgefasst  werden.  Das 
wässerige  Secret  des  reinen  körnigen  Trachoms,  sowie  das  trübschleimige, 
der  Eiterelemente  völlig  entbehrende  Product  veralteter,  papillärer,  gemischter 
und  diffuser  Trachome  ist  kaum,  oder  doch  nur  in  sehr  geringem  Grade 
ansteckend.  Dagegen  ist  die  ansteckende  Kraft  des  Bindehautsecretes  eine 
um  so  bedeutendere ,  je  mehr  dasselbe  dem  Eiter  ähnelt  und  je  intensiver 
während  seiner  Absonderung    die  Entzündung  als  solche  erscheint. 

Es  muss  hierbei  jedoch  bemerkt  werden,  dass  aus  einer  solchen  Uebertra- 
gung  des  trachomatösen  Secretes  durchaus  nicht  immer  ein   Trachom  resultirt,    son- 


Verbreitung  durch  die  Luft;  VBrlauf;  rrimüres  Trachom.  457 

dem  bisweilen  anch  ein  reiner  Katarrh,  eine  Blennorhoe;  dass  aber  andererseits 
wieder  das  Secret  eines  reinen  Katarrhes,  einer  reinen  Blennorrhoe,  ja  selbst  das 
Product  eines  Genitalicntrippers,  auf  die  Conjunctiva  gebracht,  nicht  ntir  eine 
Blennorrhoe,  sondern  auch  ein  gemischtes  oder  ditt'uses  Trachom  5su  erzeugen  im 
Stande  sei. 

Es  ist  bisher  kein  genügender  Grund  vorhanden ,  die  Ansteckung 
anders,  als  durch  unmittelhare  Berührung  der  Conjunctiva  mit  dem  contagiösen 
Secrete  selbst  ermöglicht  zu  denken.  Eine  Ansteckung  durch  die  Luft,  als 
die  Trägerin  fein  vertheilter  dunstförmiger  Partikelchen  des  ansteckenden 
Secretes,  ist  zwar  nicht  unmöglich ;  allein  sie  ist  auch  nicht  erwiesen ;  ja 
nicht  einmal  genug  wahrscheinlich  gemacht  worden   (S.   429). 

Wäre  die  L7ift  der  Träger  des  Contagiums,  so  müsste  beim  Militär  das 
procentarische  Verhältniss  der  erkrankten  Chargen  dem  der  erkrankten  gemeinen 
Mannschaft  das  Gleichgewicht  halten.  Jenes  ist  aber  unvergleichlich  kleiner  als 
dieses. 

Man  glaubt,  dass  Kinder  unter  5  Jahren  dem  Trachome  nicht  unterworfen 
seien.  Vom  reinen  körnigen  Trachome  mag  dieses  gelten,  das  papilläre,  gemischte 
und  diffuse  ist  jedoch  bei  Kindern  dieses  Alters  nicht  ganz  selten.  Audi  Individuen 
von  mehr  als  50  Jahren  sind  nicht ,  wie  Manche  meinen ,  frei  von  der  Gefahr  der 
trachomatösen  Erkrankung.  Jedoch  ixnterliegt  es  keinem  Zweifel,  dass  das  Mannes- 
alter, von  20 — 40  Jahren  gerechnet,  das  grösste  Contingent  liefere  und  dass  das 
männliche  Geschlecht,  ganz  abgesehen  vom  Militär,  im  Verhältnisse  zum  weihlichen 
weit  mehr  leide.  Deu  Grund  dessen  wird  Jeder  leicht  einsehen ,  welcher  die  ge- 
wöhnlichen Ursachen  des  Trachoms  auch  nur  flüchtig  betrachtet. 

Verlauf.  Das  Trachom  ist  ein  im  engsten  Wortsinne  chronisches  Leiden. 
Doch  ist  die  Art  des   Verlaufes  eine  überaus  wechselvolle. 

1.  Schon  die  Art  und  Weise,  in  welcher  sich  das  Trachom  eniiü/cAeZi, 
ist  in  verschiedenen  Fällen  eine   sehr  verschiedene. 

a.  Bei  Individuen,  welche  vermöge  ihrer  Lebensverhältnisse  häufig 
oder  gar  ununterbrochen  Bindehautreizungen  ausgesetzt  sind,  geschieht  es 
nicht  selten,  dass  sich  anscheinend  ganz  geringfügige  Katarrhe  öfters  und  in 
kurzen  Zwischenzeiten  wiederholen,  immer  aber  wieder  spontan  oder  mit 
ärztlicher  Hilfe  zurückgehen.  Je^der  dieser  Anfälle  fügt  einige  Körner 
und  Granulationen  zu  den  bereits  vorhandenen  hinzu ,  bis  endlich  die 
Erscheinungen  dei?  Trachomes  ausgesprochen  sind. 

6.  In  anderen  Fällen  glaubt  man  anfänglich,  es  mit  einem  heftigeren 
Katarrhe,  einem  Herpes  oder  dergl.  zu  thun  zu  haben.  Diese  ziehen  sich 
aber  in  die  Länge,  schwanken  zwischen  Exacerbationen  und  Remissionen ; 
während  dem  treten  allmäüg  die  trachomatösen  Excrescenzen  hervor  und 
vergrössern  sich  mehr  und  mehr,  bis  endlich  die  Symptome  des  Trachoms 
die  Oberhand  gewinnen. 

c.  Sehr  oft  entwickelt  sich  das  Trachom  acut  und  selbständig.  Plötz- 
lich injicirt  sich  unter  lästigen  Gefühlen  oder  Schmerzen  die  Bindehaut, 
die  Seitentheile  der  Conjunctiva  bulbi  lassen  ein  grobmaschiges  Gefässnetz 
herausblicken,  während  sie  gleichzeitig  ödematös  anschwellen.  Die  Binde- 
hauthyperämie nimmt  unter  rascher  Steigerung  der  subjectiven  Erscheinun- 
gen und  unter  Absonderung  einer  mit  eitrigschleimigen  Flocken  durch- 
mischten reichlichen  Menge  von  Thränen  rasch  zu.  Schon  innerhalb  weniger 
Stunden  oder  Tage  ist  sie  allgemein  geworden.  Die  Lider  sind  geröthet, 
namentlich  um  den  Lidrand  herum  ödematös  augeschwollen,  gegen  Druck 
empfindlich,  schwer  beweglich  und  darum  die  Lidspalte  verengt  oder  gar 
geschlossen.     Untersucht  man   jetzt  die    Bindehaut,     so    ist  die  Rauhigkeit 


4o8  Trachom;  Verlauf;  Atisgänge. 

derselben  schon    ganz  deutlich    ausgesprochen  und    binnen   Kurzem  ist  das 
Trachom  zu  hohen  und  höchsten  Entwickelungsgraden  gediehen. 

d.  Das  gemischte  und  diffuse  Trachom  kommt  häufig  auch  während 
dem  Verlaufe  einer  Blennorrhoe,  einer  Syndesmitis  diphtherica  oder  membra- 
nosa  zu  Stande.  Oft  macht  sich  die  trachomatöse  Gewebswucherung  schon 
in  dem  ersten  Stadium  dieser  Processe  geltend ;  öfter  jedoch  treten  die 
Rauhigkeiten  der  Bindehautoberfläche  erst  während  dem  Höhestadium 
hervor,  welches  dann  ungewöhnlich  lange  zu  dauern  pflegt.  Nicht  selten 
werden  die  Köi'ner  und  Granulationen  aber  erst  bemerklich,  wenn  jene 
Processe  bereits   entschieden  in  Ahnahme  begriffen  sind. 

2.  Weiterhin  vermindert  sich  die  Intensität  der  entzündlichen  Symptome 
und  es  macht  sich  die  Erschlaffung  der  Theile  in  sehr  auffalliger  Weise 
geltend.  Dabei  findet  ein  fortwährendes  Schwanken  zwischen  heftigeren 
Eeizzuständen  und  zwischen  Nachlässen  statt,  welche  letztere  in  minder 
hochgradigen  Fällen  oft  so  bedeutend  sind ,  dass  der  Kranke  sich  kaum 
krank  fühlt  und  nur  durch  die  zeitweise  Trübung  des  Gesichtes  sowie 
durch  die  Unverträglichkeit  selbst  leichter  ßeizeinwirkungen  belästigt  wird. 
In  dieser  Weise  besteht  das  Trachom  viele  Monate  und  auch  Jahre,  ohne 
sich  wesentlich  zu  verändern,  bis  es  endlich  heilt,  oder  seinen  ständigen 
Entwickelungsformen  zuschreitet,  oder  unter  dem  Einflüsse  einer  neuen 
Schädliclikeit  plötzlich  einen  Aufschwung  nimmt  und  wieder  in  mehr 
acuter  Form  hervortritt. 

Ausgänge.  1.  Das  Trachom  jeglicher  Form  kann  spontan  heilen.  Der 
Weg  dazu  ist  für  die  Körner  die  Resorption,  niemals  die  Vereiterung;  für 
die  papillären  und  diffusen  Granulationen  aber  die  fortgesetzte  Abstossung 
ihrer  oberflächlichen  epithelialen  Strata  und  die  Rückbildung  und  Aufsaugung 
der  im  Parenchyme  der  einzelnen  Bindehautbezirke  neugebildeten  Elemente. 

Bei  Kindern  ist  die  Aussicht  auf  spontane  und  vollständige  Heilung 
am  grössten ;  s^elbst  diffuse  hochgradige  Trachome  gehen  bei  Individuen 
dieser  Altersclasse  öfters  in  verhältnissmässig  kurzer  Zeit,  innerhalb  weniger 
Wochen  oder  Monate,  wieder  zurück,  ohne  üble  Folgen  zu  hinterlassen. 
Bei  Erwachsenen  darf  man  auf  diesen  Ausgang  weniger  hoffen.  Nicht  ver- 
altete Trachome  niederer  Entwickelungsgrade  heilen  bei  diesen  wohl  auch 
nicht  selten  von  selbst ,  bedürfen  hierzu  aber  immer  Monate  lange  Zeit 
und  setzen  voraus,  dass  der  Kranke  unter  vollkommen  günstige  Verhält- 
nisse gesetzt  und  den  das  Trachom  begründenden  Ui'sachen  entrückt  werde. 
Höhergradige  gemischte  und  diffuse  Trachome  heilen  bei  Erwachsenen  nur 
sehr  ausnahmsweise  spontan;  in  der  bei  weitem  grösseren  Mehrzahl  der 
Fälle  kömmt  es,  wenn  nicht  eine  rationelle  Behandlung  eingeleitet  wird, 
zu  ständigen  Verbildungen  der  Bindehaut ,  wohl  auch  der  Lider  und  der 
Hornhaut,  welche  die  Functionstüchtigkeit  der  Augen  mehr  minder  beein- 
trächtigen oder  gar  in  Frage  stellen.  Es  obsolescirt  nämlich  das  hyper- 
trophische Gefüge,  wird  dichter  und  verwandelt  sich  endlich  in  ein 
trockenes  blutarmes  sehnenähnliches  Gewebe,  indem  es  gleichzeitig  bedeutend 
an  A'olum  abnimmt,  zusammenschrumpft. 

a.  Die  papillären  Granulationen  verkleinern  sich  in  Folge  dessen  sehr 
bedeutend,  ohne  ihre  eigenthümliche  Form  aufzugeben.  Sie  werden  dabei 
sehr  blass,  graulich  trüb,  oder  wohl  auch  durchscheinend  und  farblos  nach 
Art    unreinen    Glases ,    ausserdem    aber   bisweilen    so    hart ,    dass  sie  beim 


Narbige  Entartung  der  Bindehaut.  459 

Darüberfahren  mit  einem  harten  Körper  ein  deutliches  Reibnngsgeräusch 
erregen.  Die  Lidbindehaut,  auf  welolier  sie  stehen,  erscheint  dann  eben- 
falls blass  gelbgrau  oder  röllilichgrau,  nur  von  einzelnen  stärkeren  Ge- 
fässen  durchsponnen ,  sehr  derb  und  i-esistent;  ihre  Empfindlichkeit  ist 
merklich  verringert,  die  Secretionsfähigkeit  ist  aber  fast  gänzlich  vernichtet. 
In  Polge  dessen  haben  derlei  Kranke  sehr  viel  von  der  Trockenheit  des 
Bindchautsackes  zu   leiden. 

b.  Bei  seh'  hochgradig  entwickeltem  gerniscMen  und  namentlich  hv'nw 
diffusen  Trachome,  wo  die  Gewebswucherung  sich  immer  in  der  ganzen 
Dicke  der  Lidbindehaut  sehr  autfällig  macht,  geht  nicht  selten  der  Papillar- 
bezirk  theilweise   oder  ganz  in  schrumpfendem   Narbengeivebe  unter. 

Diese  Narben  stellen  sich  gewöhnlich  als  sehnig  glänzende  weiss- 
graue  Streifen  dar,  welche  sich  nach  den  verschiedensten  llichtungen  hin 
verzweigen  und  auf  diese  Weise  ein  bald  grob-,  bald  feinfädiges  Netz  bilden, 
welches  im  Gefüge  der  Bindehaut  seilest  eingewebt  ist,  diese  ihrer  ganzen 
Dicke  nach  durchsetzt  und  selbst  wohl  mit  der  Knorpeloberfläche  in  Ver- 
bindung steht.  In  den  Maschen  dieser  üSTetze  findet  man  noch  lockeres 
rothes  oder  gelbgrauliches  Gefüge,  ja  nicht  selten  erhebt  sich  dasselbe  in 
Gestalt  von  Fleischwärzchen  über  die  Bindehautoberfläche.  In  der  Mitte 
der  Lidbindehaut  kommen  diese  sehnigen  Streifen  am  häufigsten  vor  und 
erreichen  daselbst  auch  gewöhnlich  die  grösste  Stärke. 

In  anderen  Fällen  trifft  man  am  Tarsaltheile  sehnige  glänzende  und 
weissliche  Flecke  mit  strahligen  oder  wolkigen  Umrissen ,  welche  in  der 
Regel  einen  fettigen  Beschlag  zeigen ,  in  Folge  dessen  auch  kein  Wasser 
annehmen,  sondern  die  Thränen  darüber  fliessen  lassen,  ohne  benetzt  zu 
werden.  Sie  kommen  sowohl  allein  vor,  als  in  Begleitung  netzförmig  ver- 
strickter Narben,  lagern  entweder  ganz  oberflächlich,  oder  greifen  auch  in 
die  tieferen  Schichten  und  hängen  dann  durch  sehnige  Ausläufer  mit  dem 
Knorpel  zusammen.  In  einzelnen  Fällen  stösst  man  auf  ausgebreitete  der- 
artige Narbenflecke,  in  deren  Bereich  das  Conjunctivalgewebe  gänzlich 
fehlt,  indem  sie  mit  ihrer  vorderen  Fläche  dem  Knorpel  breit  anhaften  und 
gleichsam  in  Eins  mit  demselben  verschmelzen.  Bisweilen  ist  der  gesammte 
Papillarbezirk  der  Bindehaut  in  dieser  Weise  verödet. 

Auch  fehlt  es  nicht  an  Fällen,  in  welchen  solche  Narbenflecke  sich 
ungleichmässig  zusammengezogen  haben  zu  harten  knorpeligen  Wülsten  mit 
strahlig  verzweigten,  dicken,  sträng-  und  blattähnlichen  Ausläufern,  welche 
um  ein  Bedeutendes  über  die  umgebende  Bindehaut  hervorragen  und 
letztere  in  unregelmässige  Falten  werfen.  Doch  gehören  diese  strahligen 
dicken  Narben  kaum  dem  trachomatösen  Processe  als  solchem  an,  sondern 
dürften  in  der  Regel  durch  allzustarke  und  tiefgreifende  Aetzungen  mit 
Höllenstein  in  Substanz  begründet  werden. 

c.  Im  Uebergangstheile  machen  sich  sowohl  beim  reinen  körnigen,  als 
beim  gemischten  und  diffusen  Trachome  ähnliche  Veränderungen  geltend. 
In  Folge  der  Obsolescenz  des  wuchernden  Gefüges  flachen  sich  die  Körner 
allmälig  ab ,  verschwinden  wohl  auch  ganz  itnd  am  Ende  erscheint  der 
Uebergangstheil  ganz  glatt  und  merklich  dichter,  bei  vorausgegangener 
massenhafter  Wucherung  auch  fühlbar  derber  und  autfallend  weiss ,  bis- 
weilen selbst  ganz  sehnenartig  und  nur  von  einzelnen  in  grobmaschigen 
Netzen    verzweigten  Gefässen    durchsponnen    oder    ganz    gefässlos,    er   hat 


460  Trachom;  Ausgänge;  Narbige  Entartung  der  Bindehaut;  Syrahlepharon  posterius. 

aufgehört  schleimhäutig    zu    sein  und    ist,    oberflächlich    wenigstens ,    fibrös 
geworden. 

Es  betrifft  diese  Metamorphose  oft  nur  einzelne  Portionen  des  Ueber- 
gangstheiles;  diese  haben  das  Aussehen,  als  wären  sie  mit  imregelmässig 
geformten  sehnigen  Eladen  überdeckt.  In  anderen  Fällen  ist  der  Ueber- 
gangstheil  seiner  ganzen  Ausdehnung  nach  in  eine  sehnige  gefässarme  oder 
selbst  anscheinend  gefässlose  Haut  verwandelt,  welche  in  Betreff  ihrer 
Flächenausdehnung  weit  gegen  das  Normale  zurücksteht. 

Bei  niederen  Entwickelungsgraden  der  Krankheit  und  bei  mehr  ungleich- 
massiger  Vertheilung  des  schrumpfenden  Narbengewebes  äussert  sich  jene 
Flächenverrainderung  oft  durch  eine  Faltung  des  betreffenden  Conjunctival- 
theiles  in  einer  auf  die  Lidränder  senkrechten  Richtung.  Wenn  der  Augen- 
deckel vom  Bulbus  abgezogen  oder  umgestülpt  wird,  springen  diese  Falten 
sehr  deutlich  hervor  und  man  sieht  und  fühlt  in  ganz  unzweideutiger 
Weise ,  dass  es  dichte  sehnige  Balken  und  hautähnliche  Gebilde  sind, 
welche ,  in  das  Bindehautgefüge  eingebettet  und  in  das  subconjunctivale 
Gewebe  ausstrahlend,  vermöge  ihrer  Kürze  sich  spannen  und  so  die  nach- 
barlichen Bindehauttheile  emporheben.  Meistens  findet  man  mehrere  der- 
artige Falten  in  der  Breite  eines  jeden  Lides,  bisweilen  auch  einzelne 
in  den  Seitenpartien  des  Uebergangstheiles ,  die  dann  besonders  bei  den 
Seitenhewegnngen  des  Bulbus  hervorspringen.  Man  bezeichnet  diese  Falten 
als   den   ersten   Grad   des  sogenannten   Symblepharon  posterius. 

In  Fällen  höchstgradiger  Erkrankung  der  Bindehaut  pflegt  die  Schrum- 
pfung eine  mehr  gleichmässige  zu  werden.  Der  Uebergangstheil  verwan- 
delt sich  seiner  ganzen  Ausdehnung  nach  in  ein  sehnenähnliches  Gefüge, 
verkürzt  sich  und  sein  Grund  rückt  in  Folge  dessen  mehr  heraus.  Die 
Conjunctiva  tarsi  tritt  dann  unmittelbfir  hinter  dem  convexen  Tarsal- 
rande  auf  die  entsprechende  Zone  der  Scleraloberßäche  hinüber ,  oder 
springt  wohl  gar  schon  von  der  Tarsalfläche  selbst  an  den  Bulbus  heran, 
um  dort  als  Scleralbindehaut  sich  auszubreiten.  Jene  charakteristischen 
senkrechten  Falten  fehlen  unter  solchen  Umständen  also.  Man  bezeichnet 
diesen  Zustand  als  den  höheren    Grad  des   Symblepharon  posterius. 

Doch  nicht  immer  ist  diese  Verkürzung  der  Bindehaut  Folge  einer 
Schrumpfung,  Sie  kann  auch  hervorgehen  aus  einer  Verwachsung  der  beiden 
sich  unmittelbar  berührenden  Blätter  des  Uebergangstheiles.  Besonders  häufig 
kommen  solche  Verwachsungen  in  Folge  übermässigen  Aetzens  vor,  wenn 
nämlich  durch  das  Causticum  die  oberflächlichen  Epithellagen  zerstört  und 
so  Wundflächen  der  beiden  Bindehautblätter  in  gegenseitige  Berührung 
gebracht  wurden. 

d.  Es  ist  von  selbst  verständlich,  dass  bei  einer  so  bedeutenden  Ver- 
kürzung des  Bindehautsackes  nicht  allein  der  Uebergangstheil,  sondern 
auch  die  übrigen  Portionen  der  Conjunctiva  an  der  Schrumpfung  bethei- 
ligt sein  müssen.  Dieses  zeigt  sich  denn  auch  ganz  deutlich  an  der  Con- 
junctiva bulbi,  indem  deren  vorderste  Zone,  welche  nicht  auffällig  verkürzt 
erscheint,  ein  eigenthümlich  blasses  und  steifes  Aussehen  gewinnt.  Ver- 
möge der  Obsolescenz  des  sie  zusammensetzenden  Bindegewebes  wird  sie 
nämlich  erstens  gefässärmer  und  zweitens  verliert  sie  ihre  natürliche 
Elasticität,  so  dass  sie  bei  den  Bewegungen  des  Augapfels  sich  in  feine 
concentrische  Falten  zieht. 


Secundäres,  sulziges  Trachom.  461 

e.  Auch  die  Anliän2;Rel  der  Bindehaut,  die  halbmondförmige  Falte  und 
Carunkel,  pflegen  unter  solchen  Verhältnissen  zu  schrumpfen  und  allmälig 
zu  verstreichen,   so   dass  man  sie  scli,wer  mehr  erkennt. 

2.  Mit  der  V'erödung-  des  Conjunctivalgefüges  hat  der  trachomatöse 
Process  innerhalb  der  Grenzen  der  Conjunctiva  sein  natürliches  Endo  ge- 
funden. Während  dieser  Ausgang  sich  vorbereitet,  wechselt  begreitiicher 
Weise  das  Aussehen  der  traciiomalösen  Bindehaut  gar  mannigfaltig.  Be- 
sonders auffällig  macht  sich  unter  solchen  Verhältnissen  in  ziemlich  häu- 
figen Fällen  die  7iachträgliche  Entwickeluvg  frosclilaichähnlicher  Körner,  welche 
einzeln  oder  in  grösserer  Zahl  auf  dem  Uebergangstheile  und  bisweilen 
wohl  auch  auf  der  Conjunctiva  tarsi  zum  ^"orschein  kommen,  theilweise 
wieder  verschwinden  und  anderen  Platz  machen. 

Bei  Kranken  mit  diffusem  oder  gemischtem  Trachome ,  welche  zu 
frühzeitig  aus  der  Behandlung  eoitlassen  wui'den,  erreicht  diese  neue  Gewebs- 
wucherung nicht  selten  einen  sehr  hohen  Grad,  so  dass  das  körnige  Tra- 
chom viel  deutlicher  hervortritt,  als  dieses  vordem  der  Fall  war,  und  bei 
weitem  die  Oberhand  gewinnt  über  die  au  der  Lidbindehaut  nachwach- 
senden (Tranulationen. 

Aber  auch  in  Fällen,  welche  nie  einer  Behandlung  unterzogen  ivurden, 
oder  wo  der  Process  niemals  durch  Mittel  gestört  wurde ,  welche  direct 
und  mit  einiger  Kraft  auf  die  erkrankte  Bindehaut  wirken  konnten,  wird 
oft  nach  und  während  jahrelangem  Bestände  eines  gemischten  oder  diffusen 
Trachoms  eine  fortgesetzte  IS  ach  Wucherung  solcher  Körner  beobachtet.  Die 
Conjunctiva  tarsi  und  der  Uebergangstheil  gewinnen  unter  solchen  Ver- 
hältnissen in  Folge  der  fortdauernden  Gewebswucherung  gerne  ein  eigen- 
thümlich  sulzähnliches  Aussehen,  während  sich  stellenweise  gewöhnlich' 
schon  die  Zeichen  einer  ziemlich  weit  gediehenen  Obsolescenz  geltend 
machen.  In  der  That  findet  man  diese  gelatinöse  Degeneration  der  Binde- 
haut mit  den  eigenthümlichen  Körnern  in  der  Regel  neben  blass  und  hart 
gewordenen  papillären  Granulationen ,  neben  fleck-  oder  netzförmigen 
Narben  der  Lidbindehaut,  neben  Symblepharon  posterius  und  ähnlichen 
Veränderungen  im  Knorpel  und   der  Cornea. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  diese  Körner  zum  Krankheitsbilde  der  späteren 
Stadien  des  gemischten  und  diffusen  Trachoms  gehören.  Es  wäre  unnöthig,  dies  zu 
erwähnen,  wenn  man  sie  nicht  als  den  Ausdrxick  eines  ganz  eigenthümlichen 
Processes  erklärt  hätte ,  dessen  Wurzeln  in  einer  scrophulösen  oder  tuberculösen 
Dyscrasie  zu  suchen  seien  (Arlt).  Betreit's  dieses  letzten  Punktes  ist  nur  zu  be- 
merken, dass  die  in  Rede  stehenden  Veränderungen  der  Bindehaut  auch  bei  robusten 
und  sonst  völlig  gesunden  Individuen  beobachtet  werden  und  dass  das  häufigere 
Vorkommen  derselben  bei  blassen  schwächlichen  imd  anscheinend  frühzeitig  ge- 
alterten Individuen  zum  grossen  Theile  seinen  Grund  habe  in  dem  jahrelangen  Be- 
stände des  Augenleidens,  der  dadurch  bedingten  physischen  und  moralischen  De- 
pression und  insbesondere  in  dem  fortgesetzten  heillosen  Gebrauche  eingreifender 
innerlicher  Mittel. 

3.  Zu  den  Erscheinungen  der  Bindehautschrumpfung  gesellen  sich 
häufig  noch  Veränderungen  der  am  trachomatösen  Processe  Theil  nehmenden 
Organe,   der  Hornhaut  und  Lider. 

a.  Die  Cornea  findet  man  meisthin  in  grösserer  oder  geringerer  Aus- 
dehnung getrübt,  pannös,  bisweilen  wohl  auch  xerotisch,  in  manchen  Fällen 
vorgebaacht,    ectatisch. 

h.  Der  Lidknorpel  leidet  sehr  häufig,  ganz  abgesehen  von  der  tracho- 
matösen   Wucherung    desselben,   durch  fort  und  fort  recidivirende  Entzün- 


462  Trachom;  Ausgänge;  En-  uud  Ectropium;  Knorpelschrumpfung. 

düngen  der  Meibom'schen  Drüsen  (Gerstenkörner).  Im  weiteren  Verlaufe  hoch- 
gradiger Trachome  schrumpft  uud  verkrümmt  er  sich  mannigfaltig,  oder 
zieht  sich  zu  einem  rundlichen  Wulste  mit  abgerundeten  Kanten  zusammen. 
Die  Meibom'schen  Drüsen  sind  dann  oft  zum  grossen  Theile  untergegangen, 
zum  Theile  aber  auch  nach  Verschluss  ihrer  Ausführungsgänge  in  unregel- 
mässige ,  mit  einer  bröckeligen  oder  flüssigen  Masse  erfüllte  Hohlräume 
(Chalazien)   umgewandelt  worden. 

c.  Die  Lidränder  sind  häufig  gewulstet,  tylotisch,  mit  Trichiasis  oder 
partieller  Madarosis   behaftet. 

d.  Nicht  selten  kömmt  es  auch  zur  ständigen  Ein-  oder  Auswärts- 
stülpung  der  Lider,  zur  Bildung  von  Entropien  oder  Ectropien.  Das  Entro- 
pium ist  zumeist  eine  Folge  der  sehnigen  Entartung  der  Bindehaut.  Indem 
sich  nämlich  unter  fortgesetzter  Verödung  des  Gefüges  der  Uebergangs- 
theil  und  die  Conjunctiva  tarsi  verkürzen,  wird  die  Lidrandfläche  unter 
Verstreichung  der  inneren  Lefze  nach  einwärts  gegen  den  Bulbus  gekehrt 
und  öfters  sogar  auch  gedehnt,  so  dass  einzelne  Wimpern  aus  der  Reihe 
der  übrigen  heraustreten  und  weitab  von  der  äusseren  Lefze  aus  der  Hand- 
fläche hervorzuwachsen  scheinen.  Die  weitere  Ausbildung  des  Entropium 
wird  fernerhin  wesentlich  begünstiget  durch  die  Lidkrämpfe,  welche  in  dem 
entzündlichen  Stadium  und  während  der  Exacerbationen  des  Processes  bis- 
weilen mit  grosser  Intensität  auftreten  und  bei  etwa  schon  zu  Stande 
gekommener  Einwärtskehrung  der  Wimpern  auch  stetig  unterhalten  werden. 
In  der  allmäligen  Verdichtung  und  Schrumpfung  des  Knorpelgew  eh  es  liegt 
dann  das  Mittel,  diese  V^erkrümmung  ständig  zu  machen.  Doch  genügt  die 
Schrumpfung  des  Tarsus  auch  an  und  für  sich,  um  ein  Entropium  dieser 
Art  zu  begründen. 

Bei  hochgradigen  gemischten  und  namentlich  bei  diffusen  Trachomen, 
welche  in  den  ersten  Stadien  mit  bedeutender  Schwellung  der  Lider  und 
der  Bindehaut  einhergehen,  entwickelt  sich  häufiger  Ptosis  des  oberen  und 
Ectropium  des  unteren  Lides,  mitunter  stülpen  sich  auch  beide  Augendeckel 
nach  auswärts  (S.  433).  Ein  förderndes  Moment  für  das  Ectropium  des 
unteren  Lides  ist  die  Auswärtskehrung  des  Thränenpunktes  und  überhaupt 
die  mangelhafte  Thränenleitung,  welche  sich  schon  bei  ganz  gei'ingfügigen 
Abhebungen  des  unteren  Lidraudes  durch  fortgesetztes  Thränenträufeln 
geltend  macht,  zu  erythematösen  Entzündungen  und  Excoriationen  der 
Lid-  und  Wangenhaut,  weiterhin  aber  zu  deren  Sch-xunpfang  führt  und  so 
die  fehlerhafte  Lage  des  Lides  vergrössert,  gleichzeitig  aber  auch  die  Ent- 
zündung in  der  Bindehaut  und  dem  Knorpel  unterhält  und  fernere  Dege- 
nerationen begünstiget. 

Die  Behandlung  hat  vorerst  der  Causalindication  im  weitesten  Wort- 
sinne Rechnung  zu  tragen,  sodann  aber  darauf  hinzuwirken,  dass  die 
Geioebswucherung  beschränkt  und  die  bereits  vorhandenen  trachomatösen 
Neubildungen,  unbeschadet  dem  Fortbestande  der  normalen  Bindehautelemente, 
getilgt  werden. 

A.  Li  geschlossenen  Körperschaften,  z.  B.  beim  Militär,  in  Erziehungs- 
häusern, Strafanstalten,  Fabriken  u.  s.  w.  muss  die  Sorge  vor  allem  auf 
Verhütung  der  Krankheit  gerichtet  werden,  zu  welchem  Behufe  die  stete 
Berücksichtigung  aller  ätiologischen  Momente  des  Trachomes  und  die 
Handhabung  entsprechender  diätetischer  Regeln  unbedingt    nothwendig    er- 


Behandlung ;  Prophylaxis;  Antiphlogosis.  463 

scheint.  Ist  die  Krankheit  aber  bereits  ausgebrochen,  so  niuss  nebstbei 
mit  aller  Kraft  darauf  hingearbeitet  werden,  der  Verbreitung  des  Ucbcls 
durch  Verhütung  der  Ansteckung  einen  Damm  zu  setzen.  Trennung  der 
Ki'anken  von  den  Gesunden  und,  wo  dieses  nicht  ausführbar  ist,  thun- 
lichste  Beschränkung  der  wechselseitigen  Beziehungen  bilden  dann  den 
Hauptgegenstand   der  ärztlichen  Sorge. 

Im  einzelnen  Falle  ist  im  Sinne  der  Causalindication  auf  Beseitigung 
und  Fernhaltung  aller  Schädlichkeiten  hinzuwirken,  welche  möglicher  Weise 
den  Process  steigern  oder  wenigstens  uutei-halten  könnten,  und  daher  eine 
entsprechende  Augendiät  einzuleiten.  Ausserdem  muss  bei  einseitiger  Er- 
krankung die  Uebertragung  des  ansteckenden  Secretes  auf  das  gesunde  Auge 
wo  möglich  verhindert  werden.  Zu  diesem  Ende  ist  es  nothwendig,  das 
gesunde  Auge,  so  lauge  der  Process  acut  und  unter  Secretion  eiterig  schlei- 
miger Producte  verläuft,  durch  einen  hermetischen  (S.  434)  oder  wenigstens 
durch  einen  Schutzverband  zu  verwahren.  Ist  das  Trachom  aber  bereits  in 
das  Stadium  der  Chronicität  übergetreten,  so  dürfte  in  Anbetracht  der 
geringeren  Ansteckungsfähigkeit  der  Secrete  und  in  Berücksichtigung  der 
grossen  Lästigkeit  längeren  Tragens  eines  Verbandes  dessen  Beseitigung 
gerechtfertigt  und  der  Ansteckung  dadurch  vorzubeugen  sein,  dass  man 
dem  Kranken  die  grösste  Vorsicht  beim  Waschen  des  Gesichtes,  beim 
Gebrauche  der  Hände  u.  s.  w.  ans  Herz  legt.  Vorsichtige  Patienten  ver- 
mögen in  der  That  sehr  häufig  die  Betheiligung  des  zweiten  Auges  zu 
verhindern. 

B.  Die  directe  Behandlung  des  Trachoms  wechselt  ausnehmend  je  nach 
der  Art  uud  Weise,  in  welcher  sich  die  Krankheit  entwickelt,  je  nach  der 
jeweiligen  Intensität  des  Gewebswucherungsprocesses,  nach  der  Grösse,  Form 
und  Ausbreitung   der  trachomatösen  Neubildungen  u.   s.   w. 

1.  Tritt  das  Trachom  unter  den  Erscheinungen  einer  Blennorhoe  etc. 
auf,  so  ist  ihm  vorerst  mehr  in  prognostischer  als  in  therapeutischer  Be- 
ziehung eine  sonderliche  Aufmerksamkeit  zuzuwenden.  Das  Trachom  beein- 
flusst  die  Indicationen  erst  dann  sehr  wesentlich,  wenn  die  gefahrdx'ohenden 
Zustände  durch  das  ihnen  entsprechende  Verfahren  beseitigt  worden  sind 
und  das  Trachom  als  solches  in  den  Vordergrund  tritt. 

2.  Hat  sich  das  Krankheitsbild  in  dieser  Weise  geändert,  oder  entwickelt 
sich  das  Trachom  i^rimär  als  solches,  so  kömmt  es  bei  der  Wahl  der  Be- 
handlungsmethode vornehmlich  auf  die  jeweilige  Intensität  des  entzündlichen 
Processes  an.  Wo  immer  der  sthenische  Charakter  der  Entzündung  oder 
auch  nur  ein  heftigerer  Eeizzustand  deutlich  heraustritt,  sei  es  im  Be- 
ginne der  Krankheit,  oder  im  weiteren  Verlaufe  dei"selben  unter  der  Gestalt 
einer  Exacerbation :  ist  die  antiphlogistische  Behandluyig  einzig  und  allein  am 
Platze,  jeder  reizende  Eingritf  ist  strengstens  zu  meiden.  Die  Mittel  dazu 
liegen  in  strenger  Augendiät  und  in  allgemeiner  antiphlogistischer  Diät, 
in  der  Anwendung  kalter  Ueberschläge,  Einträufelungen  von  Atropin- 
lösungen  u.  s.  w. 

3.  Wird  bereits  die  Erschlaffung  der  Bindehaut  merklich  und  zeigt  sich 
im  Episcleralgefüge  keine  namhaftere  Injection  der  Gefässe:  so  ist  es  Zeit, 
die  Tilgung  der  vorhandenen  trachomatösen  Neubildungen  auf  directem  Wege 
anzustreben. 

Es  darf  hierbei  jedoch  nicht  verschwiegen  werden,  dass  dieser  Zeitpunkt  in 
der  Praxis    weit    schwieriger    als   iu   der   Theorie    zu    bestimmen   ist.     Es    kommen 


464  Trachom;  Behandlung;  Directe  Tilgungsmittel;  Abtragung  der  Granulationen. 

Fälle  vor,  wo  die  aufgestellten  Bedingungen  alle  erfüllt  zu  sein  scheinen  und 
directe  Eingriffe  zur  Tilgung  des  Trachoms  dennoch  nicht  vertragen  werden,  viel- 
mehr überaus  heftige  und  selbst  gefahrdrohende  Exacerbationen  des  entzündliehen 
Processes  nach  sich  ziehen,  welche  die  allsogleiche  Rückkehr  zur  reinen  Antiphlo- 
gose  unbedingt  nothwendig  machen.  Andererseits  kommen  aber  Fälle  vor,  in 
welchen  der  entzündliche  Gewebswucherungsprocess  trotz  aller  antiphlogistischen 
Mittel  in  hohen  Intensitätsgraden  und  unter  allen  Erscheinungen  heftiger  Nerven- 
reizung wochenlange  fortbesteht,  vom  theoretischen  Standpunkte  aus  also  jeden 
reizenden  Eingriff  zu  verbieten  scheint  und  dennoch  geradezu  einen  solchen  ver- 
langt. Zum  Glücke  sind  solche  Fälle  verhältnissmässig  selten  und  man  wird  sich 
leicht  vor  Missgriffen  bewahren,  wenn  man  bei  einem  sonst  ungerechtfertigten 
Andauern  eines  stärkeren  Reizzustandes  vorerst  nur  versnchsioeise  und  mit  aller 
Vorsicld  die  schwächeren  Tilgungsmittel  in  Anwendung  zieht  und  den  Erfolg  beob- 
achtet, ehe  man  sich  für  das  weitere  Kurverfahren  entscheidet. 

Als  directe  Mittel  zur  Tilgung  trachomatöser  Neubildungen  dienen  die 
Schere,   der  Höllenstein  und  das  schwefelsaure  Kupferoxyd. 

Eine  Zeit  lang  war  auch  der  Bleizucker  im  Gebrauche  und  man  hat  viel 
Aufhebens  von  seiner  Wirkung  gemacht.  Man  wendete  ihn  sowohl  in  concentrirten 
Lösungen^  als  in  Pulverform  an  (Birys,  Warlomont).  Beide  Präparate  wurden  mittelst 
eines  Pinsels  in  reichlicher  Menge  auf  die  trachomatöse  Bindehaut  aufgetragen 
und  nachdem  sie  eine  Weile  eingewiikt  hatten,  entfernte  man  den  Ueberschuss 
durch  laues  Wasser.  Es  bildet  sich  auf  solche  Weise  ein  Schorf,  welcher  die  ganze 
Oberfläche  des  bestrichenen  Bindehauttheiles  deckt  und  die  darauf  stehenden 
Granulationen  allseitig  einhüllt.  Es  haftet  dieser  Schorf  sehr  fest  und  es  bedarf 
oft  vieler  Tage,  ehe  er  sich  loslöst.  Mittlerweile  wirkt  derselbe  als  fremder  Körper 
und  wird  als  solcher  gewöhnlich  sehr  lästig,  ja  er  vermehrt  gerne  die  vorhandenen 
Reizzustände  und  wohl  auch  die  Gewebswuchernng,  so  dass  es  nichts  Seltenes  ist, 
die  Granulationen  unter  den  Bleischorfen  wachsen  statt  abnehmen  zu  sehen.  Es 
ist  dieses  um  so  leichter  möglich ,  als  die  zurückbleibenden  Schorfe  die  späteren 
Einwirkungen  des  Mittels  auf  die  Neubildung  hindern  oder  wenigstens  schwächen. 

In  ähnlicher  Weise  wurden  auch  Tannin  (Oyr),  Opiuvitinctur,  verdünnte  Sal- 
petersäure u.  s.  w.  versucht,  doch  standen  die  Ergebnisse  weit  hinter  denen  des 
Höllensteines  und  des  Kupfervitriols  zurück. 

Die  Wahl  des  Tilgungsmittels  wird  hauptsächlich  bestimmt  durch  die 
Porm,   Grösse  und  Consistenz  der  trachomatösen  Neubildungen. 

a.  Hahnenhamm-  oder  blumenkohlähnliche,  überhaupt  sehr  stark  hervor- 
tretende und  verhältnissmässig  dünn  gestielte  diffuse  Granidationen  sind  mit  der 
Schere  abzutragen.  Es  ist  dabei  dringend  nothwendig,  jede  Verletzung 
des  eigentlichen  Bindehautgefüges  auf  das  Sorgfältigste  zu  vermeiden, 
widrigenfalls  durch  Veranlassung  von  Narben  gerne  Schaden  gestiftet  wird. 
Darin  liegt  der  Grund,  warum  bei  Granulationen  mit  vei'hältnissmässig 
breiter  Basis  und  geringer  Höhe  die  Schere,  obwohl  sie  die  Dauer  des 
Leidens  wesentlich  abkürzt,  nicht  zu  empfehlen  ist.  Es  lassen  sich  derlei 
breite  und  flache  Granulationen  eben  nicht  leicht  zwischen  die  Blätter 
der  Schere  bringen,  ohne  dass  gleichzeitig  die  Bindehaut  selber  in  die 
Schnittebene  fiele. 

Behufs  der  Operation  wird  der  Kranlie  auf  einen  Stuhl  gesetzt.  Ein 
hinter  ihm  stehender  Gehilfe  fixirt  den  Kopf  und  die  umgestülpten  Lider, 
während  ein  anderer  Gehilfe  mittelst  eines  in  kaltes  Wasser  getauchten 
Schwammes  die  Blutung  stillt.  Die  Abtragung  selbst  geschieht  mit  einer 
feinen,  nach  der  Blattääche  gekrümmten  Schere.  Immer  muss  eine  Granu- 
lation nach  der  anderen  hart  an  der  Basis  abgetragen  werden.  Die  Opei'ation 
erfordert  darum  viel  Zeit  und  Geduld,  ist  übrigens  nicht  schmerzhaft, 
vorausgesetzt,  dass  die  Schere  nicht  in  die  Bindehaut  selber  eindringt.  Es 
ist  dabei  wohl  zu  merken,  dass  es  vergebliche  Mühe  wäre,   die  Conjunctiva 


Lapis  mitigatus;   Uijllciislcirilijstmj^eii;  Kupfervilrinl.  4Go 

glatt  schoreu  zu  wollen.  Mau  muss  sich  begnügen,  die  stark  hervortretenden 
Orauulalioucu  bis  auf  geringe  Jleste  ihrer  J5asis  entfernt,  zu  haben.  Das 
Uebrige  müssen  Aetzungen  mit  HöUcnsteinlösungen  thun.  Doch  dürfen 
diese  nicht  vor  Ablauf  von  1 — 2  Tagen  begonnen  werden.  Unmittelbar 
nach  der  Operation  sind  kalte  Ueberschläge  zu  appliciren,  um  die  paren- 
chymatöse Blutung  zu  stillen  und  die  Jleaction  auf  ein  kleinstes  zu  be- 
schränken. 

b.  Massige,  stark  hervorragende,  aber  ßacJi  auf  sitzende,  diffuse  Granulationen 
werden  am  besten  dui'ch  öfteres  Bestreichen  mit  dem  mitigirten  Höllensteine 
(S.   48)  getilgt. 

c.  Bei  höhergradigem  gemischten  Trachome,  so  wie  beim  diffusen  Trachome, 
wenn  dasselbe  gleich  ursprünglich  weniger  entwickelt  war,  oder  durch  die 
Schere  oder  den  Lapis  infernalis  mitigatus  bereits  so  weit  abgeschliffen 
worden  ist,  dass  die  vorhandenen  Granulationen  breiter  als  hoch  sind,  also 
nur  massig  über  die  Oberfläche  hervorragen :  empfehlen  sich  ganz  besonders 
Bepinselungen  der  rauhen  Conjunctivaltheile  mit  starken  Höllensteinlösungen, 
gr.   15 — 30  ad  unc.   1   Aq.   dest.   (S.   48). 

d.  Ist  in  solchen  Fällen  die  Abschleifung  der  Granulationen  bereits 
sehr  loeit  gediehen,  oder  liegt  ein  gemischtes  Trachom  mittlerer  oder  niederer 
Entwickelungsgrade,  ein  reines  jJapillares  oder  körniges  Trachom  vor,  so  sind 
Bestreichungen  der  rauhen  Bindehauttheile  mit  schwächeren  Höllensteinlösungen, 
von  gr.  5 — 10  auf  die  Unze  Wasser,  durch  die  Klugheit  geboten.  Es  kommt 
dann  nämlich  auf  die  Bildung  sehr  dünner  Aetzschorfe  an,  indem  ein 
tieferes  Eingreifen  durch  stärkere  Caustica  leicht  die  wuchernde  Binde- 
haut selber  gefährden  und  das  Zustandekommen  von  Narben  veranlassen 
könnte.  Die  Wahl  der  Dosis  innerhalb  der  vorgezeichneten  Grenzen 
hängt  von  der  Grösse  des  gewünschten  Effectes  ab.  Das  Aetzmittel 
wird  um  so  schwächer  sein  müssen,  je  weniger  Masse  die  Neubil- 
dungen bieten. 

e.  Nicht  selten  geschieht  es,  dass  an  einzelnen  Stellen  der  Bindehaut, 
besonders  in  der  Umgebung  des  convexen  Tarsalrandes,  Granulationen  von 
ansehnlicher  Grösse  stehen  bleiben,  während  sonsten  die  trachomatösen  Rauhig- 
keiten den  vorerwähnten  Mitteln  rasch  weichen.  In  solchen  Fällen  müssen 
die  hervorragenden  Auswüchse  mit  dem  mitigirten  Lapis  behandelt,  der 
Rest  der  Bindehaut  aber  mit  den  entsprechenden  Lösungen  bestrichen 
werden. 

/.  Bleibt  nach  Abschleifung  des  Trachomes  die  Bindehaut  sehr  stark 
aufgelockert  und  erschlafft,  erscheint  die  katarrhalische  Secretion  ziemlich  reich- 
lich und  handelt  es  sich  daher  mehr  um  eine  stark  adstringirende  Wir- 
kung als  um  eine  kräftige  Aetzung,  so  ist  die  Bestreichung  der  Conjunctiva 
mit  einem  Krystalle  von  schwefelsaurem  Kupferoxyde  oder  mit  einer  Kupfer- 
vitriolsalbe, gr.  ö  ad  drach.  2  uugt.  comm.,  unbedingt  das  vorzüglichste 
Mittel. 

g.  Auch  beim  secundären  sulzigen  Trachome  (S.  461)  bewährt  sich  der 
Kupfervitriol,  so  lange  nicht  streckenweise  papilläre  oder  diffuse  Granula- 
tionen  grösseren  Calibers  eine  starke  Je^srsvirkung  verlangen. 

Die  breiten  Flächen  des  Krystalles    gewähren    den  Vortheil,   dass  die  grösste 

chemische  Wirkuno-  die   hervorrasreudsten  Punkte  trift't   und  dass  auf  solche  Weise 

Rückbleibsel  der   Granulationen    ahge'dtrJ.  werden   können,  während  die  dazwischen 

gelegenen  Partieu  der  Bindeliavü    mehr  die   adstringirende  Wirkung   erfahren.    Der 

S  t  e  1 1 IV  a  g.  Augenheilkunde.  30 


466  Trachom;  Behandlung;  Aetzungen;  Vorsichten  bei  der  Canterisation. 

Kupfervitriol  ist  bei  kräftiger  Handhabung  in  der  That  ein  Causticmn  und  wurde 
eine  Zeit  lang  fast  ausschliesslich  zur  Tilgung  von  Trachomen  verwendet.  Erst 
neuerer  Zeit  wurde  er  in  seiner  Eigenschaft  als  Causticmn  durch  die  Höllenstein- 
lösungen verdrängt  und  zwar  mit  Recht,  da  diese  weit  kräftiger  und  sicherer 
wirken. 

Die  Kupfervitriolsalhe  gewährt  einen  sehr  vortheilhaften  Ersatz  für  den  Kry- 
stall,  besonders  in  jenen  Fällen,  in  welchen  die  Verhaltnisse  dem  Kranken  nicht 
gestatten,  den  Arzt  täglich  zu  besuchen.  Der  Kranke  kann  nämlich  mittelst  eines 
Pinsels  die  Salbe  sich  leiclit  selbst  in  den  Bindehautsack  streichen  oder  von  An- 
deren streichen  lassen. 

Man  kann  das  schwefelsaure  Kupferoxyd  auch  in  Form  von  Lösungen, 
drach.  1  ad  unc.  1.  Aq.  dest. ,  mittelst  eines  Pinsels  in  derselben  Weise  und  zu 
denselben  Zwecken  auf  die  Rindehaut  auftragen,  wie  die  starken  HöllensteinVösungen. 
Doch  steht  es  den  letzteren  bedeutend  nach,  wo  es  sich  um  kräftige  Wirkungen 
handelt. 

Der  Zweck  der  Aetzungen  ist,  die  Bindehaut  zur  Norm  zurückzuführen. 
In  Berücksichtigung  dessen  kann  nicht  genug  gewarnt  werden  vor  tief 
greifenden  Aetzungen,  namentlich  mit  Höllenstein  in  Substanz,  denn  diese 
führen  immer  zur  Bildung  ausgebreiteter  Narben.  Es  hat  vielmehr  als  aus- 
nahmsloses Gesetz  zu  gelten,  dass  man  sich,  selbst  in  Fällen  höchstgradigen 
diffusen  Trachomes,  bei  jeder  einzelnen  Aetzung  auf  die  Erzeugung  eines  ganz 
dünnen  oberflächlichen  Schorfes  beschränke.  Eine  zweite  Regel  fordert,  mit 
grösster  Sorgfalt  die  Einwirkung  der  Aetzmittel  auf  Stellen  zu  verhüten,  welche 
von  trachomatösen  Rauhigkeiten  nicht  bestanden  sind,  welche  also  dem 
Causticum  nur  die  Substantia  propria  zur  Einwirkung  bieten. 

Einträvfelungen  sind  darum  unbedingt  zu  verwerfen;  schwache  CoUyrien 
nützen  eben  nichts  bei  Vorhandensein  eines  Trachoms,  stärkere  aber  greifen  eben- 
sowolil  die  Conjunctiva  bulbi  und  die  Horniiaut,  als  die  trachomatösen  Granulationen 
an  und  werden  jenen  um  so  gefährlicher,  je  heilkräftiger  sie  in  Bezug  auf  das 
Trachom  als  solches  wirken. 

In  der  Regel  wird  man  alle  Tage  einmal  ätzen.  Eine  öftere  Wieder- 
holung ist  nicht  räthlich.  Die  beste  Zeit  hierzu  dürfte  des  Morgens,  zwei 
oder  drei  Stunden  nach  dem  Erwachen  aus  dem  Schlafe  sein.  Unmittelbar 
nach  dem  Schlafe  erscheint  die  Bindehaut  meisthin  stark  hyperämirt  und 
das  Aetzen  reizt  viel  stärker.  Aus  demselben  Grunde  ist  auch  das  Aetzen 
kurz  nach  einer  Mahlzeit  zu  meiden.  Aber  auch  vor  einer  Mahlzeit  ist  es 
bedenklich,  da  der  damit  gesetzte  Reizzustand  durch  das  Kauen  und  den 
vollen  Magen  leicht  gesteigert  wird. 

Man  glaube  indessen  ja  nicht,  dass  die  Aetzung  bis  zum  Schwinden  des 
Trachomes  jeden  Tag  vorgenommen  werden  müsse;  sondern  versäume  nie, 
jedesmal,  bevor  man  zur  Application  des  Causticums  schreitet,  den  Zustand 
der  Bindehaut  und  ihrer  Nachbarorgane  genau  zu  untersuchen  und  dar- 
nach die  Indicationen  zu  stellen.  Sehr  oft  geschieht  es,  dass  durch  zufällig 
einwirkende  Schädlichkeiten  der  Reizzustand  des  Auges  vorübergehend  um 
ein  Beträchtliches  vermehrt  wird,  was  sich  besonders  durch  eine  stärkere 
Injection  der  feinen  episcleralen  Gefässnetze ,  durch  Empfindlichkeit, 
stärkere  Thränensecretion  und  helleren  Ton  der  Injectionsröthe  zu  erkennen 
gibt.  Ist  dieses  der  Fall,  so  ist  die  Aetzung  zu  unterlassen  und  durch  ein 
rein  antiphlogistisches  Verfahren  zu  ersetzen,  bis  jene  Reizsymptome  wieder 
geschwunden  sind.  Wird  diese  Vorsicht  vernachlässigt  und  trotz  jener 
warnenden  Zeichen  geätzt,  so' ist  das  Resultat  gewöhnlich  eine  beträchtliche 
Steigerung  der  Entzündung.  Sehr  häufig  scliiessen  dann  auch  herpetische 
Efflorescenzen    an    der  Bindehaut    oder  Hornhaut  auf,   welche  nicht  selten 


Warme  Ueberschliigp.  407 

die  Functionstüchtig'koit  des  Auges  geradezu  in  Frage  stellen.  Jedenfalls 
wird  d(>ni  Kranken  die  Fortsetzung  des  Aetzens  unerträglich,  man  ist  am 
Ende  gezwungen,  die  Cauterisation  aufzugeben  und  zwar  Wochen  lang, 
während  dt>ni  die  Bindehaut  Zeit  hat,  die  trachomatösen  Auswüchse  zur 
vorigen  Grösse  oder  in   gesteigertem  blasse  auszubilden. 

Ist  das  Trachom  einmal  in  das  Stadium  der  Chronicität  getreten  und 
sind  die  Keizerscheinungen  gewichen,  welche  den  ersten  Beginn  des  acut 
auftretenden  Trachoms  zu  begleiten  pflegen,  so  wäre  es  zwecklos,  den 
Kranken  weiterhixi  an  das  Zimmer  zu  fesseln,  vieiraehr  erweist  sich  unter 
solchen  Verhältnissen  der  reichliche  Genuss  frischer  Luft  in  hohem  Grade 
erspri esslich.  Doch  muss  bei  einem  solchen  Zugeständnisse  der  Kranke  auf 
das  Eindringlichste  vor  allen  Excessen  gewarnt  und  zum  Einhalten  einer 
entsprechenden  Augendiät  sowie  zur  Vermeidung  aller  Veranlassungen  von 
Congestionen  der  oberen  Körperhälfte  ermahnt  werden. 

4.  Ausnahmsweise  kommen  Fälle,  namentlich  von  veraltetem  Trachome 
vor,  welche  den  genannten  Mitteln  eine  ganz  merkwürdige  Resistenz  ent- 
gegenstellen und  in  welchen  nach  wochenlangen  energischen  Cauterisationen 
kaum  eine  Veränderung  in  dem  Zustande  nachzuweisen  ist,  es  wäre  denn 
ein  entschiedener  Fortschritt  in  der  Entartung  des  Bindehautgefüges.  Auch 
stösst  man  hier  und  da  auf  Fälle  chronischen  und  selbst  inveterirten 
Trachomes,  in  welchen  Aetzungen  durchaus  nicht  vertragen  werden,  welche 
vielmehr  auf  jeden  derartigen  Eingritf  mit  sehr  heftigen  und  anhaltenden 
ßeizzuständen,  wenn  nicht  gar  mit  herpetischen  Affectionen  oder  anderen 
Formen  der  Keratitis  antworten.  Tu  solchen  Fällen,  sie  mögen  mit  oder 
ohne  Pannus  einhergehen,  kann  man  lauwarme  Ueberschläge  oder  Cataplasmen 
versuchen  (GraefeJ.  Bisweilen  nützen  dieselben,  indem  sie  das  Gefüge  sehr 
auflockern  und  damit  die  Bückbildung  wesentlich  begünstigen,  auch  wohl 
die  Empfindlichkeil  merklich  herabsetzen.  In  einzelnen  Fällen  sah  man 
dann  sogar  ein  spontanes  Zurückgehen  der  Granulationen;  in  anderen 
wurden  die  Aetzungen,  mit  A'orsicht  begonnen  und  allmälig  gesteigert, 
wieder  vertragen  und  leisteten  Erspriessliches.  Auch  wird  unter  solchen 
Umständen  die  Aqua  Chlori  (H.  47)  gerühmt  (GraefeJ.  Bei  besonders  ver- 
alteten und  hartnäckigen  derartigen  Atfectionen,  wenn  sie  mit  Pannus 
einhergehen,  dai'f  man  wohl  aiich  die  Inocidation  der  Blennorrhoe  wagen 
und  kann   Gutes  mit  ihr  erzielen  (Piringer,  Bader). 

5.  Ist  das  Trachom  völlig  oder  doch  so  tveit  getilgt,  dass  nur  mehr  hei 
schief  einfallendem  Lichte  feine  Unebenheiten  wahrzunehmen  sind,  zeigt  die 
Injectionsröthe  der  bereits  durchscheinenden  Bindehaiit  einen  merklichen 
Stich  ins  Gelbe  und  ist  die  Wulstung  der  Conjunctiva  gewichen:  so  ist 
es  Zeit,  mit  den  Aetzungen  probeweise  einzuhalten.  Am  besten  w^ird  man 
tliun,  wenn  man  die  Pausen  zwischen  den  einzelnen  Aetzungen  allmälig 
verlängert,  statt  täglich  alle  zwei  und  später  alle  3 — -4  Tage  ätzt.  Es 
hat  dieses  probeweise  Aussetzen  der  Aetzungen  den  Zweck,  zu  erforschen, 
ob  die  Gewebswucherung  in  der  Bindehaut  noch  fortdauert  und  ob  eine 
etwa  noch  vorhandene  feine  Unebenheit  der  Conjunctivaloberfläche  nicht 
vielleicht  blos  der  Ausdruck  einer  durch  die  Aetzungen  selbst  unterhaltenen 
hyperümischen  Schwellung  des  Papillarkörpers  ist,  Avelche  sogleich  schwindet, 
wenn  der  durch  die  Cauterisationen  bedingte  lleizzustand  aufliört.  Es  kömmt 
in    der  That  gar  nicht   selten   vor,   dass  minder  Geübte  durch  fortgesetztes 

30* 


4G8      Trachom;  Behandlung;  Verfahren  bi'i  hypertroph.  Conj.-Falten.  bei  Pannus  u.  Ectropium. 

Aetzen    solche    leichte    hyperämische    Schwellungen    ungebührlich    in    die 
Länge  ziehen. 

Aber  auch  nach  völligem  Schwinden  der  Bindehau trauhigkeiten  ist  der 
Kranke  nicht  für  gesichert  zu  erachten.  Um  der  Wiederkehr  des  Uebels 
vorzubeugen,  ist  es  dringend  uothwendig,  dass  die  diätetischen  Eegeln  noch 
längere  Zeit  befolgt  werden. 

6.  Finden  sich  hei  veraltetem  Trachome  hypertrophische  CoiyunctivalJ alten  von 
einiger  Breite  im  Uehergangstheile,  so  müssen  dieselben  mit  der  Schere  hart  an 
ihrer  Basis  abgetragen  iverden,  da  sie  den  Aetzungen  erfahrungsgemäss  nicht  leicht 
weichen  und  mit  gutem  Grunde  der  Unterhaltung  eines  stärkeren  Keizzustandes 
angeklagt  werden  können.  In  den  früheren  Stadien  des  Trachoms  kommen  solche 
Falten  von  grösserer  Ausdehnung  nicht  leiclit  vor  und  sind  von  geringerer  Bedeu- 
tung, da  sie  mit  dem  Zurückgehen  des  Trachoms  ebenfalls  zu  schwinden  pflegen, 
wie  man  an  der  halbmondförmigen  Falte  sehen  kann.  Unter  solchen  Umständen 
wäre  eine  Abtragung  also  nicht  gerechtfertigt. 

7.  Ist  das  Bindehauttrachom  mit  Cornealpannus  combinirt,  so  ist  das 
Kurverfahren  gerade  so  einzuleiten,  als  wäre  kein  Pannus  gegeben.  Dieser 
schwindet  unter  der  Behandlung  meisthin  früher,  oder  löst  sich  rascher 
in  einen  ständigen  Epithelialtleck  auf,  als  die  Bindehautrauhigkeiten  getilgt 
werden  können.  Ist  das  Trachom  aber  mit  einer  Keratitis  pannosa  oder 
herpetica  vergesellschaftet,  so  ist  es  in  der  Regel  gerathener,  sich  auf  die 
Antiphlogose  zu  beschränken,  so  lange  die  entzündlichen  Erscheinungen 
und  besonders  die  nervösen  Symptome  einigermassen  stärker  hervortreten. 
Nur  wenn  dieses  Kurvei'fahren  trotz  dem  zweckmässigsten  Verhalten  des 
Kranken  resultatlos  bleibt,  darf  man  versuchsweise  Aetzungen  der  Bindehaut 
mit  schwachen  Solutionen  wagen.  Bisweilen  geht  unter  deren  Anwendung 
die  Entzündung  überaus  rasch  zurück.  Nicht  selten  jedoch  steigert  sich 
dieselbe  sehr  auffällig  und  kann  selbst  für  die  Functionstüchtigkeit  des 
Auges  sehr  gefährlich  werden.  Mitunter  leistet  die  gelbe  Quecksilberoxyd- 
salbe (S.  45)  in  solchen  Fällen  gute  Dienste ,  namentlich  wenn  der 
herpetische  ('harakter  der  Affection  stärker  hervorsticht  und  die  ärgsten 
Reizsymptome  etwas  gewichen  sind. 

Man  hat  aucli  in  verzweifelten  derartigen  Fällen  ein  querovales  Stück  der 
äusseren  Liddecke  auszuschneiden  gerathen  und  Ijehauptet  mit  diesem  Verfahren 
günstige  Erfolge  erzielt  zu  haben.  Man  glaubt  dadurch  den  Liddruck  herabzusetzen 
und  so  günstig  auf  die  Vegetationsverhältnisse  der  Conjunctiva  und  Cornea  zu 
wirken  (Graefe).  , 

8.  Findet  man  ein  oder  das  andere  Lid  umgestülpt,  so  muss  sogleich 
die  Reposition  versucht  werden.  In  den  ersten  Stadien  des  acut  auftreten- 
den Trachoms  wird  dieses  öfters  genügen.  Stülpt  sich  jedoch,  so  lange  die 
entzündliche  Geschwulst  der  Theile  eine  sehr  bedeutende  ist,  das  Lid 
wegen  der  bereits  erfolgten  Ausdehnung  des  Knorpels  immer  wieder  um, 
so  ist  es  besser,  dasselbe,  so  lange  noch  strenge  Antiphlogose  nothwendig 
ist,  einstweilen  in  seiner  normwidrigen  Lage  zu  belassen.  Nimmt  dann  die 
Geschwulst  allmälig  ab  und  stellt  sich  die  Erschlaffimg  ein,  so  kann  dem 
Ectropium  leicht  entgegengearbeitet  werden. 

Ist  die  Umstülpimg  keine  vollständige;  so  genügt  meisthin  die  Aetzimg 
der  Bindehaut  und  deren  die  C'ontraction  der  Theile  anregende  Wii'kung, 
um  das  Lid  allmälig  wieder  an  den  Augapfel   anschliessen  zu  machen. 

Ist  die  Umstülpung  aber  eine  vollständige,  so  müssen  die  Lider  reponirt 
und    durch  einen    zwekmässigen    Verband   (S.   439,   5)  in  ihrer  normalen  Lage 


Qupllru:  Hcrpfs  Luiijunctiv.i'  ;  ivrankheitsbild.  469 

erhalten  werden.  So  l;inf;e  dieser  lieg't,  sind  Aeizuna,'on  mit  Höllenstein 
weniger  zu  empt'elilcMi,  du  durch  den  Verband  die  Abstossung  der  immer- 
liin  zienilicl)  dicken  Scliori'c  sehr  (»rschwert  und  Reizzustände  begünstigt 
werden.  Ks  sind  d;ih(>r  Aetzungcn  mit  schwefelsaurem  Kupferoxyd  so 
lange  vorzuziehen,  bis  die  Lider  in  ihrer  normahMi  Lage  ohne  Verband 
halten,  wo  dann  die  Aetzungcni  mit  Höllenstein  aufgenommen  werden 
können.  Weniger  entsprechend  ist  es,  mit  Höllenstein  von  vorneherein 
zu  ätzen  und  erst  nach  der  jedesmaligen  Abstossung  des  Schorfes  den 
Verband  anzulegen.  Ks  scheint,  als  ob  bei  diesem  Verfahi'en  das  Ectro- 
pium lungere  Zeit  zu  seiner  Heilung  bedürfe.  Eine  Schlitzung  des  unteren 
Thränenröhrchens  behufs  der  Erleichterung  der  Thränenleitung  ist  unter 
solchen  Umständen  in  der  Regel  überflüssig,  da  das  Ectropium  fast  immer 
vollständig  getilgt  werden  kann. 

Quellen:  Eble,  Ueber  den  Bau  und  die  Krankheiten  der  Bindehaut.  Wien,  1828. 
S.  97,  147,  152,  161,  170,  186,  191,  197;  Die  sog.  contag.  oder  egypt.  Augenent- 
züiidiing.  Stuttgart.  1839.  S.  1,  80,  103,  135,  192,  246.  —  Piringer,  Die  Blennorrhoe 
aai  Menschenauge.  Graz.  1841.  >S.  35,  46,  57,  66,  109,  152,  164,'  173,  212,  230,  238, 
258,  272,  278,  288,  299,  306,  400,  410,  418,  421,423.  -  Ämmon,  Zeitsclirift  f.  Ophth. 
in.  S.  235.  —  Cunier,  Ann.  d'oc.  XX.  S.  152.  —  Guh,  Die  sog.  egypt.  Augenent- 
zündniig.  Wien.  1850.  S.  18,  41,  46,  69,   74,   78,  79,  85,  90,  92,  101,  "l0.3,   119,  131. 

—  Artt,  Die  Krankheiten  des  Auges.  I  Prag.  1851.  S.  18,  23,  39,  47,  63,  69,  76, 
83,  106,  118,  132,  134,  137,  139.  —  Stellwag,  Zeitschrift  d.  Wien.  Aerzte.  1851.  IL 
S.  903,  911,  915,  917;  Ophth.  II.  S.  801—846.  —  Mackenzie,  Traite  prat.  d.  mal. 
d.  yeux.  traduit  p.  Warlomont  et  Testelin.  I.  Paris.  1856,  S.  664,  687,  691, 
697,  699,  713,  728,  743,  74ö,  748,  752,  755.  —  Bugs  und    Warlomont,   ibid.  S.  748. 

—  Warlomont,  kl.  Monatbl.  1863.  S.  491.  —  Seitz,  Handbuch  d.  ges.  Augeuheilkd. 
I.  Erlangen.  1855.  S.  43,  46,  50,  59.  —  Congres  d'ophth.  de  Bruxelles.  Compte 
rendu.  Paris.  1858.  S.  193  —  354.  —  Congres  intern,  d'ophth.  de  Paris.  Compte 
rendu.  Paris.  1863.  S.  48,  81,  11.5,  127,  226.  —  Quadri,  De  la  grannlation  palp. 
Naples.  1863.  S.  12,  16,  23,  26.  —  Graefe,  A.  f.  O.  VI.  2.  S.  123,  125,  127,  131, 
133,  146,  149;  X.  2.  S.  191,  197,  199,  204.  —  Secondi,  Clinica  di  Genova. 
Riassunto.  Torino.  1865.  S.  5.  —  Bader,  Ophth.  Hosp.  Rep.  IV.  1.  —  Snellen,  kl. 
MonatbL  1866.  S.  170.  —  Schwalbe,  ibid.  S.  276.  —  Blumberg,  A.  f.  0.  XV.  1.  S. 
156,  158.  —  Mannhardt,  ibid.  XIV.  3.  S.  31,  34.  —  Stavenhagen,  kL  Beob.  S.  45. 
48.    —   Arcoleo,  Conferenze  cdin.  S.  5.  —  Cgr,  Centralbl.   1866.  S.  542. 


7.  .Der  Herpes  Conjunctivae. 

Krankheitsbild.  Charakteristisch  sind  umschriebene  rundliche  mohn-  bis 
hanfkurngrosse  Entzündungsherde,  tvelche  sich  unter  den  Erscheinungen  einer 
mehr  minder  lebhaften  Ciliarreizuvg  und  Bindehauthyperämie  im  Gefüge  der 
Conjunctiva  entwickeln. 

Die  Grundform  dieser  Entzündungsherde  ist  ein  rundliches  Exsudat- 
knötchen.  Auf  der  Höhe  des  Knötchens  kömmt  es  in  der  Regel  sehr 
rasch  zur  Ausschwitzung  einer  serumähnlichen  Flüssigkeit,  welche  das 
Epithel  emporhebt  und  So  ein  wasserhelles  Bläschen  zu  Stande  bringt, 
das  seinerseits  wieder  durch  Veränderungen  seines  Inhaltes  sich  in  ein 
sogenanntes  Lymphbläschen  oder  Eiterbläschen  umwandelt;  meistens  aber 
sehr  frühzeitig  berstet  ;ind  dann  eine  rundliche,  scharf  begrenzte,  von 
Epithelfetzen  umsäumte  Excoriation  darstellt,  welche  sich  rasch  mit  einem 
trüben  graulichen  oder  speckigen  Belege  überdeckt  und  verheilt;  oder 
sich    in    ein    oberflächliches   rundliches,     scharf    umschriebenes     Geschwürchen 


470  Herpes  conjunctivae;  Krankheitstild ;  Ursachen, 

verwandelt ,  das  entweder  verheilt ,  oder  unter  allmäliger  Schmelzung 
des  seine  Grundlage  bildenden  Knotens  in  ein  tiefgreifendes  Geschwür 
übergeht. 

Am  gewöhnlichsten  sitzen  diese  Efflorescenzen  am  Limbus  conjunctivalis 
und  finden  sich  daselbst  sowohl  einzeln,  als  in  grösserer  Anzahl  zerstreut, 
oder  dicht  neben  einander  gedrängt,  Theile  der  Hornhautperipherie  oder 
wohl  auch  den  gesummten  Cornealrand  savimähnlich  umkränzend.  Häufig 
ist  ihr  Standort  jedoch  auch  die  vordere  Zone  der  Augapfelbindehaut, 
besonders  deren  Li d sp alten th eil,  wo  sie  ebenfalls  bald  einzeln,  bald  in 
unregelmässigen  Gruppen  gehäuft  gefunden  werden.  Nur  ausnahmsweise 
kommen  sie  im  Uebergangstheile,  au  der  Tarsalbindehaut  und  der  Lidrand- 
fläche vor.  Dafür  ist  es  etwas  ganz  Gewöhnliches,  derartige  Efflorescenzen 
gleichzeitig  auf  der  Hornhaut  und  Bindehaut  anzutreffen.  In  der  Regel 
erscheinen  sie  in  verschiedenen  Stadien  der  Entwickelung ,  da  sie  auch 
meistens  verschiedenen  Alters  sind;  verheilende  und  frische  Efflorescenzen, 
Knoten,  Bläschen  und   Geschwüre  etc.  stehen  sehr  oft  neben   einander. 

Der  Herpes  Conjunctivae  entwickelt  sich  immer  auf  vorläufig  hyper- 
ämirtem  Boden.  Wo  sich  der  Process  auf  die  Entwickelung  einer  einzelnen 
Efflorescenz  oder  Bläschengruppe  beschränkt,  erscheint  sehr  häufig  auch 
die  Hyperämie  scharf  umgrenzt,  die  Efflorescenzen  stehen  an  der  Spitze 
eines  aus  injicirten  Bindehaut-  und  Episclei-algefässen  gebildeten  Bündels 
oder  Fächers,  dessen  Längsaxe  immer  eine  genau  meridionale  Richtung  ein- 
hält und  dessen  breiteres  Ende  gegen  die  Uebergangsfalte  gerichtet  ist. 
Häufiger  indessen,  und  bei  Gegebensein  einer  Mehrzahl  zerstreuter  oder 
gruppig  gehäufter  Efflorescenzen  gewöhnlich,  sind  die  Bindehaut  und  das 
Episcleralgewebe  ihrer  ganzen  Ausdehnung  nach  dicht  eingespritzt,  erstere 
oft  sogar  völlig  gleichmässig  geröthet.  Die  hyperämirten  Theile  der  Con- 
junctiva  lassen  meistens  einige  seröse  Infiltration  erkennen ,  mitunter 
erscheinen  sie  auch  in  auflalligem  Grade  angeschwollen.  Die  Secretion  ist, 
so  lange  die  Nervenreizung  stäi'ker  hervortritt,  eine  wässerige,  später  mischen 
sich   oft  katarrhalische  Producte  den  vermehrten  Thränen  bei. 

Von  subjectiven  Erscheiuuiigen  ist  besonders  der  brennende  oder  stechende 
Schmers  zu  erwähnen.  Er  geht  der  Hypei'ämie  und  der  Eruption  der 
Efflorescenzen  voraus  und  bildet  überhaupt  das  erste  auffällige  Symptom 
des  Processes.  Nach  erfolgtem  Ausbruche  der  charakteristischen  Herde 
verschwindet  er  meistens  ganz  oder  geht  in  das  auch  dem  Katarrhe  eigene 
Gefühl  von  Drücken,  Jucken,  Beissen  u.  s.  w.  über;  es  wäre  denn,  dass 
sich  noch  loeitere  Efflorescenzen  vorbereiten,  wo  er  andauert.  Heftig  wird 
er  beim  Herpes  conjunctivae  nur  selten.  Wo  heftige  Schmerzen,  besonders 
in  Combination  mit  starker  Lichtscheu,  gegeben  sind,  hat  man  guten 
Grund,   auf  die  Entwickelung  eines   Cornealherpes  zu  schliessen. 

Die  Ursachen  sind  dieselben,  welche  den  Herpes  corneae  nach  sich 
zu  ziehen  pflegen  (S.  ()!)).  Gleich  diesem  entwickelt  sich  der  Bindehaut- 
herpes  bald  primär,  bald  erscheint  er  im  Gefolge  des  Katarrhs,  der  Blennorrhoe, 
des  Trachoms  etc.,  besonders  wenn  diese  zu  reizend  behandelt  werden, 
oder  wenn  das  Auge  der  Einwirkung  anderer  reizender  Schädlichkeiten 
ausgesetzt  bleibt. 

Insbesondere  hervorzuheben  ist,  dass  bei  Entwickelung  eines  Herpes 
zoster    im    Verzweigungsgebiete    des    Nervus    nasociliaris     ganz    gewöhnlich 


Verlauf;  Ausgänge;  raninis  herpeticus.  471 

einzelne  oder  p;nippig  ji,'eliäufte  Efflorescenzon  auch  auf  der  Bindehaut 
imd  der  Cornea  aufsclii essen.  Die  Conjunctiva  erscheint  dann  meistens  stark 
geröthet  und   ödomatös  geseliwollt. 

Verlauf  und  Ausgänge.  Der  herpelisclic  Proccss  vorläuft  im  All- 
gemeinen typisch  und  hat  in  der  Hegel  innerhalb  8  Tagen  seinen  Cyclus 
durchschritten,  l'lin  solcher  Verlauf  gehört  namentlich  in  jenen  Fällen 
zur  Hegel,  in  welchen  hei  Abhandensein  einer  sehr  ausgesprochenen 
Disposition  eine  zufällig  und  vorübergehend  einwirkende  reizende  Schäd- 
lichkeit das  ätiologische  Moment  abgegeben  hat.  Ein  brennender  oder 
stechender  Schmerz  im  Auge  eröifnet  den  Reigen.  Innerhalb  einiger  Stunden 
entwickelt  sich  die  charakteristische  Gefässeinspritzung  und  am  2.  oder  3. 
Tage  lassen  sich  bereits  die  eigenthümlichen  EfÜorescenzen  unterscheiden, 
welche  rasch  die  oben  geschilderten  Metamorphosen  durchmachen  und 
innerhalb  des  angegebenen  Zeitraumes  auch  meistens  zur  Heilung  ge- 
langen. Mittlerweile  geht  gewöhnlich  die  Schwellung  und  auch  wohl  die 
Hyperämie  etwas  zurück ,  dafür  machen  sich  aber  die  Symptome  der 
Erschlaffung  geltend  und  sehr  häufig  stellt  sich  eine  stärkere  katarrhalische 
Absonderung  ein,  der  Process  schreitet  gleichsam  durch  den  Katarrh  seiner 
Heilung  zu. 

Das  Typische  des  Verlaufes  wird  wie  beim  Cornealherpes  nicht  selten 
dadurch  verwischt,  dass  frische  Ausbrüche  sich  fort  und  fort  wiederholen. 
Auch  geschieht  es  nicht  selten,  dass  der  excoriirte  Grund  eines  ehemaligen 
Bläschens  nachträglich  in  weiterem  Umkreise  infiltrirt  wird  und  durch 
Schmelzung  des  entzündlichen  Productes  in  ein  oberflächliches  oder  auch 
tiefgreifendes  Geschwür  übei"geht,  das  sich  mehr  und  mehr  ausdehnen  und, 
wenn  der  Limbus  conjunctivalis  sein  Standort  ist,  auf  die  Cornea  fortsetzen 
und  hier  sehr  missliehe  Folgen  setzen  kann. 

Ein  ganz  eigenthümlicher  Folgezustand  ist  der  Pannus  herpeticus^ 
welcher  auch  unter  dem  Namen  Ophthalmia  subconjunctivalis ,  varicosa, 
Tuberculosis  conjunctivae,  Sderitis  u.  s.  vv.  beschrieben  wird.  Er  setzt  eine 
durch  lange  Zeit  fortdauernde  Eruption  herpetischer  Efflorescenzen  an  einer 
oder  der  anderen  Stelle  der  vorderen  Angapfeloberfläche  voraus  und  kommt 
daher  fast  ausschliesshch  bei  Individuen  vor,  welche  in  ganz  ausgezeichneter 
Weise  zu  herpetischen  Efflorescenzen  geneigt  sind,  oder  sich  schädlichen 
Einflüssen ,  welche  fort  und  fort  auf  ihre  Augen  wirken ,  nicht  zu  ent- 
ziehen vermögen. 

Dem  Wesen  nach  ist  der  Pannus  herpeticus  eine  Gruppe  dicht  zusammen- 
gedrängter herpetischer  Efflorescenzen  des  verschiedensten  Alters,  welche  in  hyper- 
trophischem und  gefässreichem  Gefüge  gleichwie  in  einem  gemeinschaftlichen 
Pericarpium  gelagert  sind.  Die  betreffende  Stelle  der  Bindehaut  erseheint  in 
Folge  der  Gewebswucherung  und  der  bedeutenden  Hyperämie  ansehnlich 
geschioellt,  öfters  eine  Linie  hoch  über  das  Niveau  der  übrigen  Conjunctiva 
erhaben  und  bildet  einen  stark  und  meistens  gleichmässig  gerötheten  nieren- 
förmigen  Willst,  dessen  Hilus  die  Cornea  in  einem  grösseren  oder  kleineren 
Bogen  umgreift,  während  sein  convexer,  unregelmässig  zackiger  Rand  nach 
hinten  sieht  und  sich  in  mehrere  Bündel  dicker,  stark  ausgedehnter  Gefässe 
auflöst,  welche  in  meridionaler  Richtung  der  Uebergangsfalte  zuschreiten, 
wo  sie  sich  in  die  Tiefe  der  Orbita  einsenken.  In  diesem  Wulste  nun 
findet  sich,   dicht  gedrängt  und  allenfalls  mit  secundären  .Geschwüren  sowie 


472  Herpes  r'onjniidivae  ;  Behandlung, 

mit  narhüjen  EinzieJmnfjen  gemischt  ,  eine  grosse  Anzahl  von  herpetischen 
Knoten  eingelagert,  welche  znm  Theilc  frisch,  znm  Theile  in  eiterigem  Zer- 
falle begi'ifFen,  zum  Theile  verkalkt,  oder  zu  sehnigem  Gefüge  verödet  sind 
und  sowohl  in  der  eigentlichen  BindehmU,  als  in  dem  Episderalgewehe  und 
wohl  selbst  auch  in  den  oberflächlichen  Schichten  der  Sclerotica  haften. 
Aehnliche  Knoten  stehen  auch  auf  und  in  der  angrenzenden  Portion  der 
Hornhaut,  unter  einander  durch  eine  panwöse  oder  narbige  Trübung  ver- 
bunden, welche  am  Cornealrande  mit  unmerklicher  Grenze  in  den  Hilus 
jenes  Bindehautwulstes  übergeht. 

In  dieser  Form  besteht  der  Pannus  herpeticus  oft  Jahre  lang  unverändert 
fort.  Am  Ende  jedoch  veröden  die  Knoten,  sowie  das  wuchernde  Bindehaui- 
und  C'ornealgefüge ;  ersteres  erscheint  an  der  betreffenden  Stelle  blass  derb 
trocken  und  legt  sich  bei  jeder  Bewegung  des  Bulbus  in  feine  Falten ; 
letzteres  wird  sehnig  trüb.  Die  Knoten  erscheinen  als  kleine  sandige  oder 
narbige  Einlagerungen. 

Die  Behandlung  hat  ähnliche  Aufgaben  wie  beim  Cornealherpes  zu 
erfüllen  und  fällt,  wo  dieser  in  Combination  mit  dem  Bindehautherpes 
auftritt,  mit  der  S.  75  angegebenen  Therapie  völlig  zusammen.  Ist  die 
Bindehaut  allein  der  Sitz  von  Efflorescenzen,  so  reicht  bei  minder  hochgradiger 
Entwickelung  der  krankhaften  Ei-scheinungen  eine  zweckmässige  Augen- 
diät meistens  vollkommen  hin,  um  den  Process  rasch  zum  Abschlüsse  zu 
bringen.  Treten  die  Reizsymptome  stärker  hervor,  so  empfehlen  sich  neben- 
bei Atropineinträufelungen  und  später ,  besonders  bei  öfter  recidivirenden 
Ausbrüchen,  Calomeleinstäubungen  oder  die  gelbe  Ciuecksilberoxj^dsalbe. 
Bei  nachfolgender  katarrhalischer  Auflockerung  des  Bindehautgefüges  und 
reichlicher ,  schleimig  eiteriger  Absonderung  ist  es  klug,  einige  Male 
schivache  HöUcnsteinlösungen  nach  der  beim  Katarrhe  üblichen  Weise  auf  die 
Bindehaut  zu  streichen. 

Beim  Pannus  herpeticus  pflegen  täglich  einmal  wiederholte  Ein- 
streichungen  der  gelben  Quecksilberoxydsalbe  in  den  Bindehautsack  oder 
Bepinselungen  der  wulstigen  Conjunctivalportion  mit  Opiumtinctur  nebst  dem 
Einhalten  einer  strengeren  Augendiät  von  günstiger  Wirkung  zu  sein. 
Bei  reinem  Pannus  herpeticus  empfiehlt  sich  nebenbei  das  Tragen  eines 
Schutzverbandes.  Ist  der  Pannus  mit  Bindehauttrachom  vergesellschaftet, 
was  häufig  der  Fall  ist,  so  thut  man  am  besten,  sich  vorläufig  auf 
Cauterisationen  der  Conjunctiva  mit  Höllensteinlösungen  zu  beschränken, 
da  unter  deren  Gebrauche  häufig  auch  der  Pannus  weicht. 


Folgezustände  der  Bindehantentziindungen. 

1.  Das  Fliigelfell,  Pterygium. 

Pathologie  und  Krankheitsbild.  ]\[an  unterscheidet  ein  wahres  und 
ein  falsches  Pterygium.  Beide  diese  Formen  setzen  sich  aus  einem  Corneal- 
und  einem  Bindehauttheile  zusammen,  welche  immer  nur  Ein  Continuum 
mit  meridional  ziehender  Längsaxe   bilden. 

Die  Hornhautportion  wird  gewöhnlich  durch  eine  dichte  derbe  sehnen- 
ähnliche,   seltener  durch   eine    locker  gewebte  gefässreiche    bindegewebige  Neu- 


l''lü;;c11Vll;  I'alliolni;i,. ;  Kninlilu-ilsliilil ,  473 

bildung  dargestellt,  wclclie  tjiswcilcii  eine  <>!inz  oberflächliche  ist  imd  der 
äussersten  CornealsubsUinzschichto  uuttagert ,  in  der  Regtd  aber  tiefer  in 
das  Gefüge  der  Hornhaut  hineingreift  und  eine  Substanzlüeke  mit  unebenem, 
hügelig  grubigen  Grunde  ausfüllt.  Oft  schliessl.  diese  Neubildung  einzelne 
libröse  oder  kalkige  herpetische  Knoten  in  sich,  ihre  Grenzen  sind  häutig 
durch    epitheliale    Trübungen    der   umgebenden    Hornhautpartie    verwischt. 

Der  Bindehauttheil  des  Flügelfells  ist  eigentlich  ein  hypertrophirtes  Stück 
der  Conjunctiva  bulbi  und  der  zugehörigen  Submucosa.  Er  besteht  vor- 
waltend oder  ausschliesslich  aus  Bündeln  schön  geschlängellcM-  Bindegewebs- 
fasern mit  überwiegend  meridionaler  Richtung  und  ist  von  einer  wechsidn- 
den  Menge  zum  Theile  neugebildeter  Gefässe  durchstrickt.  Eingewebt  in 
das  lockere  Gefüge  des  Flügelfells  finden  sich  gewöhnlich  einzelne  Stränge 
oder  bandartige  Streifen  von  derbem  sehnigen  Gefüge,  welche  in  der  Hegel 
aus  dem  dichteren  Cornealtheile  kommen  und  den  Bindehauttheil  in  einer 
seiner  Axe  nahezu  parallehm  Richtung  durchsetzen ,  um  dann  spurlos 
zu  verschwinden,  oder  mit  der  Sdera,  der  Membrana  semilunaris  etc.  Ver- 
bindungen einzugehen. 

Das  Pterygium  sitzt  den  unterliegenden  Theilen  der  Lederhaut  und 
selbst-  der  Cornea  meistens  sehr  locker  auf  und  lässt  sich  oft  bis  zur  Spitze 
hin  mit  der  Pincette  in  Gestalt  einer  Falte  emporheben.  Doch  ist  in  der 
Richtung  seiner  Axe  immer  eine  gewisse  Spannung  zu  bemerken,  welche 
bei  mächtigen  und  namentlich  an  sehnigen  Einlagerungen  reichen  Flügel- 
fellen die  Beweglichkeit  des  Auges  beirren  und  bei  Seitendrehungen  des- 
selben auch  wohl  Doppeltsehen  mit  sich  bringen  kann  (Hasner). 

Je  nach  der  grösseren  oder  geringeren  Menge  neoplastischer  Elemente 
und  blutgefüllter  Gefässe  wird  das  Flügelfell  als  Pterygium  tenue  oder 
crassum  beschrieben.  Geringere  Grade  von  Verdickung  mit  sparsamer  Gefäss- 
entwickelung ,  welche  die  Diaphanität  des  betreffenden  Conjunctivaltheiles 
nicht  auflieben,  begreift  man  unter  dem  Namen  Pterygium  tenue  oder 
membranaceum.  Beim  Pterygium  crassum,  von  welchem  man  übrigens  noch 
zwei  Grade,  das  Pterygium  vasculosum  und  das  carnosum  oder  sarcomatosum 
unterscheidet,  ist  die  Massenzunahme  des  hypertrophirten  Bindehauttheiles 
und  des  unterlagernden  Episcleralgefüges  eine  so  bedeutende,  dass  es  merk- 
lich über  die  Fläche  der  nachbarlichen  gesunden  Conjunctiva  hervorragt 
und  dem  betastenden  Finger  die  Consistenz  eines  leicht  gespannten  Muskels 
darbietet.  Ueberdies  ist  die  Gefässentwickelung  eine  so  reichliche,  dass 
das  Flügelfell  oft  ganz  gleichmässig  blutroth  gefärbt  erscheint. 

Die  äussere  Form  des  Flügelfelles  ist  im  Allgemeinen  die  eines  gleich- 
schenkeligen  Dreieckes.  Die  Basis  desselben  ist  stets  gegen  die  Uebergangs- 
falte  gerichtet^  und  verwischt  sich  entweder  noch  in  dem  Gefüge  der  Con- 
junctiva bulbi  oder  reicht  bis  in  den  Uebergangstheil  hinein.  Der  Scheitel 
des  Flügelfelles  ruht  gewöhnlich  auf  dem  Rande  der  Hornhaut,  dringt  aber 
auch  oft  bis  gegen  deren  Centrum  vor,  überschreitet  letzteres  jedoch  nur 
in  sehr  seltenen  Ausnahmsfallen.  Besonders  beim  wahren  Flügelfelle  (Fig.  0(1) 
ist  die  dreieckige  Form  oft  deutlich  ausgesprochen,  indem  sein  Cornealtheil 
in  eine  wenn  auch  abgerundete  Spiitze  ausläuft,  gegen  welche  hin  die 
Seitenränder  der  Neubildung  ihrer  ganzen  Länge  nach  convergiren.  Beim 
falschen  Flügelfelle  (Fig.  55)  und  bei  den  verschiedenen  Uebergangsformen 
ist    das  Dreieck   etwas  unregelmässiger,    zuweilen   selbst  ziemlich  verwischt 


474  Flügelfell;  Ursaclien. 

und  nur  im  Bindehautiheile  auffällige!-.  Seine  Cornealportion  wird  nämlich 
meisthin  von  einem  rundlichen  oder  zackigen  Sehnenflecke  gebildet,  dessen 
Seitenränder  sich  in  jene  des  Bindehauttheiles  verlieren.  Mitunter  hat 
es  das  Aussehen,  als  ob  der  Bindehauttheil  aus  der  Mitte  eines  solchen 
sehnigen  HornhautÜeckes  entspränge.  Es  tritt  nämlich  ein  Bündel  lockeren 
gefasshaltigen  Bindehautgefiiges  aus  dem  Centrum  des  sehnigen  Hornhaut- 
fleckes  hervor,  legt  sich  gleich  gegen  den  Hornhautrand  um  und  ver- 
schmilzt mit  dem  hypertrophirten  Bindehauttheile  entweder  gänzlich  oder 
blos  in  seinem  mittleren  oder  Axentheile ,  während  die  Ränder  sich 
umschlagen  und  so  eine  der  Bindehaut  aufliegende  Falte  bilden ,  unter 
welcher  die  Sonde  mehr  weniger  tief  eindringen  kann. 

Beim  falschen  Pterygium  kömmt  es  öfters  vor,  dass  sich  einzelne  sehnige 
Stränge  oder  Bündel  lockeren  Bindegewebes  auf  den  TarscdtheU.  der  Bindehaut, 
auf  die  halhmond förmige  Falte,  Caruukel  oder  selbst  auf  den  freien  Lidrand  fort- 
setzen und  bei  gewissen  Bewegungen  des  Augapfels  sich  spannen. 

Der  gewöhnlichste  Standort  des  Pterygium  ist  der  Lidspaltentheil  des 
inneren  Quadranten  der  Conjunctiva  bulbi.  Nur  sehr  ausnahmsweise  findet 
man  an  einem  Auge  zwei,  drei  oder  vier  und  noch  mehr  (Mannhardt) 
Flügelfelle.  Dieselben  stehen  fast  constant  in  der  Verlängerung  der  geraden 
Augenmuskeln,  was  zusammenzuhängen  scheint  mit  dem  Ursprünge  vieler 
Bindehautgefässe  aus  Muskelästen. 

Ursachen.  Das  wahre  Flügelfell  ist  in  der  Regel  ein  durch  Hyper- 
trophie und  nachträgliehe  Schrumpfung  des  fächerförmigen  Entzündungs- 
herdes bedingter,  ständiger  Ausgang  des  Cornealherpes.  Abgesehen  von 
directen  Beobachtungen  des  'Ueberganges  eines  Cornealherpes  in  ein  Ptery- 
gium verum  spricht  hierfür  schon  die  anatomische  Form  des  letzteren 
und  der  Umstand,  dass  sich  in  den  meisten  Fällen  an  der  Spitze  des 
Cornealtheiles  die  Reste  der  eigentlichen  herpetischen  Efflorescenz  nach- 
weisen lassen.  Entsprechend  der  Häufigkeit  secundärer  herpetischer  Geschwüre 
oder  ganzer  Gruppen  herpetischer  Efflorescenzen  im  Gebiete  der  Hornhaut 
findet  man  jedoch  den  Cornealtheil  des  wahren  Flügelfelles  öfters  auch 
sehnenfleckühnlich  ausgebreitet  oder  von  einer  mit  sehnigen  und  kalkigen 
Knötchen  durchstreuten  epithelialen  Trübung  umgeben. 

Das  falsche  Pterygium,  zu  welchem  die  letztgenannten  Formen  gleich- 
sam den  Uebergang-  bilden,  entwickelt  sich  aus  randständigen  Corneal- 
geschiüüren,  welche  von  dem  Limbus  conjunctivalis  aus  mit  Granulationen 
überwuchert  werden,  während  die  nachbarlichen  entzündeten  Partien  der 
Conjunctiva  ebenfalls  wuchern  und  hypertrophiren.  Indem  die  den  Corneal- 
substanzverlust  deckenden  Granulationen  und  der  hj^Dertrophirte  Conjunctival- 
theil  späterhin  schrumpfen,  wird  die  entsprechende  Partie  der  Bindehaut 
in  der  Ptichtung  des  Meridians  gespannt  und  selbst  in  Gestalt  von  Falten 
über  das  normale  Niveau  emporgezogen  (Arlt,  Hasner).  Es  liegt  auf  der 
Hand,  dass  sowohl  herpetische  Geschwüre,  als  Geschwüre  jeder  beliebigen 
anderen  Art,  falls  sie  randständig  sind  und  granuliren,  die  Veranlassung  von 
Pseudopterygien  werden  können.  Man  sieht  solche  falsche  Flügelfelle  sogar 
aus  traumatischen  oder  chemischen  Substanzverlusten  der  Hornhaut  hervor- 
gehen, und  daher  kömmt  es  auch,  dass  das  falsche  Pterygium  bisweilen 
mit  Symblepharon  combinirt  auftritt  oder  Formen  annimmt,  welche  die  Ent- 
scheidung schwer  machen,  ob  man  es  mit  diesem  oder  jenem  Zustande  zu 
thun  habe. 


Ursachen ;  Ausgänge ;  Behandlung.  4  <  O 

In  neuester  Zeit  wird  ein  grosses  Gewicht  gelegt  auf  die  eigenthümliche 
Lockerung  der  Verbindung  zwischen  Liinl)ns  corneae  und  seiner  Unterlage.  Man  will 
darin  ein  wesentliches  disponireiides  Moment  für  die  Entwickelung  eines  Flügelfelles 
finden.  Bei  bejahrten  Individuen  soll  dieser  Zustand  besonders  häufig  nachweisbar 
sein  und  damit  auch  das  vorzugsweise  Auftreten  des  Pterygium  im  höheren  Alter 
im  Znsammenhange  stehen.  Es  soll  schon  eine  einfache  Gewebswucherung  am 
Limbus  geniigen,  um  hinterher  eine  Heranzitihung  der  Bindehaut  durch  Schrumpfung 
zu  ermöglichen  und  GenchwUrsbildimg  bei  weitem  nicht  su  constant,  als  man  früher 
voraussetzte,  die  letzte  Ursache  des  Flügelfelles  abgeben  (Hasner). 

Auf  Grundlage  directer  Versuche  an  Thiereii  wurde  unter  Annahme  einer 
mehr  unmUtelharen  Verbindung  zwischen  den  Aderhaut-  und  Cornealgefässen  auch 
die  Behauptung  ausgesprochen,  dass  das  spontan  vorkommende  Flügelfell  des 
Menschenauges  sehr  wahrscheinlich  „auf  Vcnenthromhose,  Gerinnsel,  Obliterationen 
oder  Verengerung  insbesondere  einer  Hornhaid-,  beziehungsweise  einer  Wirheivene 
beruht  und  sich  aus  der  hierdurch  Ijedingten  Kreislaufsstörung  im  Hornhautgebiete 
der  die  Sehnen  der  geraden  Augenmuskeln  durchbohrenden  Ciliararterien  entwickelt" 
(Winther).  Controlversuche  sind  indessen  nicht  zu  Gunsten  dieser  Ansicht  ausge- 
fallen (Hippel). 

Bei  Blenno7'rhoen  etc.,  welche  mit  Chemosis  der  Bindehaut  einhergehen,  iind 
ausgebreitete  Cornealgeschioüre  setzen,  könnnt  es  mitunter  vor,  dass  die  üherhilngenden 
Wülste  der  Conjunctiva  mit  dem  Boden  der  Geschwüre  verwachsen.  Nachdem  der 
Entzündungsproeess  gewichen  und  die  Geschwulst  gesunken  ist,  findet  man 
sehnenähnliche  Brücken,  welche  aus  der  Cornealnarbe  in  die  Augapfelbindehaut 
hinüberstreichen  und  ihrem  äusseren  Ansehen  nach  ganz  mit  falschen  Pterygien 
übereinkommen.  Doch  kann  man  unter  ihnen  mit  einer  Sonde  durchdringen,  ihr 
Körper  liegt  der  Cornealgrenze  nur  an,  ohne  damit  zusammenzuhängen. 

Das  Elügelfell  geht  indessen  keineswegs  in  entwickeltem  Zustande  aus 
jenen  Processen  hervor,  diese  setzen  gleichsam  nur  die  Anlage,  welche 
sich  nach  Ablauf  der  Entzündung  vorerst  blos  durch  einige  Verdickung 
und  Hyperämie  des  betreffenden  Bindehautsectors  bemerklich  macht. 
Solche  unentwickelte  Flügelfelle  gehen  dann  oft  ivieder  zurück,  oder  aber 
es  bleiben  nur  einige  ganz  kurze  sehnige  Fäden  übrig,  welche  aus  dem 
Cornealtheile  divergirend  in  die  Randzone  der  Bindehaut  ausstrahlen. 
Nur  ausnahmsweise  kommt  das  Pl-erygium  zur  völligen  Entwickelung  und 
nimmt  hierzu  gewöhnlich  mehrere  Monate  oder  Jahre  in   Anspruch. 

In  Fällen,  in  welchen  durch  fortwährend  oder  doch  sehr  häufig  auf 
das  Auge  wirkende  äussere  Schädlichkeiten  Keizzustände  oft  veranlasst  oder 
gar  continuirlich  unterhalten  werden,  kömmt  es  am  leichtesten  zu  Stande. 
Daher  ti'ifft  man  es  auch  in  auffallend  höherem  procentarischen  Verhält- 
nisse bei  Individuen,  welche  sich  viel  in  einer  mit  Staubtheilen  gemischten 
Atmosphäre  aufhalten,  oder  welche  ammoniakalischen  und  anderen  scharfen 
Dämpfen  ausgesetzt  sind,  bei  Steinmetzen,  Maurern,  Kanalräumern  etc. 
In  Egypten,  Indien,  Madeira,  Spanien  und  Italien  soll  es  häufiger,  als  in 
den  nördlichen  Ländern  Europa's  sein. 

Ausgänge.  Das  Flügelfell,  einmal  entwickelt  und  zu  einem  gewissen 
Grade  ausgebildet,  ist  ständig  und  eine  Zurückbildung  desselben  gehört 
gewiss  zu  den  grössten  Seltenheiten.  Theilweise  kann  es  verfettigen.  Ein 
Uebergaug  in  Afterbildungen  ist  gewiss  nur  zufällig  und  nicht  in  der  ana- 
tomischen Wesenheit  des  Pterygiums  begründet. 

Die  Behandlung  hat  vorerst  die  Entwickebing  des  Flügelfelles  zu  ver- 
hindern. Zweckmässige  Behandlung  des  Grundprocesses,  der  Gewebswucherung, 
ist  sohin  die  erste  und  hauptsächlichste  Aufgabe.  So  lange  die  Gewebs- 
wucherung unter  den  Erscheinungen  einer  heftigen  Reizung  einhergeht,  ist 
antiphlogistisches    Verfahren    angezeigt ,    späterhin    empfiehlt    sich    mehr    die 


476 


Fltigelfell:  Behandlung:  Abhindung:  Aii,sschneidnug. 


Fig.  55. 


Anwendung  adstrivgir ender  Mittel.  Am  meisten  leistet  in  letzterer  Beziehung 
die  Bepinselung  der  wuchernden  Bindehautstellen  mit  Opiumtinctur ,  vor- 
nehmlich, wenn  diese  letzteren  sehr  aufgelockert,  von  schwammigem 
Aussehen  sind,   oder  wenn  es  gilt,   üppig  wuchernde  Fleischwärzchen    auf 

einer  geschwürigen  Substanzlücke  der 
Cornea  und  Bindehaut  zu  tilgen  und  so 
die  künftige  Gewehsschrumpfung  zu  be- 
schränken. 

Bei  ausgebildeten  Pterygien,  deren 
Gefüge  sich  bereits  zu  reifem  Binde- 
gewebe entwickelt  hat,  oder  gar  schon 
theilweise  zu  derben  dichten  oder 
sehnenähnlichen  Massen  geschrumpft  ist, 
haben  diese  Mittel  keinen  Erfolg  mehr, 
es  wäre  denn ,  dass  der  Cornealtheil 
des  Piügelfelles  von  einer  epithelialen 
Trübung  umgrenzt  ist,  denn  diese  wird 
unter  deren  Anwendung  bisweilen  merk- 
lich aufgehellt  und  zugleich  auch  in 
ihrem  Umfange  verkleinert,  was  in  Bezug 
auf  die  Functionstiichtigkeit  des  Auges  oft 
von  grosser  Wichtigkeit  ist.  Die  Ent- 
fernung solcher  Pterygien  ist  nur 
Die    vorzüglichsten    Operationsmethoden 


durch 
sind : 


die    Operation    zu    erzielen. 


a.  Die  Ahhindiing  (Szokalski).  Zu  diesem  Belnife  wird  jedes  der  beiden  Enden 
eines  doppelten  seidenen  Fadens  in  eine  zarte  krumme  Het'tnadel  eingefädelt;  so- 
dann bei  weit  geöffneter  Lidspalte  das  Pterygium  mittelst  einer  Pincette  stark  von 
der  Sclera  abgezogen  und  hierauf  die  eine  Nadel  an  der  Basis  des  Flügelfells,  die 
andere  an  der  Hornhautorenze  so  eing-estochen ,  dass  sie  am  oberen  Kande  des 
Pterygiums  eindringt,  hart  an  der  Scleraloberfläche  vorbeistreicht  und  am  unteren 
Rande  des  Flügelfelles  wieder  hervorkommt  (Fig.  55).  Der  doppelte  Faden  bildet 
jetzt  nach  oben  eine  Schlinge.  Durch  Abschneiden  der  beiden  Nadeln  zerfällt 
der  Faden  in  drei  Theile,  in  einen  inneren,  mittleren  und  äusseren.  Es  werden 
nun  die  beiden  Enden  des  inneren  Fadens  zusammengeknüpft,  hierauf  jene  des 
äusseren,  und  endlich  die  beiden  nach  abw-ärts  laufenden  Enden  des  mittleren 
zusammengeschnürt  und  gebunden.  Die  Enden  der  Fäden  werden  entweder  ab- 
geschnitten ,  oder  mittelst  Heftpflastern  an  der  Wangenhaut  befestigt.  Nach  vier 
Tagen  wird  das  durch  die  Fäden  abgeschnürte  Pterygium  mit  der  Pincette  gefasst 
und  entfernt.  Die  Vernarbungr  erfolgt  in  kurzer  Zeit. 

h.  Die  Ausschneidung  (Arlt).  Während  ein  Gehilfe  die  Lidspalte  möglichst 
weit  öffnet  und  die  Augendeckel  fixirt,  fasst  der  Operateur  mittelst  einer  verläss- 
lichen Pincette  das  Pterygium  in  der  Gegend  der  Scleralgrenze,  zieht  es  vom 
Bulbus  ab  und  trennt  den  Cornealtheil  von  der  Spitze  her  mit  einer  nach  der 
Fläche  gekrümmten  feinen  Schere  los  (Fig.  56);  oder,  was  vorzuziehen  ist,  er 
stösst  ein  spitzes  Bistouri  oder  ein  Staarmesser  flach  an  der  Sclera,  zwischen  dieser 
und  dem  Halse  des  Flügelfells,  mit  nach  der  Cornea  gerichteter  Schneide  durch 
imd  schneidet  unter  leichten  Messerzügen  das  über  das  Niveau  der  Hornhaut  her- 
vorragende Stück  des  Cornealtheiles  möglichst  genau  von  seiner  Unterlage  los. 
Hierauf  fasst  er  diesen  losgelösten  Theil  des  Pterygiums,  zieht  ihn  ab  und 
präparirt  mit  einer  feinen  nach  der  Fläche  gekrümmten  Schere  den  Bindehauttheil 
des  Flügelfells  gegen  die  Uebergangsfalte  hin  auf  1 — 2  Linien  Entfernung  vom 
Hornhautrande  ab ,  indem  er  genau  den  Rändern  des  Pterygiums  folgt  und  sich 
hart  an  die  Scleraloberfläche  hält.  Die  beiden  Wundwinkel  werden  dann  durch 
zwei  convergirende  Schnitte  vereinigt,  welche  sich  noch  vor  der  Grenze  des  Ueber- 


AnssclinoiiUing' :  Proffimsi' :  'l'i-iui.s|pUui1iitiuii. 


477 


gangstlieiles  treften,  und  das  so  uinscliiicbeiK!  Flügelt'ell  ansgescIiHlt.  Dif  Wnud- 
fläclie  erscheint  nun  naliezu  rlimnhoidaJ.  Es  ist.  nicht  nöthii;'  und  (dier  scliädlich, 
die  Wunde  bis  in  den  Ueher- 

ga7i(/.stheil  auszudehnen,  Fig.  St;. 

doch  soll  man  in  thunlich- 
ster  Weise  aUe.f  Itypertro- 
phische  Gefüge  entfernen. 
Bei  grossen  und  breiten 
Pterygien  wird  dann  natür- 
lich auch  die  Wundfiäche 
sehr  gross  und  es  ist  in 
solchen  Fällen  uothwendig, 
die  klaffenden  Wundränder 
durch  einige  höchst  feine 
Knopfnätlie  zu  vereinigen, 
nachdem  mau  die  l)etreffen- 
den  Portionen  der  Conjunc- 
tiva  bulbi  in  genügend  gros- 
sem Umfange  von  ihrer  Un- 
terlage lospräparirt  hat,  um 
die  Zuziehung  der  Wund- 
ränder ohne  übermässige 
Zerrung  zu  ermöglichen. 

Es  bedarf  übrigens 
nicht  der  völligen  Ahtragung 
eines  rhomboidalen  Theiles 
oder  des  gesammten  Flügelfelles.  Es  genügt^  das  bis  zur  Basis  lospräparirte  Neu- 
gebilde einfach  surückzK schlagen  und  die  so  entstaiulene  dreieckige  Wunde  durch 
eine  Knopfnath  zu  schliessen.  Das  zurückgeschlagene  Pterygium  schrumpft  rasch 
und  wird  binnen  kurzem  ganz  unmerkbar  (Pagenstecher). 

Eiue  grüiidliche  Heilung  des  Pterygiums  wird  durcli  diese  beiden  Operations- 
methoden leider  nur  selten  erzielt.  Gelingt  auch  die  Vereinigung  der  Wundränder 
per  primam  intentionem ,  so  verdichtet  sich  doch  die  neoplastische  Verlöthungs- 
masse  gar  nicht  selten  zu  einem  sehr  derben  sehnigen  Strange,  der  sich  später  mehr 
und  mehr  zusammenzieht.  In  anderen  Fällen  kömmt  es  zur  Eiterung,  oder  doch 
zur  Entwickelung  von  Granulationen,  welche  allmälig  in  festes  fibröses  Narbeuge- 
webe  übergehen.  Die  weitere  Schrumpfung  dieser  Neugebilde  ist  dann  häufig  die 
Quelle  von  Bewegungshindernissen  des  Bulbus,  die  Narbe  wird  Ijei  gewissen  Stellungen 
des  Auges  gespannt,  zerrt  die  naclibarliche  Bindehaut  und  luiterhält  so  Reizungs- 
zustände ,  welche  mittelbar  wieder  zur  Hypertrophie ,  zur  Ausl)ildung  eines  neuen 
Pterygiums  führen.  Vielleicht  kann  man  diese  Uebelstände  einigermassen  ab- 
schwächen durch  die 

c)  T'ransplantation  des  FÜlgelfells.  Es  wird  zu  diesem  Behiife  das  Pterygium 
mit  einer  breiten  Hakenpincette  am  Rande  der  Hornhaut  gefasst,  so  viel  als  mög- 
lich emporgelioben  und  mit  einem  Staarmesser  von  der  Hornhaut  reinlich  bis  zu 
seiner  Basis  a/)gell>st.  Dann  wird  die  Bindehaut  mit  einer  krummen  Schere  nach 
beiden  Uebergangstheilen  hin  in  Bogenlinien  eingeschnitten,  welche  der  oberen 
und  unteren  Begrenzung  des  Pterygiums  entsi)rechen.  Nun  wird  die  sehnige  Spitze 
des  abgelösten  Flügelfells  uhgetrennt  und  der  Körper  des  Pterygiums  durch  einen 
in  seiner  Axe  verlaufenden  Schnitt  hcdtrirt.  Ist  dies  geschehen,  so  werden  zwei 
kleine  viereckige  Bindehautlappen  gebildet ,  ein  oberer  und  ein  unterer ,  um  die 
wunde  Stelle  zu  decken.  Durch  die  Schrumpfung  dieser  abgelösten  Bindehaut- 
lappen verbreitern  sieh  die  beiden  verticalen  Schnitte  an  der  Basis  des  Felles.  In 
die  beiden  dadurch  entstehenden  dreieckigen  wunden  Räume  werden  dann  die 
Hälften  des  Flügelfelles  festgenäht,  wozu  für  jede  gewöhnlich  ein  Natliknopf  an  der 
Spitze  genügt.  Darauf  wird  ein  Heft  durch  die  an  der  Cornea  liegenden  Winkel 
der  abgelösten  Bindehautla])pen  gelegt  und  ein  zweites  durch  die  beiden  am 
Pterygium  lieixenden  Winkel.  Dieses  letztere  Heft  wird  zugleich  auch  mit  der 
Mitte  des  gespaltenen  Pterygiums  verbunden,  wodurch  die  Vereinigungslinie  beider 
Bindehautlappen  etwas  angespannt  und  das  schläfenwärts  liegende  Ende  derselben 
von  der  Hornhaut  abgezogen  wird  (Knapp). 


478  riügelfell;  Behandlung;  Quellen. 

Nach  der  Operation  ist  Einschränkuvg  der  Augenheivegungen  durch  einen 
hinocularen  Schutzverband  sehr  zu  empfehlen,  damit  die  Knöpfe  nicht  reiben  und 
die  VerhJtliung  der  Wundränder  durch  Zerrung  und  Verschiebung  der  lospräparir- 
ten  Conjunctivaltheile  nicht  gestört  werde.  Es  ist  dieser  Verband  je  nach  Bedarf 
2 — 3  Tage  zu  tragen,  wo  dann  zur  Lösung  der  Nath  geschritten  werden  muss. 
Mittlerweile  ist  ein  entsprechendes  antiphlogisysches  Verhalten  anzuordnen.  Sollten 
sich  späterhin  unter  Eiterabsonderung  Granulationen  bilden,  so  sind  Bepinselungen 
mit  Opiumtinctur,  allenfalls  nach  vorläufiger  Abschneidung  stark  hervorragender 
Fleischwärzchen,  das  beste  Mittel. 

Ein  grosser  Uebelstand  liegt  häufig  in  den  auf  das  Pupillargebiet 
übergreifenden  dichten  Hornhauttrübungen,  deren  Aufhellung  kaum  auzuhoffen 
ist.  Selbst  wenn  die  Hornhautpartie  des  Flügelfelles  eine  ganz  oberflächliche 
Lage  hatte  und  völlig  entfernt  wurde,  bleibt  gewöhnlich  eine  epitheliale 
Trübung  von  demselben  Umfange  zurück.  Lagert  aber  der  Cornealtheil 
des  Pterygiums  in  einer  Substanzlücke  der  Hornhaut,  so  ist  an  eine  Wieder- 
herstellung der  Normalität  um  so  weniger  zu  denken ;  die  Substanzlücke 
wird  in  der  Kegel  wieder  durch  trübes  neoplastisches  Gefüge  ausgefüllt. 
In  einzelnen  Fällen  kömmt  es  wohl  gar  zu  Verschwärungen  der  Hornhaut 
in  grösserem  Umfange. 

In  Anbetracht  alles  dessen  ist  es  kaum  möglich,   sich  für  die  Ptery- 

giumoperation  zu  erwärmen.      Bei  kleinen    Flügelfellen,     wo   sie  am    ersten 

Erspriessliches  leistet,   sind  die  Anzeigen  vorwiegend  cosmetischer  Natur  und 

diese  fallen  bei  den  allermeisten  der  Behafteten  nicht  schwer  ins  Gewicht. 

Bei  grossen  Pterygien  aber  ist  ihre  Leistungsföhigkeit  überhaupt  eine  geringe 

und  die   Gefahr  eine  wesentlich  erhöhte.     Man  thut  hier  daher  wohl,   den 

Eingritf    zu    meiden    und,    falls    der    Hornhauttheil     durch    Verlegung    der 

Pupille    das    Sehvermögen    wesentlich     beiri't,    sich    mit    einer    künstlichen 

Pupille  zu  behelfen. 

Quellen:  Arlt,  Die  Krankheiten  des  Auges.  I.  Prag.  1851.  S.  158,  160,  163.  — 
Hasner,  Entwurf  einer  anat.  Begründung  der  Augenkrankheiten.  Prag.  1847.  S.  73; 
Klinische  Vorträge  etc.  Prag.  1860.  S.  184,  187,  189.  —  Rxiete,  Lehrb.  der  Ophth. 
II.  Braunschweig.  1854.  S.  167,  191.  —  Stelhoag,  Ophth.  II.  S.  854,  990,  991.  — 
Szokalski,  Arch.  f.  phys.  Heilkunde.  1845.  Nro.  2.  —  Arnold,  Die  Bindehaut  der 
Hornhaxit.  Heidelberg.  1860.  S.  42.  —  Pagenstecher  u,  Säinisch,  kl.  Beobachtungen. 
I.  Wiesbaden,  1860.  S.  15.  —  Winiher,  Experimentalstudien  über  die  Path.  des 
Flügelfelles.  Erlangen.  S.  14,  28,  32,  40,  49,  50.  —  Bipjjel,  Berlin,  kl.  Wochen- 
schrift. 1868.  Nro.  17.  —  Niemetschek,  Prag.  Vierteljahrschrift.  101.  Bd.  S.  81.  — 
Mannhardt,  A.  f.  O.  XIV.  3.  S.  26,  29.  —  Mooren,  Ophth.  Beiträge..  S.  73.  — 
Knapp,  A.  f.  O,  XIV.  1.  S.  267. 


2.  Die  Dürrsucht,  Xerosis  conjunctivae. 

Pathologie  und  Krankheitsbild.  Man  unterscheidet  zwei  Grade 
derselben,   den   Xerophthalmus  glaber  und   squamosus. 

Der  erstere  ist  gleichbedeutend  mit  partieller  Vernarbung  der  Bindehaut. 
Er  charakterisirt  sich  durch  ausgebreitete  sehnigweisse  seidenglänzende 
Narben,  welche  die  Conjunctiva  tarsi  und  den  Uebergangstheil  durchsetzen 
und  vermöge  ihrer  Schrumpfung  auch  wesentlich  verkürzen.  Die  Augapfel- 
bindehaut erscheint  dabei  in  der  Regel  auffällig  trocken,  steif  und  derb, 
so  dass  sie  bei  jeder  Bewegung  des  Bulbus  sich  in  eine  Menge  feiner,  dem 
Hornhautrande  concentrischer  Falten  legt.  Ihre  Oberfläche,  sowie  jene  der 
immer  getrübten  und   oft  auch  pannösen   Cornea,   hat  in  Folge    der  Trocken- 


Xerosis;  rathologie ;  Kiaiiklioitsljild:  Ursachen.  479 

heit  des  Epithels  einen  s^aux  eig-entliünilichen  matten  strohähnliehen  Glanz. 
Die  Absonderimg  der  Bindehmit  ist  dabei  sehr  verringert,  was  sicli  niolit 
nur  objectiv,  sondern  noeli  mehr  subjectiv  dui'cli  ein  äusserst  lästiges, 
besonders  zeitweise  hervortretendes  Gefühl  von  Trockenheit  im  Auge,  ver- 
bunden  mit  namhafter   Behinderung  der  Lidbewegungen,   beurkundet. 

Der  anatomische  Grundcharakter  des  Xeroplithalmus  squamosus  ist 
völliger  Untergang  der  Conjunctiva  sammt  Adnexis  in  einem  sehnigen  Narben- 
gefüge,  welches  natürlich  der  secretorischen  Fähigkeiten  völlig  entbehrt, 
zugleich  aber  auch  durch  seine  geringe  Flächenausdehnung  und  durch 
Derbheit  die  Bewegungen  des  Bulbus  und  der  Lider  wesentlich  hemmt,  also 
auch  die  Abstossung  und  Ausschwemmung  der  Epithelzellen  hindert  und 
damit  deren  Austrocknung  und  Ansammlung  in  dem  verengten  Conjunctival- 
sacke  begünstiget.  Man  findet  daher  bei  Eröffnung  der  Lidspalte  den  ganzen 
sehr  zusammengeschrumpften  Conjunctivalsack  sammt  der  Cornea  überkleidet 
von  einem  aus  trockenen  Epithelplatten,  Fett,  grumöser  organischer  Masse, 
Schleim  und  bisweilen  auch  aus  Kalkkörnern  bestehenden  Stratum  einer 
pulverig  fettigen,  grauweissen  oder  gelblichen,  fettigglänzenden,  schilferigen 
und  bisweilen  feinkörnigen  Masse.  Die  Cornealoberfläche  ist  pannös  getrübt, 
oder  von  einer  sehnenähnlichen  Neubildung  bedeckt ;  die  Bindehautsubstanz 
ganz  sehnig  entartet,  dicht,  derb ;  die  Carunkel  meisthin  verschwunden  oder 
nur  rudimentär  vorhanden;  die  halbmondförmige  Falte  verstrichen.  Die 
Pseudoconjunctiva  zieht  daher  direct,  in  Einer  Flucht,  von  der  Scleralober- 
fläche  zu  den  Lidwinkeln.  Li  der  Breite  der  Lider  senkt  sie  sich  nur  auf 
eine  geringe  Tiefe  ein  und  springt  immer  von  der  Sclera  sogleich  auf  die 
Oberfläche  des    Tarsus  über. 

Bisweilen  ist  die  Bindehaut  so  verkürzt,  dass  das  sie  vicariirende  sehnige 
Gefüge  fast  unmittelbar  vom  Rande  der  Hornhaut  zu  der  inneren  Lefze  der  Lid- 
ränder übergeht  und  die  Bewegungen  der  Lider  sohin  völlig  aufgehoben  erscheinen, 
die  Lidspalte  also  halb  offen  steht.  Der  Lidknorpel  ist  in  den  frühereu  Stadien 
meistens  verdickt,  später  aber  gewöhnlich  stark  geschrumpft,  mannigfaltig  verbogen 
und  die  Lider  daher  en-  oder  ectropionirt.  Die  Meibom'schen  Drüsen  und  die  Wimpern- 
b'dlge  zeigen  sich  der  Regel  nach  verkümmert  oder  ganz  imtergegangen  (Wedl). 
Die  Thränenpimkto  sind  häufig  verstrichen,  der  Thränensack  atrophirt,  die  Thränen- 
driise  in  vielen  Fällen,  aber  nicht  immer  (HasnerJ ,  im  Schwunde  begriffen.  Ver- 
möge dem  Untergange  der  secretorischen  Gebilde  und  der  Ausführungsgänge  der 
Drüse  ist  das  Weinen  unmöglich  geworden  und  selbst  starke  Reizmittel,  auf  die 
Oberfläche  des  Auges  gebracht,  rufen  nur  eine  schwache  Reaction  hervor,  welche 
sich  durch  Injection  der  Gefässe  und  durch  unangenehme  Gefühle  von  Drücken, 
Brennen  etc.  zu  erkennen  gibt. 

Ursachen.  Die  nächste  Ursache  des  Xerophfhalmus  ist  meistens  die 
degenerative  Form  der  Syndesmitis  (S.  413),  ein  hochgradiges  c?(^ttses  oder 
sulziges  Trachom,  letztere  beide  besonders  dann,  wenn  sie  vernachlässigt 
oder  durch  zu  starke  Caustica  misshandelt  wurden.  Nicht  minder  zählt 
die  Xerosis  zu  den  Nachkraukheiten  der  Diphtheritis  conjunctivae  und  ist 
hier  vornehmlich  bei  brandigen  Abstossungen  zu  fürchten  (Graefe).  Mit- 
unter entwickelt  sie  sich  auch  in  Folge  eines  lange  Zeit  auf  die  Bindehaut 
wirkenden  äusseren  Reizes,  z.  B.  bei  Trichiasis,  Entropium,  Lagophthalmus ; 
oder  in  Folge  einer  Verwachsung  der  beiden  Bindehautblätter  während  dem 
Verlaufe  von  Entzündungen,  nach  Anätzungen  oder  Verbrennungen,  oder 
nach  dem  seltenen  Pemphigus  conjunctivae   (S.   -il-i). 

Eine  besondere  Erwähnung  verdienen  die  avf  den  Lidspaltentheil  beschränkten 
Vertrocknungen ,    welche  mit  der  Neitroparalysis  (S.   11)  im  Zusammenhange  stehen 


480  Xerosis  partialis:  Lider. 

und  ihren  nächsten  Grund  in  der  verminderten  Thräneuabsonderung  und  in  dem 
mangelhaften  Lidschhisse  finden.  Hierher  gehört  wahrscheinlich  auch  die  an 
Lagophthalmus  und  an  venöse  Hyperämie  geliundene  Vertrocknung  des  Lidspalten- 
theiles  bei  der  Cholera  (Graefe),  so  wie  vielleicht  die  Xerosis  partialis  oder  trian- 
gularis,  welche  man  bei  tief  herabgekommenen,  marastischen,  anämischen,  besonders 
aber  bei  scorbutischen  Individuen  wiederholt  beobachtet  hat  und  welche  mit 
Hemeralopie  gepaart  während  der  letzten  Wochen  der  vierzigtägigen  Fasten  in 
Russland  häufig  vorkommen  soll  (Bitot,  Blessig).  Der  Lidspaltentheil  der  Binde- 
liaut  wird  bei  dieser  Krankheit  trocken,  fettig,  glanzlos,  wie  staubig,  nimmt  kein 
Wasser  an  und  legt  sich  bei  Bewegungen  des  Bulbus  in  feine  Falten.  Seine  Ober- 
fläche ist  inselweise  oder  seiner  ganzen  Ausdehnung  nach  von  vertrockneten  Epithe- 
lialzellen  bedeckt,  welche  zum  Theile  schon  in  Zerfall  begriffen  sind  (H.  Cohn). 
Meistens  ist  dabei  eine  stärkere  Reizung  nachzuweisen.  Nach  längerer  Zeit  wird 
das  xerotische  Epithel  algestossen  und  durch  normales  ersetzt,  oder  es  entstehen 
Geschwüre.  Oft  greift  die  Xerosis  auch  auf  die  Hornhaut  über  iind  führt  hier  zu 
Verschwärungen  mit  allen  ihren  Folgen,  bisweilen  sogar  zur  Necrosis  (Blessig). 
Die  unter  ähnlichen  Verhältnissen,  nämlich  Ijei  schlecht  gehaltenen  Sklaven  vor- 
kommende Ophthalmia  hrasiliana  (Gama  Loho)  soll  die  eigenthümliche  xerotische 
Krankheitsform  in  ihren  höchsten  Graden  zum  Ausdrucke  bi'ingen.  —  Im  Uebrigen 
will  man  die  trianguläre  Xerosis  auch  bei  ganz  gesunden,  wohl  genährten  Individuen, 
vornehmlich  aber  als  einen  Ausgangszustand  nach  Ophthalmien,  welche  zur 
Schrumpfung  der  Bindehaut  führen,  beoljachtet  haben  (H.  Cohn).  Es  liegt  auf  der 
Hand,  dass  diese  Fälle  von  den  oben  erwähnten  strenge  zu  scheiden  sind,  um  so 
mehr,  als  letztere  mit  dem  Grundleiden  in  der  Regel  zur  Heilung  gelangen, 
während  die  Xerosis  als  Folge  degenerativer  Zustände  der  Conjunctiva  ständig  iind 
unheilbar  ist. 

Behandlung.  Bei  Xerophthalmus  squamosus  hat  man,  um  das  ver- 
trocknete Epithel  aufzuweichen  und  auszuschwemmen,  sowie  um  die  Cornea 
vorübergehend  durchsichtiger  zu  machen  und  die  Thränen  einigermassen 
zu  ersetzen,  öftere  Einträufelungen  von  Kochsalzlösungen,  von  Solutionen 
caustischer  oder  kohlensaurer  Alkalien,  von  verdünnter  Essigsäure,  von 
Milch  u.  s.  w.  empfolilen.  Am  besten  scheint  die  öftere  Einplnselung  von 
Glycerin  zu  entspreclien,  iiidem  es  sich  längere  Zeit  in  dem  Bindehaut- 
sacke hält,  denselben  sehr  schlüpfrig  macht  und  die  Trübungen  der  Cornea 
merklich  aufhellt. 

Quellen:  Arlt,  Die  Kranhheiten  des  Auges.  I.  Prag  1851.  S.  126.  —  Hasner, 
Entwurf  einer  anat.  Begründung  etc.  Prag.  1847.  S.  78;  Beiträge  zur  Anat.  und 
Phys.  des  Thränenleitungsapp.  Prag.  1850.  S.  101.  —  Rnete,  Lehrb.  der  Ophth.  II. 
Braunschweig.  1854.  S.  172.  —  W.  Ch.  H.  Weher,  Ueber  die  Xerosis  conj.  Giessen. 
1849.  S.  3,  11,  14,  23,  28,  34.  —  Wedl,  Atlas,  Conj.  Sclera.  —  Stelhvag,  Ophth. 
II.  S.  865,  992.  —  Piringer,  Die  Blennorrh.  am  Menschenauge.  Graz.  1841.  S.  224, 
423.  —  Graefe,  A.  f.  O.  I.  1.  S.  249;  XII.  2.  S.  202.  —  Bitot,  Blessig,  Centralbl. 
1867.  S.  424.  —  H.  Colin,  Ueber  Xerosis  conjunctivae.  Diss.  Bresslau.  1868. 
S.  32.  —   Gama  Loho,   Uliersperger,  kl.  Monatbl.  1866.  S.  65. 


NEUNTER  ABS(  HNITT. 

Die  Entzündung  der  Lider,  Blepharitis. 

Anatomie.     Die  beiden  Lider,   Augendeckel,   Palpebrae,   schliessen  die 
Eino;an"süti'uuuü;  der   Augenhöhle    und   lagern   der  vorderen   Convexität  des 


Caiillu;  Li(lkMiii|ic| :  Aiip;riiliilliiiidi'. 


481 


Bulbus  unmiilolbar  an,  indem  .sie  duroli  ^fuskolwirkung  und  durcli  den 
Druck  der  Atmospliäre  an  dieselbe  angejjvessi  werden.  Sie  grenzen  sich 
mit  einem  freien  Rande  gegen  di(^  Lidspalte  ab ,  welche  letztere  einen 
äusseren  spitzen  und  einen  inneren  abgerundeten  Winkel  (Cantlms)  bildet. 
Am  Lidrande  ixnt erscheidet  man  ausser  der  bei  \"'  bi'eiten  Handfläche 
(Fig.  57  a,  nach  Donders)  eine  äussere  und  eine  innere  Lefze.  Die  äussere 
Lefze  b  ist   stark  abgerun-v 

det     und     wird     von     den  Fig.  r>i. 

Wimpern  oder  Cilien  in  ver- 
schiedener Höhe  durchbohrt. 
Die  innere  Lefze  c  liingegen 
stellt  eine  fast  rechtwin- 
kelige Kante  dar,  an  wel- 
cher dicht  an  einander 
gereihet  die  Tarsaldrüsen 
und,  nahe  dem  inneren  Lid- 
winkel, die  Thränenröhrclien  '* 
münden. 

Bei  der  Zicsammen- 
setzung  der  Lider  concur- 
riren  eine  Eeilie  von  Ge- 
bilden des  mannigfaltigsten 
anatomischen  Charakters. 
Sie  sind: 

1 .  Die  Lidknorpel,  Tarsi 
d,  welche  die  feste  Grund- 
lage der  Augendeckel  bilden. 
Sie  sind  eigentlich  nur  ver- 
dichtetes, aus  mannigfaltig 
sich  durchkreuzenden  Faser- 
bündeln gebildetes  und  von 
zahlreichen  elliptischen  Ker- 
nen durchstreutes  Bindege- 
webe ,  welches  sich  nicht 
rein  von  dem  submuscularen 
und  submucösen  Gefüge  los- 
präpariren  lässt.  Der  obere 
Knorpel  ist  weit  dicker, 
breiter  und  dichter,  als  der 
tijiiere  schmälere,  mehr  haut- 
artige. Hire  Gestalt  ist  halb- 
mondförmig mit  einem  inneren  stumpfen  und  einem  äusserefn  spitzen  Winkel, 
welche  beide  etwas  über  die  Canthi  der  Lider  hinausragen.  Der  der  Lid- 
spalte zugekehrte  Rand  ist  scharf  abgesetzt,  er  bildet  eine  Fläche.  Von 
da  ab  gegen  den  orbitalen  Rand  verschmächtigen  sich  die  Knorpel  und 
gehen  endlich  in  eine  Fascie  e  über,  welche  sich  am  Rande  der  Augen- 
höhle festsetzt.  Die  obere  Hälfte  dieser  Fascia  tarsoorbitalis  oder  Augen- 
lidbinde steht  mit  dem  Aufhebemuskel  in  A'erbindung,  dessen  Sehne  in  eine 
breite  Membran  ausläuft   und   sich  in  jene  Fascie  verliert. 

stell  wag,   Augenheilkundi'.  31 


482  Lider;  Anatomie;   Lidbäiider:  Meibom'sclie  Drüsen;  Muskeln. 

Am  inneren  Lidwinkel  hängt  die  Augenlidbinde  mit  dem  inneren 
Lidbande,  dem  Ligamentum  palpebrarum  internum,  zusammen.  Es  ist  dies 
ein  fast  2'"  breiter,  sehr  fester,  sehniger  Strang,  welcher  unmittelbar  unter 
der  Haut  liegt  und  bei  einem  auf  die  äussere  Commissur  ausgeübten, 
nach  hinten  gerichteten  Zuge  merklich  hervortritt.  Es  entspringt  dieses 
Band  an  der  Antlitztläche  des  Stirnfortsatzes  des  Oberkiefers  im  Perioste 
und  streicht  in  einer  nach  hinten  gerichteten  Curve  fast  horizontal  über 
den  oberen  Theil  des  Thränensackes  gegen  die  innere  Lidcommissur  hin. 
Vor  dieser  spaltet  es  sich  in  zwei  Hörner,  welche  sich  theils  an  den  Knorpel- 
winkeln und  den  umgebenden  Theilen  der  Lidbinde,  theils  in  dem  hinter 
der  Carunkel  gelegenen  Bindegewebe  verlieren.  Seine  hintere  Fläche  löst 
sich  in  ein  dichtes  sehniges  Maschenwerk  auf,  das  zwischen  dem  Bulbus 
und  dem  Thränensacke  nach  hinten  dringt  und  theilweise  mit  dem  sehni- 
gen Uebcrzuge  des  Thränensackes  zusammenhängt,  diesen  mächtig  ver- 
stärkend  (S.   Thränenorgane). 

Als  äusseres  Lidband  kann  man  eine  sehnige,  mit  elastischen  Elementen 
reichlich  durchsetzte  Verdichtung  des  Orbitalgefüges  betrachten,  welche 
von  der  hinteren  Fläche  der  Lidbinde  in  der  Gegend  der  äusseren  Commis- 
sur ausgeht  und  mit  der  Augenhöhlenfläche  des  Wangenbeines  und  der 
Scheidenhaut  des  Bulbus  zusammenhängt. 

2.  Im  Inneren  des  Knorpels,  umschlossen  von  dessen  Gefüge,  lagern 
Talgdrüsen  /,  welche  allgemein  als  Meibom'sche  Drüsen  beschrieben  werden. 
Es  sind  dieses  langgesti'eckte,  stellenweise  bedeutend  ausgeweitete  Schläuche, 
an  deren  Wandungen  eine  Anzahl  von  rundlichen  oder  birnförmigen  kurz- 
gestielten Drüsenbläschen  münden.  Es  öifnen  sich  diese  Schläuche  dicht 
an  einander  gedrängt  an  der  inneren  Lidlefze  (bei  c).  Ihr  dem  Lidrande 
zunächst  gelegener,  weitester  und  mit  den  grössten  Lobulis  besetzter  Theil 
liegt  ausserhalb  des  Tarsus,  umgeben  von  Bindegewebe  und  Muskelfasern. 
Innerhalb  des  Knorpels  streichen  sie  nahezu  senkrecht  gegen  dessen  Orbital- 
rand, ohne  ihn  jedoch  zu  erreichen,  indem  sie  bald  früher  bald  später 
blind  enden,  oder  aber  mit  nebenstehenden  Schläuchen  zusarameniüessen. 
Sie  nähern  sich  auf  diesem  Wege  bald  mehr  der  vorderen,  bald  mehr 
der  hinteren  Tarsalfiäche,  und  hier  und  da '  geschieht  es,  dass  einzelne 
Lobuli  aus  dem  Tarsus  heraus  ins  submusculare  oder  submucöse  Gefüge 
reichen. 

Ihr  Pi'oducl,  die  Augenbulter,  Lemma  oder  Sebum  palpebrale,  sind  vor- 
wiegend Zellen,  deren  Inhalt  rasch  verfettiget  und  welche,  indem  die 
Zellenmembran  berstet  und  zu  Grunde  geht,  in  Gestalt  von  Eettkörnchen 
ausgeschieden  werden. 

3.  Die  Muskeln.  Es  sind  dies  theils  animalische,  wie  der  Kreismuskel 
und  der  Levator  palpebrae  superioris,  theils  organische  glatte ,  wie  die 
beiden  Musculi  palpebrales  oder  orbitopalpebrales  (H.  Müller,  Henle,  Sappey, 
Harling). 

a)  Der  Kreismuskel,  M.  orbicularis  palpebrarum,  ist  ein  flacher  scheiben- 
förmiger Muskel,  welcher  nicht  nur  beide  Knorpel  und  die  Lidbinde, 
sondern  auch  die  Antlitzfläche  der  den  Orbitalrand  umgebenden  Knochen 
in  ziemlicher  Ausdehnung  deckt.  Man  unterscheidet  eine  Lidportion  und 
eine  Orbitalportion.  Dazu  kömmt  ein  peripherer  oder  accessorischer  Theil, 
welcher  aus  groben   und   dicken,   dunkel   gefärbten  und  durcli  Fett  von  ein- 


Muse,  orbicnlaris :   M.  Uurymalis  post.  seu  Horneri ;  M.  substarsalis.  483 

ander  mehr  minder  getrennten  Bündeln  besteht,  die  in  der  Nähe  der 
Orbitalportion  vom  Perioste  entspringen,  dieser  jedoch  nur  theüweise  sich 
anschliessen,  zum  anderen  Theile  aus  der  Richtung  der  Kreismuskeln 
heraustreten  und  in  den  nachbarlichen  Hautpartien  sich  inseriren.  Auch 
wird  fast  allseitig  noch  der  Thränenmuskel  oder  Horner'sche  Muskel  zum 
Orbicularis  gerechnet,  indem  er  sich  in  der  That  mit  der  Mehrzahl  seiner 
Bündel  dem  Kreismuskel  anschmiegt  und  so  die  JioUe  eines  gesonderten 
Kopfes  spielt. 

a)  Die  Lidportion  besteht,  namentlich  in  der  oberen  Hälfte,  aus  zarten  und 
blassen  Bündeln,  welche,  enge  an  und  nelten  einander  gedrängt,  die  Lidknorpel  und 
Lidbinde  nach  oben  und  unten  bis  zum  Orbitalrande  decken,  nach  aussen  aber  den 
Orbitalrand  überschreiten  und  7 — 8  Linien  hinter  die  äussere  Commissur  reichen. 
Die  den  Lidrändern  zunächst  gelegenen  Bündel  streichen  fast  horizontal  ;  je  weiter 
davon  entfernt,  desto  stärker  gekrümmte  Bögen  beschreiben  die  Fasern.  Jenseits 
der  Commissur  stossen  die  Bündel  der  beiden  Hälften  in  Winkeln  an  einander, 
die  um  so  spitzer  sind,  je  näher  der  Commissur  die  Fasern  enden.  Es  hängen  die 
letzteren  hier  durch  festes  derbes  Bindegewebe  mit  der  unterlagernden  Fascie  zu- 
sammen. Bei  genauer  Untersuchung  findet  man,  dass  die  einzelnen  Bündel  sich 
spalten  und  theüweise  in  die  andere  Hälfte  des  Muskels  übertreten,  theilweise  aber 
in  dem  Bindegewebe  an  der  Grenzmarke  beider  Hälften  enden.  Es  setzt  sich  die 
Lidportion  des  Orbicularis  aus  Muskelfasern  zusammen,  welche  theils  vom  Thränen- 
heijikaniine  kommen,  theils  von  dem  Lidbande  und  seinen  Ausläufern  entspringen 
und  früher  allgemein  als  zwei  gesonderte  Muskeln  beschrieben  wurden  (ArltJ. 

Die  Thränenkamnvpartie,  der  sogenannte  hintere  Thränennmskel,  M.  lacrymali^ 
posterior  oder  Horneri ,  ist  eiu  ziemlich  l)reites  und  dickes ,  länglich  viereckiges 
Fleischbündel,  welches  hauptsächlich  von  dem  Perioste  des  oberen  Drittheiles  der 
Christa  lacrynialis  und  der  angrenzenden  Portion  des  Thränenbeines,  mitunter  jedoch 
auch  theilweise  von  der  die  Thränenrinue  schliessenden  Aponeurose  entspringt  und 
in  einem  nach  innen  convexen  Bogen  gegen  den  Canthus  internus  der  Lider  hin 
streicht  (Siehe  Thränenorgane).  Bevor  es  denselben  erreicht,  theilt  sich  der  breite 
platte  Muskelbauch  in  einen  oberen  und  unteren  Ko^jf,  deren  einer  zum  oberen,  der 
andere  zum  unteren  Lidrande  geht.  Einzelne  der  Bündel  heften  sich  hier  an  das 
Balkenwerk  der  hinteren  Lidbandfläche,  andere  umspinnen  die  Thränenröhrchen  ; 
die  Hauptmasse  jedoch  setzt  sich  gegen  die  Lidränder  und  in  deren  Innerem  gegen 
die  äussere  Commissur  hin  fort.  Ein  Theil  dieser  Muskelfasern,  welche  man  als 
Muse,  subtarsalis  g  beschreibt,  läuft  innerhalb  und  hinter  den  C'ilien,  die  Ausfüh- 
rungsgänge der  Meibom'schen  Drüsen  in  Achtertouren  umspinnend  {Wolfring)  und, 
getrennt  von  der  Lidportiou,  zwischen  dem  freien  Rand  des  Tarsus  und  der  Lid- 
randdeciie.  Er  erreiclit  nicht  die  äussere  Commissur,  indem  seine  Fasern  sich  schon 
früher  an  verschiedenen  Stellen  in  der  Haut  der  Lidranddecke  inseriren.  Der 
andere  Endtheil  der  Thränenkammpartie  lagert  der  Eandzone  des  Knorpels  auf  und 
streicht  vor  den  Cilien.  Er  geht  über  die  äussere  Commissur  hinaus,  wo  die  Bündel 
der  beiden  Hälften  in  Winkeln  an  einander  stosseu. 

Die  Lidbandpartie  zerfällt  in  eine  obere  und  untere  Hälfte.  Beide  entspringen 
theils  von  den  äusseren  Enden  und  den  sehnigen  Hörnern  des  Lidbandes,  theils 
aus  der  Tiefe  von  dem  sehnigen  Maschenwerke,  in  welches  sich  die  hintere  Fläche 
des  fraglichen  Ligamentes  auflöst,  und  von  dem  filjrösen  Ueberzuge  des  Thränen- 
sackes.  Die  den  Lidrändern  zunächst  streichenden  Bändel  liegen  zum  Theile  über 
einander  (bei  h),  zum  Theile  decken  sie  auch  die  mehr  peripheren  Bündel  der 
Thränenkammpartie  und  reichen  mit  ihren  Enden  7 — 8  Linien  über  die  äussere 
Commissur  hinaus  (Arlt). 

ß)  Die  Orbitalportion  entspringt  theils  von  der  inneren  Hälfte  des  Lidbandes, 
theils  von  den  nachbarlichen  Knochenflächen,  namentlich  aber  von  der  Leiste  des 
Oberkieferfortsatzes  bis  herab  zum  Canalis  infraorbitalis  und  vom  Stirnbeine  bis 
zur  Incisura  supraorbitalis.  Einzelne  Bündel  kommen  auch  aus  der  Tiefe  von 
dem  sehnigen  Fachwerke  des  Lidbandes  und  von  dem  fibrösen  Ueberzuge  des 
Thränensackes.  Die  Bündel  sind  dick,  dunkel  gefärbt  und  gehen  an  der  Schläfen- 
seite ohne  Unterbrechung  und  ohne  festere  Verbindung  mit  der  Unterlage  in  ein- 
ander über.  Nur  einzelne  Bündel  treten  aus  dem  Kreise  heraus,  um  sich  hier  und 
da  mit  der  Oberlagernden  Haut  zu  verbinden  (ArÜ). 

31* 


484  Lider;  Aiuitoinu';  Aufhi-'heniUHkL'l:  <»r;,Miii.sclii!  LidiiLTibkrln;  VViniiiiTii ;   Lidhiiut. 

h)  Der  Aufhehemuslcel  hat  einen  langen  schmalen,  bandförmig  zu- 
sammengedrückten Bauch.  Ya  entspringt  gemeinschaftlich  mit  den  geraden 
Augenmuskeln  an  der  Peripherie  des  orbitalen  Sehloches,  streicht  an  der 
Decke  der  Augenhöhle  nach  vorne  und  setzt  sich,  etwas  verbreitert, 
an  der  Fascia  tarsoorbitalis  nahe  dem  convexen  Rande  des  oberen  Lid- 
knorpels fest. 

c.  Der  obere  Musculus  palijehralis  oder  orbiloijalpehralis  steht  in  unmittel- 
barem Zusammenhange  mit  dem  Levator  und  stelU  gleichsam  eine  Fortsetzung 
desselben  dar.  Seine  organischen  Fasern  entspringen  nämlich  zwischen  den  ani- 
malischen des  Aufhebemuskels  und  verbreiten  sich,  nur  von  vereinzelten  transver- 
salen Fasern  durchstreut,  flächenartig  zwischen  dem  vorderen  Blatte  des  Con- 
junctivalsackes  und  dem  darüber  liegenden  Lidknorpel  mit  seiner  Aponeurose. 
Der  Muskel  hat  die  Form  eines  abgestutzten,  etwa  12 — 14  Millim.  hohen  Dreieckes, 
dessen  Basis  sich  über  die  ganze  Breite  des  Lidknorpels  und  seiner  Aponeurose 
von  einem  Orbitalrande  zum  anderen  erstreckt.  Von  seinen  vielfach  unter  einander 
anastomosirenden  Längsfasern  setzen  sich  die  randständigen  an  der  inneren  und 
äusseren  Orbitalwand,  nahe  der  vorderen  Randleiste,  die  anderen  jedoch  in  einer 
schräg  aufsteigenden  gekrümmten  Linie  längs  der  oberen  Kandzone  des  Lid- 
knorpels an.  Muskel  und  Tarsus  vereinigt  stellen  also  einen  Kreisquadranten  vor, 
der  zu  beiden  Seiten  an  der  Orbitalwand  festhängt.  Der  Muskel  kann  nur  in  ver- 
ticaler  Richtung  wirken.  Er  wird  sowohl  bei  weiter  Oeffnung  als  bei  der  Schliessung 
der  Lidspalte  verlängert  und  gedehnt,  ist  also  Antagonist  für  den  Orbicidaris  und 
Levator,  wirkt  diesen  entgegen,  graduirt  deren  Leistungen  und  gibt  denselben  eine 
gewisse  Regularität  (Sappey,  Harling).  Seine  Lähmung  bedingt  eine  eigenthüm- 
liche,  gewöhnlich  mit  Myosis  einhergehende,  geringgradige  Ptosis  des  oberen  Lides 
(Homer). 

d.  Der  untere  Musculus  paJjjehralis  ist  mehr  netzförmig  mit  vorwiegend 
sagittaler  Richtung.  Er  liegt  dicht  unter  der  Conjunctiva  und  geht  von  dem 
orbitalen  Gewebe  nahe  der  Uebergangsfalte  bis  dicht  an  den  convexen  Rand  des 
unteren  Tarsus,  wo  er  mit  elastischer  Sehne  endet.  Er  hat  im  Vereine  mit  dem 
oberen  Palpebralmuskel  und  mit  den  organischen  Orbitalviuskeln  zweifelsohne  den 
Zweck,  einen  genauen  Anschluss  der  Lider  an  den  Bulbus  und  die  Weichtheile 
der  Orbita  zu  vermitteln,  was  luiter  Anderem  auch  für  die  Thränenleitung  von 
der  grössten  Wichtigkeit  ist.  Ob  derselbe  das  untere  Lid  zu  senken  vermag,  steht 
dahin  (Harling). 

4.  Unterhalb  des  Kreismuskels  findet  man  ein  von  Fettgetvebe  i  durch- 
setztes Stratum  von  Bindegewebe,  welches  der  Oberfläche  des  Knorpels 
anhängt  und  mit  dem  subcutanen  Gewebe  in  Zusammenhang  steht.  In 
diesem  Stratum  nahe  dem  freien  Lidrande  lagern,  vom  Orbicularmuskel 
gedeckt  und  von  Fettgewebe  umhüllt,  die  Bälge  der  Wimpern  oder  Cilien  k. 
Deren  Grund  ragt  bei  1'"  und  selbst  mehr  über  das  Niveau  der  Lid- 
randfläche  empor.  Ein  Theil  der  Bälge  sitzt  fast  unmittelbar  der  Knorpel- 
oberfläche auf  und  ist  fest  mit  derselben  verbunden;  ein  anderer  Theil 
aber  sitzt  etwas  lockerer  in  der  submuscularen  Schichte,  näher  oder  ferner 
dem  Tarsus  und  in  verschiedener  Höhe.  Ziemlich  nahe  der  Mündung  öifnet 
sich  in  jeden  Balg  eine  Anzahl  von  traubigen  Schmeerdrüsen  l,  deren  fettiges 
Product  die  Wimpern  beölt. 

In  nächster  Nähe  der  Cilien  linden  sich  zahlreiche  kleine  Härchen  m,  deren 
Bälge  theilweise  ebenfalls  mit  schön  entwickelten  Talgdrüsen  versehen  sind  (Moll). 
Die  Wimpern  sind  einem  beständigen  Wecltsel  unterworfen.  Haben  sie  ihre  normale 
Länge  erreicht,  was  ungefähr  binnen  150  Tage  geschehen  soll ,  so  löst  sich  ihr 
Bulbus  los  (wie  bei  l),  während  auf  der  Papille  ein  neues  Härchen  sicii  entwickelt, 
welches  das  alte  vor  sich  hertreibt,  bis  dasselbe  ausfällt  oder  durch  Reiben,  beim 
Waschen  des  Gesichtes  u.  s.  w.  entfernt  wird  (Donders). 

5.  Die  äussere  Lidhaut  n  ist  eine  sehr  zarte,  an  elastischen  Elementen 
arme    Fortsetzung    des    allgemeinen    Integumentes,    welche    durch   lockeres 


(lefiissp;  Norvi'ii ;  KilIzüihImiij!':  Nosnlogin.  485 

langfaseriges   fettloses    subcutanes    Gewebe    mit    den   Unterlagen  zusammen- 
hängt und   sich  in   brcMten   Falten   aufheben   lässt. 

In  dem  Unterlmutgowebe  lagern  zalilreiche  Schweissdrüsen  o  und  die  zarten 
Bälge  höchst  feiniu-  Härchen  p,  welche  die  äussere  Lidhaut  besetzen.  Die  dem 
Lidrande  nahen  Schwcissilrüssc.u  geben  ihre  charakteristische  Knäuelform  auf  und 
werden  zu  wenig  gewundenen  vcrhältnissmässig  weiten  Kanälen ,  welche  in  die 
Ausfülu'ungsgänge  der  Haarhälge  münden  (Moll,  StiedaJ. 

G.  An  der  inneren  Fläche  des  Tarsus  und  der  Fascia  tarsoorbitalis 
lagert,  durch  straffes  submucöses  Bindegewebe  fest  verbunden,  die  durch 
ihre  Papillen  ausgezeichnete    Conjunctiva  tarsi  q. 

7.  Die  arteriellen  Gefiisse  der  Lider  stammen  aus  der  Arteria  ophthal- 
mica  und  treten  als  Arteria  palpebralis  interna  et  externa  an  die  Augen- 
decke heran.  Sie  anastomosiren  vielfach  mit  Zweigen  der  Art.  angularis, 
lacrymalis,  temporalis  superf.  ant.  und  transversa  faciei  und  bilden  so  zwei 
die  Lidspalte  umkreisende  Gefässbögen,  den  Arcus  tarseus  superior  und 
inferior. 

Der  untere  Bogen  verläuft  längs  dem  convexen  Rande  des  unteren  Lid- 
knorpels, beim  Kinde  etwa  2 — 3  Miliim.  vom  Lidrande  entfernt.  Der  obere  Bogen 
liegt  dem  Lidrande  etwas  näher  (1 — 2  Miliim.),  gleich  dem  unteren  an  der  Vo7'- 
derßäche  des  Tarsus.  Er  gibt  etwa  3 — 4  Miliim.  von  den  beiden  Canthis  entfernt 
je  einen  Arterienzweig  ab.  Beide  Zweige  convergiren  gegen  einander  und  bilden 
anastomosirend  einen  zweiten  Arterienhogen  (TIenle) ,  welcher  unmittelbar  am  con- 
vexen Rande  des  oberen  Tarsus  verläuft.  Von  diesen  Bögen  und  den  mit  ihnen 
verbundenen  Gefässen  gehen  nun  zahlreiche  Zweige  zur  Hai;t  und  den  Muskeln 
der  Lider,  zur  Conjunctiva  und  zum  Tarsus,  welchen  sie  zum  Theile  durchholwen, 
um  sich  an  dessen  innerer  Seite  in  der  Lidbindehaut  zu  verzweigen  (Wolfring). 

Die  Venen  sammeln  sich  in  der  oberen  und  unteren  Lidvene  und 
gehen  in  die  Venae  temporales  mediae  und  Vena  facialis  antica  über.  Die 
Lymphgefässe  treten  in  die  oberflächlichen  Gesichts-  und  Submaxillar- 
drüsen  ein. 

Die  Hautnerven  sind  Zweige  des  Trigeminus.  Der  Orbicularmuskel 
wird  vom  Nervus  facialis,  der  Aufhebemuskel  aber  vom  Nervus  oculomo- 
torius  und  die  organischen  Muskeln  vom   Nervus  sympathicus   (ß.   9)  versorgt. 

Nosologie.  Die  Lider  lassen  sich  als  Falten  der  äusseren  Haut 
betrachten,  welche  in  ihren  einzelnen  Bestandtheilen  gewisse  Modificationen 
erlitten  haben.  Dem  entsprechend  sind  denn  auch  die  verschiedenen 
Formen  der  Blepharitis  nur  Wiederholungen  jener  Processe,  welche  täglich 
an  anderen  Bezirken  des  allgemeinen  Integumentes  beobachtet  werden  und 
genügend  bekannt  sind,   also   einer  eingehenden  Erörterung  kaum  bedürfen. 

1 .  Sehr  häutig  werden  die  Lider  ihrer  ganzen  Dicke  nach  in  einen 
Gewebswucherungsprocess  vertvickelt.  Gewöhnlich  geschieht  dieses  auf  secundäre 
Weise,  durch  Fortpflanzung  der  Entzündung  von  den  nachbarlichen  Theilen 
aus ;  das  Centrum  des  Herdes  ist  dann  bald  in  der  Bindehaut,  bald  im 
Augapfel,  in  der  Orbita  oder  deren  knochigen  Wandungen,  oder  in  den 
Weichth eilen  der  angrenzenden  Gesichtsportionen  zu  suchen.  Die  Mit- 
leidenschaft der  Augendeckel  pflegt  sich  unter  solchen  Umständen  mehr 
durch  die  Erscheinungen  des  entzündlichen  Oedemes  geltend  zu  machen  und 
rasch  zurückzutreten,  sobald  der  Process  im  Centrum  seines  Herdes  den 
Höhenpunkt  überschritten  hat  und  seinem  Ausgleiche  zustrebt.  Bisweilen 
jedoch  führt  die  entzündliche  Gewebswucherung  thatsächlich  zur  Hyper- 
trophie der  constituirenden  Theile,  besonders  wenn  sich  die  Anfälle  der  Ent- 
zündung öfter  wiederholen,  oder  wenn  der    Grundprocess  in  den  chronischen 


486    Blepharitis;  Nosologie:  Stand.  Lidoedem;  Atscess;  Carbnnkel;  Oedem.  malig. ;  Lupus;  Gummen. 

Verlauf   einbiegt    und    die  Blepharitis    längere  Zeit  hindurch  bei  geringen 
Intensitätsgraden  unterhält. 

Dariernde  Unterbrechung  der  Lymphbahnen  und  Behinderung  des  venösen 
Rückflus-ies,  wie  selbe  bisweilen  nach  Caries  oder  Nekrose  des  unteren  äusseren 
Orbitalrandes  oder  des  aufsteigenden  Unterkieferastes  durch  aiisgebreitete  und  tief 
in  den  Knochen  eindringende  Narben  gesetzt  werden,  machen  das  Oedem  der  Lider 
öfters  ständig.  Die  Lider  erscheinen  dann  manchmal  in  dem  Masse  aufgetrieben, 
dass  die  Lidspalte  fast  geschlossen  und  das  Gesicht  sehr  beirrt  wird.  Das  Infiltrat 
ist  unter  solchen  Umständen  gewöhnlich  mehr  sidzartig  und,  da  nebenbei  das  Unter- 
hautbindegewebe  in  sehr  auffälligem  Grade  verdichtet,  übernährt  zu  sein  pflegt, 
hat  die  Geschwulst  meistens  eine  ziemlich  bedeutende  Consistenz. 

Oft  genug  tritt  die  Blepharitis  auch  mehr  selbständig  und  mit  hohen 
oder  höchsten  Intensitätsgraden  auf.  Das  Product  ist  daian  eine  vorwaltend 
aus  wuchernden  Zellen  und  Kernen  bestehende  starre  derbe  Masse,  welche 
sich  vornehmlich  in  den  lockerer  gewebten  inneren  Schichten  der  Augen- 
deckel anhäuft  und  meistens  sehr  umfangreiche  Geschwülste  ei'zeugt.  Es 
schmelzen  diese  Massen  in  der  Regel  bald  zu  Eiter ,  während  sie  au  der 
Peripherie  durch  fortgesetzte  Gewebswucherung  sich  mehr  und  mehr  aus- 
dehnen  (Lidabscess). 

Ausnahmsweise  tragen  derlei  Abseesse  den  Charakter  eines  Anthrax  oder 
Carhunkels  (Himly,  MackenzieJ  und  führen  durch  brandige  Abstossuugen  zu  ausge- 
breiteten Substanzverlusten,  wenn  nicht  früher  der  Tod  dem  Leiden  ein  Ende 
macht.  Es  sind  diese  Zustände  zu  unterscheiden  von  dem  Oedeviu  malignum  oder 
gangraenosum,  welches  besonders  bei  Leuten  vorkömmt,  die  sich  mit  Thierabfällen 
beschäftigen.  Es  hat  anfänglich  oft  ganz  das  Ansehen  eines  einfachen  Oedems, 
dehnt  sich  jedoch  rasch  bis  auf  den  Hals ,  die  Brust  und  den  Bauch  aus,  wirft 
Brandl)lasen  auf,  erzeugt  nekrotische  Schorfe  und  zerstört  die  Haut  in  weitem  Um- 
kreise. Oft  geht  der  Kranke  auch  unter  allgemeinen  Erscheinunge,n  zu  Grunde 
(Mauvezin,  Debrou). 

Eine  besondere  Form  der  Blepharitis  ist  der  Lupus.  Er  entwickelt  sich  nur 
selten  primär  in  den  Lidern,  sondern  greift  auf  diese  meistens  sectmdär,  von  den 
Nachbartlieilen  des  Gesichtes  aus,  über.  Er  zerstört  gewöhnlich  grosse  Portionen  der 
Augendeckel  und  veranlasst,  falls  er  sich  zeitlich  begrenzt,  deren  Schrumpfung 
zu  formlosen  Wülsten.  Häufiger  consumirt  er  die  Lider  ihrer  ganzen  Ausdehnung 
nach,  geht  auf  die  Bindehaut  und  den  Augapfel  über  und  frisst  wohl  auch  die 
knochigen  Wandungen  der  Orbita  sammt  deren  locker  gewebtem  Inhalte  weg,  falls 
nicht  früher  der  Tod  eintritt. 

Ebenso  grosse  Verwüstungen  richten  bisweilen  secundäre  syphilitische  Ge- 
schwüre im  Bereiche  der  Lider  an.  Es  breiten  sich  dieselben  meistens  von  den 
umgebenden  Weichtheilen  und  Knochen  des  Gesichtes  auf  die  Augendeckel  aus. 
Mitunter  jedoch  treten  sie  selbständig  in  den  Lidern  auf.  Sie  gehen  dann  in  der 
Regel  hervor  aus  harten  und  wenig  empfindlichen  Knoten,  die  in  der  äusseren  Haut 
und  dem  subcutanen  Bindegewebe  sitzen  und,  indem  sie  von  der  Oberfläche  aus 
schmelzen,  hässliche  Geschioüre  mit  infiltrirtem  unebenen,  oft  trichterförmig  einge- 
senkten Boden ,  befressenen  steilen  Rändern  und  missfärbigem  Secrete  erzeusren. 
Ist  ein  solches  Gumma  an  dem  freien  Lidrande  znr  Entwickelung  gekommen,  so 
zerstört  es  immer  gleichzeitig  die  äussere  Haut,  den  Kumpel  und  die  Bindehaut  mit 
den  zwischenlagernden  Gebilden.  Entwickelt  sich  dasselbe  aber  mehr  an  der  Fläche 
der  Lider,  so  greift  es  rasch  in  die  Tiefe,  durchbohrt  wohl  auch  den  Augendeckel 
völlig  und  breitet  sich  überdies  der  Fläche  nach  aus,  um  endlich  auch  die  Brücke, 
welche  es  von  dem  freien  Lidrande  trennt,  zu  durchbrechen  (Mackenzie,  Desmarres, 
Wedl,  Hirschler).  Doch  nicht  immer  gehen  syphilitischen  Verschwärungen  Gummen 
voraus.  In  einzelnen  Fällen  beginnt  der  Process  mit  Infiltrationen  einer  Stelle  der 
Bindehaut,  geht  jedoch  rasch  in  Verschivärnng  über  und  setzt  ein  conjunctivales 
Geschwür,  das  durch  seinen  speckigen  Beleg,  die  zackig  befressenen  Ränder  und 
den  unebenen  löcherigen  Boden,  so  wie  durch  sein  baldiges  Uebergreifen  auf  den 
Intermarginaltheil  und  von  da  auf  die  äussere  Haut  sehr  ausgezeichnet  ist.  Wird 
das  Grundleiden  durch  eine    entsprechende  Therapie ,    namentlich  mit  Mercurialien 


Erysipel;  Primäre  Blophiiritis ;  Chanker:  Exantheme;  Ephidrosis.  487 

und,  wo  der  Körper  mit  diesen  etwa  sclion  übersättigt  ist,  mit  Jodkali,  getilgt;  so 
kömmt  es  meistens  i'afirfi  zur  Vernar/iiinrj  und  zwar  ist  die  Narhe  seUmt  eine  sehr 
charahteristisclie,  so  dass  sie  rückwärts  auf  ein  vorausgegangenes  sypiiiiitiselies  Ge- 
schwür schliesseu  iässt.  Sie  stellt  sich  nämlich  als  ein  der  Cilien  ganz  barer, 
scharf  gezeichneter,  sehnig  weisser  Strang  dar,  \velcher  den  Lidrand  seiner  ganzen 
Dicke  nach  durchsetzt  und  vermöge  seiner  starken  Schrumpfung  in  Gestalt  einer 
Lücke  einbuchtet  (Hiracliler). 

2.  In  linderen,  nicht  minder  liäufigen  Fällen  beschränkt  sich  die  Ent- 
zündung auf  einzelne  Bestandtheile  der'  Lider,  die  Blepharitis  ist  eine 
pai'tieUe. 

a.  Die  äussere  Lidhaut  und  das  darunter  gelegene  lockere  Bindegeivebe 
participiren  fast  immer  in  sehr  auffälligem  Grade  am  Gesichtsrothlauf.  Oft 
greift  der  letztere  auch  wohl  tiefer,  wo  dann  die  Bindehaut  die  Erscheinungen 
des  entzündlichen  Oedemes  und  selbst  die  der  wahren  Chemosis  darbietet. 
Im  Verlaufe  des  Erysipels  entwickeln  sich  nicht  selten  Eiterblasen  an  der 
Oberfläche  der  Lider,  oder  es  bilden  sich  Abscesse  aus,  welche  ai-ge  Ver- 
wüstungen in  den  locker  gewebten  Stratis  sowie  in  der  äusseren  Haut 
anzurichten  im  Stande  sind.  Mitunter  sterben  die  Lider  wohl  auch  durch 
Brand  ab  und  die  Gangrän  verbreitet  sich  mehr  oder  weniger  weit  in  das 
Orbitalgewebe   (Biermann). 

Primär  entsteht  die  Dermatitis  der  Lider  öfters  nach  heftigen  trau- 
matischen Eingriffen,  besonders  aber  in  Folge  von  Verbrennungen  und 
Anätzungen.  Es  kommt  dann  ziemüch  häufig  zu  ausgebreiteten  Ver- 
schioärungen  der  äusseren  Liddecke  und,  indem  der  Substanzverlust  durch 
eine  stark  zusammenschrumpfende  Narbe  geschlossen  wird,  zu  Verkürzun- 
gen der  Lidhaut,  zu  Abhebungen  der  Augendeekel  vom  Bulbus  mit  oder 
ohne  Verkrümmung  derselben  (Ectropium).  Griff  der  Verschwärungspi'ocess 
auf  die  freie  Randfläche  der  Lider  hinüber,  so  resultirt  nicht  selten  eine 
Verwachsung  der  Lidspalte  in  grösserer  oder  geringerer  Ausdehnung 
(Ankyloblepharon).  Falls  die  Vereiterung  wegen  extensiver  Wirkung  des 
ätiologischen  Momentes  sich  bis  in  den  Bindehautsack  hinein  erstreckte, 
verwächst  bisweilen  die  innere  Lidfläche  in  grösserer  oder  geringerer  Aus- 
dehnung mit  der  Oberfläche   des  Bulbus  (Symblepharon  anterius). 

Hautgeschwüre  finden  überdies  in  seltenen  Fällen  ihre  Veranlassung 
in  der  Einimpfung  von  Schankereiter.  Sie  ti'agen  dann  ganz  den  Charakter 
des  primären  syphilitischen  Geschwüres  und  breiten  sich  öfters  sehr  weit 
nach  allen  Richtungen  aus.  Ihr  Lieblingssitz  ist  die  mit  einem  zarteren 
Integumente    bekleidete  lAdirandfläche  (Mackenzie,  Desmarres). 

Ausserdem  ist  die  äussere  Lidhaut  gar  oft  der  Boden  für  exanthema- 
tische  Efflorescenzen.  Es  gibt  kaum  einen  Ausschlag  acuten  oder  chroni- 
schen Verlaufes,  welcher  sich  nicht  nebenbei  an  der  Liddecke  localisiren 
könnte.  Von  besonderer  praktischer  Wichtigkeit  sind  die  pustulösen 
Efflorescenzen  des  Eczems  und  der  Blattern.  Es  schiessen  dieselben  nämlich 
nicht  selten  in  sehr  grosser  Zahl  an  den  Lidrändern  auf  und  führen  dann 
bisweilen  gleich  von  vorneherein^  oder  aber  indem  sie  unter  Aufgeben 
ihres  specifischen  Charakters  in  eine  Blepharitis  ciliaris  übergehen,  zu  den 
traurigen  Folgen  der  letzteren,  insbesondere  zur  Vereiterung  der  Haar- 
drüsen oder  selbst  der  ganzen  Wimpernbälge,  zu  narbigen  Verbildungen 
des  Lidrandes  u.  s.  w. 

Nebenbei  möge  hier  der  Ephidrosis  palpebrarum  oder  der  Schweisskrankheit 
der  Lider  Erwähnung  geschehen.     Sie  kömmt  selten  und  in  der  Regel  bei  Indivi- 


^HX  Blepharitis:  Nosologie:  Acne  oder  Hantfinne. 

dueii  vor.  welche  überhaupt  zu  profusen  Schweisseu  au  einzelneu  Körpertheileu 
geneifft  sind.  Die  Lider  erscheinen  bedeckt  vou  einer  klebrigen  Flüssigkeitsschichte, 
welche  abgewischt  sich  alsbald  wieder  unter  der  Gestalt  zusammenfliessender 
kleiner  Tröpfchen  ersetzt.  In  der  oberen  faltigsten  Gegeud  des  oberen  Lides  wird 
dieses  Secret  durch  den  Lidschlag  öfters  in  Schaum  aufgebläht  uud  bedingt  daselbst 
auch  gerne  Excoriationeu  i  Graefej.  Mau  empfiehlt  warme  Bäder  und  kalte  Ab- 
reibungen gegen  dieses  im  Gauzen  sehr  hartnäckige  Leiden  (Mooren). 

h.  Auch  die  Haardrüsen  der  Lider  sind  der  Entzündung  sehr  unter- 
worfeu.  Es  wiederholt  sich  in  ihnen  dei'selbe  Voi-gang,  welchen  man  an 
anderen  Theilen  des  allgemeinen  Integumentes  mit  dem  Xamen  .Hautfinnt 
oder  Acne'*  zu  bezeichueu  gewöhnt  ist.  In  Folge  gewisser  Schädlichkeits- 
einwirknngen  beginnen  nämlich  die  Zellen  zu  wnchem,  welche  ■  der  Innen- 
wand der  Drüsenbälge  anliegen  uud  in  ihren  weiteren  Metamorphosen  das 
fettige  Drüseusecret  darstellen.  Die  Drüsenhöhle  wird  dem  entsprechend 
ausgedehnt.  Gleichzeitig  schwillt  aber  auch  das  den  Drüsenbalg  umgebende 
Bindegewebe  vermöge  der  Hyperämie  seiner  Gefässnetze  und  der  entzünd- 
lichen Produeteinlagerung  an. 

Bei  den  niedersten  Intensitätsgraden  des  Processes  ist  die  entzündliche 
Schwellung  der  bindegewebigen  Drüsenhülle  eine  nur  geringe,  die  Krankheit 
äussert  sich  vorwaltend  durch  Vermehrung  des  Secretes,  welches  übrigens 
seinem  äusseren  Ansehen  nach  nicht  gerade  beträchtlich  von  der  normalen 
Hautschmiere  abweicht.  In  vielen  Fällen  verhornt  ein  Theil  der  neuge- 
bildeten Zellen,  während  er  von  den  später  entwickelten  Zellen  an  dem 
Haare  langsam  nach  vorne  geschoben  wird  und  präsentirt  sich  dann  an 
der  Haarbalgmündung  in  Gestalt  kleiner  fettiger  Schüppchen  oder  grösserer 
epidermisartiger  grauer  fettiger  Schwarten,  welche  die  äussere  Lidlefze  in 
grösserer  oder  geringerer  Ausdehnung  überkleiden  und  einzelne  Cilien  oder 
Bündel  derselben  eine  Strecke  weit  sowohl  innerhalb  als  ausserhalb  des 
Balges  scheidenartig  überziehen.  Der  Best  des  Secretes  vertrocknet  zu 
gelbhchen  Borken,  welche  den  Wimpern  und  der  Epidermis  ziemlich  fest 
anhaften. 

Bei  höheren  Intensitätsgraden  der  Entzündung  gewinnt  das  Secret 
bedeutend  an  Masse,  es  wird  dünner,  dem  Eiter  ähnlicher,  die  Krusten- 
bildung an  dem  Lidrande  ist  eine  überaus  reichliche.  Gleichzeitig  ist  aber 
auch  die  Gewebswucherung  in  dem  bindegewebigen  Hüllwerke  der  Drüse 
eine  sehr  üppige,  der  Lidrand  schwillt  in  der  Gegend  der  entzündeten 
Drüse  beträchtlich  an,  es  entwickelt  sich  ein  sogenannter  Acneknoten  oder, 
falls  eine  grössere  Anzahl  neben  einander  stehender  Acini  oder  Drüsen- 
paquete  an  dem  Processe  participiret,  ein  förmlicher  WuUt.  Meistens  leidet 
dann  auch  der  Haarboden  mit,  der  ki-ankhafte  Wucherungsprocess  macht 
sich  auch  in   den  Haarbälgen  bemerklich. 

Die  Zwiebeln  der  Wimpern  schwellen  mächtig  an ,  verbreitern  sich ,  so  dass 
sie  der  Papille  mit  einer  mehr  minder  ebenen  Fläche  aufsitzen:  zugleich  werden 
sie  vermöge  beträchtlicher  Aufquelluug  der  sie  constituireuden  Zellen  iceick,  lassen 
sich  leicht  zusammendrücken  oder  erscheinen  gar  klebrig.  Dabei  fällt  ihr  enormer 
Pigvienfreichihum  auf,  es  ist  wegen  der  üppigen  Neubildung  die  \'erhornuug  luid 
die  Bleichuug  der  Haarzellen  eine  nnvolhtändige  oder  verspätete.  Die  Zellen  des 
Markkanales  hat  man  bald  vorhanden,  bald  theilweise  oder  ganz  fehlend  gefunden. 
Die  innere  Wur^dscheide  haftet  zähe  dem  Schafte ,  dagegen  sehr  lose  der  äussei-en 
Scheide  an,  daher  die  Wimpern  sich  leicht  und  schmei-zlos  entfernen  lassen  [Schiess- 
Gemuseus,  Saemischj. 


r.l(>))li:iritis  i-iliaris  -;c<-ic'tiii-ia.  liypcrlrMiiliica,  ulcerosa.  4'^9 

Steigert  sich  der  l'rocess  iiüch  weiter,  was  öfters  secuudär  geschieht, 
indem  der  sich  sammelnde  Drüseninhalt  gleich  einem  fremden  Körper  auf 
seine  Umgebungen  wirkt  ;  oder  tritt  der  Process  gleich  von  vorneherein 
mit  sehr  grosser  Intensität  auf:  so  ist  Vereiterung  das  gewöhnliche 
Resultat.  Es  nimmt  dann  der  wuchernde  Inhalt  der  Drüse  die  Eigen- 
schaften des  Eiters  an,  während  gleiclizeitig  das  die  Drüsenwand  umgehende, 
entzündlich  angeschwollene  Gefiige  zerfällt  und  so  die  P^iterhöhle  ver- 
grössert.  Auch  hat  sich  dann  der  suppui'ative  Process  gemeiniglich  schon 
auf  den  eigentlichen  Haarbalg  fortgeptianzt  und  hier  zur  eitrigen  Zerfällniss 
geführt;  wird  das  betreffende  Haar  ausgezogen,  so  folgt  ihm  ein  weiss- 
grauer  Pfropf,  welcher  aus  Eiterzellen  besteht,  die  in  und  zwischen  den  in 
üppiger  Zellenprolification  befindlichen  Wurzelscheiden  lagern  und  dieselben 
auch  von  Aussen  her  umgeben  (Schiess-Gemuseus).  Das  eitrige  Product 
kann  sich  weiterhin  durch  die  offene  Haarbalgmündung  entleeren  oder  es 
bohrt  sich  unter  fortgesetzter  Schmelzung  der  infiltrirten  Gewebe  einen 
Weg,  gelangt  allmälig  an  die  Oberfläche  und  bricht  nach  aussen  durch, 
nachdem  die  Epidermis  blasenartig  hervorgetrieben  wui'de.  Gewöhnlich 
geschieht  dieses  nahe  der  Mündung  des  zugehörigen  Haarbalges;  hier  ent- 
wickeln sich  am  öftesten  die  Acnepusteln,  da  sich  der  Eiter  in  der  Rich- 
tung der  Ausführungsgänge  leichter  uud  rascher  Bahn  bricht,  als  er  das 
derbere  Gefüge  der  eigentlichen  Cutis  durchbohrt  (Acne  pustulosa).  Mit 
der  Entleerung  des  Paters  betritt  der  Process  meistens  den  Weg  zum  Aus- 
gleiche. Mitunter  jedoch  gelangt  wegen  Ungunst  der  Verhältnisse  der 
Process  nicht  zur  Heilung,  es  entwickelt  sich  an  der  Stelle  der  Pustel 
ein  Geschwür,  welches  tiefer  und  tiefer  greift  und  durch  seine  Dauer  so 
wie  durch  seine  Folgen  in   hohem   Grade  misslich  werden  kann. 

Gleichwie  an  anderen  Theilen  der  äusseren  Haut  tritt  die  Acne  auch 
an  dem  Lidrande  bald  in  discreter  Form  auf,  iudem  der  Process  sich  auf 
Einen  Acinus  oder  auf  Ein  einzelnes  Drüsenpaquet  beschränkt ;  bald 
werden  fast  sämmtliche  Talgdrüsen  eines  oder  aller  vier  Lidränder  in  den 
Process  verwickelt,  wo  man  dann  den  Zustand  Blepharadenitis  oder 
Blepharitis  ciliaris  nennt. 

Der  Process  kann  in  einem  wie  in  dem  anderen  Falle  jeden  beliebigen 
Intensitätsgrad  darbieten.  Die  Acne  discreta  kömmt  am  häufigsten  in  der 
knotigen  und  pustulösen  Form  vor.  Die  Blepharitis  ciliaris  hingegen  ver- 
läuft relativ  häufiger  bei  sehr  geringer  Intensität  uud  präsentirt  sich  dann 
vermöge  der  geringen  Schwellung  des  hypcrämirten  Lidrandes  unter  der 
P'orm  eines  vorwaltend  secretorischen  Leidens  (Blepharitis  ciliaris  secretoria). 
Doch  sind  auch  höhere  Intensitätsgrade  der  Blepharitis  ciliaris  ganz 
gewöhnliche  A'orkommnisse.  Sie  fuhren  meistens  sehr  rasch  zu  beträcht- 
licher Hypertrophie  des  die  Drüsen  und  die  Cilienbälge  umhüllenden  Binde- 
gewebes, somit  zu  einer  mehr  weniger  auffälligen  Wulstung  und  Ver- 
härtung des  Lidrandes  (Blepharitis  ciliaris  hypertrophica).  Weniger  oft 
entwickeln  sich  nach  theilweiser  Vereiterung  des  entzündlichen  Productes 
Geschwüre  am  Lidi'ande,  welche  sich  mehr  und  mehr  ausbreiten,  zusammcn- 
fliessen,  die  äussere  Lidlefze  in  grösserer  oder  geringerer  Ausdehnung 
consumiren,  wohl  auch  in  die  Tiefe  greifen  und  durch  die  damit  ver- 
bundenen Substanzverluste  in  hohem  Grade  verderblich  werden  können 
(Blepharitis  ciliaris  ulcerosa). 


490  Blepharitis;  Nosologrie;  Sebon-hoea  ciliaris:  Blepharitis  tarsalis. 

Innig  verwandt  mit  der  secretorischen  Form  der  Blepharadenitis  und  eigent- 
lich nur  gradweise  verschieden  ist  die  Seborrhoea  ciliar-is.  Sie  wird  nur  sehr  selten 
und  dann  in  Gesellschaft  von  Seborrhoe  der  übrigen  Gesichtshaut  beobachtet.  Der 
Lidrand  ist  dabei  nicht  angeschwollen,  nur  zeitweise  hyperämirt,  aber  fortwährend 
mit  fettigen  Krusten  von  graugelblicher  Farbe  bedeckt,  welche  denen  des  Gneises 
der  Kinder  ähneln,  der  Epidermis  sehr  lose  anhängen,  wenn  sie  entfernt  werden, 
sich  rasch  wieder  erzeugen  und  bei  vernachlässigter  Reinigung  der  Lider  in  kurzer 
Zeit  ansehnliche  Grössen  erreichen. 

c.  Die  Knorpel  entzünden  sich  kaum  jemals  primär  und  selbständig. 
Wohl  aber  sind  Entzündungen  der  Tarsusdi-üsen,  die  Blepharitis  tarsalis, 
sehr  häufig  Gegenstand  der  Beobaclitung.  Doch  wird  niemals  die  Gesamrnt- 
heit  der  Ivuorpeldrüsen  oder  auch  nur  eine  einzelne  Drüse  ihrer  ganzen 
Ausdehnung  nach  von  der  Entzündung  ergriffen,  wenigstens  fehlt  für 
einen  solchen  Vorgang  bisher  der  sichere  Xachweis ;  der  Process  beschränkt 
sich  vielmehr  immer  auf  einzelne  Äcini  oder  auf  Theile  der  gemeinschaftlichen 
Drüsenschläuche.  Der  pathologische  Vorgang  ist  seiner  Wesenheit  nach 
derselbe,  wie  bei  der  Acne  ciliaris.  Doch  begründen  die  anatomischen 
Verhältnisse,  die  gi'osse  Entfernung  der  Acini  von  der  Drüsenmündung, 
die  Umspülung  der  inneren  Lidlefze  von  Thränenflüssigkeit,  die  versteckte 
Lage  und  die  Einschliessung  des  grössten  Theiles  der  Drüse  in  ein  festes, 
wenig  nachgiebiges  Fasergewebe  manche  Besonderheiten.  Diesen  ist  es 
zuzuschreiben,  dass  niedere  Intensitätsgrade  des  Processes  an  der  Tarsus- 
drüse  nicht  leicht  zur  Beobachtung  kommen.  Es  bedarf  eben  schon  einer 
mit  ziemlicher  Heftigkeit  auftretenden  Gewebswucherung,  damit  der  in 
Mitleidenschaft  gezogene  Knorpel  aufweicht  und  durch  den  Drüseninhalt 
ausgedehnt  werden  könne,  damit  weiters  auch  die  mehr  oberflächlichen 
Schichten  in  den  Process  verwickelt  werden  und  sohin  Injectionsröthe  und 
Geschwulstbildung  den  Entzündungsherd  äusserlich  merkbar  zu  machen  im 
Stande  seien.  In  Uebereinstimmung  mit  der  erforderlichen  Intensität  des 
Processes  ist  das  Product  der  Gewebswucherung  in  der  Regel  ein  eiteriges 
und  zwar  entweder  ein  rein  eiteriges,  oder  eine  dickliche  sulzähnüche  blut- 
gestriemte  Masse,  welche  genauere  Lnt ersuchungen  als  embryonales  Binde- 
gewebe herausgestellt  haben,  und  welche  in  grösserem  oder  geringerem 
procentarischen  Verhältnisse  mit  walirem  Eiter  gemischt  ist.  Es  fijidet  sich 
dieses  Product  gewöhnüch  nicht  blos  im  Bereiche  der  Drüsenhöhle  selber, 
sondern  auch  in  der  wuchernden  Umgebung,  der  Entzündungsherd  trägt 
den   Charakter   eines   Abscesses. 

Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  auf  die  eiterige  Zerfälluiss  des  Entzündungs- 
productes  die  Dichtigkeit  und  Resistenz  des  Knorpelgefüges  insoferne  Einfluss 
nehme,  als  sie  den  wuchernden  Drüseninhalt  unter  einen  gewissen  Druck  setzt  und 
solchermassen  die  Un^iuist  der  obwaltenden  Verhältnisse  in  ähnlicher  Weise  er- 
höht,  wie  dieses  bei  Abscessen  der  Fall  ist,  welche  sich  unter  straff  gespannten 
Aponeurosen  entwickeln. 

So  wie  bei  der  Acne  macht  sich  die  Gewebswuchening  zuerst  an  den 
Zellen  der  inneren  Drüsenwand  geltend,  es  nimmt  daher  der  Drüseninhalt 
beträchtlich  an  Masse  zu.  Gleichzeitig  beginnt  das  den  Acinus  umgebende 
Knorpelgefiige  zu  wuchern,  es  injicirt  sich  und  lockert  sich  auf.  Indem 
solchermassen  die  Wandungen  der  Drüsenhöhle  nachgiebiger  werden, 
gestatten  sie  dem  Acinus,  sich  über  die  Oberfläche  des  Tarsus  zu  erheben 
und  so  eine  Geschwulst  zu  formireu,  welche  man  mit  dem  Xamen 
„Gerstenkorn,  Hordeolum'^  belegt.  Die  Ausdehnung  des  Knorpels  gescliieht 
natürlich    vorwaltend    in    jener    Richtung,    in    welcher     der    Acinus    den 


LidabsCGss;  Kiankheitsbild.  491 

Kcrino-sten  Widerstanrl  finrlct.  .Tp  iiachrleni  dahor  das  entzündete  Drüsen- 
bläsclien  der  vorderen  oder  hinteren  Knorpelwand  näher  steht,  tritt  die 
Gesehwulst  mehr  gegen  die  äussere  Liddecke  oder  gegen  die  Conjunctiva 
tarsi  hervor  (Hordeolum  extermim  et  internum).  Liegt  der  Acinus  ausser- 
halb des  Knorpels,  in  der  Nähe  des  Lidrandes,  so  erfolgt  die  Ausdehnung 
na,ch  allen  Riehtungen  gleich  leicht  und  daher  auch  gleichmässig ;  rand- 
ständige  Gerstenkörner  gewinnen  deshalb  immer  eine  mehr  kugelige  Form, 
während  äussere  und  innere  mit  einer  flachen  Wand  dem  Knorpel  aufzu- 
sitzen scheinen. 

Quellen:  Kö/üker,  mikr.  Anat.  II.  Leipzig.  1854.  S.  720.  —  IlenJe,  Handb.  der 
Anat.  ßiamischweig.  I.  S.  141;  II.  S.  688,  695,  697.  —  AvU,  Die  Krankheiten  des 
Auges.  III.  Prag.  1856,  S.  337,  339;  A.  f.  O.  IX.  1.  S.  64,  78,  85.  —  Albini,  Zoit- 
schrift  der  Wien.  Aerzte.  1857.  S.  29.  —  Moll,  A.  f.  O.  III.  2.  S.  258.  —  Benders, 
ibid.  IV.  1.  S.  286,  294.  —  Henke,  ibid.  IV.  2.  S.  70;  V.  I.  S.  133.  —  Busch,  ibid. 
S.  109.  —  A.  Weher,  klin.  Monatbl.  18G3.  S.  335,  339,  385,  505.  —  Wedl,  Atlas, 
Conj.  Sclera.  —  Stellwag,  Ophth.  II.  S.  915,  932,  954,  958,  966,  969,  973.  — 
Mackenzie,  Traite  d.  mal.  d.  yeux.  traduit  par  Warlomont  et  Testelin.  I.  Paris. 
1856.  S.  149,  172,  173,  174,  181.  —  Desmarres,  Traite  d.  mal.  d.  yeux.  Paris.  1847. 
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Graefe,  A.  f.  0.  IV.  2.  S.  254.  —  Himlg ,  Krankheiten  und  Missbildungen  etc. 
I.  Berlin.  1843.  S.  201,  203,  204.  —  Mauvezin,  Arch.  gen.  de  med.  1865.  S.  421, 
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Archiv.  27.  Bd.  S.  132.  —  Wolfring,  A.  f.  0.  XIV.  3.  S.  165,  166.  —  //.  Müller, 
Zeitschrift  f.  wissenschaftl.  Zoologie.  IX.  S.  541;  Würzburg.  Verhandlungen.  IX. 
S.  244.  —  Harlinq,  Zeitschrift  f.  rat.  Med.  XXIV.  S.  275,  288,  295.  —  Sappeg, 
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S.  193.  —  Biermann,  ibid.  S.  91.—  Mooren.  Ophth.  Heiträge.  S.  43,  51.  —  Seimisch, 
klin.  Monatbl.   1869.  S.  339. 


2.  Der  Liclabscess. 


Krankheitsbild.  Charakteristisch  ist  neben  den  Erscheinungen  der 
Entzündung  die  Entioickelung  einer  mehr  minder  umfangreichen  und  nicht  ganz 
scharf  begrenzten^  anfänglich  harten,  später  aber  erweichenden  und  dann 
schwappenden    Geschwulst   in   dem   lockeren    Gefüge  unter  der  äusseren   Liddecke. 

Die  Entzündung  tritt  häufig  unter  lebhaftem  Fieber  auf  und  trägt 
ganz  den  Charakter  der  Phlegmone.  Die  äussere  Liddecke  erscheint  dann 
tief  und  gleichmässig  geröthet,  heiss,  gespannt  und  glänzend :  die  darunter 
gelegene  Geschwulst  fühlt  sich  hart  an,  ist  sehr  empfindlich  gegen  jede 
Berührung  und  sehr  schmerzhaft.  In  anderen  Fällen  ist  die  Hyperämie 
und  örtliche  Temperaturerhöhung,  die  Empfindlichkeit  und  Schmerzhaftig- 
keit  eine  weit  geringere,  das  Fieber  fehlt  ganz,  der  Tumor  stimmt  mehr 
mit  den  Congestions-  oder  kalten  Abscessen  überein.  Immer  ist  die  Geschwulst 
anfänglich  von  beträchtlicher  Cousistenz,  selbst  kiiorpelhart ;  in  dem  Masse 
aber,  als  das  Product  der  Gewebswucherung  schmilzt,  macht  sich  auch 
die  Fluctuation  deutlicher  und   in   wachsendem  Umfange  geltend. 

Am  häufigsten  kommen  Abscesse  im  oberen  Lide  vor,  weniger  oft  im 
unteren,  am  seltensten  in  beiden  Augendeckeln  gleichzeitig.  Das  betreffende 
Lid  ist  meistens  seiner  ganzen  Ausdehnung  nach  angeschwollen,  da  der 
Abscess  in  den   lockeren  subcutanen  Schichten   sich  leicht  ausbreiten  kann 


4:92  Lidabscess ;  Anchylops:  Ursacbeii;  Verhuif;  Ausgänge. 

und  sich  überdies  noch  mit  einem  mächtigen  Congestionsringe  zu  umgeben 
pflegt.  Der  Tumor  ei'reicht  nicht  selten  das  Volumen  einer  Ivinderfaust. 
Seiner  Gestalt  nach  ist  er  meistens  wulstförmig ;  er  steigt  von  dem  Lid- 
rande  steil  empor  und  fällt  nach  den  übrigen  Richtungen  flach  ab,  erstreckt 
sich  übrigens  wohl  auch  über  den  knöchernen  Orbitah'and  hinaus.  Das 
Lid  ist  natüi'lich  völlig  unbeweglich  und  die  Lidspalte  gewöhnlich 
geschlossen. 

Oefter  als  an  den  Lidern  entwickeln  sich  Abscesse  in  der  Augeahrauengegend. 
Auch  in  der  Angulargegend  kommen  Abscesse  vor.  Sie  sind,  wenigstens  anfänglich, 
sehr  schwer  oder  gar  nicht  von  der  phlegmonösen  Entzündung  des  Thränensackes 
zu  unterscheiden,  Ijesonders  darum,  weil  sie  im  weiteren  Verlaufe  den  Thränen- 
sack  gerne  in  Mitleidenschaft  ziehen.  Man  beschrieb  sie  früher  unter  dem  Namen 
Anchylops  und,  falls  der  Eiter  sich  schon  nach  aussen  einen  Weg  gebahnt  hatte, 
als  Aegylops. 

Ursachen.  Bisweilen  sind  traumatische,  chemische  oder  andere  Schäd- 
lichkeiten, welche  die  Lidgegend  treffen,  die  nächste  Veranlassung.  Oft 
entwickelt  sich  aber  auch  der  Abscess,  ohne  dass  sich  eine  genügende 
Ursache  nachweisen  liesse,  scheinbar  spontan.  In  vielen  Fällen  ist  er 
der  Ausgang  eines  Erysipelas  faciei,  seltener  einer  pyämischen  Embolie  der 
Gefässe. 

Verlauf  und  Ausgänge.  Der  Lidabscess  entwickelt  sich  wohl  immer 
in  acuter  Weise.  Wahrhaft  rapid  pflegt  der  Process  bei  phlegmonösem 
Charakter  zu  verlaufen ;  im  gegentheiligen  Falle  können  jedoch  wohl  auch 
eine  oder  mehrere  Wochen  vergehen,  ehe  der  Eiterherd  seine  vollständige 
Ausbildung  erreicht  hat  und  den  Ausgängen  zuschreitet. 

Eine  Lösung  des  Abscesses  ohne  Eiterung  ist  jedenfalls  überaus  selten, 
fast  immer  kömmt  es  zur  Suppuration.  Diese  beginnt,  während  die 
Geschwulst  noch  wächst,  an  einem  oder  an  mehreren  Punkten,  breitet 
sich  mehr  und  mehr  aus,  dringt  gegen  die  Oberfläche  und  macht  sich 
daselbst  durch  Entwickelung  eines  oder  mehrerer  Eiterpunkte  bemerk- 
lich. In  der  Regel  bricht  der  Eiter  durch  die  äussere  Liddecke  hindurch, 
seltener  perforirt  er  die  Fascia  tarsoorhitalis  oder  bohrt  nach  beiden 
Seiten  durch. 

Nach  der  Entleerung  des  Eiters  sinkt  die  Geschwulst  zusammen  und 
die  Abscesshöhle  heilt  in  der  Regel  bald  zu,  meistens  ohne  irgend  welchen 
Schaden  zu  hinterlassen,  selbst  wenn  der  Kreismuskel  im  Bereiche  des 
Entzündungsherdes  gelitten  hätte.  In  nicht  ganz  seltenen  Fällen  nimmt  die 
Eiterung  einen  schlimmen  Charakter  an  und  führt  unter  fortschreitender 
Schmelzung,  namentlich  der  äusseren  Haut,  zu  beträchtlichen  Substanzver- 
lusten, deren  Folgen  ausgebreitete  unregelmässige  Narben  sein  können. 

Ein  ähnlicher  Ausgang  kann  sich  übrigens  auch  noch  auf  andere 
Weise  ergeben,  wenn  nämlich  der  Abscess  sehr  spät  oder  nur  zum  kleinen 
Theile  entleert  wird  und  die  äussere  Liddecke  durch  fortgesetzte  Schmelzung 
des  Entzündungsproductes  in  grossem  Umfange  verdünnt  oder  an  vielen 
Orten  zugleich  durchbohrt  wird  und  nur  mehr  in  Gestalt  von  unterminirten 
Brücken  die  Abscesshöhle  deckt ;  oder  aber  wenn  bei  hypersthenischem 
Charakter  der  Entzündung  der  Tumor  mit  einem  grösseren  Theile  der 
äusseren  Lidhaut  brandig  abstirbt.  Im  Falle  der  Eiter  sich  in  den  Binde- 
hautsack   entleert,    kann    es    erfahrungsgemäss    zu    einem  partiellen    Symble- 


l'.cli.ilKlIllli;;.  40o 

pharon  odcv  zur    Kntwickcliiiif;:   von,    den    liulhiis   voizcufhm,     dickrii    Narben 
der    Conjimctiva   koinnion. 

Die  Behandlung  hat  vorerst  den  Abscess  in  seiner  Enliciekelung  zu 
Jiemmen,  also  den  Gowebswucherunf^-sprocess  zu  beschränken,  im  Falle  aber 
sc/joM  Eiterung  eingetreten  ist,  die  Entleerung  ehemöglichst  zu  bewerkstelligen 
und  für  einen  der  Functionslüclitigkeit  des  ]jides  erspriessUchen  Verheilungs- 
modus  zu  sorgen. 

1.  Bei  phlegmonösem  Charakter  der  Entzündung  ist  strenge  allgemeine 
und  locale  Antiphlogose  geboten.  In  letzterer  Beziehung  empfehlen  sich 
vor  Eintritt  der  Eiterung  besonders  Eisumschläge,  nach  Massgabe  der  localen 
Temperaturerhöhung  gehandhabt.  Ihre  Wirkung  kann  im  Nothfalle  durch 
Blutegel,  in  genügender  Anzahl  an  die  Schläfengegend  applicirt,  unter- 
stützt werden. 

Wo  die  Entzündung  aber  minder  stürmisch  auftritt  und  unter  weniger 
heftigen  Symptomen,  besonders  unter  geringerer  örtlicher  Wärmeentwicke- 
lung einherschreitet,  dürfte  die  Bedeckung  des  Lides  mit  einem  Leinwand- 
läppchen oder  selbst  die  Einwirkung  von  Wärme  besser  dem  Zwecke  ent- 
sprechen. Zu  letzterem  Behufe  ist  die  Bedeckung  des  kranken  Lides 
durch  einen  mit  Heftpflaster  oder  mittelst  einer  Flanellbiude  fixirten 
Bausch  von    Watta  anzuempfehlen. 

2.  Zeigt  sich  an  einem  Orte  bereits  Fluctuation,  so  ist  zur  Eröffnung  der 
Eiterhöhle  zu  schreiten.  Der  Schnitt  muss  letztere  möglichst  weit  öffnen, 
jedoch  immer  parallel  zum  Lidrande  ziehen  und  auch  nach  Thunlichkeit 
tief  angelegt  werden.  ISTachdera  sodann  die  Entleerung  des  Eiters  durch 
Ausdrücken  bewerkstelligt  worden  ist ,  wird  eine  Charpiewieke  in  die 
Abscesshöhle  geführt  und  der  oben  erwähnte  Verband  angelegt.  Wo  die 
Abscesshöhle  einen  beträchtlichen  Umfang  ei"reicht  hat,  ist  es  nothwendig, 
den  Verband  fester  anzuziehen,  um  die  Abscesshöhlenwände  in  inniger 
gegenseitiger  Berührung  zu  ei*halten  und  die  Verklebung  derselben  zu 
begünstigen,  die  Heilung  demnach  wesentlich  zu  beschleunigen.  Der  Ver- 
band ist  unter  täglicher  1 — 2maliger  Erneuerung  zu  tragen,  bis  die 
Abscesshöhle  völlig  geschlossen  ist  und  keinen  Eiter  mehr  entleert.  Es 
versteht  sich  von  selbst,  dass  der  Eiter  vor  der  jedesmaligen  Anlegung 
des  Verbandes  zu  entleex'en  und  die  Oeffnung  zu  reinigen  ist;  ebenso  dass, 
im  Falle  die  Eröffnung  durch  einen  langen  Schnitt  geschehen  ist,  die 
Wundränder  in  eine  der  gegenseitigen  V^erklebuug  günstige  Lage  gebracht 
werden  müssen,   ehe  der  A^erband  appHcirt  wird. 

3.  Hat  sich  der  Abscess  bereits  spontan  eröffnet,  ist  die  Durchbruchs- 
öffnung aber  eine  sehr  kleine  und  wohl  auch  ungünstig  gelegene,  so  ist  es 
von  Vortheil,  dieselbe  künstlich  zu  erweitern.  Hat  der  Eiter  sich  nach 
hinten  eine  Bahn  gebrochen,  so  ist  eine  Gegenöffhung  in  der  äusseren  Lid- 
decke sehr  rathsam,  um  die  Entleerung  nach  aussen  durch  Einlegung  einer 
Chai'piewieke  sichern  zu  können.  Wo  die  äussere  Liddecke  in  grossem 
Umfange  sehr  dünn  geworden  ist  und  die  Absterbung  droht,  oder  wo  die- 
selbe nur  in  Form  mehrerer  Brücken  zwischen  zerstreuten  Durchbruchs- 
öffnungen erhalten  ist,  erscheint  die  Durchtrennung  derselben  gei'adezu 
geboten,   um   eine  möglichst  kleine  Narbe  zu  erzielen. 


494  Acne  ciliaris:  Krankheifsbild :  Ursachen. 


2.  Acne  ciliaris,   die   solitäre  Lidrandfinne. 

Krankheitsbild.  Charakteristisch  sind  umschriebene  Entzündungsherde, 
welche  die  äussere  Lidlefze  in  Gestalt  rundlicher  abgegrenzter  Knoten  empor- 
treiben und  der  Regel  nach   in   Eiterung  übergehen. 

Es  sind  die  Acneknoten  an  die  Existenz  von  Schmeerdrüsen  gebunden, 
daher  sich  dieselben  nur  an  der  von  Wimpern  besetzten  äusseren  Lidlefze 
und  in  deren  allernächster  Umgebung  finden.  Sie  sind  häufiger  am  oberen 
als  an  dem  unteren  Lidrande,  da  an  diesem  die  Cilien  und  ihre  Talgdrüsen 
weniger  entwickelt  sind.  Gewöhnlich  ist  nur  ein  einzelner  Knoten  gegeben; 
mitunter  entwickeln  sich  deren  jedoch  auch  mehrere  auf  einmal  an  ver- 
schiedenen  Punkten  der  Lidränder. 

Die  ehtzelnen  Knoten  erreichen  in  der  Regel  Erbsenacrösse.  Sie  lagern 
in  dem  subcutanen  Gewebe,  hängen  jedoch  mit  der  gespannten,  oft  tief 
gerötheten  und  bisweilen  fühlbar  heissen  äusseren  Lidranddecke  fest  zu- 
sammen und  lassen  sich  an  dem  Tarsus  etwas  verschieben.  An  dem  abge- 
rundeten Gipfel  derselben  sprossen  Wimpern  in  verschiedener  Zahl  hervor. 
Zwischen  den  Basen  der  Cilien  ist  im  Bereiche  der  Knoten  anfänglich  blos 
eine  vermehrte  Abschilferung  der  Oberhaut  wahi'zunehmen,  oder  aber  es 
zeigen  sich  daselbst  kleine  Krusten  von  vertrockneter  Hautschmiere.  Später- 
hin entwickelt  sich  auf  der  Höhe  der  Geschwulst  sehr  oft  ein  Eiteipunkt 
oder  eine  förmliche  Pustel,  worauf  alsbald  der  Eiter  die  Epidermis 
durchbricht. 

Entwickelt  sich  der  Acneknoten  sehr  rasch,  so  pflegt  sich  entzünd- 
liches Oedem  in  grossem  Umfange  einzustellen,  bisweilen  schwellen  die  Lider 
sogar  ihrer  ganzen  Ausdehnung  nach  beträchtlich  an,  gleichsam  als  stünde 
ein  grosser  Abscess  in  Aussicht.  In  der  Regel  ist  dann  auch  die  Geschwulst 
sehr  empfindlich  gegen  äussere  Berührung  und  überaus  schmerzhaft. 

Ursachen.  Die  Acne  ciliaris  kömmt  vereinzelt  in  jedem  Lebensalter, 
bei  beiden  Geschlechtem  und  unter  den  verschiedensten  Lebensverhält- 
nissen vor.  Sie  entwickelt  sich  meistens ,  ohne  dass  sich  eine  äussere 
Ursache  dafüi*  nachweisen  liesse.  Li  anderen  Fällen  jedoch  sind  unzwei- 
felhaft gewisse  Schädlielikeitsein Wirkungen  mechanischer,  chemischer  oder 
physikahscher  Xatur  die  letzte  Veranlassung.  Besonders  zu  nennen  sind 
in  Betreff  dessen  Unreinlichkeit,  Schmutz,  vieles  Reiben  und  Wischen 
der  Lider,  Ki'ustenbildung  und  Excoriationen  der  Lidränder  bei  Bestand 
eines  Bindehautkatarrhes  u.  s.  w.  Es  scheint,  als  ob  der  dadurch  gesetzte 
Reizzustand  der  äusseren  Haut  sich  mit  Vorliebe  auf  die  Schmeerdrüsen 
fortpflanzte. 

Individuen,  welche  überhaupt  zur  Acne  sehr  geneigt  sind,  deren 
Haut  sich  sehr  fettig  anfühlt  und  von  Comedonen  reichlich  besetzt  ist. 
werden  am  häufigsten  von  der  Lidrandfinne  betroffen.  Namentlich  im 
jugendlichen  Alter,  während  der  Pubertätsperiode,  sind  derlei  Individuen 
dem  fraglichen  Leiden  selir  stark  ausgesetzt,  so  dass  dieselben  oft  Monate 
und  Jahre  lang  damit  zu  kämpfen  haben.  Selbst  unscheinbare  Reizein- 
wirkungen, Wind,  Rauch,  Staub,  Aufenthalt  in  dunstigen  Loealitäten,  An- 
strengung   der   Augen,    ferner    Excesse  in  Venere,  im  Essen  und  Trinken, 


Vi>i-laiif;  Ausfi-änf,'e:  Acno  inilnnita:    Bcliimilliiiif''.  495 

auch  der  (Jcniiss  gewisser  Speisen  und  (Jetränke,  z.  1{.  dos  Käses,  mit 
Essig  angesäuerter  Gerichte,  des  Weines  u.  s.  w.  führen  dann  fast  regel- 
mässig zur  Kntwickelung  eines  oder  mehrerer  Aeneknoten.  Es  ist  diese 
Disposition  gleichwie  bei  der  Acne  anderer  Havitportionen  wahrsclunnlich 
in  abnormer  Jicschatfonheit,  in  zu  grosser  Consistenz  des  Drüsensecretes 
begründet.  Indem  festes  Secret  sich  nämlich  schwierig  nach  aussen  ent- 
k^ert,  verstopft  sich  gerne  die  Mündung  der  Drüse,  der  Schmeer  sammelt 
sich  in  letzterer  an,  dehnt  ihre  Wandungen  aus  und  wird  wohl  auch 
ranzig,  wirkt  also  als  mechanische,  und  chemische  Schädlichkeit;  es  bedarf 
dann  nur  mehr  einer  geringen  Reizwirkung,   um  die  Entzündung  anzufachen. 

Verlauf  und  Ausgänge.  Jeder  einzelne  Aeneknoten  entwickelt  sich 
in  acuter  Weise,  er  hat  in  wenigen  Tagen  seinen  Höhenpunkt  erreicht 
und  schreitet  dann  rasch  seineu  Ausgäugen  zu.  Im  Ganzen  genommen 
ist  jedoch  das  Leiden  nicht  selten  sehr  langwierig,  indem  bei  vorhandener 
Disposition  ein  Knoten  nach  dem  anderen  aufscliiesst  und  seine  Phasen 
durchmacht. 

Der  Aeneknoten  kann  in  jedem  Stadium  der  Entwickelung  zurück- 
gehen ,  auf  dem  Wege  der  Resorption  wieder  verschwinden ,  ohne  dass  es 
zur  Eiterung  gekommen  wäre.  Ausnahmsweise  verhärtet  er  wohl  auch 
(Acne  indurata)  und  besteht  dann  durch  Monate  und  Jahre  als  ein  hanf- 
korn-  bis  erbsengrosser  abgerundeter  härtlicher  unschmerzhafter  Tumor 
fort,  welcher  in  dem  Unterhautgewebe  lagert  und  mit  der  äusseren  Haut 
des  Lidrandes  fest  zusammenhängt.  In  der  Regel  vereitert  er  und  der 
l']iter  entleert  sich  entweder  durch  den  Ausführungsgang  der  Drüse,  oder 
bahnt  sich  durch  die  äussere  Liddecke  eine  Oeffnung,  gewöhnlich  in  der 
Umgebung  der  Haarbalgmüiidung,  an  der  er  die  Epidermis  vorläufig  ^Jms- 
telartig  emporstavTt.  Nach  der  Entleerung  des  Eiters  sinkt  der  Knoten  zu- 
sammen und  meistens  ist  nach  wenigen  Tagen  jede  Spur  desselben  ver- 
schwunden. Bisweilen  bleibt  jedoch  einige  Hypertrophie  des  subcutanen 
Gefüges  zurück  und,  falls  sich  bei  exquisiter  Disposition  solche  Vorgänge 
oft  und  an  verschiedenen  Stellen  der  Lidränder  entwickeln,  können  die 
letzteren  wohl  auch  ihrer  ganzen  Ausdehnung  nach  schwielig  verdickt 
werden.  Uebrigens  kömmt  es  unter  solchen  Umständen  auch  gerne  in 
secundärer  Weise  zur  Blepharitis  ciliaris  im  engeren  Wortsinne,  da  bei 
den  immer  wiederkehrenden  Reizzuständen  am  Ende  die  Gesammtkeit  der 
Schmeerdrüsen  imd  deren  Umgebungen  in  den  Process  hineingezogen  werden. 

In  seltenen  Fällen  entwickeln  sich  an  der  Stelle  der  Acnepusteln  förmliche 
Geschtüüre,  welche  tiefer  nnd  tiefer  greifen  und,  wenn  sie  nach  längerem  Bestände 
verheilen,  kleine  strahlige  Nar))en  zurücklassen,  die  auf  die  Stellung  der  Cilien  in 
sehr  missliebiger  Weise  Einfluss  nehmen  können.  Der  Cilienbalg  als  solcher  wird 
übrigens  in  der  Regel  nicht  mitafficirt.  Doch  sind  Vereiterungen  desselben  mit  dau- 
erndem   Verluste  der  betreft'oiden  Cilie  bisweilen  Gegenstand  der  Beobachtnng. 

Es  ist  gut,  hier  daran  zn  erinnern,  dass  secundör  syphilifische  Knoten  an  den 
Lidrändern  vorkommen,  welche  eine  Acneefflorescenz  vorspiegeln  können  und  bei 
vernachlässigter  antisyphilitischer  Behandhuig  ausgebreitete  Substanzverluste  durch 
allmälige  Verschwärnng  setzen  (S.  486). 

Behandlung  Diese  hat  vorerst  die  etwa  vorhandene  Disposition  zu 
tilgen  oder  wenigstens  in  ihrer  Wirksamkeit  abzuschwächen.  Ist  es  aber 
bereits  zur  Entw^ickelung  des  Processes  gekommen,  so  muss  die  Gewebs- 
loucherung  beschränkt  und    die   Entleerung   des  Productes  gefordert  wei'den. 


49(t  i;lL'plKuili>  ciliiuis:  Kiaiiklioitsliild. 

In  erstei'  Beziehung  erscheint  neben  soi'gfältigster  Hintanhaltung  der 
möglichen  Gelegenheitsursachen  die  sorgfältigste  Reinhaltung  der  Lider  von 
grösstem  Belange.  Bei  vorhandener  Disposition  müssen  öfters  des  Tages 
die  Lidränder  mit  einem  in  weiches  Wasser  getauchten  feinen  Leinwand- 
läppchen abgetupft  werden,  um  Ansammlungen  von  Secret  oder  von  Epi- 
dermisschuppen  zu  verliindern,  da  diese  die  Verstopfung  der  Follikelmün- 
dungen begünstigen  können.  Auch  ist  es  von  Vortheil,  von  Zeit  zu  Zeit 
die  Wimpern  durch  die  Finger  zu  ziehen,  um  in  Wechsel  begriifene  lose 
Cilien  rasch  zu  entfernen.  Des  Abends  vor  dem  Schlafengehen  ist  das 
Einstreichen  kleiner  Uuantitäteu  reiner  frischer  Fette  nicht  zu  versäumen. 
(S.   423.   4.) 

Entwickelt  sich  bereits  ein  Acneknoten^  so  werden  bei  grosser  Intensität 
der  entzündlichen  Erscheinungen ,  bei  tiefer  Röthe ,  starker  Wärme- 
entwickeluug  und  heftigen  Schmerzen  kalte  Umschläge  am  meisten  ent- 
sprechen. In  den  übrigen  Fällen  kann  man  getrost  jedes  therapeutische 
Verfahren  unterlassen  oder  sich  auf  die  Bestreichung  des  Tumors  mit  Fett 
beschränken  und  unter  Einhaltung  einiger  Augendiät  die  Ausgänge  ab- 
warten. Zeigt  sieh  bereits  der  Eiter  und  fordert  die  starke  Spannung  und 
Schmerzhaftigkeit  des  Tumors  rasche  Abhilfe,  so  ist  ein  kleiner  Einstich 
das  beste  Mittel.  Bei  Acne  indurata  leisten  schwache  Jodkalisalbeu  bis- 
weilen Gutes.  Bei  Verschwärungen  finden  die  bei  der  ulcerirenden  Form 
der  Blepharitis  im  Gebrauche  stehenden  Büttel   eine  Anwendung. 


3.    Blepharitis    ciliaris,    confluirende   Lidrandfinne. 

Krankheitsbild.  Charakteristisch  ist  die  entzündliche  Röthung  und 
Schxuelliing  des  Lidrandes,  besX)nders  der  äusseren  Lidlefze,  und  deren  Be- 
kleidung von  gelblichen  epidermisähnlichen  Schuppen  oder  von  mähren  Borken, 
xvelche  die  Wimpern  hüschelförmig  zusammenkleben  und  der  Oberhaut  mehr 
weniger  fest  anhängen. 

1.  Die  directen  Symptome  sind  einigermassen  wandelbar,  je  nach  dem 
Grade,   zu  welchem  sich  das  Leiden  bereits   entwickelt  hat. 

a.  Bei  der  secretorischen  Form  ist  die  Schwellung  nicht  sehr  aufTällig, 
wohl  aber  die  Röthung  des  Lidrandes.  Die  Epidermis  erschemt  daselbst 
ausnehmend  dünn,  so  dass  das  hyperämirte  Corion  lebhaft  rotli  durch- 
scheint. Zwischen  den  Wimpern  häufen  sich  fortwährend  dünne  epider- 
moidale  Schüppchen,  untermischt  mit  kleinen  Körnei'n  vertrockneten  Drüsen- 
secretes.  Zeitweilig  zeigen  sich  wohl  auch  schon  umfang sr eicher e  Schwarten 
einer  fettigen  epidei-moidalen  Masse,  welche  die  Basen  mehrerer  Wimpern 
umfassen,  sich  scheidenartig  an  den  Haaren  fortsetzen,  diese  zu  Bündeln 
vereinigen  und  nachweisbar  im  Inneren  der  Cilienbälge  selber  wurzeln,  aus 
diesen  hervortreten. 

b.  Die  hypertrophirende  Form  charakterisirt  sich  vornehmlich  durcli 
die  beträchtliche  Massenzunahme  der  die  äussere  Lidlefze  constituirenden 
Theile,  durch  Schwellung  und  A'erdiehtung  der  äusseren  Liddecke  und  des 
die  Haardrüsen  umgebenden  lockeren  Gefüges.  Es  erscheint  die  äussere  Lid- 
lefze    mit    ihrer    nächsten    Umgebung    geröthet,    bald    gleichmässig,     bald 


Geschwürige  Form.  497 

knotig  aufgewulstet  und  abgerundet.  Ihr  Integument  ist  sichtlich  infiltrirt 
und,  so  lange  der  entzündliche  Process  einige  Jjebhaftigkeit  üusKcrt,  sehr 
gespannt;  späterhin,  bei  abnehmender  Intensität  der  Entzündung,  zeigt 
sich  die  äussere  Haut  etwas  schlaffer,  selbst  fein  runzelig  und  lässt  den 
unterlagernden  härtlichen  oder  selbst  knorpelharten  Wulst  deutlich  durch- 
fühlen. An  der  Oberfläche  findet  man  ausgebreitete  cpidermoidale  Schwarten 
und  Krusten  vertrockneten  eiterähnlichen  Schmeeres,  welche  die  Wimpern 
bündelweise  zusammenkleben.  Sehr  häufig  stösst  man  unter  diesen  Schwarten 
und  Borken  auch  auf  Sprünge  der  Epidermis  und  auf  förmliche  Excoriationen, 
welche  gei'ne  bluten  und  sich  immer  rasch  mit  frischen  Krusten  decken. 
Auch  Eiterpunkte  und  wahre  Acnepusteln  schiessen  von  Zeit  zu  Zeit  an 
verschiedenen  Punkten  des  Lidrandes  auf.  Im  Falle  sich  derlei  Eiterherde 
fort  imd  fort  in  grössei'er  Zahl  entwickeln,  gewinnt  das  l^eiden  allmälig 
die  Bedeutung  der  Blepharitis   ciliaris  ulcerativa. 

c.  Auch  bei  der  geschwürigen  Form  der  Lidranddrüsenentzündung  sind 
lebhafte  oder  dunkle  Köthe,  Aufwulstung  und  Verdichtung  des  Lidrandes, 
besonders  der  äusseren  Lefze  und  deren  nächsten  Umgebung,  constante 
Symptome.  Die  äussere  Oberfläche  des  Randtheiles  der  Lider  erscheint  bei 
vernachlässigter  Reinigung  bedeckt  von  mächtigen  gelbbräunlichen  Krusten 
vertrockneten  Eiters,  welche  von  einzelnen  sparrig  auseinander  stehenden 
und  büschelweise  zusammengeklebten  Cilien  durchbohrt  werden  und  diesen, 
sowie  der  unterlagernden  Epidermis  stellenweise  fest  anhaften,  stellenweise 
aber  auch  lose  autliegeu,  indem  unter  ihnen  frischer  Eiter,  oft  mit  Blut 
gemischt,  sich  sammelt.  Bei  reichlicherer  Absonderung  des  Eiters  quillt 
derselbe  oft  aus  den  Sprüngen  und  Rissen  der  Borken  hervor,  besonders 
wenn  auf  die  letzteren  ein  leichter  Druck  ausgeübt  wird.  Nach  Entfernung 
dieser  Borken  zeigt  sich  die  äussere  Lidlefze  und  deren  Nachbarschaft  von 
einem  höchst  zarten  Oberhäutchen  gedeckt,  an  vielen  Stellen  jedoch  förm- 
lich excoriirt  und  leicht  blutend,  nicht  selten  auch  von  seuchten  Sprüngen 
gefurcht;  hier  und  da  sind  Eiterpunkte  oder  Pusteln  zu  sehen,  während  an 
anderen  zahlreicheren  Stellen  geschwürige  Substanzverluste  zum  Vorscheine 
kommen,  welche  mehr  weniger  tief  eingreifen,  einen  oft  missfärbigen 
dünnen  und  von  Blut  gestriemten  Eiter  absondern,  einen  ganz  unregel- 
mässigen fetzigen  Grund  und  derlei  Ränder  haben,  nicht  selten  von  Granu- 
lationen überwuchert  werden  und  in  der  Mitte  gewöhnlich  von  einem  oder 
mehreren  Wimpern  durchbohrt  sind.  Letztere  hängen  dann  öfters  nur  lose 
in  dem  Balge,  lassen  sich  leicht  ausziehen  oder  fallen  von  selber  aus, 
worauf  bisweilen  sich  eine  ansehnliche  Menge  von  Eiter  aus  der  Follikel- 
höhle  entleert.  In  höhergradigen  und  besonders  länger  bestehenden  Fällen 
sind  diese  Geschwüre  oft  so  zahlreich,  dass  sie  in  grossen  Strecken  zusam- 
menfliessen,  während  ihr  Grund  sich  immer  tiefer  in  das  Gefüge  des  Lid- 
randes einsenkt  und  die  daselbst  gelegenen  Theile  zerstört.  Die  äussere 
Lidlefze  erscheint  dann  wie  benagt  von  ganz  unregelmässigen  Substanz- 
verlusten ;  ja  bisweilen  fehlt  sie  ganz  und  an  ihrer  Stelle  zeigt  sich  eine 
Art  Furche  oder  Rinne  mit  kerbigen  befressenen  Rändern,  aus  welcher  oft 
nur  wenige,  zum  Theile  verkümmerte  Cilien  hervorwachsen  und  auf  deren 
Grund    oft   schon   unregelmässige  strahlige  Narben  sich    bemerklich  machen. 

2.  Bei  mehr  acutem  Auftreten  sowie  während  den  Exacerbationen  des 
Processes    kömmt    es    sehr    oft    zur  Entwickelung  eines    Congeslionsödemes. 
S  t  e  1 1  w  a  g ,  Augenheilkunde.  3  2 


498  Blepharitis  cUiaiis ;  Krankheitsbild ;  Ursachen :  Pilzbildungen. 

Es  beschränkt  sich  dasselbe  sehr  häufig  auf  die  der  äusseren  Lefze  nächste 
Zone  des  Lidrandes  und  lässt  den  letzteren  in  Gestalt  eines  mächtigen, 
tief  gerötheten  Wulstes  hervortreten.  Oft  breitet  sich  dieses  Oedem.  jedoch 
auch  auf  das  ganze  Lid  aus  und  macht  dasselbe  beträchtlich  schwellen. 
Dann  sind  auch  Schmerzen  mit  oder  ohne  Lichtscheu  ein  ziemlich  gewöhn- 
liches Symptom.  Vermindert  sich  die  Intensität  des  Processes,  so  tritt  das 
Oedem  in  der  Regel  ganz  zurück  und  auch  die  subjective  Seite  des  Krank- 
heitsbildes  ist  wenig  ausgeprägt,  es  bleibt  nur  eine  ausnehmende  Empfi^nd- 
lichkeit  gegen'  jede  das  Auge  treffende  reizende  Schädlichkeit  und  ein 
Gefühl  von  Jucken,  Brennen,  Beissen  in  den  krustenbedeckten  und  excoriirten 
Lidrändern  zurück. 

Es  kommen  diese  letzteren  Erscheinungen  jedoch  häufig  zum  nicht 
geringen  Theile  auf  die  die  Blepharitis  begleitenden  Aff'ectionen.  Es  ist  die 
Lidranddrüsenentzündung  nämlich  in  der  Hegel  mit  Bindehautkatarrh  ge- 
paart; falls  sie  länger  besteht,  ist  wohl  auch  das  Trachom  in  allen  seinen 
Phasen  ein  häufiger  Begleiter.  Nicht  minder  gerne  gesellt  sich  der  herpetische 
Process  hinzu  und  wird  vermöge  seiner  häufigen  Anfälle  öfters  in  hohem 
Grade  lästig,  ja  für  die  Function  des  Auges  gefährlich.  Ausserdem  werden 
auch  die  Tarsaldrüsen  gerne  in  Mitleidenschaft  gezogen.  Man  findet  neben 
der  Blepharitis   ciliaris  in  vielen  Fällen   Hordeola  oder  Hagelkörner. 

Bisweilen  entwickeln  sich  auf  dem  Wege  der  Gewebswucherung  an  der 
Mündung  der  Knorpeldrüsen  froschlaichähnliche,  den  trachomatösen  ähnliche  Körner, 
mitunter  in  so  grosser  Menge,  dass  sie  sich  gegenseitig  abplatten  und  die  innere 
Lefze  knotig  erscheinen  lassen.  Ausnahmsweise  tritt  wohl  auch  eine  Entzündung 
des  Thr'dnensackes  hinzu. 

Die  Ursachen  sind,  dem  Wesen  des  Processes  entsprechend,  von 
denen  der  Hautfinne  überhaupt  nicht  verschieden.  Auch  bei  der  Blepha- 
ritis ciliaris  ist  das  Walten  einer  Disposition  mit  Grund  anzunehmen  und 
wenigstens  theilweise  auf  abnorme  Beschaffenheit  des  Drüsensecretes  zurück- 
zuführen. 

Als     Gelegenheitsursachen  gelten  wie  bei    der    Acne    ciliaris    discreta: 

Unreinlichkeit,    Bauch,    Staub,    Wind,    Anstrengungen    der   Augen,    träger 

Cilienwechsel  (Stilling)   etc.      In  seltenen  Fällen  sind  Filzläuse   oder  gemeine 

Läuse,  welche  sich  zwischen  den  Wimpern  festgesetzt   haben,    die  nächste 

Veranlassung  der  Blepharitis   (Himly,   Lawrence,   Steffen). 

Auch  behauptet  man  das  Vorkommen  von  Pilsen  in  den  Haarbälgen  und 
glaubt  darin  ein  wichtiges  ätiologisches  Moment  der  Blepharitis  ciliaris  gefunden 
zu  haben.  Es  sollen  diese  Pilze  jenen  des  Favus  sehr  ähnlich  sein.  Sie  zeigen 
jedoch  selten  mehr  als  eine  1 — 2malige  Verästelung  mit  langgegliederten  Sporen- 
trägern. Man  fand  sie  neben  dichten  Epidermisschollen  als  eine  starre  Masse, 
welche  innerhalb  der  Wurzelscheide  die  kurz  zugespitzte,  nicht  angeschwollene 
Haarwurzel  umgab.  Das  Haar  Hess  sich  hierbei  meistens  leicht  und  schmerzlos 
ausziehen.  Die  dadurch  bedingten  Blepharitides  sollen  sich  durch  die  Bildung 
zahlreicher  kleiner  solitärer  Knoten  im  Lidrande  auszeichnen ,  auch  sehr  hart- 
näckig sein,  sich  immer  wiederholen,  mit  Pustel-  und  Krustenbildung  einhergehen, 
endlich  zum  Schwunde  und  völligen  Verluste  der"Cilien,  so  wie  zur  Verbildung 
des  Lidrandes  mit  Ectropium  führen.  Sie  sollen  unzweifelhaft  ansteckeiid  sein  und 
sich  meistens  bei  mehreren  Gliedern  einer  und  derselben  Familie  finden  (Ellinger). 
Neuere  darauf  gerichtete  Untersuchungen  haben  das  Vorhandensein  von  Pilzen 
nicht  bestätigt  fSchiess-GemuseusJ. 

Oft  entwickelt  sich  die  Krankheit  auch  secundär,  im  Verlaufe  von 
Bindehautentzündungen,  indem  bei  vorhandener  Disposition  der  Process  sich 
einerseits    direct    auf    die    Liddrüsen    fortpflanzen  kann,   andererseits    aber 


Verlauf;  Ausgänge;  Tylosis.  499 

auch  in  der  Krustenhüdung  an  don  Miindun<>;en  der  Haarfollikel  anrej^ende 
Momente  findet.  Aussei-dem  sind  in  iUiologischer  Hezioliun<?  die  acuten 
Exantheme,  namentlich  die  Blattern,  und  weiters  das  Eczem  und  die  Impetigo 
von  hohem  Belange.  Falls  sich  diese  Exantheme  an  den  T.,idern  in  Form 
zahlreicher  Efflorescenzen  localisiren,  so  bleibt  nach  Ablauf  des  ihnen  zu 
Grunde  liegenden  Processes  nicht  selten  eine  Blepharitis  ciliaris  zurück, 
welche  in  allen  ihren  Charakteren  mit  der  Acne  ciliaris  übereinstimmt 
und   von   dieser  weiterhin  nicht  mehr  gesonderli  werden   kann. 

Verlauf.  Die  Blepharitis  ciliaris  ist  ein  entschieden  chronisches  Leiden, 
dessen  Verlauf  nach  Monaten  und  Jahren  zählt.  In  einzelnen  Fällen  be- 
steht die  Blepharitis  ciliaris  als  hahituelles  Uebel  wohl  auch  das  ganze  Leben 
hindurch  bis  in  das  späte  Greisenalter.  Es  wechseln  dabei  ganz  gewöhn- 
lich Exacerbationen  mit  Remissionen.  Die  letzteren  sind  öfters  so  voll- 
ständig, dass  während  ihrer  Dauer  von  einer  Entzibidung  eigentlich  nicht 
die  Eede  sein  kann  und  nur  die  etwaigen  Folgen  der  vorausgegangenen 
Processe  nachweisbar  bleiben.  Doch  genügt  die  geringste  Schädlichkeits- 
einwirkung, um  die  Entzündung  wieder  hervorzurufen  und  wochenlang 
zu  unterhalten.  Ziemlich  häufig  treten  diese  Exacerbationen  sogar  ohne 
alle  eruirbare  Gelegenheitsursachen  periodisch,  zu  bestimmten  Jahreszeiten, 
z.  B.   im  Frühlinge,   auf. 

Ausgänge.  1.  Wenn  die  Disposition  nicht  gar  zu  kräftig  ist,  oder 
im  Laufe  der  Zeit  völlig  getilgt  wird,  heilt  die  Blepharitis  ciliaris  bei 
geeignetem  Verhalten  des  Kranken  öfters  spontan.  80  sieht  man  z.  B. 
gar  nicht  selten,  dass  eine  im  Beginne  der  Pubertätsperiode  zur  Ent- 
wickelung  gekommene  Lidranddrüsenentzündung  beim  Eintritte  in  das 
reifere  Alter  zurückgeht,  ohne  dass  nur  einigermassen  entsprechende  Mittel 
in  Anwendung  gekommen  wären.  Wer  indessen  bestimmte  Hoffnungen 
auf  einen  solchen  Ausgang  setzt,  wird  sich  oft  trotz  allem  Zuwarten 
bitter  täuschen.  Man  kann  wohl  mit  Recht  behaupten,  die  Blepharitis 
ciliaris  erfordere  eine  sorgfältige  therapeutische  Behandlung,  soll  sie  sich  nicht 
gar  zu  sehr  in  die  Länge  ziehen  und  am  Ende  unheilbare  und  höchst 
missliche  Folgen  setzen.  Bei  gehörigem  Heilverfahren  und  entsprechendem 
Verhalten  des  Kranken  ist  die  absolute  oder  relative  Heilung  in  der  Regel 
nicht  sehr  schwer.  Doch  sind  bei  sehr  disponirten  Individuen  die  Rtcidiven 
nicht  selten  und  in  einzelnen  Fällen  widersteht  die  Krankheit  wohl  auch 
hartnäckig  allen  Kurversuchen,  oder  lässt  sich  doch  nur  zeitweise  etwas 
zurückdrängen. 

Der  Intensitätsgrad  des  Processes  und  die  bisherige  Dauer  des  Leidens 
sind  hierbei  von  geringerem  Belange.  Wirklich  trotzt  bisweilen  die  secre- 
torische  Form  jeder  Therapie  oder  kehrt  immer  wieder,  wähi-end  umgekehrt 
lange  bestehende  und  weit  vorgeschrittene  Fälle  von  hypertrophirender  oder 
geschwüriger  Blepharitis  einem  geeigneten  Kurverfahren  öfters  in  über- 
raschend kurzer  Zeit  vollkommen  weichen.  Wohl  aber  beeinflussen  der 
Intensitätsgrad  des  Processes  und  seine  bisherige  Dauer  in  hohem  Grade 
die  möglichen  Folgezustände   der  Krankheit. 

2.  So  kömmt  es  bei  längerer  Dauer  der  Blepharitis  ciliaris  hypertro- 
phica  gerne  zur  schwieligen  Verdickung  der  Lidränder,  zur  Tylosis  oder 
Pachyblepharosis.  Es  nimmt  nämlich  das  die  Haardrüsen  umgebende  Binde- 
gewebe in  Folge  der  entzündlichen  Wucherung  an  Masse  zu,  es  verdichtet 

32* 


500  Blepharitis  ciliaris;  Ausgänge;  Tylosis;  Madarosis;  Trichiasis;  Narben;  Ectropium. 

sich  zugleich  und  bildet  so  eine  Schwiele,  welche  den  Lidrand  in  grösserer 
oder  geringerer  Ausdehnung  wulstartig  auftreibt,  die  äussere  Lidlefze 
abrundet  oder  wohl  auch  gänzlich  verstreicht.  Es  fühlt  sich  diese  Ge- 
schwulst ziemlich  hart  an,  oft  ist  ihre  Consistenz  nahezu  knorpelartig.  Die 
Oberfläche  ist  bald  glatt,  bald  unregelmässig  höckerig.  Die  äussere  Liddecke 
ist  darüber  straff  gespannt,  durch  Hj^pertrophie  öfters  merklich  verdichtet 
und  je  nach  Umständen  blass  oder  mehr  minder  geröthet.  Vermöge  der 
Dehnung,  welche  sie  von  Seite  des  unterlagernden,  wenig  empfindlichen 
Tumors  erleidet,  erscheint  die  Austrittzone  der  Wimpern  verbreitert  und  es 
hat  dann  oft  den  Anschein,  als  wären  neugebildete  Haare  an  ungewöhnlichen 
Stellen,  besonders  an  der  ganz  verzogenen  und  verstrichenen  Lidrandfläche 
hervorgewachsen  (Distichiasis).  Zwischen  den  Wimpern  finden  sich  meistens 
epidermoidale  Schuppen  und  öfters  auch  derbere  Schwarten  verhornten 
Drüsensecretes,   welche   einzelne   Cilien  büschelförmig  zusammenleimen. 

In  dem  derben  Gefüge  der  Schwiele  sieht  man  neben  ganz  unregelmässigen 
Balken  und  Knoten  obsoleten  Bindegewebes  Nester  einer  krümlichen,  fettig  sandigen 
Masse.  Es  sind  dieses  Reste  von  durch  das  wuchernde  Contentum  ausgedehnt 
gewesenen  \ind  nachträglich  verödeten  Haardrüsen.  Ihr  Umfang  ist  bisweilen  ein 
sehr  beträchtlicher.  Sie  bilden  dann  gleichsam  den  Kern  einer  von  merklich  dichte- 
rem Bindegewebe  formirten  Geschwulst.  Derlei  Tumores  sind  es,  welche  die 
Höckerigkeit  der  Oberfläche  der  Lidrands chroiele  bedingen.  Es  ist  wahrscheinlich, 
dass  der  Musctilus  suhtarsalis  in  dem  tylotischen  Lidrande  grösstentheils  zu  Grunde 
gehe,  atrophire. 

3.  Häufig  werden  bei  höhergradigen  und  veralteten  Lidranddrüsen- 
entzündungen am  Ende  die  Haarbälge  selber  in  Mitleidenschaft  gezogen. 
Sie  verfallen  meistens  dem  Schwunde  und  gehen  völlig  zu  Grunde.  Der 
Lidrand  erscheint  dann  streckenweise  oder  seiner  ganzen  Ausdehnung  nach 
kahl  (Madarosis  j)artialis  oder  totalis).  Mitunter  jedoch  verkümmern  die 
Bälge  blos  und  mit  ihnen  die  Wimpern,  es  nehmen  die  letzteren  die 
Charaktere  der  Wollhaare  an,  werden  dünn  und  pigmentlos,  spalten  sich 
bisweilen  schon  an  der  Zwiebel,  so  dass  zwei  und  mehrere  aus  Einem 
Balge  hervorgehen,  krümmen  sich  nach  verscliiedenen  Kichtungen,  stülpen 
sich  theilweise  nach  einwärts  und  kommen  mit  der  Hornhaut  in  Berührung 
(Trichiasis). 

4.  Die  geschwürige  Form  der  Blepharitis  ciliaris  führt  mitunter  auch 
zur  Tylosis,  häufiger  aber  zur  Madarosis  und  Trichiasis.  Ueberdies  sind 
bei  ihr  noch  die  Narben  sehr  zu  fürchten,  welche  die  einzelnen  Geschwüre 
zurücklassen.  Sie  sind  nämlich  immer  strahlig,  ziehen  sich  ganz  unregel- 
mässig zusammen  und  geben  den  nachbarlichen  Wimpern  falsche  Richtun- 
gen, biegen  dieselben  bisweilen  unglücklicher  Weise  nach  einwärts  und 
begründen  so   leicht  höchst   fatale   Zufälle. 

5.  In  Fällen  von  sehr  lange  bestehender,  besonders  ulceröser  Blepha- 
ritis ciliaris  wird  übrigens  nicht  blos  der  Lidrand  verbildet,  sondern  es 
verkürzt  sich  häufig  auch  die  äussere  Lidhaut,  indem  dieselbe  einerseits 
an  dem  entzündlichen  Processe  directen  Antheil  nimmt,  anderseits  aber  von 
den  wegen  mangelhafter  Leitung  fortwährend  überströmenden  Thränen  in 
einem  L'ritationszustand  erhalten  wird  und  schliesslich  schrumpft.  Die  Folge 
dessen  ist,  dass  die  dem  Lidrande  nächste  Zone  der  Tarsalbindehaut  über 
den  Knorpelrand  nach  aussen  umgeschlagen  und  als  ein  tief  rother,  meistens 
sammtähnlich  rauher  Saum  von  einer  oder  mehreren  Linien  Breite  am  Lid- 
rande   sichtbar    wird.      Die    innere  Lidlefze  ist    dann   samrat  den  Thränen- 


Heh;ui(lliiiif,';   Verhütung  der  Kriistenbilduiif;.  501 

Wärzchen  an  die  äussere  Fläche  der  Lider  g;erückt  und  von  der  äusseren, 
mit  wenigen  sparrigen  Wimpern  besetzten  Lefze  nicht  mehr  zu  unter- 
scheiden. Beide  fallen  in  eine  einzige,  etwas  uurcgehnässige  Linie  zu- 
sammen,  welche  von   der  Gi'enze  der  äusseren   Liddecke  gebildet  wird. 

Behandlung.  Deren  Aufgaben  zielen  erstens  auf  Beseitigung  uvd 
Femhaltung  aller  Schädlichkeiten,  welche  den  Process  anzuregen  und  zu 
unterhalten  vermögen,  insbesondere  auf  Beseitigung  aller  Hindernisse,  welche 
sich  der  Ausscheidung  des  Drüsensecretes  etwa  entgegenstellen;  zweitens  auf 
directe  Bekämpfung  der  Gewebswucherung  und  eventuel  auf  Modification  der 
einer  Verheilung  ungünstigen  Productqnalität ;  drittens  auf  Förderung  der 
regressiven  Metamorphose  und  der  Aufsaugung  jener  neugebildeten  Elemente, 
welche,  in  der  Höhergestaltung  begritfen,  eine  degenerative  Hypertrophie 
des  Lidrandes  drohen. 

1.  Die    Causalindication    fordert    in    erster    Linie    eine   entsprechende 

Augendiät.      Ohne   diese  schlägt  in  der  Regel  jede   Therapie  fehl. 

Bisweilen  sind  bei  hartnäckiger  veralteter  Lidranddrüsenentzündung,  beson- 
ders bei  Individuen  mit  sehr  zarter  Haut  und  erethischem  Nervensysteme,  Fluss- 
bäder und  mehr  noch  Seebäder  von  günstiger  Wirkung.  Nicht  minder  sollen 
Waschungen  mit  einer  schwachen  Kochsalzlösung,  etwa  ein  Caffeelöffel  voll  auf  ein 
Glas  Wasser,  heilkräftig  sein  (Mooren).  Auch  Dampfbäder  werden  von  mancher 
Seite  behufs  der  Tilgung  der  Disposition  gerühmt. 

2.  Eine  zweite,  ganz  unerlässliche  Bedingung  für  therapeutische  Erfolge 
ist  die  Fernhaltung  vertrocknender  Drüsensecrete  von  den  Lidrändern  und  die 
Verhinderung  von  Excoriationen. 

a.  Sobald  sich  an  einer  Stelle  des  Lidrandes  epidermoidale  Schüppchen 
oder  Schwarten  oder  förmliche  Krusten  zeigen,  müssen  sie  sogleich  voll- 
ständig entfernt  werden.  Doch  darf  dieses  ja  nicht  durch  Eeiben  der 
Lider  geschehen,  wozu  der  Kranke  durch  juckende  Gefühle  nur  zu  leicht 
verleitet  wird,  da  sonst  sehr  leicht  Excoriationen  gesetzt  werden,  welche 
sich  rasch  mit  Lymphe  überziehen,  die  ihrerseits  wieder  zu  Borken  ver- 
trocknet und  die  Ungunst  der  Verhältnisse  steigert.  Es  müssen  die  aus- 
gedörrten Drüsensecrete  vielmehr  vorerst  völlig  aufgeweicht  iverden,  Avorauf 
man  sie  ohne  Gefahr  der  Excoriation  durch  vorsichtiges  Abtupfen  mit 
feiner  Charpie  leicht  zum  grössten  Theile  entfernen  kann.  Der  Rest  wird 
am  besten  mittelst  eines  steifen  Pinsels  oder  dadurch  beseitiget,  dass  man 
die  Cilien,  au  welchen  die  aufgehäuften  Krüstchen  haften,  bündelweise 
zwischen  dem  Daumen  und  dem  Zeigefinger  durchzieht.  Man  thut  dabei 
wohl,  die  Wimpern  etwas  fester  zu  fassen  und  einen  leichten  Zug  auf  die- 
selben auszuüben,  um  etwa  loffe  gewordene  Haare,  welche  noch  im  Balge 
stecken,  fortzuschaffen,  da  sie  einerseits  gleich  fremden  Körpern  reizen, 
andererseits  aber  auch  durch  Verengerung  der  Balgmündung  die  Aus- 
scheidung des  Drüsensecretes  erschweren  und  dadurch  schädlich  werden. 

Besonders  thut  eine  solche  vorsichtige  Reinigung  der  Lidräuder  Noth 
nach  dem  nächtlichen  Schlafe.  Bei  unzulänglicher  therapeutischer  Vorsorge 
sammeln  sich  nicht  selten  massenhafte  Krusten  und  verkleben  die  Lid- 
spalte vollständig.  Aber  auch  bei  Tage,  während  dem  Wachsein  des 
Kranken ,  sind  Reinigungen  nothwendig ;  sie  müssen  so  oft  wiederholt 
werden,   als  sich  eben    vertrocknete  Secrete  an  den  Lidrändern  zeigen. 

Zum  Aufweichen  der  Krusten  kann  ganz  gut  reines,  am  besten  laues 
Wasser    in    Gestalt    von    Eomentirungen    mit    feinen    sauberen  Leinwand- 


502  Blepharitis  eiliaris;  Behandlung;    Beizende  Mittel. 

läppchen    verwendet    werden.      Doch    muss    das    Wasser    möglichst  arm  an 

Sahen  sein,   daher  sich  denn   auch  destillirtes  Wasser  empfiehlt. 

Von  vielen  Seiten  wird  zu  diesem  Behufe  der  Gebrauch  lauer  Absude  von 
Eihischwurzeln,  von  Käsepapein  etc.  angerathen.  Nicht  minder  werden  Cataplasmen 
von  in  Wasser  gekochtem  Reis ,  von  in  Malventhee  gekochtem  Leinsamenmehl 
gerühmt.  Von  Einzelnen  werden  mehrmal  des  Tages  wiederholte  Applicationen 
lauer,  mit  etwas  Bleizuckerlösung  versetzter  Cataplasmen  sogar  für  ein  directes 
sehr  wirksames  Mittel  gegen  hartnäckige  Blepharitis  eiliaris  gehalten  (Mooren). 
Manche  bestreichen  den  Lidrand  mit  lauer  Milch,  in  welcher  ein  Stückchen  Butter 
gelöst  wurde  und  bähen  sodann  die  Theile  mit  lauem  Wasser,  bis  der  Zweck 
erreicht  ist. 

6.  Nachdem  das  Drüsenseeret  fortgeschafft  und  auch  das  letzte  Schüppchen 
zwischen  den  Basen  der  Wimpern  beseitigt,  überdies  aber  der  Lidrand 
durch  sanftes  A-btupfen  mit  feinster  Charpie  abgetrocknet  worden  ist,  muss 
durch  Einstreichen  reinen  frischen  Fettes  oder  einer  ganz  schwachen  gelben 
Quecksilberoxydsalbe  (^o — 1  Grau  auf  die  Drachme  des  Vehikels  S.  45) 
die  neuerliche  Bildung  von  Ki'usten  verhütet  oder  doch  erschwert  werden. 
Besonders  wichtig  ist  das  Einsalben  der  wohl  gereinigten  Lidränder 
vor  dem  abendlichen  Schlafengehen,  da  während  der  nächtlichen  Ruhe 
die  Borken  sich  zu  häufen  Gelegenheit  haben.  In  leichten  Fällen  genügt 
dies  Verfahren  oftmals,  um  binnen  kurzem  zum  Ziele  zu  gelangen. 

3.   Bei    der    hypertrophirenden    und  geschwürigen  Form   der  Blepharitis 

eiliaris    sind    stärker    reizende    Mittel    nothwendig.      Am  meisten    empfiehlt 

sich    wieder    die    gelbe     Quecksilberoxydsalbe,    1 — 2    Gran    auf  die  Drachme 

des  Vehikels,   des  Morgens  und  Abends  eingestrichen. 

Weniger  verlässlich  ist  die  seit  langem  beliebte  Scarpa'sche  Salbe:  Rp.  Merc. 
praec.  rubr. ,  Extract.  Saturni  aa  gr.  IV2;  Ungt.  simpl.  dr.  2.  Mise,  exactiss.  F. 
ungt.  —  Auch  der  weisse  Präcipitat  ist  von  jeher  sehr  beliebt  zu  gr.  4 — 6  ad  drachm. 
2.  ungt.  simpl.  Weniger  häufig  gebraucht  wird  das  Zinkoxyd,  der  calcinirte  Alaun 
u.  s.  w.  in  Salbenform.  Doch  ist  das  erstere  in  unreineju  Zustande  ein  Constituens 
der  vielfach  gerühmten  Janin'schen  Salbe:  Rp.  Tutiae  praep.,  Boli  armen,  aa.  dr.  1, 
Merc.  praec.  albi  dr.  V2,  Ungt.  simpl.  dr.  2.  M.  D.  S.  Sie  wird  besonders  bei  älteren 
Individuen  und  inveterirtem  Uebel  empfohlen. 

Es  ist  bei  der  Anwendung  dieser  Mittel  dafür  zu  sorgen,  dass  die 
Salbe  auch  wirklich  die  Lidrandoberfläche  und  die  Follikelöffnungen  unmittel- 
bar berühre ;  daher  der  Pinsel  zwischen  die  Basen  der  Cilien  hineingelenkt 
wei'den  muss.  Die  auf  die  Application  folgende  Reizung  fordert  nur  dann, 
wenn  sie  eine  beträchtliche  Höhe  erreicht,  Gegenmittel,  insbesondere  die 
Anwendung  einiger  kalter  Ueberschläge.  Genügen  diese  nicht,  um  den 
künstlich  erzeugten  Irritationszustand  rasch  zu  beseitigen,  halten  die 
Schmerzen  trotz  ihnen  Stunden  lang  an,  'bleibt  überdies  eine  sehr  inten- 
sive Injectionsröthe  zurück,  oder  schwillt  gar  der  Lidrand  bedeutend  auf: 
so  ist  es  gut,  zu  schwächeren  Salben  überzugehen. 

Wenn  die  Salben  wenig  wirken  oder  nicht  vertragen  werden,  leisten 
selbst  in  sehr  hartnäckigen  und  veralteten  Fällen  starke  Höllensteinlösungen, 
20 — 30  Gran  auf  die  Unze  Wasser,  öfters  vortreffliche  Dienste.  Es  werden 
dieselben  einmal  des  Tages  mittelst  eines  Malerpinsels  bei  geschlossener 
Lidspalte  auf  die  wohl  gereinigten  Lidränder  aufgetragen  und  sodann  der 
Ueberschuss  mit  Wasser  abgeschwemmt.  Soll  das  Mittel  seinem  Zwecke 
entsprechen,  so  muss  es  gleich  den  Salben  vornehmlich  auf  die  Mündungen 
der  Haarbälge  und  auf  etwa  excoriirte  Stellen  wirken,  der  Pinsel  also 
sorglich  zwischen  die  einzelnen  Cilien  hinein    geleitet  werden.     Statt  dem 


Aetzungen;  Depilation.  503 

Höllensteine  kann  auch  das  Kupfervitriol  benützt  werden.  Beptreichungen 
des  o-eschwürigcn  Lidrandos  mit  oincin  breitHächigeu  Krystalle  sollen  in 
Verbindung  mit  lauwarmen  Cataplasmeu  mitunter  Vortreffliches  leisten 
(Mooren). 

Eiterpunkte  und  Pusteln  sind  vor  der  Anwendung  der  Ileizmittel  durch 
das  Messer  oder  durch  Druck  zu  entleeren,  also  in  offene  Eiterherde  umzu- 
wandeln. 

Bei  Geschwüren,  einzeln  stehenden  und  zusammenfliessenden,  wenn  ihr 
Grund  sehr  befressen  und  die  Absonderung  von  üblei^  Beschaffenheit  ist, 
besonders  aber,  wenn  sie  stark  granuliren,  thut  man  wohl,  zum  mitigirtai 
Höllensteine  zu  greifen  und  mit  dem  fein  zugespitzten  Stifte  die  geschwüri- 
gen Stellen  nachdrücklich  zu  ätzen.  Wendet  sich  der  Zustand  zum  Besseren, 
so  ist  zu  den  Bestreichungen  mit  starken  Lösungen  und  weiterhin  zu  den 
Salben  überzugehen. 

Manche  empfehlen,  vor  den  Aetzungen  mit  Höllenstein  alle  Cilien  auszu- 
reissen  (Quadri).  Falls  Pilzhildungen  an  der  Haarwurzel  den  entzündlichen  Process 
unterhalten,  kann  fortgesetzte  Depilation  in  der  Tliat  von  Vortheil  sein,  sonst  ist 
sie  mmAesiQus  überflüssig .  In  einzelnen  Fällen  wurde  bei  sehr  hartnäckiger  Blepharitis 
dadurch  Heilung  oder  Besserung  erzielt,  dass  man  die  Lidhaut  läiigs  der  äusseren 
Lefze  durchschnitt  und  so  die  Wimpernbälge  zur  Verödung  zu  bringen  suchte 
(Stavenhagen).  In  einem  Falle  von  eingewurzelter,  seit  vielen  Jahren  bestehender 
und  allen  Mitteln  trotzender  Blepharitis  ciliaris,  welche  bereits  zu  narbigknotiger 
Verbildung  des  Lidrandes  und  zur  Verödung  der  meisten  Cilien  geführt  hatte, 
wurde  durch  Abtragung  des  Haarhodens  nach  der  bei  Trichiasis  üblichen  Weise 
rasch  Heilung  erzielt. 

Früher  wurde  bei  der  Blepharitis  ulcerosa  dem  loeissen  Präcipitate  in  Salben- 
form eine  ganz  besondere  Wirksamkeit  beigemessen  und  derselbe  entweder  rein, 
zu  gr.  4 — 6  auf  dr.  2  ungt.,  oder  in  Verbindung  mit  Tlieer.  (Rp.  Merc.  praec.  alb. 
gr.  4—6,  Picis  liquid,  scrup.  1,  Uugt.  simpl.  dr.  1.  M.  D.)  täglich  2  —  3  Mal  auf  die 
Lidränder  aufgestrichen.  Es  hat  dieses  Mittel  jedoch  sicherlich  nichts  vor  der 
gelben  Quecksilberoxydsalbe  voraus.  Auch  scheinen  Bepinselungen  der  Geschwüre 
mit  Jodtinctur  den  ihuen  beigemessenen  Vorzug  nicht  zu  verdienen. 

4.  Verläuft  die  Blepharitis  neben  einem  Bindehautkatarrhe,  so  müssen 
ausser  den  Salben  u.  s.  w.  die  der  letzteren  Krankheit  entsprechenden 
Mittel  augewendet  werden.  Besonders  zu  achten  hat  man  bei  länger 
bestehender  Blephaiütis  auf  etwaige  Lockerungen  oder  Rauhigkeiten  deT  Binde- 
haut. Diese  fordern  unbedingt  Aetzungen  der  Conjunctiva  nach  der  bei 
Trachom  üblichen  Weise,  widrigenfalls  auch  die  Blepharitis  allen  Heil- 
mitteln hartnäckigen  Widerstand  zu  leisten  pflegt. 

5.  Bei  Tylosis  höheren  Grades,  wie  selbe  nicht  selten  nach  veralteter 
Blepharitis  hypertrophica  zurückbleibt,  wurden  in  einzelnen  Fällen  ganz 
ausgezeichnete  Resultate  dadurch  erzielt,  dass  in  starke  Höllensteinlösungen 
getauchte  Chaijnehäusche  mittelst  einer  Flanellbinde  über  den  geschlosseneu 
Lideni.  befestigt  und   durch  8 — 14  Tage  getragen  wurden. 

Einige  Autoren  empfehlen  mit  Lapis  infernalis  in  Substanz  einen  Aetzschorf 
in  der  den  Wulst  deckenden  Lidhaut  zu  erzeugen  und  sämmtliche  Cilien  auszu- 
reissen.  Andere  erwarten  von  der  Anwendung  von  Kataplasmen  in  Verbindung  mit 
Jod-  oder  Mercurialsalben  Heilung.  Auch  werden  Einstreichungen  einer  Salbe  aus 
Deuterojoduret.  Hydrarg.   1/3 — ^/2  gr.  ad.  dr.  1  ungt.  empfohlen. 

G.  Die  Madarosis  ist  unheilbar.  Sie  bedingt  die  Nothwendigkeit,  die 
der  Wimpern  beraubten  Augen  durch  Staubbrillen,  Schutzbrillen  u.  s.  w. 
vor  äusseren  Schädlichkeiten  zu  bewahren. 


504  Blepharitis  tarsalis;  Kranklieitel)ild;  Ursaolien. 

Quellen:  Hivily,  Krankheiten  u.  Missbildungen  etc.  I.  Berlin.  1843.  S.  241, 
244.  —  Steffen,  kl.  Mntbl.  1866.  S.  43.  —  Lawrence,  Mackenzie,  Traite  d.  mal.  d. 
yeux,  traduit  p.  Warlomont  et  Testelin.  I.  Paris.  1856.  S.  322.  —  Quadri,  ibid. 
S.  200.  —  Ellinge?;  Virchow's  Archiv.  23.  Bd.  S.  449.  —  Schiess- Gemuseus,  ibid. 
27.  Bd.  S.  132.  —  Arlt,  Die  Krankheiten  des  Auges.  III.  Prag.  1856.  S.  351, 
355.  —  Stilling,  kl.  Mouatbl.  1869,  S.  198.  —  Sämisch,  ibid.  S.  339.  —  Mooren, 
Ophth.  Beob.  S.  45,   —  Stavenhagen,  kl.  Beob.  S.  21. 


4.   Blepharitis    tarsalis,    Hordeolum,    Gersteukorn. 

Krankheitsbild.  Das  Gerstenkorn  ist  eine  unter  entzündlichen  Er- 
scheinungen zu  Stande  kommende,  von  eiterähnlichem  Producte  gefüllte  Knorpel- 
drüsen geschwuUt,  welche  in  der  Dicke  des  Lides  selber  festsitzt,  über  welcher 
daher  die  äussere  Liddecke  sich  deutlich  verschieben  lässt. 

Die  Geschwulst  wechselt  von  Hanfkorn-  bis  Bohnengrösse.  Sie  ist  in 
der  Regel  rundlich  oder  oval,  zeigt  eine  ziemlich  glatte  Oberfläche,  besitzt 
eine  gewisse  Elasticität  und  ist  hart  anzufühlen.  Man  kann  sie  leicht  zur 
Wahrnehmung  bringen,  wenn  man  mit  dem  Finger  sanft  über  die  Fläche 
des  Lides  streicht. 

Aeussere  Hordeola  pflegen  übrigens  die  Lidhaut  so  stark  nach  aussen 
zu  bauchen,  dass  man  sie  schon  yon  weitem  als  Erhabenheiten  erkennen 
kann.  An  der  inneren  Lidfläche  sind  dieselben  jedoch  schwerer  zu  bemerken 
wegen  der  Dicke  des  zwischenlagernden  Knorpels.  Erst  wenn  das  Lid 
umgestülpt  und  der  Knoi'pel  mit  der  Bindehaut  stark  gespannt  wird,  tritt 
die  Geschwulst  etwas  nach  innen  hervor  und  das  eiterähnUche  Contentum 
derselben  scheint  leicht  dux'ch,  einen  graulichen  oder  gelblichen  ver- 
waschenen Fleck  bildend,  welcher  sich  von  der  umgebenden,  tief  gerötheten 
und  bisweilen  schon  granulirten  Bindehaut  deutlich  abhebt. 

Innere  Hordeola  hingegen  ragen  nur  bei  beträchtlicher  Grösse  nach 
aussen  vor,  während  sie  an  der  inneren  Knorpelfläche  sehr  deutlich  durch- 
schimmern und  an  der  eitergelben  Farbe  sehr  leicht  erkannt  werden.  Bei 
umgestülptem  Lide  bauchen  sie  die  Lidbindehaut  mitunter  als  flache  eiter- 
gelbe dünnwandige  Blasen  von  rundlicher,  ovaler  oder  gar  flaschenförmiger 
Gestalt  nach  innen. 

Gerstenkörner,  welche  sich  in  dem  ausserhalb  des  Knorpels  gelegenen 
Theile  der  Drüse  entwickeln,  treiben  den  anliegenden  Theil  der  freien  Lid- 
randfläche und  der  Conjunctiva  mit  dem  zwischenlagernden  Stücke  der 
inneren  Lefze  buckelähnlich  auf,  während  die  äussere  Lidlefze  ihre  normale 
Gestalt,  Lage  und  meistens  auch  ihre  Yerscliieblichkeit  behält ,  wodurch 
sich  das  randständige  Hordeolum  von  der  solitären  Lidrandfinne  unterscheidet. 
Auf  der  Höhe  des  Tumors  zeigt  sich  meistens  ein  Eiterpunkt,  welcher  durch 
seine  helle  Farbe  stark  von  der  umgebenden  Injectionsröthe  absticht. 
Gewöhnlich  entspricht  seine  Lage  der  Mündung  der  erki-ankten  Drüse ;  er 
tritt  dann  warzenähnlich  an  der  abgestumpften  inneren  Lefze  hervor  und 
entleert  bei  einigem  Drucke  einen  Theil  des  purulenten  Inhaltes. 

Ursachen.  Es  sind  dieselben,  welche  der  Acne  im  engeren  Wortsinne 
zu  Grunde  liegen ;  ist  ja  doch  das  Hordeolum  nichts  anderes,  als  eine 
Finne  der  Knorpeldrüse.  Von  hohem  praktischen  Belange  ist  die  That- 
sache,    dass    sich    die  Blepharitis    tarsalis  sehr  oft  secundär,  in  Folge    der 


Verlauf;  Ausgänge;  Resoriitioii ;  Diiichljnii-li.  üOO 

Fortpflanzung  des  entzündliclien  Processes  von  der  Bindehaut  auf  den 
Knorpel  entwickelt,  diiss  Hordeola  sehr  häufige  Coraplicationen  veralteter 
Katarrhe,  besonders  aber  inveterirter  Trachome  sind,  und  dann  nicht  selten 
in  grosser  Anzahl  auf  einmal  auftreten,  aiich  immer  wieder  recidiviren  und 
am  Ende  sehi*  viel  zw.y  Degeneration  des  Knorpels  und  zu  V^erbildungen  der 
Jjider  beitragen  können. 

VerlaiLf.  Das  Gerstenkorn  entwickelt  sich  meistens  unter  den  Er- 
scheinungen eines  sehr  intensiven  und  auch  extensiven  Entzündung sprocesses, 
oft  sogar  unter  merklichem  Fieber;  das  betreifende  Lid  mit  Einschluss 
der  Bindehaut  röthet  sich  lebhaft  und  schwillt  so  stark  an,  dass  der  Drüsen- 
tumor völlig  verdeckt  wird.  Gewöhnlich  begleiten  sehr  heftige  Schmerzen 
den  Vorgang,  nicht  selten  auch  Lichtscheu  und  Thränenfluss.  Innerhalb 
weniger  Tage  ist  der  Process  der  Regel  nach  an  seinem  Höhepunkte 
angelangt  und  schreitet  dann  ebenso  rasch  seinen  Ausgängen  zu ;  oder  es 
nehmen  blos  die  entzündlichen  Symptome  an  Litensität  ab,  schränken  sich 
auf  die  nächste  Umgebung  des  betreffenden  Acinus  ein,  das  Gerstenkorn 
selbst  aber  wird  chronisch,  es  schleicht  nur  mehr  langsamen  Schrittes  seinen 
Ausgängen  zu.  Li  anderen  Fällen  kömmt  das  Hordeolum  unter  kaum  merk- 
lichen und  auf  die  unmittelbare  Nachbarschaft  des  Acinus  beschränkten 
entzündlichen  Symptomen  zu  Stande,  es  wächst  wochenlange  und  bisweilen 
unter  auffälligen  Exacerbationen  und  Remissionen  des  Processes  fort,  bis  es 
das  Maximum  seines  Volumens  erreicht  hat  und  sich  nun  allmälig  seinen 
Ausgängen  zuwendet. 

Ausgänge.  1 .  Das  Gerstenkorn  wird  nicht  gar  selten  auf  dem  Wege 
der  Resorption  beseitigt.  Es  geschieht  dieses  leichter  bei  rasch  entstandenen 
und  frischen  Hordeolis,  als  im  gegentheiligen  Falle.  Doch  werden  mit- 
unter auch,  obwohl  sehr  langsam,  Gerstenkörner  aufgesaugt,  welche  seit 
vielen  Monaten  bestehen  und  bereits  die  Eigenschaften  eines  Chalazion  an- 
genommen haben, 

2.  In  den  meisten  Fällen  entleert  sich  das  Hordeolum  und  wird  so  in 
der  raschesten  Weise   der  Heilung  zugeführt. 

Die  Entleerung  erfolgt  öfters  durch  den  Ausführung s gang  der  Drüse 
und  zwar  entweder  spontan,  oder  unter  Beihilfe  eines  von  aussen  her  auf 
den  Tumor  ausgeübten  Druckes.  Bei  randständigen  Gerstenkörnern  geschieht 
dieses  am  häufigsten,  weniger  oft  bei  inneren  oder  äusseren  Hordeolis,  be- 
sonders wenn  sie  weit  entfernt  von  dem  Lidrande  sitzen. 

Fast  eben  so  oft  entleert  sich  der  Tumor  in  den  Bindeliautsack, 
indem  eine  Schichte  der  inneren  Abscesswand  nach  der  anderen  in  den 
Entzündungsprocess  verwickelt  wird,  sich  auflockert,  eiterig  schmilzt  und 
so  am  Ende  ein  geschwüriger  Durchbruch  bewerkstelligt  wird.  Bei  inneren 
Hordeolis  ist  eine  solche  Perforation  in  den  Conjunctivalsack  der  gewöhn- 
liche Ausgang ;  auch  randständige  Gerstenkörner  entleeren  sich  oft  auf  diese 
Weise.  Seltener  jedoch  wird  ein  Durchbruch  nach  innen  beobachtet  bei 
äusseren  Hordeolis,  indem  die  Dicke  des  Knorpels  zu  grosse  Schwierig- 
keiten in  den  Weg  stellt.  War  die  Entleerung  eine  nahezu  vollständige,  so 
schliesst  sich  die  Abscesshölile  meistens  rasch  durch  Narbenbildung.  In  nicht 
wenigen  Fällen  aber  gelangt  der  Process  trotz  der  Entleerung  zu  keinem 
unmittelbaren  Abschlüsse,  indem  die  Gewebswucherung  in  den  Wandungen 
der    Abscesshöhle    fortdauert.     Doch    ist    das    Product    in   der  Regel  nicht 


O06  Blepharitis  tarsalis;   Ausgänge;  Durclfbruch. 

mehr  ausschliesslich  eiterig,  sondern  eine  mehr  sulzähnliche  Masse,  welche 
die  etwas  zusammengezogene  Höhle  ausfüllt  und  oft  auch  noch  in  Gestalt 
von  Klumpen  aus  der  Durchbruchsöifnung  herausragt,  derselben  das  An- 
sehen eines  hässlichen,  dem  Chauker  nicht  unähnlichen,  oft  tiefen  Geschwüres 
verleihend.  Es  ist  embryonales  Bindegewebe  mit  neoplastischen  Gefässen, 
eine  im  Uebermasse  entwickelte  Narbenanlage,  deren  oberflächliche  Schichten 
meistens  noch  Eiter  produch-eu.  Mitunter  ist  diese  jS'eubildung  wohl  auch 
gleich  von  vorneherein  etwas  dichter  und  gefässreicher ,  sie  hat  ganz  das 
Ansehen  von  Fleischwärzchen,  welche  die  Perforationsöffnung  und  deren 
nächste  Umgebung  überwuchern,  ausnahmsweise  sogar  mächtige  Geschwülste 
bilden,  welche  Wochen  und  Monate  fortbestehen,  die  Eiterung  unterhalten, 
zuletzt  jedoch  schrumpfen  und  eine  kleine  sehnige  Narbe  liinterlassen. 

Selten  bahnt  sich  der  Eiter  nach  aussen  einen  Weg.  Bei  randständigen 
Gerstenkörnern  geschieht  dieses  noch  am  öftesten,  bei  inneren  kaum  jemals, 
bei  äusseren  nur  sehr  ausnahmsweise.  Das  Hordeolum  externum  hat  aller- 
dings eine  ganz  gleiche  Tendenz  sich  zu  entleeren,  und  macht  dieselbe 
auch  immer  geltend,  es  dehnt  sich  in  der  Richtung  gegen  die  äussere  Lid- 
decke mehr  und  melu"  aus,  indem  es  eine  Schichte  nach  der  anderen  in 
den  Process  hineinzieht  und  zur  Schmelzung  bringt.  In  dem  Masse  aber, 
als  die  Abscesshöhle  nach  aussen  vorschreitet,  werden  immer  wieder  neue 
Strata  entzündlich  infiltrirt,  verdichtet  und  so  die  Eiterhöhle  nach  aussen 
abgeschlossen.  Euer  und  da  geschieht  es  nun  allerdings,  dass  der  Eiter  Ge- 
legenheit findet,  sich  in  das  submusculare  Gewebe  zu  diffundiren  und  dann 
resorbirt  wii'd.  In  den  allermeisten  Fällen  jedoch  bleibt  der  Eiter  in  der 
vorhin  erwähnten  Weise  eingekapselt  und  der  Process  steht  viel  früher  still, 
als  der  die  Perforation  vorbereitende  Entzündungswall  bis  an  die  äussere 
Liddecke  herangerückt  ist. 

Von  hohem  Belange  ist  in  dieser  Beziehung  sicherlich  der  Umstand,  dass  in 
dem  Augenblicke ,  als  der  Abscess  den  Widerstand  des  Knorpels  überwunden  hat 
und  seiner  Ausdehnung  nur  mehr  lockeres  Gefüge  entgegensteht,  der  auf  dem 
Inhalte  lastende  Druck  sohin  vermindert  wird,  auch  die  Bedingungen  für  den  Aus- 
gleich der  Störungen,  weit  günstigere  geworden  sind. 

Sobald  dann  die  Entzündung  zurückgeht,  verkleinert  sich  auch  die  Ge- 
schwulst, indem  nicht  nur  der  Inhalt  des  Gerstenkorns,  sondern  auch  die 
Wandung  desselben  auf  dem  Wege  der  Resorption  eine  beträchtliche  Ein- 
busse  erleidet.  Es  kann  sogar  die  Aufsaugung  eine  vollständige  werden  und 
in  relativ  sehr  kurzer  Zeit  den  Tumor  spurlos  beseitigen.  Andererseits  ge- 
schieht es  nicht  selten,  dass  über  kurz  oder  lang  die  Entzündung  recidivirt, 
das  Hordeolum  wieder  anschwillt,  abermals  theilweise  zurückgeht,  um 
neuerdings  zu  wachsen  u.  s.  f.,  bis  endlich  nach  Monaten  der  Process  in 
dieser  oder  jener  Weise  zum  Abschlüsse  gelaugt.  In  der  Regel  jedoch  wird 
unter  solchen  Verhältnissen  das  Hordeolum  in  ein  sogenanntes  Hagelkorn, 
Chalazion,  umgewandelt. 

3.  Das  Hagelkorn  unterscheidet  sich  von  dem  Gerstenkorne  nur  durch 
den  Abgang  der  auf  Entzündung  hindeutenden  Erscheinungen,  namentlich 
der  Hyperämie  und  Empfindlichkeit;  es  ist  ein  Hordeolum,  in  welchem  der 
Gewebswucherungsprocess  zurückgetreten  ist,  oder  wenigstens  sich  nicht 
mehr  deutlich  äussert,  und  welches  in  gewissem  Grade  ständig  geworden 
ist,   indem  es  nur  in  längeren  Zeiträumen  auffällige  Veränderungen  erkennen 


Hagelkorn ;  Pathologische  Anatoinif.  007 

und  nachweisen  lässt.  Es  resultirt,  wie  erwähnt  wurde,  bei  weitem  am 
häuügsten  aus  äusseren  Hordeolis,  da  bei  diesen  der  Entleerung  die  grössten 
Scliwierig-keiton  ent(i;eg-enstehen  und  da  eine  vollständige  ]i(>sorption  übcr- 
liaupt  nicht  inmier  leicht  gelingt.  Unter  ungünstigen  Verliältnissen  kann 
jedoch  auch  ein  randständiges  und  sogar  ein  inneres  Gerstenkorn  in  ein 
Chalazion  übergehen.  Darnacli  wechselt  natürlich  nicht  nur  der  Sitz,  son- 
dern auch  die  äussere  Form,  unter  welcher  sich  Hagelkörner  der  Beobach- 
tung präsentiren. 

Aeussere  Hagelkörner  erscheinen  öfters  als  länglich  ovale  Hügel,  welche 
mit  geringer  Convexität  sich  über  die  vordere  Oberfläche  des  Knorpels  er- 
heben. In  anderen  Fällen  bilden  sie  erbsen-  und  bohnengrosse,  meistens 
rundliche  Geschwülste,  welche  steil  aus  der  vorderen  Wand  des  Tarsus  em- 
porsteigen, und  auf  derselben  entweder  flach  oder  mit  halsföi'mig  einge- 
schnürtem Fusse  festsitzen.  Dadurch,  so  wie  durch  die  Verschieblichkeit  der 
über  sie  hinüberstreichenden  äusseren  Liddecke  unterscheiden  sie  sich  von 
Balggeschioülsten,  welche  sich  im  subcutanen  Gefüge  der  Lider  bisweilen 
entwickeln. 

Innere  Hagelkörner  ei'reicheu  selten  beträchtliche  Grössen.  Immer  sind 
sie  flach  wegen  dem  Drucke,  unter  welchem  sie  von  Seite  des  Lides  selber 
stehen.  Bisweilen  findet  man  innere  Chalazien,  deren  Fuss  halsartig  abge- 
schnürt erscheint,  indem  die  blasige  Decke  derselben  bei  der  Massenver- 
minderung des  Inhaltes  der  Höhle  falzartig  eingebogen  wird. 

Randständige  Chalazien  erreichen  selten  mehr  als  Pfefferkorn-  oder 
kleine  Erbseugrösse,  sind  meistens  rundlich,  bauchen  etwas  die  Lidrand- 
fläche heraus  und  machen  in  ihrem  Bereiche  die  abgestumpfte  innere  Lid- 
lefze bogenförmig  hervorspringen. 

Die  Metamorphosen,  durch  welche  das  Hordeolum  die  Bedeutiing  eines  Hagel- 
kornes gewinnt,  betreften  sowohl  die  Hülle,  als  auch  den  Inhalt  des  Tumors.  Der 
Entzündungswall  schwillt  unter  Verminderung  der  Hyperämie  und  unter  der  Resorp- 
tion eines  Theiles  des  Entzündungsproductes  etwas  ab,  nimmt  aber  an  Hichfigkeit 
beträchtlich  zu,  und  verwandelt  sich  am  Ende  in  eine  Art  seimiger  Kapsel.  Diese 
hat  eine  innere  glatte  und  eine  äussere  rauhe  zottige  Oberfläche,  durch  welche 
letztere  sie  mit  den  lockergewebten  nachbarlichen  Schichten  innig  zusammenhängt. 
Bei  inneren  und  bei  äusseren  Hagelkörnern  steht  diese  sehnige  Kapsel  am  Fusse 
des  Tumors  in  Verbindung  mit  dem  Knorpel,  sie  geht  in  den  letzteren  unmittelbar 
über  und  grenzt  so  ein  gewisses  Knorpelstück  ab ,  welches  nach  der  betreftenden 
Seite  hin  die  Wandung  der  Höhle  ergänzt.  Es  ist  dieses  Knorpelstück  nicht  selten 
usurirt  und  bisweilen  so  stark  verdünnt,  dass  selbst  bei  äusseren  Hagelkörnern  der 
Höhleninhalt  an  der  Conjunctiva  tarsi  graulich  oder  gelblich  durchschimmert. 

Bei  randständigen  Chalazien  bildet  der  Knorpel  natürlich  keinen  Theil  der 
Kapsel,  diese  ist  ihrer  Totalität  nach  neoplastisch.  Sie  schliesst  den  Ausführungs- 
gang der  betreffenden  Tarsaldrüse  in  sich  und  kann  dessen  Ohliteration  und  Ver- 
ödtmg  veranlassen.  Sitzt  das  Chalazion  nahe  an  dem  inneren  Winkel ,  so  kann  auf 
gleiche  Weise  wohl  auch  das  Thränenrohr  gefährdet  werden. 

Der  Inhalt  des  Chalazion  behält  öfters  lange  Zeit,  durch  Wochen  und 
Monate,  die  Consistenz  und  das  Aussehen  des  Eiters.  Meistens  jedoch  gewinnt  er 
mehr  und  mehr  den  Charakter  des  Granulationsgewehes  (Virchoiv),  er  wird  zu  einer 
dicklichen  sulzähnlichen  durchscheinenden  und  gemeiniglich  blutrünstigen  Masse 
umgewandelt,  welche  mehr  minder  reichlich  mit  zelligen  Elementen  gemischt  ist. 
Am  Ende  jedoch  dickt  er  sich  in  der  Regel  ein  zu  einer  kriimlichen  fettig  kalkigen 
Masse,  in  der  sich  meistens  in  grosser  Menge  Epithelplatten,  seltener  umfang- 
reichere Concremente  finden  (Atherom).  Es  ist  diese  Eindickuug  oft  mit  beträcht- 
licher Volumsabnahme  gepaart,  das  Chalazion  sinkt  ein  und  kann  wohl  auch  so 
klein  werden,  dass  es  nur  mehr  bei  genauerer  Untersuchung  des  Lides  zur  Wahr- 
nehmung kommt,  scheinbar  also  auf  dem  Wege  der  Resorption  zur  Heilung  gelangt 


508  Blepharitis  tarsalis;   Behandlung ;  Antiphlogosis  ;   Entleerung. 

ist.  Nicht  immer  jedoch  geht  die  Eindickung  des  Contentums  mit  einer  Grössen- 
abnahme  des  Tumors  einher.  In  dem  Masse,  als  der  U7-sprüngliche  hihsdt  sich  ver- 
mindert, wird  er  durch  eine  seröse  Aiis schwitzung  ersetzt,  die  Wände  der  Höhle 
bleiben  gespannt.  Daher  kömmt  es ,  dass  man  in  alten  Hagelkörnern  als  Inhalt  der 
weiten  Höhle  nicht  selten  eine  trübe  Flüssigkeit  gemischt  mit  einer  grossen  Menge 
von  Epithelzellen,  freiem  Fette,  Cholestearinkrystallen  und  Kalkkörnern  trifit. 
Mitunter  ist  der  Inhalt  wohl  gar  eine  bräunlich  gelbe  durchscheinende  fettige 
Flüssigkeit  oder  Suhe,  der  Tumor  ist  zur  Cyste,  zur  Hydatide  geworden. 

Erwähnenswert!!  ist,  dass  die  Höhle  alter  Chalazien  nicht  immer  eine  ein- 
fache ist,  sondern  dass  man  gar  nicht  selten  im  Inneren  des  Tumors  eine  Art  binde- 
gewebigen Fachwerkes  mit  grösseren  und  kleineren  Cavitäten  findet ,  in  welchen 
theils  limpide  Flüssigkeit,  theils  Reste  regressiv  metamorphosirten  Eiters,  oft  auch 
embryonales  Bindegewebe  enthalten  sind.  Es  scheint,  dass  es  sich  in  solchen  Fällen 
um  eine  Mehrheit  von  Chalazien  handelt,  welche  sich  in  neben  einander  stehenden 
Drüsen  oder  Acinis  einer  einzelnen  Drüse  entwickelt  haben  und  schliesslich  zu- 
sammengeflossen sind. 

Die  Behandlung  des  Gerstenkornes  wird  von  denselben  Grundsätzen 
geleitet,  wie  jene  eines  Abscesses  überhaupt.  Erste  Aufgabe  ist,  durch  Be- 
kämpfung des  Entzündungsprocesses  die  Ausbildung  des  Hordeolum  zu  hin- 
dern oder  wenigstens  zu  beschränken.  Zweite  Aufgabe  ist,  den  Eiter,  so- 
bald er  sich  zeigt,  möglichst  rasch  und  vollständig  zu  entleeren,  einerseits 
um  einen  grossen  Theil  der  wuchernden  Elemente  zu  beseitigen,  anderer- 
seits um  durch  Verminderung  der  Spannung  den  Ausgleich  der  Störungen 
möalichst  zu  fördern.  Bleiben  Beste  der  entzündlichen  Producte  zurück,  so 
müssen  selbe  durch  Anregung  der  Resorptionsthätigkeit,  oder  falls  diese  sich 
als  unzulänglich  erweist,  auf  directem  Wege  durch  das  Messer  fortgeschafft 
werden. 

1 .  Tritt  das  Gerstenkorn  unter  in-  und  extensiven  Entzündungserschei- 
nungen auf,  so  ist  neben  entsprechender  Augendiät  locale  Antiphlogose,  be- 
sonders die  Kälte  am  Platze.  In  den  übrigen  Fällen  dürfen  kühle  Ueber- 
schläge  nur  spärlich  angewendet  werden,  um  Anfällen  von  Schmerzen,  von 
Brennen  u.  s.  w.  zu  begegnen;  im  Ganzen  empfiehlt  sich  dann  mehr  ein 
exspectatives  Verfahren.  Wo  die  entzündlichen  Erscheinungen  von  vorne- 
herein wenig  ausgeprägt  waren  oder  rasch  zurückgingen,  die  Geschwulst 
jedoch  langsam  fortwächst,  ohne  dass  es  zur  Eiterung  kömmt,  also  Ver- 
härtung droht,   ist  bisweilen  die  örtliche  Wärmeerhöhung  von  Vortheil. 

2.  Zeigt  sich  ein  Eiterpunkt,  so  soll  sogleich  die  Entleerung  des  Ab- 
scesses angestrebt  werden.  Wenn  sich  der  Eiter  an  der  Mündung  einer 
Tarsaldrüse  stellt,  so  genügt  öfters  ein  auf  den  Tumor  ausgeübter  Druck, 
um  den  Inhalt  der  Geschwulst  nach  Aussen  zu  fördern.  Gelingt  dieses 
nicht  beim  ersten  Versuche,  oder  ist  die  Geschwulst  sehr  empfindlich,  so 
dass  ein  kräftigerer  Druck  nicht  ertragen  würde,  so  kann  man  unter  Fort- 
setzung des  unter  1  angegebenen  Verfahrens  einen  oder  mehrere  Tage  zu- 
warten, wo  dann  die  Entleerung  entweder  spontan  erfolgt,  oder  doch  leicht 
bewerkstelligt  wird.  Bei  inneren  und  äusseren,  weit  vom  Lidrande  sitzenden 
Hordeolis  ist  ein  Einstich  nach  Hervortreten  eines  Eiterpunktes  das  beste 
Mittel,  will  man  den  Process  rasch  zu  Ende  führen  und  dem  Uebergange 
des  Gerstenkornes  in  ein  Hagelkorn  mit  Sicherheit  vorbauen. 

Es  muss  dabei  wohl  erwogen  werden,  dass  bei  äusseren  Hordeolis  das  eitrige 
Contentum  oft  spät  oder  gar  nicht  an  der  inneren  Lidfläche  zur  Wahrnehmung 
kömmt.  Es  ist  daher  gut,  nach  Beschwichtigung  der  heftigsten  entzündlichen  Sym- 
ptome den  Augendeckel  umzustülpen,  etwas  zu  spannen  und  auf  die  Mitte  der 
fühlbaren  Geschwulst  einzustechen,  selbst  wenn  sich  der  Eiter  für  das  Gesicht  noch 
nicht  bemei-kbar  gemacht  hat. 


Verfahren  bei  Chalazien;  Ki  Öffnung.  509 

Meistens  erj-fiesst  sicli  unmittelbar  nacli  dem  Einstiche  ein  grosser  Tlieil  des 
Eiters  und  klumpi'i'eii  embryonalen  Bindegewebes.  Ist  die  Entleerung  eine  un(je- 
nvgende,  so  fasst  man  das  Lid  zu  beiden  Seiten  des  Tumors  zwischen  den  Daumen 
und  Zeigefinger  der  beiden  Hände ,  zieht  es  weit  vom  Bulbus  ab  und  coniprimirt 
die  Gesehwulst,  währeiul  man  jedoch  darauf  Acht  gibt,  dass  die  Einstichsfitliiung 
in  den  Zwischenraum  der  auf  der  Bindehaut  lagerndem   P'iiiger  falle. 

Unter  allen  Verhältnissen  nimmt  nach  erfolgtem  Einstiche  die  Entzündmig 
rasch  ab,  die  oft  sehr  heftigen  Schmerzen  lassen  nach  und  eine  weitere  Vergros- 
serung  des  Hordeolum  ist  kaum  mehr  zu  fürchten.  Es  ist  daher  besser,  das  Hor- 
deolum zu  früh  als  zu  S2)öf  zu  eröH'nen  und  man  kann  dies  bei  grösserem  Volumen 
der  Geschwulst  ohne  weiters  auf  die  Gefahr  liin  wagen,  keine  directe  Entleerung 
zu  erzielen. 

3.  Ist  der  Durchbrueh  bereits  erfolgt,  so  bleibt  dem  Arzte  nur  mehr 
übrig,  die  Entleerung  zu  vervollständigen.  Drängen  sich  aus  der  Perfora- 
tionsöffnung Klumpen  der  erwähnten  sulzähnlichen  Masse  oder  wirkliche 
Fleischwärzchen  hervor,  und  lässt  sich  die  Entleerung  des  Tumoi's  durch 
Druck  nicht  erzwingen,  indem  die  Höhle  eben  von  festeren  Neubildungen 
gefüllt  ist  :  so  kann  man  nach  Abtragung  der  aus  der  Oeffnung  hervorra- 
genden Massen  mit  der  Schere  zur  Aetzung  mit  Höllenstein  in  Substanz 
schreiten.  Der  Aetzstift  muss  tief  in  die  Höhle  selber  eindringen  und  un- 
mittelbar nach  der  Cauterisation  der  Ueberschuss  des  Mittels  mit  einem  in- 
Wasser getauchten  Pinsel  abgeschwemmt  werden.  Wachsen  dann  Gra- 
nulationen nach,  so  genügt  meistens  die  tägliche  Bepinselung  des  Neo- 
plasma mit  Opiumtinetur,  um  die  Wucherung  zu  beschränken  und  am  Ende 
den  Verschluss  der  Höhle  anzubahnen. 

4.  Bei  Chalazien,  so  alt  sie  auch  seien,  soll  vorerst  immer  die  Entlee- 
rung versucht  werden.  Zu  diesem  Ende  führt  man  einen  tiefest  und  genü- 
gend langen  Schnitt  von  der  inneren  Lidfläche  aus  in  die  Geschwulst,  in- 
dem man  bei  umgestülptem  Augendeckel  eine  Lanzette  oder  ein  Bistouri 
senkrecht  auf  die  Lidfläche  einstösst  und  die  Wunde  in  der  Richtung  des 
Lidrandes  nach  Bedarf  erweitert.  Nur  wenn  das  Hagelkorn  bis  sehr  nahe 
unter  die  äussere  Liddecke  hervordringt  und  diese  im  Zenithe  der  Geschwulst 
vielleicht  gar  schon  sehr  verdünnt  ist,  ist  eine  Eröffmmg  von  Aussen  her 
vortheilhafter. 

Bisweilen  gelingt  es  nach  diesem  Vorgange  schon  beim  ersten  Ver- 
suche, das  Hagelkorn  durch  Druck  zu  entleeren.  Es  sinkt  dann  zusammen 
und  wenige  Tage  genügen,  um  es  theils  durch  Schrumpfung  der  Wan- 
dungen, theils  durch  Resorption  unmerklich  zu  machen.  In  der  Mehrzahl 
der  Fälle  jedoch  bleibt  die  Entleerung  eine  unvollständige,  das  Chalazion 
nimmt  nur  bis  zu  einem  gewissen  Grade  an  Volumen  ab.  Bleibt  sehr  viel 
zurück,  sinkt  das  Chalazion  nur  sehr  wenig  ein  und  ist  es  überdies  von 
ziemlich  grossem  Umfange,  so  muss  die  Wundöffnung  täglich  sondirt  werden, 
damit  sie  nicht  verwachse.  Auch  thut  man  wohl,  die  innere  Wand  der 
Höhle  mit  der  Sonde  mechanisch  zu  reizen  oder,  wenn  der  Schnitt  durch 
die  äussere  Haut  geführt  wurde,  eine  Charpiewielce  einzulegen,  um  im  In- 
neren der  Geschwulst  eine  etwas  lebhaftere  Gewebswucherung  hervorzu- 
rufen, die  Theile  zu  lockern  und  zur  Entleerung  günstig  zu  stimmen.  In 
der  That  reicht  bei  solchem  ^^orgehen  oft  kurze  Zeit  hin,  iim  das  Ziel  zu 
erreichen.  In  jedem  Falle  nimmt  die  Geschwulst,  wenn  die  Wunde  sich 
nicht  wieder  schliesst,  beträchtlich  an  Umfang  ab  und  sehr  oft  Avird  sie  auf 
dem   Wege    der    Resorption    und    Schrumpfung    auf   ein    kleines    Knötchen 


510      Bl^jharitis  tarsalis;  Behandlung;  Eesorptionsbefördernde  Mittel:  Exstiipation  des  Chalazions. 


reducirt,  welches  den  Kranken  nicht  mehr  belästigt  und  noch  weniger  ent- 
stellt. Freilich  bedarf  es  bei  ungenügender  Entleerung  hierzu  öfters 
Wochen,  oder  gar  einiger  Monate.  3Jan  kann  indessen  diesen  Ausgang  eini- 
germassen  beschleunigen,  indem  man  ausser  der  täglichen  Sondirung  der 
Wunde  Salben  aus  Jodkali  gr.  10,  aus  gelbem  Quecksilberoxyde  gr.  1 — 2, 
aus  Deuterojoduretum  Hydrarg.  gr.  Y4  ^^  drach.  1  ungt.,  täglich  1 — 2 
Mal  auf  die  äussere  Lidfläche  aufstreicht  und  bei  sehr  grossen  Chalazien 
mit  weiter  Höhlung  durch  einige   Zeit  einen  Druckverband  tragen  lässt. 

Manche  ätzen  in  hartnäckigen  Fällen  wohl  auch  die  Innenwand  des  Tumors 
und  zerstören  etwa  vorhandene  Querbalken  u.  s.  w.,  indem  sie  in  Zwischenpausen 
von  mehreren  Tagen  zweckmässig  zugespitzte  Stangen  von  Höllenstein  durch  die 
Wunde  einführen. 

In  früheren  Zeiten  hat  man  öfters  versucht,  das  Hagelkorn  auf  unblutige 
Weise  zu  entleeren,  indem  man  C'ataplasmen  oder  reizende  Pflaster  auf  die  äussere 
Liddecke  applicirte ,  um  so  eine  Schmelzung  des  Inhaltes  und  dessen  eitrigen 
Durchbruch  nach  aussen  zu  erzwingen.  Manche  zogen  behufs  dessen  einen  mit 
reizenden  Salben  bestrichenen  Seidenfaden  durch  die  Oeschimdst.  In  der  That  führen 
diese  Behandlungsweisen  häufig  zur  Eifermng.  Meistens  jedoch  bleibt  die  Ent- 
leerung eine  unvollständige,  die  totale  Schmelzung  nimmt  Wochen  in  Anspruch 
und  am  Ende  findet  man  den  Tumor  in  Folge  der  Wucherung  und  Massenzunahme 
seiner  Wandungen  vielleicht  eben  so  gross  oder  grösser,  als  er  gewesen  war, 
bevor  man  zur  Behandlung  geschritten  ist. 

5.  Bei  inneren  Chalazien  genügt  das  oben  geschilderte  Verfahren /asi 
immer,  um  den  Tumor  zu  beseitigen;  nicht  so  aber  bei  äusseren,  nament- 
lich wenn  die  Wandungen  der  Geschwulst  im  Verhältnisse  zur  Weite  der 
Höhlung  gar  zu  dick  sind,  das  Hagelkorn  also  der  Hauptmasse  nach  aus 
derbem  Gefüge  besteht.  In  solchen,  übrigens  seltenen  Fällen,  oder  wenn  der 
Kranke  um  jeden  Preis  wünscht,    rasch  von  dem  Uebel  befreit  zu  werden 

„.     „  und    die  Eröffnring    zu    keinem    Re- 

Fig.  08.  ,  .  . 

sultate  führte,    ist  die  Ausschneidung 
der    Geschwulst  am  Platze. 

Indem  die  Operation  sehr 
schmerzhaft  ist ,  wird  sie  gerne  in 
der  Narkose  ausgeführt.  Während  ein 
Gehilfe  den  Kopf  des  Kranken  fixirt 
und  ein  anderer  sich  mit  einem  in 
kaltes  Wasser  getauchten  feinen 
Schwämme  bereit  hält,  um  die  reich- 
liche Blutung  minder  hinderlich  zu 
machen,  wird  eine  schmale  Horn- 
platte  oder  der  Zeigefinger  des  Ope- 
rateurs unter  das  Lid  geführt  und 
dieses  mit  Hilfe  des  Daumens  stark 
gespannt,  auf  dass  der  Tumor  mög- 
lichst hervorspringe.  Hierauf  wird 
mit  einem  zarten  Scalpel  über  die 
grösste  Höhe  der  Geschwulst  oder 
etwas  darunter  ein  zum  Lidrande 
paralleler  Schnitt  bis  auf  die  Ober- 
fläche des  Tumors  geführt.  Dieser 
Schnitt  muss  beiderseits  den  grössten  Durchmesser  des  Fusses  des  Tumors 
um  Einiges  überragen.     Sodann  wird  die   Oberfläche    der  Geschwulst  durch 


Ankyloblepharou  ;  Blepharophimosis ;  Pathologie;  Krankheitsbild.  511 

Präparation  der  Liddecke  und  des  Muskels  blosgelegt ,  und  nun  in  der 
Ebene  des  Fusses  über  dem  grössten  Durehmesser  desselben  ein  Staphijlom- 
messer  hindurchgestossen  (Fig.  58),  der  Tumor  sohin  zum  grossen  Tlieile 
von  dem  Knorpel  abgetrennt,  mit  der  Pincette  gefasst  und  mittelst  einer 
Schere  vollends  ausgeschnitten.  Ein  oder  zwei  Knopfnähte  genügen ,  um 
die  Hautwunde  zu  schliessen.  Die  Nachbehandlung  besteht  in  dem  Tragen 
eines  Druckverbandes,  um  die  Tjidbewegungen  unmöglioli  zu  machen  und 
den   Hautlappen  mit  der  unteren  Wundfläche   in  Berührung  zu  halten. 

Ist  die  Geschwulst  sehr  (jross  und  steigt  sie  sehr  steil  aus  der  Ebene  des 
Knorpels  empor,  so  kann  man  an  dem  Zenithe  des  Tumors  durch  zwei  Ijocjlc/e 
Schnitte  wohl  auch  ein  lanzettliches  Stück  der  Liddecke  abgrenzen  und  mit  der 
Geschwulst  exstii-pii-en,  um  die  Präparation  der  Haut  auf  ein  kleines  Terrain  zu 
beschränken. 

Quellen:  Virchow,  Die  krankhaften  Geschwülste.  I.  Berlin  1863.  S.  211, 
231,  236. 


Folgezustände  der  Blepharitis. 

1.  Die  Verwaclisuug  der  Lidräader,  Aiikyloblepharon,  und  die 

Blepharophiiiiose. 

Pathologie  und  Krankheitsbild.  Die  normwidrige  Verbindung  wird 
öfters  vermittelt  durch  sehnenähnliche  narbige  Stränge  oder  Balken  von 
wechselnder  Breite  und  Dicke,  welche  von  dem  einen  Lidrande  zu  dem 
anderen  ziehen  und  je  nach  ihrer  Länge  und  nach  der  mehr  weniger 
schrägen  Verlaufsrichtung  die  Oeffnung  der  Lidspalte  in  verschiedenem 
Grade  beschränken.  Es  sitzen  diese  Balken  bald  an  der  inneren,  bald  an 
der  äusseren  Lefze,  bald  an  der  Lidrandfläche  selbst  fest ;  übrigens  haben 
dieselben  auch  gar  nicht  selten  Ursprungs-  und  Ansatzpunkte  an  der 
äusseren  I^idhaut  und  an  der  Conjunctiva  palpchrarum;  ja  bisweilen  er- 
strecken sich  die  Wurzeln  sogar  bis  auf  die  Augapfelbindehaut,  in  welchem 
letzteren  Falle  eine  Combination  des  Ankyloblepharon  mit  Symblepharon 
gegeben  ist. 

In  der  Eegel  jedoch  wird  die  Verbindung  hergestellt  durch  ein  haut- 
artiges Gebilde,  welches  in  einzelnen  Fällen  die  ganze  Lidspalte  oder  den 
grössten  Theil  derselben  schliesst,  meistens  aber  blos  die  äusseren  Hälften 
der  beiden  Lidränder  in  grösserer  oder  geringerer  Ausdehnung  mit  einander 
vereinigt  und  hur  ausnahmsweise  vom  inneren  Canthus  ausgeht.  Es  sind 
diese  hautartigen  Gebilde  gewöhnlich  überaus  zart  und  dünn,  durchschei- 
nend, oft  auch  in  ansehnlichem  Grade  dehnbar  und  bilden  dann  gleichsam 
eine  Fortsetzung  der  Lidbindehaut.  In  anderen  Fällen  sind  sie  derb,  seh- 
nenähnlich, wenig  nachgiebig,  von  beträchtlicher  Dicke  und  heften  die 
beiden  Lidrandflächen  ihrer  ganzen  Breite  nach  so  dicht  aneinander,  dass 
die  Lidspalte  in  deren  Bereiche  sich  nur  durch  eine  schmale  Furche  zwi- 
schen den  beiden  mit  Haaren  bestandenen  äusseren  Lefzen  beurkundet. 

Die  Lidränder  sowie  die  Tarsi  sind  dabei  in  ihrer  horizontalen  Aus- 
dehnung nicht  nothwendig  verkürzt  und  dadurch  unterscheidet  sich  eben  die 
Verwachsimg  oder  das  Ankyloblepharon  von  der  Blepharophimose  oder  norm- 
widrigen Enge  der  Lidspalte,    bei  welcher  die   beiden   wirklichen   Canthi  an- 


512  Ankyloblepharon ;  Blepharophimosis ;  Ursachen;  Behandlang. 

einandergerückt    erscheinen,    wodurch    wieder    die     Oeffmmg    der   Lidspalte 
sehr  beschränkt  wird. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  durch  das  Ankyloblepharon  und  durch 
die  Phimose  das  Gesichtsfeld,  besonders  bei  gewissen  Richtungen  des  Blickes, 
eingeengt  und  beziehungsweise  selbst  vollständig  gedeckt  werden  könne. 
Uebrigens  begünstigen  gewisse  Formen  des  Ankyloblepharon,  nämlich 
solche,  wo  die  A'erbindungsstränge  an  der  äusseren  Lidhaut  haften,  und 
die  Phimose  sehr  die  Einwärtsrollung  der  Lider  und  können  dadurch  im 
hohen  Grade  gefährlich  werden. 

TTrsachen.  Theilweise  Verwachsungen  der  Lidränder  durch  sehnen- 
ähnliche Ball-en  kommen  immer  auf  entzündlichem  TVege  zu  Stande.  Ihre 
gewöhnlichen  Veranlassungen  sind  V'erbreunungen,  Anätzuugen,  Traumen, 
insbesondere  aber  die  Blepharitis  ciliaris,  wenn  sie  mit  Excoriationen  oder 
gar  mit  Geschwürshildung  einhergeht  und  wenn  die  wunden  Stellen  der 
beiden  Lidränder  durch  Verbände  oder  durch  Lidkrampf  u.  s.  w.  in  län- 
gerer Berührung  gehalten  werden. 

Auch  hautähnliche  Zwischenstücke  können  auf  diese  Weise  zu  Stande 
kommen.  Doch  sind  Ankyloblephara  der  letzteren  Art,  besonders  wenn  die 
Verbindung  in  grösserer  Ausdehnung  besteht,  in  der  Regel  angeboren  und 
dann  sehr  oft  noch  mit  anderen  Rilduugsfehlern,  wie  itikrophthalmus  etc. 
combinirt. 

Auch  die  Phimose  ist  gewölinlich  angeboren,  doch  kann  sich  letztere 
auch  secundär  entwickeln  in  Folge  der  Schrumpfung  der  Lider  nach  hoch- 
gradigem Trachome,  nach  ausgebreiteten  Substanzverlusten  der  Augendeckel, 
in  Folge  phthisischer  Verkleinerung  des  Bulbus  und  weiters  in  Folge  der 
Schrumpfung  von   Hautnarhen  in   der  Umgebung  der  Lider. 

Behandlung.  Sehnige  Verbindungsstränge  werden  am  besten  mit  der 
Schere  dicht  an  ihrer  Ansatzfläche  ausgeschnitten.  Ist  dieses  geschehen, 
so  muss  dafür  gesorgt  werden,  dass  die  Wundflächen  nicht  wieder  zusammen- 
kleben. Zu  diesem  Behufe  ist  es  gut,  die  Lider  stark  abzuziehen,  die 
Wundflächen  gut  abzutrocknen  und  mit  Collodium  wiederholt  zu  bestreichen 
(Walton).  Zur  grösseren  Sicherheit  möge  der  Kranke  im  Xothfalle  während 
der  ersten  Xacht  des  Schlafes  entbehren,  oder  falls  dieses  nicht  thunlich 
ist,  öfters  geweckt  werden,  um  die  Consolidation  etwa  schon  eingetretener 
A'erklebungen  zu  verhindern. 

Wo  die  Verwachsung  bis  in  den  Lidwinkel  hineinreicht  und  durch 
ein  hautartiges  Zwischenstück  vermittelt  wird,  führt  die  Abtragung  des 
letzteren  meistens  nicht  zu  einem  ganz  vollständigen  Resultate,  selbst 
wenn  die  Wundflächen  nur  eine  sehr  geringe  Breite  hätten,  da  sich  die 
Wiederverwachsung  von  dem  Wwidwinkel  aus  nicht  ganz  verhüten  lässt. 
Ist  vollends  die  Wundfläche  wegen  breiten  Ansatzes  des  Zwischenstückes 
eine  sehr  ausgedehnte,  so  kann  der  Erfolg  der  Operation  durch  Wieder- 
verwachsung wohl  auch  auf  XuU  reducirt  werden.  Es  ist  darum  noth- 
wendig,  die  Wundflächen  wenigstens  im  Winkel  du^'ch  eine  Art  Trans- 
plantation des  Bindehautwundsaumes  vor  Verwachsung  zu  schützen.  Das 
hierzu  dienliche  Verfahren  stimmt  ganz  überein  mit  dem  zweiten  Theile 
der  sogenannten    Canthoplastik. 

Die  Canthoplastik  im  engeren  Wortsinue  ist  angezeigt,  wenn  das 
ZAvischenstück  breit  auf    den  Lidrandflächen   aufsitzt  und  so   kurz  ist,   dass 


Canthoplastik ;  Anzeigen ;  Verfahren ;  Symblepharon. 


513 


ausgezeichnetem 


Fiff.  50. 


die  Lefzen  im  Vei'wachsungsbezirko  oinandor  fast  unmittelbar  berühren. 
Weiters  ist  sie  am  Platze  bei  höheren  Graden  der  Ble.pharophiinose, 
besonders  wenn  diese  zu  missliehcn  Folgen  zu  führen  droht  oder  bereits 
geführt  hat.  In  neuerer  Zeit  endhch  wird  sie  mit  ganz 
Erfolge  vielfach  gegen  Entropien  mit 
spastischer  Grundlage  oder  Complication 
in  Anwendung  gebracht. 

Bei  der  Operation  hat  ein  Assistent 
den  Kopf  des  Kranken  zu  flxiren  und 
gleichzeitig  die  beiden  Lider  bei  mög- 
lichst weiter  OefFnung  der  Lidspalte 
zu  spannen,  während  ein  anderer 
Assistent  die  Blutstillung  übei'nimmt. 
Der  Operateur  fülirt  sodann  ein  8pitz- 
bistouri  auf  einer  Leitsonde  hinter  den 
äusseren  Canfhus ,  sticht  in  der  Nähe 
des  Orbitalrandes  aus  und  schneidet  die 
äussere  Commissur  in  der  Verläns-ei'una; 
der  Lidspalte,  also  horizontal,  durch; 
oder  benützt  zu  gleichem  Zwecke  eine 
starke  verlässliche  Schere,  deren  ein 
Blatt  hinter,  das  andere  vor  der  Com- 
missur angelegt  wird,  und  welche  den 
Vortheil  bietet,   dass  mau  mittelst  eines 

einzigen  Schlages  die  erforderliche  Wunde  zu  setzen  vermag.  Während  nun 
der  erste  Assistent  die  Wunde  stark  aus  einander  zerrt,  wird  (Fig.  59) 
der  spitze  Wundzipfel  der  Bindehaut  durch  einen  Nahtknopf  in  den  Wund- 
winkel der  äusseren  Lidhaut  geheftet  und  in  gleicher  Weise  der  obere  und 
der  untere  Schenkel  der  Wundtiäche  je  durch  ein  Heft  geschlossen  (Rau). 

Wenn  .sich  der  Bindehautzipfel  in  den  Wimdwinkel  der  äusseren  Lidhcaut 
nicht  ohne  Gefahr  übermässiger  Zerrung  hineinheften  lässt,  so  kann  man  sich  ganz 
gut  mit  den  beiden  letzterwähnten  Heften,  im  Nothfalle  sogar  mit  einem  derselben, 
begnügen.  Die  Loalösnng  des  Bindehautzipfels  von  der  Unterlage,  oder  gar  die 
Prä^Mvation  eines  Lappens  aus  der  Sderalhindehaut  (Amnion),  um  sie  in  den  Wnnd- 
winkel  zu  transplantiren,  dürfte  kaum  jemals  nothwendig  sein,  wurde  jedoch 
empfohlen. 

Quellen:  Ammon,  Zeitschrift  f.  Ophth.  II.  S.  140;  Angeborene  chir.  Krankheiten. 
Berlin.  1842.  Taf.  4;  Klin.  Darstellungen  der  Krankheiten  und  Missbildungen.  III. 
Berlin.  1841.  Taf.  3;  Die  plastische  Chirurgie  etc.  Berlin.  1842.  S.  229,  232.  — 
Tlimhj,  Krankheiten  und  Missbildungen  etc.  I.  Berlin.  1843.  S.  94,  100.  —  Desmarres, 
Traite  d.  mal.  d.  yeux.  Paris.  1847.  S.  29,  36.  —  Stdlwag,  Ophth.  II.  S.  896,  900. 
—  Rau,  A.  f.  O.  i.  2.  S.  173,  182.  —  Maclcenzie,  Traite  d.  mal.  d.  yeux.  Traduit 
p.  VVjirlomont  et  Testelin.  II.  Paris.  1857.  S.  178,  181.  —  Walton,  nach  Mackenzie, 
1.  c.  S.  182. 


2.  Die  Verwachsung  der  Lider  mit  dem  Angapfel,  Symblepharon. 


Man    unterscheidet    ein  hinteres 
Das    letztere    setzt    ein    neopla- 


Pathologie    und    Krankheitsbild. 

(S.    460)    und    ein  vorderes   Symblepharon. 

stisches  Zwischenstück  voraus,   welches   die  Verbindung  zwischen  den    Lidern 

und  der  Bulbusoberfläche  vermittelt. 

Stew  llag  ,  Augenheilkunde.  33 


514  Symblepharon;  Pathologie:  Krankheitshild :  Symbl.  trabec.  membr.,  carnosum. 

Es  sind  diese  Zwischenstücke  meistens  aus  lockerem  dehnsamen  und 
gefässreichen  Bindegewebe  gebildet,  in  welchem  diclitere  sehnenähnliche 
Stränge  und  Blätter  in  wecliselnder  Menge  sich  verzweigen  und  so  eine 
Art  Gerüst  darstellen.  Mitunter  übenviegt  das  sehnige  Balkenwerk  in 
Bezug  auf  Masse,  ja  es  kommen  Fälle  vor,  wo  das  Zwischenstück  fast  ganz 
aus  solchem  derben  fibrösen   Gefüge  zusammengesetzt  erscheint. 

Es  gehen  die  Verbindungsstücke  in  der  Regel  von  der  inneren  Lid- 
fläche, seltener  von  den  Lidwinkeln  aus.  Letzteren  Zustand  hat  man  Syn- 
canthus  externus  und  internus  genannt  (Ammon).  Sie  streichen  von  da 
schräge  zum  Bulbus  hinüber  und  setzen  sich  auf  der  vorderen  Scleralfläche, 
oder  auf  der  Cornea,  oder  auf  beiden  diesen  Organen  fest.  Am  Ursprung 
und  Ansätze  erscheinen  sie  in  der  Regel  liächenartig  ausgebreitet.  Oft 
haben  sie  strangförmige  Fortsätze,  welche  nach  vei'schiedenen  Richtungen 
hin   auf  grosse   Distanzen   verfolgt  werden   können. 

Es  wurzeln  diese  Neubildungeu  zum  grössten  Theile  in  der  Suhinucosa  und 
in  der  Bindehaut,  daher  diese  letztere  bei  Spannung  des  Verbindungsstückes  ge- 
wöhnlich strahlig  gefaltet  oder  wohl  gar  in  Form  eines  Kegels  abgezogen  wird. 
Einzelne  derbe  sehnige  Stränge  haften  jedoch  in  den  meisten  Fällen  am  Knovjpel 
und  an  der  Scfera  fest.  Beim  Syncanthus  internus  sind  die  Carunkel  und  die  halb- 
mondförmige Falte  fast  immer  zum  grössten  Theile  oder  ganz  in  der  Neubildung 
untergegangen  und  die  sehnigen  Balken  des  Verbindungsstückes  setzen  sich  nicht 
nur  auf  die  Commissur,  sondern  auch  auf  die  tiefer  gelegenen  Äponeurosen  und 
die  Periorbita  etc.  fort. 

Der  äusseren  Gestalt  nach  ähneln  die  Verbindungsstücke  öfters  Strängen 
oder  Bändern,  welche  brückenartig  von  einem  Punkte  der  inneren  Lidfläche 
zum  Bulbus  hinüber  gespannt  sind.  In  anderen  Fällen  sind  sie  membran- 
artig und  streichen  entweder  flach  von  der  Lidrandfläche  zum  Bulbus  hin- 
über, oder  sie  gehen  von  der  Lidbindehaut  aus  und  zeigen  sich  dann  erst 
bei  der  Abziehung  des  Lides  in  der  Form  von  Scheidewänden,  welche 
die  betreffende  Hälfte  des  Conjunctivalsackes  in  taschenartige  Abtheilungen 
sondern.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  haben  die  Vei-bindungsstücke  mehr 
Körper  und  stellen  fleischähnliche  Gebilde  dar,  welche  grössere  Partien  der 
inneren  Lidfläche  und  der  Bulbusvorderfläche  mit  ihren  Ausätzen  decken. 
Man  pflegt  diese  Form  Symblepharon  carnosum  zu  nennen,  zum  Unterschiede 
vom  Symblepharon  membranosum  und   trabeculare. 

Ein  Symblepharon  totale  im  engeren  Wortsinne  gibt  es  kaum ;  es 
scheint,  als  ob  die  aus  der  Thränendrüse  kommende  Feuchtigkeit  Verwach- 
sungen der  oberen  Hälfte  des  Bindehautsackes  theilweise  zu  verhindern  im 
Stande  wäre.  Gänzliche  Verwachsungen  der  unteren  Bindehautsackhälfte  sind 
jedoch  nichts  seltenes. 

Das  Symblepharon  ist  sehr  häufig  der  Functionstüchtigkeit  des  Auges 
durch  Ueberhäutung  der  Cornea  hinderlich,  oder  vernichtet  sie  ganz.  Ausser- 
dem schliesst  es  in  jedem  Falle  insoferne  Gefahren  in  sich,  als  die  Ver- 
bindungsstücke bei  den  Bewegungen  des  Augapfels  gespannt  werden  und  einen 
Zug  auf  die  angrenzenden  Bindehauttheile  ausüben,  welcher  Zug  gerne 
die  Veranlassung  für  andauernde  Reizzustände  wird. Endlich  bedingen  sie  nicht 
gar  selten  Slellungsveränderungen  der  Lider,  besonders  Ectropien,  welche  ent- 
weder ständig  sind,  oder  nur  zeitweise  in  Folge  gewisser  Axenrichtungen  des 
Augapfels  auftreten  und  immer  wieder  einer  künstlichen  Reposition  bedürfen. 

Ursachen.  Die  Veranlassung  des  Symblepharon  ist  in  der  bei  weitem 
grössten  Mehrzahl  der  Fälle   eine  Verschorfung  der  Bindehaut  durch  Einwir- 


Ursachen;  Behandlung;  Prophylaxis.  öl5 

knnp;  sehr  hoher  Hitzegrade  oder  chemisch  ätzender  Substanzen.   Es  sind  diese 

Verschorfungeu  meistens  das  Werk  des  Zufalles  und  werden   bedingt :    durch 

Feuerbrände  oder  Stücke  glühenden    Metalles,    welche    das  geöffnete  Auge 

treffen;  durch  in  der  Nähe  des  Gesichtes    explodirendes  Schiesspulver;  durch 

siedende  Flüssigkeiten,  geschmolzene  Metalle,   in  Löschung  begriffenen  Aetz- 

kalk,     durch    Schwefelsäure     u.   s.   w.,     welche   in   das   Auge   spritzen,   oder 

massenweise  über  dasselbe   ergossen  werden. 

Am  verderblichsten  erweisen  sich  die  ätzenden  Alkalien  und  die  Säuren,  da 
sie  sicli  in  den  Thränen  diti'undiren  vind  sehr  ausgebreitete  Verwjichsnngen  zu 
bedingen  pflegen,  während  Feuerbrände,  geschmolzene  Metalle  u.  dgl.  ihre  Wirkung 
meistens  auf  den  Lids23aUentheil  beschränken  und  jedenfalls  nicht  weit  über  den 
Ort  der  Berührung  ausdehnen.  Bei  Kalkverhrennungen  kömmt  noch  der  Umstand 
in  Rechnung,  dass  Theile  des  ätzenden  Stoffes  tief  in  die  Gewebe  eindringen  und 
hier  Incrustationen  setzen  fGouveaJ. 

Mitunter  jedoch  sind  unvorsichtige  Cauterisationea  mit  Höllenstein  etc. 
der  letzte  Grund  eines  Symblepharon.  Ausnahmsweise  können  auch  mecha- 
nische Verletzungen  der  Bindehaut  zu   Verwachsungen  führen. 

Die  Verwachsung  wird  fast  immer  durch  Granulationen  vermittelt, 
welche  auf  dem  Boden  der  Substanzverluste  emporkeimen.  Es  ist  klar, 
dass  solche  Verwachsungen  am  leichtesten  zu  Stande  kommen,  wenn  zwei 
einander  gegenüberliegende  Stellen  des  Bindehautsackes  gleichzeitig  verschorft 
werden,  wie  das  fast  immer  der  Fall  ist,  wenn  ätzende  Flüssigkeiten  u.  s.  w. 
in  den  Bindehautsack  gelangen.  Eine  unerlässliche  Bedingung  für  das  Zustande- 
kommen des  S3nnblepharon  ist  jedoch  die  Verschorfung  zweier  einander 
gegenüber  lagernder  Bindehautstellen  wahrscheinlich  nicht;  vielmehr  dürfte 
mitunter  auch  die  Berührung  einer  gesunden  Conjunctivalportion  mit  Gra- 
nulationen die  Verwachsung  ermöglichen.  Die  Zwischenstücke  werden  immer 
erst  nachträglich  durch  die  Bewegungen  des  Augapfels  und  durch  die  daherige 
Zerrung  der  verwachsenen  Theile   erzeugt. 

Die  Behandlung  hat,  so  lange  es  Zeit  ist,  die  Entwickelung  des 
Symblepharon  zu  verhüten ;  ist  dieses  aber  bereits  zu  Stande  gekommen,  so 
muss  das  Zwischenstück  beseitiget  und  die  Wiederverwachsung  geliindert, 
oder  doch  auf  ein  Kleinstes  beschränkt  werden. 

1.  In  erster  Beziehung  wird  es  manchmal  nothwendig  sein,  der  fortgesetzten 
Einwirkung  eines  chemischen  Stoffes  nicht  nur  durch  thunlichste  Reinigung  des 
Bindehautsackes,  sondern  auch  durch  directe  Antidota  entgegenzutreten.  Es  gilt 
dies  besonders  von  Kalkverbrennungen,  bei  welchen  sich  übrigens  nicht  sowohl 
Säuren,  als  vielmehr  Zuckerlösungen  als  die  besten  Gegenmittel  erwiesen  haben 
sollen  (Laioson,    Geissler). 

2.  Falls  die  Verwachsung  nur  innerhalb  einer  sehr  umschränkten  und  dem 
Lidrande  nahen  Stelle  droht,  so  wird  es  öfters  genügen,  wenn  der  Kranke  thunlichst 
oft  stark  excursive  Bewegungen  des  Bulbus  ausführt  und  wenn  in  kurzen  Zwischen- 
pausen, etwa  von  einer  halben  Stunde,  der  betreifende  Augendeckel  vom  Bulbus 
abgezogen  wird,  überdies  aber  die  granulirenden  Flächen  melirmals  des  Tages  mit 
mitigirtem  Höllensteine  leicht  bestrichen  werden,  um  feine  Schorfe  zu  erzeugen,  welche 
die  Verwachsung  für  eine  gewisse  Zeit  wirksam  hintanhalten. 

Falls  die  Verwachsung  aber  einen  Theil  der  U eb er gangs falte  bedroht,  darf 
man  von  diesem  Verfahren  nur  wenig  erwarten;  am  allericenigsten,  wenn  die  beiden 
Wundflächen  im  Grunde  der  Falte  zusammenßiessen.  Die  Verschiebungen  der  beiden 
Platten  des  Uebergangstheiles  sind  nämlich  sehr  gering  oder  Null,  die  Wund- 
flächen daselbst  also  in  beständiger  Berührung.  Zum  Glücke  haben  engumgrenzte 
Verwachsungen  an  dieser  Stelle  keine  sehr  erheblichen  Schäden  im  Gefolge,  recht- 
fertigen demnach  auch  kaum  sehr  eingreifende  therapeutische  Massregeln  irgend 
welcher  Art. 

33* 


516  Symblepharon ;  Behandlung ;  Prophylaxis :  Operative  Verfahren. 

Hat  die  Verschorfung  einen  nnr  einigermassen  grösseren  Umfang,  so 
ist  es  seil!'  rathsam,  den  betreffenden  Augendeckel  umzustülpen  nud  in  dieser 
Stellung  his  zur  Ueberhäutung  der  Wunde  zu  erhalten.  Das  obere  Lid  bietet 
in  dieser  Hinsicht  keine  sehr  grossen  Schwierigkeiten,  indem  meistens  die 
entzündliche  Schwellung  hinreicht,  um  das  Lid  jiach  seiner  Umstülpung 
unter  Beihilfe  eines  Schutzverbandes  zu  fixiren.  Anders  ist  es  aber  beim 
unteren  Lide,  dieses  ist  nur  sehr  schwer  umgestülpt  zu  erhalten.  In  An- 
betracht der  grossen  Gefahr,  in  welcher  die  Functionstüchtigkeit  des  Auges 
schwebt,  darf  man  sich  daher  wohl  nicht  scheuen,  die  äussere  Commissur 
durchzuschneiden.  Es  sinkt  dann  das  untere  Lid  herab  und  lässt  sich  leicht 
in  der  zum  Heilzwecke  erforderlichen  Lage  festhalten.  Die  spätere  Her- 
stellung des  normalen  Standes  unterliegt  keinen  Schwierigkeiten. 

Am  meisten  wird  dieses  Verfahren  nützen  bei  Verschorfungen,  welche 
nicht  bis  in  die  Uebergangsfalte  reichen.  Im  gegentheiligen  Falle  bleibt  der 
Erfolg  immer  ein  unvollständiger,  trotzdem  aber  gewiss  nicht  gering  zu 
schätzender.  Bei  Verschorfungen  der  dem  inneren  Winkel  nahen  Theile 
dürfte  die  Therapie  nur  selten,  wenn  jemals,  sich  sehr  erheblicher  Erfolge 
zu  rühmen  haben. 

Die  Einlegung  von  nach  Art  künstlicher  Angen  gestalteten  Wachsplatten, 
Bleischeiben  n.  s.  w.  in  den  Bindehantsack  mag  mitunter  Einiges  geleistet  haben. 
Verlassen  darf  man  sich  darauf  kaum,  aiich  wenn  dieselben  von  dem  meistens  sehr 
empfindlichen  Auge  vertragen  würden  (Himly).  Noch  weniger  ist  zu  halten  von 
dem  Einlegen  eines  Eihäutchens,  von  Einträufelungen  starker  Höllensteinlösungen 
des    Glycerins  u.  s.  w. 

3.  Beim  entwickelten  Symblepharon  hängt  die  einzuschlagende  Be- 
handlungsmethode und  deren  Erfolg  grösstentheils  von  dem  Sitze  und  der 
Ausbreitung  des  Zwischenstückes  ab.  Trabeculare  und  membranöse  Sym- 
blephara,  wenn  sie  brückenartig  einen  der  Lidspalte  nahen  Theil  der  Tarsal- 
bindehaut  mit  der  Bulbusoberfläche  vereinigen ,  lassen  sich  bisweilen 
beheben,  indem  man  das  Zwischenstück  vorerst  Mos  von  dem  Augapfel 
lospräparirt,  mittelst  einer  Fadenschlinge  in  der  Lidspalte  fixirt  und  allen- 
falls das  Lid  abgezogen  ei'hält,  bis  die  Vernarbung  der  gesetzten  Wunde 
die  Abtragung  der  Neoplasie  von  dem  Augendeckel  ohne  Gefahr  der  Wieder- 
verwachsuno;  gestattet. 

Bei  grösserer  Flächenausdehnung  der  Bulbusivundßäche  ist  es  gerathen ,  die 
Wundränder  dui'ch  eine  oder  zwei  zai'te  Knopfnähte  zu  vereinigen.  So  weit  die 
Neubildung  über  die  Hornhaut  reicht,  muss  selbe  mittelst  eines  Lanzenmessers 
abgestochen  werden.  Es  gelingt  auf  diese  Weise  öfters,  an  die  Stelle  der  dichten 
sehnigen  Narbenmasse  eine  zarte  epitheliale  Trübung  zu  setzen.  Sollten  sich  wieder 
Gramdationen  zeigen ,  so  müssen  dieselben  durch  Aetzunscen  mit  Höllenstein  und 
später  durch  Betupfung  mit   Opiumtinctur  niedergehalten  werden. 

Membranöse  Symblephara  der  Uebergangsfalte,  wenn  sie  einen  geringen 
Umfang  haben,  lassen  sich  bisweilen  verkleinern,  wenn  man  dieselben  aus- 
schneidet und  die  Wiederverwachsung  durch  Aetzuno'en  mit  Höllenstein  und 
durch  öfteres  Abziehen   des  Lides  beschränkt. 

Keicht  das  Symblepharon  aus  der  Uebergangsfalte  weit  gegen  den  lAd- 
rand  heran,  gleichviel  ob  es  ein  raembranöses  oder  ein  fleischiges  ist,  so 
lässt  sich  das  letzterwähnte  Verfahren  nicht  empfehlen,  da  sein  Ei'folg  ein 
sehr  unsicherer  und  im  Verhältnisse  zu  den  vorhandenen  Störungen  stets 
ein  ungenügender  ist.  Es  verwachsen  nämlich  die  Wundflächen  stets  von 
der  Uebergangsfalte  aus  in  grossem  Umfange  wieder. 


DurchziPhung  eines  Bloidrahtes;  Äusschneidung. 


517 


Man  wird  diesem  Uebelstando  einiocniiassen  begegnen,  wenn  man  die  Ver- 
wachsung iin  IJereiche  der  Uchergangsfalte  zuerst  hebt  und  eine  Ueberhäutuiig  der 
Trcnnuugsfläche  erzielt,  das  Syniblepharon  also  in  ein  Jii-üclcenjTirmüjcs  umwandelt, 
elie  man  zur  völligen  Trennung  der  normwidrig  verbundenen  Theilo  schreitet.  Zu 
diesem  Ende  wird  in  der  Tiefe  der  Ueher- 

gavijsfalle  und  in  der  Richtung  dcrsell)en  '^' 

ein  Bleidraht  durch  das  Zicischenstück 
geführt  und  liegen  gelassen,  bis  der 
Wundkanal  überuarbt  ist.  Die  Ein- 
führung des  Drahtes  wird  am  besten  mit 
einer  gekrümmten  Stahllanze,  äimlich  der 
bei  der  umschlungenen  Naht  ge))räuch- 
lichen,  bewerkstelligt.  Im  Notlifalle  kann 
mau  den  Wundkanal  mit  einer  starken 
gekrümmten  Nadel  erzeugen  und  den 
Draht  nachträglich  sondirend  einführen. 
Die  Drahtenden  werden  über  dem  Lid- 
rande zusammengedrelit  (Fig.  60)  und  auf 
Aie  äussere  Lidfläche  gebogen,  um  daselbst 
mit  Heftpflasterstreifen  bedeckt  und  be- 
festigt werden  zu  können  (Himly).  Im 
Ganzen  ist  auch  dieses  Verfahren  ein 
icenig  verlässliches.  Oft  schneidet  der  Draht 
das  Zwischenstück  allmälig  durch,  während  die  Verwachsung  in  gleichem  Masse 
nachrückt  und  nach  Wochen  ist  man  wieder  dort  angelangt,  wo  man  begounen  hatte. 

Relativ  am  besten  dürfte  mau  fahren  mit  der  Ausschneidung  des  Sym- 
blepharon (Arlt).  Bei  nicht  sehr  breiten  Zwischenstücken  ist  ihr  Erfolg  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  ein  sehr  befriedigender.  Um  sie  durchzuführen,  fixirt 
ein  Assistent  den  Kopf  des  Krai\ken  tind  zieht  die  Lider  stark  vom  Bulbus 
ab,  so  dass  das  Zwischenstück  gespannt  erscheiut,  während  ein  anderer 
Assistent  die  Stillung  der  Blutung  übernimmt.  Der  Operateur  führt  nun 
mit  einer  gekrümmten  Nadel  einen  Seidenfaden  oder  eine  Fischschnur 
durch  den  der  Cornea  nächsten  Theil  des  Neiigebildes,  zieht  dieses  stark  an, 
stösst  ein  zartes  Messer  durch  und  schneidet  das  Zwischenstück  möglichst  knapp 
von  der  Bulbusoberfläche  gegen  die 
Hornhaut  hin  los.  Nachdem  so  ein 
Lappen  erzeugt  worden  ist,  wird  der- 
selbe mit  einer  Pincette  gefasst  und 
der  Best  des  Symblepharon  mit  der 
Schere  oder  dem  Scalpell  bis  in  den 
Ueb er g angstheil  hinein  vom  Bulbus  los- 
präparirt.  Ist  dieses  geschehen,  so 
werden  die  beiden  Enden  der  Faden- 
schlinge mit  Nadeln  armirt,  diese 
durch  die  Dicke  des  Lides  nahe  am 
Orbitalrande  an  der  tiefsten  Stelle 
der  W'unde  durchgestossen,  und  durch 
Anziehen  der  beiden  Fadenenden 
das  Zwischenstück  so  umgeschlagen 
(Fig.  61),  dass  bei  der  Reposition  des  Lides  die  überhäutete  Fläche  des 
Zwischenstückes  mit  der  Augapfelwundfläche  in  Berührung  kömmt.  Die  letztere 
wird  nun,  nachdem  die  Fadenenden  um  eine  kleine  Heftpfiasterrolle  an 
der  äusseren  Lidtiäche  geknüpft  und  so  das  Zwischenstück  in  seiner  Lage 
fixirt    worden  ist,     durch   2 — 3  feine  Knopfnähte  geschlossen.      Die   Nachbe- 


518  Symblepharon;  Behandlung;  Distichiasis ;  Trichiasis. 

handlung  ist  die  anderer  Wunden.  Am  dritten  Tage  können  die  Hefte  ent- 
fernt werden.  Nach  der  V'ernarbung  der  Conjunctivalwunde  kann  man  zur 
Excision  des  Zwischenstückes  schreiten,  falls  es  zu  massig  wäre  und 
lästig  fiele. 

Bei  sehr  breit  aufsitzenden  Zioischenstücken,  überhaupt  wo  ein  grosser 
Theil  der  Bindehaut,  ein  Drittheil  und  mehr,  in  der  Neubildung  unter- 
gegangen ist ,  thut  man  gut ,  nach  Ablösung  des  Zwischenstückes  die 
Augapfelbindehaut  von  den  beiden  Wundrändern  aus  durch  je  zwei  bogen- 
förmig nach  Oben  oder  beziehungsweise  Unten  gehende  Schnitte  zu  spalten, 
die  solchermassen  abgegrenzten  vierecJngen  Lappen  nach  vorläufiger  Präpa- 
ration gegen  die  Wundfläche  hin  zu  ziehen  und  in  deren  Mittellinien 
durch  Knopfnäthe,  so  weit  thunlich,  zu  vereinigen.  Das  vom  Bulbus  ab- 
getrennte Zwischenstück  kann  dann  nach  einwärts  geschlagen  und  sein 
freier  Rand  nach  Abschneidung  alles  unbrauchbaren  Narbengewebes  mit  dem 
peripheren  Saum  der  beiden  die  Wundfläche  deckenden  Bindehautlappen 
durch  Knopfnäthe  verbunden  werden  (Knapp).  Leider  ist  die  Zerrung  der 
Bindehautlappen  bei  einigermassen  breiten  Wundflächen  einer  Verheilung 
per  primam  intentionem  sehr  ungünstig,  es  kömrut  gerne  zur  Eiterung  und 
damit   zu  völligem  Misslingen   der  Operation. 

Ist  ein  Lid  in  seiner  grössten  Ausdehnung  mit  dem  Bulbus  ver- 
wachsen, so  bleibt  die  Therapie  in  der  Regel  erfolglos,  es  sind  solche  Ver- 
wachsungen gleich  dem  Symblepharon  posterius  bis  jetzt  als  unheilbar  zu 
betrachten. 

Gemeiniglich  ist  in  solchen  Fällen  auch  die  Hornhaut  grossen  Theiles  oder 
ganz  mit  dichten  narbigen  Massen  überkleidet  und  eine  HersteUung  des  Sehver- 
mögens dadurch  unmöglich  geworden.  Im  cosmetischen  Interesse  lässt  sich  dann 
bisweilen  dadurch  ein  Vortheil  erzielen ,  dass  man  das  verwachsene  Lid  in  genü- 
gendem Umfange  vom  Bulbus  löset  und  ein  künstliches  Auge  einlegt.  Wird  dieses 
vertragen,  so  vernarben  manchmal  die  Wundfläclien ,  ohne  dass  es  zu  einer  aus- 
gebreiteten Wiederverwachsung  kömmt,  wenn  auch  die  Narbe  von  der  Uebergangs- 
falte  aus  um  ein  Gewisses  sich  erhebt  und  dann  eine  Formumstaltnng  des  künst- 
lichen Auges  nothwendig  macht.  Meistens  jedoch  missglückt  der  Versuch. 

Quellen:  Amman,  Plast.  Chirurgie.  Berlin.  1842.  S.  189;  kl.  Darstellungen  etc. 
II.  Berlin.  1838.  Taf.  6.  S.  15.  —  Himly,  Krankheiten  u.  Missbildungen  etc.  I. 
Berlin.  1843.  S.  101,  105,  107.  —  Stellwag,  Ophth.  II.  S.  753.  —  Arlt,  Die  Krank- 
heiten des  Auges.  Prag.  1851.  I.  S.  155;  III.  S.  375;  Prag.  Vierteljahrschrift.  XI. 
S.  161.  —  Pagenstecher  und  Saemisch,  klin.  Beobachtungen.  I.  Wiesbaden.  1860. 
S.  7.  —  Mackenzie,  Traite  d.  mal.  d.  yeux.  Traduit  p.  Warlomont  et  Testelin. 
II.  Paris.  1857.  S.  178,  182.  —  Gouvea ,  Arch.  f.  Augen-  u.  Ohrenheilkde.  I.  S. 
106,  120.  —  Lawson,  Geissler,  Schmidt's  Jahrb.  135.  Bd.  S.  265.  —  Knapp,  A.  f. 
0.  XIV.  1.  S.  270. 

3.  Distichiasis  und  Triciiiasis. 

Pathologie  und  Krankheitsbild.  Das  gemeinschaftliche  Criterium  beider 
dieser  sich  oft  combinirenden  Zustände  ist  die  Einwärtskehrung  einer  Anzahl 
von    Wimpern   bei  normaler   Stellung   der  Lidflächen. 

1.  Unter  Distichiasis  oder  Zweiwuchs  der  Wimpern  versteht  man 
streng  genommen  das  Hervorwachsen  zerstreuter  oder  in  eine  zweite  Reihe 
geordneter  Haare  aus  der  Fläche  oder  inneren  Lefze  des  sonst  völlig  normal 
gestalteten  Lidrandes.  Es  kömmt  dieser  Zustand  sehr  selten  vor  und  ist 
dann  in  seiner  Anlage  wohl  immer  angehören.   Die  Pseudocilien  entwickeln 


Pathologie;  Kraiikheitshild:  Sccundare  Ziifiillp.  519 

sich  ontwedev  schon  in  der  Kindospcriode  (0.  Becker),  odrr  zur  Zeil  der 
Pubertät,  wo  der  Haarwuchs  übcrluuipt  einen  Aufschwung  nimmt,  seltener 
in  den  späteren  Lebensjahren.  Man  will  die  wahre  Distichiasis  besonders 
bei  Individuen   mit    sehr  üppiger  Behaarung  gefunden   haben   (Vidal). 

In  der  bei  weitem  grössteu  Mehrzahl  der  Fälle  ist  der  Zweiwuchs 
nur  ein  scheinbarer  und  durch  Dehnunf/  der  wimpernlx^standenen  äusseren 
Lidlefzc  veranlasst.  Bei  tylotischer  Verbilduny  des  Lidrandes  geschieht  es 
in  der  That  nicht  selten,  dass  die  behaarte  Zone  von  Seite  der  subcutanen 
Geschwulst  auf  die  doppelte  und  mehrfache  Breite  auseinander  gezogen 
wird  und  so  einzelne  oder  ganze  Büschel  der  am  meisten  nach  hinten 
stehenden  Wimpern  von  den  übrigen  durch  einen  grösseren  Zwischenraum 
getrennt  und  gegen  den  Bulbus  gekehrt  werden.  Es  hat  dann  oft  ganz 
das  Aussehen,  als  wären  neue  Haare  auf  der  Randfläche  des  Lides  hervor- 
gesprossen. Viel  häufiger  resultirt  ein  solches  Verhalten  aus  Schrumpfungen 
der  Tarsalbindthauf,  wie  selbe  aus  hochgradigen  chronischen  Conjunctival- 
entzündungen,  insbesondere  aus  dem  diffusen  und  sulzigen  Trachome,  ver- 
alteten Katarrhen  etc.  hervorgehen.  Der  falsche  Zweiwuchs  ist  in  derlei 
Fällen  mit  Abstumpfung  der  inneren  Lefze  gepaart  iind  je  nach  der  mehr 
gleichmässigen  oder  ungleichmässigen  Entartung  der  Bindehaut  auf  einzelne 
Theile  des  Lidrandes  beschränkt,  oder  über  die  ganze  Länge  desselben  ver- 
breitet. Auch  narbige  Schrumpfungen  des  Lidrandes  nach  ulcerativer  Blepha- 
ritis ciliaris  haben  bisweilen  die  Verziehung  einzelner  Wimpernbüschel 
im  Gefolge. 

2.  Bei  der  Trichiasis  im  engeren  Wortsinne  ist  die  Einstülpung  der 
Wimpern  durch  deren  Verkümmerung  und  Verbiegung  bedingt.  Das  patho- 
genetische Moment  liegt  in  Ernährungsstörungen  des  Haarbalges  und  findet 
seine  Quelle  in  lang  andauernden  oder  tief  gi'eifenden  Lidrandentzün- 
dungen. 

Die  meisten  Autoren  fassen  den  Begriff  jedoch  etwas  weiter  und 
zählen  zur  Trichiasis  auch  die  niedersten  Grade  des  Entropiums,  d.  i.  Fälle, 
in  welchen  vermöge  sehniger  Entartung  der  Tarsalbindehaut  oder  narbiger 
Einziehungen  des  Lidrandes  die  innere  Lefze  theilweise  oder  ganz  ver- 
strichen worden  ist  und  die  äussere  Lefze  mit  den  darauf  stehenden  Wimpern 
sich    dem    Bulbus    genähert  hat   oder  mit  ihm  in  Berührung  gekommen  ist. 

Die  eingestülpten  Wimpern  sind  je  nach  den  Ursachen  des  Leidens 
qualitativ  bald  völlig  normal  gebildet,  bald  den  Wollhaaren  ähnlich,  dünn, 
farblos  und  gekrümmt.  Bei  der  Trichiasis  finden  sich  meistens  starke 
Wimpern  und  daneben  eine  grosse  Anzahl  feiner  Wollhaare,  von  welchen 
sehr  häufig  2 — 4  und  mehr  aus  einem  einzelnen  Haarbalge  hervorsprossen 
und  nach  den  verschiedensten  Richtungen    hin  sich  umbiegen. 

Die  nach  einwärts  gekehrten  Haare  erregen,  indem  sie  gleich  fremden 
Körpern  auf  die  innerhalb  der  Lidspalte  gelegenen  Theile  wirken,  ein 
unerträgliches  Gefühl  von  Kratzen,  Stechen,  Reiben  im  Auge  und  sind 
oft  die  Ursache  eines  mit  hochgradiger  Lichtscheu  einhergehenden  heftigen 
Lidkrampfes,  durch  welchen  die  Cilien  noch  weiter  verkrümmt  und  oft 
auch  die  Lidränder  wirklich  nach  einwärts  gerollt  werden.  Durch  die 
fortwährende  mechanische  Reizwirkung  werden  entzündliche  Zustände  in 
den   oberflächlichen   Theilen   des   Sehorganes  angeregt  und   unterhalten.    Es 


520         Distichiasis ;  Trichiasis;  Behandlung;  Anzielieu  der  Wimpern;  Vereiterung  der  Bälge. 

ist  die  theilweise  oft  schon  entartete  Bindehaut  stark  geröthet,  geschwellt, 
von  Thränen  und  katarrhalischen  Producten  überschwemmt ;  die  Con- 
junctiva  hulhi  häufig  schon  hypertrophirt ;  die  Cornea  bietet  in  der  Regel 
alle  Erscheinungen  einer  partiellen  oder  totalen  Keratitis  jicinnosa  dar  und 
ist  nebenbei  häufig  mit  herpetischen  Efflorescenzen  verschiedenen  Alters, 
mit  Geschwüren  und  veralteten  Trübungen  mannigfaltiger  Art  bestanden. 
Mitunter  werden  sogar  die  inneren  Bulhusorgane  in  den  entzündlichen 
Process  verwickelt,  es  kann  der  Bulbus  als  Ganzes  seine  Functionstüchtig- 
keit   einbüssen  und  selbst  der  Atrophie  oder  Phthise  verfallen. 

Behandlung.  Die  Hauptaufgabe  geht  natürhch  dahin,  den  anato- 
mischen Grund  der  Einwärtskehrung  zu  beheben.  Insoferne  dieser  Indication 
hei  entwickelter  Distichiasis  und  Triclaiasis  aber  kaum  Genüge  zu  leisten 
ist,  muss  sich  die  Behandlung  darauf  beschränken:  1.  die  einwärts  ge- 
kehrten Haare  in  dem  Masse,  als  sie  nachwachsen,  durch  Ausziehen  zu 
entfernen,  um  einerseits  den  aus  der  Beizwirkung  hervorgehenden  Gefahren 
zu  begegnen,  anderseits  aber,  um  eine  endliche  Atrophie  der  Haarpapillen 
herbeizuführen,  oder  2.  den  einwärts  gekehrten  Haaren  eine  normgemässere 
und  wenigstens  unschädliche  Richtung  zu  geben,  oder  endlich  3.  durch 
Vertilgung  des  Haarbodens  auf  Kosten  wichtiger  Functionen  Abhilfe  zu 
schaffen. 

1.  Das  Ausziehen  der  Haare  wird  am  besten  mittelst  der  Cilienpincette 
bewerkstelligt.  Es  soll  das  Haar  immer  sammt  der  Zwiebel  von  der  Papille 
selbst  abgerissen  werden,  weil  dieses  Gebilde  durch  wiederholte  Verletzungen 
am  ehesten  zum  Schwunde  gebracht  werden  kann.  Zu  diesem  Behufe 
muss  das  Haar  mit  der  Pincette  knapp  an  der  Mündung  des  Follikels 
gefasst  und  durch  langsamen  Zug,  nicht  ruckweise,  ausgezogen  werden. 
Es  müssen  immer  alle  nach  einwärts  gekehrten  Haare  entfernt  werden. 
Auch  muss  mau  die  Operation  so  oft  wiederholen,  als  sich  nachwachsende 
Härchen  zeigen.  Jede  Versäumniss  ist  dabei  vom  Uebel.  Es  ist  oft  sehr 
schwer,  die  aus  den  Bälgen  hervortretenden  feinen  Stümpfe  zu  erkennen. 
Am  besten  gelangt  man  zum  Ziele,  wenn  man  den  Lidrand  bei  schief  ein- 
fallendem guten  Lichte  Punkt  für  Punkt  an  der  Pupille  des  hiiit erliegen- 
den Auges  vorbeizieht  und  mustert. 

Bei  pa?-<Je?Zej'  Distichiasis  und  Trichiasis  lohnt  dieses  Verfahren  nocli  am 
ersten  der  Mühe,  indem  wirklich  bisweilen  die  Haarzwiebeln  atrophiren  luid  der 
Nachwuchs  endlich  aufhört.  Bei  mehr  ausgebreiteter  Trichiasis  und  Distichiasis  darf 
man  auf  einen  solchen  Erfolg  niemals  hoffen.  Nichts  destoweniger  wird  das  frag- 
liche Verfahren  bei  sehr  messerscheuen  Individuen  und  als  provisoriscJLe  Massregel 
mit  Nutzen  auch  bei  totalem  Zweiwuchse  und  bei  totaler  Einstüljnmg  der  lidrand- 
ständigen  Haare  in  Anwendung  gebracht.  Nach  wochen-  oder  monatelangem  fleissigen 
Ausziehen  beginnen  die  Haare  sparsamer  und  langsamer  zu  wachsen  und  werden 
wohl  auch  dünner.  Während  man  im  Beginne  täglich  oder  jeden  zweiten  Tag 
Haare  zu  extrahireu  gezwungen  war,  genügt  es  nunmehr,  in  Zwischenpausen  von 
1 — 2  AVochen  die  einzelnen  nachgewachsenen  Stümpfe  zu  entfernen,  und  am  Ende 
kann  der  Kranke  bei  gutem  Gesichte  die  Extraction,  wenn  es  Noth  thut,  selbst 
vornehmen. 

In  neuerer  Zeit  wird  auf  Grundlage  einiger  gelungener  Versuche  der  Vor- 
schlag gemacht,  nach  einwärts  gekehrte  Wimpern  unbeschadet  der  äusseren  Form 
des  Lidrandes  dadurch  zu  beseitigen,  dass  man  deren  Bälge  durch  einen  subcutan 
eingeführten  Faden  zur  Vereiterting  bri)igt.  Es  soll  sich  diese  Methode  sowohl  bei 
partieller  als  totaler  Distichiasis  und  Trichiasis  bewährt  haben.  Um  den  Zweck 
möglichst  sicher  zu  erreichen,  wird  eine  Hornplatte  unter  das  betreffende  Lid  ge- 
schoben, hierauf  eine  eingefädelte  krumme  Nadel   an  der  Grenze  der  falschstehen- 


Narbenliildung  in  der  Lidhnut;  Transplantation  des  Haarbodens.  521 

den  Haare  von  der  Lidrandfläclie  aus  in  die  Dicke  des  Augcndeckels  eingestochen, 
an  der  Vorderfläche  des  Knorpels  in  verticaler  Richtung  fortgestossen  und  sodann 
11/2 — 2'"  von  der  äusseren  Lefze  entfernt  durch  die  äussere  Decke  herausgelcitet. 
Ist  dies  geschehen,  so  wird  die  Nadel  durch  dii;  Hautwunde  wieder  einf;cfiihrt  und 
hart  am  Knorj)el  judxUIcI  dem  äusseren  Lidrande  fortgesclioben,  um  im  i^ereiche 
normaler  Cilien  noclnnals  ausgestochen  nu  werden.  Nachdem  nun  die  Nadel  aber- 
mals durch  die  äussere  Hautwunde  eingesenkt  worden  ist,  wird  selbe  unter  dem 
Muskel  in  verticaler  Richtung  gegen  die  Lidrandiläche  hin  gelenkt  und  in  dieser 
selbst  herausgeführt.  Der  Faden  luiischreibt  solchermassen  drei  Seiten  eines 
Parallelogrammes ,  dessen  vierte  Seite  von  der  äusseren  Lidlefze  gebildet  wird  und 
welches  alle  falsch  stehenden  Cilien  sammt  ihren  Bälgen  in  sich  schliesst.  Die 
Enden  der  Fäden  sollen  hierauf  mit  Heftpflaster  an  der  Stirne  oder  Wange  be- 
festigt und  ein  Druckverband  angelegt  werden.  Nach  Ablauf  einiger  Tage  kann 
der  Faden  entfernt  und  nach  einem  weiteren  Termine  auch  der  Druckverband  be- 
seitigt werden  (Herzenstein).  Controlversuche  sind  nicht  günstig  ausgefallen  (Mann- 
hardt). 

2.  Um  den  einwärts  gekehrten  Haaren  unter  Schonung  ihres  Fort- 
bestandes eine  bessere  Eichtung  zu  geben,  hat  man  eme  ganze  Reihe  ver- 
schiedenartiger Operationen  erfunden,  welche  jedoch  alle  ihrem  Zwecke 
nur  unvollkommen  entsprechen,  oder  durcli  minder  eingreifende  Methoden 
mit  gleichem  oder  besserem  Erfolge   ersetzt  werden  können. 

Ganz  unzicv  er  las  stich  ist  das  Atisschneiden  Meiner  querovaler  Hautstückchen  in 
unmittelbarer  Nähe  einzelner  eingestülpter  Wimpern  oder  Cilienljüscheln  (I)es- 
marresj.  Der  Zug,  welchen  die  sich  zusammenziehende  Narbe  ausübt,  ist  im  Ganzen 
zu  klein  und  wirkt  überdies  haupts'dcldich  auf  die  gegen  den  Orbitalrand  gelegenen 
Theile  der  Liddecke ,  da  diese  der  Unterlage  viel  lockerer  anhaften ,  als  das  Inte- 
gument  des  freien  Lidrandes. 

Sicherer  fährt  man  jedenfalls  mit  den  gegen  das  Entropium  gebräiichlichen 
Operationsmethoden  (Pagenstecher).  Einen  vollen  oder  doch  befriedigenden  Erfolg 
hallen  diese  Verfalu-ungsweisen  jedoch  nur,  wo  es  sich  vorzugsweise  um  Bekäm- 
pfung krampfhafter  MuskeUhätigkeit  bandelt.  Wo  die  Wimperu  wegen  Abschleifung 
der  inneren  Lidlefze  oder  wegen  starker  Dehnung  der  Lidrandfläche  von  Seite 
schrumpfender  Biudehautnarben  nach  einwärts  gekehrt,  oder  wo  sie  selbst  sehr 
verkrümmt  und  nach  allen  Richtungen  sparrig  aus  einander  gewichen  sind:  dort 
genügt  es  nicht,  wie  beim  Entropium,  dem  Lide  seine  normale  Stellung  zum  Bulbus 
wiederzugeben,  der  freie  Rand  muss  wirklich  und  nach  Massgabe  des  Bedarfes  oft 
recht  stark  ectrojnonivt  werden ,  was  sehr  bedeutende  Unzukömmlichkeiten  in  sich 
schliesst.  Zudem  wirken  diese  Operationen  sehr  wenig  auf  die  Stellung  der  tvinkel- 
ständigen  Wimpern  ;  die  Trichiasis  und  Distichiasis  bevorzugen  aber  gerade  die 
Nachbarschaft  der  beiden  Canthi. 

Eines  grossen  Rufes  erfreut  sich  eine  Art  Transplantation  der  äusseren 
Lidlefze  und   des  unter  ihr  gelegenen  Haarbodens  (Jaesche,   Arlt). 

Es  wird  diese  Operation  wegen  ihrer  grossen  Schmerzhaftigkeit  vind  länge- 
ren Dauer  am  besten  in  der  Narkose  des  Kranken  ausgeführt.  Ein  Gehilfe,  welcher 
zugleich  den  Kopf  fixirt,  schiebt  eine  Hornplatte  unter  den  betreftenden  Augen- 
deckel, hebt  ihn  weit  vom  Bulbus  ab  und  zieht  den  Lidrand  durch  Spannung  der 
äusseren  Liddecke  empor,  damit  er  von  der  Platte  etwas  abstehe  und  für  das 
Messer  leicht  zugänglich  sei.  Nun  wird  die  Randzone  des  Augendeckels  von  der 
Handfläche  aus  mittelst  eines  feinen  Scalpelles  (Fig.  62)  unter  Schonung  der  Thränen- 
wärzchen  auf  2'"  Tiefe  in  zwei  Platten  gespalten,  deren  hintere  die  Bindehaut  mit 
dem  Knorpel  und  den  Ausführungsgängen  der  Tarsaldrüsen,  die  vordere  aber  die 
übrigen  Schichten  mit  sämmtlichen  Haarbälgen  in  sich  fasst.  Der  Schnitt  muss  da- 
her hart  an  der  Oberfläche  des  Knorpels  geführt  werden.  Hierauf  wird  ein  zweiter 
Schnitt  ly,  —  2'"  oberhalb  und  jjarallel  der  äusseren  Lefze,  durch  die  ganze  Dicke 
der  vorderen  Platte  Ins  auf  den  Knorpel  geführt  und  zwar  so,  dass  die  beiden  Wund- 
winkel innen  und  aussen  über  die  Enden  des  ersten  Schnittes  hinüber  reichen.  Es 
wird  jene  Platte  dadurch  in  eine  Art  Brücke  umgewandelt,  an  deren  hinterer  Fläche 
die  Haarbälge  haften  und  welche  nur  mittelst  ihrer  beiden  Enden  an  dem  Lide 
festhängt.  Ist  dieses  geschehen,  so  wird  von  dem  einen  Ende  des  zweiten  Schnittes 


522 


Distichiasis  :  Trichiiisis :  Behandlung ;  Transplantation  des  Haarbodens. 


ein    dritter   im    Bogen  so    durch   die  äussere  Lidhaut  zu  dem   anderen  Ende  geführt, 
dass  ein  halbmondförmiger  nantla2)X>en  umschrieben  wird,  welcher  mit  der  Pincette 

zu  fassen  und  unter  thunliclister  Schonung 
des  Kreismuskels  ahztqn-äjjariren  ist.  Es  muss 
dieser  Lappen,  dessen  Grenzen  in  (Fig.  63) 
angedeutet  sind,  um  so  grösser  sein  und 
namentlich  einen  um  so  grösseren  verticalen 
Durchmesser  haben,  je  stärker  die  Einwärts- 
wendung der  Haare  und  je  schlaffer  und  fal- 
tiger die  Haut  ist,  ein  je  stärkerer  Zug  also 
auf  die  Brücke  ausgeübt  werden  soll.  Hierauf 
ist  die  halbmondförmige  Witndfl'dche  zu  schlies- 
sen,  indem  der  concave  Rand  derselben  mit 
dem  ivagrechten  durch  2 — 3  Hefte  vereiniget 
wird.  Unter  dem  Zuge  dieser  Hefte  richten 
sich  die  in  der  Brücke  enthaltenen  Haare 
in  die  horizontale  Stellung  oder  gar  gegen  den 
Orbitalrand  hin.  Die  NacJibehandlung  ist  jene 
anderer  Wunden.  Am  dritten  Tage  sind  die 
Hefte  zu  entfernen. 

Einen  ganz  ähnlichen  Effect  kann  man 
dadurch  erzielen,  dass  man  nach  der  Spaltung 
des  Lidrandes  statt  der   Ausschneidung  eines 
halbmondförmigen  Hautstückes  eine  nach  Be- 
darf grosse  horizontale  Haut/alte  mit  dem  unterlagern- 
Fig.  (i3.  den  Muskeltheile  durch  eine  Krückenzange  fixirt,  und 

mittelst  krummer  Heftnadeln  in  verticaler  Rich- 
tung 2 — 3  gewichste  starke  Fäden  hindurch  führt, 
die  einzelnen  Fäden  zusammenschnürt  und  liegen 
läs^t,    bis    sie    durch  Eiterung    ausgestossen    werden. 

Es  hat  eine  solche  Transplantation  des  Haar- 
Ijodens  einen  gefahrlichen  Feind  an  der  Entzündung, 
welche  gern  mit  ziemlicher  Intensität  auftritt  und 
nicht  selten  den  mittleren  Theil  oder  die  ganze  schmale 
Hauthrücke  durch  Eiterung  oder  gar  durch  Brand  zer- 
stört (Sfavenhagen).  Auch  ist  sie  ganz  tinbrauchhar, 
wenn,  was  oft  der  Fall  ist,  innerhalb  der  Lidwinkel 
Haare  nach  einwärts  wachsen,  denn  auf  deren  Rich- 
tung hat  das  oben  beschriebene  Verfahren  nur  sehr 
geringen,  wenn  überhaupt  einen 
Fig.  w.  Einfluss. 

Man  fängt  auch  bereits  an, 
diese  schon  früher  scharf  betonten 
Uebelstände  einzusehen.  Demge- 
gemäss  wird  neuerer  Zeit  empfohlen, 
die  halbmondförmige  Hautwunde 
zwei  Centim.  über  die  äussere  Com- 
missur  hinaus  zu  verlängern  (Staven- 
hagen).  Andere  halten  eine  durch- 
greifende Modification  der  Methode 
für  nothwendig.  Sie  rathen  mit 
zwei  verticalen  Schnitten  (Fig  64) 
zu  beginnen ,  welche  durch  die 
äussere  Haut  und  den  Kreismuskel 
dringen,  die  zu  transplantirende 
Partie  der  Liddecke  seitlich  be- 
grenzen, bei  totaler  Distichiasis  und 
Trichiasis  also  hart  an  der  äusseren 
Commissur  und  ausserhalb  des 
Thränenpunktes  münden.  Hierauf  soll  das  Lid  wie  bei  dem  vorerwähnten  Ver- 
fahren   durch    den    Intermarginalschnitt   gespalten    werden.     Um  nun  auf  den  abge- 


Abtragung  des  Haarbodens.  o23 

trennten  Lidrand  einen  krüftigen  Zug  auszuüben  und  so  den  Haarboden  von  der 
inneren  Lefze  genügend  zu  entfernen,  soll  ein  qiierovales  Stück  aus  der  äusseren 
Lidhaut  ausgeschnitten  oder  durch  mehrere  Knopfnäthe  umschnürt  und  zur  narbigen 
Verwachsung  gebracht  werden  (Oraefe). 

Es  hat  die  Transplantation  selbstverständlich  nur  einen  Sinn,  wenn  der  aller- 
grösste  Theil  der  Wimpern  in  einem  Zustande  ist,  welcher  bei  richtiger  Stellung 
derselben  einen  wirksamen  Schutz  für  das  Auge  und  eine  Zierde  für  das  Antlitz 
gewärtigen  lässt.  Im  Ganzen  eignet  sie  sich  mehr  für  das  obere  als  für  das  untere 
Lid,  da  bei  letzterem  auf  eine  Schonung  der  ohnehin  nur  spärlichen  Wiui])ern  kein 
grosses  Gewicht  zu  legen  ist  und  die  Abtragung  des  Haarbodens  weitaus  mehr 
Sicherheit  gewährt. 

Verbürgt  ist  der  Erfolg  in  der  That  iveder  bei  der  einen  noch  l)ei  der  anderen 
Transplantationsmethode,  auch  wenn  diese  mit  grösster  Saclikpuntniss  und  Sorg- 
falt durchgefülirt  wird.  In  scheinbar  ganz  gelungenen  Fällen  zieht  sich  die  äussere 
Lefze  unter  fortschreitender  Schrumpfung  der  Narbe  öfters  nach  Wochen  und 
Monaten  wieder  randwärts,  die  Haare  gerathen  theilweise  abermals  in  eine  falsche 
Richtung  und  reizen  den  Bulbus,  wobei  die  Wirkung  des  Orbicularis  von  grossem 
Einflüsse  ist.  Besonders  bei  progressiver  sehniger  Entartung  der  Bindehaut  ist  ein 
solcher  misslicher  Ausgang  oft  zu  beklagen.  Es  wird  hier  der  Haarboden  durch 
den  gleichzeitigen  Zug  der  schrumpfenden  Bindehaut  und  der  Hautnarbe  bis- 
weilen zu  einer  ganz  unglaublichen  Breite  ausgedehnt  (Mannhardt).  Dazu  kömmt, 
dass  in  nicht  wenigen  Fällen  es  fast  unmöglich  ist,  durch  den  Intermargiualschnitt 
sämmtliche  Cilienbälge  vom  Tarsus  abzutrennen  und  mit  dem  Hautlappen  zu  dislociren, 
indem  dieselben  unmittelbar  am  Knorpel  oder  in  dessen  oberflächlichen  Schichten 
wurzeln.  Selbst  die  aufmerksamste  Durclimusterung  der  Knorpelfläche  lässt  diese 
Follikel  während  der  Operation  nicht  leicht  wahrnehmen,  vornehmlich  wenn  die 
Wimpern  nicht  sehr  dunkel  gefärbt  sind.  Bleibt  alier  auch  nur  die  Haarjxqiille 
stehen,  so  wachsen  die  Cilien  wieder  nach.  Zum  Unglücke  treten  dieselben  nach 
Verschiebung  der  äusseren  Lidlefze  nicht  immer  durch  den  alten  Kanal  hervor, 
sondern  bohren  sich  laut  directen  Erfahrungen  oft  scliräg  und  unter  Krümmungen 
durch  die  frische  Narbenmasse  und  erscheinen  endlich  an  der  infermarginalen  Schnitt- 
grenze, die  Recidive  ist  fertig. 

Der  letzterwähnte  Uebelstand  lässt  sicli  selbstverständlich  nicht  verhüthen 
durch  verticale  Vergrösserung  der  auszuschneidenden  oder  abzuschnürenden  Haut- 
falte, also  durch  verstärkte  Dislocation  der  äusseren  Lidlefze.  Eben  so  wenig  bietet 
eine  Wiederholung  der  Operation  volle  Garantie.  Thatsächlich  kommen  genug 
Fälle  vor,  wo  in  Folge  übermässiger  oder  wiederholter  Verkürzung  der  äusseren 
Liddecke  die  Augendeckel  den  Lidschluss  nicht  mehr  gestatten,  wo  die  Spalte  also 
selbst  während  des  Schlafes  linienweit  offen  steht  und  wo  trotzdem  einzelne  oder 
viele  Haarbüschel  an  den  Bulbus  streifen. 

3.  Die  Abtragung  des  Haarbodens  ist  jedenfalls  die  verlässlichste 
Methode,  auch  einfacher  und  leichter  durchzuführen,  was  dort,  wo  alle 
vier  Lidränder  die  Operation  fordern,  schwer  ins  Gewicht  fällt.  Der 
Hauptvorwurf,  welcher  sich  wider  sie  zu  Gunsten  der  Transplantation 
machen  lässt,  ist,  dass  das  Auge  eines  natürlichen  Schmuckes  und  Schutz- 
mittels beraubt  wird.  Allein  die  Entstellung  ist  bei  Verlust  des  Haarbodens 
kaum  grösser,  als  bei  Steifheit  und  Faltenlosigkeit  des  Lides,  wie  selbe 
sich  nothwendig  ergibt,  wenn  behufs  starker  Dislocation  der  äusseren 
Lefze  ein  umfangreiches  Stück  des  Litegumentes  ausgeschnitten  oder  abge- 
schnürt und  der  unterlagernde  Theil  des  Kreismuskels  von  ]S^arbengewebe 
in  seiner  Function  beirrt  wird.  Aber  auch  mit  dem  Schutze  des  Auges 
ist  es  unter  solchen  Umständen  nicht  weit  her,  da  recht  oft  der  Lid- 
schluss sehr  erschwert  oder  gar  unmöglich  gemacht  werden  muss,  wenn 
der  aiif  den  Haarboden  wirkende  Zug  für  den  Zweck  ausreichen  soll. 
Uebrigens  ist  wohl  zu  erwägen,  dass  bei  partieller  Trichiasis  und  Distichiasis, 
wo  die  Quahtät  und  regelmässige  Anordnung  der  grössten  Mehrzahl  der 
Wimpern  deren  Erhaltung  wünschenswerth  erscheinen    lässt,   die   Abtragung 


524 


Distichiasis ;  Trichiasis ;  Behandlung ;  Partielle  Abtragung  des  Haarbodens. 


Fig.  G.Ö. 


auf  den  Boden  der  eingestülpten  Haarbüschel  begrenzt  werden  kann, 
während  eine  Transplantation  unter  allen  Yerhältnissen  auf  den  grössten 
Theil  oder  den  ganzen  Lidrand  ausgedehnt  werden  muss,  soll  die  Operation 
etwas  leisten. 

a.  Behufs  partieller  Abtragung  des  Haarbodens  ist  vorerst  eine  Horn- 
platte  unter  das  Lid   zu  schieben,   dieses  vom  Bulbus  weg   nach  vorne  zu 

spannen  und  dann  von  der  Eand- 
fläche  aus  zu  spalten  (Fig.  65).  Es 
geschieht  dies  am  besten  mittelst  eines 
breiten  Lanzenrnessers,  welches  liinter 
dem  falsch  gerichteten  Haarbüschel 
nahe  der  inneren  Lefze  zwischen  die 
Kuorpelvorderfläche  und  die  Wimpem- 
bülge  auf  2 — 3'"  Tiefe  eingestossen 
wii'd.  Ist  die  Lanze  nicht  breit 
s:enus,  um  der  Wunde  stichweise  die 
nöthige  Ausdehnung  zu  geben,  so  muss 
der  Spalt  nachträglich  mit  einem 
Scalpelle  auf  das  gehörige  Mass  ge- 
bracht werden.  Js^un  wird  durch  zwei 
senkrecht  auf  die  Lidspalte  geführte 
Schnitte  A  ein  2 — 3'''  hoher  sjntz- 
bogenförmiger  Zwickel,  welcher  die  betreffenden  Follikel  in  sich  fasst,  aus 
der  vorderen  Platte  des  gespalteten  Lidtheiles  ausgeschnitten.  Man  benützt 
dazu  ein  Scalpell  oder  besser  eine  feine  nach  der  Fläche  gekrümmte 
Schere,  von  welcher  das  eine  Blatt  in  die  Lidrandwunde  eingebracht  wird. 

Im  Falle  das  Haarbüschel  seinen  Sitz  im  inneren  oder  äusseren  Lidspaltenwinhel 
und  den  unviittelbar  daran  grenzenden  Theilen  des  Lidraudes  hat,  wird  der  Ein- 
stich mit  dem  Lanzenmesser  hesser  ohne  vorläufige  Einführung  der  Hornplatte  bei 
weit  geöffneter  Lidspalte  gemacht  und  die  Wunde  nöthigen  Falles  mit  einem 
Scalpelle  in  der  Fläche  der  Lider  erweitert,  hierauf  nach  oben  und  unten  der 
Begrenzungsschnitl  (Fig.  65  B)  ausgeführt  und  der  so  umschriebene  spiessfönnige 
Lappen  mit  der  Schere  vollends  abgelöst.  Die  Wundfläche  wkd  daun  ausserhalb  der 
Commissur  durch  1 — 2  Knopfnähte  oder  Karlsbader  Nadeln  geschlossen. 

Es  genügt  jedoch  eine  solche  Wundform  dem  Zwecke  nur,  wenn  der 
abzutragende  Theil  des  Haarbodens  beiderseits  auf  einige  Entfernung  von 
ganz  kahlen  EandjDortionen  begrenzt  ist,  entspricht  also  vornehmlich  als 
Nachhilfe  bei  unvollkommen  gelungenen  totalen  Abtragungen.  Wenn  den 
ausgeschnittenen  Zwickel  cilienbestandene  Partien  des  Lidrandes  besäumen, 
so  kömmt  es  fast  immer  zur  ilecidive,  indem  die  nächststehenden  Haare 
von  der  schrumpfenden  jS^arbe  stets  wieder  nach  einwärts  gezogen  werden. 
Um  dies  zu  verhindern,  muss  mit  der  Ausschneidung  des  Zwickels  eine 
Ai't  IVansplantation  der  Nachbartheile  der  äusseren  Lidlefze  verknüpft  werden. 
Behufs  dessen  ist  der  Litermarginalschnitt  beiderseits  1  '/j — 2'"  über  den 
Boden  der  eingestülpten  Haare  hinaus  zu  verlängern  und  dem  auszu- 
schneidenden Lappai  je  nach  der  Oertlichkeit  und  Ausdelinung  der  par- 
tiellen Trichiasis  oder  Distichiasis  eine  verschiedene  Form  zu  geben. 

Betrifft  der  Zweiwuchs  oder  die  Einstülpung  der  Wimpern  einen  von 
den  Canthis  entfernteren  Theil  des  Lidrandes,  so  liaben  die  senkrecht  auf 
die  Lidliäche  zu  führenden  Begrenzungsschnitte  ein  abgestutztes  Dreieck  von 
2 — 3'"  Höhe  zu  beschi*eibeu,    welches  seine  Basis  vom  Lidrande  abwendet 


Totale  Abtragung  des  Haarbodens. 


525 


Fig.  C7. 


(Fig.  ßß).  Die  beiden  durcli  den  IntermargitmUchniU  m  n  o  von  dei*  Un- 
terlage abgetrennten  convergirenden  Zipfel  a  sind  hierauf  gegen  die  Basis 
zu    drehen  und   je  durch  ein  blutiges    Heft,  am  p.     gg 

•besten  mit  feiner  Seide  oder  dünner  Fischschnur 
(Fil  de  Florence)  ,  in  den  Grund unnkeln  des 
Dreieckes  zu  iixiren,  so  dass  ihr  eilientragender 
Rand  im  Bogen  nach  auf  oder  beziehungsweise 
nach  abwärts   liiufr. 

Fordert  der  Schenkel  einer  Commissur  die  /- 
Operation ,  so  ist  der  eine  Begrenzimgsschnitt  ; 
horizontal  in  der  Verlängerung  der  Lidspalte 
bis  in  die  Intermarginalwunde  m  n  o  zu  führen, 
der  andere  aber  von  der  Grenze  der  falsch 
gerichteten  Haare  schräg  auf-  und  bezieliungs- 
weise  abwärts  durch  den  Lidrand   zu  legen  und 

dann  sind  die  Enden  beider  durch  einen  Bogenschnitt  mit  einander  zu 
verbinden  (Fig.  G7).  Der  Zwickel  a  wird  hierauf  nach  Entfernung  des 
Lappens  in  den  Winkel  an  der  Basis  der  Bogen- 
wuude  geheftet. 

Finden  sich  eingestülpte  Haare  an  beiden 
Schenkeln  einer  Commissur,  so  fällt  der  horizontale 
Schnitt  aus,  d\eheidei\ Begrenzuvgsschnifte  (Fig.  68) 
steigen  schräg  auf-  und  beziehungsweise  nach 
abwärts  und  sind  dann  durch  einen  paraboli- 
schen Bogenschnitt  mit  einander  zu  vereinigen,  >S 
an  dessen  Enden  die  Zwickel  a  der  äusseren 
Lefze  befestigt  werden.  Wenn  nöthig,  ist  sodann 
die  spiessförmige  Wunde  durch  1 — 2  Knopfnäthe 
zu  schliessen. 

Die  Verheilung  ist  in  der  Eegel  binnen  2 — 3  Tagen  vollendet.  Die 
Narbe  ist  stets  fast  unmerklich  und  ihre  Grenze  wird  nur  durch  eine 
leichte  Ausbiegung  der  Wimpernzone  angedeutet, 
welche  nicht  entstellt.  Es  sind  dermalen  genug 
solcher  Operationen  durchgeführt  worden,  um 
über  ihren  Werth  aburtheilen  und  selbe  auf 
Grund  gewonnener  Ph'fahrungen  mit  Beruhigung 
empfehlen   zu  können. 

b.  Die  gänzliche  Abtragung  des  Haarbodens 
(Fried.  Jaeger,  Flarer)  kömmt  in  Betreif  der 
dabei  nothwendigen  Handgriffe  theilweise  mit 
der  Transplantation  (2)  überein.  Der  Hauptun- 
terschied besteht  darin,  dass  die  in  ganz  ähn- 
licher Weise  gebildete  Brücke  gänzlich  entfernt 
und  nicht  geschont  wird.  Nachdem  nämlich  eine  Horuplatte  unter  das 
betreffende  Lid  eingeführt  und  dessen  Randfiäche  für  das  Messer  leicht  zu- 
gänglich gemacht  worden  ist,  spaltet  der  Operateur  die  Randzone  des  Augen- 
deckels mittelst  eines  hart  an  der  Knorpelvordertläche  geführten,  bei  2'"  tiefen 
Schnittes  in  2  Platten,  deren  vordere  sämmtliche  Haarbälge  in  sich  fassen  soll 
(Fig.  62,  S.  522).  Man  thut  dabei  wohl,  die  Operation  von  der  Commissur  aus 
zu    beginnen,    indem    man    ein    breites    Lanzenmesser    in  die   Handfläche  der- 


Fig.  68. 


526 


Distichiasis:  Trichiasis:  Totale  Ahtragung  des  Haarliodens. 


Fig.  t;9. 


selben  einstösst  uiid  dann  den  Intermarginalschnitt  mit  dem  Scalpelle  längs 
der  inneren  Lefze  vollendet.  Hierauf  wird  die  äussere  Liddecke  in  der 
Verlängerung  der  Lidspalte  durch  einen  2 — 3'"  langen  horizontalen  Schnitt 
bis  auf  die   Fascie    durchtrennt    und    dann  die   Umschneidung  des  Haarbodens 

vorgenommen.  Der  betreffende  Haut- 
schnitt hat  bei  Unl-nseiflgein  Operations- 
felde von  dem  freien  Lidrande  in  der 
Gegend  des  Thränenwärzchens  nach 
aufwärts  zu  steigen,  über  den  Haar- 
bälgen parallel  der  äusseren  Lefze  fort- 
zulaufen und  jenseits  der  Coramissur 
in  2'"  Entfernung  davon  in  den 
horizontalen  Schnitt  unter  einem  spitzen 
Winkel  einzumünden.  Am  rechten  Auge 
ist  der  Schnitt  leichter  in  entyegenge.- 
sefzfer  Richtung   (Fig.  69)   zu   führen. 

Ist  solchermassen  die  Brücke  um- 
schrieben, so  muss  selbe,  falls  sie  noch 
an  einzelnen  Stellen  haftet,  mit  der 
Pincette  gefasst  und  mittelst  der  Schere 
oder  dem  Messer  lospräparirt  werden.  Zeigen  sich  dann  im  Bereiche 
der  Wundfläche  noch  einige  Balge  mit  den  darin  festhaftenden  und  durch 
ihre  dunkle  Färbung  stark  hervorstechenden  Haarstümpfeu,  so  müssen 
dieselben  mit  der  Schere  sorgfältigst  vom  Knorpel  losgeschnitten  werden. 
Ein  besonderer  V'erband  ist  nicht  nothwendig.  Innerhalb  weniger  Tage 
ist  die  Wunde,  meistens  ohne  Eiterung,  völlig  geheilt  und  die  sich 
zusammenziehende  Narbe  vereinigt  bald  die  äussere  Haut  mit  der 
Mucosa. 

Kommen  im  weiteren  Verlaufe  einzelne  Haare  wieder  zum  Vorscheine, 
so  müssen  dieselben  nach  der  oben    erwähnten    Weise    abgestochen   werden. 

Es  hat  die  totale  Abtragung  des  Haarbodens  bei  aller  Vortrefflichkeit 
ihrer  Leistungen  gleich  anderen  Amputationen  zweifelsohne  nicht  zu 
unterschätzende  Nachtheile.  Abgesehen  von  dem  Verluste  eines  natürlichen 
Schutzmittels  der  Augen  bedingt  dieselbe,  vornehmlich  wenn  sie  am  un- 
teren Lide  ausgeführt  wird,  eine  sehr  missliche  Störung  der  Thränenleitung, 
da  die  beölte  LidrandHäche  verloren  geht.  Es  schwimmt  das  Auge  daher 
gerne  in  Thränen  und  diese  pflegen  bei  jeder,  selbst  der  kleinsten,  Reiz- 
einwirkung  überzufliessen.  Nicht  selten  obliteriren,  trotz  aller  Vorsicht  bei 
der  Operation,  die  Ausführungsgänge  der  Tarsaldrüsen  in  dem  schrumpfen- 
den Narbengefüge.  Späterhin  atrophirt  öfters  sogar  der  Knorpel  und  con- 
trahirt  sich  auf  einen  kleinen  dicken  Wulst,  in  dessen  Innerem  sich  sehr 
gerne  Hagelkörner,  wohl  auch  Cysten  entwickeln.  Endlich  schlägt  sich 
nicht  immer  die  Mucosa  unter  der  Zusammenziehung  der  Narbe  7iach  aussen 
um  und  rundet  so  den  Lidrand  ab;  in  einzelnen  Fällen  wird  vielmehr  die 
Narbe  stark  nach  innen  gezerrt  und  kömmt  mit  dem  Bulbus  wohl  gar  in 
Berührung.  Insoferne  diese  Narbe  meistens  ziemlich  unregelmässig  und 
rauh  ist,  wird  dadurch  der  Bulbus  bisweilen  gereizt  und  möglicher  Weise 
wohl  auch  geschädigt.  Immerhin  sind  diese  Nachtheile  weit  geringer  als 
jene  einer  misslungenen     Transplantation,    oder  jene    einer    Verkürzung  der 


Abtragung  des  ganzen  Lidnindes :  AnslucTinung  einzelner  Wimpern:  Entropium.  527 

Lider    wegen    übermässigem    Substanzverluste    der    äusseren    Liddecke    als 
Folge  wiederlioUer  Transplantationsversuche. 

Alle  die  der  Abtragung  des  Haarbodens  anklebenden  Nachtheile  machen  sich 
im  gesteigerten  Masse  und  sicher  geltend,  wenn,  wie  dieses  früher  üblich  war,  der 
Lidrand  seiner  ganzen  Dicke  nach,  sammt  der  helreff'enden  Zone  des  Knorj)el.<!,  abge- 
tragen lüird  (Bartisch).  Ueberdies  resultirt  dann  sehr  gewöhnlich  eine  Verkili-zung 
des  Lides  und  eine  davon  abhängige  Unmöglichkeit,  die  Lidspalte  völlig  zu  schliessen. 
Das  iu  Rede  stehende  Verfahren  ist  demnach  verioei-flich,  um  so  mehr  als  es  auch 
ganz  entbehrlich  ist. 

4.  Wo  ein  oder  das  andere  einzelne  Wimpernhaar  durch  falsche  Stellung  den 
Augapfel  gefährdet,  kann  man  versuchen,  den  betreffenden  Haarbalg  einfach  aus- 
zubrennen oder  auszuätzen.  Es  wird  zu  diesem  Behufe  ein  Lanzenmcsser  oder  besser 
eine  breite  gerade  myrthenförmige  Staarnadel  dem  Haarschafte  entlang  in  die 
Dicke  des  Lides  eingestochen  und  sodann  eine  mit  im  Zerfliessen  begriffenem  Kali 
causticum  bestrichene  Silbersoude,  oder  ein  auf  galvanocanstischem  Wege  zu  er- 
hitzender Draht  iii  die  Wunde  geschoben.  Bisweilen  ist  der  Erfolg  ein  ganz  ausge- 
zeichneter und  dauernder.  Das  Haar  blos  auszuziehen  und  den  Glühdraht  durch 
die  Follikelöffnung  einzuführen  ist  weniger  anzurathen,  weil  schwieriger  und  minder 
verlässlich  (Mackenzie). 

Quellen:  O.  Becker,  Wien.  med.  Jahrb.  1866.  4.  S.  80.  —  Stellwag,  Ophtb.  H. 
S.  912,  914.  —  Mackenzie,  Traite  d.  mal.  d.  yeux.  trad.  p.  Warlomont  et  Testelin. 
I.  Paris.  1856.  S.  142,  297,  300,  302.  —  Desmarres,  Traite  d.  mal.  d.  yeux.  Paris. 
1847.  S.  85,  87.  —  Vidal,  nach  Desmarres  1.  c.  S.  86.  —  Himly,  Krankheiten  und 
Missbildungen,  l.  Berlin.  1843.  S.  140,  146.  —  Arlt,  Die  Krankheiten  des  Auges. 
I.  Prag.  1851.  S.  128,  144,  146.  —  Jäsche ,  Med.  Zeitung  Russlands.  1844.  Nr.  9. 
—  Pagenstecher  und  Saemisch,  klin.  Beobachtungen.  I.  Wiesbaden.  18G0.  S.  6.  — 
Graefe,  A.  f.  O.  X.  2.  S.  225.  —  Herzenstein,  ibid.  XH.  1.  S.  76.  —  Secondi, 
Clinica  di  Genova,  Riassunto,  Torino.  1865.  S.  125.  —  Bartiscli,  Fr.  Jaeger,  Flarer 
nach  Arlt  1.  c.  S.  144.  —  Sfuvenhagen,  klin.  Beobachtungen.  8.  5,  12,  18.  — 
Mannhardt,  A.  f.  O.  XIV.  3.  S.  40,  45. 


4,  Das  Entropium. 

Pathologie  und  Krankheitsbild.  Das  Entropium  ist  in  einzelnen 
seltenen  Fällen  ein  partielles,  insoferne  nämlich  nur  die  der  äusseren  Com- 
missur  nahen  Portionen  des  einen  oder  heider  Lidränder  sich  nach  einwärts 
gewendet  haben.  Weitaus  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  ist  die  Einstülpung 
eine  vollständige,  es  erscheint  der  Rand  des  einen  oder  beider  Lider  seiner 
ganzen  Länge  nach  einwärts  gekehrt,  oder  gar  der  Augendeckel  selber  nach 
innen  umgeschlagen.  Meistens  betrifft  das  Entropium  nur  das  untere  Lid 
eines  oder  beider  Augen,  oder  ist  daselbst  wenigstens  in  höherem  Grade 
entwickelt,   als  am  oberen  Lide. 

Man  kann  mehrere  Grade  der  Einstülpung  unterscheiden.  Der  erste 
ist  eigentlich  nur  eine  Einwärtskehrung  der  äusseren  Lidlefze  und  beruht 
auf  Verstreichung  und  Retraction  der  inneren  Lefze,  ein  Zustand,  welchen 
man  gewöhnlich  noch  in  der  Bedeutung  einer  Trichiasis  auifasst.  Der 
zweite  Grad  lässt  sich  als  Einstülpung  des  Lidrandes  bezeichnen.  Es  ist 
nämlich  der  letztere  seiner  ganzen  Dicke  nach  gegen  den  freien  Rand  des 
Tarsus  umgebogen,  so  dass  die  äusserste  Eandzone  der  Liddecke  mit  dem 
Bulbus  in  Berührung  kömmt.  Der  dritte  Grad  ist  eine  Einstülpung  des 
Lides  als  solchen,  der  Knorpel  selbst  ist  umgeschlagen,  der  betreffende  Au- 
gendeckel bildet  eine  Duplicatur  und  berührt  mit  einem  grösseren  Theile 
seiner  äusseren  Haut  den  Bulbus.    Em   höchsten   Grade   endlich  erscheint  das 


528  Entropium:  Ursachen;  Entropium  spasticum. 

Lid  förmlich  eingerollt,  indem  der  Rand  des  umgeschlagenen  Deckels  eine 
zweite  Drehung  erlitten  hat,  vermöge  welcher  seine  Randfläche  in  die  ur- 
sprünglicJie  Richtung  und  die  äussere  Lefze  mit  der  Tarsalbindehaut  in  Be- 
rührung gekommen  ist. 

Das  Entropium  ist  gleich  der  Trichiasis  und  aus  demselben  Grunde 
eine  Quelle  sehr  heftiger  Reiszustände  und  förmlicher  Entzündungen  (S.  519), 
besonders  in  den  ersten  Zeiten  seines  Bestandes.  Später  gewöhnt  sich  gleich- 
sam das  Auge  an  die  Reizwirkung  des  eingestülpten  Lides,  die  Entzündung 
geht  zurück  und  tritt  nur  zeitweise  wieder  hervor.  Während  solcher  Exa- 
cerbationen wird  das  Entropium  nicht  selten  vorübergehend  oder  dauernd 
gesteigert.  Am  Ende  obsolescirt  die  hypertrophirte  Bindehaut,  verkürzt  sich 
mehr  und  mehr,  der  Knorpel  beginnt  zu  schrumpfen  und  in  seiner  Ver- 
krümmung zu  erstarren,   das  Entropium  wird  im  wahren  Sinne  ständig. 

Ursachen.  Wahre  Einstülpungen  der  Lider  sind  in  letzter  Instanz 
immer  auf  die  AVirkung  des  Musculus  orbicularis  palpebrarum  zu  beziehen. 
Ab  Schleifungen  und  Einziehungen  der  inneren  Lidlefze  so  wie  Abrundungen  und 
narbige  Verbildungen  des  Lidrandes  als  Ganzen,  wie  selbe  als  Ausgänge  der 
Blepharitis  ciliaris  und  hypertrophirender  Bindehautentzündungen  ziemlich 
häufig  vorkommen,  können  dabei  allerdings  loesentlich  mitwirken.  Sie  sind 
jedoch  nur  als  disponirende  Momente  zu  betrachten,  welche  eben  so  gut 
fehlen  können.  In  der  That  reichen  Krämpfe  des  genannten  Muskels  an  und 
für  sich  hin,  um  Entropien  bei  volUvommen  normaler  Gestaltung  der  Lider 
und  ihrer  Ränder  zu  erzeugen  und  ständig  zu  machen  (Entropium  spa- 
sticum); daher  denn  auch  alles,  was  derlei  Krämpfe  anzuregen  und  beson- 
ders auch  durch  einige  Zeit  zu  unterhalten  vermag,  möglicher  Weise  zum 
pathogenetischen  Momente  eines  Entropium  werden  kann.  Obenan  stehen 
in  dieser  Beziehung  getvisse  Ophthalmien,  namentlich  Keratitis,  da  diese  häu- 
figer als  andere  Augenentzündungen  mit  sehr  bedeutender  Lichtscheu  und 
heftigen  Lidkrämpfen   einhergeht. 

Der  Haiiptmotor  der  spastischen  Einwärtskelirung  der  Lidränder  ist  die  Tlirä- 
nenkammpartie  des  Kreismiiskels  und  von  dieser  vornehmlich  jene  Faserbündel, 
welche  als  Musculus  ■m/jtarsalis  l)escliriehen  werden.  Es  streichen  diese  Faserbünde), 
nämlich  (S.  48.3)  in  der  Dicke  der  beiden  Lidr'dnder,  der  inneren  Lidlefze  näher, 
bis  gegen  die  äussere  Commissur  und  gehen  auf  diesem  Wege  zahlreiche  Verbin- 
dungen mit  der  äusseren  Decke  der  Lidränder  ein.  Zieht  sich  der  Thränenmuskel 
zusammen,  so  werden  sämmtliche  Ansatzpunkte  des  Musculus  subtarsalis,  also 
vornehmlich  die  innere  Lefox,  gegen  den  inneren  Canthus  und  mittelbar  gegen  die 
Crista  lacrymalis  verschoben.  Gleichzeitig  wird,  weil  der  Muskel  als  Gaiizes  in 
einem  grossen  Bogen  über  die  grösste  Convexität  des  Bulbiis  gespannt  ist,  die 
innere  Lefze  gegen  die  Oberfläche  des  Bulbus  gedrückt  und  ihr  das  Streben  mit- 
getheilt,  sich  in  verticaler  Richtung  zu  verschieben,  um  so  den  Bogen  zu  verkürzen. 
Es  nähern  sich  in  Folge  dessen  die  äusseren  Lidlefzen  der  Bulbusoberfläche  und 
daher  treffen  die  Lidränder  nicht  mehr  mit  den  Flächen  auf  einander,  sondern 
diese  stellen  sich  zu  einander  in  einem  7\ach  hinten  offenen   Winkel. 

Man  kann  diese  Wirkung  öfters  sehr  deutlich  nachweisen,  wenn  in  Folge 
hypertrophirender  Entzündungen  der  Bindehaut  und  des  Knorpels  dieser  aufgelockert, 
weicher  und  nachgiebig  geworden  ist.  Man  braucht  dann  nur  die  Lidspalte  gewalt- 
sam geöffnet  zu  halten  und  etwas  nach  aussen  zu  verziehen.  Versucht  nun  der 
Kranke,  das  Auge  zu  schliessen,  so  geht  die  Verschiebung  der  einzelnen  Tiieile 
des  Lidrandes  bisweilen  so  weit,  dass  der  letztere  sich  förmlich  umrolU.  Die  ganze 
Bewegung  macht  dabei  den  Eindruck,  als  würde  der  Lidrand  in  einer  sehr  weiten 
Spirale  um  den  freien  ßand  des  Lidknorpels  nach  innen  und  hinten  gedreht. 

Sind  durch  den  krampfhaft  afficirten  Muse,  subtarsalis  die  Lidrandflächen 
einmal    nach    innen   gekehrt,    so    thut    die  Hauptmasse   des   Kreismuskels    leicht  das 


Mechauisclie  Wirkung  der  Litlkrämpfe;  liiitrupiuiii  souili',  urgiiuitum.  529 

üln'ig'e,  um  die  EhiHtülpnmj  zu  vervolhtlhidigen.  Es  beschreiben  deren  Faserbündcl 
nämlich  eine  doppelte  Curve,  einmal  in  senkrechter  Richtung,  das  andere  Mal  in 
wagrechter,  von  vonie  nach  hinten ,  und  üben  bei  ilu'en  Contractionen,  indem  sie 
sich  aus  dem  Bogen  in  dessen  Sehne  zu  verkürzen  suchen,  einen  Druck  auf  die 
in  ihrer  Concavität  gelegenen  Theile  aus.  Dieser  Druck  wirkt  in  der  einen  und 
in  der  anderen  Richtung  je  nach  Massgabe  der  respectiveii  Krüinmumj  der  Fleisch- 
bündel. Die  innerfiten  Faserlagen  ziehen  bei  t/eschlosseiie)-  Lidiqndte  fast  horizontal 
über  die  grösste  Convexität.  Iln-e  Wirkung  in  verticaler  Richtung  ist  dann  also 
fast  Null,  während  sie  in  horizontaler  Richtung  das  Maximum  erreicht  und  ganz 
geeignet  ist,  die  äussere  Lidlefze  um  ein  weiteres  dem  Bulbus  zu  nähern,  in  ge- 
wisser Beziehung  also  die  Wirkung  des  M.  subtarsalis  zu  verntärken.  Ist  aber  die 
äussere  Lefze  dem  Bulbus  stark  genähert,  so  bildet  der  yesuvirnte  Lidtheil  des 
Kreismuskels  nicht  mehr  eine  einzige  Wölbung ,  sondern  die  obere  und  die  untere 
Hälfte  je  eine  für  sich,  und  diese  beiden  Wölbungen  stossen  an  der  Lidspalte 
unter  einem  nach  hinten  sehenden  Wiiikel  auf  einander.  Dieser  Winkel  wird  dann 
noch  weiters  verkleinert  durch  die  Wirkung  der  ferner  stehenden  Faserbündel  des 
Kreismuskels,  da  diese  die  Lidränder  mit  um  so  grösserer  Kraft  zusuvtmenjjressen, 
je  stärker  die  Krümmung  in  verticaler  Richtung  ist.  Es  wirken  also  der  M.  sub- 
tarsalis und  sänimtliche  Fasei'bündel  des  Lidtheiles  des  Kreismuskels  zusammen, 
um  die  Lidränder  zum  Ausweichen  nach  hinten  zu  bestimmen  und  es  kömmt  nur 
auf  die  Kraft  an,  mit  welcher  sich  die  Muskeln  contrahireu,  ob  ein  Entropium 
zu  Stande  kömmt,  oder  nicht.  Ist  dann  der  Lidrand  einmal  eingestülpt,  so  ist  die 
Stellung  der  beiden  Hälften  des  Kreismuskels  der  ferneren  Steigerung  des  Entro- 
piums um  so  günstiger,  vind  hat  sich  einmal  das  Lid  wirklich  timgeschlagen,  so  genügt 
schon  die  Wirkung  des  mechanisch  gezei'rten  M.  subtarsalis,  um  die  Einstülpung 
zur   Umrollung  zu  gestalten. 

Es  erklärt  sich  nach  allem  dem ,  warum  Äbschleifungen  der  inneren  Lidlefze 
so  wie  Ahrundungen  der  Lidränder  das  Entropium  sehr  begünstigen.  Sie  erleichtern 
eben  das  Ausweichen  nach  hinten  und  macheu  überdies  durch  Annäherung  der 
äusseren  Lefze  an  den  Bulbus  einen  Theil  der  zur  Entropionirung  erforderlichen 
Muskelwirkimg  überßüssig.  Es  ist  weiters  auch  klar,  dass  starke  Schwellungen  der 
Conjunctiva  der  Einstülpung  der  Lider  förderlich  sind.  Sie  drängen  nämlich  die 
Lidränder  etwas  vom  Bulbus  ab ,  sind  aber  nicht  resistent  genug ,  um  dem  Aus- 
weichen derselben  nach  hinten  ein  bedeutendes  Hinderniss  zu  setzen.  Dazu 
kömmt  dann  noch,  dass  solche  Schwellungen  in  der  Regel  besonders  stark  im 
Uebergangstheile  der  Bindehaut  hervortreten,  dass  sie  daher  die  Flächen  der  beiden 
Lider  gewöhnlich  weit  mehr  nach  vorne  drängen,  als  die  straffer  gespannten  Lid- 
ränder  und  dass  sie  sonach  schon  von  vorneherein  den  Winkel  sehr  verkleinern, 
unter  welchem  die  beiden  Hälften  des  Kreismuskels  auf  einander  wirken. 

Selbstverständlich  hat  auf  das  schwierigere  oder  leichtere  Zustande- 
kommen eines  Entropiums  auch  die  Resistenz  des  Knorpels  einen  sehr  ge- 
wichtigen Eintluss.  Je  geringer  diese,  um  so  leichter  kömmt  es  zur  wahren 
Einstülpung.  Daher  findet  man  das  Entropium  auch  viel  häufiger  am 
unteren  Lide,  als  am  oberen;  es  entwickelt  sich  mit  Vorliebe  im  Verlaufe 
von  Ophthalmien,  welche  mit  starker  Lockerung  und  Schwellung  des  Knor- 
pels eiuhergehen  und  kömmt  ganz  unverhältuissmässig  häufig  bei  Greisen 
mit  welker  schlaffer  Haut  vor.  Bei  letzteren  genügen  bisweilen  schon 
ganz  geringfügige  Lidkrämpfe,  um  das  untere  Lid  zu  entropioniren,  ein  Um- 
stand, welcher  sich  mitunter  in  der  missüchsten  Weise  geltend  macht  nach 
Staaroperationen,  besonders  wenn  etwa  noch  ein  schlecht  angelegter  Ver- 
band oder  ein  unrichtig  angeheilter  und  am  unteren  Lidrande  sich  stem- 
mender Hornhautlappen  förderüch  mitwirkt. 

Es  sind  Lidkrämpfe  übrigens  durchaus  kein  unerlässliches  Erforderniss 
zur  Entstehung  von  Entropien.  Es  genügen  zur  wahren  Einstülpung  der 
Lider  die  normalen  Kraftäusserungen  der  Lidmuskeln,  wenn  durch  Schrum- 
pfungen des  Knorpels,  z.  B.  in  Folge  von  Trachom,  durch  Symblepharon, 
durch   narbige    Contractionen   der    äusseren    Lidhaut    oder    der    Conjunctiva 

st  eil  wag,  Augenheilkunde.  34 


530  Entropium;  Behandlung;  Canthoplastik. 

Theile  der  Lidräuder  oder  diese  ihrer  ganzen  Länge  nach  in  eine  falsche 
gegenseitige  Stellung  gekommen  sind,  vermöge  welcher  sie  bei  Schliessung 
der  Lidspalte  unter  einem  nach  einwärts  sehenden  Winkel  auf  einander 
stossen.  Ausserdem  führt  Abspannung  der  Augendeckel  wegen  phthisischem 
Untergange  oder  wegen  Exstirpation  des  Bulbus,  ganz  abgesehen  von  etwaigen 
kr'djligeren  Contractioneu  des  Kreismuskels,  in  der  Regel  zur  Verengerung 
der  Lidspalte  und  zur  Einwärtskehrung  der  Lidränder,  indem  dann  eben 
die  Widerstände  wegfallen,  welche  sich  sonst  der  Wirkung  dieser  Muskeln 
entgegenstellen  (Entropium  organicum.) 

Behandlung.  Deren  Aufgabe  ist  in  erster  Linie,  der  Entstehung  und 
Consolidirung  von  Entropien  entgegenzuwirken.  Ist  die  Einstülpung  bereits 
älteren  Datums  und  fusst  sie  theilweise  sogar  auf  ständigen  materiellen  Ver- 
änderungen der  Lider  oder  des  Bulbus,  so  zielt  die  Lidication  darauf  hin, 
den  betreffenden  Augendeckel  in  seine  normale  Stellung  rückzustülpen  und 
darin  unter  thunlichster  Schonung  seiner  Gestalt,  Grösse  und  Functions- 
tüchtigkeit  auf  operativem  Wege  für  die  Dauer  zu  fixiren. 

1.  In  erster  Beziehung  ist  richtige  Behandlung  des  Grundleidens  das 
Haupterforderniss.  Li  der  Kegel  schwindet  unter  einem  rationellen  Kur- 
verfahren der  Lidki'ampf,  worauf  nicht  selten  geringgradige  und  frische 
Entropien  voii  selber  zurückgehen,  wenn  nicht  Formveränderungen  der  Lid- 
ränder oder  Erschlaffung  der  Theile  im  Wege  stehen.  Zum  mindesten  wird 
durch  eine  solche  Behandlung  der  Blepharospasmus  insoweit  besänftigt, 
dass  sich  die  gegen  die  Einstülpung  der  Lider  direct  gerichteten  Heilme- 
thoden leichter  und  mit  grösserer  Aussicht  auf  Erfolg  durchführen  lassen. 
Nöthigenfalls  wird  neben  der  Behandlung  des  Grundleidens  auch  noch  dem 
Lidkrampfe  speciel  Rechnung  zu  tragen  sein.   (Siehe  Blepharospasmus.) 

2.  Als  directes  Mittel  gegen  das  Entropium  spasticum,  besonders  des 
unteren  Lides,  steht  oben  an  die  Canthoplastik  (S.  513).  Wo  die  Lidränder 
ihre  normale  Form  bewahrt  haben,  genügt  diese  Operation  wirklich  sehr 
häufig,  um  trotz  Fortbestand  eines  heftigen  Lidkrampfes  die  Einstülpung 
wirksam  hintanzuhalten.  Um  so  mehr  kann  man  hierauf  rechnen,  wenn 
der  Blepharospasmus  bereits  an  Heftigkeit  abgenommen  hat,  indem  mit  der 
operativen  Rückstülpung  des  Lides  zugleich  eine  wichtige  Ursache  der 
Fortdauer  des  Ki-ampfes  behoben  wird.  Am  sichersten  kömmt  man  zum 
Ziele  beim  Entropium  senile,  wo  die  spastische  Affection  minder  hervor- 
sticht und  die  Einstülpung  zum  grossen  Theile  auf  die  Lockerung  und 
Weichheit  des  Gefüges  der  Lider  geschoben  werden  muss. 

In  günstigen  Fällen  dieser  Art,  besonders  wenn  der  noch  bestehende  Lid- 
krampf zumeist  oder  lediglich  von  der  mechanischen  Reizwirkung  des  entropionirten 
Lides  abhängt,  bei  richtiger  Stellung  des  letzteren  also  aufzuhören  verspricht,  kann 
man  wohl  auch  die  Einheilung  einer  Bindehautfalte  in  den  Wundwinkel  mngehen 
und  sich  auf  die  einfache  Durchtrennung  der  äusseren  Commissur  beschränken.  Es  ist 
hierbei  jedoch  nothweudig,  den  Schnitt  nicht  horizontal,  also  in  die  Verlängerung 
der  Lidspalte  zu  legen,  sondern  ihn  schräg  nach  aussen  und,  da  es  sich  wohl  immer 
um  das  jmtere  Lid  handelt,  nach  abwärts  zu  führen.  Ein  loagrechter  Schnitt  trifft 
nämlich  die  Fascia  tarsoorbitalis  gerade  in  ihrem  mächtigsten  Theile,  dem  soge- 
nannten äusseren  Lidbande,  und  vermag  nicht,  selbe  zu  entspannen.  Zudem  läuft 
er  gerade  durch  jene  Partie  der  Orbicularisbündel,  welche  von  derben  Scheiden 
straffer  an  die  Unterlage  gelöthet  sind ;  der  Muskel  bleibt  also  an  beiden  Endpunkten 
fixirt  und  verliert  wenig  von  der  ihm  eigenthümlichen  Wirkung.  Die  Nichtbeachtung 
dieses  anatomischen  Verhältnisses  erklärt  es,  dass  die  Durchtrennuug  der  äusseren 
Commissur,    beziehungsweise    die    Canthoplastik,   nicht   allenthalben    die    verdiente 


Abschiiünuig  vuu  Hautt'alteii. 


531 


¥ig.  70. 


Wertlischätzung  findet  und  blos  für  jene  Fälle  zureichend  erachtet  wird,  in  welchen 
die  Lidspalte  sich  crlicblicli  verkürzt  hat  (Qraefe).  Wo  es  sich  um  ausyiehige  Erfolge 
handelt,  muss  in  der  That  die  Commissur  ■<>chräf/  durchschnitten  werden.  Je  schräger 
die  Wunde,  um  so  grösser  ist  die  Muskelentspannung. 

3.  Um  die  therapeutische  Wirkung  der  Canthoplastik  zu  erhöhen  und  zu 
sichern,  empfehlen  Manche,  diese  Operation  7nü  der  Ahschnürung  einer  horizontalen 
Hautfalte  und  der  iinterlagernden  Hluskelfasern  su  verbinden  ( Pagenstecher ).  Es  wird 
dieses  zusammengesetzte  Verfahren,  welches  man  auch  gerne  der  Transplantation 
und  der  Abtragung  des  Haarhodens  bei  Trichiasis  und  Distichiasis  substituirt, 
übrigens  nicht  blos  beim  spastischen^  sondern  auch  beim  organischen  Entropium  ge- 
rühmt, also  wo  Schrumpfungen  der  Bindehaut  oder  gar  des  Knorpels  bei  der  Lid- 
einstülpung  concurriren. 

Behufs  der  Abschnürung  zieht  der  Operateur,  während  ein  Gehilfe  den  Kopf 
des  Kranken  festhält,  die  äussere  Liddecke  in  der  Mitte  der  Breite  des  Augen- 
deckels mittelst  des  Daumens  und  Zeigefingers  der  linken  Hand  möglichst  weit  ab, 
und  fasst  sodann  einen  genügendbreiten 
Theil  dieser  Hautfalte  zwischen  die 
Arme  einer  Krückenzange.  Es  ist  hier- 
bei wohl  zu  achten,  dass  die  Falte 
wirklich  horizontal  laufe,  damit  der 
auf  die  äussere  Lefze  wirkende  Zug 
ein  gleichmässiger  sei.  Auch  muss  die 
gefasste  Hautfalte  so  breit  sein,  dass 
die  äussere  Lidlefze  einigermassen 
nach  atissen  gekehrt  erscheint.  Ist  die 
Falte  innerhalb  der  Krückenzange 
gehörig  gerichtet,  so  wird  erstlich 
(Fig.  70)  in  der  Nähe  der  äusseren 
Commissur  eine  mit  einem  stark  ge- 
wichsten Faden  armirte  krumme 
Nadel,  1'"  weit  von  der  äusseren 
Lefze  entfernt,  eingestochen,  ha7't  am 
Knoi-pel  unter  der  Hautfalte  fortge- 
geführt  und  dann  in  entsprechender 
Distanz  wieder  ausgestochen.  Ein 
zweiter  Faden  wird  in  der  Mitte  der  Lidbreite  oder  in  der  Gegend  der  grössteu 
Einstülpung  und  ein  dritter  nahe  der  inneren  Commissur  in  derselben  Weise  ein- 
geführt. Nun  wird  die  Krückenzange  entfernt,  jeder  einzelne  Faden  in  einen  Knoten 
geschürzt  und  fest  zusammengezogen  (Gaillard,  Rau). 

Es  ist  dieses  Manöver  sehr  schmerzhaft,  doch  verliert  sich  der  Schmerz  ziem- 
lich bald.  Es  entwickelt  sich  hierauf  eine  Entzündung.  Tritt  dieselbe  nicht  unter 
gar  zu  stürmischen  Erscheinungen  auf,  so  kann  man  sie  ganz  gut  sich  selbst  über- 
lassen, nur  muss  für  gutes  Verhalten  des  Kranken  gesorgt  und  die  Beioegung  der 
Lider  durch  einen  ScMitzverhand  mit  Baumwolle  gehindert  werden.  Bei  sehr  intensiven 
Entzündungssymptomen  können  Eisumschläge  in  Anwendung  gebracht  werden. 
Kömmt  es  zum  Erysipel,  so  thut  man  gut,  die  Hefte  zu  lösen  und  eine  andere 
Methode  zu  versuchen.  Widrigenfalls  bleiben  die  Hefte  liegen,  bis  sie  von  selbst 
durch  Eiterung  abgestossen  werden.  Durch  die  Entzündung  werden  die  in  die 
Ligatur  gefassten  Theile  der  Lider  unter  einander  verlöthet  und  wohl  auch  in  derbe 
sehnige  Narbenmassen  verwandelt,  welche  kurze  Zeit  nach  der  Verheilung  noch 
deutlich  zu  sehen  und  zu  fühlen  sind,  später  aber  sich  ziemlich  verlieren,  während 
das  Lid  gewöhnlich  in  seiner  normalen  Stellung  verharrt.  Mit  Sicherheit  darf  jedoch 
hierauf  nicht  gerechnet  werden,  weil  sich  die  Narben  unter  fortgesetzter  Zugwirkung 
der  Lidmuskeln  öfters  wieder  so  weit  ausdehnen,  dass  der  Lidrand  neuerdings  in 
eine  falsche  Stellung  geräth. 

4.  Diese  Unzuverlässlichkeit  der  Narben,  zusammengenommen  mit  der  laugen 
Dauer  und  den  Gefahren  der  entzündlichen  Reaction,  lässt  die  ÜDischnürung  einer 
Hautfalte,  für  sich  allein  durchgeführt,  als  kein  ztceckmässiges  Verfahren  anerkennen. 
Auch  steht  es  dahin,  ob  durch  die  mannigfaltigen  Modificationen  der  Operation  der 
Erfolg  genügend  gesichert  werde. 

34* 


532  Entropium;  Absclinüruug  v.  Muskelliüudeln ;  Entropiumzange;  Abziehuiig  der  Lider. 

So  durclischneiden  Manche  die  äussere  Liddecke  parallel  dem  freien  Lid- 
rande und  etwa  1'"  von  letzterem  entfernt  bis  auf  den  Muskel.  Hierauf  fassen  sie 
den  orbitalen  Wundrand  und  trennen  die  Cutis  vom  Orbicularis  los,  so  dass  eine 
breite  und  tiefe  Hauttasche  gebildet  wird.  Nun  führen  sie  das  eine  Ende  eines  mit 
zwei  Nadeln  armirten  Fadens  im  äusseren  Winkel  der  so  gebildeten  Wunde  hinter 
die  Orbicularisfasern  und,  der  vorderen  Knorpeloberfläche  entlang,  bis  an  den 
Grund  der  Hauttasche ,  allwo  sie  die  Nadel  durch  die  Liddecke  herausstechen. 
Das  zweite  Fadenende  wird  sodann  in  der  Hauttasche  vor  dem  Muskel  hinge- 
führt und  nahe  dem  ersten  Faden  durch  die  Haut  gestochen,  worauf  die  beiden 
Fadenenden  um  eine  Heftpflasterstreifenrolle  geknüpft  werden.  In  ganz  ähnlicher 
Weise  wird  ein  zweiter  Faden  vom  inneren  Winkel  aus  um  die  Fasern  des 
Orbicularis  geschlungen  und  so  durch  dessen  Knüpfung  der  Muskel  in  eine  Zick- 
zacklinie gebogen.  Das  Resultat  ist  eine  Ahziehung  des  Lidrandes  vom  Bulbus 
(Bowman). 

Andere  führen  bei  völlig  umgestülptem  Lide  die  mit  krummen  Nadeln  armir- 
ten Enden  eines  Fadens  durch  die  ganze  Dicke  des  Lides,  und  zwar  so,  dass  der 
eine  Faden  von  der  tiefsten  Stelle  des  Uebergangstheiles  der  Bindehaut  aus  den 
convexen  Band  des  Tarsus  durchdringt,  der  andere  Faden  aber  in  einiger  Entfer- 
nung davon  das  Augenlid  passirt.  Hierauf  werden  die  beiden  armirten  Fadenenden 
durch  die  äussere  Stichöffnung  zurück  an  der  vorderen  Fläche  des  Knorpels,  unter 
dem  Muskel  hinweg,  gegen  den  Lidraud  hin  geführt  und  knapp  an  der  äusseren 
Lefze  in  einer  gegenseitigen  Entfernung  von  etwa  2  Millimetern  ausgestochen,  hier- 
auf zusammengeschnürt  und  so  der  Lidrand  nach  aussen  gerichtet.  Nach  drei 
Tagen  kann  der  Faden  ausgezogen  werden,  wobei  darauf  zu  sehen  ist,  dass  nicht 
ein  Theil  desselben  zurückbleibe,  widrigenfalls  leicht  Verschwärungeu  das  Resultat 
sind.  Deren  Vermeidung  und  der  Umstand,  dass  keine  äusserlich  sichtbaren  Narben 
gesetzt  werden,  sind  ohne  Zweifel  wohl  zu  würdigende  Vortheile  dieser  Operations- 
methode gegenüber  den  anderen  Abschnürungsarten  (Snellen,  Mannhardt). 

Wo  es  sich  um  vorübergehende  Wirkungen  handelt,  wenn  z.  B.  der  sonst 
unveränderte  untere  Lidrand  während  einer  voraussichtlich  in  kürzester  Zeit  zu 
bewältigenden  Ophthalmie  krampfhaft  entropionirt  worden  ist,  kann  man  übrigens 
bisweilen  den  Heilzweck  auf  unblutige  Weise  erreichen,  indem  man  eine  breite 
horizontale  Hautfalte  aus  der  Fläche  des  Lides  zwischen  die  Arme  einer  federnden 
Entropiumzange  (Bonafont)  zwängt  und  so  den  Lidrand  in  seiner  normalen  Stel- 
lung erhält.  Es  ist  diese  Zange  nach  dem  Principe  der  Serres  fines  aus  federndem 
Pakfongdraht  gebildet,  ihre  beiden  Arme  sind  jedoch  abgeplattet  und  an  ihrer  In- 
nenseite zart  gerifft,  damit  sie  besser  haften.  Bei  starken  Contractionen  der  Muskeln 
pflegen  sie  sich  trotzdem  mit  der  Zeit  etwas  zu  verschieben ,  daher  es  gut  ist ,  die 
Zange  im  Laufe  des  Tages  ein  und  das  andere  Mal  wieder  in  die  entsprechende 
Lage  zu  bringen  und,  um  ausserdem  den  Druck  nicht  immer  auf  dieselben  Theile 
der  Haut  wirken  zu  lassen,  die  Stellung  des  Instrumentes,  so  weit  es  thunlich  ist, 
zu  wechseln.  Serres  fines  fVidalJ  drücken  die  Haut  zu  leicht  durch  und  erregen 
zu  heftige  Schmerzen,  als  dass  sie  verwendbar  wären. 

Weniger  belästigend  und  mindestens  eben  so  wirksam  ist  die  Faltung  der 
äusseren  Liddecke  mittelst  eines  durch  Collodium  an  der  Haut  befestigten  Leinwand- 
streifens (Bowman,  ArltJ.  Es  soll  ein  solcher  IV2"  langer  und  1/2"  breiter  Streifen 
mit  einem  Ende  unterhalb  des  inneren  Lidwinkels,  zwischen  der  Wangenlidfurche 
und  dem  Tarsal theile  des  Lides,  angeklebt  und  dann,  während  man  die  unter  der 
äusseren  Winkelfurche  gelegene  Haut  ihm  entgegenschiebt,  unter  strafi'er  Spannung 
nach  aussen  gelegt  werden,  um  schliesslich  sein  anderes  Ende  gleichfalls  zu  fixiren. 
Bestreichung  der  Fläche  des  Streifens  mit  Collodium  soll  vermöge  dessen  starker 
Schrumpfung  die  Zugwirkung  erhöhen.  Leider  lösen  die  Thränen  den  Verband 
häufig  bald  wieder  los. 

5.  Dauerhafter  ist  unstreitig  die  Zugwirkuug  von  Narben,  welche  sich 
auf  Suhstanzlücken  der  äusseren  Liddecke  entwickelt  haben.  Um  letztere 
zu  erzeugen,  hat  man  Aetzmittel  auf  die  äussere  Lidhaut  aufgetragen,  häu- 
figer aber  das  Messer  oder  die  Schere  in  Gebrauch  gezogen.  Als  die  ent- 
sprechendste Form  des  zu  entfernenden  Hautlappens  wurde  bald  ein  queres, 
bald   ein  senkrechtes  oder  schräges    Oval  genannt.      Um  die    Zugwirkung  zu 


Ansschnoidung'  von  Hautfalten. 


533 


Fig.  71. 


steigern,  ist  es  nothwendig,  das  Lid  bis  zur  definitiven  Wundverheilung 
durch  Pflasterstreifen  in  der  gewünschten  abgezogenen  Stellung  zu  erhalten. 
Wird  diese  V^orsicht  nicht  gebraucht,  so  bleibt  der  Erfolg  gerne  hinter  den 
Erwartungen  zurück.  Die  gleichzeitige  Ausschneidung  des  blosgelegten 
Krcismuskeltheiles  (Himly)  ist  kaum  erforderlich. 

Manche  legen  das  Hauptgewicht  auf  die  horizontale  Anstraffung  der 
mittleren  Zone  der  äusseren  Lidhaut,  da  diese,  besonders  bei  Entropien 
des  unteren  Lides,  am  meisten  ausgedehnt  zu  sein  pflegt.  Sie  empfehlen 
daher,  statt  ovalen  Lappen  ein  Dreieck  aus  der  Liddecke  auszuschneiden,  des- 
sen 3'" — 5'"  lange  Basis  parallel  dem  freien  Lidrande  läuft.  Es  wird  zu 
diesem  Ende  (Eig.  71)  eine  Hornplatte  unter  das  Lid  geschoben  und  1 V2'" 
von  der  äusseren  Lefze  entfernt,  ein  dieser  paralleler,  also  fast  wagrechter 
Schnitt  durch  die  Liddecke  geführt,  welcher  jederseits  um  1—2'"  von  der  ver- 
ticalen  Flucht  der  Commissuren  zurückbleibt.  Ist  dieses  geschehen,  so  wird 
mit  zwei  gegen  den  Orbitalrand  convergirenden  Hautschnitten  das  Dreieck 
abgegrenzt  und  durch  Präparation  entfernt.  Dehnt 
sich  bei  alten  Leuten  die  Erschlaffung  ziemlich 
gleichmässig  gegen  die  orbitalen  Muskelbögen  aus, 
so  soll  dem  Lappen  besser  die  Form  eines  Spitz- 
bogens gegeben  werden.  Die  seitlichen  Schenkel  der 
Flächenwunde  sind  dann  nach  ausreichender  Lösung 
von  der  Unterlage  durch  2 — 3  Knopfnäthe  zu 
vereinigen ,  die  wagrechte  Schnittwunde  bleibt 
jedoch  der  spontanen  Verheilung  überlassen.  Die 
Form  der  Narbe  ist  selbstverständlich  ein  T.  Die 
seitliche  Verkürzung  des  Lides  soll  in  Fällen,  in 
welchen  die  Lidspalte  nur  einigermassen  geräumig 
war,  keine  erheblichen  Nachtheile  mit  sich  brin- 
gen ;  dort  aber,  wo  das  Entropium  von  vorneherein 

mit  Verengerung  der  Lidspalte  gepaart  war,  durch  eine  gleichzeitig  durch- 
geführte oder  vorausgeschickte    Canthoplastik  aufgewogen    werden   (Graefe). 

Andere  legen  beim  Entropium  des  unteren  Lides  die  Basis  des  auszu- 
schneidenden Dreieckes  ausserhalb  die  äussere  Conimissur.  Sie  spalten  diese 
vorerst  auf  i'"  Länge  in  horizontaler  Kichtung,  führen  dann  vom  unteren 
Wundrande  zwei  nach  abwärts  convergirende  gerade  Schnitte  durch  die 
äussere  Haut  und  präpariren  den  so  umschriebenen  triangulären  Lappen 
von  dem  Muskel  los.  Hierauf  befestigen  sie  den  inneren  Kand  der  Flächen- 
wunde  an  den  äusseren  durch  Knopfnäthe,  spannen  also  die  Liddecke  in 
querer  Richtung  und  heben  selbe  etwas.  Man  rühmt  dieses  Verfahren  sehr, 
wo  das  Entropium  hauptsächlich  von  Bindehaut-  und  Knorpelschrumpfung 
abhängt  und  mit  Blepharopliimosis  einhergeht,  wie  dies  nach  hochgradigen 
Trachomen  öfters  vorkömmt  (Busch). 

Ist  beim  Entropium  des  oberen  Lides  der  Tarsus  geschrwnpft,  so  soll  vorerst 
ein  dreieckiger  Hautlappen  aus  der  Mitte  der  Liddecke  herauspräparirt  werden, 
dessen  Basis  dem  freien  Kunde  sicli  zukehrt  (wie  in  Fig.  71).  Hiei'auf  soll  der 
biosliegende  Tlieil  des  Kreismuskels  durch  Haken  vom  Operationsfelde  weggedrängt 
und  aus  dem  nun  an  die  Oberfläche  gelangten  Knorpel  gleichfalls  ein  Dreieck 
ausgeschnitten  werden,  das  seine  Basis  jedoch  dem  Orhitalrande  zuwendet  und 
mit  der  Spitze  hart  an  den  freien  Rand  des  Tarsus  reicht,  ohne  diesen  aber  zu 
durchtrennen.  Die  Lidbindehaut  soll  hierbei  geschont ,  der  Knorpellappen  von  ihr 
also  blutig  gelöset  werden.    Die   Vereinigung  der   Wunde  hat  wieder  durch  mehrere 


534  Entropium;  Behandliiiig;  Kxstirpiitioii  des  Knorpels;  Quellen. 

Knopfnähte  zu  geschehen,  welche  die  Seitenschenkel  des  Hautdreieckes  in  einer 
senkrechten  Linie  zusammenziehen  und  deren  mittelste  zugleich  die  oberflächlichen 
Lagen  des  Knorpehoundrandes  in  sich  fasst  (Gvaefe).  Leider  ist  die  Schliessung 
der  Tarsuswunde  ohne  Faltung  ihrer  horizontal  streichenden  Basis  nicht  möglich, 
ein  Umstand,  welcher  der  Verheilung  sehr  misslich  in  den  Weg  treten  muss. 
Vielleicht  entspricht  ein  myrtheiihlatfförmiger  Knorpelausschnitt  mit  verticaler  Axe 
und  je  nach  Bedarf  stärker  oder  schwächer  ausgebauchten  Seitenr'dndern  dem 
Zwecke  besser.  In  letzterer  Zeit  wurde  der  Vorschlag  gemacht,  den  Lidknorpel, 
falls  er  sehr  degenerirt  und  verkrümmt  ist,  gänzlich  zu  exstirpiren.  Es  soll  zu 
diesem  Behufe  vorerst  ganz  so ,  wie  bei  der  Transplantation  des  Haarbodens 
(S.  522)  vorgegangen  werden.  Ist  die  vordere  Knorpelfläche  sodann  durch  den  halb- 
mondförmigen Ausschnitt  der  äusseren  Liddecke  biosgelegt,  so  soll  von  der  Wunde 
der  Lidrandfläche  aus  der  Tarsus  mittelst  eines  Scalpells  von  der  Bindehaut  los- 
gelöst und  mittelst  der  Schere  bis  auf  seine  obere  Randzone  entfernt  werden, 
worauf  die  halbmondförmige  Hautlücke  durch  Knopfuäthe  zu  schliessen  und  ein 
geeigneter  Verband  anzulegen  ist  (Pope). 

6.  Kömmt  man  mit  diesen  Operationen  nicht  zum  Ziele,  streifen 
abermals  die  Cilien  am  Bulbus,  so  bleibt  nichts  übrig;  als  die  Abtragung 
des  Haarbodens  (S.  522) 

7.  Ist    Phthisis    oder  Exstirpation    des    Bulbus    die    Verarilassung  eines 

wegen  Einwärtskehrung  der  Wimpern  lästigen  und  gefährlichen  Entropiums, 

so    thut    man    am    besten,   ein  künstliches  Auge  einzulegen,   eine    Operation  ist 

fast  immer  überflüssig. 

Quellen:  Himly,  Krankheiten  und  Missbildungen.  I.  Berlin.  1843.  S.  120,  125 
129,  132.  —  Mackenzie,  Traite  d.  mal.  d.  yeux.  Traduit  p.  Warlomont  et  Testelin, 
I.  Paris.  1856.  S.  307,  310.  —  Desmarres,  Traite  d.  mal.  d.  yeux.  Paris.  1847. 
S.  44,  50.  —  Arlt,  Die  Krankheiten  des  Auges.  III.  Prag.  1856.  S.  365;  A.  f.  O. 
IX.  1.  S.  94;  Zeitschrift  der  Wiener  Aerzte.  1861.  Wochenblatt.  S.  87.  —  Stellwag, 
Ophth.  II.  S.  908,  922.  —  Graefe,  A.  f.  O.  X.  2.  S.  221,  223,  224.  —  Bonafont, 
L'union  med.  1861.  Nro.  27.  —  Vidal ,  nach  Mackenzie  1.  c.  S.  311.  —  Busch, 
A.  f.  O.  IV.  2.  S.  107.  —  Pagenstecher  und  Saemisch,  klin.  Beobachtungen.  I. 
Wiesbaden.  1861.  S.  6;  Congres  intern,  d'ophth.  Paris.  1863.  S.  241.  —  Secondi, 
Clinica  di  Genova,  Eiassunto,  Torino.  1865.  S.  122.  —  Raii,  A.  f.  O.  I.  2.  S.  176, 
178.  —  Gaillard,  nach  Rau  1.  c.  —  Bouman,  nach  Mackenzie  1.  c.  S.  311  und 
Niemetschek ,  Prag.  Vierteljahrschrift.  78.  Bd.  S.  97.  —  Snellen,  Congres  intern, 
d'ophth.  Paris.  1863.  S.  236.  —  Vauquelin,  De  l'applicat.  de  la  suture  enchevillee. 
Paris.  1853.  S.  20,  26.  —  Mannhardt,  A.  f.  O.  XIV.  3.  S.  42,  45.  —  Pope,  Arch. 
f.  Augen-  u.  Ohrenhlkde.  I.  S.  68. 


5.  Das  Ectropium. 

Pathologie  und  Krankheitsbild.  Die  Auswärtskehrung  beschränkt 
sich  bisweilen  auf  einen  Theil  des  einen  oder  des  anderen  Lidrandes. 
Meistens  jedoch  ist  das  Ectropium  insoferne  ein  totales ,  als  der  Lidrand 
seiner  ganzen  Länge  nach  in  eine  falsche  Stellung  gekommen  ist.  Es  betrifft 
das  Ectropium  öfters  das  untere  als  das  obere  Lid,  findet  sich  übrigens 
auch  an  beiden  Augendeckeln  des  einen  oder  beider  Augen. 

Man  kann  mehrere  Grade  des  Ectropiums  unterscheiden.  Auf  der 
niedersten  Entwickelungsstufe  ist  es  niir  eine  Abhebung  der  inneren  Lidlefze, 
ein  nicht  völlig  genaues  Anschliessen  des  Lidrandes  an  den  Bulbus.  Li 
anderen  Fällen  erscheint  der  Lidrand  in  Wahrheit  nach  auswärts  gekehrt, 
er  steht  vom  Bulbus  ah  und  seine  Intermarginaliläche  sieht  nach  vorne. 
Beim  Lidschlusse  trifft  der  Rand  des  gesunden  Lides  auf  den  vordersten 
Theil  der  Innenfläche  des  kranken  Augendeckels  und  schiebt  sich  gleichsam 


Ectropium;  Patholofjic  niul  KruiikUeiishild.  535 

hinter  diesen  hinein ;  oder  es  stossen,  falls  beide  Lider  in  gleicher  Weise 
alterirt  sind,  die  lländer  derselben  unter  einem  spitzen,  nach  vorne  sehenden 
Winkel  auf  einander.  Als  dritten  Grad  kann  man  die  ümstülpung  des  Lides 
als  solchen  bezeichnen.  Der  betreffende  Augendeckel  ist  in  seiner  verticalen 
Breite  umgebogen,  die  Flüche  des  Lidrandes  sieht  nach  unten,  beziehungs- 
weise nach  oben,  beim  Lidschlussc  trifft  das  gesunde  Lid  auf  die  Umbiegungs- 
linie  der  Lldbindehaut,  deren  Jiandzoue  bleibt  demnach  entblösst.  Die  äussere 
Commissur  erscheint  dabei  in  der  Regel  verrückt,  sie  sinlct  beim  Ectropium 
des  unteren  Lides  beträchtlich  nach  abwärts,  beim  Ectropium  des  oberen 
Lides  aber  wird  sie  emporgezogen.  Die  höchsten  Grade  des  Ectropium  endlich 
stellen  sich  als  eine  totale  Umkehrung  des  Lides  dar.  Dieses  hat  sich  zur 
Oberfläche  des  Bulbus  in  einen  stumpfen  Winkel  gestellt,  seine  hintere 
Fläche  ist  zur  vorderen  geworden,  so  dass  die  ganze  betreffende  Hälfte  des 
Conjunctivalsackes  zu  Tage  liegt  und  der  Bulbus  gar  nicht  oder  nur 
schwierig  mehr  gedeckt  werden  kann. 

In  der  Natur  sind  diese  vier  Grade  begreiflicher  Weise  nicht  scharf 
von  einander  getrennt,  sondern  hängen  durch  zahlreiche  Zwischenglieder 
mit  einander  zusammen.  Die  Umstülpung  des  Lides  entwickelt  sich  übrigens 
nicht  selten  aus  einer  vorläufigen  Auswärtskchrung  des  Lidrandes  und  dieser 
geht  oft  eine  blosse  Abhebung  des  letzteren  voran. 

Die  gradweise  Zunahme  des  Ectropiums  erscheint  dann  bedingt  durcli  das 
Fortbestehen  der  disponirenden  Momente,  besonders  aber  durch  die  mit  der  fal- 
sclien  Stellung  der  Lidränder  zu  einander  veränderte  Wirkung  des  Orhicular-is. 
Es  treibt  nämlich,  falls  die  Lidränder  unter  einem  nach  vorne  sehenden  spitzen 
Winkel  auf  einander  stossen,  die  Hauptmasse  der  Kreismuskelfasern  beim  Lid- 
schlusse  die  Lidränder  mit  überwiegender  Kraft  nach  vorne.  Die  dem  Lidrande 
nächsten  Bündel  des  Orbicularis  mit  dem  Subtarsalmuskel  sind  viel  zu  schwach, 
um  diesem  Drucke  das  Gleichgewicht  zu  halten.  Sie  fvöunen  sich  daher  nur  da- 
durch verkürzen,    dass  sie  den  nach  auswärts   gekehrten  Lidrand  völlig  umstülpen. 

Die  veränderte  Stellung  der  Lidränder  zur  Oberfläche  des  Bulbus  ist 
der  normalen  Thränenleitung  hinderlich.  Ist  das  untere  Lid  ectropionirt, 
so  sammeln  sich  unverhältnissmässig  grosse  Mengen  von  Thränen  in  der 
tiefen  Furche  zwischen  der  inneren  Fläche  des  abgehobenen  unteren  Augen- 
deckels und  der  Bulbusconvexität.  Das  Auge  scheint  daher  in  Thränen 
zu  schwimmen,  namentlich  wenn  äussere  Beize  auf  dasselbe  wirken.  Eine 
unmittelbare  Folge  dessen,  sowie  auch  einfacher  Abhebungen  des  oberen 
Lidrandes,  sind  Störungen  des  Sehvermögens  wegen  ungleichmässiger  Be- 
feuchtung der  Hornhaut  beim  Lidschlage.  Bei  den  höheren  Graden  des 
Ectropiums,  besonders  des  unteren  Lides,  überfliesscn  avoIiI  auch  die  Thränen, 
sobald  sie  sich  in  grösserer  Menge  sammeln  und  bedingen  Excoriationen 
der  Wangenhaut,  Entzündungen  derselben  und  in  deren  weiterer  Folge 
Schrumpfungen  des  Integumentes,  welche  eine  Gradsteigerung  des  Ectropiums 
mit  sich  bringen.  Die  Einwirkung  der  atmosphärischen  Luft  und  anderer 
äusserer  Schädlichkeiten  auf  blosgelegte  Theilc  der  Bindehaut  oder  gar  auch 
der  Cornea  führt  endlich,  wenn  auch  langsam,  zu  ähnlichen  krankhaften 
Vorgängen,  wie  das  Entropium.  Die  Bindehaut  wird  in  einem  fortwähren- 
den Reizzustande  erhalten  und  hypertrophirt,  sie  überzieht  sich  mit  ver- 
hornendem Epithel,  schrumpft  am  Ende,  während  der  mitleidende  Knorpel 
atrophirt,  unter  mannigfaltigen  Verkrümmungen  sich  zusammenzieht  und 
erhärtet.  Die  Hornhaut  trübt  sich  dann  meistens  pannös,  wenn  sie  nicht 
gar  unter  den  häufigen  Entzündungsanfällen  durch  Verschwärung  geschädigt 


536  Ectropium;  Ursachen;  Ectropium  paralytienm,  senile,  luxurians  s.  sarcomatosura. 

oder  vernichtet  wii-d.  Zu  allem  dem  kommen  in  den  späteren  Stadien 
höhergradiger  Ectropien  öfters  Schrumpf imgc.n  des  Thränensaches ;  dieser, 
wenn  er  Jahre  laug  nicht  gefüllt  wurde,  verkleinert  sich  mehr  und  mehr 
unter  Degeneration  seiner  Wandungen  und  wird  am  Ende  unfähig,  seine 
normalen  Functionen  wieder  aufzunehmen  (A.    Weber^ 

Die  Ursachen  des  Ectropiums  sind  überaus  mannigfaltig.  1.  In  ein- 
zelnen Fällen  ist  Functionsschiväche  oder  wirkliche  Lähmung  des  Kreismuskels 
die  hauptsächlichste   Veranlassung.      Insoferne  können 

Gehirnleiden  oder  Leitungshemmungen  im  Bereiche  des  Nervus  facialis 
das  ätiologische  Moment  abgeben  (Ectropium  paralyticum).  Bei  den  nieder- 
sten Graden  der  Parese  äussert  sich  der  krankhafte  Zustand  blos  durch 
weniger  festes  Anschliessen  des  Lidrandes  an  den  Bulbus  und  durch  gehin- 
derte Thränenleitung.  Bei  den  höheren  Graden  der  Parese  jedoch  hängt  das 
untere  Lid  schlaf  herab  oder  schlägt  sich  wohl  auch  förmlich  um,  wäh- 
rend das  obere  Lid  durch  den  Levator  palp.  sup.  emporgehoben  und  so  der 
Augapfel  entblösst  wird   (Lagophthalmus  paralyticus). 

Anderseits  kann  die  Functionsbehinderung  des  Kreismuskels  auch  in 
Veränderungen  der  Fleischbündel  selber,  vornehmlich  in  Atrophie  derselben, 
ihre  Quelle  haben  und  durch  vorausgegangene  Entzündungen  der  Lider, 
Abscesse  u.  s.  w,,  ferner  durch  übermässige  Ausdehnung  der  Lidränder  von 
Seite  orbitaler   Geschwülste  etc.,   begründet  worden  sein. 

Am  gewöhnlichsten  ist  die  Schwäche  des  Kreismuskels  jedoch  der 
Ausdruck  hochgradiger  seniler  Involution.  In  der  That  ist  das  Herabsinken 
des  unteren  Augendeckels  bei  hochbetagten  Greisen  keine  sehr  seltene  Er- 
scheinung, namentlich  wenn  das  Individuum  seit  langer  Zeit  an  chroni- 
schem Bindehautkatarrhe  gelitten  hat,  da  dann  meistens  der  Knorpel  in  Mit- 
leidenschaft gezogen  wird,  sich  auflockert,  seine  Steifigkeit  einbüsst,  sich 
etwas  ausdehnt  und  sohin  dem  Bulbus  nicht  mehr  fest  anschliesst,  also  zu 
dem  anderen  Lide  leicht  in  eine  falsche  Stellung  geräth.  Der  Beginn  des 
Leidens  ist  in  solchen  Fällen  häufig  eine  leichte  Eversion  des  Hinteren  Thrä- 
nenpunktes.  Das  damit  gesetzte  Thränenträufeln  führt  zu  Entzündungen 
und  weiterhin  zu  Schrumpfungen  der  äusseren  Lidhaut,  die  ihrerseits 
wieder  eine  Ursache  der  Grad  Steigerung  des  gesammten  Kranldieitszustandes 
werden  (Ectropium   senile). 

2.  Die  Auflockerung,  Eriveichung  und  ganz  vorzüglich  die  Ausdehnung 
des  Lidknorpels,  macht  auch  hochgradige  Trachome  zu  einer  sehr  ergiebigen 
Quelle  von  Ectropien.  Besonders  gerne  kömmt  es  unter  solchen  Verhält- 
nissen dann  zur  Umstülpung,  wenn  der  Process  eine  Zeit  lang  unter 
starker  Schwelhing  der  Augajyfclbindehaut  verlief  und  nebstbei  aus  irgend 
einer  Ursache  Lidkrämpfc  angeregt  wurden.  Es  ist  nämlich  schon  die 
entzündliche  Auflockerung  des  Knorpels  mit  einiger  Verlängerung  der  Lid- 
ränder gepaart  und  diese  nimmt  beträchtlich  zu,  wenn  von  hintenher  ein 
Druck  auf  die  Lider  wirkt.  Die  Lidränder  schliessen  daher  nach  der  Ab- 
schwellung  nicht  mehr  genau  an  den  Bulbus  an.  Unter  dem  Drucke  des 
Kreismuskels  stülpen  sie  sich  dann  immer  mehr  nach  vorne.  Am  Ende 
schlägt  sich  das  untere  Lid  ganz  um,  so  dass  die  geschwollene  und  von 
trachomatösen  Granulationen  rauhe  Lidbindehaut  blosliegt ,  während  der 
obere  Augendeckel  sehlatf  an  dem  Bulbus  herabhängt  (Eclropitim  luxurians 
oder  sarcomatosumj. 


Kctrciiiimii  im'cli:niiciiiii,  syiiip'"'"''*'''"'";  l'i'i-ilirosis.  537 

3.  Das  Ectropium  oiitwickelt  sicli  übrigens  au(;li  zieinlicli  häufig 
acut  im  V'crlaufe  der  Blennorrhoe,  der  I'yorrhoe,  der  Diphtlieritits,  überhaupt 
bei  Bindehautentzündungen,  welche  mit  starker  Chemosis  einhergehen  (S. 
433).  Wird  die  Rückstülpung  nicht  alsbald  bewerkstelliget,  so  dehnt  sich 
nach  und  nach  der  Knorpel,  vornc^lnulich  aber  der  am  meisten  gespannte 
Lidrand  aus  und  das  ]jid  verliert  die  Fähigkeit  sich  in  seiner  normalen 
Stellung  zu  behaupten,  um  so  mehr,  als  die  biosgelegte  Portion  der  Bin- 
dehaut sammt  dem  subconjunctivalen  Gewebe  in  Folge  der  anfänglichen 
Einschnürung  der  Bindehautwülste  und  wegen  der  dadurch  bedingten  me- 
chanischen Hyperämie  nicht  selten  hypertrophirt  und  in  Form  eines  mäch- 
tigen härtlichen  Tumors  aufgebläht  bleibt. 

4.  In  ähnlicher  Weise  kömmt  es  bisweilen  zu  Ectropien  des  unteren 
oder  beider  Lider,  wenn  sich  in  der  Bindehaut  oder  in  der  Orbita  umfang- 
reiche Aftergebilde  entwickeln,  oder  wenn  der  Augapfel  aus  irgend  einer 
Ursache  bedeutend  an  Umfang  zunimmt.  Es  werden  dann  nämlich  die 
Lider  mehr  und  mehr  nach  vorne  gebaucht,  ausgedehnt  und  wohl  auch  an 
der  Schliessung  gehindert.  Am  Ende  drängt  sich  der  Tumor  oder  der 
Bulbus  aus  der  Lidspalte  heraus  und  stülpt  so  die  Lidränder  um  (Ectro- 
pium mechanicum). 

5.  Nicht  minder  sind  Wmiden,  welche  das  Lid  seiner  ganzen  Dicke 
nach  in  einer  auf  den  Lidrand  senkrechten  oder  schiefen  Richtung  spalten, 
so  wie  geschiüürige,  krebsige,  lupöse  Zerstörungen  der  einen  oder  anderen 
Commissur  (Peribrosis^  eine  Quelle  mechanischer  Ectropien,  da  sie  den  Lid- 
rand seiner  natürlichen  Stützen  berauben.  In  neuerer  Zeit  kommen  öfters 
auch  Ectropien  beider  Lider  in  Folge  der  operativen  Durchschneidung  des 
inneren  Lidbandes  bei  Behandlung  von  mancherlei  Thränenschlauchleiden  vor. 

6.  Am  häufigsten  jedoch  liegt  dem  Ectropium  eine  Verkürzung  der 
äusseren  Lidhaut,  oder  eine  Zerrimg  derselben  durch  nachbarliche  schrum- 
pfende Narben  zu  Grunde  (Ectropium  symptomaticnm) .  Vorzüglich  neigt  das 
untere  Lid  vermöge  der  Kürze  seiner  Decke  und  der  Biegsamkeit  seines 
Knorpels  zu  einem  derartigen  Ectropium.  Doch  auch  das  obere  Lid  wird 
oft  durch  Narben  umgestülpt  und   sogar  völlig  umgekehrt. 

a.  Als  Ursache  der  A^erkürzung  der  äusseren  Lidhaut  wirken  bis- 
weilen chronische  Ophthalmien,  besonders  wenn  sie  mit  Thränentiuss  oder 
mit  reichlicher  Absonderung  schleimig  eiteriger  Producte  einhergehen  und 
so  die  äussere  Lidhaut  fortwährend  befeuchtet  wird.  Es  bedeckt  sich 
dann  die  letztere  allmälig  mit  einer  dicken  Schichte  spröder,  öfters  rissiger 
Epidermis,  während  das  Corium  selbst  hypertrophirt  und  weiterhin  zusam- 
menschrumpft, sich  verkürzt,  nachdem  vielleicht  auch  schon  der  Knorpel  sich 
aufgelockert  hat.  Es  ist  diese  Verkürzung  relativ  gering  und  reicht  nur 
hin,   das  untere  Lid  zu  ectropioniren. 

b.  Häufiger  ist  die  Verkürzung  der  äusseren  Lidhaut  eine  Folge  von 
Substanzverlusten  derselben  mit  nachfolgender  Entwickelung  schrumpfender 
Narben.  Risswunden  mit  consecutiver  Eiterung,  Verbrühungen,  Verbrennungen, 
Anätzungen,  confluirende  Blattern  und  Eczem,  Erysipel,  Absckss  der  Lider 
mit  Verschwärung  oder  Absterbung  der  Liddecke  geben  die  entfernteren 
Ursachen  ab.  Je  nach  der  Grösse  des  Substanzverlustes  wird  bisweilen 
der  grösste  Theil  oder  die  ganze  äussere  Lidhaut  durch  Narbengewebe  er- 
setzt,   oder  es  bilden  sich    blos   mehr  weniger    breite    und    dicke    Narben- 


538  Ectropium;  Ursachen;  Caries  orbitae;  Behandlung;   Verengerung  der  Lidspalten. 

stränge,  welche  entweder  ihrer  ganzen  Länge  nach  in  der  Lidhaut  wur- 
zeln, oder  brückenartig  von  einem  Punkte  zum  anderen  ziehen  und  das 
Integument  des  Augendeckels  in  Falten  emporheben. 

c.  Von  ganz  besonderer  Wichtigkeit  erscheint  in  dieser  Beziehung 
wegen  der  Häufigkeit ,  so  wie  wegen  der  Hochgradigkeit  und  schwie- 
rigen Heilung  der  dadurch  bedingten  Ectropien,  die  Caries  des  knochigen 
Orbitalrandes.  Es  wird  in  Folge  dieses  Leidens  nicht  nur  ein  grosser 
Tlieil  der  äusseren  Liddecke  zerstört,  durch  Narbengewebe  ersetzt  und  sohin 
ansehnlich  verkürzt,  sondern  die  ISTarbe  schliesst  auch  den  meistens  stark 
verkrümmten  Knorpel  und  eine  Portion  der  Fascia  tarso-orbitalis  in  sich 
und  hängt  unmittelbar  mit  dem  Knochen  zusammen.  Es  kömmt  diese  Caries 
am  häufigsten  an  der  unteren  äusseren  Partie  des  knöchernen  Orbitalrandes 
vor.  Entwickelt  sie  sich  an  dem  äusseren  Randtheile,  so  wird  diu'ch  die 
nachfolgende  Narbe  bisweilen  eine  partielle  Ausstülpung  des  oberen  oder 
unteren,  oder  beider  Augendeckel  in  der  Nähe  des  äusseren  Winkels  ver- 
anlasst. 

d.  Ausserdem  werden  bisweilen  ausgebreitete  schrumpfende  Narben 
in  der  Wangen-,  Stirn-  und  Schläfengegend  durch  Zug  auf  die  sonst  völlig 
normale  äussere  Lidhaut  Ursache  von  Ectropien. 

Die  Behandlung  verfolgt  dieselben  Zwecke  wie  beim  Entropium 
und  wechselt  natürlich  ausnehmend  je  nach  der  Verschiedenheit  des  Grund- 
leidens. 

1.  Beim  Ectropium  acutum  und  sarcomatosum  reicht  zur  Beseitigung 
der  falschen  Lidstellung  oft  die  richtige  Behandlung  des  entzündlichen 
Gewebswucherungsprocesses  und  die  Rückstülpung  des  etwa  umgeschlagenen 
Augendeckels  hin.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  jedoch  wird  nebstbei  ein 
zweckmässiger  Verband  angelegt  und  längere  Zeit  getragen  werden  müssen 
(S.  439).  Mit  Geduld  und  gehöriger  Umsicht  geleitet ,  führt  dieses 
Verfahren  oft  selbst  dort  zum  Ziele,  wo  der  untere  Lidrand  um  ein  Be- 
trächtliches verlängert  worden  ist.  Es  ziehen  sich  die  Theile  eben  wieder 
zusammen  und  das  Lid  schHesst  sich  regelrecht  dem  Bulbus  an. 

2.  Bleibt  der  Lidrand  in  solchen  Fällen,  oder  nach  operativen  Heil- 
versuchen bei  anderweitig  begründeten  Ectropien,  vom  Augapfel  leicht  ab- 
gehoben und  nach  vorne  gewendet :  so  leistet  die  Verengerung  der  Lidspalte 
gemeinighch  vortreffliche  Dienste.  Zu  diesem  Ende  sind  die  Randflächen 
der  einen  oder  nöthigen  Falles  beider  Commissuren  mit  Schonung  der 
wimpernbestandenen  äusseren  Lefze  eine  Strecke  weit  anzufrischen  und 
durch  Knopfnähte  zur  A'erwachsung  zu  bringen. 

Das  gleiche  Verfahren  empfiehlt  sich  bei  geringen  Graden  des  senilen 
und  beim  paralytischen  Ectropium,  ja  bei  letzterem  ist  es,  die  Unheilbarkeit 
der  Lähmung  vorausgesetzt,  überhaupt  der  einzige  nutzbare  Weg,  um  den 
Fehler  einigermassen  zu  verbessern  und  das  etwa  blosliegende  Auge  durch 
theilweise  Deckung  vor  äusseren  Schädlichkeiten  zu  schützen.  Nicht  minder 
wird  die  Verengerung  der  Lidspalte  öfters  in  cosmetischem  Interesse  aus- 
geführt, um  wirkliche  oder  scheinbare  Vortreibungen  des  Augapfels  zu 
maskiren. 

Wo  sich  ein  Ectropium  symptomaticum  wegen  ausgebreiteten  Sub- 
stanzverlusten der   äusseren    Haut,    der    Lider    oder    der   nachbarlichen    Por- 


Hlutige  Vi'riMiiiffiui};  ili'r  I,iilsitalti'iii-;iniici-.  539 

tionen  des  Gesichtes  in  Police  von  Verbrennungen,  Brand,  Anätzung  etc. 
zu  entwickeln  droht:  hat  der  llath  viel  für  sioli,  dici  Lidspalte  bis  auf  ein 
Kleines  zur  Verwachsung  zu  hringai  und  während  der  Sclirunipl'ungsperiode 
der  Hautnarben  verwachsen  zu  erhalten.  Ks  soUen  zu  diesem  Zwecke  unter 
Schonung  der  äusseren  Lefze  beide  Lich-iinder  ihrer  grössten  Länge  nach, 
von  den  Tliränenwärzchen  beginnend  bis  nalie  an  die  äussere  Coniraissur, 
wund  gcmaclit  und  sodann  durch  5 — G  Knopfuähte  vereinigt  werden.  Um 
die  Narbe  in  ihrem  Widerstände  zu  unterstützen,  soll  man  die  Lidspalte 
öfters  mit  Collodium  bestreichen.  Nach  mehreren  Monaten,  wenn  die  Haut- 
narben der  Umgebung  keine  weitere  Schrumpfung  mehr  l)efürchten  lassen, 
kann  dann  die  Trennung  der  Lidränder  auf  der  Hohlsonde  leicht  bewerk- 
stelligt werden  (Dehrou,  Mauvezin). 

Li  ähnlicher  Weise  ist  die  Knopfnaht  das  Mittel,  um  Ectropien, 
welche  durch  traumatische  oder  geschwürige  Zusammenhangstrennungen  der 
Lider  oder  der  Commissuren  begründet  werden,  zur  Heilung  zu  bringen. 
Sind  die  Spaltränder  bereits  verharscht,  so  müssen  selbe  natürlich  erst  auf- 
gefrischt werden.  Wenn  sie  aber  von  einer  unregelmässigen  derben  Narbe 
gebildet  werden,  tliut  man  wohl,  diese  durch  Bogenschnitte  zu  umgrenzen 
und  zu  entfernen,  ehe  man  zur  Wiedervereinigung  schreitet.  Es  braucht 
nicht  erst  erwähnt  zu  werden,  dass  die  Frischwunde  unter  solchen  Ver- 
hältnissen durch  die  ganze  Dicke  des  Lides  zu  legen  ist. 

Auch  wo  Durchschneidung  des  inneren  Lidbandes  die  Ursache  des  Ec- 
tropiums  ist,  lassen  sich  mit  der  blutigen  Vereinigung  des  inneren  Theiles 
der  LidrandÜächen  befriedigende  Resultate  erzielen.  Doch  tritt  hier  die 
Muskelwirkung  gerne  hinderlich  in  den  Weg.  Die  äussere  Haut  wird  nach 
Anfrischung  der  Commissur  von  den  Kreisfasern  stark  nach  vorne,  die 
Schleimhaut  mit  der  Carunkel  aber  von  der  Thränenlcammpartie  nach 
hinten  gezogen,  die  Wunde  auseinander  gezerrt  und  in  Folge  dessen  kömmt 
es  im  Winkel  gerne  zur  Eiterung.  Um  beide  Platten  thunlichst  an  einander 
zu  halten,  ist  es  daher  uothwendig,  auf  die  Angulargegend  einen  Druck  aus- 
zuüben. Zu  diesem  Zwecke  genügt  ein  derber,  etwa  haselnussgrosser  Char- 
piebausch,  welcher  auf  den  inneren  Winkel  gelegt  und,  nach  gehöriger 
Polsterung  der  Umgebung  mit  Watta  oder  Charpie,  durch  eine  straff  an- 
gezogene Flanellbinde  an  seine  Unterlage  gepresst  wird. 

Ueberhaupt  ist  Behinderung  der  Lidbewegungen  durch  einen  Schutz- 
verband eine  höchst  zweckmässige  Massregel  bei  allen  Lidoperationen  und 
sollte  während  der  ersten  Verheilungsperiode  niemals  verabsäumt  werden. 
Die  Wirkung  des  Kreismuskels  ist  nämlich  immer  mit  Zerrung  und  Deh- 
nung der  Wundränder  verbunden  und  diese  kann  den  Vernarbungsvorgang 
nur  ungünstig  beeinflussen. 

Eine  weitere  wichtige  Regel  ist  für  alle  Fälle,  in  welchen  die  ope- 
rative Behandlung  nicht  eine  vollständige  Herstellung  der  normalen  Tjoge  und 
Function  des  unteren  lÄdes  verspricht,  das  untere  Thränenrohr  zu  spalten,  um 
die  Thränenleitung  zu  fördern  und  den  üblen  Folgen  etwa  zurückblei- 
bender Störungen  derselben  zuvorzukommen  (Bowman).  Ist  gar  schon  eine 
Schrumpfung  des  Thränensackes  gegeben,  so  soll  man  nebstbei  die  Durch- 
gängigkeit der  Wege  durch  systematische  Sondiruugen,  wie  selbe  bei  der 
Behandlung  der  Thränenschlauchblennorrhoe  üblich  sind,  zu  vergrössern 
suchen. 


540  Ectropium;  Behandlung;  Fil  de  Florence;  Verengerung  der  Lidspalte. 

Im  Ganzen  ist  bei  Lidoperationen  die  Kopfnalit  der  uviscldungenen  weitaus 
vorzuziehen,  da  letztere  auf  die  unterlagernden  Theile  stark  drückt  und  fast  immer 
Eiterung  im  Gefolge  hat,  ausserdem  aber  auch  ganz  enthehrlich  ist.  Als  Bindemittel 
empfiehlt  sich  ganz  vorzüglich  die  Fischschnur,  Fil  de  Florence,  fälschlich  auch 
Seegras  genannt.  Es  wird  dieselbe  aus  dem  Gespinnstsecrete  der  Seidenraupe  dar- 
gestellt und  findet  sich  allenthalben  im  Handel.  Zu  octdistischen  Zwecken  sind  blos 
sehr  feine  Fäden  zu  brauchen ,  und  auch  diese  müssen  vor  der  Verwendung  eine 
Zeit  lang  in  heissem  Wasser  geiceicht  werden,  um  ihnen  die  Steifigkeit  zu  nehmen. 
Sie  haben  den  nicht  genug  zu  schätzenden  Vortheil,  dass  sie  selten  Eiterung  in  den 
Stichkanälen  anregen  und  daher  viel  länger,  als  Seide  oder  Zwirn,  liegen  gelassen 
werden  können,  ja  häufig  ohne  Suppuration  geradezu  einheilen,  jedenfalls  also  eine 
festere  Vereinigung  der  Wundränder  abzuwarten  erlauben  (Passavant).  Zu  Nähten 
in  der  Bindehaut  und  am  Augapfel  taugen  sie  jedoch  nicht,  da  die  abgeschnittenen 
Enden  zu  steif  werden  und  sehr  stark  reizen  oder  gar  wund  drücken. 

3.  Bei  Ectropien  des  unteren  Lides,  welchen  eine  ansehnliche  Ver- 
längerung des  freien  Lidrandes,  eine  Ausdehnimg  und  Erschlaffung  des 
Knorpels  zu  Grunde  liegt,  die  ihrerseits  wenig  oder  keine  Aussicht  auf 
gründliche  Beseitigung  zulässt :  muss  das  Lid  in  horizontaler  Richtung 
angestrafft  und  gleichzeitig  gehohen  werden,  soll  es  sich  dem  Bulbus  wieder 
anpassen ;  die  einfache  Verengerung  der  Lidspalte  erweist  sich  fast  immer 
unzulänglich. 

Geht  keine  erhebliche  Verkürzung  der  äusseren  Liddecke  nebenher  und 
hat  der  Lidrand  im  Uebrigen  seine  Normahtät  bewahrt,  so  genügt  meistens 
die  Ausschneidnng  eines  entsprechend  grossen  dreieckigen  Hautlax>pens  aus 
dem  äusseren  Theile  des  Augendeckels  und  die  Schliessung  der  Wundfläche 
durch  mehrere  Knopfnähte.  Behufs  dessen  wird  das  Lid  von  der  Rand- 
fläche aus  nächst  der  äusseren  Commissur  mittelst  eines  breiten  Lanzen- 
messers gespalten  und  die  Trennung,  wo  nöthig,  mit  dem  Scalpelle  fort- 
gesetzt. Hierauf  wird  der  trianguläre  Lappen  durch  zwei  von  dem  Inter- 
marginalschnitte  ausgehende,  nach  unten  und  aussen  convergirende  gerade 
Hautschnitte  abgegrenzt,  lospräparirt,  der  innere  Seitenrand  der  Wundfläche 
an  den  äusseren  geheftet  und  bis  zur  Verwachsung  die  Lidbewegung 
durch  einen  Schutzverband  gehemmt.  Um  die  Zerrung  zu  vermindern, 
ist  es  gut,  vor  der  Wundschliessung  den  inneren  Wundrand  eine  Strecke 
weit  von  der  Unterlage  loszupräpariren,  namentlich  wenn  das  subcutane 
Gewebe  in  Eolge  vorausgängiger  Reizzustände  etwas  verdichtet  ist  und 
daher  dem  beabsichtigten  Aufwärtsrücken  der  Hautplatte  einigen  Wider- 
stand bietet.  Auch  erscheint  es  räthhch,  die  Spannung  dadurch  etwas  her- 
abzusetzen, dass  man  in  der  ersten  Zeit  die  nachbarlichen  Hautpartien 
durch  horizontal  gespannte   Pflasterstreifen  gegen  die  Narbe  gezogen  erhält. 

Liegt  unter  den  genannten  Umständen  besonders  eine  starke  Hebung 
des  Lides  und  der  Commissur  im  Zwecke,  so  verdient  die  eigentliche  Tar- 
soraphie  (Amman,    Graefe)   den  Vorzug, 

Ehe  man  zu  dieser  Operation  schreitet,  muss  man  vorerst  die  Lid- 
spalte schliessen  lassen,  das  untere  Lid  in  seine  normale  Lage  bringen, 
sodann  den  unteren  Lidrand  in  horizontaler  Richtung  von  innen  nach 
aussen  leicht  spannen  und,  etwa  '^j^'" — V"  von  der  äusseren  Commissur 
entfernt,  durch  eine  senkrechte  mit  Tinte  gezogene  Linie  die  zwei  Punkte 
der  beiden  Lidränder  markiren,  welche  bei  normaler  Stellung  und  leichter 
Spannung  des  unteren  Lides  auf  einander  passen.  Hierauf  wird,  während 
die  Lider  in  der  erwähnten  Stellung  erhalten  werden,   die  Haut  über    der 


Tarsoriiphiü ;  Aimeigun  ;  Vcrl'ahi-ru. 


541 


äusseren  Commissur  in  eine  liorizoiilale  Falle  emporg'ohobon  iinrl  nach  uvd  nach 
so  viel  von  dem  Integumente  des  unteren  Lidi's  zwisclien  die  Finger  gefassl, 
als  erforderlich  ist,  um  das  letztere  pj,_.  ^j, 

in  seiner  normalen  Lage  zu  erhalten 
und  die  äussere  Commissur  in  das 
Niveau  des  inneren  M^inkels  zu 
heben.  Ist  auch  die  Breite  dieser 
horizontalen  Hautfalte  durch  2  dem  ^^ 
Lidrande  ^jaraWe^e  Striche  bezeich- 
net, so  schreitet  man  zur  Exstir- 
pation  der  innerhalb  der  erwähnten 
Grenzlinien  gelegenen  Portion  der 
äusseren  Decke. 

Während  ein  Gehilfe  den 
Kopf  des  Kranken  fixirt  und  ein 
anderer  die  Stillung  der  Blutung 
übernimmt,  schiebt  der  Operateur 
(Fig.  72)  eine  schmale  Hornplatte 
unter  die  äussere  Commissur,  hebt 
sie  vom  Bulbus  ab  und  spaltet  sie 


b 


von  der  Randfläche  aus  in  zwei  Platten,  indem  er  ein  breites  Lanzenmesser 
hart  vor  der  Fascia  tarso-orbitalis  einstösst  und  die  Wunde  mittelst  eines 
Scalpells  an  beiden  Lidern  bis  in  die  Gegend  der  senkrechten  Grenzlinie 
(bei  a  und  b)  erweitert.  Ist  diese  intermarginale  Spaltung  in  genügender 
Ausdehnung  bewerkstelligt,  so  wird  zuerst  die  untere  und  dann  die  obere 
Lidrandfläche  nach  inne7i  von  der  senkrechten  Grenzlinie  in  einer  Länge 
von  y.^'" — '■^l^'"  durch  einen  horizontalen  Schnitt  angefrischt,  welcher  seiner 
ganzen  Breite  nach  hinter  die  Wimpern  fällt,  diese  also  schont.  Nun  wird 
der  untere  Lidrand  in  der  verticalen  Grenzlinie  bis  auf  den  Knorpel  durch- 
geschnitten, die  Wunde  senkrecht 
nach  abwärts  bis  in  das  Niveau  der 
horizontalen  GrenzUnie  verlängert, 
die  Klinge  sodann  unter  einem  ab- 
gerundeten Winkel  nach  aussen  ge- 
wendet, parallel  dem  Lidrande  fort- 
geführt und  jenseits  der  Commissur 
im  Bogen  nach  aufwärts  gelenkt. 
In  ganz  ähnlicher  Weise  verfährt 
man  am  oberen  Lide.  Je  nachdem 
die  äussere  Commissur  mehr  oder 
weniger  gehoben  werden  soll,   werden 

die  horizontalen  Schnitte  in  grösserer  oder  geringerer  Entfernung  von  dem 
Lidrande,  immer  aber  so  geführt  werden  müssen,  dass  sie  in  dem  Niveau 
der  verlängerten  äusseren  Commissur  unter  einem  gespitzten  Bogen  mit 
einander  zusammenlavfen.  Das  solchermassen  umschnittene  Hautstück  wird 
nun  von  den  noch  bestehenden  Verbindungen  lospräparirt  und  die  Wund- 
fläche durch  3 — 4  Knopfnähte  geschlossen.  Das  erste  Heft  hat  (Fig.  73) 
die  angefrischten  Portionen  der  beiden  Lidrandflächen  knapp  innerhalb  der 
senkrechten  Grenzlinie  zu  vereinigen,  die  übrigen  verbinden  die  entsprechen- 
den Punkte  des  unteren  und  oberen  Bogenschnittes  und  verwandeln  dadurch 


54:2        Ectrupmm ;  Verkleiiieruiig  d.  Lider;  theilweise  Zerstörung,  TrausplanUtion  d.  Bindehaut. 

die  Wundfläche  in  eine  horizontale  Wnndspalte.  Um  die  Spannung  auf 
ein  Kleines  herabzumindern,  dienen  ausser  dem  Schutzverbande  wieder 
Heftpflasterstreifeu,  welche,  an  Wange  und  Stirne  befestigt,  die  zwischen- 
gelegene Haut  gegen  die  Wunde  ziehen. 

Bei  sehr  grossen  Differenzen  in  der  Länge  der  Lidränder  wird  der 
Erfolg  dieser  Operationsmethoden  leicht  dadurch  gefährdet,  dass  der  Knor- 
pel itnd  die  Fascia  unter  der  Naht  in  Gestalt  einer  mächtigen  Falte  her- 
vorgebaucht werden.  Es  ist  daher  räthlich,  nach  der  Ablösung  des  um- 
schnittenen  Lappens  aus  der  hinteren  Platte  nächst  der  äusseren  Commissur 
einen  Zwickel  (Fig.  72  c)  auszuschneiden,  dessen  Axe  nach  aussen  und 
etwas  nach  unten  sieht  und  dessen  Basis  dem  Unterschiede  in  der  Länge 
der  Lidränder  nahezu  gleichkömmt.  Es  müssen  dann  die  Wundränder  des 
Knoiyels  und   der  Fascie  in  die  Naht  gefasst  werden. 

Die  Ausschneidung  eines  V-förmigen  Stückes  aus  der  Mitte  und  ganzen  Dicke 
des  ectropionirten  Lides  (Adams)  ist  nicht  zu  empfehlen.  In  der  Regel  bleibt  eine 
zwickeiförmige  Einbuchtung  am  Lidrande  zurück,  welche  am  unteren  Lide  die 
Thr'dnenleilung  einigermassen  zu  stören  im  Stande  ist.  Hauptsächlich  aber  kömmt 
in  Betracht,  dass  durch  ein  solches  Verfahren  die  äussere  Commissur  nicht  gehoben 
wird  und  dass  der  verkürzte  Lidrand,  besonders  bei  stark  hervorstehenden  Augen, 
sich  gerne  an  dem  unteren  Theile  der  Bulbusconvexität  stemmt,  die  Schliessung  der 
Lidspalte  hindert  und  eine  Quelle  von  Reizzuständen  werden  kann. 

Ganz  verwerflich  ist  der  Versuch,  Ectropien  der  in  Rede  stehenden  Arten 
durch  Zerstörung  eines  Theiles  der  Uebergangsfalte  mittelst  Causticis,  dem  Glüheisen  etc., 
also  durch  Erzeugung  einer  sich  contrahirendeu  Bindehautnarbe  zur  Heilung 
bringen  -/.u  wollen.  Bei  höhergradigen  Ectropien  ist  ein  solcher  Vorgang  ganz 
unzureichend;  aber  auch  niedergradige  Ectropien  setzen,  sollen  sie  durch  den  Zug 
einer  Bindehatdnarbe  aufgehoben  Averden ,  eine  sehr  umfangreiche  Zerstörung  der 
Conjunctiva  voraus  i;nd  diese  ist  für  die  Functionstüchtigkeit  des  Auges  nicht  ohne 
erhebliche  Gefahr. 

Manche  suchoi  die  Spannung  der  Bindehaut  durch  eine  Art  Transplantation 
derselben  zu  erzielen  und  rühmen  die  Erfolge,  vornehmlich  bei  senilem  und 
sarcomatosem  Ectropium.  Es  soll  zu  diesem  Behufe  die  Tarsalbindehaut  ihrer  ganzen 
Breite  nach  auf  etwa  8'"  Tiefe  von  der  inneren  Knorpelfläche  losgetrennt  und 
hierauf  die  Liddecke  von  aussen  her  längs  des  convexen  Knorpelrandes  in  der 
Breite  des  Lides  durchschnitten  werden.  Nun  soll  man  die  Conjunctiva  durch 
diesen  Spalt  in  Form  einer  Querfalte  je  nach  Bedarf  hervorziehen,  durch  kreuz- 
weise gesteckte  Karlsbader  Nadeln  befestigen  und  einheilen  lassen  (Dieffenbach, 
Küchler).  Leider  nimmt  diese  Methode  keine  Rücksicht  auf  Verlängerungen  des 
Lidrandes.  Wo  diese  nach  Rückstülpung  des  Lides  auf  unblutige  Weise  zum  Aus- 
gleich gebracht  werden  können,  erscheint  die  Operation  überhaupt  überflüssig.  Wo 
die  Zusammenziehung  der  ausgedehnten  Theile  aber  nicht  mehr  zu  erwarten  ist, 
kann  das  Verfahren  dem  Zwecke  unmöglich  voll  genügen. 

4.  Hat  eine  merkliche  Verdichtung  und  Schrumpfung  der  äusseren 
Liddecke  Antheil  an  der  Umstülpung  des  Augendeckels,  so  kann  eine  zurei- 
chende AnstrafFung  und  beziehungsweise  Hebung  des  Integumentes  ohne 
gefährliche  Spannung  und  Zerrung  der  Theile  nicht  bewerkstelligt  werden, 
es  ist  nothwendig,   Substanz  aus  der  Nachbarschaft  herbeizuschaffen. 

Zu  diesem  Ende  empfiehlt  man,  das  Lid  von  der  Bandfläche  aus  vom 
Thränenpunkte  bis  zur  äusseren  Commissur  zu  spalten,  sodann  aus  diesen 
beiden  Endpunkten  zwei  senkrechte  Schnitte  von  8 — 10'"  Länge  durch 
die  äussere  Haut  zu  führen  und  den  ganzen  viereckigen  Lappen  (Fig.  74) 
über  die  unteren  Schnittenden  hinaus  subcutan  zu  lockern.  Der  Lappen  soll 
hierauf  mit  Pincetten  gefasst,  stark  angezogen  und  in  dieser  Lage  längs 
den  beiden  Seitenschnitten  von  unten  her  angenäht  werden.  Um  den 
verlängerten   Lidrand    auf    das    richtige    Mass   zu  bringen,    muss  jedoch  der 


Verschiebung  eiiios  droieckigen  Hautlappens. 


543 


Fif,'    74. 


Lappen  zuvor  zugestutzt  wcrclon  und  zwar  geschieht  dies  am  besten  durch 
einen  gebrochenen  Schnitt  a,  wolclior  den  inneren  Lappenrand  mit  dem 
horizontalen  verbindet.  Zum  Sclihisse  wird 
auch  der  Intermarginalschnitt  durch  Knopf- 
nähte vereinig't  und  bis  zur  Verlieilung;  ein 
Schutzverband  angelegt  (Graefe).  Es  soll 
dieses  Verfahren  sich  besonders  lohnen,  wenn 
der  freie  Rand  des  Lides  sehr  verbildet  ist 
und  in  Folge  des  Zuges  der  äusseren  Haut 
die  Conjunetiva  auf  die  vordere  Fläche  des 
Tarsus  herübergezogen  worden  ist.  Leider 
ist  sein  EinÜuss  auf  die  Stellung  der  Com- 
missuren  kaum  genügend  und  dieser  Mangel 
muss  sich  besonders  in  den  späteren  Zeiten, 
wenn  die  Yerlöthungsmassen  zu  schrumpfen 
beginnen,    geltend    machen.     Man    empfiehlt 

daher,  einen  Zug  auf  die  äussere  Liddecke  auszuüben,  indem  man  nahe 
dem  Lidrande  Fäden  einzieht  und  dieselben  an  geeigneten  entfernten 
Punkten  durch  Pflaster  oder  Suturen  so  befestigt,  dass  sie  in  einem  ge- 
wissen Grade  von  Spannung  erhalten  werden  (Graefe),  Doch  dürfte  diese 
Massregel  nicht  immer  den  gewünschten  Erfolg  haben  und  oft  auch  gar 
nicht  vertragen  werden.  In  einem  solchen  Falle  würde  man  gezwungen 
sein,   die   Tarsoraphie  nachzuschicken. 

In  solcher  Combination  ist  aber  auch  ein  älteres  Verfahren,  die  Ver- 
schiebung eines  dreieckigen  Hautlappens  (Samson)  recht  gut  verwendbar,  vor- 
ausgesetzt, dass  der  Lidrand  blos  verlängert,  in  seiner  Form  aber  nicht 
wesentlich  verändert  ist.  Es  wird  der  Lappen  auf  einer  unter  das  Lid 
geschobenen  Hornplatte  durch  zwei  geradlinige  Hautschnitte  abgegrenzt, 
welche,  von  der  ßandfläche  ausgehend,  gegen  den  Margo  orbitalis  conver- 
giren  und  den  geschrumpften  Theil 
des  Corion  wo  möglich  ganz  zwischen 
sich  fassen;  der  Lappen  wird  sodann 
mit  der  Pincette  gefasst  und  von 
der  Unterlage  bis  zur  äusseren 
Lidlefze  lospräparirt ,  worauf  es 
leicht  gelingt ,  das  Lid  in  seine 
normale  Stellung  zu  bringen.  Der 
Lappen  (Fig.  7.5)  deckt  jetzt  die 
Wundfläche  nur  mehr  theilweise,  es 
bleibt  ein  pfeilspitzenförmiger  Sub- 
stanzverlust zurück,  welcher  durch 
Zuziehung  der  nachbarlichen  Haut  zu 
decken  ist.  Zu  diesem  Ende  werden 
die  gegen  den  Scheitel  der  Wunde 
convergirenden  Aussenränder  bis  in 
die     Höhe     der     Lappenspitze     mit 

einander  und  hierauf  der  Kest  mit  den  entsprechenden  Punkten  des  Lappen- 
randes durch  Knopfnähte  verbunden. 

Andere  durchschneiden  vorerst  die  äussere  Lidhatd  in  der  Nähe  der  äusseren 
Lefze   und    dieser    parallel    der  ganzen   Länge    nach;    trennen    dieselbe    hierauf  bis 


Fig.  75. 


544  Ectropium;  Behandlung;  AusscLueidung  von  Narben;  Blepliaioplastik. 

an  oder  über  den  Orhitalrancl  hinaus  von  der  Unterlage  los;  spalten  sodann  die 
äussere  Gommissur  iu  wagrechter  Richtung  und  tragen  ein  nach  Bedarf  grosses 
dreieckiges  Stück  aus  dem  lateralen  Theile  des  ÄugendecJcels  ab,  nachdem  sie  zuvor 
etwa  gewulstete  Partien  der  Conjunctiva  mit  der  Schere  entfernt  haben.  Ist  dies 
geschehen ,  so  wird  die  Lücke  in  der  Gommissur  durch  Kopfnähte  geschlossen, 
der  Tarsalrand  mittelst  zweier  durchgestochener  Fadenschlingen  in  die  normale 
Lage  gezogen  und  die  Fäden  durch  Pflasterstreifen,  welche  auf  Stirne  oder  Wange 
geklebt  werden,  straff  gespannt  erhalten.  Die  iinterminh^te  Haut  ist  hierbei  durch 
den  Verband  dem  freien  Lidrande  thunlichst  zu  nähern  und  die  Verwachsung  anzu- 
streben (Chelius,  RueteJ. 

5.  Ectropien,  welche  durch  schmale  %md  tief  in  der  Liddecke  wur- 
zelnde Narbenstreif 671  bedingt  werden,  lassen  sich  öfters  beheben  durch 
Ausschneidung  der  Narbe.  Behufs  dessen  wird  zu  beiden  Seiten  des  Nar- 
benstranges ein  boyiyer  Schnitt  geführt ,  dessen  Sehne  nahezu  senkrecht 
auf  dem  freien  Lidrande  steht,  die  Narbe  sofort  von  den  Unterlagen  ge- 
trennt und  die  solchermassen  entstandene  lanzettförmige  WundÜäche  durch 
die  Knopfnaht  geschlossen.  Bei  brückenförmigen  Narbensträngen  genügt  es 
bisweilen,  die  Brücke  zu  durchtrennen  u.nd  die  beiden  Wundflächen  bis  zu 
ihrer  Ueberhäutung  vor  gegenseitiger  Berührung  zu  bewahren   (Fricke). 

6.  Ist  die  äussere  Decke  des  ectropionirten  Lides  zum  grössten  Theile 
und  ihrer  ganzen  Dicke  nach,  vielleicht  gar  sammt  dem  Muskel,  in  eine 
dichte  narbige  Masse  von  geringem  Umfange  zusammengeschrumpft,  so 
bleibt  zur  Behebung  der  Umstülpung  wohl  nichts  anderes  übrig,  als  die 
Narbe  auszuschneiden  und  in  die  Wundfläche  einen  der  Form  und  Grösse 
nach  entsprechenden  Lappen  aus  der  umgehenden  Haut  zu  transplantiren. 
Das  Detail  der  Blepharoplastik  wird  je  nach  der  Verschiedenheit  der 
Fälle  mannigfaltige  Abänderungen  erheischen ,  indem  es  von  grösster 
Wichtigkeit  ist,  den  überzupflauzenden  Lappen  aus  gesunden  Hautpartien 
zu  entnehmen  und  die  Brücke ,  durch  welche  er  in  der  ersten  Zeit 
sein  Nahrungsmaterial  zugeführt  bekömmt ,  möglichst  breit  zu  gestalten, 
ohne  die  Verschieblichkeit  ungebührlich  zu  beeinträchtigen.  Im  Ganzen 
dürften  aber  die  beiden  folgenden  Operationsweisen  mit  geringen  Modifi- 
cationen  in  der  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  dem  Zwecke  genügen. 

a.  Es  wird  die  das  Lid  dislocirende  Partie  der  Narbeumasse  durch 
zwei  bogige  Schnitte  umschrieben ,  welche  an  beiden  Grenzen  der  Narbe 
in  einem  spitzen  Winkel  zusammenlaufen  und  sich  an  dem  äusseren 
Ende  zugleich  etwas  nach  abwärts  senken  (Fig.  76  nach  einem  Falle 
von  Arlt).  Nun  wird  die  Narbenmasse  von  innen  her  von  ihrer  Unter- 
lage lospräparirt ,  das  Lid  in  seine  normale  Lage  gestreckt  und  die  nun- 
mehr klaffende  Wundfläche  durch  einen  etwas  längeren  und  breileren 
Lappen  A  gedeckt,  welcher  mit  senkrechter  oder  schräger  Axe  durch  ent- 
sprechende Schnitte  aus  der  vorderen  Schläfengegend  abzugrenzen  ist. 
Der  vordere  Grenzschnitt  dieses  Lappens  muss  mit  dem  unteren  Ende  der 
Lidwundfläche  zusammenstossen ,  der  hintere  Grenzschnitt  aber  etwas  nach 
aussen  divergiren  und  U7iter  dem  Niveau  des  oberen  Eandes  der  Lidwund- 
fläche enden.  Nun  wird  die  Narbenmasse  bis  zur  inneren  Grenze  des 
Lappens  vollends  losgelöst,  entfernt,  der  Lappen  nach  seiner  Präparation 
auf  die  Lidwundfläche  umgeschlagen  und  durch  eine  genügende  Anzahl 
von  Knopfnähten  mit  deren  Rändern  vereinigt  (Fricke,   Arlt). 

b.  Die  Narbenmasse  wird  durch  drei,  ein  gleichschenkeliges  Dreieck  um- 
schreibende    Schnitte,    von    welchen    einer    nahe    dem    Lidrand    und  parallel 


Blepliaroplastik ;  Verfahren. 


545 


Fig.  76. 
A 


demselben  geführt  wird,  urag-rcnzt  (Fig.  77),  herauspräparirt,  die  Wund- 
iläche  durch  seitliche  Verschiebung  eines,  zur  Seite  derselben  gebildeten, 
rechteckigen  Lappens  A 
gesunder  Haut  gedeckt 
und  durch  Anlegung 
von  Knopfnähten  ge- 
schlossen (Dieffenbach) . 

Die  nach  Ueber- 
pllauzung  des  Lappens 
klaffenden  Wundtlächen 
können,  so  weit  dieses 
ohne  Zerrung  des  er- 
steren  thunlich  ist,  durch 
Annäherung  und  blutig- 
Yereinigung  der  Wunde 
ränder  verkleinert  oder 
gar  völlig  gedeckt  wer- 
den. Was  unbedeckt 
bleibt,  muss  unter  Gra- 
nnlationsbildung  heilen. 
Für  die  erste  Zeit  ist 
das  Tragen  eines  Schutz- 
verbandes nothwendig 
und  ausserdem  mit  aller 
Strenge  auf  ganz  ruhiges  Ver- 
halten des  Kranken,  am  besten 
in  der  Bettlage ,  sowie  auf  an- 
tiphlogistische Diät    zu    dringen. 

Die  Hauptgefahr ,  welche 
man  bei  der  Durchführung 
dieser  Arten  der  Blepliaropla- 
stik läuft,  besteht  in  dem  öf- 
teren brandigeri  Absterben  so  wie 
in  der  theilioeisen  Vereiterung  des 
Lappens.  Man  wird  diese  Gefahr 
am  ehesten  umgehen,  wenn  man 
den  Lappen  aus  ganz  gesunder 
und  daher  sehr  dehnbarer  Haut 
entnimmt  ,  die  Brücke  recht 
breit  anlegt  und  jede  stärkere 
Zerrung  meidet.  Sicherheit  ge- 
währt aber  auch  das  zweck- 
dienlichste Verfahren  nicht.  Be- 
sonders misslich  ist  das  öftere 
Auftreten  des  Rothlaufes ,  da 
dann  immer ,  wenigstens  theil- 
weise  ,  Vereiterungen  eintreten 
und  hässliche  Narbe7i  zurückbleiben 
Lidränder  alteriren   können. 

stellwag,  Augenheilkunde.  3Ö 


welche     wieder     die     Stellung     der 


546 


Ectropium;  Beliandlung;  Verfahren  bei  Ectropium  nach  Caries  orhitae. 


TJebrigens  kömmt  es  auch  nicht  selten  vor,  dass  der  Lappen,  obwohl  er 
ohne  Eiterung  ganz  gut  angeheilt  ist,  nachträglich  zur  Wulstform  ziisam- 
menschrumpft  ,  da  er  keine  ganz  genügend  resistente  Unterlage  findet. 
Im  günstigsten  Falle  bleibt  übrigens  das  neugebildete  Lid  unbeweglich,  in- 
dem der  Muskel  schon  vorläufig  zu  Grunde  gegangen  ist  oder  unter 
dem  transplantirten  Lappen  degenerirt.  Diese  Operationen  haben  also  mehr 
den  Zweck,  das  Auge  zu  decken,  das  cosmetische  Literesse  ist  von  gerin- 
gerem Belange.  Man  thut  daher  immer  gut,  ausgiebige  Tarsoraphien  damit 
zu  verbinden,  um  so  mehr,  als  diese  auch  der  neuerlichen  KlafFung  der 
Lidspalte    wegen  Schrumpfung  des  Lappens  einigermassen  entgegenwirken. 

7.  Bei  Ectropien,  welche  durch  narbige  Verwachsungen  der  Lider  mit 
dem  knöchernen  Orbitalrande  bedingt  sind,  wird  es,  im  Falle  die  Ifarbe 
schmal  ist,  genügen,  dieselbe  subcutan  vom  Knochen  zu  lösen  und  das  Lid 
nach  seiner  Streckung  mittelst  der  Tarsoraphie  bis  nach  erfolgter  Verhei- 
lung  in  seiner  erzwungenen  Stellung  zu  erhalten. 

Mehr  Sicherheit  gewährt  bei  schmalen  Narben  folgende  Methode.  Es 
wird  die  Narbe  durch  zwei  eine  Ellipse  bildende  Bogenschnitte,  deren  Sehne 
möglichst  senkrecht  zum  Lidrande  zu  laufen  hat,  umschnitten  (Fig.  78  A), 
an  ihrer  ganzen  Oberfläche  sodann  angefrischi,  hierauf  die  umgebende  Haut 
und  das  Fettpolster  in  genügender  Ausdehnung  vom  Knochen  getrennt,  um 
das  Lid  ohne  Zerrung  in  die  normale  Stellung  bringen  zu  können.  Nun 
werden  die  Ränder  der  elliptischen  Wundiiäche  über  der  angefrischten 
Narbe  durch  Nähte  vereinigt,  so  dass  also  die  Narbe  von  den  zugezogenen 
nachbarlichen  Hautpartien  vollkommen  gedeckt  wird  und  an  deren  hintere 
Fläche   anheilt  (Ammo7i). 

Bei  breiteren  derartigen  Verwachsungen  muss  2'" — 3'"  unter  der 
Narbe  ein  dem  betreffenden  Stücke  des  Orbitalrandes  paralleler  Schnitt 
(Fig.   Id  Ä)  bis  auf  den  Knochen  geführt,   sodann  die  Haut  sammt  der  Narbe 


Fi?.  78. 


Fig.  79. 


A 


A 


in  genügendem  Umfange  subcutan  von  der  Unterlage  getrennt  werden,  auf 
dass  das  Lid  in  seine  normale  Stellung  gebracht  werden  könne.  Ist  dieses 
geschehen,  so  wird  die  Lidspalte  durch  Anfrischung  und  blutige  Vereini- 
gung ihrer  Ränder  um  ein  Drittheil  und  mehr  verengert ,  nach  völliger 
Vernarbung  der  Wundränder  und  beseitigter  Gefahr  einer  weiteren  Schrum- 


Verband;  Quellen;  Aiuitomio  der  Thränenorgane.  547 

pfung  der  Narben   aber  durcli   di(^    Canthoplastik    nach    Bedarf   wieder    er- 
weitert (Ammon). 

Bei  beiden  letzterwähnten  Operationen  ist  ein  richtiger  Verband  we- 
sentliche Bedingung  des  Erfolges.  Es  kömmt  vor  Allem  darauf  an,  die 
Verheilung  per  primam  intentionem  zu  erzielen  oder  doch  die  Eiterung  auf 
einen  kleinen  Raum  zu  beschränken,  um  die  Entwickclung  ausgebreiteter, 
nachträglich  schrumpfender  Narben  zu  verhindern.  Behufs  dessen  muss 
die  Haut  mit  dem  Fettpolster  nicht  nur  herbeigezogen,  sondern  auch  in  die 
oft  recht  tiefe  Knochenlücke  hineingepresst  werden.  Bleibt  nämlich  irgendwo 
eine  Lücke,  so  ist  die  Suppuration  unvermeidlich  und  es  steht  dahin,  wie 
weit  sich  dieselbe  ausbreitet.  Die  bestangelegte  Operation  kann  so  durch 
eine  kleine  Versäumniss  im  Verbände  zu  Schanden  werden,  ja  die  Ent- 
stellung geradezu  vergrössern.  Es  ist  darum  dringend  anzurathen,  erstlich 
die  umgebende  Haut  und  das  Fettpolster  nach  ausgiebiger  Trennung  vom 
Knochen  durch  zweckmässig  angelegte  Pflasterstreifen  über  dem  Ojiera- 
tionsfelde  zusammengezogen  zu  erhalten  und  zweitens  über  der  Knochenlücke 
und  Hautnaht  einen  derben  Charpiebausch  mittelst  des  Schutzverbandes  oder 
einer  Rollbinde  zu  befestigen,  damit  die  Frischflächen  des  Integumentes 
allerwärts  in  unmittelbarer  Berührung  mit  jenen  des  Knochens  bleiben. 
Directe  Erfahrungen  haben  gelehrt,  dass  solchermassen  die  Eiterung  in 
der  That,  wenn  nicht  ganz,  so  doch  auf  kleine  umschriebene  Stellen  ge- 
bannt wird  und  höchstens  feine  Narbenstränge  resultiren,  welche  nach- 
träglich subcutan  durchtrennt  und  durch  eine  abermalige  Verschiebung 
der  Haut  ihres  ferneren  Einflusses  auf  die  Stellung  des  Lides  ganz  be- 
raubt werden  können. 

Quellen:  Chelius,  Handbuch  der  Augenheilkunde.  II.  Stuttgart.  1839.  S.  148, 
157,  —  Ammon,  Zeitschrift  f.  Ophth.  I.  S.  36,  529;  IV.  S.  428;  Plast.  Chirurgie. 
Berlin.  1842.  S.  192—228.  —  Hivihj ,  Krankheiten  und  Missbildungen.  I.  Berlin. 
1843.  S.  150.  —  Mackenzie,  Traite  des  mal.  d.  yeux.  traduit  p.  Warlomont  et 
Testelin.  I.  Paris.  1856.  S.  269.  —  Desmarres,  Traite  d.  mal.  d.  yeux.  Paris.  1847. 
S.  65.  —  Hasner,  Entwurf  einer  anat.  Begründung  etc.  Prag.  1847.  S.  248.  —  Arlt, 
Die  Krankheiten  des  Auges.  III.  Prag.  1856.  S.  368;  A.  f.  O.  IX.  1.  S.  94.  — 
Ruete,  Lehrb.  der  Ophth.  II.  Braunschweig,  1854.  S.  81,  84 — 98.  —  Adams  und 
Samson,  nacli  Ruete  S.  86,  88.  —  Boimnan,  nach  Mackenzie  1.  c.  S.  415,  —  Fricke, 
nach  Ammon's  plast.  Chir.  S.  195,  ■ —  Dieffenhach,  nach  Ammon  1.  c.  S.  206  und 
Chelius  1.  c.  S.  153,  165.  —  Oraefe,  A.  f.  "O.  IV  2.  S.  201;  X.  2.  S.  227;  klin. 
Monatbl.  1868,  S.  427.  —  Küchler,  Deutsche  Klinik.  1865.  Nro.  49.  —  Passavani 
Archiv  f.  klin.  Chirurgie,  VI.  S.  350.  —  A.  Weher,  A.  f.  O.  VIII.  1.  S.  95.  — 
Debrou,  Gaz.  d.  hopit.  1860.  Nro,  133;  kl.  MonatbL  1866.  S.  145.  —  Mauvezin, 
Arch.  gen.  de  med.  1865.  S.  703. 


ZEHNTER  ABSC  HNITT. 
Die  Entzündung  der  Thränenorgane. 


Anatomie.   Man   unterscheidet  absondernde  und  leitende   Organe.      Zu 
den  ersteren  zählen  die  Bindehaut  und  die    Thränendrüse,    zu  den  letzteren 

35* 


548  Tliränenorgane ;  Anatomie ;  Thränendrüse ;  Tliränenrölirchen. 

die   T/u-änenröhrchen  und  der    Thränenschlmtch,   welcher  wieder  in  den  Thrä- 
nensack  und  den    Thränennasengang  zerfällt. 

Die  Thränendrilse  erscheint  getheilt  in  eine  grössere  und  klemere  Por- 
tion. Die  erstere  lagert  in  der  Thränengruhe  des  Orbitaldaches  und  wird 
daselbst  durch  eine  von  der  Fascia  tarso-orbitalis  nach  rückwärts  laufende 
Aponeurose  am  Knochen  befestigt.  Unmittelbar  unter  dieser  Aponeurose 
hegt  die  kleinere  Portion.  Ihr  vorderer  Rand  reicht  bis  an  die  convexe 
Grenze  des  oberen  Lidknorpels.  Dazu  kömmt  dann  noch  eine  wechselnde 
Anzahl  von  einzelnen  zerstreuten  kleinen  Drüsenkörpern,  welche  im  subcon- 
junctivalen  Gefüge  nahe  dem  oberen  Knorpelrande  und  der  äusseren  Com- 
missur  Liegen.  Dem  Baue  nach  stimmt  die  Thränendrüse  überein  mit  den 
Speichel-  und  Milchdrüsen.  Dire  Ausführungsgänge,  6—12  an  der  Zahl, 
sind  haarfein  und  münden  in  Einer  Reihe  im  äusseren  Drittheile  der  oberen 
Uebergangsfalte  der  Bindehaut. 

Die  Thränenröhrchen  sind  3'" — 4'"  lange,  weniger  als  ^/^"'  in  der 
Lichtung  haltende  Kanälchen,  welche  von  einer  überaus  zarten  blassen 
derben,  innen  glatten,  mit  sparsamen  Schleimdrüsen  (Rud.  Maier)  verse- 
henen und  von  einem  geschichteten  Pflasterepithele  (Henle)  überkleideten 
Schleimhaut  gebildet  werden.  Sie  beginnen  an  dem  Vorsprunge,  welchen 
die  innere  Lefze  der  beiden  Lidränder  nächst  der  Carunkel  bildet,  mit 
einer  feinen  Oeflfnung,  dem  Thränenpunkte.  Die  Schleimhaut  führt  liier 
einen  sehr  entwickelten  Papillarkörper,  daher  die  betreffende  Partie  merk- 
lich hervorspringt  und  mit  dem  Namen  des  Thränenwärzchens  belegt  wird. 
Von  den  Thränenwärzchen  aus  streichen  die  Röhrchen  zuerst  am  inneren 
Rande  der  beiden  Tarsi  in  senkrechter  Richtung  empor,  beziehungsweise 
herab,  um,  etwa  Y4'"  von  der  inneren  Lidlefze  entfernt,  in  einem  etwas 
ausgeweiteten  Knie  in  die  horizontale  Richtung  umzubiegen  und  dann  in 
einem  schwach  convexen  Bogen  gegen  die  äussere  Wand  des  Thränensackes 
zu  convergireu.  Sie  erreichen  dieselbe  ungefähr  in  der  Höhe  des  Lid- 
bandes und  durchboliren  sie,  selten  zu  Einem  Rohre  vereinigt  (Lesshaft), 
gewöhnlich  knapp  neben  einander  oder  in  einiger  gegenseitigen  Entfernung. 
Sie  münden  meistens  klappenlos  in  die  Höhlung  des  Thränensackes.  Die 
Thränenwärzchen  sind  von  derbem  elastischen  Gewebe  umgeben.  Die 
senkrechten  Portionen  der  Röhrchen  werden  von  bindegewebigen  Päden  an 
den  inneren  Rand  des  Knorpels  festgeheftet  und  sind  so  wie  die  horizon- 
talen Portionen  reichlich  umsponnen  von  Bündeln  der  Thränenkammpor- 
tion  des  M.  orbicularis.  Es  verlaufen  diese  Fleischbündel  zum  Theile  in 
Bögen,  welche  ihre  Convexität  der  Rohrlichtung  zukehren,  diese  sonach  bei 
ihren  Zusammenziehungen  zu  erweitern  oder  wenigstens  klaffend  zu  erhalten 
vermögen  (WedlJ.  In  sehr  seltenen  Fällen  wurden  an  Einem  Lide  zwei 
Thränenpunkte  beobachtet,  welche  je  in  ein  blhid  endigendes  (Graefe)  oder 
in   den   Sack  mündendes  Kanälchen    führten    (A.    Weber,    Zehender,    Steffan). 

Um  die  Thränenpunkte  herum  soll  constant  ein  ringförmiges,  trichterartig 
in  das  Rohr  eingesenktes  Kläppchen  zu  finden  sein.  Auch  soll  dort,  wo  beide 
Röhrchen  gemeinsam  in  den  Sack  münden,  mitunter  eine  ein-  oder  zweilippige 
verticale  Klappe  die  Oeffnung  theilvveise  schliessen  (Bochdalek). 

Der  Thränenschlauch  wird  von  einer  viel  dickeren,  ziemlich  derben 
und  von  zahlreichen  Schleimgruben  rauhen  Schleimhaut  dargestellt,  welche 
ein  einfaches  Flimmer  epithel,  in  dem  untersten  Theile  aber  ein  geschichtetes 
Pflasterepithel   (Henle)  und   allenthalben    zahlreiche    traubcnförmige   Schleim- 


Thränensack ;  Nasengang.  549 

drüscn  (R.  Maier)  führt.  Der  obere  Tlieil  desselbon,  der  Thränensaclc,  ist 
bei  b'"  lang  und  2'"  breit.  Er  hat  im  Allgemeinen  die  Mandelform, 
indem  er  von  vorne  und  aussen  nach  hinten  und  innen  flach  gedrücld  er- 
scheint, und  dieses  bisweilen  so  stark,  dass  am  Cadaver  die  Lichtung  fehlt 
oder  nur  einen  feinen  Spalt  darstellt.  Es  lagert  der  Thränensack  in  der 
sogenannten  Thränenrinne  zwischen  der  Leiste  des  Thränenbeines  und  dem 
Stirnfortsatze  des  Oberkieferbeines.  Mehr  als  die  Hälfte  seiner  verticalen 
Ausdehnung  steht  unter  dem  Niveau  des  inneren  unteren  Winkels  des 
knöchernen  Oi'bitalrandes.  Die  obere  Hälfte  des  Sackes  wird  in  einiger 
Entfernung  von  dem  wagrecht  streichenden  Lidbande  gekreuzt.  Das  obere 
blindsackähnliche  Ende,  der  Fundus,  ragt  bei  1  ^/2'"  über  den  oberen  Rand 
jenes  Ligamentes  empor.  Hinter  dem  letzteren  münden  die  Köhrchen  in 
die  äussere  Wand.  Die  dem  Knochen  anliegende  innere  Wand  des  Sackes 
fällt,  entsprechend  der  Conformation  der  Thränenrinne,  senkrecht  ab  und 
geht  ohne  irgend  eine  Marke  in  die  innere  Wand  des  häutigen  Nasen- 
sanges  über.  Die  äussere  Wand  des  Thränensackes  lässt  bisweilen  nach 
unten  hin,  d.  i.  ober  der  Mündung  des  knöchernen  Nasenkanales,  eine  kleine 
Ausbuchtung,  einen  seichten  Recessus  (Arlt)  nachweisen.  In  der  Mehrzahl 
der  Eälle  fehlt  dieser  Recessus  und  dann  scheidet  sich  der  Thränensack 
von  dem  Naseugange  meistens  ganz  undeutlich  oder  gar  nicht  ab,  iiadem 
auch  die  äussere  Wandung  des  Sackes  ohne  Grenzmarke  in  jene  des  Ka- 
senganges  übergeht.  Doch  kommen  hinwiederum  auch  Fälle  vor,  wo  der 
Uebergang  von  Sack  und  Kanal  durch  einen  Vorsprung  der  Schleimhaut 
gekennzeichnet  und  öfters  sogar  merklich  verengert  ist.  Es  sind  derlei  Vor- 
sprünge dann  durch  stärkere  Entwickelung  des  Periostes  oder  der  Thrä- 
nensackaponeurose  an  der  EingangsöfFnung  des  knöchernen  Ganges  bedingt 
(Arlt),   oder  stellen  lediglich   Falten  der  Schleimhaut  vor  (Bochdalek). 

Der  häutige  Nasengang  ist  1'" — 9'"  lang,  walzig  und  von  der  Seite 
her  etwas  flach  gedrückt.  Er  ist  in  dem  knöchernen  Thränenkanale  einge- 
schlossen, dessen  Verlaufsrichtung  im  Allgemeinen  eine  nach  unten,  aussen 
und  hinten  gekrümmte  ist.  Die  Convexität  dieser  Krümmung  ist  aber  fast 
in  jedem  Falle  eine  andere,  bald  nacli  aussen,  bald  nach  hinten  mehr  aus- 
gesprochene. Es  hängt  dieses  zum  Theile  von  der  senkrechten  Höhe  des 
Oberkiefers,  der  horizontalen  Breite  der  Nasenhöhle  und  dem  etwas  va- 
riablen Stande  der  unteren  Nasenmuschel  ab  (Arlt).  Ausserdem  werden 
noch  sehr  bedeutende  Differenzen  dadurch  begründet,  dass  der  häutige 
Nasengang  durchaus  nicht  immer  unmittelbar  unter  der  Ansatzlinie  der 
unteren  Nasenmuschel  mündet,  sondern  häufig  noch  eine  Strecke  weit  zwi- 
schen der  äusseren  Nasenhöhlenwand  und  der  sie  überkleidenden  Schnei- 
der'schen  Haut  nach  abwärts  dringt,  ehe  er  sich  in  die  Nasenhöhle  öffnet. 
Es  kommen  Fälle  vor,  wo  die  Mündung  nahe  über  dem  Boden  des  Cavuni 
narium,   tief  unter  dem  freien  Rande  der  unteren  Muschel,   gefunden  wird. 

Die  Form  dieser  unteren  Mündung  des  häutigen  Nasenganges  wechselt 
ausserordentlich.  Liegt  sie  weit  oben,  knapp  unter  dem  Ansätze  der  Mu- 
schel, so  ist  sie  gewöhnlich  rund,  oval  oder  schreibfederartig  und  steht 
weit  offen.  Mitunter  jedoch  findet  man  sie  durch  eine  stai'k  voi'springende 
mondsichelförmige  oder  circuläre  SchleimhautdupUcatur  sehr  verengt,  so  dass 
das  untere  Ende  des  Schlauches  Aehnlichkeit  mit  einem  Blindsacke  gewinnt, 
besonders  wenn  dieses  Ende,  wie  es  nicht  gar  selten  geschieht,    etwas  er- 


550  Thränenorgane ;  Anatomie ;  Nasengang ;  Klappen ;  Schwellkörper. 

weitert  ist,  in  welchem  Falle  seine  Form  öfters  die  eines  Pferdelmfes  ist 
(Arlt).  Liegt  die  Mündung  aber  tiefer  unter  der  Muschelinsertion,  so  nä- 
hert sie  sich  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  der  Spaltform.  Die  Wandungen 
des  Nasenganges  werden  dann  nämlich  nicht  mehr  von  dem  Knochenka- 
nale,  dem  sie  anhaften  und  welcher  bisweilen  eine  ganz  erstaunlich  weite 
Lichtung  besitzt,  aus  einander  gehalten,  sondern  sie  legen  sich  in  dem 
Räume  zwischen  der  Schneider'schen  Haut  und  der  äusseren  Nasenhöhlen- 
wand an  einander,  der  untere  Theil  des  Nasenganges  erscheint  also  platt 
von  innen  nach  aussen  zusammen  gedrückt. 

Es  finden  sich  in  solchen  Fällen  an  der  Mündung  nicht  selten  kleine  Du- 
plicaturen  der  Schleimhaut  (Hasner),  welche  bald  von  oben  herab,  bald  von  vorne 
und  hinten,  bald  blos  von  hinten  her  etwas  vorspringen,  immer  aber  der  Schneider'- 
schen Haut  ^ac7i  anliegen.  Sie  machen,  dass  die  Spalte  bald  horizontal,  bald  schräg, 
bald  senkrecht,  bald  im  Bogen  gekrümmt  erscheint.  Das  untere  Ende  dieser  Falten 
verlängert  sich  bisweilen  unter  allmäliger  Verflachung  bedeutend  und  macht  dann 
ganz  den  Eindruck,  als  setzte  sich  der  häutige  Nasengang  in  der  Schneider'schen 
Haut  eine  Strecke  weit  unter  der  Form  einer  flachen  Rinne  fort. 

Der  schleimhäutige  Thränenschlauch  wird  seiner  ganzen  Länge  nach 
von  einem  engen  Maschenwerke  ziemlich  derben  Bindegeioehes  umhüllt,  welchem 
elastische  Fasern  und  um  die  Gefässe  herum  eine  nicht  unbeträchtliche 
Menge  glatter  Muskelfasern  (Stilling)  beigemischt  sind.  Es  ist  dieses  Ma- 
schenwerk ausnehmend  blutreich.  Die  Gefässe,  welche  mit  denen  des  um- 
liegenden, gleichfalls  sehr  blutreichen  Knochens  in  inniger  Verbindung 
stehen,  füllen  die  Lücken  des  Balkenwerkes  vollkommen  aus  und  ihre 
Wandungen  hängen  mit  den  Wänden  der  einzelnen  Hohlräume  zusammen, 
daher  sie  am  Cadaver  nicht  collabiren ,  sondern  klaffend  bleiben.  An 
Durchschnitten  kann  man  die  weit  offenen  Mündungen  der  grösseren  Ve- 
nenzweigchen  sogar  mit  freiem  Auge  erkennen.  Das  ganze  Gefüge  gewinnt 
dadurch  einigermassen  die  Bedeutung  eines  Schwellkörpers  (Henle).  Am 
eigentlichen  Thränensacke  bildet  dasselbe  nur  ein  ganz  dünnes  Stratum.  Am 
Nasengange  aber  nimmt  es  sehr  an  Dicke  zu,  besonders  nach  unten  hin, 
so  dass  der  Nasengang  daselbst  beträchtlich  verengt  und  dessen  Schleim- 
haut in  zahlreiche  und  stark  vorspringende  Falten  geworfen  wird. 

Nach  aussen  hin  verdichtet  sich  das  Bindegewebe  zu  einer  derben 
sehnigen  Hülle,  welche  den  Thränenschlauch  seiner  ganzen  Länge  nach 
scheidenartig  umgibt.  So  weit  dieser  dem  Knochen  anliegt,  hängt  die 
Scheide  dem  letzteren  lose  an  und  fungirt  als  dessen  Beinhaut.  An  der 
äusseren  Wand  des  Thränensackes  aber  bildet  sie  eine  Art  Aponeurose, 
welche,  an  den  Rändern  der  Thränenrinue  allenthalben  festhängend,  diese 
zu  einem  Kanäle  oder  geschlossenen  Hohlräume  ergänzt.  Es  steht  diese  Apo- 
neurose in  inniger  Verbindung  mit  den  Ausläufern  der  hinteren  Fläche 
'des  Lidbandes  so  wie  mit  der  Scheide  der  Thränenkammportion  des  Orbi- 
cularmuskels  und  wird  durch  dieselben  wesentlich  verstärkt. 

Fig.  80  vergegenwärtiget  die  relative  Lage  der  hier  interessirenden  Theile 
in  einem  horizontalen  Durchschnitte,  welcher  an  einem  gefrorenen  Präparate  durch 
die  fest  geschlossene  Lidspalte  und  in  der  Verlängerung  derselben  durch  das  Lid- 
band und  die  Seitenwände  der  Nasenhöhle  geführt  wurde.  Die  äussere  Decke  des 
inneren  Drittheiles  des  Lidrandes  ist  nachträglich  abgetragen  worden,  um  das 
Lidband  in  seinen  Beziehungen  zu  den  Nachbartheilen  weiter  verfolgen  zu  können. 
Es  ist  a  der  Nasenfortsatz  des  Oberkiefer-beines.  Ihm  liegt  nach  aussen  die  Vena 
und  dahinter  die  Arteria  angularis  auf.  b  ist  der  Thränenbeinkamm  und  c  das  vor- 
dere Ende  der  Papierplatte  des  Siebbeines.  Von  a  entspringt  das  Lidband  d  e  und 


Topographische  Anatomie ;  Getasse. 


551 


läuft,   von  der  äusseren  Haut  gedeckt,    in  einem  nach  hinten  convexen  Bog-en  bis 

Die  innere  Lefze    der  beiden  Lid- 


/ 


Fig.  80. 
i   e 


k 


d 


V 


■/ 


zur  inneren  Lidcommissur,  wo  es  sich  spaltet, 
ränder,  von  welchen  blos  der 
nnte7'e  f  {i;ezeiclnu't  ist, 
schmiegt  sich  genau  der  vor- 
deren Fläche  des  ]5ulbus  g 
an.  Der  innerste  Theil  der 
Lefze  weicht  beträchtlich 
weit  7iach  hinteii  zurück  inid 
bildet  so  einen  Vorsprtmg, 
welcher  von  dem  durch- 
schnittenen Thr'dnenpunkte  h 
gekrönt  wird.  Es  ist  dieser 
Vorsprung  um  so  auifälliger, 
als  nasenwärts  die  Carunkel 
i  hervortritt  und  so  dem  inne- 
ren Grenztheile  des  Binde- 
hautsackes eine  ungefähr 
S-förmige  Krümmung  ver- 
leiht. Die  hintere  convexe 
Wand  des  Lidhandcs  d  e  ist 
nicht  flächenartig  begrenzt, 
sondern  löst  sich  in  eine  Un- 
zahl von  verzweigten  und  man- 
nigfaltig mit  einander  anasto- 
mosirenden  sehnigen  Blättern 
und  Balken  auf,  welche  zum 
Theile  dem  Knochen  anhaf- 
ten, zumTheile  aber  zwischen 
der  Knochenwand  und  dem 
Bulbus  sich  nach  hinten  fort- 
setzen. Es  ist  unter  densel- 
ben besonders  einer  k  auf- 
fällig durch  seine  Mächtigkeit. 

Er  steigt  Von  dem  äusseren  Grenztheile  des  Lidbandes  gerade 
verschmilzt  mit  dem  Perioste  des  Thränenbeinkammes.  Ein  zweiter  solcher  Aus- 
läufer, welcher  jedoch  nicht  constant  zu  sein  scheint,  findet  sich  mehr  nach  innen, 
löst  sich  jedoch  gleich  den  übrigen  zahlreichen  kleineren  Ausläufern  sehr  bald  in 
dem  Maschenwerke  auf,  welches  den  relativ  sehr  bedeutenden  Raum  zwischen  dem 
Lidbande  iind  der  äusseren  Wand  des  Thränensackes  l  ausfüllt  und  durch  seine 
Verdichtung  die  erwähnte  Ajioneurose  darstellen  hilft.  In  diesem  Maschenwerke 
entspringen  oder  setzen  sich  fest  Fleischbündel  des  Kreismuskels  der  Lider  m; 
weiter  nach  hinten  aber  werden  die  Maschen  oder  Lücken  von  lockerem,  theil- 
weise  fetthaltigem  Bindegewebe  ausgefüllt.  Nach  aussen  von  diesem  Maschenwerke 
lagert  der  Musculus  lacrymalis  n,  (S.  483). 


l 


nach  hinten   und 


Die  Gefässe  des  Thränenapparates  so  wie  dessen  Nerven  sind  grösstentheils 
nur  Zweige  der  für  die  Nachbarorgane  bestimmten  Stämmchen.  Doch  besitzt  die 
Thränendrüse  einen  ihr  eigenthümlichen  Ast  der  Arteria  ophthalmica,  die  Tlir'dnen- 
drüsenschlagader ,  und  eine  entsprechende  Vene,  welche  in  die  Vena  ophthalmica 
mündet.  Auch  geht  ein  besonderer  Nerv,  der  Nervus  lacrymalis,  vom  ersten  Aste  des 
Quintus  zur  Thränendrüse  und  belierrscht  deren  Absonderungsthätigkeit  in  ähnlicher 
Weise,  wie  gewisse  andere  Nerven  die  Secretion  der  Speicheldrüsen  (Herzenstein). 
Seinem  Einflüsse  ist  die  massenhafte  Thränenerzeugung  zuzvischreiben,  welche  bei 
manchen  Gemüthsaftecten,  oder  wenn  äussere  Schädlichkeiten  das  Auge  treffen, 
unter  der  Form  des  Weinens  und  beziehungsweise  des  Thränenflusses  zum  Aus- 
drucke kömmt.  Unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  liefert  die  Thränendrüse  nur  ivenig 
Secret;  die  das  Auge  Ijefeuchtenden  Thränen  sind  dann  zum  ^ro*«en  Theile  Product 
des  Bindehautsackes  und  namentlich  der  zerstreuten  Drilsenacini  (S.  40.5).  Deren 
secretorische  Thätigkeit  erklärt  den  geringen  Einfluss,  welchen  die  Exstirpation 
der  Thränendrüse  unter  gewöhnlichen  Umständen  auf  die  Befeuchtung  und  die 
Vegetationsverhältnisse  des  Bulbus  zu  haben  pflegt  (0.  Becker,  LaurenceJ. 


OOZ  Tliränenorgane :  Anatomie :  Tiiränenliach ;  Tliränensee  ;  Thränenleitnng. 

Die  Thränen  sind  reines  Wasser,  welchem  nur  eine  ganz  geringe 
Menge  von  Kochsalz  und  Eiweiss  beigemischt  ist.  Sie  werden  durch  den 
Lidschlag  gleichmässig  über  die  Convexität  des  Bulbus  vertheilt  und  dienen 
so  als  Glätter  der  vordersten  toichtigslen  Trennungsfläche  des  dioptrischen 
Apparates.  Bei  offener  Lidspalte  sinken  sie  vermöge  ihrer  specifischen 
Schwere  an  der  Oberfläche  des  Bulbus  herab  und  sammeln  sich  zwischen 
der  beölten  äusseren  Lefze  des  unteren  Lidrandes  und  der  Oberfläche  des 
Bulbus  in  Gestalt  eines  Meniscus,  welcher  als  Thränenbach  beschrieben  wird 
und  in  welchen  der  obere  Lidrand  bei  jedem  Lidschlage  eintaucht.  Gegen 
den  inneren  Canthus  hin  erweitert  sich  der  Thränenbach  zum  sogenannten 
Tliränensee.  Dieser  ist  jene  Vertiefung,  welche  durch  das  nicht  genaue 
Anschliessen  der  äusseren  Oberfläche  der  Carunkel  an  die  Convexität  des 
Bulbus  gebildet  wird.  Bei  offener  Lidspalte  erscheint  er  nach  oben  und 
unten,  bei  geschlossener  Lidspalte  nach  vorne  begrenzt  von  jenen  Vor- 
sprüngen der  inneren  Lidlefze,  auf  welchen  sich  die  Thränenpuntte  öffnen. 
Diese  sind  in  steter  Berührung  mit  dem  Inhalte  des  Thränensees. 

Der  treibende  Factor  der  Thränenleitung  ist  der  Kreismuskel  einschliesslich 

seiner   Thränenkammpartie.      Derselbe  presst    den    jeweiligen    Ueberschuss  der 

in  dem  Bindehautsacke  vorhandenen  Thränen   beim  Lidschlusse  mit  einem 

seinem  Kraftaufwande  proportionirten  Drucke    in  und    durch  die   Kanälchen 

in  den  Schlauch,  aus  welchem  sie   dann  vermöge    ihrer  eigenen  Schwere  und 

dem   Stosse  der  nachrückenden  Flüssigkeit  in  die  Nase  entweichen. 

Indem  beide  Blattei'  des  Bindehaiitsackes  schon  während  dem  Ruhezustande 
des  Orbicularis  durch  die  Spannung  der  von  dem  Bulbus  bogig  vorgedrängteu 
Fleischbündel  inid  durch  den  Tonus  der  organischen  Lid-  und  Oi'bitalmuskeln 
(S.  484)  allenthalben  knapp  aneinander  gedrückt  werden ,  kann  zwischen  ihnen 
nur  so  viel  Flüssigkeit  haften,  als  durch  Molekularattraction  an  den  Wänden  fest- 
gehalten wird.  Es  ist  dieses  Unbestrittenermassen  eine  höchst  dünne  gleichmässige 
Schichte,  welche  eben  nur  genügt,  um  die  Oberfläche  zu  befeuchten  und  die 
Reibung  bei  den  Bewegungen  der  Lider  imd  des  Augapfels  auf  ein  Kleinstes  herab- 
zumindern. Jeder  Ueherschnss  an  Thränen  wird  durch  diesen  Muskeldruck  in  die 
offene  Lidspalte  getrieben  und  sammelt  sich  hier  im  Thränenbache  und  Tliränensee. 
Beim  Lidschlusse  wird  derselbe  von  dem  Drucke  des  Orbicularis  getroffen  und  zum 
Ausweichen  bestimmt.  Da  aber  beim  Lidschlusse  die  beiden  Lidränder  ihrer  ganzen 
Länge  nach  fest  auf  einander  passen  und  ihr  Fettbelag  den  Verschluss,  wässerigen 
Feuchtigkeiten  gegenüber,  um  ein  Bedeutendes  dichter  erscheinen  lässt:  so  muss 
der  im  Bache  und  See  enthaltene  Ueberschuss,  von  allen  Seiten  gedrängt,  noth- 
wendig  den  einzigen  offenen  Ausweg  durch  die  in  den  See  tauchenden  Thränenj^unkte 
nehmen  und  eine  in  den  Kanälchen  etwa  vorhandene  Flüssigkeitssäule  vor  sich 
her  in  den  Schlauch  treiben.  Unter  gewöhnlichen  Verhältnissen,  bei  normaler 
Thränenabsonderimg  und  ruhigem  Lidschlage ,  wird  nur  äusserst  wenig  oder  nichts 
aus  dem  Bindehautsacke  in  den  Thränenschlauch  gefördert.  Es  fehlt  dazu  das 
Material,  das  im  See  und  Bache  befindliche  Quantum  überschüssiger  Thränen  ist 
ein  minimales  und  die  im  Ganzen  sehr  starke  Verdunstung  genügt,  um  grössere 
Anhäufungen  zu  verhindern.  Wird  aber  durch  irgend  welche  Veranlassung  die 
Thränensecretion  gesteigert,  so  werden  Bach  und  See  alsbald  überfüllt,  es  folgen 
sich  rasch  einige  ki-öftige  und  wohl  auch  länger  dauernde  Lidschlüsse,  unter  deren 
Wirkung  der  Ueberschuss  in  die  Nase  entweicht;  deren  Wände  werden  daher  feucht, 
der  Kranke  muss  sich  schnauzen.  Beim  Weinen,  wo  die  Thränenabsonderung  eine 
massenhafte  wird,  entleert  sich  ein  Theil  des  Productes  immer  durch  die  Lidsjjalte 
und  fliesst  über  die  Wangen  herab.  Einerseits  vermag  nämlich  die  Fettschichte 
der  Lidränder  bei  offener  Spalte  nur  Thränenmenisken  von  beschränkter  Grösse 
und  Schwere  zurückzuhalten.  Andererseits  genügt  die  Lichtmig  der  beiden  Thränen- 
punkte  und  der  Kanäle  nicht  mehr,  um  alles  in  küi-zester  Frist  aufzunehmen,  was 
beim  Lidschlusse  zum  Ausweichen  geuöthigt  wird;  ein  Theil  der  Flüssigkeit  wird 
unter  dem  raschen  und  kräftigen  Drucke  des  krampfhaft  zusammengezogenen  Kreis- 


Entzündung n.  Fistel  d.  Thränendrüse ;  Dacryops ;  Entzündnnw  d.  Tliränpnwärzclipn.  553 

imiskels   durch    die   LidupaUe   ,JieraH/!ciepre.is(" ,    während    der   Rest   den    vafürlichen 
Weg  nimmt  und  sicli  .stromireise  in  die  Naso   ergiesst. 

Als  beiwirkendes  mechanisches  Moment  sehr  imf  er  geordneten  Ranges  ist  die 
eigene  Schioere  der  Thräncn  zu  nennen.  ]3iese  macht,  dass  in  der  Lidspalte  ge- 
sammelte Flüssigkeiten  auch  hei  Verhhiderung  des  Lidschlusses  langsam  in  die  Nase 
abrinnen,  doch  nur,  wenn  ihre  Oberfläche  unbedingt  höher  gelegen  ist,  als  der 
höchste  Punkt  der  Kanälchen. 

Von  einer  Hebennrkung  so  wie  von  einer  Einsangung  der  Thränen  während 
der  EinatJimung  kann  füglich  nicht  mehr  gesprochen  werden ,  da  die  Leitung  in 
den  Sack  ungehindert  fortdauert,  wenn  dessen  Verbindung  mit  der  Nasenhöhle  unter- 
brochen ist,  oder  derselbe  von  Anssen  her  iveit  geöffnet  wird.  Der  letztere  Umstand, 
zusammengehalten  mit  dem  erwiesenen  Mangel  eines  Klappenapparates,  wirft  ausser- 
dem die  beliebten  Pum2}theorien  allesammt  über  den  Haufen.  Zugleich  fällt  auch 
die  Capillarität  der  Thränenröhrchen  als  Leitungsfactor,  denn  die  Molekularattraction 
kann  Thränen  aus  dem  See  wohl  bis  an  den  Sack  treiben,  nicht  aber  in  den  Sack 
entleeren.  Man  hat  nun  allerdings  den  die  Röhrchen  umspinnenden  Muskelfasern 
eine  Art  Melkwirkung  zugeschrieben  fA^-ltJ;  diese  besteht  aber  nicht  und  bestünde 
sie,  so  müsste  dieselbe  mit  der  Schlitzung  der  Kanälchen  aufhören  und  doch  unter- 
bricht letztere  die  Leitung  nicht. 

Nosologie.  Die  Entzündung  der  Thränendrüse,  Dacryoadenitis ,  ist  bisher  nur 
in  seltenen  Fällen,  darunter  einmal  beiderseitig  (Korn),  beobachtet  worden.  Es  geht 
ihr  bisweilen  längere  Zeit  Hgpersecretion  der  Thränen  voran  (Graefe).  Sie  verläuft 
meistens  sehr  langsam  und  schleppend  und  offenbart  sich  durch  die  allmälige 
Entwickelung  einer  unverschieblichen,  in  wechselndem  Grade  harten,  drusig  höcke- 
rigen, gewöhnlich  unschmerzhaften,  gegen  Druck  aber  öfters  empfindlichen  Ge- 
schwulst, welche  unter  dem  oberen  äusseren  Theile  des  Orbitalrandes  sichtbar 
und  fühlbar  hervortritt  und  ihrer  beträchtlichen  Grösse  halber  gerne  den  Bulbus 
nach  ein-  und  abwärts  verdrängt.  Die  anatomische  Untersuchung  ergibt  als  Grund 
der  Schwellung  entzündliche  Productanhäufungen  oder  Hypertmijhie  des  Gefüges 
(Gluge,  Warlomont,  Rothmund,  Lebert,  Letenneur).  In  einzelnen  Fällen  jedoch 
gewinnt  die  Neubildung  mehr  den  Charakter  des  Adenoides  (0.  Becker).  Dem 
entsprechend  geht  die  Geschwulst  biswellen  von  selbst  oder  unter  der  Anwendung 
resorptionsbethätigender  Mittel  wieder  zurück  (Heymann,  Homer),  meistens  aber 
fordert  sie  die  Exstirpation ,  soll  der  Bulbus  schliesslich  nicht  gefährdet  werden. 
Hier  und  da  kömmt  es  auch  zur  chronischen  Eiterung,  wobei  das  Orbitaldach  cariös 
zerstört  werden  kann  (Ad.  Schmidt).  In  anderen  Fällen  tritt  die  Entzündung  unter 
den  Erscheinungen  der  Phlegmone  auf  und  verläuft  sehr  acut.  Sie  macht  dann  ganz 
den  Eindruck  eines  mächtigen  Abscesses.  Das  Product  kann  auch  hier  durch 
Resoiption  entfernt  werden  und  die  Krankheit  zur  Heilung  gelangen  (Schön,  Haynes 
Walton).  Der  gewöhnliche  Ausgang  aber  ist  der  Durchbruch  und  die  Ausbildung 
eines  tiefen  Hohlgeschivüres,  das  öfters  lange  Zeit  forteitert,  sich  wiederholt  schliesst 
und  von  neuem  perforirt  {Alf.  Graefe),  manchmal  auch  den  Knochen  angreift  und 
cariös  zerstört  (Ad.  Schmidt);  daher  die  Exstirpation  des  wuchernden  Gefüges  sehr 
räthlich  erscheint. 

In  höchst  seltenen  Ausnahmsfällen  wurde  als  Folge  der  eitrigen  Schädigung 
eines  Ausfühiningsganges  der  Drüse  und  des  Aussickerns  der  Thränenflüssigkeit  das 
Auftreten  einer  sogenannten  Thränendrüsenfistel  beobachtet,  welche  letztere  an  der 
äusseren  Lidhaut  oder  an  der  Bindehaut  sich  öffnete  (Ad.  Schmidt,  Beer). 

Nebenbei  möge  hier  des  höchst  seltenen  Vorkommens  eines  der  Ranula 
analogen  und  durch  Ectasie  eines  Drüsenausfuhrungsganges  bedingten  Tumors,  des 
sogenannten  Dacryops,  erwähnt  werden.  Er  präsentirt  sich  beim  Umscldagen  des 
Lides  als  eine  bläulich  durchschimmernde ,  nur  von  Bindehaut  bedeckte,  cysten- 
artige  oder  lappige  Geschwulst,  welche  bei  starkem  Drucke  gewöhnlich,  aber 
nicht  immer  (Wecker),  ihren  wasserklaren  Inhalt  entleert,  sich  jedoch  bald  wieder 
füllt,  und  bei  vermehrter  Thränensecretion  merklich  anschwillt  (Ad.  Schmidt,  Beer, 
Graefe). 

Oefters  kömmt  es  zu  Entzündujigen  der  Thränenwärzchen.  Es  sind  diese 
nämlich  äusseren  Schädlichkeitseinwirkungen  nicht  ganz  entrückt  ixnd  werden  auch 
bisweilen  direct  durch  Sondirungen,  Einspritzungen  u.  s.  w.  empfindlich  beleidigt. 
Ueberdies  i^articipirt  der  sie  darstellende  Papillarkörper  sehr  gerne  au  Entzündungs- 
processen  des  freien  Lidrandes ,  der  Tarsalbindehaut  und  des  Thränenschlauches 
(Desmarres).     Er  geht   dabei   ganz    ähnliche  Veränderungen   ein,  wie  der  Papillär- 


554  Thränenorgane ;  Verschliessg.  d.  Thr.-Punkte;  Strictur  d.  Thr.-Röhrchen ;  Pilzbildg.;  Dacryolithen. 

körper  der  entzündeten  Bindehaut.  Bei  minder  intensiven,  aber  andauernden 
Wucherungsprocessen  wird  er  nicht  selten  in  sehr  auffälligem  Grade  hypertrophirt, 
um  gleich  der  trachomatösen  Bindehaut  später  zu  schrumpfen  und  unter  Verödung 
den  Thränenpunkt  zu,  verengern  oder  gar  narbig  zu  schliessen.  In  anderen  Fällen 
kömmt  es  zur  Eiterung,  indem  das  Product  sich  übermässig  rapid  entwickelt.  Be- 
sonders häufig  wird  dieses  Ijeobachtet,  wenn  nachbarliche  Geschwüre  sich  über  die 
Wärzchen  ausbreiten  oder  wenn  Blattern  auf  dem  Wärzchen  aufschiessen  (Ad. 
Schmidt).  Das  Resultat  ist  dann  fast  immer  eine  narbige  Verengertmg  oder  Schliessung 
des  Thi-änenpunkfes.  Ueberhäutungen  des  letzteren  kommen  übrigens  auch  ange- 
boren vor  (Zehender). 

3.  Auch  die  Thrünenröhrchen  entzünden  sich  bisweilen,  indem  auf  ihre  Schleim- 
haut von  aussen  her  Schädlichkeiten  einwirken,  z.  B.  eingedrungene  fremde  Körper, 
Haare  (Hasner,  Desmarres,  HimlgJ,  Sonden  etc.;  oder  indem  die  Mucosa  von  Seite 
des  Thränensackes  oder  der  Bindehaut  in  entzündliche  Mitleidenschaft  gezogen 
wird;  oder  indem  ein  in  der  Dicke  der  Lider  zur  Entwickelung  gekommener  Ent- 
zündungsherd, z.  B.  ein  eiterndes  Hordeolum  (Des^narres,  Arlt)  seine  Grenzen  über 
ein  oder  das  andere  Kanälchen  ausdehnt.  Es  trägt  diese  Entzündung  oft  den 
Charakter  des  Katarrhes  und  kann  bei  längerer  Dauer  zur  Hgpertrophie  der  Mucosa 
führen,  welche  ihrerseits  wieder  mit  theilweiser  Verödung  des  Kohres  und  mit 
Bildung  von  Stricturen  (Stilling)  zu  enden  vermag.  In  anderen  Fällen  hingegen 
hat  die  Entzündung  eitrige  Zerstörung  eines  Theiles  des  Rohres  zur  Folge.  Das 
Resultat  kann  dann  narbige  Verengerung  oder  Verschliessung  sein;  eben  so  gut  kann 
aber  auch  der  Eiter  durchbrechen  und  eine  nach  innen  oder  nach  aussen  sich 
öifnende  Thr'dnenrohrfistel  hinterlassen  (Himlg,  Desmarres).  Derlei  Fisteln  können 
übrigens  auch  durch    Verivundungen  veranlasst  werden  (LecomteJ. 

Eine  besondere  Erwähnung  verdient  als  mögliche  Veranlassung  von  Thränen- 
rohrentzündungen  die  seltene  Entwickelung  von  Pilzen  (Graefe,  Foerster,  Narkieivicz) 
in  der  Lichtung  der  Kanäle.  Es  stimmen  dieselben  völlig  überein  mit  dem  Leptothrix 
buccalis ,  welcher  in  der  Mundhöhle  sehr  gewöhnlich  ist  und  bei  der  Zahncaries 
mitzuwirken  scheint.  Man  vermuthet,  dass  diese  Pilze  von  der  Mundhöhle  aus  in 
den  Bindehautsack  übertragen  werden,  indem  viele  Leute  den  Speichel  als  Heil- 
mittel gegen  allerlei  entzündliche  Affectionen  der  Augen  betrachten  und  auf  die 
Lider  zu  streichen  pflegen  ('jFoVsfe?^.  Esverräth  sich  die  Ansammlung  solcher  Pilze  im 
unteren  Thränenrohr,  wo  sie  bisher  allein  gefunden  wurde,  durch  mehr  weniger 
heftige  Reizerscheinungen  im  inneren  Lidwinkel,  weiterhin  aber  durch  eine  leichte 
Abrundung  und  Verdickung  der  medialen  Partie  des  unteren  Augendeckels.  Bei 
der  Betastung  fühlt  man  dann  bereits  eine  die  Liddicke  einnelimende ,  fast  cylin- 
drische ,  dem  Verlaufe  des  Thränenröhrchens  folgende,  massig  compressible  derbe 
Geschwulst.  Der  untere  Thränenpunkt  ist  dabei  erweitert  und  entleert  bei  vorge- 
rücktem Leiden,  wenn  er  gedrückt  wird,  öfters  eine  geringe  Menge  rahmartiger 
Masse.  Schlitzung  und  Reinigung  des  Rohres  genügt,  um  Heilung  zu  erzielen.  Die 
Schleimhaut  des  Kanälchens  zeigt  sich  bei  der  Bloslegung  stark  geröthet  und 
gewulstet.  Die  Pilzmassa  selbst  präsentirt  sich  als  ein  mehr  weniger  grosses,  meistens 
gelbliches,  bisweilen  jedoch  auch  fast  schwarzes  Concrement  von  stumpfkegeliger 
Form.  Die  Consistenz  desselben  wechselt  sehr.  Mitunter  knirscht  es  wegen  reich- 
lichem Kalkgehalte.  In  anderen  Fällen  erscheint  an  der  Oberfläche  Eiter.  Es  ist 
kein  Zweifel,  dass  Abseedii'ung  und  ülceration  mit  Fistelbildung  die  Folgen  sein 
können.  Uebrigens  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  die  sogenannten  Dacryolithen, 
welche  man  in  den  verschiedensten  Theilen  des  Thränenleitungsapparates  (Himly, 
Desmarres,  Mackenzie),  unter  anderen  auch  in  den  Ausführungsgängen  der  Thränen- 
drüse  (Willia7ns)  gefunden  hat,  zum  Theile  auf  Leptothrixmassen  mit  secundären 
Kalkbildungen  zu  beziehen  sind  (GraefeJ. 

4.  Am  häufigsten  ist  unstreitig  die  lockere  gefüss-  und  drüsenreiclie 
Schleimhaut  und  der  umgebende  Schwellkörper  des  Thränenschlauches  das 
Substrat  einer  entzündlichen  Wucherung.  Es  hat  dieser  Process  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  blos  die  Bedeutung  eines  leichten  acuten  Katarrhes, 
welcher  ohne  erhebUche  Folgen  rasch  abläuft  und  nur  ausnahmsweise 
Gegenstand  der  Beobachtung  wird.  In  anderen  Fällen  tritt  der  Katarrh 
gleich  von  vorneherein  mit  ziemlicher  Heftigkeit  auf  und  geht  dann  nur 
selten    spontan    in    Heilung    über ,     der    Process    wird    vielmehr    meistens 


ThränensackWennoiilioc ;  l);iiiyocystitis  plilpgraoiiosa.  f)55 

chronisch,  ja  habituel.   Es  g-ewinnt  hiovbei  die  Schleimhaut  ein  dunkelrothes, 

ins  Bläuliche    oder  Bräunliche    spielendes  Colorit,    sie   lockert    sich    samrat 

der  cavernösen  Schlauchhüllo  unter  beträchtlicher  Verdickung  mächtig  auf, 

wird  -schwammig,   schlaff  und  mürbe. 

In  einzelnen  Filllen  sollen  sich  an  der  Oberfläche  der  wuchernden  Mncosa 
Granulationen  erheben  (C'heliiis,  A.  Weher),  welche  denen  der  JBindeliaut  sehr  ähneln, 
bisweilen  aber  sich  zu  wahren  Polypen  auswachsen  und  dann  den  Thränensack  an- 
sehnlich erweitern  (Janin,  Walther ,  Blasius ,  Graefe,  Berlin).  Auch  hat  man  in 
einzelnen  Fällen  die  Schleimdrüsen  stark  angeschwollen  und  ausgedehnt  gefunden 
(Janin).  Hier  und  da  kömmt  es  zu  Blutergüssen  in  die  Sackhöhle,  deren  Coagula 
sich  allmälig  eindicken  und  mannigfaltige  Veränderungen  eingehen  {Graefe). 

Von  der  Oberfläche  der  entzündeten  Thränensackschleimhaut  stossen 
sich,  gleichwie  bei  der  Syndesmitis,  fort  und  fort  schleimig  eiterige  Froducte 
los,  welche  je  nach  der  Intensität  des  Processes  bald  mehr  trübem  Schleime, 
bald  flüssigem  Eiter  gleichen.  Indem  diese  Producte  das  normale  Beeret  der 
Thränensackschleimhaut  an  Masse  bedeutend  überwiegen,  und  indem  ander- 
seits ihre  Abfuhr  wegen  der  Anschwellung  der  Schlauchwandungen  und  der 
damit  gesetzten  Verengerung  des  Kasenganges  wesentlich  beeinträchtiget 
wird  :  kömmt  es  alsbald  zu  einem  Missverhältnisse  zwischen  dem  Inhalte 
des  Sackes  und  seiner  Abfuhr,  um  so  mehr,  als  fortwährend  Thränen 
eingepresst  werden  und  die  katarrhalischen  Producte  an  der  tiefsten  Stelle 
des  Sackes  sich  sammeln ,  durch  Resorption  ihrer  flüssigen  Bestandtheile 
sich  verdichten  und  sohin  pfropfartig  die  Lichtung  des  Schlauches  vollends 
verlegen.  Es  dehnt  sich  dann  die  vom  Knochen  nicht  gedeckte  äussere 
Wandung  des  Thränensackes  aus  und  so  wird  ein  Zustand  gesetzt,  welchen 
man   Dacryocystoblennorrhoe  nennt. 

Es  unterliegt  eine  solche  Ausdehnung  aber  auch  keiner  weiteren  Schwierig- 
keit. Gleichwie  nämlich  bei  Wucherungsprocessen  in  der  Bindehaut  das  Gefüge 
des  Lidknorpels  in  Mitleidenschaft  geräth ,  sich  auflockert  und  ausdehnt,  wird  bei 
TJiränenschlauchentzilndungen  auch  die  den  Sack  nach  aussen  deckende  Aponeurose 
in  den  entzündlichen  Process  hineingezogen  und  dadurch  genug  nachgiebig  gemacht, 
um  dem  Drucke  des  sich  sammelnden  Inhaltes  zu  weichen.  Der  gefüllte  Thränen- 
sack tritt  dann  geschwulstartig  aus  der  knöchernen  Rinne  tinter  dem  Lidbande  her- 
vor und  drängt  auch  dieses  nach  vorne. 

In  einer  grossen  Anzahl  von  Fällen  entwickelt  sich  der  Process  gleich 
von  vorneherein  mit  sehr  grosser  Intensität  unter  den  Erscheinungen  der 
Phlegmone,  daher  der  Name  Dacryocystitis  phlegmonosa.  Die  Schleimhaut 
und  cavernöse  Hülle  des  Schlauches  schwellen  wegen  der  massenhaften 
entzündlichen  Productbildung  in  ihrem  Gefüge  mächtig  an  und  machen 
bald  den  Nasengang  und  die  Thränenröhrchen  unwegsam ,  während 
grosse  Mengen  von  purulenten  Seoreten  in  die  Höhlung  ergossen  werden  und 
sich  in  dem  allein  ausdehnsamen  Thränensacke  sammeln.  Dieser  tritt  daher 
in  Gestalt  einer  mächtigen  Geschwulst  hervor,  welche  jedoch  nur  selten  in 
ihren  wahren  Umrissen  »sich  präsentirt,  indem  auch  das  überlagernde  löchere 
Gefüge  sammt  der  Bindehaut  und  äusseren  Decke  an  dem  Processe  theil- 
nimmt  und  bedeutend  anschwillt  von  entzündlichem  Infiltrate.  Bald 
beginnt  dann  auch  die  eitrige  Zerfällniss  in  den  infiltrirten  Wandungen  des 
Schlauches,  diese  werden  stellenweise  zerstört  und  so  der  eitrige  Durch- 
bruch vorbereitet. 

Bisweilen  scheint  das  der  Aponeurose  des  Thränensackes  von  aussen 
aufliegende  lockere  Gefüge  den  ursprünglichen  Sitz  der  Entzündung  abzugeben 
und    die    Wandungen    des    Schlauches    erst    später    in   Mitleidenschaft    zu    ziehen. 


556  Thränenorgane ;  Anatomie;  Nosologie;  Quellen. 

Man  hat  solche  Abscesse,  welche  sich  ausserhalb  der  Aponeurose  entwickeln, 
Änchylops,  falls  sie  aber  schon  zum  Durchbruche  nach  aussen  gekommen  sind, 
Aegüops  genannt. 

Quellen:  j4(Z.  Schmidt,  Ueber  die  Krankheiten  des  Thränenorganes.  Wien.  1803. 
S.  47,  175,  181.  —  Hi/rtl,  Handb.  der  topogr.  Anat.  Wien.  1847.  S.  123,  126,  128, 
130.  —  Hasner,  Beiträge  zur  Phys.  und  Path.  des  Thränenableitungsapparatea. 
Prag.  1850.  S.  7,  18,  22,  24;  Wien.  med.  Wochenschrift.  1865.  Nr.  23.  —  Arlt, 
Krankheiten  des  Auges.  III.  Prag.  1856.  S.  377,  386;  A.  f.  O.  I.  2.  S.  135,  137, 
143,  145,  148,  156;  IX.  1.  S.  65,  67,  70,  87;  Wiener  med.  Wochenschrift.  Spital- 
zeitung. 1862.  Nr. 22— 33;  1865.  Nr.  6.  —  Bud.  Maier,  Ueber  den  Bau  der  Thränen- 
organe.  Freiburg.  1859.  S.  6,  10,  17,  22,  25,  30,  34,  41,  43.  —  Henle,  Handbuch 
der  Anat.  I.  S.  139;  II.  S.  705,  712,  715;  Zeitschrift  f.  rat.  Medicin.  3.  R.  23.  Bd. 
S.  264.  —  Grünhagen,  ibid.  1868.  —  Kehrer,  ibid.  29.  Bd.  S.  1.  —  Henke,  A.  f. 
O.  IV.  2.  S.  70,  96;  VIII.  1.  S.  363,  369,  370,  373.  —  Stellwag ,  Ophth. 
II.  S.  1017;  Wien.  med.  Jahrb.  1861.  S.  24,  39,  42;  1862,  Fachbericht.  S.  78; 
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Wedl,  Wien.  med.  Jahrb.  1861.  S.  39.  —  Ross,  Oppenheims  Zeitschrift  f.  d.  ges. 
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0.  Becker,  Wien.  med.  Jahrb.  1865.  Fachbericht.  S.  99,  101,  103.  —  Oraefe,  A,  f. 
O.  I.  1.  S.  288,  295;  VII.  2.  S.  29.  —  Ä.  Weber,  kl.  Monatbl.  1863.  S.  63,  107  etc; 
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Bochdalek,  Prag.  Viertel) ahrschft.  1866.11.  S.  122.  —  Stilling,  Ueher  d.  Heilung  der 
Verengerung  etc.  Cassel.  1868.  S.  3.  —  Herzenstein,  Beiträge  zur  Phys.  u.  Ther. 
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1868.  S.  39,  41. 

Nosologie:  Ad.  Schmidt,  1.  c.  S.  63,  132,  137,  144,  148,  153,  208,  210,  223, 
228,  230,  232,  237.  —  Beer,  Lehre  v.  d.  Augenkrankheiten.  II.  Wien.  1817.  S.  184, 
591.  —  Benedikt,  Handb.  d.  prakt.  Augenheilkunde.  III.  Leipzig.  1824.  S.  154, 
159,  162.  —  Himly,  Krankheiten  u.  MLssbildungen  etc.  I.  Berlin.  1843.  S.  276,  279, 
280,  281,  296,  304,  305,  308,  309,  310.  —  Mackenzie,  1.  c.  S.  114,  118,  121,  124, 
135,  137,  416,  431.  —  Daviel,  Med.  Gaz.  III.  1829.  S.  523.  —  Haynes  Walton, 
nach  Mackenzie,  1.  c.  S.  117,  137.  —  Hasner,  1.  c.  S.  9—18,  29,  31,  33,  53.  — 
Desmarres,  Traite  d.  mal.  d.  yeux.  Paris.  1847.  S.  854,  855,  858,  861.  —  Oraefe, 
A.  f.  0.  I.  1.  283,  284;  IL  1.  S.  224;  IIL  2.  357;  IV.  2.  S.  258;  VH.  2.  S.'l; 
XV.  1.  S.  324,  331.  —  Alf.  Graefe,  ibid.  VIIL  1.  S,  279,  286.  —  Heymann,  ibid. 
VII.  1.  S.  143.  —  Homer,  kl.  Monatbl.  1866.  S.  257.  —  Ginge,  Jena'sche  Annal. 
f.  Phys.  u.  Med.  L  1849.  3.  —  Rothmund,  kl.  Monatbl.  1863.  S.  264;  Jahres- 
bericht 186 '/2-  München.  1863.  S.  24.  —  Schön,  Beiträge  zur  prakt.  Augenheilkde. 
Hamburg.  1861.  S.  185.  —  Arlt,  1.  c.  S.  390,  392,  393;  A.  f.  O.  L  2.  S.  153,  155. 

—  Ammon,  kl.  Darstellungen.  IL  1838.  Taf.  IX.  —  Stellwag,  Ophth.  IL  S.  1050, 
1052,  1056,  1085,  1088,  1089,  1090.  —  Zander  und  Geissler,  Verletzungen  des 
Auges.  Leipzig  und  Heidelberg.  1864.  S.  103.  — -  Warlomont,  ibid.  S.  412  und 
Presse  med.  beige.  1862.  Nr.  33.  —  N.  klin.  Monatbl.  1863.  S.  405.  —  Janin, 
Abhandlungen  und  Beobachtungen  über  das  Auge.  Berlin.  1788.  S.  111,  275.  — 
Chelius,  Handbuch  der  Augenheilkunde.    IL   Stuttgart.    1839.  S.  37,  43,  45,  50,  57. 

—  A.  Weber,  A.  f.  O.  VIIL  1.  105.  —  Walther,  Neiss.  Diss.  de  fistula  et  polypo 
sacc.  lacr.  Bonn.  1820.  —  Blasius,  nach  Chelius,  1.  c.  S.  58.  —  Wecker,  klin. 
Monatbl.  1867.  S.  34.  —  Korn,  ibid.  1869.  S.  181.  —  Letenneur ,  Prag.  Viertel- 
jahrschrift. 93.  Bd.  Mise.  S.  82.  —  0.  Becker,Wien.  Augenkl.  Ber.  S.  162,  177.  — 
Zehender,  kl.  Monatbl.  1867.  S.  131.  —  Stilling,  Ueber  die  Heilung  der  Ver- 
engerung etc.  Cassel.  1868.  S.  6.  —  Lecomte,  Virchow's  Jahresber.  1868.  S.  505.  — 
Williams,  Arch.  für  Augen-  und  Ohrenheilkde.  I.  S.  78,  89.  —  Berlin,  klin. 
Monatbl.  1868.  S.  362.  —  Förster,  A.  f.  O.  XV.  1.  S.  318.  —  Narkiewicz-Jodko, 
kl.  Monatbl.  1870.  S.  78. 


Dacryocystitis  phlegmonosa;  Krankheitsbild ;  Ursachen.  557 


1.    Die    phlegmonöse    TlirMnensclilaiiclientziinflnng. 

Krankheitsbild.  Die  Dacryocystitis  phlegmonosa  macht  aniliuglioli  in 
der  Regel  ganz  den  Eindruck  eines  im  inneren  Augenwinkel  zur  Ent- 
wickelung  gekommenen  Abscesses.  Es  tritt  nämlich  am  inneren  Winkel, 
über  und  unter  dem  Lidbande,  eine  mächtige  und  nicht  sti-eng  begrenzte, 
anfangs  harte,  überaus  schmerzhafte  und  gegen  Druck  sehr  empfindliche, 
später  fluctuirende  Geschwulst  hervor ,  über  welcher  die  entzündlich 
geschwellte  heisse,,  tief  geröthete  und  gespannte  äussere  Decke  sich  nicht 
verschieben  lässt.  Nur  ausnahmsweise  kann  man  den  von  entzündlichen 
Producten  aufgetriebenen  Thränensack  in  Gestalt  einer  scharf  begrenzten 
bohnengrossen  harten  empfindlichen  Geschwulst  sehen  und  fühlen,  indem 
die  äussere  Decke  nur  wenig  geschwollen  ist. 

Meistens  sind  auch  die  Lider  von  entzündlichem  Oedeme  beträchtlich 
aufgetrieben,  oft  erscheinen  sie  sogar  wahrhaft  erysipelatös.  Gleiches  gilt 
von  der  Bindehaut,  insbesondere  von  der  inneren  Portion  derselben,  welche 
häufig  alle  Charaktere  der  Chemosis  darbietet.  Ausserdem  macht  sich  nicht 
selten  auch  eine  Theilnahme  der  Schneider' sehen  Haut  bemerklich ;  die 
betreffende  NasenhöhlenhäJfte  erscheint  dem  Kranken  in  höchst  lästigem 
Grade  trocken  und  unwegsam,  während  sich  aus  ihr  wässerige  Secrete 
entleeren.  Oftmals  participirt  der  ganze  Körper  unter  der  Form  von 
Fieber. 

Beim  Drucke  auf  die  Geschwulst,  welche  bis  zum  Momente  des  Durch- 
bruches gleichmässig  fortzuwachsen  pflegt,  entleert  sich  nichts,  weder  durch 
die  Thränenröhrchen,  noch  durch  den  Nasengang,  da  die  Oeflnungen  des 
Thränensackes  vermöge  der  Schwellung  der  Wandungen  verlegt  zu  sein 
pflegen.  Bei  der  Eröffmmg  des  Sackes  und  längere  Zeit  darnach,  sie  möge 
spontan  oder  auf  operativem  Wege  durch  einen  Einschnitt  bewerkstelliget 
werden,  entleert  sich  reiner  Eiter  ohne  Beimischung  von  Thränen,  da 
wegen  Anschwellung  der  Theile  und  wegen  der  Unwirksamkeit  der  im 
Entzündungsherde  streichenden  Muskeln  die  Thränenleitung  unterbrochen 
ist.  Erst  wenn  der  Process  schon  in  Abnahme  begriffen  und  die 
Abschwellung  weit  gediehen  ist ,  gelangen  Thränen  wieder  in  den  Sack 
und  entleeren  sich  durch  diese  Perforationsöff'nung,  während  umgekehrt 
beim  Drucke  auf  die  Geschwulst  eitrige  Massen  aus  den  Thränenpunkten 
quellen. 

Ursachen.  Die  phlegmonöse  Thränensackentzündung  entwickelt  sich 
oft  primär  ohne  zureichende  nachweisbare  Veranlassung;  selten  in  Folge 
von  Schädlichkeiten,  welche  den  Thränensack  direct  getroffen  haben.  Häufig 
kömmt  sie  auch  im  Verlaufe  eines  Gesichtsrothlaufes  zu  Stande  und  es  ist 
dann  oft  schwer  zu  entscheiden,  ob  dieses  oder  jenes  Uebel  als  das  primäre 
zu  betrachten  sei. 

Nicht  selten  entwickelt  sie  sich  secundär,  durch  Fortpflanzung  ent- 
zündlicher Processe  von  den  Nachbarorganen  ai;s.  Sie  kömmt  vor  in  Folge 
entzündlicher  Processe  in  der  Schleimhaut  und  im  Perioste  der  Nasen-  und 
Highmorshöhle,    in  Folge  von    Caries    der  umliegenden   Knochen  und  in  Folge 


5ö8  Dacryocystitis  phlegmonosa:  Ausgänge;  Stricturen;  Verödung;  Fistel. 

von  Bindehautentzündungen.  Auch  ist  sie  bisweilen  in  der  Bedeutung  einer 
Metastase  aufzufassen. 

Aussei'dem  stellt  sie  öfters  eine  Art  Ausgang  der  Thränenschlaucli- 
blennorrhoe  vor  und  vermittelt  bei  dieser  gewöhnlich  den  Durchbruch, 
wenn  sich  der  Entleerung  der  Producte  Hindernisse  in  den  Weg  legen. 

Verlauf  und  Ausgänge.  Der  Process  entwickelt  sich  in  der  Regel 
überaus  rasch  und  unter  stürmischen  Symptomen.  Er  pflegt  binnen 
wenigen  Tagen  den  Höhepunkt  überschritten  zu  haben. 

1.  Manchmal  geht  die  Entzündung  wieder  zurück,  ohne  dass  es  zum 
Durchbruche  kömmt,  indem  unter  Verminderung  der  Production  die  ange- 
sammelten entzündhchen  Producte  entweder  durch  Absorption  oder  durch 
die  Mündungen  des  Thränensackes  entfernt  werden.  Es  kann  dann 
möglicher  Weise  vollständige  Heilung  eintreten.  Gewöhnlich  aber  bleibt 
eine   Thränenschlauchhlennorrhoe  zurück. 

2.  Mitunter  kömmt  es  zu  "partiellen  Verschivärungen  der  Thränen- 
schlauchwandung  und  nachträglich  zu  narbigen  Verziehungen  derselben,  es 
möge  übrigens  ein  Durchbruch  erfolgt  sein  oder  nicht.  Es  scheint,  als  ob 
die  obere  Portion  des  Nasenganges  hierzu  am  meisten  disponirt  sei ;  denn 
an  diesem  Orte  hat  man  bisher  relativ  am  öftesten  solche  Narben  und  in 
Folge  derselben  Verengerungen  und  Verschliessungen  der  Schlauchlichtung 
nachweisen  können.  In  einzelnen  Eällen  wurde  der  häutige  Nasengang 
nach  vorausgängiger  phlegmonöser  Thränenschlauchentzündting  sogar  in 
grosser  Ausdehnung  zu  einem  soliden  sehnigen  Strange  verwandelt  gefunden, 
welcher  locker  in  dem  knöchernen  Kanäle  eingelagert  war  (Hasner). 

3.  In  der  Regel  bricht  der  Eiter,  wenn  ihm  nicht  künstlich  ein  Aus- 
weg eröffnet  wird,  durch,  nachdem  sich  allmälig  Fluctuation  in  dem 
Abscesse  geltend  gemacht  hatte.  Es  nehmen  dann  die  entzündlichen 
Erscheinungen  bald  ab  und  die  Geschwulst  sinkt  ein.  Es  kann  hierauf 
möglicher  Weise  die  Durchbruchsöffnung  wieder  verheilen  und  selbst  voll- 
ständige Genesung  eintreten,  oder  eine  gewöhnliche  Thränenschlauchblennorrhoe 
zurückbleiben.  Meistens  aber  recidivirt  die  phlegmonöse  Thränenschlauch- 
entzündung  alsbald  und  fülirt  neuerdings  zur  Perforation,  wenn  die  Durch- 
bruchsöffnung sich  geschlossen  hat,  so  lange  noch  der  entzündliche  Process 
im  Gange  ist  und  in  der  Höhle  des  Thränensackes  eiterige  Producte  abge- 
sondert werden. 

In  der  bei  weitem  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  wird  die  Ver- 
heilung  der  Perforationsöflfnung  durch  den  beständigen  Ausfluss  schleimig- 
eitriger  Producte  und  später  der  Thränen  gehindert.  Es  überkleidet  sich 
am  Ende,  nach  Verlauf  von  Wochen  oder  Monaten,  der  falsche  Gang  mit 
Epithel  und  stellt  dann  eme  ivahre  Thränensackfistel  dar,  welche  entweder 
reine  Thränen,  oder  Thränen  mit  schleimig  eiterigen  Producten  gemengt  ent- 
leert, je  nachdem  die  Mucosa  zum  Normalzustande  zurückgekehrt  ist,  oder 
aber  im  Zustande  des  chronischen  Katarrhes  verharrt.  Diese  Fisteln 
bestehen  in  der  Regel  zeitlebens  fort,  wenn  nicht  die  Therapie  in  ent- 
sprechender Weise  gehandhabt  wird. 

Meistens  bohrt  der  Eiter  nach  aussen  gegen  die  äussere  Decke  hin 
durch  und  das  Resultat  ist  eine  sogenannte  äussere  ThränensacJ^^fistel.  Es 
können  sich  gleichzeitig  mehrere  Fistelgänge  bilden,  welche  nach  ver- 
schiedenen Richtungen    verlaufen.      Gewöhnlich  aber    findet  man  nur  Eine 


Aeussero,  itiiiore  Fistol ;  Bloslcgung  des  Knochens;  Caries  u.  Noirosis.  559 

Fistol,  welche  unici'  dem  inneren  Lidbando  sich  öffnet  und  in  mehr 
weniger  schiefer  Eicliiung  alle  Schichten  bis  zur  Thränensackhöhle  durch- 
bohrt. Docli  verlaufen  solche  Hohlgängo  auch  bisweil  (in  in  Gestalt  ganz 
unregelmässiger  und  vielfach  gekrümmter  Kanüle  lange  Strecken  unter  der 
äusseren  Haut  fort  und  münden  in  ziemlicher  Entfernung  vom  Thränen- 
sacke  unter  oder  nach  aussen  von  ihm,  bisweilen  sogar  in  der  Nähe  des 
äusseren  Orbitalrandes. 

In  einzelnen  seltenen  Fällen  entleert  sich  der  Abscess  in  den  Binde- 
liautsack  und  der  Gang  wird  fistulös  (Zeis).  Auch  bricht  der  Eiter  ziemlich 
oft  an  der  hinteren  Wand  des  Thränensackes  durch,  entblösst  den  Knochen  und 
bohrt  sich  dann  erst  nach  aussen  den  Weg,  eine  äussere  Fistel  hinterlassend. 
Man  fühlt  dann  mit  der  Sonde  die  fein  rauhe  Stelle  und  muss  sich  wohl 
hüten,  dieselbe  mit  Caries  oder  Necrosis  zu  verwechseln.  In  der  That 
hat  die  Freilegung  des  Knochens  gewöhnlich  nicht  viel  auf  sich,  da  es 
in  der  Regel,  wenn  auch  langsam,  wieder  zur  Ueherhäutung  kömmt.  Aus- 
nahmsweise nur  wird  das  Thränenhein  in  den  entzündlichen  Process  mit 
einbezogen  und  cariös,  ja  mitunter  findet  sogar  ein  Durchbruch  in  die 
Nasenhöhle  statt,  es  ist  eine  sogenannte  compUcirte  äussere  Thränensackfistel 
gegeben. 

Möglicher  Weise  kann  sich  der  aus  dem  Sacke  nach  hinten  dixrchbrechende 
Eiter  zwischen  der  sehnigen  Hülle  des  Schlauches  tmd  der  knöchernen  Kanalwand 
nach  abwärts  senken  und  seinen  Abfluss  durch  eine  gescliwürige  OefFnuna;  der 
Schneider' sehen  Haut  unter  der  unteren  Nasenmuschel  nehmen  (Innere  Thränen- 
sackfistel, Hasner). 

Caries  und  Nekrosis  des  Thränenbeines  sind  übrigens  bisweilen  das 
primäre  Uebel,  die  phlegmonöse  Dacryocystitis  das  secundäre.  Doch  ist 
letztere  nicht  nothvjendig  an  erstere  gebunden.  Die  Verschwärung  kann 
sich  vielmehr  auf  die  Hüllen  des  Sackes  beschränken  und  der  Eiter  neben 
dem  Schlauche  nach  Aussen  dringen,  ein  Hohlgeschwür  begründend,  welches 
eine  Zeit  lang  und  vielleicht  auch  dauernd  aiisser  Verbindung  mit  der 
Sackhöhle  ist  (Zehender).  Verhältuissmässig  am  öftesten  stösst  man  auf 
Caries  und  Nekrosis  bei  scrophulösen  und  syphilitischen  Individuen.  Sie  ist 
dann  häufig  nur  die  Theilerscheinung  eines  weiter  verbreiteten  Knochen- 
leidens, einer  Ozäna.  Von  grösstem  Belange  ist  hier,  dass  bei  der  Ver- 
narbung  nach  Abstossung  des  cariösen  oder  nekrotischen  Knochentheiles 
der  Thränenschlauch  nur  ausnahmsweise  seine  normale  Leitungsfähigkeit 
beibehält,  da  er  sich  eben  immer  im  Entzündungskreise  befindet  und  wenn 
auch  nicht  verschwärt,   so   doch  schrumpft  und  sich   verengert. 

Die  Behandlung  verfolgt  dieselben  Zwecke,  wie  bei  Abscessen 
anderer  Theile.  Es  ist  vorerst  die  Entzündung  als  solche,  die  übermässige 
Production,  zu  beschränken.  Hat  sich  bereits  eine  grössere  Menge  Eiter  in 
oder  um  den  Thränensack  gesammelt,  so  muss  rasch  die  Entleerung  des- 
selben bewerkstelligt  werden,  um  die  Zahl  der  wuchernden  Elemente  zu 
vermindern,  hauptsächlich  aber  um  durch  Ent»panmmg  der  Theile  günstigere 
Ernährungsmögliclikeiten  zu  setzen  und  geschwürigen  Durchbrüchen  mit 
ihren  üblen  Folgen  vorzubeugen.  Ist  die  Entleerung  aber  bereits  geschehen, 
so  kommt  es  darauf  an,  einen  möglichst  günstigen  Verheilungsmodus  anzu- 
bahnen. 

1.  In  erster  Beziehung  ist  neben  sorglicher  Beachtung  der  Causal- 
indication  strenge  Antiphlogose,   sowohl  locale    als  allgemeine,    geboten.      Im 


560    Daciyocystitis  phlegmonosa;  Behandlung;  Antiphlogosis ;  Schlitzung  d.  Köluxhens;  Eröif.  d.  Sackes. 

Beginne,  bei  sehr  starker  Hyperämie  und  besonders  bei  hochgradiger 
Temperaturerhöhung,  empfehlen  sich  kalte  Ueberschläge.  Wo  die  erwähnten 
Symptome  aber  minder  gebieteriscla  auftreten,  genügt  bei  strengem  anti- 
phlogistischen Verhalten  des  Kranken  die  Bedeckung  der  Geschwulst  mit 
einem    trockenen   Linnenlappen.     Manche    loben    Cataplasmen   (Schiveigger). 

2,  Um  dem  im  Inneren  des  Thränensackes  angesammelten  Producta 
einen  Ahfluss  zu  ermöglichen,  ist  die  Schlitzung  des  unteren  Thränenrohres  das 
geeignetste  Mittel.  Dieselbe  soll  vorgenommen  werden,  sobald  man  Grund 
hat,  flüssigen  entleerbaren  Eiter  in  der  Sackhöhle  zu  vermuthen.  Sie 
gelingt  in  der  Regel  leicht,  wenn  die  Schwellung  und  Spannung  der 
Nachbartheile  nicht  gar  übermässig  ist  und  setzt  keine  grösseren  Gefahren, 
als  die  Eröffnung  des  Sackes  von  aussen  her.  Die  Entleerung  des  Inhaltes 
bedarf  dann  gewöhnlich  nur  eines  sanften  äusseren  Druckes  und  wird 
übrigens  durch  Einführung  einer  Sonde  in  die  Sackhöhle  wesentlich 
gefördert.  Der  Erfolg  dieses  Verfahrens  ist  nach  den  bisher  gemachten 
Erfahrungen  ein  überaus  erfreulicher.  Meistens  gehen  die  entzündlichen 
Erscheinungen  überaus  rasch  zurück  und  die  Schmerzen  hören  gänzlich 
auf.  Oefters  wird  der  Durchbruch  nach  aussen  selbst  dann  noch  hinter- 
trieben, wenn  ein  Theil  der  Geschwulstobei'fläche  den  Eiter  schon  gelb 
durchscheinen  lässt.  Zudem  ist  die  Schlitzung  des  Rohres  ohnehin  nur 
selten  zu  vermeiden,  indem  fast  constant  eine  Thränensackblennorrhoe 
zurückbleibt,  welche  nachträglich  Sondirungen  des  Schlauches  nothwendig 
macht. 

Ein  Durchbruch  so  wie  die  operative  Eröffnimg  des  Sackes  von  aussen  her 
haben  das  ausnehmend  Missliche,  dass  sie  in  der  Regel  eine  Fistel  hinterlassen, 
deren  Heilung  nicht  immer  ohne  alle  Schwierigkeiten  gelingt.  Wählt  man  indessen 
letztere  dennoch,  so  kann  hierbei  lücht,  wie  beim  normalen  Zustande  der  äusseren 
Haut,  die  Mitte  des  Lidbandes  als  Marke  für  den  Einstich  benützt  werden,  da  dieses 
Ligament  von  der  Geschwulst  völlig  gedeckt  wird.  Doch  ist  der  untere  Lidi-and  ein 
ganz  guter  Leiter.  Man  setzt  in  der  idealen  Verlängerung  desselben,  etwa  2'" 
von  der  Commissur  entfernt,  die  Spitze  des  Bistouri  oder  der  Lanzette  senkrecht 
auf  die  Oberfläche  der  Geschwulst  und  stösst  das  Instrument  mit  nach  tmten  und 
aussen  gekehrter  Schneide  in  die  Tiefe  der  Geschwulst ,  sorgfältig  dem  inneren 
unteren  Orbitalrande  ausweichend.  Liegt  das  Centrum  einer  vor  dem  Thränensacke 
befindlichen  Abscesshöhle  nicht  gerade  in  der  Richtung  des  Einstiches  und  fürchtet 
man  diese  Höhle  nicht  genügend  eröffnet  zu  haben,  so  kann  man  das  Fehlende 
beim  Ausschneiden  leicht  nachholen.  Um  der  Wiederverwachsung  der  Wunde  und 
den  dann  fast  unvermeidlichen  wiederholten  Durchbrüchen  zu  begegnen,  ist  eine 
massig  dicke  gewachste  Charpiewieke  in  den  Wundkanal  einzuführen  und  sorg- 
fältig vor  dem  Herausfallen  zu  bewahren,  indem  deren  umgebogenes  Ende  mittelst 
eines  Streifens  von  englischem  Pflaster  an  der  äusseren  Haut  befestiget  wird. 
Es  muss  diese  Wieke  täglich  zum  mindesten  einmal  erneuert  werden. 

Bleiben  nach  der  Entleerung  des  Sackes  noch  ausgedehnte  Härten  in 
der  Geschwulst  zurück,  so  thut  man  gut,  Cataplasmen  oder  Fomente  mit 
lauem  Wasser  anzuwenden,  oder  auch  wohl  nur  einen  Baumwollenbausch 
darüber  zu  befestigen,  bis  die  entzündliche  Hyperämie  und  die  Schwellung 
der  Theile,  sowie  die  Massenhaftigkeit  des  Eiterabflusses,  eine  beträchtliche 
Abnahme  zeigen.  Einzelne  sind  für  einen  scharf  angezogenen  Druckver- 
band  (Arlt,   Herzenstein). 

Gleich  anfönglich  nach  Entleerung  des  Eiters  den  Nasengang  zu  sondiren,  um 
seine  Durchgängigkeit  zu  erproben ,  ist  nicht  klug.  Das  Sondiren  führt  zu  dieser 
Zeit  in  der  Regel  erst  nach  langem  Herumsuchen,  wenn  überhaupt,  zu  einem  ver- 
lässlichen Resultate,  weil  die  übermässig  geschwollenen  Schlauchhüllen  den  Nasen- 
gang für  die  Sonde  gewöhnlich  unwegsam  machen.    Die  mechanische  Reizwirkung 


Caries,  Nelcrosis  des  Thränenbeines ;  Thriuioiisflilauolililiuiorrküü.  561 

eines  solchen  Verfahrens  ist  übrigens  für  den  weiteren  Verlauf  des  Processes  nicht 
ohne  üble  Bedeutung'.  Aehnliclies  gilt  von  den  Einspritzungen,  besonders  wenn  sie 
von  einer  äusseren  Wundöffnung  aus  gemacht  werden.  Man  läuft  hierbei  Gefahr, 
dass  das  Wasser  zum  Theile  in  das  aufgelockerte  Geioehe  an  der  Aussenwand  des 
Thränensackes  eindringt,  sich  förmlich  infiltrirt,  die  Geschwulst  beträchtlich  steigert 
und  unter  Vermehrung  der  Intensität  des  Processes  die  Eiterung  über  die  ursprüng- 
lichen Gremien  hin  ausdehnt. 

3.  Sind  unter  dieser  Behandlung  die  entzündlichen  Erscheinungen  mehr 
and  mehr  zurückgeyangen,  ist  die  Geschwulst  fast  ganz  gesunken  und  deutet 
der  mit  Thränen  gemischte  AusÜuss  eines  schleimig  eitrigen  l'roductes  darauf 
hin,  dass  die  Mucosa  des  Thiiinensaclces  in  einem  katarrhalischen  Zustande 
verharre:  so  wird  die  Behandlung  nach  den  für  die  Dacryocystoblennorrhoe 
geltenden  Eegelu  fortgesetzt. 

4.  Ist  der  Abscess  bereits  spontan  zum  Durchbruche  gekommen  und 
mündet  der  Hohlgang  nicht  allzuferne  von  dem  Lidbande  an  der  äusseren 
Haut,  so  ist  einfacli  das  untere  Thränenrohr  zu  schlitzen  und  die  etwa 
noch  vorhandene  Geschwulsthärte  durch  laue  Ueberschläge  zu  tilgen,  um 
dann  gleichfalls  zur  Therapie  der  Blennorrhoe  überzugehen.  Ist  der  Hohl- 
gang aber  ein  langer  und  sehr  unregelmässig  gekrümmter,  oder  hat  sich 
der  Eiter  durch  mehrere  (3eifnungen  entleert,  nachdem  er  die  Haut  unter- 
minirt  hat,  so  ist  es  räthlich,  den  oder  die  Hohlgänge  auf  der  Hohl- 
sonde zu  spalten,  um  so  eine  möglichst  kurze  und  einfache  Fistel  zu 
gewinnen. 

5.  Caries    und    Nekrosis    des     Thränenbeines    sind    nach    den  in   dem 

Capitel    über    Orbitalkrankheiten  angegebenen   Regeln  zu  behandeln.     Das 

weitere  Verfahren  richtet  sich  nach  dem  Zustande  des  Thränenschlauches. 

In  neuerer  Zeit  empfiehlt  man,  das  cariöse  Thränenbein  von  der  weit  ge- 
öffneten Sackhöhle  aus  mittelst  einer  kleinen  Trepankrone  zu  durchbohren  und 
die  Fistelöftnung  durch  Einlegung  von  Kautschukbougien  bis  zur  Verheilung  der 
Knochenwundränder  offen  zu  erhalten  (Uemarquay). 

Quellen:  Ad.  Schmidt,  Die  Krankheiten  des  Thränenorganes.  Wien.  1803. 
S.  227,  240,  275,  278,  280,  283,  303,  340.  —  Hasner,  Beiträge  zur  Phys.  u.  Path. 
des  Thränenableitungsapp.  Prag.  1850.  S.  31,  36,  47,  48,  49,  50,  53,  55,  56,  62, 
64,  89,  102.  —  Arlt,  Krankheiten  des  Auges.  III.  Prag.  S.  401,  415,  416;  A.  f.  0. 
XIV.  3.  S.  281.  —  Mackenzie,  Traite  d.  mal.  d.  yeux.  Traduit  par  Warlomont  et 
Testelin.  I.  Paris.  1856.  S.  379,  408.  —  Zeis,  Zeitschrift  f.  Ophth.  IV.  S.  174.  — 
Stellwag,  Ophth.  IL  S.1075,  1078,  1081,  1083.  —  Zehender,  kl.  Monatbl.  1869.  S.  100. 
—  Herzenstein ,  Beiträge  z.  Phys.  u.  Ther.  d.  Thränenorg.  S.  44.  —  Schweigger, 
Berlin,  kl.  Wochenschrift.  1868.  Nro.  47.  —  Demarquay,  Centralbl.  1868.  S.  862. 


2.  Die  Thränenschlauchblennorrlioe. 

Krankheitsbild.  Das  charakteristische  Merkmal  ist  eine  umschriebene 
rundliche,  in  ihrem  Umfange  sehr  oft  wechselnde  Geschwidst,  welche,  hinter 
dem  Lidbande  mit  breiter  Basis  und  unverschieblich  festsitzend,  die  innere 
Winkelgegend  hervorbaucht,  bei  einem  auf  sie  ausgeübten  Drucke  schleimig 
eitrige  Producte,  mit  Thränen  gemischt,  durch  die  Thränenrohr chen  entleert  und 
mit  der  äusseren  Decke  nicht  zinmittelbar  im  Zusammenhange  steht,  daher  diese 
über   der    Geschwulst  in  Falten  emporgehoben  werden  kann. 

Der  ectatische  Thränensack  erreicht,  wenn  er  gerade  angefüllt  ist, 
oft  den    Umfang  einer  grossen  Bohne,  einer  Haselnuss,  selten  eines  Tauben- 

Stellwag,   Augenheilkunde.  36 


562  Thränenschlaucliblennorrlioe ;  Kiankheitsbild ;  Geschwulst. 

eies  oder  darüber.  Je  nach  der  Grösse  seiner  Ausdehnung  drängt  er 
das  Lidhand  mehr  oder  weniger  nach  vorne,  tritt  aber  ausserdem  auch 
noch  oherlialh  und  vornehmlich  unterhalb  dieses  Ligamentes  geschwulst- 
artig hervor.  Bei  geringeren  Graden  der  Entwickelung  ist  diese  Geschwulst 
nur  greifbar  und  durch  das  Gesicht  an  einiger  Ausfüllung  der  Angular- 
gegend  zu  erkennen.  Es  ist  dann  auch  die  darüberliegende  verschieb- 
liche äussere  Decke  in  keiner  Weise  verändert.  Bei  höheren  Entwickelungs- 
graden  hingegen  steigt  die  Geschwulst  mit  ziemlich  steilen  Wandungen 
aus  der  Tiefe  hervor  und  wird  schon  von  weitem  als  ein  rundlicher  Vor- 
sprung bemerkt. 

Die  Füllung  des  Thränensackes  luechselt  übrigens  in  einem  und  dem- 
selben Falle  sehr  beträchtlich  je  nach  äusseren  Umständen  und  nacTi  der 
grösseren  oder  geringeren  Leichtigkeit,  mit  welcher  sich  der  Inhalt  der 
Gesehwulst  entleeren  kann.  Es  schivankt  daher  auch  die  Grösse  des  Tumors 
innerhalb   sehr  weiter  Grenzen  und   ebenso   die    Consistenz  desselben. 

In  der  That  findet  man  bei  Vorhandensein  einer  Dacryocystoblennorrhoe 
den  Thränensack  bald  mächtig  ausgedehnt,  hart  und  elastisch,  bald  ist  die  Ge- 
schwulst fast  ganz  verstrichen  und  teigig  weich.  Bei  heiterer  trockener  und  warmer 
Witterung,  überhaupt  unter  Verhältnissen,  unter  welchen  der  abzuleitende  Ueber- 
schuss  der  Thränen  sich  vermindert  und  katarrhalische  Zustände  eine  Besserung 
zu  erfahren  pflegen,  die  schleimhäutigen  Wandungen  des  Thränenschlauches  sonach 
etwas  abschwellen:  leiden  die  Kranken  viel  weniger,  ja  nicht  selten  verschwindet 
der  Tumor  ganz  oder  sinkt  beträchtlich  ein.  Umgekehrt  aber  tritt  die  Geschwulst 
auffällig  hervor  und  belästigt  überaus  stark  durch  die  Spannung  ihrer  Wandungen, 
wenn  rauhe  stürmische  nasskalte  Witterimg  die  Secretion  der  Thränen  sowie  die 
Schwellung  und  Absonderungsthätigkeit  des  schleimhäutigen  Thränenschlauches 
vermehrt. 

Auch  pflegt  die  Geschwulst  während  des  nächtlichen  Schlafes,  so  wie  bei 
längerer  Verschliessung  der  Lidspalte  im  ivachen  Zustande,  an  Umfang  merklich 
zu  verlieren  und  wohl  auch  völlig  einzusinken,  indem  unter  solchen  Umständen  die 
katarrhalische  Absonderung  sich  sehr  vermindert  und  wegen  ruhendem  Lidschlage 
auch  die  Thränenabsonderung  auf  ein  Kleinstes  beschränkt  wird.  Sobald  aber  der 
Lidschlag  wieder  beginnt,  tritt  die  Geschwulst  neuerdings  hervor  und  steigt  rasch 
bis  zu  einer  gewissen  Höhe,  so  weit  nämlich,  bis  die  Wandungen  des  Thränen- 
sackes einen  gewissen  Grad  von  Spannung  erreicht  haben.  Dann  hört  die  Thränen- 
leitung  auf,  der  Ueberschuss  der  Thränen  fliesst  über  die  Wangen  herab,  es  stellt 
sich  ein  dem  Kranken  sehr  peinliches  Thränentrüufeln  ein.  Indem  aber  die  katar- 
rhalische Absonderung  der  Mucosa  des  Thränensackes  nicht  gleichzeitig  mit  der 
Thränenleitung  sistirt  wird,  sondern  ungehindert  fortdauert,  nimmt  der  Inhalt  des 
Tumors  mehr  und  mehr  zu  und  die  steigende  Spannung  der  Sackwände  beurkundet 
sich  alsbald  durch  das  Gefühl  von  Druck  pnd  Schwere,  häufig  aiich  durch  ziehende 
spannende  Schmerzen  ,  welche  mitunter  in  die  Nase ,  in  die  Augenbrauengegend 
und  den  Bulbus  ausstrahlen.  Bisweilen  geschieht  es  dann,  dass  unter  dem  Drucke 
der  gespannten  Sackwandungen  und  unter  Beihilfe  einer  kräftigeren  Zusammen- 
ziehung des  Orbicularmuskels  ein  Theil  des  Inhaltes  durch  die  Thränenröhrchen  in 
den  Bindehautsuck  entweicht  und  dieser  daher  von  einer  mit  Thränen  gemischten, 
eitrig  schleimigen  Flüssigkeit  überschwemmt  wird.  Die  Folge  ist  natürlich  ein  vor- 
übergehendes Nebelsehen,  welches,  da  es  sich  im  Laufe  des  Tages  öfters  oder  gar 
häufig  wiederholt,  den  Kranken  ungemein  belästigt,  so  zwar,  dass  dieser  es  in  der 
Aufzählung  seiner  Leiden  gewöhnlich  in  den  Vordergrund  stellt.  Allraälig  wird  der 
Patient  mit  seinem  Uebel  aber  vertrauter  und  lernt  seinen  Zustand  dadurch  erträg- 
licher zu  machen,  dass  er  nach  Bedarf  von  Zeit  zu  Zeit  den  Thränensack  durch  einen 
geschickt  angebrachten  Druck  entleert  und  so  übermässigen  Ansammlungen  von 
katarrhalischen  Producten  und  Thränen  mit  allen  daraus  folgenden  Belästigungen 
thunlichst  begegnet. 

Die  Entleerung  gelingt  häufig  blos  in  der  Richtung  nach  aussen, 
durch    die     Thränenröhrchen ,    indem    die    Lichtung    des    Nasenganges    durch 


Ursachen;  Primäre,  secundäre  Formen.  563 

die  Schwellung  dev  Sehlaufhliülle  verlegt  ist.  Oefters  und  besonders 
in  den  späteren  Stadien  des  l'rucesses  lässt  sich  der  Inhalt  der  Geschwulst 
jedoch  auch  in  die  Nasenhöhle  treiben.  Es  kömmt  dann  eben  nur  auf  die 
llichtung  an,  in  welcher  der  Druck  ausgeübt  wird,  um  das  Entweichen 
uach  aussen  oder  unten  zu   bewerkstelligen. 

Erwähnenswerth  ist  noch  die  häutige  Combination  der  Dacryocysto- 
blennorrhoe  mit  Bindehautkatarrh  und  Blepharitis  ciliaris.  Es  werden  diese 
Zufälle  oft  secundär  hervorgerufen  durch  die  Berührung  der  Conjunctiva 
mit  den  Producten  des  Thränenschlauches  und  beziehungsweise  durch  die 
(ielegenheit  zu  massenhaften  Krustenbildungen  an   den  Lidrändern. 

Ursachen.  1.  Die  Thränenschlauchblennorrhoe  entwickelt  sich  nur 
in  den  seltensten  Ausnahmsfällen  primär  in  Folge  von  äusseren  Schädlich- 
keiten, welche  direct  auf  den  Thränenschlauch  eingewirkt  haben.  So  kömmt 
es  beispielsweise  vor,  dass  fremde  Körper  (KerstenJ,  Schnupftabak  (Kleemann) 
u.  dgl.  bei  klüftigen  Exspirationen  mit  dem  Luftstrome  aus  der  Nasenhöhle 
in  den  Thränenschlauch  dringen  und,  indem  sie  sich  daselbst  verhalten, 
einen  Entzündungsreiz  auf  die  Mucosa  ausüben. 

2.  Abgesehen  hiervon  lässt  sich  die  Thränenschlauchblennorrhoe  fast 
constant  als  ein  secundäres  Leiden  in  der  eigentlichsten  Bedeutung  des 
Wortes  erweisen. 

Häufig  stellt  sie  nur  einen  Ausgang  der  phlegmonösen  Thränenschlauch- 
entzündung  dar  und  zählt  darum  die  ätiologischen  Momente  der  letzteren, 
alle  wie  sie  sind,  zu  den  ihrigen.  In  Fällen  dieser  Art  erscheint  die 
Dacrj^ocystoblennorrhoe  sehr  gewöhnlich  mit  der  Thränensackfistel  gepaart. 
Auch  findet  man  unter  solchen  Umständen  relativ  am  häufigsten  Stricturen 
des  Nasenganges. 

Ebenso  oft  entwickelt  sich  die  Dacryocystoblennorrhoe  in  Folge  der 
Fortpflanzung  entzündlicher  Processe  von  den  Nachbarorganen  auf  den 
Thränenschlauch.  Besonders  belangreich  sind  betreifs  dessen  Entzündungen 
der  Nasenscldeimhaut,    der   Lidränder  und   der   Bindehaut. 

Die  Entzündung  der  Schneider'schen  Membran  kann  dabei  ein  pri- 
märes Leiden,  eben  so  gut  aber  auch  ein  von  der  Mucosa  der  Eachen- 
höhle,  von  den  unterliegenden  Knochen  u.  s.  w.  überkommenes  sein.  So 
sieht  mau  Thränenschlauchblennorrhoen  zu  Stande  kommen  im  Gefolge 
von  heftigen  und  lange  anhaltenden  Nasenkatarrhen,  des  Impetigo  und  des 
Eczemes  der  Nasenschleimhaut,  der  Grippe,  der  Angina  und,  insoferne  der 
Bespirationstract  bei  den  acuten  Exanthemen  in  sehr  beträchtlichem  Grade 
mitleidet,  auch  der  Masern  und  des  Scharlachs,  vornehmlich  aber  laut 
zahlreichen  Erfahrungen  der  Blattern  (Ad.  Schmidt).  Nicht  minder  kommen 
in  dieser  Beziehung  in  Betracht  :  syphilitische  (ZeissV)  und  scrophulose  Leiden 
der  Knochen  und  der  Schleimhaut  der  Nasenhöhle,  weiters  After gewächse, 
Polypen,  Krebse  u.  s.  w.,  welche  sich  in  der  Nasen-,  Rachen-  und  High- 
morshöhle   etc.   entwickeln. 

Von  den  Lidrandaffectionen  sind  besonders  die  ulcerösen  und  variolösen 
Formen  der  Blepharitis  ciliaris  berüchtigt,  von  den  Bindehautentzündungen 
aber  hochgradige  Trachome.  Wenn  Bindehautentzündungen,  welche  mit 
beträchtlicher  Chemosis  einhergehen,  zur  Thränenschlauchblennorrhoe  führen, 
so  handelt  es  sich  oftmals  nicht  sowohl  um  ein  allmäliges  Fortschreiten 
des  Processes,   als  vielmehr  um  eine    gleich  ursprüngliche  Mitleidenschaft   des 

36* 


564  Thränenschlauchblennon-hoe ;  Ursachen;  Verlauf;  Ausgänge. 

Thränenschlauches,    die  Entzündung  ist  von    Anfang   an    eine    sehr    ausge- 
breitete und  der  Thränensack  fällt  in  ihren  Bereich  hinein. 

Es  hat  eine  solche  Annahme  um  so  mehr  für  sich,  als  die  Chemosis 
im  Grunde  genommen  dem  Erysipele  sehr  analog  ist  und  der  Gesichtsroth- 
lauf unstreitig  eines  der  alkrhäufigsten  pathogenetischen  Momente  der 
Thränenschlauchblennorrhoe  darstellt.  Durch  seine  Vermittlung  steht  die 
letztere  Krankheit  auch  in  einem  losen  Zusammenhange  mit  Pyämie,  Puer- 
peralkrankheiten,   dem   Typhus  u.   s.   w. 

3.  Ein  sehr  wichtiges  ursächliches  Moment  für  Thränenschlauch- 
blennorhoen  sind  endlich  andauernde  Behinderungen  der  normalen  Thränen- 
leitung.  Wirklich  ist  die  Thränenschlauchblennorrhoe  ein  auifallend  häufiges 
Vorkommniss,  wenn  die  untere  Mündung  des  Nasenganges  durch  Schleim- 
hautnarben u.  s.  w.  unwegsam  geworden  ist;  wenn  der  Nasengang  durch 
fremde  Körper,  Polypen,  durch  narbige  Schrumpfungen  verlegt  ist ;  wenn 
die  Thränenröhrchen  oder  die  Thränenpunlde  ungangbar  sind ;  ja  es  genügt 
erfahrungsmässig  die  einfache  Eversion  der  Thränenpunkte,  wenn  sie  lange 
den  Eintritt  der  Thränen  unmöglich  macht,  um  die  Dacryocystoblennorrhoe 
hervorzurufen,  zu  unterhalten  und  am  Ende  zur  Schrumpfung  der  Schlauch- 
wände Veranlassung  zu  geben. 

4.  Nicht  Jedermann  wird  unter  gleichen  V'^erhältnissen  gleich  leicht 
von  der  Dacryocystoblennorrhoe  heimgesucht.  Erwachsene  sind  mehr  als 
Kinder,  Greise  mehr  als  im  Manßjesalter  stehende  Individuen,  Weiber  mehr 
als  Männer,  schlaffe  blasse,  sehr  herabgekommene  Leute  mehr  als  kräftige 
stramme  disponirt.  Auch  sollen  Plattnasen  zu  dem  in  Rede  stehenden 
üebel  sehr  geneigt  machen   (Hasner). 

Verlauf.  Bei  sehr  disponirten  und  namentlich  bei  auffällig  welken 
schlaffen  herabgekommenen  Individuen  entwickelt  sich  die  Thränenschlauch- 
blennorrhoe öfters  ganz  unmerklich;  sie  besteht  meistens  schon  längere 
Zeit,  wenn  der  Kranke  durch  katarrhalische  Zustände  der  Bindehaut,  durch 
das  zeitweilige  Thränenträufeln,  durch  das  öftere  UeberHiessen  des  Inhaltes 
des  Thränensackes  und  durch  das  darin  begründete  Nebelsehen  auf  seinen 
krankhaften  Zustand  aufmerksam  gemacht  wird. 

Ist  die  Ectasie  des  Thränensackes  einmal  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  gediehen,  so  verlieren  sich  alsbald  die  entzündlichen  Symptome  und 
die  Dacrj'ocystoblennorrhoe  besteht  ohne  weitere  sonderliche  Veränderungen 
Jahre  lang,  ja  zeitlebens  fort.  In  vielen  Fällen  machen  sich  jedoch  Exa- 
cerbationen geltend,  welche  von  Zeit  zu  Zeit  mit  oder  ohne  nachweisbare 
Veranlassungen  auftreten,  sich  durch  mehr  weniger  heftige  entzündliche 
Erscheinungen  auszeichnen  und  in  der  Regel  eine  Volumszunahme  der 
Geschwulst  im  Gefolge  haben.  Umgekehrt  tritt  aber  auch  bisweilen  das 
Leiden  zurück  und  kann  unter  günstigen  Verhältnissen  zeitweilig  ganz 
verschwinden,  um  später  wieder  plötzlich  hervorzutreten. 

Ausgänge.  1.  Die  Thränenschlauchblennorrhoe  kann,  wenn  sie  Jiicht 
veraltet  ist  und  wenn  übrigens  günstige  äussere  Verhältnisse  zu  Hilfe  kommen, 
ausnahmsweise  spontan  heilen.  Es  gilt  dieses  vornehmlich  von  Daciyocysto- 
blennorrhoen,  welche  im  Kiudesalter  entstanden  sind.  Diese  sollen  nicht 
ganz  selten  beim  Eintritte  in  das  Mannesalter  oder  während  der  ersten 
Schwangerschaft  von   selbst  zurückgehen  (Mackenzie). 


Veränderungen  der  urageb.  Knochen;  Hydrops  sacci  lacrym.;  Kntzündl.  Episoden.  565 

2.  In  der  Regel  jedoch  besteht  die  Thränenschlauchblcnnorrhoe,  wenn 
nicht  Kunsthilfe  einschreitet,  durch  das  ganze  Leben  fort.  Die  Ectasie 
pflegt  dann  im  weiteren  Verlaufe  noch  etwas  zuzunehmen,  während  die 
constituirenden  Theile  des  Thränenschlauches  nach  und  nach  gewisse  Ver- 
änderungen eingehen,  welche  die  Rückkehr  zur  Norm  immer  schwieriger 
und   die  Therapie   mehr  und   mehr  unzulänglich   machen. 

So  wird  öfters  die  Knochenleiste  des  Nasenfortsatzes  des  Oberkieferbeines, 
welche  die  Thränengrube  bilden  hilft,  verdrängt  und  theilweise  sogar  resorbirt. 
Indem  gleiches  Los  auch  die  Crista  ossis  laoymalis  trifft,  verstreicht  sich  die  Thränen- 
rinne  manchmal  völlig  (Arlt).  Die  den  Thränensack  von  vorneher  deckenden  Theile 
des  Orhicularmuskels  verlieren  in  Folge  des  Druckes  und  beziehungsweise  der  Zer- 
rung, welchen  sie  ausgesetzt  sind,  allmälig  an  Coutractionsfähigkeit  und  atrophiren 
theilweise.  Dasselbe  gilt  von  dem  bindegewebigen  Maschenwerke,  welches  die 
Aponeurose  des  Thränensackes  deckt  und  mit  dem  Lidbande  zusammenhängt.  Es 
wird  dieses  von  hintenher  zusammengedrängt  und  verdichtet  sich  zu  einer  sehnen- 
ähnlichen Schichte,  welche  nur  schwer  wieder  sich  so  lockert,  dass  die  unter  ein- 
ander verwachsenen  Balken  aus  einander  treten  und  ihre  Lücken  sich  neuerdings 
mit  zartem  lockeren  Gefüge  füllen  können. 

Die  Schleimhaut  und  das  caver-nöse  Gefüge  des  Thränenschlauches  hypertro- 
phiren  unter  der  andauernden  Gewebswucherung  und  treiben  bisweilen  Polypen. 
(S.  555).  Sie  können  in  diesem  Zustande  eine  lange  Reihe  von  Jahren,  ja  zeit- 
lebens verharren.  Manchmal  jedoch,  namentlich  bei  hochgradiger  Ectasie  des  Sackes 
und  seiner  Hüllen,  verlieren  sie  nach  und  nach  ihren  eigenthttmlichen  Charakter, 
ihr  hypertrophirtes  Gewebe  verödet.  Die  Sackwandungen  verwandeln  sich  dann  in 
eine  gefässarme  blasse  derbe  und  dichte,  ihrer  ganzen  Dicke  nach  sehnen'dhnliche 
Membran,  welche  mit  der  ßhrösen  Hülle  vollkommen  zusammenschmilzt  und  im 
Vereine  mit  der  letzteren  ein  einheitliches  Stratum  von  relativ  geringer  Mächtigkeit 
darstellt.  Das  Secret  ändert  nun  seinen  Charakter,  es  wird  einer  durchscheinenden 
gelblichen  oder  bräunlichen  Gallerte  ähnlich ,  welche  in  Folge  der  Aufsaugung 
ihrer  flüssigen  Bestandtheile  sich  bis  zur  Consistenz  eines  halberkalteten  Tischler- 
leimes eindicken  kann.  Man  hat  diesen  Zustand  früher  unter  dem  Namen  „Bruch 
und  Wassersucht  des  Thränensackes,  Hernia  und  Hydrops  sacci  lacrgmalis*^  be- 
schrieben (Ad.  Schmidt,  Beer).  Er  wird  in  seinem  Zustandekommen  begreiflicher 
Weise  sehr  begünstigt  durch  Unwegsamkeit  des  Nasenganges  und  diese  ist  unter 
den  fraglichen  Verhältnissen  ein  ziemlich  häufiges  Vorkommniss.  Abgesehen  von 
narbigen  Verengei-ungen  und  Verschliessungen,  welche  bisweilen  durch  partielle 
VerschvMrungen  der  Schlauchhüllen  bedingt  werden,  kömmt  hier  nämlich  die 
Schrumpfung  in  Rechnung,  welche  im  Bereiche  des  Nasenganges  der  Hyper- 
trophie der  Mucosa  und  des  Schwellkörpers  zu  folgen  pflegt,  da  hier  nicht  wie 
im  Thränensacke  das  angesammelte  Secret  und  die  durch  Muskeldruck  einge- 
triebenen Thränen  erweiternd  auf  die  Wandungen  wirken,  einer  zunehmenden 
Verkleinerung  der  Lichtung  also  nichts  im  Wege  steht.  Es  reihet  sich  nach  allem 
dem  der  Hydrops  sacci  lacrymalis  den  Retentionscysten  der  grösseren  Kanäle 
(Virchow)  an. 

Wo  der  Thränenzufluss  dauernd  behindert  ist,  bei  Eversion  oder  Verstopfung 
der  Thränenpunkte  oder  Thränenröhrchen,  kömmt  es  ausnahmsweise  zur  concen- 
trischen  Verengerimg  des  Thränensackes,  indem  unter  zunehmender  Schrumpfung 
seiner  Wandungen  auch  die  Secretion  stockt  (A.   Weber). 

3.  Den  hervorragendsten  Einfluss  auf  die  weitere  Gestaltung  der 
Krankheit  nehmen  die  entzündlichen  Exacerbationen,  welche  sich  im  Verlaufe 
der  Dacryocystoblennorrhoe  ziemlich  häufig  geltend  machen.  Allerdings 
gehen  diese  Entzündungen  öfters  wieder  zurück,  ohne  merkliche  Folgen 
zu  hinterlassen.  Häufig  jedoch  führen  sie  zum  eitrigen  Durchbruche.  Die 
Perforationsöffnung  schliesst  sich  dann  gar  nicht  selten,  so  dass  der  frühere 
Zustand  wieder  hergestellt  wird.  P^benso  oft  jedoch  bleibt  eine  Thränen- 
sackfistel  zurück.  Auch  veranlassen  solche  zwischenlaufende  Entzündungen 
mit  oder  ohne  eitrigem  Durchbruche  oftmals  partielle    Verschwärungen  der 


566  Thränenschlauchblennoirhoc ;  Ausgange;  Emphysema  sacci  lacrym. ;  Behandlung. 

inneren  Wand  des  Thi'änensackes,  besonders  aber  des  häutigen  Nasen- 
ganges. Dadurch  wird  selbstverständlich  der  Knochen  streckenweise  ent- 
blösst.  Die  beim  Sondiren  fühlbare  Rauhigkeit  kann  dann  leicht  zur 
Diagnose  einer  Caries  verleiten.  In  der  E,egel  jedoch  überhäuten  sich  derlei 
Stellen  ziemlich  bald  oder  werden  durch  narbigen  Zuzug  der  geschwürigen 
Sackwand  überdeckt.  Die  weiteren  Folgen  sind  narbige  Verziehungen  der 
letzteren,  Stricturen  und  sehr  ausnahmsweise  Obliterationen  des  Nasenganges 
(S.   558). 

4.  In  höchst  seltenen  Fällen  bilden  sich  im  Inneren  des  Thränenschlauches 
DacryoliÜien  oder  Thränensteine.  Diese  können  sehr  heftige  Entzündungen  anregen 
und  so  die  nächste  Veranlassung  der  sub  3.  geschilderten  Zustände  werden 
(Desmarres). 

5.  Auch  combinirt  sich  weiterhin  die  Thränenschlauchblennorrhoe  bisweilen 
mit  dem  Emi^hysem  des  ThränensacJces,  welcher  Zustand  sich  dadurch  charakterisirt, 
dass  bei  jeder  kräftigeren  Exspiration,  namentlich  beim  Schnäuzen,  Niesen  u.  s.  w. 
ein  Theil  der  in  der  Nasenhöhle  comprimirten  Lieft  in  den  Thränensack  dringt 
und  diesen  beträchtlich  aufbläht,  oder  auch  mit  dem  Inhalte  desselben  unter 
Blasenbildung  durch  die  ThränenpunJcte  entweicht.  Mau  hat  als  Ursache  dieser 
Ercheinungen  eine  Störung  des  Klappenverschlusses  am  Nasenende  des  Schlauches 
angenommen  (Hasner),  was  jedoch  irrthümlich  ist.  Kömmt  es  bei  einer  solchen 
aussergewöhnlichen  Durchgängigkeit  des  Schlauches  zu  Verletzungen  oder  zu 
partiellen  Verschivärungen  der  Sackwand,  so  entwickelt  sich  leicht  eine  Luftgeschwulst 
im  subcutanen  und  submucosen  Gewebe  der  Angulargegend  (Arlt,  Rau,   Graefe). 

Die  Behandlung  hat  den  Ausgleich  der  vorhandenen  Ernährungs- 
störungen und  die  Eückkehr  des  ausgedehnten  Thränensackes  zu  seinem 
normalen  Umfange  zu  ermöglichen.  Damit  im  Zusammenhange  steht  die 
weitere  Aufgabe,  Leitungshindernisse  jedweder  Kxi  zu  beseitigen.  Wo  die 
Erfüllung  dieser  Indicationen  unthunlich  erscheint,  müssen  die  aus  der 
Leitungsstörung  hervorgehenden  Leiden  des  Kranken  auf  ein  möglichst 
kleines  Mass  beschränkt  werden. 

1.  Ln  Interesse  der  Causalindication  wird  öfters  die  allgemeine  und 
örtliche  Behandlung  einer  Ozäna,  die  Entfernung  von  Polypen  oder  anderen 
Aftergeioächsen  aus  der  Nasen-  oder  Highmorshöhle,  die  Tilgung  chronischer 
Entzündungprocesse  im  Bereiche  der  Schneider  sehen  Haut  u.  s.  w.  noth- 
wendig.  Sehr  selten  sind  fremde  Körper,  Thränensteine,  Polypen  etc.  aus 
dem  Thränenschlauche  selber  zu  entfernen. 

2.  Bei  einfachen  Thränenschlauchblennorrhoen  stellt  sich  zuförderst  die 
Aufgabe,  Anhäufungen  von  Thränen  und  krankhaften  Secreten  im  Inneren 
des  Thränensackes  unmöglich  zu  machen.  Es  stehen  solche  Product- 
ansammlungen  nämlich  der  Zusammenziehung  des  Thränensackes  auf  seinen 
natürlichen  Umfang  direct  im  Wege  und  werden  dadurch  mittelbar  ein 
Hinderniss  für  die  Wiederherstellung  der  normalen  Vegetationsverhältnisse 
der  Schleimhaut.  Ueberdies  unterliegt  es  kaum  einem  Zweifel,  dass  die 
abnorme  Spannung  und  namentlich  der  oftmalige  Wechsel  zwischen  Spannung 
und  Erschlatfung  der  Wandungen  als  eine  directe  Schädlichkeit  aufgefasst 
werden  müsse,  welche  den  entzündlichen  Process  unterhält  und  steigert. 
Wirklich  genügt  erfahrungsmässig  die  dauernde  Entspannung  des  Thränen- 
sackes in  vielen  Fällen,  um  einfache  Thränenschlauchblennorrhoen  zur 
Heilung  zu  bringen. 

a.  Das  erspriesslichste  Verfahren  ist  unstreitig  die  Spaltung  eines 
Thränenröhrchens  und  die  nachherige  wiederholte  Sondirung  des  Nasenganges 
(Bowman).     Durch  die  Schlitzung  des  von  Muskelfasern  dicht  umsponnenen 


Sondenkur;  Schlit/.ung  der  Thränenröhrcht'n  ;    Bpliandlunp;  pinfUchtni  Thränenträufelns.        567 

äusseren  Theiles  des  Köhrohons  wird  die  Entleerung  dos  ThränensackeR 
nach  oben  nngcmoin  orleiclitert  ;  duvoh  die  Sondii-unr/en  des  Nascnganges 
aber  der  Abzuj;;  nach  unten  begünstic;t.  Im  Ganzen  werden  also  günstigere 
Ernährungsverhältnisse  gesetzt  und  der  Zustand  für  den  Kranken  erträg- 
licher gemacht. 

Um  die  Spaltung  leichter  und  sicherer  ausführen  zu  können,  ist  es 
gut,  den  betreffenden  Thränenpunkt  vorerst  durch  Einführung  von  Sonden 
zu  erweitern. 

Wohl  zu  bedenken  ist  bei  diesen  Sondirung-en ,  dass  die  Thrilnenröhrchen 
von  den  Punkten  aus  etwa  ^/n'"  weit  senkrecht  nach  ab-,  beziehnnj^sweise  nach 
aufwärts  streichen,  sodann  aber  unter  einem  fast  rechten  Winkel  in  die  horizon- 
tale Richtung  einbiegen ,  um  hierauf  etwas  an-,  respective  absteigend  zu  dem  vom 
Lidbande  gedeckten  Theile  der  Thränensackwand  zu  gelangen.  Man  muss  daher, 
nachdem  man  das  betreffende  Lid  etwas  abgezogen  und  nach  aussen  hin  gespannt 
hat,  die  bogig  gekrümmte  Sonde  senkrecht  durch  den  Thränenpunkt  in  das  Röhr- 
chen einführen,  dieselbe  sodann  in  die  horizontale  Richtung  wenden  und  vorsichtig 
sondirend  etwas  schief  nach  auf-  oder  beziehungsweise  ahirarts  schieben.  Das  Ende 
der  Sonde  muss  sich  dabei  stets  an  die  vordere  Wand  des  Kanälchens  halten  und 
gegen  den  Fundus  des  Sackes  hin,  beziehungsweise  gegen  dessen  untere  Mündung, 
gerichtet  sein,  während  die  Convexität  der  Sonde  sich  an  die  Bulbusoberfläche 
anlegt. 

Klafft  der  Thränenpunkt  genügend,  so  wird  bei  etwas  abgezogenem 
oder  umgestülptem  (oberen)  Lide  das  sturapfspitzige  Blatt  einer  sehr  zarten, 
knieförmig  gebogenen  oder  geraden  (Maunoir'schen)  Schere  vorsichtig  son- 
dirend in  das  Thränenrohr  bis  hinter  den  Fuss  der  Carunkel  eingeschoben 
und  das  Kanälchen  von  der  Bindehautseite  aus  durch  einen  einzigen 
Scherenschlag    gespalten. 

Sind  die  Thränenpunkte  narbig  verwachsen,  was  freilich  nur  selten  vorkömmt, 
so  muss  die  Oeffnung  dadurch  hergestellt  werden,  dass  man  von  der  inneren  Lid- 
lefze aus  ein  spitzes  Scherenblatt  durch  das  Thränenwärzchen  hindurchstösst,  oder 
dass  man  von  der  Bindehaut  aus,  etwa  ^/i"'  vom  Lidrand  entfernt  und  diesem 
parallel,  einen  Schnitt  quer  auf  das  senkrechte  Stück  des  Kanälchens  führt  (Boin- 
man).  Letzteres  ist  besonders  dann  nothwendig,  wenn  die  Verwachsung  durch 
Narbengewebe  in  grösseier  Ausdehnung  stattgefunden  hat.  An  der  Schnittfläche  lässt 
sich  hierauf  leicht  die  künstliche  Oeffnung  des  Röhrchens  durch  Sondirung  finden 
und  die  Spaltung  unterliegt  weiter  keiner  Schwierigkeit. 

Schhtzungen  des  Thränenrohres  sind  übrigens  auch  von  grossem  Vortheile, 
wenn  es  sich,  ganz  abgesehen  von  Dacryocystoblennorrhoen,  darum  handelt,  dem 
höchst  lästigen  Thrüneyürätifeln  zu  begegnen,  welches  sich  öfters  einstellt,  wenn 
die  Uhr'ÄnQwpunkte  durch  vorausgängige  Entzündungen  der  Lidränder  oder  durch 
was  immer  für  Zufälle  geschlossen  worden  sind;  oder  wenn  der  Lidrand  nicht  voll- 
kommen dem  Bulbus  anschliesst,  jedoch  nicht  so  weit  abgehoben  ist,  dass  sich 
eine  eingreifendere  Operationsmethode  lohnt  oder  ausführen  lässt.  Ist  unter  solchen 
Umständen  das  Thr'dnenpünktchen  blos  etwas  enger,  als  in  der  Norm,  oder  durch 
eine  dicke  Lage  Epidermis  verlegt  —  und  dieses  kömmt  nicht  ganz  selten  vor  — 
so  genügt  meistens  die  einfache  Sondirung  nach  der  oben  angegebenen  Weise,  um 
dem  öfters  überaus  lästigen  Thr'dnenträvfeln  dauernd  Einhalt  zu  thun. 

In  der  Regel  wird  das  untere  Thränenrohr  gespalten,  um  einen 
Zugang  zum  Sacke  zu  gewinnen.  Manche  ziehen  jedoch  das  obere  vor. 
Es  lässt  sich  für  diese  Wahl  der  Umstand  geltend  machen,  dass  Sondirungen 
vermöge  der  grossen  Zerrung,  welcher  die  der  inneren  Ilohrmünduug  nach- 
barlichen Theile  ausgesetzt  sind,  besonders  bei  nachlässigen  Kranken,  welche 
die  Kur  öfters  lange  unterbrechen,  gerne  zu  narbigen  Verschliessungen 
des  medialen  Rohrendes  führen  und  dass  Erhaltung  der  Durchgängigkeit 
des  unteren  Kanälchens  von  überwiegender  Wichtigkeit  ist,  insoferne  dieses 
bei  der  Thränenleitung  die  Hauptrolle  spielt. 


568 


Thränenschlauchblennorrhoe ;  Behandlung ;  Sondenkur ;  Sondirung  d.  Nasenganges. 


Zu  den  Sondirungen  dient,  eine  Reihe  von  graduirten  Sonden  aus 
biegsamem  Metall,  am  besten  aus  reinem  Silber,  welche  unten  abgerundet, 
aber  nicht  geknöpft,  sondern  allenthalben  gleich  dick  sind  und  von  dem 
Caliber  eines  Zwirnfadens  bis  zu  dem  eines  massig  dicken  Spagates  auf- 
steigen (Bowman).  Man  nimmt  vorerst  eine  dünnere  Sonde,  krümmt  sie  in 
einen  leicht  convexen  Bogen  und  führt  sie  bei  abgezogenem  und  nach 
aussen  gespannten  Lide  in  einer  von  der  horizontalen  nur  wenig  abweichenden 
schiefen  Richtung  durch  das  geschlitzte  Thränenröhrchen  bis  an  die  innere 
Wand  des  Thränensackes.  Fühlt  man  am  Sondenende  den  Widerstand 
des  Knochens,  so  wird  die  Sonde  mit  nach  hinten  und  innen  gekehrter 
Convexität  (Fig.  81)  an  der  genannten  Wand  des  Thränensackes  nach  ab- 
wärts geleitet  und  mit  grösster  Vorsicht  durch  die  obere  Mündung  des 
Nasenganges  geführt. 

Das  Auffinden  dieser  Mündung  gelingt  anfänglich  öfters  schwer,  da  die 
Mucosa  stark  gewulstet  ist  und  die  Sonde  sich  häufig  zwischen  den  die  fragliche 
OefFnung  umgebenden  Falten  fängt.  Vieles  Herumtappen  und  gar  rohes  Gebahren 
so  wie  gewaltsames  Vordrängen  des  Sondenendes  sind  dann  von  grösstem  Uebel. 
Es  wird  dadurch  die  Entzündung  mächtig  angefacht ,  die  Schwellung  der  Mucosa 
vermehrt  und  so  dem  Zwecke  des  Sondirens  gerade  entgegen  gearbeitet.  Bisweilen 
wird  sogar  die  Schleimhaut  durchstossen,  ein  falscher  Weg  gebahnt,  der  Knochen 
stellenweise  entblösst  und  so  möglicher  Weise  Veranlassung  zur  Entwickelung  von 
Narben  gegeben,  welche  die  Function  des  Thränenschlauches  gefährden.  Es  ver- 
rathen  sich  solche  Verletzungen  der  Schleimhaut  durch  den  Austritt  von  Blut  aus 
den  Thränenröhrchen  und  durch  die  Nase.  Sie  werden  selbstverständlich  am  leich- 
p.     „j  testen  durch  ganz  dünne  Sonden  gesetzt, 

da  deren  Ende  verhältnissmässig  schärfer 
ist,  daher  man  im  Allgemeinen  besser 
die  dünnen  Mittelsorten  benutzt. 

Gelingt  es  nicht  ohne  sonder- 
liche Mühe ,  in  den  Nasengang  zu 
kommen,  so  ist  es  besser,  den  Ver- 
such vorderhand  aufzugeben,  nament- 
lich wenn  die  Intensität  der  vor- 
handenen Entzündung  noch  einiger- 
massen  Berücksichtigung  verdient. 
Gewöhnlich  macht  sich  nach  Schlit- 
zung des  Röhrchens  alsbald  ein 
Rückschreiten  des  entzündlichen  Pro- 
cesses  geltend,  die  Wege  werden  von 
Tag  zu  Tag  gangbarer,  der  Thränen- 
sack  füllt  sich  nur  wenig  mehr,  die 
Beschwerden  des  Kranken  nehmen 
bedeutend  ab  und  am  Ende  lassen 
sich  auch  die  Sondirungen  gefahrlos, 
leicht  und  mit  sichtlichem  Vortheile 
in's  Werk  setzen.  Im  Ganzen  muss 
bei  der  Sondirung  des  Nasenganges 
sehr  wohl  im  Gedächtnisse  behalten 
werden,  dass  derselbe  nicht  gerade 
nach  abwärts  steige ,  sondern  etwas 
nach  hinten  und.  aussen  abweiche.  Ist  die  Sonde  in  dem  Nasengange  eine 
Strecke  nach   abwärts  gegleitet,   so  muss  ihre  platte  Marke  (Fig.  81)  nahe 


Sondenkur;  Adstringirende  Einspritzungen.  560 

an  der  Incisura  supraorbitalis  dem   oberen   Augenhöhlenrande   anliegen  und 
die  Sonde  in   dieser   Stelhmg  ohne  Beihilfe   der  Finger  stehen   bleiben. 

Die  im  Schlauche  steckende  Sonde  darf  keine  Schmerzen  oder  unangenehme 
Gefühle  von  Druck  erregen.  Wo  dies  der  Fall  ist,  hat  dieselbe  entweder  schon 
Verletzungen  gesetzt,  oder  sie  ist  nicht  dem  Nasengange  entsprechend  gekriimmt. 
Ueberhaupt  darf  gar  nie  ausser  Acht  gelassen  werden,  dass  die  Bildung  des  Nasen- 
ganges  ausserordentlich  wechselt  und  fast  in  jedem  Jlinzelntalle  eine  andere  Bie- 
gung der  Sonde  fordert.  We^  hiervon  absieht,  wird  alle  Augenblicke  unüberwind- 
liche Stricturen  finden,  die  gar  nicht  bestehen.  Gelingt  es  ihm  aber  einmal  wirklich, 
die  Sonde  bis  in  die  Nasenhöhle  zu  bringen,  so  wird  der  Kranke  sie  kaum  zu  er- 
tragen vermögen,  indem  sich  das  oft  bis  in  die  Zähne  ausstrahlende  Druckgefühl 
bald  bis  zur  Ohnmacht  steigert. 

Von  grosser  Wichtigkeit  ist  es  auch,  sich  anfänglich  wohl  zu  überzeugen,  ob 
die  eingeführte  Sonde  wirklich  bis  in  die  Nasenhöhle  gelangt  ist.  Behufs  dessen 
genügt  es  nicht  immer,  die  Länge  des  eingedrungenen  Stückes  zu  messen  und 
mit  dem  Abstände  der  Thränenrohrmündung  von  der  unteren  Nasenwand  zu  ver- 
gleichen, da  der  Thränenleitungskanal  wegen  seiner  schiefen  Richtung  bisweilen 
jenen  Abstand  um  ein  Beträchtliches  übertrifft.  Um  ganz  sicher  zu  gehen,  ist  eine 
zweite  Sonde  von  dem  Naseiiloche  aus  unter  die  untere  Muschel  einzuführen  und  das 
Ende  der  im  Schlauche  steckenden  Sonde  aufzusuchen. 

Ist  die  Sonde  bis  in  die  Nasenhöhle  durchgedrungen ,  so  lässt  man 
sie  einige  Minuten  liegen ,  ehe  man  sie  wieder  herauszieht.  Den  nächsten 
Tag  wiederholt  man  das  Verfahren  und  so  fort ,  verlängert  aber  allmälig 
die  Zeit,  während  welcher  die  Sonden  in  dem  Nasengange  liegen  bleiben, 
auf  10  Minuten  bis  höchstens  eine  Viertelstunde  und  schreitet  nach  und 
nach  zu  dickeren  Sonden.  Doch  ist  es  im  Allgemeinen  kaum  jemals  nolh- 
wendig ,  zu  den  ganz  dicken  Sonden  (5  —  6  Bowman)  zu  greifen.  Im 
Gegentheile  dürfte  ein  so  starkes  Caliber  durch  die  übermässige  Zerrung 
der  Röhrchen  leicht  gefährlich  werden. 

Bei  einfachen,  nicht  gar  zu  sehr  veralteten  Thränenschlauchblennori'hoen 
wird  bei  einer  solchen  Behandlung  meistens  schon  innerhalb  einer  oder 
weniger  Wochen  der  schleimig  eitrige  Ausfluss  sparsam,  gewinnt  mehr  und 
mehr  den  Charakter  des  reinen  Schleimes  und  versiegt  endüch  gänzlich, 
während  gleichzeitig  auch  das  lästige  Thränenträitfeln  sein  Ende  findet. 
Nähert  sich  der  Zustand  einem  solchen  Ausgange,  so  thut  man  gut,  die 
Sondirungen  allmälig  in  längeren  Zwischenpausen  vorzunehmen.  Ganz  aus- 
gesetzt sollen  dieselben  jedoch  nicht  werden ,  wenn  die  Blennorrhoe  auch 
völlig  getilgt  scheint,  da  es  nach  der  Hand  gerne  zu  Verschliessungen  der 
inneren  Thränenrohrmündungen  kömmt ;  vielmehr  ist  es  in  Anbetracht  dieser 
letzterwähnten  Gefahr  dringend  zu  rathen,  noch  mehrere  Monate  und  selbst 
Jahre  lang  in  Zwischenräumen  von  8 — ^14  Tagen  zu  sondiren,  um  die 
Gangbarkeit  der  Wege  zu  prüfen  und  zu  erhalten.  Sehr  gut  ist  es  zu 
diesem  Ende ,  wenn  der  Kranke  selber  das  Sondiren  lernt ,  was  meistens 
leicht  gelingt. 

Im  Falle  sehr  hartnäckiger  und  reichlicher  blennorrhoischer  Absonderung , 
kann  man  neben  den  Sondirungen  des  Schlauches  Adstringentien  anwenden. 
Als  solche  dienen  entölte  Darmsaiten,  welche  von  schwachen  Höllenstein- 
lösungen  durchtränkt  worden  sind  (Rau).  Leichter  ausführbar  sind  jedoch 
täglich  wiederholte  Einspritzungen  adstringirender  Lösungen  durch  das  ge- 
schlitzte Thränenrohr. 

Man  benützt  in  der  Regel  schwächere  Lösungen  von  Zink-  oder  Kupfer- 
vitriol, gr.  1 — .3  ad  unc.  1  Aq.  dest.  Der  Höllenstein,  die  Opiumtinctur , 
die  Jodtinctur,   obwohl  sie  vielfach  anempfohlen  werden,   sind   widerräthlich, 


O70  ThränenschlauchWennorrline;    Behandlung;  Sondenkur;  Saitenkur. 

da  sich  nicht  immer  verhüten  lässt,  dass  eine  Portion  der  Injections- 
flüssigkeit  durch  die  Choanen  in  den  Rachen  gelange  und  verschluckt  werde, 
wodurch  leicht  sehr  üble  Zufälle  hervorgerufen  werden  können.  Um  die 
adstringirende  Wirkung  möglichst  zu  begünstigen,  ist  es  gut,  der  Appli- 
cation der  erwähnten  Heilmittel  eine  Einspritzung  von  lauem  Wasser 
voranzuschicken  und  so   den   Thränenschlauch  vorerst  auszuspülen. 

Auch  soll  es  von  Vortheil  sein,  die  Thränenwege  nebenljei  täglich  mehrmal 
durch  forcirte  Exspirationen  bei  geschlossener  Nasen-  und  Mundhöhle  mit  com- 
primirter  Luft  zu  füllen  und  solchermassen  die  darin  enthaltenen  Secrete  nach 
Oben  hin  zu  entleeren  (Alf.    Graefe). 

Die  Injectionen  werden  mit  der  Thränensackspritze  ausgeführt,  einer  kleinen 
gläsernen  Spritze  mit  silbernem  Ansätze,  welcher  in  ein  feines,  bogig  gekrümmtes 
Köhrchen  übergeht.  Andere  benützen,  um  die  Flüssigkeit  mit  einem  grosseren 
Drucke  in  die  Thränenwege  eintreiben  zu  können,  eine  Mutterspritze  mit  sehr 
dünnem  Ansatzrohre  (Herzenstein,  Alf.  Graefe).  Statt  der  Spritze  kann  man  auch 
einen  kleinen  Ballon  von  vnlkanisirtem  Kautschuk  benützen,  welcher  in  ein  dünnes 
Röhrchen  ausläuft  (Jaesche). 

Förmliche  Aetzungen  der  Sackwand  durch  Höllenstein  oder  durch  mit  Nitras 
argenti  imprägnirte  Sonden  aus  Laminaria  digitata  fA.  Weher)  sind  in  keinem 
Falle  nothwendig. 

Ist    es    in    Folge     fortgesetzter    und    schliesslich    durch    längere    Zeit 

vernachlässigter  Sondirungen  nach  beendigter  Kur  der  Thränensackblennorrhoe 

etwa   zu  V erSchliessungen  der  inneren  Rohrmündung  gekommen,  was  gewöhnlich 

eine  Recidive  der  Blennorrhoe  im  Gefolge  hat,   so  muss  man  die  schliessende 

Narbe  durch    eine  in    das   geschlitzte    Rohr    eingeführte    dünne  Metallsonde 

bohrend  perforiren  und  die  Sondirungen   wieder  aufnehmen  oder  das  zweite 

Rohr  schlitzen,    um  sich   den  Zugang    zu  verschaffen.      Wo    beide  Röhrchen 

an  ihrer  inneren  Mündung  verschlossen  sind  und   die  Perforation  der  Narbe 

mit    der    Sonde    nicht    gelingt ,    thut    man    gut ,    ein    feines  Bistouri    in   das 

geschlitzte  untere  Rohr  einzuführen  und  damit  die  Sackwandung  zu  spalten, 

um   den  Weg  für  die   Sonde  zu  bahnen. 

h.  Eines  alten  und  wohlverdienten  Rufes  erfreuten  sich  Einspritztmgen  von 
adstringirenden  Losungen  in  Verbindung  mit  Darmsaiten,  welche  von  einer  bestehen- 
den oder  künstlich  erzeugten  misseren  Sackfistel  aus  in  den  Schlauch  eingezogen 
und  täglich  erneuert  werden  (Richter).  Die  Eröffnung  des  Thränensackes  wird  zu 
diesem  Behufe  am  besten  mittelst  eines  spitzen  Bistouris  oder  mit  einer  Lanzette  be- 
werkstelligt. Man  sticht  das  Instrument  knapp  unter  der  Mitte  des  Lidbandes  und  nahe- 
zu senkrecht  auf  die  Oberfläche  der  Geschwulst  ein  und  erweitert  die  Wunde  beim  Her- 
ausziehen des  Messers  nach  unten  und  aussen.  Der  .EzW^ic/t  soll  nicht  über  Bedarf  <ie/ 
sein  und  immer  nur  bei  stark  gefülltem  Thränensacke  vorgenommen  werden,  damit  die 
Hinterwand  des  Schlauches  nicht  verletzt  werde.  Dass  man  den  Thränensack 
wirklich  eröffnet  habe,  erkennt  man  leicht  an  dem  Ausflusse  von  Thränen  und 
schleimig  eitrigen  Producten  aus  der  Wunde,  sowie  aus  dem  Zusammenfallen  der 
Geschwulst.  Nach  der  Eröffnung  ist  der  Nasengang  durch  Sonden  auf  seine  Weg- 
samkeit  zu  prüfen.  Findet  man  ihn  gangbar,  so  werden  anfänglich  dünne,  in  dem 
Masse  aber,  als  die  Wegsamkeit  des  Schlauches  zunimmt,  dickere  Violinsaiten  in 
den  Schlauch  geführt  und  24  Stunden  liegen  gelassen,  um  dann  durch  neue  ersetzt 
zu  werden.  Jedem  Wechsel  der  Saite  haben  Ausspritzungen  mit  lauem  Wasser  und, 
nach  gehöriger  Reinigung  des  Schlaiiches,  Injectionen  mit  leichten  adstringirenden 
Lösungen  vorauszugehen.  Das  verwendete  Saitenstück  muss  so  lange  sein,  dass  es 
bis  in  die  Nasenhöhle  reicht,  anderseits  aber  an  der  äusseren  Fistelöftnung  umge- 
bogen und  mittelst  Heftpflaster  an  der  Wangenhaut  befestigt  werden  kann.  Wenn 
dann  die  krankhafte  Secretion  des  Leitungskanals  gänzlich  gewichen  ist,  soll  noch 
durch  einige  Zeit  der  Scarpa'sche  Bleinagel  eingeführt  und  getragen  werden ,  um 
endlich  nach  gehörig  gesicherter  Heilung  die  Fistel  zu  schliessen.  Die  Enderfolge 
dieser  in  letzterer  Zeit  fast  ganz  zurückgedrängten  Behandlungsweise  stehen  jeden- 
falls nicht  weit  hinter    denen  der  vorhergeschilderten  Methode    zurück  und  es    er- 


Unblutige  Methndpn ;    Einspritzungen  diircli  doii  Niisenlcanäl;  Bleinagel  h.  Silberstifte.         ö7l 

heben  sich  npuf-rlich  wieder  Stimmen  für  diesolho  (Secondi).  Doch  ist  das  Wochen 
und  Monate  langte  Tragen  eines  Pflasters  und  das  stete  Ausrinnen  eitrijjer,  zu 
Krusten  vertrocknender  Secrete  für  viele  Kranke  eine  höclist  fatale  Saciie  und 
erlvlärt  leicht  die  Vorliebe  für  die  Sondirtingcn  von  einem  geschlitzten  Tliränen- 
rohre  aus.  Die  Verwendung  von  Fäden  statt  der  Saiten  (Ad.  Schmidt)  ist  umständ- 
licher und  gewährt  kaum  denselben  Nutzen,  da  bei  den  letzteren  die  grosse 
Scliwellharkeit  für  die  Erweiterung  des   Schlauches   blichst  günstig  ist. 

c.  Minder  verlässlich  und  nur  für  die  ersten  Anfänge  des  Leidens  brauchbar 
ist  eine  unblutige  Methode,  welche  darin  besteht,  dass  der  Inhalt  des  Sackes ,  so- 
bald er  sich  in  einiger  Menge  angesammelt  hat,  durch  forcirte  Inspirationen  bei 
geschlossener  Nasen-  und  Mundhöhle  oder  durch  einen  von  aussen  auf  die  Geschwulst 
ausgeübten  Druck  gegen  die  Nase  hin  entleert,  und  öfters  des  Tages  eingeträufelte 
adstringirende  Lösungen  von  dem  Bindehautsacke  aus  in  den  Thränenschlauch  ge- 
leitet werden.  Einspritzungen  adstringirender  Lösungen  so  wie  Sondirungen  des 
Schlauches  durch  die  ungeschlitzten  Thränenröhrchen  sind  verwerflich.  Sie  sind  ohne 
arge  Verletzungen  der  letzteren ,  oder  wenigstens  ohne  starke  Reizung  derselben 
schwer  ausführbar. 

d.  Man  hat  auch  vielfach  Sondirungen  und  Einspritzungen  des  Schlauches 
von  der  Nasenhöhle  aus  empfohlen  (Loforest,  Gensoul).  Man  bediente  sich  hierzu 
catheterähnlicher  Instrumente.  Es  bietet  dieser  Weg  indessen  vor  dem  durch  die 
geschlitzten  Thränenröhrchen  oder  durch  eine  äussere  Th?-änensackßstel  gebahnten 
keinerlei  Vortheil.  Ueberdies  ist  seine  Benützung  eine  vielmal  schwierigere,  um  so 
mehr,  als  die  untere  Mündung  des  Nasenganges  sowohl  in  Bezug  auf  äussere  Ge- 
stalt, als  auch  in  Bezug  auf  ihre  Lage  sehr  grossen  Wechseln  unterworfen  ist. 
Daher    kann  dem    ganzen  Verfahren    kein  praktischer  Werth  beigemessen  werden. 

e.  In  neuerer  Zeit  ist  man  mancherseits  wieder  zum  Scarpa'schen  Bleinagel 
zurückgekehrt.  Während  derselbe  jedoch  früher  von  einer  Oeffnung  in  der  äusseren 
Sackwand  aus  in  den  Nasengang  eingeführt  wurde,  soll  dermalen  der  ihn  ersetzende, 
aus  weichem  Silber  gefertigte  Stift  durch  ein  geschlitztes  Thränenrohr  in  den 
Schlauch  gebracht  werden.  Der  Stift  soll  spindelförmig  gestaltet,  über  einen  Zoll 
lang  sein  und  seine  grösste  Dicke  je  nach  Bedarf  zwischen  3/4  und  2  Linien 
schwanken.  Das  untere  Ende  soll  geknöpft,  die  obere  Extremität  aber  abgeplattet 
sein,  damit  sie  nach  der  Eiuführung  in  den  Schlaxich  mit  einer  Zange  leicht  aiif 
die  Lidfläche  umgebogen  und  der  Stift  so  vor  dem  Hinabrutschen  in  die  Nasen- 
höhle gesichert  werden  könne.  Manche  benützen  solche  Stifte  bei  Thränensack- 
hlennorrhoen  jeder  Art,  nachdem  der  Schlauch  durch  die  vorausgegangene  Sondencur 
bereits  hinlänglich  durchgängig  und  gegen  den  Reiz  eines  Fremdkörpers  abge- 
stumpft worden  ist,  um  die  tägliche  Sondeneinführung  zu  umgehen.  Der  Stift  kann 
nämlich  meistens  ohne  Schaden  mehrere  Tage  liegen  bleiben,  während  welcher 
Zeit  der  Kranke  der  ärztlichen  Intervention  nicht  bedarf.  Nach  Ablauf  derselben 
soll  der  Stift  aber  immer  herausgenommen  werden,  um  den  Thränenschlauch  durch 
Einspritzixngen  von  Wasser  zu  säuberti  und  mit  Adstringentien  in  Berührung  zu 
bringen  (Schweigger,  Jaesche,   Warlomont). 

Andere  halten  derlei  Stifte  besonders  bei  Stricturen  für  angezeigt  und  be- 
ginnen die  Ciir  von  vorne  herein  mit  Einführung  derselben,  indem  sie  den  Weg 
dazu  nöthigenfalls  durch  eine  forcirte  Sondirung  des  Schlauches  bahnen.  Sie  lassen 
dann  den  Nagel  gleich  liegen  und  entfernen  ihn  nur  von  Zeit  zu  Zeit,  um  die 
Durchgängigkeit  des  Nasenganges  zu  prüfen  und  die  etwa  nöthige  Reinigung  vor- 
zunehmen. Wo  jedoch  die  Secretion  eine  sehr  reichliche  ist,  nehmen  sie  den  Stift 
alle  Tage  heraus ,  um  den  Schlauch  mit  adstringirenden  Lösungen  auszuspritzen. 
Nach  Verlauf  einiger  Wochen  soll  es  stets  nothwendig  sein,  das  Kaliber  des  Stiftes 
zu  verstärken ,  da  derselbe  bald  locker  wird  (Williams,  Green).  Insoferne  diese 
Behandlungsweise  gleichfalls  mehrere  Monate  in  Anspruch  nimmt,  ohne  den  Erfolg 
zu  sichern,  überdiess  mit  einem  sehr  schmerzhaften  Eingrifte  eingeleitet  wird  und 
während  der  ganzen  Dauer  den  Kranken  nicht  wenig  belästigen  muss:  kann  ihr 
ein  Vorzug  vor  der  Sondencur  kaum  eingferäumt  werden. 

Vor  Jahren  hat  man  den  Versuch  gemacht,  die  Durchgängigkeit  des  unteren 
Schlauchtheiles  durch  Einheilung  von  metallenen  Röhrchen  zu  erzwingen  (Dupuytren). 
Es  wurden  diese  Röhrchen  aus  edlen  Metallen  nach  der  Form  des  knöchernen 
Nasenganges  gebildet  und  hatten  an  ihrem  oberen  Ende  einen  kleinen  Saum,  um 
an  der  oberen  Mündung  des  Nasenganges  einen  Stützpunkt  zu  gewinnen  und  vor 
dem  Einsinken    gesichert  zu  sein.     Nachdem  die  Dacryocystoblennorrhoe    auf  dem 


572     Thränenschlauchblennorrhoe ;  Einheilung  metall.  Röhren;  Verkleinerung  d.  Sackwandung. 

gewöhnlichen  Wege  gebessert  und  der  Nasengang  blutig  erweitert  worden  war, 
wurden  diese  Canulen  eingeführt  und  darüber  die  Thränensackfistel  zur  Heilung 
rjehracht.  Manche  Kranke  trugen  diese  Röhrchen  lange  Zeit  (Wecker,  B.  RueteJ. 
Bei  anderen  jedoch  erweiterte  sich  der  knöcherne  Kanal  allmälig  durch  Usur, 
die  Canulen  wurden  locker  und  senkten  sich.  Bei  anderen  kam  es  zu  den  bedauer- 
lichsten Knochenleiden,  die  die  gewaltsame  Entfernung  der  Canule  zur  Nothwendig- 
keit  machten.  Bei  keinem  war  der  Erfolg  ein  dauernder,  da  die  Canule  sich  stets 
durch  Thränensteine  verstopfte,  worauf  alsbald  das  Thränenschlauchleiden  wieder 
in  verstärktem  Grade  zurückkehrte.  In  einzelnen  Fällen  hatte  sich  der  Sackinhalt 
neben  der  eingeheilten  und  verstopften  Canule  vorbei  einen  Abzugsweg  geschaffen 
(Fried.  Jaeger). 

3.  In  hochgradigen  und  veralteten  Fällen  mit  sehr  starker  Erweiterung  der 
Sackhöhle  wird  ausnahmsweise  die  Herstellung  eines  der  Norm  sich  nähernden 
Zustandes  sehr  aufgehauen,  oder  wohl  auch  gehindert,  durch  die  Veränderungen 
der  Schleimhaut,  noch  mehr  aber  durch  die  Zusammenschiebung  und  die  Verödung 
des  den  Sack  von  aussen  und  vorne  her  deckenden  Lagers  von  Bindegewebe 
(S.  565).  Dasselbe  lockert  sich  schwer  wieder  auf;  aber  auch  seine  Zusammenzie- 
hung ist  oft  eine  säumige  oder  bleibt  unvollständig,  wenn  auch  neuen  Secretan- 
häufungen  durch  Eröffnung  der  Sackhöhle  oder  durch  Schlitzung  eines  Thränen- 
rohres  wirksam  vorgebeugt  ist.  So  lange  aber  die  Sackwand  erschlafft  ist,  kömmt  die 
Absonderung  nach  Menge  und  Qualität  nicht  zur  Norm,  die  Blennorrhoe  besteht  fort. 
Es  hat  darum  der  Rath  etwas  für  sich,  die  Sackwand  in  solchen  seltenen  Aus- 
nahmsfällen auf  operativem  Wege  zu  verkleinern.  Zu  diesem  Ende  soll  der  Sack 
von  aussen  her  im  gefüllten  Zustande  mit  einem  Bistouri  eröffnet  und  von  der 
Stichwunde  aus  mit  der  Schere  ein  myrthenblattfömiiges  Stück ,  dessen  Längsaxe 
von  der  Mitte  des  Lidbandes  schräg  nach  aussen  und  unten  läuft,  aus  der  Sack- 
icand  und  den  überlagernden  Schichten  einschliesslich  der  Haut  ausgeschnitten  wer- 
den (Bowman).  Die  Wunde  verheilt  bald  bis  auf  eine  enge  Fistel  und  auch  diese 
schliesst  sich  oft,  wenn  zu  den  Soudirungen  des  Schlauches  fürder  ein  geschlitztes 
Thränenrohr  benützt  wird.  Uebrigens  lässt  sich  der  Verschluss  wesentlich  fördern 
durch  das  Tragen  eines  Schutzverbandes ,  unter  welchem  ein  kleiner  festerer 
Charpiebausch  gegen  die  Winkelgegend  drückt. 

Statt  der  Ausschneidung  werden  vielseitig  theilwelse  Zei-störungen  der  äusse- 
ren Sackrcand  durch  Höllenstein,  Aetzkalk  (Critchett) ,  Antimonchlorür  (Secondi) 
u.  s.  w.  empfohlen.  Es  lässt  sich  jedoch  deren  Wirkung  selbst  mit  Zuhilfenahme 
von  eigens  construirten  Aetzmittelträgern  (Delgado)  zu  wenig  bemessen  und  es 
kann  leicht  geschehen,  dass  die  Thränenrohrmündungen  oder  der  Eingang  in  den 
Nasenkanal  narbig  verengt  oder  gar  geschlossen  werden. 

Den  unteren  Lidrand  mit  dem  Thränenpunkte  zu  ectropioniren,  um  die  Leitung 
der  Thränen  in  den  Schlauch  zu  beschränken  (A.  Weber),  ist  zum  mindesten  ganz 
überflüssig.  Anfüllungen  des  Sackes  werden  dadurch  nicht  verhindert,  eher  gefördert, 
indem  das  schleimig  eiterige  Product  der  Wandungen  bei  Abhaltung  der  verdün- 
nenden Thränen  sich  eindickt  und  die  Abzugswege  vollends  verlegt. 

4.  Verengerungen  des  Nasenganges,  wenn  sie  blos  durch  die  entzündliche 
Schwellung  und  Hypertrophie  der  Schleimhaut  und  ihrer  Hüllen  begründet 
sind,  machen  specielle  therapeutische  Eingriffe  kaum  nothwendig,  da  sie 
unter  der  sub  2.  a.  geschilderten  Behandlung  der  Dacryocystoblennorrhoe 
gewöhnlich  rasch  zurückgehen,  so  dass  die  Sondirungen  von  Tag  zu  Tag 
leichter  ausführbar  werden  und  am  Ende  auch  eingespritzte  Flüssigkeiten 
im  vollen  Strome  sich  aus  der  Nasenhöhle  entleeren.  Auch  wenn  der  häutige 
Nasengang  unter  Verödung  seines  Gefüges  schon  begonnen  hat  zu  schrumpfen, 
oder  wenn  in  Folge  streckenweiser  Verschwärungen  sich  sehnige  Narben 
gebildet  haben,  welche  sich  mehr  und  mehr  zusammenziehen  und  so  an 
einer  oder  der  anderen  Stelle  Stricturen  erzeugen,  genügen  täglich  wieder- 
holte Sondirungen  mit  Sonden  mittleren  Calibers  immer,  um  den  Normal- 
zustand herzustellen  oder  wenigstens  um  die  verengerte  Stelle  zu  erweitern 
und  der  ferneren  Contraction  des  schrumpfenden  Gewebes  einen  Damm 
zu  setzen. 


Verfahren  bei  Striotnrcii  ii.  Obliteration  d.  Nasenganges;  Duicliljohnint;  d.  'l'liränenbeines.       Ö73 

Es  kann  nicht  genug  betont  werden ,  dass  ein  ivirklicher  Verschluss 
des  Naseugauges  nur  ausserordentlich  selten  vorkömmt,  und  dass  man  bei 
fortgesetzten  Versuchen  mit  wechsehider  Sondenkrünimung  am  Ende  fast 
immer  eine  gangbare  Lücke  in  der  verengerten  Stelle  findet ,  welche  die 
Durchführung  der  Sondenkur  (2.  a.)  gestattet.  Diese  Methode  leistet  dann, 
was  man  vernünftiger  Weise  überhaupt  verlangen  kann.  Die  mannig- 
faltigen, zum  Theile  sehr  gekünstelten  Operationen,  welche  man  in  neuerer 
Zeit  vorschlägt,  wären  in  der  That  kaum  ersonnen  worden,  wenn  man 
mit  nur  einiger  Geduld  vorzugehen   liebte. 

Insbesondere  sind  alle  Erweif erim(jsversuche  durch  dicke  Sonden  (A.  Weher, 
Alf.  Graefe),  durch  eigens  construirte  Dilatatorien  {Herzenstein),  durch  Wachshougies 
und  elastische  Catheter  (A,  Weber,  Jaesche) ,  durch  Darmsaiten,  welche  mit  Höllen- 
stein getränkt  worden  sind  (Rau),  durch  Sonden  aus  Laminaria  digifafa  (Critchett, 
A.  Weber)  als  völlig  überflüssig  und  zum  Theile  sogar  als  gefährlich  um  so  mehr 
zu  meiden,  als  deren  Einführung  in  den  Thränenschlauch  ganz  enorme  Dehnungen 
des  medialen  Rohrendes  oder  die  förmliche  Durchschneidung  des  letzteren  und 
der  Sackwand,  beziehungsweise  auch  Einrisse  oder  Einschnitte  in  den  Nasengang, 
im  Ganzen  überhaupt  also  für  den  Kranken  höchst  peinliche  Proceduren  vor- 
aussetzt. 

5.  Stösst  man  ja  einmal  auf  eine  wirkliche  Obliteration  des  Nasenganges, 
so  ist  die  Durchstechmg  der  Narbe  zu  versuchen.  Zu  diesem  Ende  ist 
vorerst  der  Sack  von  aussen  her  zu  öffnen  und  dann  mit  einem  feinen 
spitzen  Messerchen,  welches  in  den  Nasengang  gestossen  wird,  ein  Weg  zu 
bahnen,  um  hierauf  die  Sondenkur  einleiten  und  bis  zur  Heilung  fortsetzen 
zu  können. 

Die  Einführung  des  Messers  durch  ein  geschlitztes  Thränenrohr  ist  nicht 
zu  empfehlen,  da  damit  nothwendig  eine  sehr  umfangsreiche  Wunde  an  der 
Mündungsstelle  des  Rohres  in  den  Sack  und  überdies  eine  starke  Zerrung  der 
umgebenden  Theile  gesetzt  wird. 

Manche  halten  die  Sondirungen  für  überflüssig  oder  gar  schädlich  uud 
glauben  eine  vollständige  Heilung  einfach  dadurch  erzielen  zu  können ,  dass  sie 
bei  Vorhandensein  einer  Strictur  den  Nasengang  mittelst  eines  schmalen  Messer- 
chens von  der  Gestalt  eines  rechtwinkeligen  Dreieckes  nach  mehi-eren  Irtichfungen 
hin  bis  in  den  Schwellkörper  durchschneiden,  was  sie  dadurch  erzielen,  dass  sie 
das  Messer  mehrmals  auf-  und  abgleiten  lassen  und  es  dabei  um  seine  Axe  drehen 
(Stilling,    Warlomont,    Williams). 

Ist  der  Nasengang  aber  in  einer  längeren  Strecke  obsolescirt,  auf 
einen  soliden  sehnigen  Strang  geschrumpft,  so  ist  wenig  zu  erwarten.  Das 
Messer  dringt  dann  wohl  niemals  durch  die  Axe  des  Stranges,  sondern 
neben  diesem  durch  die  Schlauchwand,  es  wird  im  günstigsten  Falle  ein 
falscher  Weg  am  Knochen  vorbei  gebahnt,  welcher  nur  durch  eine  Wunde 
in  der  Schneider'schen  Haut  mit  der  Nasenhöhle  in  Verbindung  gebracht 
werden  kann.  Die  wulstige  Mucosa  der  letzteren  bietet  aber  sehr  grosse 
Schwierigkeiten,  wenn  es  sich  darum  handelt ,  eine  dauernde  Fistelöffnung 
in  derselben  zu  erzeugen. 

Dieser  Umstand  macht  auch  die  vor  Alters  beliebten  Dm-chbohrungen  des 
Thränenbeines  (Richter),  für  welche  sich  jüngst  wieder  Stimmen  erhoben  haben 
(FoUz),  zu  einer  sehr  unverlässlichen  Methode.  Doch  ist  nicht  zu  läugnen,  dass  bei 
gehöriger  Ausdauer  im  täglichen  Sondiren  auf  solche  Weise  eine  bleibende  Commuui- 
cation  zwischen  Sack-  luid  Nasenhöhle  hergestellt  werden  kann.  In  Fällen,  wo  der 
Verschluss  des  Nasenganges  unter  cariöser  Zerstörung  eines  Theiles  des  Oberkiefers 
erfolgt  war,  gelang  es  wiederholt,  eine  fistulöse  Verbindung  zwischen  Sackhöhle 
und  Nasenhöhle  oder  zwischen  ersterer  und  der  Highmorshöhle  zu  Wege  zu  bringen 
und,  wie   es  scheint,  auch  ständig  zu  macheu. 


574  Thränenschlauchblennorrlioe ;  Behandlung;  Verfahren  bei  äusseren  Fisteln. 

6.  Die  Verkeilung  äusserer  Thräne7isaeJcfisteln,  es  mögen  dieselben  von 
einem  eitrigen  Durchbruche  hei'rühren  oder  auf  operativem  Wege  gesetzt 
worden  sein ,  um  sieh  für  Behandlungszwecke  den  Zugang  zum  Schlauche 
zu  verschaffen,  bietet  in  der  Eegel  keine  grossen  Schwierigkeiten,  voraus- 
gesetzt, dass  die  Leitungsfälligkeit  des  Nasenganges  oder  eines  Ersatzkanales 
liergestellt  und  auch  die  Regurgitation  des  Sackinhaltes  in  die  Lidspalte 
durch  ein  geschlitztes  Thränenrohr  leicht  möglich  ist.  Bei  einfachen 
Schlauchblennorrhoen  erfolgt  die  Schliessung  der  etwa  vorhandenen  Fistel 
häufig  sogar  oÄJie  alles  Zuthun ,  wenn  ein  geschlitztes  Thränenrohr  zur 
Sondiruug  benützt  wird.  Etwas  hartnäckiger  pflegen  Fisteln  zu  sein, 
welche  längere  Zeit  den  Weg  für  Einspritzungen  und  Sondirungen  abgaben. 
Es  muss  in  solchen  Fällen,  sowie  überhaupt  doi't,  wo  der  Fistelgang  sich 
bereits  überhäutet  hat,  eine  Auffrischung  der  Wandungen  stattfinden ,  ehe 
an  eine  Verheilung  gedacht  werden  kann.  Zu  diesem  Ende  wird  ein 
dünnes  Stängelchen  Höllenstein  tief  in  den  Gang  eingeführt  und  so  lange 
darin  hin-  und  hergeschoben,  bis  man  sicher  sein  kann,  einen  dicken 
Schorf  erzeugt  zu  haben.  Einen  oder  zwei  Tage  darauf  wird  dann  der 
Schorf  durch  Einspritzungen  lauen  Wassers  oder  mittelst  einer  Pincette 
gründlich  entfernt  und   der  Verschluss  angebahnt. 

Statt  der  Aetziingen  kann  man  die  Fistelvvände  wohl  auch  ausschneiden 
(A.  Jaeger) ,  doch  ist  dieses  Verfahren  mühsamer  und  für  den  Kranken  schmerz- 
hafter. 

Es  wird  die  Verheilung  der  angeätzten  Fistel  wesentlich  begünstigt, 
wenn  man  die  äussere  Mündung  des  Fistelganges  mit  Collodium  überdeckt 
und  einige  Tage  hindurch  den  Lidschlag  durch  einen  scharf  angezogenen 
Druckverband  sistirt. 

7.  Die  Verödung,  Obliteration,  des  Tkränensackes  verliert  täglich  und 
m  dem  Masse  an  Anhängern,  als  die  Behandlungsmethoden  der  Schlauch- 
krankheiten sich  verbessern  und  namentlich  die  Uebung  in  der  Hand- 
habung der  Sonden  wächst.  Während  man  vor  kurzem  schon  bei  ein- 
fachen Thränensackblennorrhoen ,  wenn  sie  sich  nur  etwas  hartnäckiger 
erwiesen,  ohne  weiters  zur  Zerstörung  schritt  (Graefe),  ist  dieses  Verfahren 
dermalen  nur  mehr  in  Italien  und  Spanien  das  herrschende  [Cervera, 
Delgado)  und  es  häuft  sich  täglich  mehr  die  Zahl  der  Ocuhsten,  welche 
bezweifeln,  dass  ein  solcher  Vorgang  jemals  gerechtfertigt  sei.  Sicher  darf 
man  nach  dem  Obigen  behaupten ,  dass  diese  Operation  nur  in  den 
all  er  seltensten  Fällen  eine  genügende  Anzeige  finde  und  als  letztes  Jtlittel 
zu  gelten  habe,  wenn  alle  Versuche  gescheitert  sind,  dem  Leitungsapparate 
einen  gewissen  Grad  von  Durchgängigkeit  zu  geben  und  der  Bestand 
einer  immer  wieder  sich  füllenden  und  wiederholt  aufbrechenden  Geschwulst, 
oder  eine  fort  und  fort  nässende  äussere  Fistel  dem  Kranken  unerträglich 
wird.  Doch  sei  man  in  der  Anerkennung  zwingender  Nothwendigkeit  ja 
recht  vorsichtig.  Es  gibt  für  den  behandelnden  Arzt  keine  grössere 
Beschämung,  als  wenn  er  unter  Voraussetzung  der  Unheilbarkeit  eines 
Schlauchleidens  die  Verödung  versucht  hat:  hinterher  aber  die  Verhält- 
nisse sich  so  gestalten,  dass  die  Wiederherstellung  der  Leitung  in  Aussicht 
genommen  und  durch  zweckentsprechendes  Verfahren  auch  erzielt  werden 
kann.  Und  es  kommen  solche  Fälle  vor.  Selbst  bei  ausgebreiteten 
Vernarbungen  in  Folge  von  Caries  oder  Nekrose  der  Nachbai'knochen,  bei 
Hydrops  sacci  lacrymalis  mit  vollständigem   Verschlusse    der    oberen  Nasen- 


Künstliche  Verödung  des  Tliränenaackes.  5  75 

gangmündung  und  der  Röhrchen ,  also  bei  Zuständen ,  die  fast  allgemein 
für  unheilbar  galten ,  ist  es  nach  niissluugenen  Obliterationsversuchcn 
gelungen,  den  Schlauch  wieder  gangbar  zu  machen  und  auch  einen  falschen 
Weg  in  den  Bindehautsack  zu  bahnen,  denselben  unter  fortgesetzten  Son- 
dirungen  zur  Ueberhäutung  zu  bringen  und  solehermassen  eine  dauernde 
Leitung  zu  erzielen.  Häufiger  waren  solche  Ergebnisse  natürlich,  als  die 
Verödung  noch  Mode  war.  Man  hatte  eben  glücklicher  Weise  eine  nicht 
ganz  zweckmässige  Methode  gewählt  und  war  so  in  vielen  Fällen  blos  zu 
scheinbaren  Verschliessungen  gelangt,  welche  die  Möglichkeit  der  Wieder- 
eröffnung übrig  Hessen. 

Die  Obliteration  des  Thränensackes  gelingt  nämlich  ausserordentlich  schwer, 
so  lange  durch  die  Thränenröhrchen  fort  und  fort  Thrünen  eingejiresst  werden.  Diese 
bahnen  sich  immer  wieder  einen  Weg  durch  die  Granulationen,  welche  nach 
Verscliorfuiig  der  Sackschleimhaut  aus  dieser  hervorschiessen,  so  dass  stets  eine 
Fistel  zurückbleibt.  Selbst  die  Verschorfung  der  Mündungsstelle  der  Thränenröhrchen 
führt  nicht  mit  Sicherheit  zum  Ziele.  Es  müssen  daher  vor  oder  gleichzeitig  mit  der 
eigentlichen  Obliteration  des  Sackes  immer  die  Thränenröhrchen  in  grösserer  Aus- 
dehnung durch  blutige  Umstechung  und  Zusammenschnürung,  oder  nach  vorläufiger 
Erweiterung  durch  Aetzmittel  zur  Eiterung  und  Verödung  gebracht  werden. 

Um  den  Thränensack  zu  verschliessen ,  miiss  dessen  Innenwand  gänzlich  auf 
eine  gewisse  Tiefe  verschorft  werden.  Das  beste  Mittel  hierzu  ist  der  Höllenstein. 
Weniger  entsprechen  Antimonbutter ^  Chlorzink,  starke  mineralische  Säuren  u.  dgl.,  da 
sie  sich  weniger  leicht  appliciren  und  in  ihrer  Wirkung  beschränken  lassen.  Ganz 
brauchbar  ist  das  Glüheisen  sowie  der  galvanocaustische  Ajjparat;  doch  hat  deren 
Anwendung  viel  Abschreckendes  für  den  Kranken. 

Um  mit  dem  Lapis  in  entsprechender  Weise  hantiren  zu  können,  muss  die 
äussere  Wand  des  Thränensackes  thtmlichst  weit  geschlitzt  oder,  falls  schon  eine  Oeff- 
nung  gegeben  ist,  diese  durch  Pressschioamm  stark  erweitert  werden.  Hierauf  wird 
eine  Stange  von  Höllenstein  in  die  Höhlung  des  Sackes  geführt  und  dessen  Wan- 
dung ihrer  ganzen  Ausdehnung  nach  sammt  dem  nach  aussen  mündenden  Kanäle  sehr 
nachdrücklich  geätzt,  so  dass  man  der  Erzeugung  eines  dicken  und  sehr  zähen  Schorfes 
gewiss  sein  kann.  Die  Reaction  ist  meistens  eine  massige  und  wird  leicht  durch 
Anweiwlung  kalter  Ueberschläge  innerhalb  eines  Tages  vollkommen  beschwichtiget. 
Nach  Ablauf  von  etwa  48  Stunden  wird  der  bis  in  die  äussere  Oeffnung  des  Fistel- 
ganges ragende  Schorf  mit  der  Spatelsonde  von  der  Wandung  des  Ganges  ge- 
trennt und  mittelst  einer  tief  eingesenkten  Pincette  gefasst.  Es  gelingt  in  der  Regel 
unter  vorsichtigem  Zuge,  den  ganzeyi  Aetzschorf  im  Zusammenhange  aus  dem  Hohl- 
raiime  zu  ziehen.  Um  nun  möglicher  Weise  eine  Zuheilung  per  priinam  intentionem 
zu  erzielen,  wird  sogleich  ein  fest  zusammengedrehter  bohnengrosser  Charpiebausch 
auf  die  Gegend  des  Thränensackes  gelegt,  darüber  ein  grösserer  lockerer  Bausch 
aufgetragen  und  das  Ganze  mit  einer  elastischen  Monokelbinde  befestigt,  welche 
stark  angezogen  und  mit  grösster  Sorgfalt  in  ilirer  Lage  erhalten  wird.  Es  hat  dieser 
Verband  nicht  nur  den  Zweck,  die  wunden  Wände  des  Thränensackes  in  gegen- 
seitige Berührxing  zu  bringen,  sondern  auch  den  Lidschlag  zu  sistiren. 

Es  ist  von  der  grössten  Wichtigkeit,  dass  ein  dicker  und  zusammenhängender 
Aetzschorf  erzeugt  und  derselbe  nach  Ablauf  von  48  Stunden,  wo  er  sich  bereits 
hinlänglich  abgelöst  hat,  unzerstückelt  aus  der  Wunde  gezogen  werde,  so  dass  nichts 
zurückbleibe.  Jeder  Rückstand  muss  nämlich  durch  Eiterung  entfernt  werden  und 
diese  hält  die  Verheilung  ausserordentlich  auf.  In  der  Vernachlässigung  jener  Vor- 
sichtsmassregel und  des  Druckverbandes,  sowie  in  der  Unterlassung  der  Obliteration 
der  Thränenröhrchen,  liegt  der  Grund  der  laugen  Dauer,  welche  Verödungen  des 
Thränensackes  bisher  in  Anspruch  genommen  haben. 

Wuchern  Granidationen  aus  der  Wunde  heraus,  so  müssen  sie  mit  Höllenstein 
abgeätzt  oder  durch  Betupfung  mit  Opiumtinctur  niedergehalten  werden.  Ist  die 
Entzündung  gar  zu  heftig,  so  muss  sie  durch  kräftige  Antiphlogose  bekämpft  werden. 
Schlimm  ist  es,  wenn  sich  Erysipel  entwickelt;  ausnahmsweise  kann  der  Kranke 
dadurch  sogar  in  Lehensgefahr  gerathen.  Auch  hat  man  als  Folge  Orbitalabscesse 
beobachtet,  die  den  Sehnerven  in  Mitleidenschaft  zogen  und  zur  Erblindung  führ- 
ten (Oraefe). 


576      Thränenschlauchblenuorrhoe ;  Behandlung;  Exstirpatiou  des  Sackes  u.  d.  Drüse;  Quellen. 

Es  wäre  übrigens  eine  arge  Täuschung ,  wenn  man  glaubte,  dass  auf  diese 
Weise  der  Thränensack  immer  sogleich  zur  Verödung  gebracht  werde.  Trotz  aller 
Sorgfalt  gelingt  dies  in  einzelnen  Fällen  nicht,  namentlich  wenn  es  zur  Eiterung 
kömmt  oder  die  Thränenröhrchen  gangbar  bleiben.  Dann  muss  das  ganze  Verfahren 
wiederholt  werden. 

In  neuerer  Zeit  wird  statt  der  Verödung  die  Exstirpatiou  des  Thränensackes 
in  Verbindung  mit  der  Umstechung  der  Röhrchen  in  Vorschlag  gebracht.  Es  soll 
zu  diesem  Ende  die  Sackhöhle  weit  geöffnet  und  der  Sack  hierauf  aus  seinen 
Verbindungen  ringsum  losjjräparirt  werden  (Berlin).  Das  Verfahren  ist  sehr 
schwierig  wegen  der  reichlichen  Blutung  und  gewährt  gleichfalls  keine  Bürgschaft 
gegen  das  Zurückbleiben  einer  Thränenlistel. 

Eine  besondere  Erwähnung  verdient  seiner  Sonderbarkeit  halber  der  Vor- 
sciilag,  die  Heilung  hartnäckiger  Blennorrhoeen,  Fisteln  u.  s.  w.  durch  Exstirpation 
der  Thi'änendrüse  anzustreben.  Man  behauptet  damit  günstige  Resultate  erzielt  zu 
haben,  gibt  aber  zu,  dass  in  manchen  Fällen  schwer  heilbare  Ptosis  des  oberen 
Lides  und  selbst  Beschränkungen  der  seitlichen  Augapfelexcursionen  die  Folge 
waren  (Laurence). 

Quellen:  Ad.  Schmidt,  Krankheiten  des  Thränenorganes.  Wien.  1803.  S.  248, 
•271,  280,  288,  310,  323,  329,  342.  —  Richter,  nach  A.  Schmidt,  1.  c.  S.  301,  343.  — 
Beer,  Lehre  v.  d.  Augenkrankheiten.  II,  Wieu.  1817.  S.  151.  —  Hasner,  Beiträge 
zur  Physiol.  u.  Path.  des  Thränenableitungsapp.  Prag.  1850.  S.  43,  58,  60,  66  —  88, 
90,  93,  95.  —  Arlt,  Krankheiten  des  Auges.  III.  Prag.  1856.  S.  392,  394,  396,  405, 
408,  413;  A.  f.  O.  L  2.  S.  153,  155,  157;  XIV.  3.  S.  267  u.  f.;  Zeitschrift  der 
Wien.  Aerzte.  1860.  Nr.  24;  Verhandlungen  der  ophth.  Versammlung  zu  Heidelberg. 
1859.  S.  28 ;  Wieu.  med.  Wochenschrift.  Spitalzeitung.  1862.  Nr.  22—33.  — 
Stellwag,  Ophth.  II.  S.  1048,  1059,  1088,  1090;  Wien.  med.  Jahrbücher.  1861. 
S.  46.  —  Mackenzie,  Traite  d.  mal.  d.  yeux.  traduit  par  Warlomont  et  Testelin. 
I.  Paris.  1856.  S.  384,  388,  420,  425,  429,  431.  —  Desmarres,  Traite  d.  mal.  d. 
yeux.  Paris.  1847.  S.  861,  865,  871;  Ann.  d'oc.  VII.  S.  149;  VIH.  S.  85;  Congres 
intern,  d'ophth.  Paris.  1863.  S.  141.  —  Oritcheft,  Lancet.  1863,  1864;  Ann.  d'oc. 
51.  Bd.  2—6  Liefg.;  kl.  Monatbl.  1863.  S.  364.  —  Kleemann,  Zeitschrift  f.  Ophth. 
V.  S.  459.  —  Zander  und  Geissler,  Verletzungen  des  Auges.  Leipzig  u.  Heidelberg. 
1864.  S.  104.  —  Kersten,  nach  Zander,  1.  c.  S.  105.  — ■  Virchow,  Die  krankhaften 
Geschwülste.  I.  Berlin.  1863.  S.  249.  —  Graefe,  A.  f.  O.  I.  1.  S.  288,  291,  294; 
Verhandlungen  der  ophth.  Versammlung  zu  Heidelberg.  1859.  S.  25,  26;  klin. 
Monatbl.  1863.  S.  58.  —  Bau,  A.  f.  O.  I.  2.  S.  161,  166,  171,  174.  —  A.  Weher, 
ibid.  VIIL  1.  S.  94,  95,  97,  100,  102,  106,  110;  kl.  Monatbl.  1865.  S.  96,  98,  103, 
105,  107,  108,  112;  1868.  S.  362.  —  Jaesche,  A.  f.  O.  X.  2.  S.  166,  170,  173,  174, 
177;  klin.  Monatbl.  1869.  S.  290.  —  Pagenstecher  und  Saemisch,  kl.  Beobachtungen. 
Wiesbaden.  1861.  I.  S.  72,  74;  II.  S.  39.  —  Bowman,  nach  Mackenzie,  Arlt, 
Weber,  Jaesche.  —  Hirschler,  Wien.  med.  Wochenschrift.  1862.  Nr.  46.  —  Secondi, 
Clinica  oc.  di  Genova,  Riassunto,  Torino.  1865.  S.  118,  120.  —  Scarpa,  Tratato 
d.  pr.  mal.  d'occhi.  I.  Pavia.  1816.  S.  1,  17,  26,  29,  33,  35,  46,  52.  —  Foltz, 
Ann.  d'oc.  1865.  S.  136.  —  Gensotil ,  Laforest,  nach  Hasner  1.  c.  S.  97.  — 
Dupuytren,  nach  Mackenzie,  1.  c.  S.  402.  —  Fr.  Jaeger ,  miindl.  Mittheilung.  — 
Lacaze,  Union  med.  1864.  S.  130.  —  Williams,  Congr.  inter.  d'ophth.  Paris.  1863. 
S.  137;  Arch.  f.  Augen-  und  Ohrenheilkd.  I.  S.  78;  Transact.  amer.  ophth.  soc. 
1869.  S.  30.  —  Green,  ibid.  S.  31.  —  Laurence,  Congres.  ophth.  1868.  S,  35,  41; 
Cervera,  Delgado,  Sperino,  ibid.  S.  46,  47.  —  Delgado,  Centralbl.  1866.  S.  575.  — 
A.  Jaeger,  ibid.  S.  295.  —  Wecker,  ibid.  S.  399.  —  Schweigger,  kl.  Monatbl.  1869. 
S.  56.  -  B.  Ruete,  ibid.  1868.  S.  236.  —  Alf.  Graefe,  ibid.  S.  223.  —  Berlin, 
ibid.  S.  355,  362.  —  Zeissl,  Wocheubl.  d.  Wien.  Aerzte.  1861.  Nr.  11.  —  StiUing, 
Ueber  d.  Heilung  d.  Verengerung  etc.  Cassel.  1868,  S.  7  u.  f.;  kl.  Monatbl.  1869. 
S.  57.  —  Mooren,  ophth.  Beiträge  S.  79,  82.  —  Herzenstein,  Beiträge  zur  Phys. 
u.  Therapie  d.  Thränenorg.  Berlin.  1868.  S.  35,  39,  47.  —  Warlomont,  Centralbl. 
1869.  S.   111. 


Orbita;  Anatomie;  Knochenwandungen. 


577 


KIT.ITER  A1>>8(11NITT. 
Die  Entzündung  der  Orbitalgebilde. 


Anatomie.  Die  beiden  Augenhöhlen,  dereu  Unkseitige  (Fig.  82)  in 
einem  horizontalen,  durch  die  Mitte  geführten  Durchschnitte  dargestellt  ist, 
gleichen  ihrer  Form  nach  schiefen  vierseitigen  Pyramiden  mit  abgerundeten 
Kanten.  Ilire  Axen  messen  bei  1  '/.2  Zoll,  sind  horizontal  und  zwar  so 
gelagert,  dass  sie,  verlängert  gedacht,  sich  hinter  dem  Türkensattel  in 
einem  Winkel  von  uugeflihr  45   Graden  treffen. 

Die  Eingangsöffnung,  welche  die  Basis  der  Pyramide  abgibt,  bildet  ein  Viereck 
mit  abgerundeten  Winkehi,  dessen  Ebene  etwas  ymch  aussen  geneigt  ist,  so  dass 
sich  ihre  Verlängerung  mit  der  der  anderen  Seite  in  der  Gegend  des  Nasenrückens 
unter  einem  stuvijjfe^i  Winkel  schneiden  würde.  Ihr  Band  ragt  in  Gestalt  einer 
sehr  starken  und  dichten  Knochenleiste  etwas  hervor,  besonders  in  der  Gegend 
des  oberen  äusseren  Winkels. 

Die  innere  Wand  der  Orbita  steht  beinahe  senkrecht,  läuft  dem  sagittalen 
Schädeldurchmesser  parallel  von  vorne  nach  hinten  und  wird  von  der  Papierplatt.e 
des  Siebbeines  a  und  nach 

vorne  von  dem   Thränen-  Fi?-  82. 

beine  b  gebildet.  Letzteres 
steht  nach  vorne  mit  dem 
Stirnfortsatze  des  Ober- 
kieferbeines c  im  Zusam- 
menhange. Die  obere 
Wand  hat  den  grössteu 
Flächeninhalt.  Sie  ist 
einem  Dache  gleich  ge- 
tvölbt  und  fällt  nach  hin- 
ten stark  ab.  Der  äussere 
vordere  Theil  derselben 
ist  grubenartig  ausgehöhlt 
und  stellt  so  die  Fossa 
lacrgmalis  dar.  Sie  wird 
zum  grössten  Theile  von 
der  Pars  horizontalis  des 
Stirnbeines  gebildet ,  ist 
überaus  dünn,  bisweilen 
sogar  durchlöchei-t  und 
scheidet  die  Orbita  von 
der  Schädelhöhle ,  nach 
vorne  und  innen  aber  von 
der  Stirnhöhle.  Die  untere 
Wand  ist  ziemlich  eben, 
steigt  von  vorne  nach 
hinten  etwas  an  und 
trennt  die  Augenhöhle  von 
dem  Antrum  Highmori.  Sie 
wird  grösstentheils  vom 
Oberkieferknochen  dargestellt , 
bitalis  mit  dem  Nerven  vxnd 
Wand   ist    die    festeste,    widerstandsfähigste,    solideste. 

S  t  e  1 1  w  a  g ,  Augenheilkunde. 


V-    k 


ist  ziemlich  dick  und    schliesst  den  Canalis  infraor- 
der   Arterie    gleichen    Namens    in    sich.     Die  äussere 

Ihre  Fläche    ist  fast    senk- 

37 


578      Orbita:  Anatomie;  Periorliita;  Faseia  tarsoorliitalis ;  Tunica  vaginalis;  Bonnet'sche  Kapsel. 

recht  gelagert  und  sehr  stark  gegen  die  Axe  geneigt.  Sie  wird  zumeist  von  dem 
grossen  Flügel  des  Keilbeines  d  hergestellt;  nach  vorne  betheiligt  sich  jedoch  auch 
der  Jochfoi'tsatz  des  Stirnbeines  und  das  Jochbein  e.  Hinter  diesem  Knochen  lagert 
der  Muse,  temporalis  f. 

In  der  inneren  oberen  Kante  der  pyramidenförmigen  Orbita  haftet  die  Rolle 
für  den  Mitsculus  trochlearis.  Die  äussere  obere  Kante  zeigt  nach  hinten  eine  bei 
^/^  Zoll  lange  und  1 — 2  Linien  breite  Oeffnung,  die  obere  Augenhöhlenspalte,  durch 
welche  die  orbitalen  Venen  in  den  Sinus  cavernosus  nach  hinten,  der  Nervus 
oculomotorius,  trochlearis,  abducens  und  der  erste  Ast  des  Trigeminus  aber  her- 
aus in  die  Oi'bita  gelangen.  Die  untere  äussere  Kante  ist  nach  hinten  in  ähnlicher 
Weise  von  der  unteren  Augenhöhlenspalte  durchbrochen  und  stellt  so  eine  Ver- 
bindung der  Orbita  mit  der  Schläfen-  und  Flügelgaumengrube  her.  Es  gehen 
durch  diese  Spalte  venöse  Verbindungsäste  heraus,  der  Nervus  infraorbitalis  und 
subcutaneus  malae  aber  hinein. 

An  der  Spitze  der  Orbita  befindet  sich,  umgrenzt  von  den  zwei  Wurzeln  des 
kleinen  Keilbeinflügels  (bei  g),  das  Foramen  opticum  oder  Sehloch,  durch  welches 
der  Sehnerv  und  die  Arteria  ophthalmica  h  aus  der  Schädelhöhle  hervortreten. 

Die  knöchernen  Wandungen  der  Orbita  sind  allenthalben  mit  Bein- 
haut, der  Periorbita,  iiberkleidet.  Diese  hängt  den  Knochen/äcÄe?i  weniger 
fest  an,  als  den  Nähten  und  Spalträndem.  Sie  setzt  sich  an  letzteren 
unmittelbar  in  die  Dura  mater  und  das  Periost  der  umgebenden  Theüe  des 
Gesichtsskeletes  fort,  während  sie  gleichzeitig  Scheiden  für  die  durchtreten- 
den Nerven  und  Gefässe  abgibt.  Am  Sehlochrande  verdichtet  sich  die 
Periorbita  zu  einem  dichten  sehnigen  Ringe,  von  welchem  die  vier  geraden 
und  der  obere  schiefe  Augenmuskel,  so  wie  der  Aufhebemuskel  des  oberen 
Lides,  ihren  Ursprung  nehmen. 

Der  Zwischenraum  zwischen  dem  Augapfel  i  und  den  Wänden  der 
Augenhöhle  wird  von  einem  sehr  lockeren,  mit  Fett  reichlich  durchsetzten 
Bindegewebe  k  ausgefüllt.  Dieses  Bindegewebe  verdichtet  sich  stellenweise 
und  constituirt  solchermassen  Scheiden  für  die  in  der  Orbita  gelegenen  Mus- 
keln, Gefässe  und  Nerven;  andererseits  aber  auch  fascien'dhnliche  Blätter, 
welche  die  Verbindung  zwischen  den  einzelnen  Orbitalgebilden  unter  sich 
und  zwischen  diesen  und  der  Periorbita  vermitteln. 

Eine  solche  Fascie  ist  die  Äugenlidbinde,  Fascia  tarsoorbitalis,  welche 
sich  vom  Orbitalrande  zur  Convexität  der  beiden  Lidknoi'pel  begibt,  mit 
den  Lidbändern  im  Zusammenhange  steht  und  die  vordere  Oeffnung  der 
Augenhöhle  schliessen  hilft.  Sie  ist  stellenweise  sehr  dünn  und  selbst  durch- 
brochen,  d.  i.   durch  lockeres  Bindegewebe  ersetzt  (Ai-lt.) 

Eine  andere  Fascie  sehlägt  sich  vom  convexen  Tarsalrande  über  den 
Uebergangstheil  der  Bindehaut  hinweg  zur  Oberfläche  des  Bulbus,  wo  sie  mit  der 
Scheidenhaut  des  Auges  verschmilzt  und  durch  diese  mit  einer  Fascie  zusammen- 
hängt, welche  die  vier  geraden  Augenmuskeln  umhüllt  und  deren  Ränder  unter 
einander  verbindet,  so  zwar  dass  der  ganze  Muskeifrichter  von  einer  zarten  Scheide 
allenthalben  abgegrenzt  erscheint  (Magni).  Ein  weiteres  Blatt  geht  von  der 
hinteren  Fläche  der  Augenlidbinde  zur  Thi-änendrüse,  schiebt  sich  zwischen  die 
obere  und  untere  Portion  derselben  hinein,  stützt  erstere  und  verbindet  sich  mit 
der  Periorbita. 

Die  Scheidenhaut  des  Augapfels,  Tunica  vaginalis  bulbi,  beginnt  am 
Umkreise  des  Sehloches,  umschliesst  lose  den  Sehnerven  und  erweitert  sich 
an  dessen  vorderem  Ende  becherförmig  zur  Aufnahme  des  Bulbus.  Sie 
umgibt  diesen  bis  über  den  Aequator  hinaus  gleich  einer  Kapsel  (Bonnet'sche 
Kapsel),  ist  daselbst  nur  durch  äusserst  spärliches  lockeres  Bindegewebe 
mit  der  Oberfläche  der  Sclera  verbunden  und  so  glatt,  dass  der  Bulbus 
in  ihr  rollen  kann.  Jenseits  des  Aequators  des  Bulbus  wird  sie  von  den 
Sehnen  der  schiefen  Augenmuskeln  durchbohrt  und  hängt  mit  deren  Scheiden 


Tenon'sche  Kapsel;  orgaiiisfhe  Orbitalrauskeln ;  Aiteria  ophthalinica.  579 

zasammen.  Weiter  nach  vorne  lässt  sie  in  sohiefer  Eichtung  die  Sehneu 
der  geraden  Augenrauskehi  dnrchtretcn,  verbindet  sich  mit  denselben  und 
verschmilzt  endlich  sammt  den  erwähnten  ^S(^]lnen  mit  der  Sclerotica.  Dieser 
vorderste  Theil  der  Scheidenhaut  des  Augapfels,  von  der  Durchtritts- 
stelle der  Muskelsehnen  bis  zur  Verschmelzung  mit  der  Lederhaut,  wird 
auch  als    Tenoti'sche  Kapsel  beschrieben. 

Der  Kaum  zwisclieu  der  Scheidenbaut  und  dem  Bull)u.s  sammt  Opticus  wird 
als  ein  Lymphraum  betrachtet,  welcher  nach  hinten  mit  dem  Aracluioidalraume 
Kusannuenhiiiigt,  nach  vorne  aber  durch  Lymphvvege,  welclie  neben  den  Orbital- 
vonen  die  Sclerotica  passiren,  mit  dem  Suprachorioidalraume  in  Verbindung  steht 
(Sclavalhe). 

In  der  Augenhöhle  finden  sich  neben  den  animalischen  Muskeln 
des  Bulbus  eine  Anzahl  Bündel   glatter  organischer  Muskelfasern. 

Das  stärkste  derselben,  der  Musculus  orhitalis  inferior,  deckt  die  VerschUiss- 
membran  der  unteren  Augenhöhlenspalte,  ist  bei  einem  Millimeter  mächtig  und 
besteht  grösstentheiis  aus  sagittal  streichenden  Fasern,  welchen  nur  einzelne 
wenige  senkrecht  darauf  verlaufende  Bündelchen  eingewebt  sind  (H.  Müller, 
Harling).  Es  ist  dieser  Muskel,  dessen  Elemente  zum  Theile  in  die  Periorbita 
übergehen,  nach  vorne  aber  mit  der  Augenlidbinde  zusammenhängen  {Sappey), 
ein  Rudiment  des  üljeraus  mächtigen  Muskels ,  welcher  bei  den  höheren  Thieren 
in  Verbindung  mit  der  Orbitalmembran  die  Augenhöhle  nach  aussen  hin  ab- 
schliesst.  —  Ausser  ihm  bestehen  noch  schwache  kurze  Bündel,  welclie  knapp 
hinter  dem  Ansätze  der  Augenlidbinde  an  der  inneren  und  äusseren  Wand  der 
Orbita  entspringen  und  sich  an  der  Fascia  tarsoorbitalis  anzusetzen  scheinen 
(Muse,  orhitalis  internus  et  externus,  Sappetj).  Ein  ganz  ähnliches  Bündel,  welches 
an  der  Orbitaldecke  nahe  der  Augenlidbinde  seinen  Sitz  hat  (B.  Müller),  ist  von 
Anderen  nicht  gefunden  worden  {Ilenle,  Harling),  was  sich  zum  Theile  daraus 
erklärt,  dass  alle  diese  Muskeln  sehr  schmächtig  und  überdies  häufig  in  Verfettigung 
begriffen  sind.  Es  ist  wahrscheinlich,  dass  dieselben  mit  den  organischen  Lid- 
muskeln den  Anschluss  der  Fascia  tarsoorbitalis  und  der  Lider  an  die  vordere 
Fläche  des  Bvilbus  und  den  Orbitalpolster  vei'stärken,  mittelbar  also  auch  der 
Thränenleitung  dienen. 

Die  Arterien  der  Orbita  sind  sämmtlich  Zweige  der  Arteria  ophthal- 
mica,  welche  unter  fast  rechtem  Winkel  aus  der  Carotis  entspringt  und 
an  der  inneren  Seite  des   Opticus  das  orbitale  Sehloch  passirt. 

Der  Stamm  der  Augenhöhlenschlagader  geht  kurz  nach  seinem  Eintritte  in 
die  Orbita  in  schiefer  Richtung  unter  dem  Selinerven  hinweg  vind  läuft  von  hier 
in  sanfter  Krümmung  nach  Vorwärts,  um  abermals  an  die  innere  Seite  des  Nerven 
zu  gelangen  und  dann  nahe  der  medialen  Wand  der  Orbita  nach  Vorne  zu 
streichen.  Wo  sie  nach  Aussen  vom  Opticus  liegt,  gibt  sie  zahlreiche  Muskeläste, 
die  Centralschlagader  der  Netzhaut,  die  hinteren  kurzen  Ciliararterien  und  endlich 
den  Thränenast  ab,  dessen  Endzweige  bis  in  die  äussere  Portion  der  Conjunctiva 
und  der  Lider  reichen.  In  ihrem  Verlaufe  an  der  inneren  Orbitalwand  gibt  sie 
ausser  der  langen  inneren  Ciliararterie  Muskeläste ,  die  beiden  Art.  ethmoidales 
und  die  Art.  meningea  ant.  ab.  Als  Art.  supraorbitalis  theilt  sie  sich  schliesslich 
in  den  Stirnast  und  in  Zweige  für  beide  Lider. 

Die  Venen  der  Augenhöhle  bilden  ein  reiches  Geflecht,  welches  nach 
Vorne  mit  der  Vena  facialis  anterior,  nach  Hinten  aber  mit  dem  Simcs 
cavernosus  und  dem  Plexus  pterygoideus  in  offener  Verbindung  steht,  so 
zwar,  dass  das  Venenblut  eben  so  leicht  nach  Vorne  als  nach  Hinten 
abzufliessen  vermag  und  Stauungen  im  Bereiche  der  Augenhöhle  nicht 
leicht  sich  fühlbar  machen  können,  wenn  im  Stamme  der  Vena  fa- 
cialis oder  im  Sinus  cavernosus  Circulationshindernisse  gegeben  sind 
(Sesemami). 

37* 


580 


Orbita ;  Anatomie  :  Venen ;   Statopathien. 


Die  beiden  Hauptvenenstämme  der  Orbita  sind  die  Vena  ophthabnica  superior 
oder  cerehralis  a  (Flg.  83  nach  Sesemann)  und  die  Vena  ophthalmica  inferior  b, 
auch  externa  oder  facialis  genannt.    Die  erstere ,     welche   ihrem  Verlaufe   nach  der 

Fig.  83. 


Arteria  supraorbitalis  entspricht ,  setzt  sich  aus  einem  Stirnzweige  und  Lidästen 
zusammen  und  communicirt  in  der  inneren  Winkelgegend  durch  starke  Verbin- 
dungsäste theils  dirxct,  theils  indirect  durch  Lidzweige,  mit  der  Vena  angularis  g 
rnnA  facialis  anterior  c.  Sie  geht  dann  unter  dem  musc.  rectus  superior  nach  Hinten 
und  ergiesst  sich,  nachdem  sie  die  obere  Augenhöhlenspalte  passirt  hat,  in  den  Simis 
cavernosus  d.  Auf  diesem  Wege  anastomosirt  sie  durch  zahlreiche  Verbindungsäste 
mit  den  Ciliarvenen  e,  mit  der  Vena  centralis  retinae  f  und  mit  der  Vena  ophthal- 
mica inferior.  Diese  letztere  geht  aus  einem  Geflechte  hervor,  welches  sich  im  Vor- 
dertheile  des  Bodens  der  Orbita  zwischen  Musc.  rect.  inferior  und  internus  befindet, 
sämmtliche  untere  Conjunctivalvenen  so  wie  einige  Venen  aus  dem  unteren  Lide 
aufnimmt,  ausserdem  aber  auch  in  Verbindung  steht  mit  der  Vena  ophthalmica 
superior  und  facialis  anterior.  Der  Stamm  verläuft  über  dem  Musc.  rect.  inferior 
nach  Hinten  und  mündet  entweder  in  den  Sinus  cavernosus  oder  in  die  Vena  oph- 
thahnomeningea  (Hyrtl),  deren  Stamm  aus  der  Sylvischen  Grube,  an  der  Seite  des 
Türkensattels  vorbei,  durch  die  obere  Augenhöhlenspalte  in  die  Orbita  dringt.  Die 
untere  Orbitalvene  anastomosirt  auf  diesem  Wege  reichlich  mit  der  Vena  oph- 
thalmica superior  und  mit  der  Vena  facialis,  mit  der  Vena  lacrymalis,  welche  durch 
Conjunctivalvenen  verstärkt  zur  Vena  ophthalmica  superior  geht  oder  direct  in 
den  Sinus  cavernosus  mündet,  und  steht  ferner  in  Verbindung  mit  den  Ciliarvenen 
und  dem  Geflechte  in  der  Flügelgaumengrube  (Sesemann). 

Der  Augapfel  ist  in  das  Orbitalgewebe  wie  in  einen  Polster  einge- 
senkt. Der  Widerstand  des  letzteren  ist  indessen  gross  genug,  um  den 
Bulbus  der  vereinten  Kraft  der  vier  geraden  Augenmuskeln  gegenüber 
in  seiner  normalen  Lage  unverrückt  zu  erhalten.  Abweichungen  von  dieser' 
Lage  (Statopathien,  Hasner)  sind  immer  der  Ausdruck  für  Erkrankungen 
der  Muskeln  oder  des  Orbitalgefüges  oder  des  Bulbus  selbst. 

In  neuerer  Zeit  interessirt  man  sich  sehr  für  sie  und  ist  lebhaft  bemüht  um 
Mittel,  welche  sie  genau  zu  messen  und  in  Zahlenwerthen  auszudrücken  gestatten. 
Man  hat  zu  diesem  Ende  eigene  Instrumente  ersonnen  (Exophthalmometer,  Ophthal- 


Exophthalmometer ;  Nosologie;  Kutzündiuig  d.  Schcidüiihaut;  Uodeiu ;  Hyi)oitioi)hid.  Entzündungen.  581 

moprostatometer ,  H.  Cohn,  Zehender,  EmmeH)  (Orthovieter,  TIasner).  Mittelst  der- 
selben lässt  sich  der  sagiltale  Abstand  des  Horiiliautsclieitels  von  der  Mitte  des 
äusseren  (Ilasner)  oder  des  oberen  Orbit alrandes  (IL  Cohn)  sehr  leicht  messen  und 
damit  auch  ein  et\vaio;er  Wechsel  in  der  relativen  Lage  des  Bnll)us  ermitteln  so 
wie  seiner  Grösse  nach  schätzen.  Für  die  Aufstellung  von  Normalwerthen  sind 
jedoch  die  genannten  Instrumente  und  die  gewählten  Punkte  nicht  geeignet,  da 
die  Hervorragung  des  Orbitalrandes  nicht  nur  bei  verschiedenen  Individuen,  sondern 
bei  demselben  Individuum  auf  beiden  Seiten  innerhalb  weiter  Grenzen  wechselt 
(H.  Cohn),  beim  oberen  Orbitalrande  überdies  der  sehr  wandelbare  Fettpolster  in 
Rechnung  kömmt  und  ausserdem  die  relative  Lage  des  Ilornhautscheitels  bei  sonst 
ganz  gleichen  Verhältnissen  wesentlich  influencirt  wird  von  der  Länge  des  Diameter 
anteroposterior  des  Auges. 

Nosologie.  Entzündungen  der  eigentlichen  Orbitalgebildc  kommen 
im  Ganzen  nicht  gar  selten  vor.  Der  Process  beschränkt  sich  öfters  auf 
die  zwischen  Augapfel  und  Periorbita  gelegenen  Weichgebilde,  während  in 
anderen  Fällen  die  Beinhaut  als  solche  oder  die  Knochenwand  selbst  den 
Sitz  der  Entzündung  abgeben.  Auch  geschieht  es  ziemlich  oft,  dass  alle 
die  genannten  Organe  in  den  Process  einbezogen  werden,  sei  es  primär, 
sei  es  secundär,  in  Eolge  der  Eortplianzung  von  Einem  Gebilde  auf  die 
übrigen. 

1.  In  höchst  seltenen  Fällen  soll  die  Scheidenhaut  des  Aiigapfels  den  alleinigen 
oder  vorzugsweisen  Sitz  einer  Entzündung  abgeben  und  unter  sehr  lebhaften  reissen- 
den Schmerzen  grössere  Productmengen  zwischen  Sclera  und  Bonnet'sche  Kapsel 
absetzen,  so  dass  der  Bulbus  etwas  hervorgetrieben  und  in  seinen  Bewegungen 
wesentlich  gehindert  wird  (0.  Ferral).  Die  Augapfelbindehaut  soll  dabei  mächtig 
aufgeschwollen,  dunkel  geröthet  sein,  aber  wenig  absondern.  Die  Binnenorgane  des 
Auges  hat  man  bald  im  normalen  Zustande  gefunden  (WecJcer),  bald  gingen  un- 
zweifelhaft Chorioiditis  und  Hyalitis  nebenher  oder  voraus  (Rydel,  0.  Becker).  Als 
Ursachen  werden  Erysipel  und  Verkältung  genannt.  Die  Krankheit  soll  immer  mit 
Heilung  enden. 

2.  Entzündungen  des  orbitalen  Binde-  und  Fettgeivebes  werden  öfters 
beobachtet.  Sie  können  zur  Hypertrophie  und  in  Folge  deren  zu  ständigem 
Exophthalmus  führen. 

So  sieht  man  bisweilen  nach  der  Einwirkung  traum,atischer  oder  jjhysikali- 
scher  etc.  Krankheitsursachen,  im  Verlauf  eines  Erysipielas  faciei,  einer  Entzündung 
der  knöchernen  Aiigenhöhlemcandungeti ,  einer  suppurativen  Panophthabnitis ,  im 
Verlaufe  hochgradiger  Sgndesmitides,  den  Bulbus  aus  der  Orbita  hervortreten,  indem 
das  lockere  Bindegewebe,  welches  ihn  umhüllt,  in  einen  entzündlichen  Wucherungs- 
process  gerathen  ist  und  eine  beträchtliche  Volumszunahme  erlitten  hat.  Bei 
genauerer  Untersuchung  erweiset  sich  dann  die  Schwellung  gewöhnlich  zum  aller- 
grössten  Theile  bedingt  durch  massenhafte  seröse  oder  gelatinöse  Infiltrate,  der  Pro- 
cess trägt  mehr  den  Charakter  des  entzündlichen  Oedemes.  Es  geht  dieses  in  der 
Regel  alsbald  zurück,  wenn  der  entzündliche  Process  seinem  Ausgleiche  näher 
kömmt.  In  einzelnen  Ausnahmsfällen  jedoch  nimmt  das  Bindegewebe  an  Masse  zu, 
verdichtet  sich  theilweise  wohl  auch  zu  derbem  sehnigen  Gebälke,  in  dessen  Maschen 
ein  ziemlich  consistentes  sulzartiges  Product  eingeschlossen  erscheint.  Am  ersten 
geschieht  dieses,  wenn  die  Entzündungen  des  Orbitalgefüges  sich  oft  wiederholen 
oder  längere  Zeit  unterhalten  werden  (Hivdy,  Sichel,  Duval). 

Eelativ  am  häufigsten  zeigt  sich  die  Hypertrophie  des  Augenhöhlen - 
polsters  neben  einer  analogen  Uebernährung  der  Schilddrüse  als  Theil- 
erscheinuvg  eines  allgemeinen  Leidens,  welches  seine  Quelle  höchst  wahr- 
scheinlich in  Erkrankung  der  sympathischen  Nervencentra  hat  und  gewöhn- 
lich mit  tiefen  Störungen  in  der  Blutbildung  und  Gesammternährung  ein- 
hergeht (Exophthalmus  mit  Kropf-  und  Herzleiden,  Exnphtholmvs  cachecticus, 
Basedoio' sehe  Krankheit, 


5(S2  Orbita ;  Nosologie;  Suppurative  Entzündungen;  Periostitis. 

Weitaus  in  der  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  trägt  die  Entzündung 
der  Orbitalweichtheile  den  suppurativen  Charakter.  Gewöhnlich  wird  das 
Polster  seiner  grössten  Masse  nach,  einschliesslich  der  Muskelscheiden  und 
selbst  der  Muskeln,  in  den  Process  verwickelt.  Es  bilden  sich  dann  ent- 
weder klehie  zerstreute  Abscesse,  welche  nicht  immer  mit  einander  zusammen- 
hängen und  von  derb  infiltrirten  Partien  wuchernden  Bindegewebes,  in 
grösserer  Entfernung  aber  von  entzündlich  ödematösem  Gefüge  umgeben 
sind ;  oder  aber  es  entwickelt  sich  eine  einzelne  grössere  Äbscesshöhle  mit 
Hohlgängen  und  Seitenkammern,  deren  Seitenwandungen,  so  weit  sie  nicht 
von  der  Periorbita  gebildet  werden,  durch  entzündliche  Gewebswucherung 
in  grösserer  oder  geringerer  Dicke  verhärtet  erscheinen. 

3.  An  den  Wandungen  der  Augenhöhle  wird  öfters  die  Periostitis 
beobachtet.  Die  gefassreiche  Periorbita  wird  dabei  in  grösserem  oder 
geringeren  Umfange  dicht  injicirt  und  schwillt  an,  bisweilen  so  stark,  dass 
bei  oberflächlicher  Lage  des  betreifenden  Knochenstückes  Erhabenheiten  von 
ziemlicher  Consistenz  gefühlt  werden  können.  Es  gehen  diese  Tumoren 
nach  Ablauf  der  Entzündung  oft  wieder  zurück.  Mitunter  jedoch  hinter- 
lassen sie  eine  ansehnliche  Verdickung  der  Beinhaut.  In  einzelnen  Fällen 
wächst  der  Tumor  wohl  auch  fort,  verdichtet  sich  allmälig  zu  einem 
faserig  knorpeligen  Gefüge  oder  verknöchert  gar  iind  wird  solchermassen 
stündig. 

Meistens  ist  das  Produet  der  Periostitis  ein  eitriges,  sei  es,  dass  der 
Process  gleich  von  vorneherein  mit  grosser  Intensität  auftrat,  oder  dass  die 
Ungunst  der  obwaltenden  Verhältnisse,  namentlich  der  Druck,  unter  welchem 
sich  die  wiichernden  Elemente  zwischen  Beinhaut  und  Knochen  befinden, 
eine  Höhergestaltung  der  Neubildungen  unmöglich  macht.  Es  wird  dann 
von  dem  sich  sammelnden  Eiter  die  Beinhaut  rasch  in  grösserer  oder 
geringerer  Ausdehnung  abgehoben,  sohin  die  Blutzufuhr  zu  dem  unterlagernden 
Knochen  beschränkt  oder  gar  verhindert  und  in  Folge  davon  öfters  dessen 
Absterben,   Nekrosis,    veranlasst. 

4.  In  der  Regel  erscheint  die  Periostitis  gleich  von  vorneherein  mit 
Entzündung  des  unterlagernden  Knochentheiles  gepaart.  Bisweilen  ist  blos  die 
dem  Perioste  zunächst  gelegene  Corticahuhsianz  in  den  Process  hinein- 
gezogen. Häufiger  jedoch  leidet  die  entsprechende  Partie  der  Knochen- 
wandungen ihrer  ganzen  Dicke  nach  und  dann  ist  meistens  auch  das  Periost 
der  zweiten  Oberfläche  mit  den  daran  grenzenden  Weichtheilen  in  den  Process 
verwickelt.  Das  entzündete  Knochengefüge  erscheint  geröthet,  schwillt  etwas 
an  und  verliert  mehr  weniger  an   Consistenz. 

Es  werden  nämlich  die  Kalksalze  im  Bereiche  des  Entzündungsherdes  theil- 
weise  oder  ganz  aufgesaugt,  während  die  hyperämirte  bindegewebige  Auskleidung 
der  Markkanäle  und  Markzellen  durch  die  Prolification  ihrer  Elemente  sich  be- 
trächtlich ausdehnt  und  auflockert. 

Bei  geringer  Intensität  des  Processes  und  übrigens  günstigen  Verhält- 
nissen kann  der  Ausgleich  ein  vollständiger  werden.  Oefters  jedoch  stellt 
sich  das  Knochengefüge  im  Bereiche  des  Entzündungsherdes  nicht  wieder 
vollständig  und  in  seiner  ursprünglichen  Form  her,  der  Knochen  bleibt 
etwas  aufgebläht,  porös  und  sclerosirt.  Bisweilen  erheben  sich  in  Folge 
fortgesetzter  Wucherung  wohl  auch  mächtige  Geschwülste  aus  dem  Knochen- 
gefüge, welche  den  aus  der  Periostitis  hervorgehenden  in  jeder  Beziehung 
gleichen. 


Ostitis;  Caries;  Nekrosis;  Blutergüsse;  Knochensprünge;  Emphysem.  583 

In  den  meisten  Fällen  jedoch,  und  bei  höheren  Tntensitätsgraden  der 
Entzündung;  fast  immer,  ist  Eiterung  das  Resultat  der  Ostitis.  Es  erscheint 
dann  der  aufgelockerte,  schwammig  gewordene,  stark  geröthete  Knoclien 
im  Centrum  des  Entzündungsherdes  von  Eiter  wie  durclidrungen,  es  erfüllt 
der  letztere  in  Gestalt  kleiner  Tröpfchen  die  Markkanälchen  und  Mark- 
zellen und  erweitert  sie,  indem  das  wuchei-nde  Bindegewebe  sammt  der 
knorpeligen  Gi'undlage  des  Knochens  schmilzt,  die  Kalktheilchen  aber  mehr 
und  mehr  aufsesaua-t  werden.  Man  findet  endlich  nur  mehr  ein  knöchernes 
Netzwerk,  dessen  Maschen  ganz  von  weichem  wuchernden  gefässreichen 
Bindegewebe  und  von  kleinen  Eitertröpfchen  ausgefüllt  werden,  und  welches 
die  Oberfläche  des  Knochenstückes  auffällig  rauh  macht.  Bei  grosser  Intensität 
des  Processes  geschieht  es  übrigens  auch  ziemlich  oft,  dass  ein  Theil  des 
entzündeten  Knochens  ganz  abstirbt. 

Gleichwie  bei  Abscessen  in  Weichtheilen  die  Eiterung  nur  im  Centrum  des 
Entzündungsherdes  stattfindet,  die  Abscesshöhle  aber  vonTheilen  umschlossen 
erscheint,  in  welchen  die  entzündliche  Wucherung  mit  geringerer  Intensität 
einhergeht  und  Elemente  producirt,  welche  der  Höher gestaltung  fähig  und 
zum  Ersätze  des  Verlorenen  bestimmt  sind:  eben  so  wird  die  cariöse  oder 
theilweise  nekrosirte  Knochenpartie  immer  umgrenzt  von  Knochgewebe,  in 
welchem  die  wuchernden  Elemente  der  Höhergestaltung  zustreben  und  Granu- 
lationen bilden,  die  das  lebensunfähig  Gewordene  allmälig  von  der  Unter- 
lage abheben,  ausstossen  und,  indem  sie  später  sich  selbst  zu  Knochen  oder 
zu  Narbengewebe  umwandeln,  die  Knochenlücke  theilweise  oder  gänzlich 
wieder  augfüllen. 

5.  Eine  besondere  Erwähnung  verdienen  die  orbitalen  Blutergüsse.  Dieselben 
rühren  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  von  den  in  der  Augenhöhle  verzweigten  Gefässen 
her,  welche  dann  entweder  spontan,  oder  in  Folge  der  Einwirkung  äusserer  Gewal- 
ten geborsten  sind.  Bei  einiger  Massenhaftigkeit  drängen  die  Extravasate  den  Bulbus 
je  nach  ihrem  Sitze  nach  vorne  oder  auch  zur  Seite.  Sie  pflegen  sich  zu  senken 
und  auch  wohl  zu  diffundiren,  so  dass  sie,  obgleich  ursprünglich  tief  gelegen, 
unter  der  Bindehaut  erscheinen,  diese  hervorbauchen  und  färben  können.  In  der 
Regel  werden  sie  unschwer  durch  Resorption  beseitigt.  Doch  kann  es  auch  geschehen, 
dass  sie  sich  eindicken  und  vermöge  fort  und  fort  loiederholter  apoplectischer  Nach- 
schübe sich  häufen,  so  dass  der  Exophthalmus  ganz  erstaunliche  Grade  erreicht  und 
den  Eindruck  eines  üppig  wuchernden  Aftergebildes  macht  (Fischer). 

In  anderen  Fällen  ist  ein  Knochensprung  die  Quelle  des  Extravasates,  oder 
das  Blut  ist  durch  einen  Riss  in  den  Wandungen  der  Orbita  «ms  den  Nachbar- 
höhlen ins  Fettpolster  des  Auges  gelangt.  Ist  die  innere  oder  untere  Orbitalvvand 
geborsten  (Laroson,  HidkeJ,  so  kömmt  es  nebenbei  bisweilen  zum  Emphysem  der 
Augenhöhle,  es  entwickelt  sich  ein  Exophthalmus,  welcher  durch  Schneuzen  gesteigert 
wird  und  durch  das  Knistern  unter  dem  drückenden  Finger  seine  Natur  unzwei- 
deutig offenbart.  Gewöhnlich  verheilt  die  Wunde  leicht  und  das  Extravasat  sammt 
Emphysem  verschwinden  spurlos.  In  zwei  Fällen  war  der  Bulbus  durch  ein  Loch 
der  unteren  Orbitalwand  in  die  Oberkieferhöhle  dislocirt  worden  und  einmal  darin 
durch  Narbengewebe  festgewachsen  (Becker) ,  das  andere  Mal  bei  Zeiten  reponirt 
und  zur  vollen  Functionstüchtigkeit  zurückgebracht  worden  (Langenheck).  Ist  die 
obere  Oi'bitalwand  gebrochen  oder  gesprungen  (Pepper ,  Hidke,  Manz),  so  ist  der 
Ausgang  in  der  Regel,  aber  nicht  immer  (Küchler)  lethal.  Manche  glauben,  dass 
das  von  dem  Dache  der  Orbita  stammende  Blut  sich  immer  senke  und  unter 
der  oberen  Bindehauthälfte  zum  Vorscheine  komme,  sowie  dass  man  umgekehrt 
von  solchen  Bindehaidecchymosen,  welche  erst  mehrere  Stunden  nach  einer  den 
Schädel  treffenden  schweren  Gewalt  sich  zeigen,  auf  Sprünge  im  Orbitaldache 
schliessen  könne.  Genauere  Beobachtungen  und  Experimente  am  Cadaver  haben 
dies  aber  nicht  ganz  bestätigt.  Sie  ergaben,  dass  eine  grössere  Menge  von  Blut 
ergossen  werden  und  auch  das  Periost  durchrissen  sein  muss ,  wenn  eine  Fissur 
in  dem  Orbitaldache   zu  Bindehautecchymosen    führen  soll;    weiters  dass  Blut  und 


584  Morbus  Basedowi;  Krankheitsbild;  Herzleiden;  Kropf. 

Exsudate  aus  der  Schädelhöhle  auch  ohne  Fractur  durch  das  Foramen  opticum 
und  durch  den  vordersten  Theil  der  oberen  Augenhöhlenspalte  unter  die  Periorbita 
gelangen  und,  falls  diese  durchbrochen  ist,  sich  in  die  orbitalen  Weichgebilde 
einen  Weg  bahnen  können.  Sie  erwiesen  weiters,  dass  solche  Bindehautecchymosen 
eben  so  gut  aus  den  Gefässen  des  Fettpohters  stammen  können,  und  dass  die 
Fascia  tarsoorbitalis  ein  Vordringen  orbitaler  Extravasate  unter  die  äussere  Lid- 
decke hindere  (Friedherg). 

Quellen:  Ai-U,  Krankheiten  des  Auges.  III.  339.  —  Magni,  Rivista  clinica 
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—  Langenheck,  ibid.  XIII.  2.  S.  447. 


1.  Basedow'sche  Krankheit. 

Krankheitsbild.  Charakteristisch  sind  sehr  auffällige  Intiervations- 
störungen  der  Lidmuskeln  und  des  Herzens,  der  Exophthalmus  und  die  Kropf- 
bildung. 

1.  Die  gestörte  Herzthätigkeit  bekundet  sich  durch  überaus  beschleunigte 
verstärkte  und  oft  auch  ihnregelmässige  Contractionen  sowie  durch  systolische 
Blasegeräusche  im  Herzen  und  in  den  grossen  Gefässen  der  Halsgegend.  Die 
Palpitationen  sind  oft,  namentlich  zeitweilig,  so  stark,  dass  die  Brustwand 
mächtig  erschüttert  wird  und  man  die  Pulsationen  in  den  Carotiden,  den 
Gesichtsarterien  und  selbst  in  der  Orbita  auf  Distanz  wahrnehmen  kann. 
In  der  Art.  brachialis  und  cruralis  soll  indessen  der  Puls  eher  schwächer 
als  in  der  Norm  sein  (Trousseau).  Es  treten  diese  Palpitationen  besonders 
bei  körperlichen  und  geistigen  Anstrengungen,  bisweilen  aber  auch  ohne 
Veranlassung  anfallsweise  auf  und  sind  dann  gewöhnlich  mit  äusserster 
Dispnoe  und  öfters  auch  mit  Vergrösserung  des  Exophthalmus  sowie  mit 
einer  merkbaren  Anschwellung  des  Kropfes  gepaart.  EigentHche  Herzfehler 
kommen  nebenbei  vor,  fehlen  jedoch  in  der  Eegel  und  sind  überhaupt  nur 
zufällige  Complicationen. 

2.  Der  Kropf  gedeiht  zu  sehr  verschiedenen  Graden  ohne  jemals 
indessen  so  beträchtlich  zu  werden,  dass  er  an  und  für  sich  erhebliche 
Functionsstörungen  bedingen  könnte. 


Exophthalmus;  Inneiv.ttioiisstörungen;  Keflexlähmungeii.  585 

3.  Der  Exophthalmus  ist  mit  seltenen  Ausnahmen  beiderseitig,  aber 
nicht  immer  ji;anz  gloichmässig-  auf  beiden  Augen  cntwiekclt.  Kr  zeigt 
sich  oft  schon  sehr  frühzeitig,  gcwölinlic;]!  aber  erst  nach  längerem  Vor- 
angehen der  Herzsymptome  und  der  Ki'opfbildung.  Kr  ist  mitunter  kaum 
merkbar  oder  scheint  zeitweilig  völlig  zurückzugehen,  besonders  in  den 
ersten  Stadien  des  Leidens,  wo  er  überhaupt  gleicli  dem  Kröpfe  sehr  zu 
schwanken  pflegt.  In  anderen  Fällen  ist  er  überaus  beträchtlich,  ohne 
dass  es  jemals  zu  einer  förmlichen  Ophthalmoptosis  käme.  Die  Vortreibung 
der  Augäpfel  erfolgt  gewöhnlich  in  der  Richtung  der  (3rbitalaxe ;  nur 
selten  kömmt  es  zu  einer  Schiefstellung  des  Auges  wegen  ungleichmässiger 
Volumszunahme    des    Orbitalpolsters  (GraefeJ. 

Der  Exophthalmus  beruht  nachgewiesener  Massen  ebenso  wie  die  An- 
schwelhing  der  Schilddrüse  auf  einer  Erweiterung  der  Gefässe,  besonders  der  Venen. 
Im  Einklänge  damit  pflegt  er  vorübergehend  merkbar  zu  steigen,  wenn  wegen 
vermehrter  Herzthätigkeit  oder  in  P^olge  von  Stauungen  im  oberen  Hohlvenen- 
gebiete  der  Blutdruck  in  der  Orbita  zunimmt,  umgekehrt  aber  geht  er  im  Tode 
fast  gänzlich  zurück.  Erst  bei  längerem  Bestände  der  Blutüberfüllung  kömmt  es 
secundär  zur  Hypertrophie  des  Bindegewebes  und  in  der  Schilddrüse  wohl  auch  zur 
Entwickelung  choloider  Cysten  (Virchow). 

4.  Die  Innervationsstörungen  kommen  ebensowohl  auf  dem  Gebiete  der 
Reflexthätigkeiten  als  auf  jenem  der  willkürlichen  Coordinationsbewegungen  zur 
Geltung  und  äussern  sich  überdies  nicht  selten  auch  unter  der  Gestalt 
wahrer  Lahmungen. 

a.  In  die  erste  Kategorie  gehört  eines  der  constantesten  und  gemeinig- 
lich vom  ersten  Beginne  an  vorhandenen  Symptome,  nämlich  die  weite 
Oeffnung  der  Lidspalte  und  die  Unvollständigheit  und  Seltenheit  des  rhythmischen 
Lidschlages.  Die  Klaffung  der  Lidspalte  ist  gewöhnlich  so  gross,  dass  über 
und  unter  dem  Hornhautrande  eine  ziemlich  breite  Zone  der  Sclera  blos- 
liegt.  Der  rhythmische  Lidschlag  bleibt  oft  mehrere  Minuten  lang  gänzlich 
aus,  ist  auch  meistens  ein  ganz  unvoUstündiger  und  wird  durch  ein  leichtes 
Kinwärtsziehen  und  durch  eine  schwach  schraubenförmige  Drehung  des 
Lidrandes  ersetzt.  Ks  gibt  dieses  Symptom  im  A'ereine  mit  der  weiten 
Oeffnung  der  Lidspalte  der  Physiognomie  des  Kranken  das  eigenthümlich 
Harte  und   Starre,  welches  von  vielen  Autoren  hervorgehoben  wird. 

Es  können  diese  Motilitätsstörungen  nicht  wohl  aus  dem  Exophthalmus  er- 
klärt werden ,  da  sie  der  Vortreibung  des  Augapfels  in  der  Regel  lange  voran- 
gehen und  unabhängig  von  deren  Schwankungen  fallen  und  steigen.  Der  Exoph- 
thalmus steigert  eben  nur  durch  die  Vergrösserung  der  Widerstände  die  bereits 
vorhandenen  Motilitätsstörungen ,  bei  höheren  Entwicklungsgraden  bisweilen  aller- 
dings in  dem  Masse,  dass  die  Lidspalte  auch  vährend  dem  Schlafe  bis  zu  einer 
gewissen  Breite  otfen  bleibt,  womit  eine  ergiebige  Quelle  für  andauernde  und 
mitunter  bedrohliche  Beizzustände  gesetzt  wird.  Es  lassen  sich  die  fraglichen 
Motilitätsstörungen  auch  nicht  aus  einem  tonischen  Krämpfe  des  Levator  palpebrae 
superioris  oder  des  ohei-en  organischen  Lidmu^tkels  ableiten,  da  willkürliche  Inner- 
vationen des  Kreismuskels  vollkräftige  Zusammenziehungen  auslösen,  deren  effective 
Leistung  hinter  der  normalen  kaum  zurücksteht.  Die  Freiheit  der  imllkürlichen 
Bewegungen  unterscheidet  den  Zustand  aber  auch  gründlich  von  Lähmungen  im 
engeren  Wortsinne.  Man  kann  also  wohl  sagen,  es  spreche  sich  in  diesen  Er- 
scheinungen lediglich  eine  Hemmung  jener  Reflexstromungen  aus ,  welche  während 
dem  wachen  Zustande  von  den  sensiblen  Nerven  der  Bulbusoberfläche  und  von  der 
Netzhaut  beständig  auf  die  Augenportion  des  7.  Gehirnnerven  geleitet  werden  und 
im  Kreismuskel  einerseits  einen  gewissen  Grad  von  tonischer  Spannung  erhalten, 
andererseits    aber    auch   den    rhythmischen  Lidschlag  anregen. 


586        Morbus  Basedowi ;  Krankheitsbild ;  Thi'änenträufeln ;  Xerosis  ;  Coordinationslähimmgen. 

Mit  der  Sistirung  des  rhythmischen  Lidschlages  fällt  der  wichtigste 
Factor  der  TliränenJeitung  (S.  552j,  daher  die  Kranken,  besonders  anfäng- 
lich, häufig  Ton  Thränenträufeln  zu  leiden  haben  und  dies  zwar  urasomehr, 
als  die  loeite  Oeffnung  der  Lidspalte  den  reizenden  Eindruck  der  atmo- 
sphärischen Luft  u.  s.  w.  und  damit  auch  die  Secretion  der  Thränen  steigert. 
In  den  späteren  Stadien  des  Processes  stumpft  sich  jedoch  die  Erregbarkeit 
der  Gefühlsnerven  beträchtlich  ab,  die  Lidspalte  wird  nur  melu'  von 
Thränen  überHuthet,  wenn  stärkere  Reize  auf  das  Auge  wirken,  bei  rauher 
stürmischer  Witterung,  in  rauchiger  staubiger  Atmosphäre  etc.  Unter 
gewöhnlichen  Umständen  dagegen  wird  kaum  mehr  als  in  der  Xorm  abge- 
sondert. Bei  der  Geringfügigkeit  dessen  und  bei  der  reichlichen  Ver- 
dtmstung  auf  der  stets  weit  entblössten  Bulbusoberliäche  kömmt  es  dann 
leicht  zur  Vertrocknung  der  epithelialen  Schichten.  Diese  finden  sich  denn 
auch  wirklich  in  den  späteren  Stadien  des  Leidens  und  bei  höhergradig 
entwickeltem  Exophthalmus  ganz  häufig  merklich  getrübt,  trocken  und 
schilferig.  Damit  wachsen  selbstverständKch  die  Widerstände  des  Orbicular- 
muskels,  während  gleichzeitig  die  ßeizwirkung  der  atmosphärischen  Luft 
und  äusserer  Schädlichkeiten  wesentlich  abnimmt.  Es  steigern  sich  solcher- 
massen  die  fraglichen  Motilitätsstörungen  und  die  Xerosis  gegenseitig  im 
fehlerhaften  Cii'kel  und  letztere  gedeiht  bisweilen  zu  einem  so  hohen 
Grade,  dass  das  Bestreichen  der  Bulbusoberfläche  mit  einem  Pederbarte 
wohl  gefühlt  wird,  aber  keine  Schmerzen  und  noch  weniger  Reflexkrämpfe 
erregt. 

Die  Xerose  kann  nach  Allem  nicht  als  Ursache,  sondern  nur  als 
Wirkung  der  Innervationsstörungen  aufgefasst  werden,  um  so  mehr  als 
diese  jener  in  der  Regel  lange  vorausgehen  und  die  Xerose  überhaupt  auch 
häufig  wälirend  dem  ganzen  Verlaufe  des  Leidens  fehlt. 

b.  Von    Störungen    willkürlicher    Coordinationsbewegungen  ist  nur  Eine 

sehr    gewöhnlich.      Sie    äussert    sich    darin,    dass    das  obere  Lid  nur  loenig 

oder  gar  nicht   dem  Bulbus  folgt,   wenn  die    Visirehene    gesenkt  luird  (Graefe). 

Man    findet    dieses    Symptom  in  der  Regel  von  den  frühesten  Stadien  der 

Krankheit  an  neben    den   oben  geschilderten  Störungen  der  Reflexthätigkeit. 

Doch  ist   es  im  allgemeinen  weniger  häufig,  als  diese  letzteren.   Es  wechselt 

gleich  diesen  dem  Grade  nach  und  tritt  während  dem  Verlaufe  des  Leidens 

öfters  zeitweilig  auch  völlig  zurück. 

In  einem  Falle  wurde  eine  vorühergehende  vollständige  Behindeintng  der  seit- 
lichen Blickheicegungen  beobachtet.  Die  Gesichtslinien  beider  Augen  standen  völlig 
parallel.  Die  Visirebene  konnte  beliebig  gehoben  oder  gesenkt  werden.  Auch 
waren  die  Convergenzheicegnngen  völlig  frei.  Doch  fehlte  absolut  das  Vermögen, 
beide  Augen  gleichzeitig  nach  einer  oder  der  anderen  Seite  hin  zu  richten. 
Während  die  seitlichen  geraden  Augenmuskeln  also  Convergenzinipiilsen  ungehindert 
folgten,  waren  sie  für  Seitenblickinnervafionen  absohd  gelähmt.  Es  wiederholt  sich 
darin  ein  ähnliches  Verhalten,  wie  jenes  des  Kreismuskels,  welcher  auf  icillkürliche 
directe  Impulse  sich  mit  normaler 'K.ra.it  zusammenzieht,  während  er  Impulsen  gegen- 
über, welche  auf  Senkung  des  Blickes  zielen,    in  vollständiger   Unthätigkeit  verharrt. 

c.  Wahre  Lahmungen  sind  im  Ganzen  nicht  selten,   aber  nichts  weniger 

als  charakteristisch,    meistens    auch    sehr  wandelbar  und  vergänglich.      Sie 

betreffen  relativ  am  häufigsten  die  Augenmuskeln,  seltener  die  respiratorischen 

Gesichtsmuskeln,   den    Trigeminus  und    Opticus. 

Schiefstellungen  des  Auges  werden  in  der  That  von  verschiedenen  Beobach- 
tern als  ziemlich  häufige  Complicationen  des  Basedow'schen  Leidens    erwähnt  und 


Wahre  Lähmungen ;  Mydriasis;  Anästhesien;  Nenroparalyt.  Cornealgeschwüre ;  Nebenerscheinungen.  587 

gehören  nach  den  bisherigen  Erfahrungen  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  ohne  Zweifel 
auf  Rechnung  von  Leüunffshemmimgen  der  motorischen  Augennerven,  verhalten  sich 
auch  in  jeder  Beziehung  ganz  so  wie  diese.  Immeriiin  mögen  solche  Schiefstellun- 
gen in  manchen  Fällen  durch  vorwaltende  Verfettigunc/  eines  oder  des  anderen 
Augenmuskels  fRecklin(jhausenJ  bedingt  worden  sein.  Auch  steht  es  fest,  dass  der 
Exophthalmus  nn  sich  bisweilen  eine  Luscitas  auf  rein  mechanischem  Wege  be- 
gründet und  überdiess  im  Verhältnisse  zu  seinem  Entwicklungsgrade  Excursions- 
heschränkumien  nach  den  verscliiedensteu  Richtungen  hin  veranlasst. 

Zu  diesen  Lähmungen  gehört  bestimmt  auch  die  nicht  ganz  selten  vor- 
kommende Mydriasis  (Mooren,  Demvie,  Heymann).  Sie  erscheint  ebcnsowold  in  Ver- 
bindung mit  den  charakteristischen  Störungen  der  Oculomotoriuslähmung,  als 
selhstiindiy  und  kann  im  letzteren  Falle  möglicher  Weise  von  der  durch  den 
Exophthalmus  verursachten  Zerrimg  der  Ciliarnerven  abhängen.  Häufiger  indessen 
scheint  sie  die  Bedeutung  einer  centralen  Leitungshemmung  zu  haben. 

Die  Lähmungen  der  resjjiratoi-ischen  Gesichts muslcehi  dürften  gewöhnlich  un- 
vollständig sein  und  äussern  sich  durch  eine  eigenthümliche  Starrheit  und  Unbe- 
weglichkeit  der  betreflenden  Gesichtshälfte  beim  Pfeifen,  Blasen  etc.  und  bei  Affecten. 

Häufiger  sind  An'dstJtesien  ivi  Trigeviimisgehiete.  Sie  beschränken  sich  öfters 
auf  die  vordere  Bulbusoherfläche  und  mögen  dann  manchmal  gleich  der  Mydriasis 
aus  der  Zerrung  der  Ciliarnerven  zu  erklären  sein.  In  anderen  Fällen  verbreiten 
sie  sich  über  grössere  Bezirke  und  müssen  dann  auf  Rechnung  von  Leitungs- 
störungen in  den  Aesten  oder  Centr altheilen  des  Quintus  gebracht  werden.  Sie  sind 
bei  solcher  Ausbreitung  im  Ganzen  sehr  wandelbar  und  zeigen  sich  auch  wohl 
blos  anfallsweise. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  die  Verschwärungen  der  Hornhaid,  welche 
bei  der  Basedow'schen  Krankheit  mitunter  beobachtet  werden,  damit  zum  Theile 
im  pathogenetischen  Zusammenhange  stehen  und  dass  auch  die  mitunter  sehr  be- 
trächtliche (Mackenzie)  VertrocTcnung  der  Bidhusoherfläche  in  manchen  Fällen  dadurch 
wesentlich  gefördert  wird.  Doch  wäre  es  ein  grosser  Irrthum ,  wenn  man  allen 
Verschwärungen  der  Hornhaut  beim  Basedow'schen  Leiden  eine  neicroparalytische 
Basis  unterschieben  wollte.  Es  kommen  Ulcerationen  der  Hornhaut  nämlich  auch 
bei  kaum  vermindej'ter  Sensibilität,  unter  starker  Ciliarreizung  und  überaus  reich- 
lichem Thränenträufeln  vor.  Sie  finden  dann  ihr  ätiologisches  Moment  wahrschein- 
lich in  äusseren  Irritamenten  und  werden  durch  die  weite  Klaflfung  der  Lidspalte 
wesentlich  begünstigt. 

Auch  Sehstörungen  werden  ausnahmsweise  beobachtet,  dürften  jedoch  ge- 
wöhnlich durch  die  Mydriasis,  durch  die  Vertrocknung  der  Hornhautoberfläche 
v.  s.  w.  veranlasst  werden.  Hie  und  da  zeig-en  sich  übrio^ens  auch  wohl  ivirkliche 
Amhlyopien  und  in  Einem  Falle  ist,  vielleicht  ziifällig,  eine  loahre  Amaurosis  mit 
complefer  Atrophie  des  Sehnerven  gefunden  worden. 

5.  Als  Nehenerscheinimgen  sind  ferner  anzuführen  Anämie  oder 
Chlorose  mit  hochgradiger  Ernährungsstörung,  oft  bis  zur  äussersten  Abma- 
gerung, bei  Weibern  mit  Unterdrückung  der  Menstruation.  Es  finden  sich 
diese  Zustände  sehr  häufig,  namentlich  in  den  späteren  Stadien,  können 
jedoch  auch  völlig  abgehen.  Theilweise  im  Zusammenhange  damit  stehen: 
Verdauungsheschioerden,  Dyspepsie ,  wässeriges  oder  blutiges  Erbrechen, 
blutige  Stühle;  erschöpfende  Schweisse ,  Hypersecretion  des  Harnes; 
äusserste  Schwäche  mit  Neigung  zum  Schwindel ,  Ohrensausen,  Kopf- 
schmerz, häufige  Ohnmächten;  weiters  allgemeine  nervöse  Verstimmung, 
grosse  Reizbarkeit  bis  zur  völligen  Aenderung  des  Charakters.  Es  können 
diese  Symptome  übrigens  auch  bei  scheinbar  normaler  Blutbildung  gegeben 
sein  und  fehlen,   sind  also  nichts  Constantes  (Trousseau). 

Pathogenese.  Man  hat  guten  Grund  anzunehmen,  dass  der  gesammte 
reichhaltige  Symptomencomplex  des  Basedow'schen  Leidens  aus  einer 
gemeinsamen  Quelle  fliesse  und  dass  diese  in  Erkrankungen  der  Centraltheile 
des  sympathischen  Nerven  zu  suchen  sei  {Geigel,  Friedreich).  Die  pathogno- 
monische     Trias  :     Exophthalmus ,     Kropf     und     Herzleiden ,      trägt     den 


Ö88  Morbus  Basedowi;  Pathogenese. 

angimiexirotischen  Charakter  offen  an  der  Stirne  und  lässt  sich  mit  Functions- 
störuno-en  der  vasomotorischen  Centra  in  unmittelbaren  Zusammenhans: 
bringen.  Die  vielen,  höchst  unhestundigen  Nebensymptome  aber,  welche  die 
Krankheit  zu  einem  wahren  Proteus  gestalten ,  können  theils  als  directe, 
theils  als  indirecte  Folgen  jenes  Centralleidens  gedeutet  werden.  Insbesondere 
weisen  die  mannigfaltigen  Innervationsstörungen  der  motorischen  und 
sensiblen  Xerven  gleichwie  die  häufigen  psychischen  Alterationen  auf 
multiple  Krankheitsherde  hin ,  welche  in  den  verschiedensten  Punkten  des 
Gehirnes,  in  dessen  Einde ,  in  den  einzelnen  Reflex-  und  Coordinations- 
centris ,  in  den  Ursprungskernen  der  einzelnen  Xei-ven  u.  s.  w.  zerstreut 
auftreten  und  in  Anbetracht  ihrer  "Wandelbarkeit  und  "\'ergänglichkeit  wohl 
nur  auf  umschriebene  paralytische  Gefässerweiterungen  zu  beziehen  sind, 
welche  indessen  secundär,  wie  anderwärts,  so  auch  im  Gehirne,  durch 
Begünstigung  der  Filtration  und  entzündlichen  Exsudation  zu  wirklichen 
Verbildungen  des  nervösen  Gefüges  führen  und  die  davon  abhängigen 
Functionsstörungen  einigermassen  fixiren  können. 

Vielseitig  glaubt  man  den  cei-vicalen  Grenzstrang  als  den  Ausgangspunkt  der 
Krankheit  bezeichnen  zu  müssen  (Aran,  KoehenJ.  Wirklich  sind  sehr  auffällige 
Veränderungen  desselben  in  einer  Keihe  von  Fällen  nachgewiesen  worden  (Trousseau, 
Reith,  Cmise,  M'Donnel,  Traube,  Biermer,  Virchoiv,  GeigelJ.  In  anderen  Fällen 
jedoch  fehlte  mit  Bestimmtheit  jede  erkennbare  Erkrankung  des  cervicalen  Grenz- 
stranges (Becklinghausen,  Paul,  Fournier,  OlUvier).  Auch  entsprechen  die  charakte- 
ristischen Symptome  des  Basedow'schen  Leidens  nicht  jenen,  welche  durch  operative 
und  ziifdllige  Leitungsunterbrechungen  im  Halssympathicus  (Eidenhiirg,  Guttmann) 
begründet  werden.  Es  liegt  also  der  Verdacht  nahe,  es  seien  die  erwähnten  Ver- 
änderungen des  cervicalen  Grenzstranges  blos  zufällige  und  vielleicht  eben  auch 
nur  als  neuroparalytische  Localherde  zu  deuten.  Zudem  ist,  allerdings  nur  einmal, 
wirklich  eine  Veiicachsung  des  Centralkanales  des  Rückenmarkes  und  der  Medulla 
oblongata  mit  deutlichen  Anzeichen  von  Hyperämie  und  Entzündung  in  der  näch- 
sten Umgebung  als  wahrscheinliche  Quelle  des  Basedow'schen  Leidens  nachge- 
wiesen worden  (Geigel).  Bei  der  geringen  Aufmerksamkeit,  welche  den  Central- 
theilen  des  Sympathicus  bisher  geschenkt  worden  ist,  lässt  sich  aber  leicht  annehmen, 
dass  krankhafte  Veränderungen  derselben  öfter  bestehen  mögen,  wenn  sie  macros- 
kopisch  auch  nicht  immer  sehr  auffällig  sein  dürften. 

Die  Neigung  des  Basedow'schen  Leidens  zu  multiplen  Krankheitsherden  in 
den  verschiedensten  Gebieten  des  sympathischen  Nerven  wird  diirch  einen  Fall 
(Prael)  illustrirt,  in  w^elchem  zahlreiche  Erweichungsherde  im  Gehirne  nachgewiesen 
wurden.  Sie  äussert  sich  aber  auch  ganz  unzweideutig  in  dem  häufigen  Zustande- 
kommen theils  reiner,  theils  mit  Oedeni  und  entzündlichen  Exsudationen  combinirter, 
circumscripter  Gefässparalysen  an  der  Peripherie  des  Körpers.  Hierher  gehören 
die  bisweilen  halbseitigen,  anfallsweise  oder  bei  psychischen  Erregungen  auftreten- 
den, mit  starker  Wärmeentwicklung  verknüpften  tiefen  Röthungen  grösserer  Haut- 
bezirke; die  ständigen  enormen  Gefässerweiterungen,  welche  sich  nicht  selten  an 
der  Wange  und  Nase  finden;  die  sogenannten  Taches  cerebrales  (Trousseau,  Paul, 
DuschJ  und  gewisse ,  diesen  ganz  analoge ,  ephemere  Geschwidstbildungen  in  der 
Brauengegend  und  an  den  Lidern,  welche  mitunter  von  enormen  Anschwellungen 
der  hier  streichenden  Venenstämme  oder  einzelner  Arterien  (DecesJ  begleitet 
sind.  Auf  entzündliche  Exsudationen  zurückführbare,  diffuse,  ziemlich  derbe  An- 
schwellungen wurden  an  den  Wangen  und  Lippen  beobachtet.  Auch  lässt  sich 
als  Beispiel  eines  secundär  entzündlichen  umschriebenen  Krankheitsherdes  vielleicht 
ein  Fall  geltend  machen,  in  welchem  sich  hochgradige  Schwellung  und  Röthung 
der  Bindehaut  mit  Exsudation  eines  memhrandsen  Productes  während  dem  Verlaufe 
des  Basedow'schen  Leidens    wiederholt  anfallsweise  einstellte  (Heymann). 

Die  Ursachen  des  Leidens  sind  noch  wenig  erforscht.  Es  scheint, 
dass  heftige  Gemüthsbeivegungen  in  der  Aetiologie  eine  hervorragende  Rolle 
spielen.     Man  hat    die    Krankheit    ausnahmsweise    bei    Kindern    beobachtet 


Ursachen;  Verlauf;  Ausgänge.  589 

(Rosenberg,  Trousseau,  Deval),  In  der  liegcl  betrifft  sie  Individuen 
jugendlichen  oder  mittleren  Lebensalters,  besonders  solche;  mit  zarter  Consti- 
tution, hellem  Teint,  blauen  Augen,  blonden  oder  röthliehen  Haaren  und 
reizbarem  nervösen  Temperamente.  Schv^^ere  chronische  Krankheiten  und 
Säfteverluste  erhöhen  die  Disposition.  Weiber  sind  der  Krankheit  etwa 
vier  Mal  mehr  als  Männer  ausgesetzt  (Dusch). 

Verlauf.  Die  Fmtwickelung  der  Krankheit  in  allen  ihren  Zügen  ist 
bisweilen  eine  überaus  rasche,  innerhalb  vv^eniger  Wochen,  ja  selbst  inner- 
halb einiger  Tage,  vollendete.  In  der  i?eg'e^  jedoch  bildet  sich  der  Symptomen- 
complex  nur  ganz  allm'dlig  aus,  es  vergehen  Monate  und  Jahre,  während 
welchen  blos  die  Lidsymptome  bestehen  und  das  Herzleiden  inehr  oder  minder 
heftige  und  häufige  Paroxjrsmen  macht.  Dann  kömmt  der  Kropf  und  der 
Exophthalmus  zum  Vorscheine,  worauf  endlich  die  fehlerhafte  Blutbiidung, 
die  Verdauungsstörungen  etc.  sich  geltend  machen.  Mitunter  jedoch  gehen 
auch  die  letzteren  Zustände  voran,  das  Herzleiden  tritt  später  hervor  und 
nach  diesem  der  Kropf  und  der  Exophthalmus. 

Einmal  entwickelt,  besteht  die  Krankheit  oft  Jahre  lang  mit  mehr 
weniger  auffälligen  Schwankungen  fort,  so  zwar,  dass  bei  geringer  Ver- 
änderlichkeit des  Exophthalmus  und  des  Kropfes  die  übrigen  Erscheinungen 
einzeln  oder  in  ihrer  Gesammtheit  bald  stärker,  bald  schwächer  ausgeprägt, 
sind.  Namentlich  gilt  dieses  von  dem  Herzleiden,  welches  öfters  eine 
geraume  Zeit  völlig  zurücktritt,  so  dass  es  den  Anschein  gewinnt,  als  wäre 
dem  Uebel  wirksam  gesteuert,  bis  es  auf  einmal  mit  der  früheren  oder 
selbst  verstärkten  Heftigkeit  wieder  hervortritt.  Aber  auch  die  Retraction 
und  Unbeweglichkeit  der  Lider  kann  verschwinden ,  obgleich  der  Exoph- 
thalmus fortbesteht. 

Ausgänge.  Die  Krankheit  kann  völlig  heilen  oder  wenigstens  sich  so 
weit  bessern,  dass  nur  von  dem  Kröpfe  und  dem  Exophthalmus,  oder  von 
einem  der  beiden,  merkliche  Spuren  zurückbleiben.  Es  setzt  dieses  voraus, 
dass  die  krankhafte  Herzthätigkeit  dauernd  beschwichtiget  wird.  Wo  das 
Herzleiden  fortbesteht,  darf  man  erfahrungsmässig  auf  einen  so  günstigen 
Ausgang  niemals  rechnen,  selbt  wenn  die  übrigen  Erscheinungen  völlig 
zurückgingen,  da  dann  in  der  Regel  sehr  bald  wieder  Recidiven  eintreten. 
Am  wenigsten  darf  man  auf  Besserungen  in  dem  Verdauungsvermögen  und 
in  der  Blutbildung  bauen,  so  wie  umgekehrt  selbst  gänzliches  Darnieder- 
liegen dieser  Functionen  nicht  nothwendig  eine  schlechte  Prognose  invol- 
virt,  insoferne  wiederholt  rasche  Erholung  des  Kranken  beobachtet  worden 
ist,  wenn  unter  solchen  Verhältnissen  das  Herz  zur  Ruhe  gelangte.  Immerhin 
ist  schnelle  Ueberhandnahme  der  Anämie  und  der  Verdauungsstörung  vom 
Uebel,  da  der  Kranke  am  Ende  wohl  auch  an  völliger  Erschöpfung  stirbt 
(Graefe).  Im  Allgemeinen  ist  der  Tod  kein  häufiger  Ausgang  (7:56). 
Aber  auch  dauernde  Heilungen  sind  nicht  gewöhnlich  (20:56).  Ausgiebige 
und  anhaltende  Besserungen  werden  bei  richtiger  Therapie  am  öftesten 
(30:56)   erzielt  (Dusch). 

IVIitunter  wird  die  Cornea  bei  höhergradigem  Exophthalmus  durch 
partielle  Verschwärung  zerstört  und  ausnahmsweise  geht  dann  der  Bulbus 
durch  Phthise  zu    Grunde. 

Behandlung.  Der  anerkannt  angioneurotische  Charakter  der  Krankheit 
hat    in   letzter  Zeit    zu  Versuchen    mit    Galvanisation    des  cervicaleri   Grenz- 


590  Morbus  Basedowi;  Behandlung;  Quellen. 

Stranges  angeregt  und,  soweit  die  bisherigen  Erfahrungen  reichen,  scheint 
es,  als  ob  darin  wirklich  ein  hilligen  Anforderungen  entsprechendes  Mittel 
gefanden  worden  wäre.  In  der  That  geht  bei  zweckentsprechendem  Ver- 
fahren häufig  die  Zahl  und  Stärke  des  Pulses  zurück,  das  Herz  beruhigt 
sich  und  die  mit  seinen  stürmischen  Bewegungen  verknüpften  Athmungs- 
beschwerden  etc.  weichen ;  auch  der  Ernährungszustand  des  Individuums 
wird  ein  günstigerer.  Ueberdies  pflegen  der  Kropf  und  der  Exophthalmus 
sich  in  frischen  Fällen  rasch  zu  vermindern  und  die  mannigfaltigen 
Innervationsstörungen  der  Lider  etc.  binnen  Kurzem  vollständig  beseitigt 
zu  werden.  Günstige  Lebensverhältnisse ,  Landaufenthalt ,  gemüthliche 
Ruhe  scheinen  dauernde  Heilungen  sehr  zu  fordern. 

Einzelne  loben  »ystemafische  Wasserkuren,  welche  bei  stark  hervorstechendem 
Herzleiden  mit  dem  Gebrauche  der  Digitalis  zu  verbinden  sind  (Trousseau).  Die 
tonischen  Mittel  und  das  Eisen,  welche  man  den  Verdauungsstörungen  und  der 
mangelhaften  Blutbildung  entgegenstellte,  haben  sich  nicht  bewährt.  Sie  werden 
besonders  schlecht  von  Männern  vertragen  und  es  scheint,  dass  diesen  Ergotin  und 
Chinin  besser  bekomme  (Graefe).  Auch  liess  das  Jod  im  Stiche ,  welches  mau 
behufs  einer  Eesorptionsbethätigung  im  Bereiche  der  Schilddilise  und  der  Orbita 
vielfach  versucht  hat.  In  einzelnen  Fällen  soll  es  sogar  schwere  Zufälle  bedingt 
haben.  Dafür  soll  örtliche  Wärnieentziehung  der  Enticickelung  des  Kropfes  und  des 
Exophthalmus  merkbar  gesteuert  haben  (Trousseau).  Um  den  theilweise  entblössten 
Bulbus  zu  schützen,  wurde  die  Tarsoraphie  empfohlen  (Graefe).  Doch  verfehlt  die- 
selbe gewöhnlich  ihren  Zweck.  Man  schlägt  daher  neuerlich  statt  ihrer  die  Tenotoviie 
der  Sehne  des  Äufhehemuskels  vor,  insoferne  dadurch  eine  leichte  Ptosis  des  oberen 
Lides  mit  Sicherheit  erzielt  wird  (Graefe). 

QneUen:  Basedow,  Caspers  Wochenschrift  1840.  —  Hellft,  ibid.  1849.  Nr.  48, 
49.  —  Prael,  A.  f.  O.  ni.  2.  S.  199,  205.  —  Graefe,  ibid.  S.  278.  280,  281,  285, 
287,  288,  290,  293,  294,  296.  299,  305;  Med.  Neuigkeiten.  1864.  Nr.  15;  Deutsche 
Klinik.  1864.  Nr.  16;  Centralbl.  1867.  S.  650;  Congi-es  ophth.  1868.  S.  58.  — 
Remak,  Bezold,  ibid.  —  Mackenzie,  Traite  d.  mal.  d.  yeux.  Traduit  p.  Warlomont 
et  Testelin  I.  Paris.  1856.  S.  458;  UI.  S.  146,  149.  —  Wecker,  Etudes  ophth.  I. 
Paris  1864.  S.  704.  —  Trousseau,  Archiv,  gen.  de  med.  XX.  S.  244—248,  488.  — 
Gnyon  u.  A.  ibid.  S.  119,  359,  362,  365.  —  Aran,  nach  Trousseau.  —  Reith,  kl. 
Mntbl.  1866.  S.  138,  140.  —  Recklinghausen,  ibid.  S.  141.  —  Gros,  ibid.  1865. 
S.  298.  —  Gi-os  und  Charcot,  Gaz.  med.  de  Paris.  1856.  Nr.  38,  39;  1857.  Nr.  14. 
—  Geigel,  Centralbl.  d.  m.  Wiss.  1866.  Nr.  48;  Würzbg.  med.  Zeitschrift.  VII. 
S.  84  u.  f.  —  Friedreich,  Lebrb.  d.  Herzkrankheiten.  Erlangen.  1867.  S.  317.  — 
Eulenburg,  Landois,  Wien.  med.  Wochenschrift.  1867.  Nr.  91.  —  Eulenburg,  Gutt- 
mann,  Arch.  f.  Psychiatrie.  I.  S.  420,  447  u.  f.  —  Paul,  ibid.  S.  452.  —  Aran, 
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Recklinghausen.  Deutsche  Klinik.  1863.  S.  286.  —  Heymann,  Ophth.  Leipzig.  1868. 
S.  9.  —  Stellwag,  Wien.  med.  Jahrbücher.  1869.  S.  25,  33,  44  u.  f.  —  Dusch, 
Lehrb.  d.  Herzkhtn.  Leipzig.  1868.  S.  349,  353  u.  f.  —  Baeumler,  Deutsch.  Arch. 
IV.  S.  595.  —  Yirchow,  Die  krankhaften  Geschwülste.  III.  S.  73  u.  f.  —  Cheadle, 
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Ceutralbl.  1868.  S.  124.  —  Mooren,  Ophth.  Beiträge.  S.  32. 


2.  Der  Angenliölilenal3scess. 

Krankheitsbild.  Charakteristisch  ist  ein  unter  Entzündungserscheinungen 
zu  Stande  kommender,  mit  Schwellung  der  Bindehaut  und  Lider  gepaarter 
Exophthalmus. 

Die  entzündlichen  Erscheinungen  sind  einigermassen  wandelbar  je  nach 
der  In-  und  Extensität  des  Processes.   Gewöhnlich  geht  der  letztere  unter 


OrMtalaIjscess ;  Krankheitsbikl ;  Ursachen.  591 

lebhaftem,   oft  sogar  synochalem  Fieber  einher.     Die  Schmerzen  pflegen  bei 

einfacher    Entzündung    des  orbitalen    Bindegewebes,    also  bei   Abhandensein 

von  Periostitis,   nielir  dumpf  zu  sein  und    überhaupt  erst  mit    der  Hervor- 

treibung  des  Augapfels  höhere  Grade  zu  erreichen.    Durch  Druck  auf  den 

Bulbus,  nicht  aber  auf  den  knöchernen  Orbitalrand,  werden  sie  gesteigert 

(Graefe).     Alsbald   macht  sich  auch  die  Theil nähme   der  Bindekaut  und  der 

Lider    geltend,     dieselben    schwellen    meistens    sehr    beträchtlich    auf    und 

erstere  bedeckt  nicht  selten  in  Gestalt  mächtiger  Wülste  die  Cornea  grossen 

Theiles  oder  gänzlich. 

Bei  tieferem  Sitze  des  orbitalen  Entzündungsherdes  und  geringerer  Intensität 
des  Processes  trägt  diese  Geschwulst  der  Bindehaut  und  Lider  häufig  den  Cha- 
rakter des  reinen  oder  entzündlichen  Oedemes.  Bei  hochgradiger  Intensität  des  Pro- 
cesses oder  mehr  oherß'dchlicher  Lage  des  Herdes  hat  sie  indessen  häufig  ein 
chemotisches  oder  rothlauf  artiges  Ansehen,  ist  lieiss,  elastisch  gespannt  und  tief 
geröthet.  In  letzterem  Falle  stockt  dann  meistens  die  Abso7iderung  der  Conjunctiva 
und  diese  erscheint  dort,  wo  sie  der  Luft  ausgesetzt  war,  vertrocknet.  Bei  mehr 
ödematösem  Charakter  der  Schwellung  ist  hingegen  die  Secretion  meistens  verstärkt 
und  kann  selbst  einen  blennoii'hoischen  Zustand  vorspiegeln. 

Der  Exophthalmus  steht  meistens  im  Verhältnisse  zur  Ausdehnung  des 
Entzündungsherdes.  Bei  tiefem  Sitze  des  Abscesses  pHegt  die  Hervortreibung 
des  Augapfels  eine  mehr  gleichmässige  zu  sein,  während  bei  Periostitis  der 
Bulbus  gewöhnlich  vorwaltend  nach  einer  Seite  hin  gedrängt  wird.  Anfäng- 
lich ist  der  Exophthalmus  oft  ziemlich  unbedeutend  und  nur  durch  einen 
genauen  Vergleich  des  Standes  der  beiden  Hornhautcentra  zu  ermitteln. 
Späterhin  aber  tritt  der  Augapfel  gewöhnlich  so  weit  aus  der  Orbita  her- 
aus, dass  die  Lider  nicht  mehr  gescMossen  werden  können  und  die  von 
mächtigen  Bindehautwülsteu  ausgefüllte  Lidspalte  weit  klafft.  Die  Bewegungen 
des  Augapfels  sind  dabei  immer  wesentlich  behindert,  oft  überaus  schmerz- 
haft und  häufig  sogar  völlig  aufgehoben. 

Die  Cornea  erscheint  anfänglich  vollkommen  rein,  stark  glänzend ;  die 
Pupille  meistens  zusammengezogen,  staiT  und  glänzend  schwarz.  Bei  der 
ophthalmoskopischen  Untersuchung  findet  man  öfters  die  Centralvenen  merk- 
lich erweitert. 

Selten  fehlen  subjective  Gesichtserscheinungeii,  immer  ist  das  Gesichts- 
feld stark  umnebelt,  oft  eingeengt,  ja  in  vielen  Fällen  ist  das  Licht- 
empfindungsvermögen sogar  völlig  vernichtet. 

Ursachen.  Die  Krankheit  entwickelt  sich  selten  ohne  nachweisbare 
genügende  Ursache.  Manchmal  wird  rascher  Temperaturwechsel  als  nächste 
Veranlassung  angeklagt.  Das  gewichtigste  unter  den  ätiologischen  Momenten 
sind  jedoch  Verletzungen,  besonders  Erschütterungen,  eindringende  und  durch- 
dringende, vornehmlich  aber  verunreinigte  Wunden  (Mackenzie ,  Zander, 
Geissler,   Hulke,   u.   A.) 

Nicht  minder  sind  bisweilen  der  Gebrauch  des  Olüheisens  oder  starker 
Aetzmittel  behufs  der  Verödung  des  Thränensackes,  so  wie  Einspritzungen  reizender 
Solutionen  in  den  Thräneuschlauch  und  Austritt  derselben  in  das  umgebende 
lockere  Gefüge  durch  einen  Riss  der  Wandung  Veranlassung  von  höchst  verderb- 
lichen Orbitalabscessen  geworden  (Graefe). 

Häufiger  ist  der  Augenhöhlenabscess  ein  secundäres,  durch  Fort- 
pflanzung der  Entzündung  von  den  Nachbarorganen  her  begründetes  Leiden. 
Es  entwickelt  sich  derselbe  nicht  gar  selten  im  Verlaufe  eitriger  Meningitis, 
indem  die  Entzündung  durch  die  beiden  Augenhöhleuspalten  auf  das  lockere 


o92  Orbitalabscess  ;  TJrsaclien ;  Verlauf. 

Orbitalgewebe  übergeht,  oder  indem  der  Process  durch  Thromhosirung  der 
Blutleiter  auf  die  Venen  der  Orbita  fortgepflanzt  wird  (Knapp).  Er  ist 
dann  oft  beiderseitig  und  besteht  aus  einer  grossen  Menge  kleiner  hämor- 
rhagischer Eiterherde,  welche  allenthalben  und  besonders  in  der  Tiefe  das 
von  Oedem  mächtig  aufgeschwollene  Fettpolster  und  die  Muskeln  durch- 
setzen. Ton  aussen  her  macht  der  Process  dann  ganz  den  Eindruck  eines 
Gesichtsrothlaufes  und  scheint  auch  öfters  damit  verwechselt  worden  zu 
sein  (Leyden).  Uebrigens  ist  nicht  zu  läugnen,  dass  das  Erysipel  des 
Gesichtes  und  der  behaarten  Kopfhaut  öfters  wirkhch  in  die  Augenhöhle  vor- 
dringe und  hier  ganz  ähnliche  Eiterherde  setze  (Mackenzie,  Biermann).  Das- 
selbe gilt  von  der  Phlebitis,  welche  sich  aus  der  mittelbaren  oder  unmittel- 
baren Nachbarschaft  auf  die  A'enen  der  Orbita  fortpflanzen  und  so  die 
Quelle  von  suppurativen  Entzündungen  in  der  Augenhöhle  werden  kann 
{Mackenzie,  Oessinger,  Knapp).  Ausserdem  verläuft  kaum  eine  suppurative 
PanOphthalmitis,  ohne  dass  es  zu  ausgebreiteten  Infiltrationen  des  Fett- 
polsters käme  und  manchmal  ist  dann  theilweise  Verschwärung  desselben 
der  Ausgang.  Bei  eitriger  Periostitis  der  Augenhöhlenwandungen  sind  Absce- 
dirungen  der  vorliegenden  Weichtheile  eine  fast  ausnahmslose  Regel.  End- 
lich bietet  das  Orbitalbindegewebe  erfahrungsmässig  einen  sehr  günstigen 
Ort  für  metastatische  Ablagerungen  und  es  sind  solche  Augenhöhlenabscesse 
im  Verlaufe  der  Pyämie,  puerperaler  Processe,  anomal  verlaufender  Exan- 
theme u.  s.  w.  gar  nicht  selten  Gegenstand  der  Beobachtung.  In  einzelnen 
Fällen  kann  der  Augenhöhlenabscess  die  Bedeutung  eines  tuberculösen 
Localherdes  haben  (Fischer). 

Der  Verlauf  ist  öfters  ein  iwahrhaft  stürmischer,  in  der  Regel  aber 
wenigstens  insoferue  ein  acuter,  als  der  Process  innerhalb  8 — 14  Tagen 
seinen  Höhenpunkt  überschreitet  und  von  da  an  unter  allmähger  Ab- 
nahme der  entzündlichen  Erscheinungen  seinen  Endausgängen  sich  zuwendet. 
Der  völlige  Ausgleich  der  durch  den  Process  gesetzten  Schäden  nimmt 
freilich  nicht  gar  selten  Wochen  und  Monate,  wenn  nicht  gar  Jahre,  in 
Anspruch. 

Manchmal  hat  die  Krankheit  einen  mehr  subacuten  Verlauf  oder  neigt 

gar    von    vorneherein  zur   Chronicität.     Der  Process   tritt  dann  gewöhnlich 

unter  minder  auffälligen  entzündlichen  Erscheinungen  hervor,  oder  es  nehmen 

dieselben    bald    ab,    wenn    sie    anfänglich    eine    grössere    Intensität  gezeigt 

haben.  Der  Bulbus  wird  inzwischen  langsam  bis  zu  einem  gewissen  Grade 

hervorgedrängt,    während    die  Bindehaut  sammt  den  Lidern  von  weichem 

Oedeme   schwellen.     Es   vergehen    so  einige  Wochen,     ohne    dass  sich    der 

Zustand,    unerhebliche    Exacerbationen    und    Remissionen   der  Entzündung 

abgerechnet,    wesentlich    ändert,    bis    endlich  Kunsthilfe  einschreitet    oder 

anderweitig  ein  bestimmter  Ausgang  angebahnt  wird. 

In  höchst  seltenen  Ausuahmsfällen  wurden  auch  sogenannte  kalte  Ahscesse 
beobachtet.  Es  hatte  sich  während  Monaten  und  Jahren  ganz  allmälig  Eiter  inner- 
halb der  Augenhöhle  angesammelt  und  den  Augapfel  um  ein  Geringes  nach  vorne 
gedrängt,  ohne  dass  irgend  welche  auffällige  Erscheinungen  das  Vorhandensein 
einer  Entzündung  angedeutet  hätten.  Endlich  aber  nahm  der  Process  einen  leb- 
haften Aufschwung  und  führte  unter  den  gewöhnlichen  Symptomen  eines  acuten 
Orbitalabscesses  zu  dessen  Folgezuständen  (Mackenzie,   Carron  du   Villards). 

Ausgänge.  1 .  Es  kann  der  Process  auf  dem  Wege  der  Zertheilung 
zu  seinem  Ausgleiche  gelangen.      Verhältnissmässig  am  leichtesten  geschieht 


Ausgänge;  Durclibruch;  Mitleidenschaft  des  Bulbus  und  Sehnerven.  593 

dieses,  ehe  sicli  noch  eigentliche  Ahscesse  gebildet  haben,  also  in  den  Anfangn- 
stadien  der  Entzündung,  wenn  diese  nicht  mit  allzugrosser  Intensität  auf- 
getreten ist. 

2.  Hat  sich  einmal  Eiter  in  grösseren  Mengen  entwickelt,  so  kömmt  es 
in  der  Regel  zum  Durchbruche.  Während  dieser  sich  vorbereitet,  lässt 
gewöhnlich  das  Fieber  nach,  die  etwa  vorhandenen  Schmerzen  werden 
minder  lästig,  die  Geschwulst  wird  weicher  und  endlich  zeigt  sich  an 
einem  Punkte  Fluctuation.  Wird  auch  jetzt  noch  nicht  zur  künstlichen 
Entleerung  geschritten,  so  erscheint  hinter  der  Bindehaut  oder  an  der 
äusseren  Lidhaut,  mitunter  gar  in  grösserer  Entfernung  vom  Orbitalrande, 
ein  Eiterpunkt,  welcher  allmälig  sich  vergrössert  und  zuletzt  durchbricht. 
Es  sinkt  dann  der  Bulbus  nach  Massgabe  der  mehr  oder  minder  voll- 
ständigen Entleerung  des  Abscesses  zurück.  Die  normale  Lage  und  Be- 
weglichkeit erreicht  er  jedoch  erst  nach  Verlauf  einiger  Zeit,  da  die 
Eiterung  meistens  eine  geraume  Weile  fortdauert  und  auch  die  Induration 
der  Höhlenwände  sowie  das  Oedem  ihrer  weiteren  Umgebungen  nur  ganz 
allmälig  zurückgehen.  Die  Durchbruchsöffnung  schliesst  sich  am  Ende  durch 
Granulationen. 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  öffnet  sich  der  Abscess  an  einer  einzigen 
Stelle.  Mitunter  erfolgt  jedoch  der  Durchbruch  an  mehreren  Punkten 
gleichzeitig  oder  in  kurzen  Zwischenpausen.  Bisweilen  bildet  sich  sogar 
eine  grosse  Anzahl  von  Hohlgängen,  welche  in  dem  Orbitalgefüge  nach  den 
verschiedensten  Richtungen  hin  streichen  und  weit  entfernt  von  einander 
sich  öffnen. 

Manchmal  geschieht  es,  dass  der  Hohlgang  sich  nahe  seiner  äusseren 
Oeffnung  durch  Granulationen  schliesst,  ehe  die  Eiterung  an  den  Wänden 
der  eigentlichen  Abscesshöhle  zum  Abschlüsse  gekommen  ist.  Es  sammelt 
sich  dann  wieder  der  Eiter  und  das  Resultat  ist  eine  Wiederholung  des 
ganzen  Processes. 

3.  Der  Augapfel  wird  häufig  arg  beschädigt.  Allerdings  verträgt  er 
mitunter  ausserordentlich  viel.  Es  sind  Beispiele  bekannt,  nach  welchen 
er  weit  aus  der  Lidspalte  hervorgetrieben  werden  und  wochenlang  in  dieser 
Lage  verharren  kann,  ohne  dass  er  die  Fähigkeit  verliert,  nach  Rückgang 
der  entzündlichen  Erscheinungen  seine  Functionen  im  vollen  Umfange  wieder 
aufzunehmen.  Doch  ist  dieses  lange  nicht  die  Regel.  Nicht  gar  selten  pflanzt 
sich  der  Process  auf  das  ISTeurilem  des  Sehnerven  fort,  es  entwickelt  sich 
eine  Neuritis  oder  Neurodictyitis  mit  mehr  minder  massenhafter  Exsudation, 
welche  schliesslich  den  grauen  Schwund  zurücklässt.  Oder  es  verfällt  der 
Opticus  in  Folge  des  von  aussen  her  auf  ihn  wirkenden  Druckes  und 
der  Circulationsstörung  der  grauen  Atrophie,  der  Augapfel  erblindet,  und 
zwar  wird  dieser  Ausgang  nicht  blos  bei  in-  und  extensiv  sehr  ausgebil- 
deten, sondern  auch  in  Fällen  beobachtet,  in  welchen  die  Hervortreibung 
des  Bulbus  verhältnissmässig  gering  ist,  ja  er  ist  nach  einfachen  Erysipelen 
der  Augengegend  gesehen  worden  (Graefe).  Nicht  minder  kommen  Netz- 
hautablösungen (S.  223)  im  Gefolge  von  Orbitalabscessen  vor.  Oefters 
nimmt  der  Augapfel  unter  der  Form  der  Iridochorioiditis  Theil  und 
atrophirt  (Tetzer),  oder  er  geht  unter  den  Erscheinungen  der  Panophthal- 
mitis  suppurativa  zu  Grunde.  Mitunter  stii-bt  bei  grosser  Intensität  des  Pro- 
cesses und  bei  hochgradigem  Exophthalmus  die    Cornea  brandig  ab,  oder  es 

st  eil  wag,  Augenheilkunde.  38 


594  Orbitalabscess ;  Ansgänge:  Behandlung;  Entfernung  fremder  Körper. 

entvsdckeln    sich    in    ihr    Abscesse    oder    Geschwüre,  die    zum  Durchbruche 
führen  und  am  Ende  Phthisis  des  Bulbus  bedingen. 

Abgesehen  hiervon  wird  aber  auch  die  Beiveglichkeit  des  in  seine  nor- 
male Lage  zurückgekehrten  Augapfels  nicht  immer  Tollständig  hergestellt, 
es  bleibt  eine  mehr  oder  minder  auffällige  Luscitas  zurück.  Es  leidet 
nämUch  nicht  gar  selten,  namentlich  bei  ausgebreiteteren  Abscessen,  ein 
oder  der  andere  Muskel  oder  Nerve,  sei  es  direct  durch  Entzündung  iind 
partielle  Vereiterung,  oder  indirect  in  Folge  der  Bildung  dichter  derber 
und  weit  verzweigter  Narben  im  Augenhöhlenbindegewebe.  Auch  in  Folge 
narbiger  Contractionen  der  Conjunctiva  und  der  Lider  wird  gar  nicht  selten 
die  Beweglichkeit  des  Bulbus  sehr  vermindert  oder  dieser  gar  in  einer 
falschen  Stellung  fixirt. 

4.  Von  der  allergrössten  Wichtigkeit  ist  in  prognostischer  Beziehung 
der  Umstand,  dass  nicht  gar  selten  die  knöchernen  Wandungen  der  Oi'bita 
unter  der  Form  einer  Periostitis  oder  Ostitis  in  Mitleidenschaft  gezogen 
werden.  Die  weitere  Folge  ist  dann  sehr  gewöhnlich  Caries  oder  Nekrosis. 
Durch  eine  solchermassen  entstandene  Lücke  kann  sich  ausnahmsweise  der 
Orbitalabscess  in  die  ■  Naseii-  und  Highmorshöhle,  gegen  die  Flügelgaumen- 
grube hin,   oder  wohl  gar  in  die  Schädelhöhle  entleeren. 

5.  Im  letzteren  Falle  ist  meistens,  aber  nicht  immer,  Tod  der  Aus- 
gang. Der  Tod  kann  übrigens  auch  durch  directe  Fortpflanzung  der  Ent- 
zündung auf  das  Gehirn  und  seine  Häute  bedingt  werden.  Bisweilen 
stirbt  der  Kranke  schon  sehr  frühe,  ehe  es  noch  zu  massenhaften  Ansamm- 
lungen von  Eiter  in  der  Orbita  gekommen  ist.  Der  lethale  Ausgang  ist 
am  meisten  zu  fürchten,  wenn  der  Process  unter  sehr  stürmischen  Symptomen 
auftritt,  oder  wenn  er  auf  einer  Phlebitis  fusst,  da  sich  diese  ausnehmend 
leicht,  sowohl  durch  Contiguität  als  auf  dem  Wege  der  Thrombose,  von  der 
Orbita  auf  das  Gehirn  verbreiten  kann.  Lndem  nicht  gar  selten  die 
Phlebitis  unter  den  äusseren  Erscheinungen  des  Erysipels  verläuft,  ist  es 
dringend  zu  rathen,  bei  rothlaufartigen  Entzündungen  in  der  Augengegend 
den  Zustand  der  Venen  auf  das  Genaueste  zu  prüfen,  um  prognostischen 
Irrthümern  auszuweichen. 

Die  Behandlung  ist  im  Grunde  genommen  dieselbe,  wie  bei  Abscessen 
in  anderen  Körpertiicilen.  Doch  treten  die  Indicationen  vermöge  der  hohen 
Gefahi",  welche  der  Process  nach  verscliiedenen  Kichtungen  hin  mit  sich 
bringt,  viel  dringender  und  bestimmter  heraus.  Die  erste  Aufgabe  ist  es, 
der  übermässigen  Gewebswucherung  entgegenzutreten,  sfe  in  In-  und  Extensität 
möglichst  zu  beschränken  oder  gar  zu  unterdrücken.  Ist  einmal  Eiter  in 
grösserer  Menge  als  vorhanden  zu  vermuthen,  so  muss  so  rasch  als  möglich 
zur  Entleerung  des  Abscesses  geschritten  und  weiterhin  für  einen  leichten 
Ausflugs  des  purulenten  Secretes  sowie  für  einen  möglichst  günstigen  Ver- 
heilungsmodus  gesorgt  werden. 

1.  Wenn  ein  Trauma  mit  Wahrscheinlichkeit  oder  Gewissheit  als 
die  Veranlassung  des  Leidens  anzunehmen  ist,  so  muss  die  grösste  Auf- 
merksamkeit auf  den  Umstand  gelenkt  werden,  dass  möglicher  Weise  ein 
fremder  Körper  in  die  Orbita  gedrungen  und  dort  stecken  gebheben  ist. 
Man  untersuche  namentlich  die  Bindehaut  auf  das  Genaueste,  um  etwaige 
Wunden  oder  Narben  zu  entdecken.  Zu  wiederholten  Malen  hat  man 
hinter    ganz    unscheinbaren    Wunden    oder    Narben    Schrottkörner,  Metall- 


Antiplilogosis ;  Eröffnung  dor  Eitorliöhlo.  595 

Splitter,  selbst  abgobrochone  Pfcifcnspitzon  u.  dgl.  gefunden.  Diese  waren 
in  das  Orbitalbindogewebc  eingedrungen  und  bisweilen  schon  incapsulirt 
(Mackenzie,  Zander,  Geissler,  Graefe).  Weiset  die  Sonde  einen  solchen 
Körper  nach,  so  muss  darauf  eingeschnitten  und  die  Kxtraction  bewerk- 
stelligt werden. 

Entwickelt  sich  der  Orbitalabscess  in  secundärer  Form,  so  muss  neben- 
bei das  primäre  Leiden  naeh  allen  Regeln  der  Kunst  und  je;  nach  den 
gegebenen  Verhältnissen  auch  ein  etwa  vorhandenes  Allgemeinleiden  be- 
handelt werden. 

2.  Die  Indicatio  viorhi  zielt  in  ei'ster  Linie  auf  ein  dor  jeweiligen 
Intensität  des  Processes  entsprechendes  antiphlogistisches  Verfahren.  Grösste 
körperliche  und  geistige  Ruhe,  in  der  Regel  Bettlage,  schmale  und  leicht 
Terdauliclie  Kost  u.   s.   w.   sind  unter  allen    Umständen  geboten. 

Bei  grosser  Intensität  der  Entzündung  und  lebhaftem  Fieber  wird 
man  oft  gezwungen  sein,  innerlich  antiphlogistische  Mittel,  kühlende  Getränke, 
bei  heftigem  Gefässsturme  die  Digitalis,  das  Aconit  und  ähnliche  Mittel  zu 
verabfolgen.  Oertlich  sind  Eisüberschläge  energisch  und  in  ununterbrochener 
Folge  zu  appliciren,  auch  durch  eine  wiederholte  Anlegung  einer  grösseren 
Zahl  von  Blutegeln  zu  unterstützen.  Ist  die  Spannung  der  Theile  eine 
übermässige  und  sind  auch  die  Schmerzen  höchstgradig,  droht  der  Bulbus 
in  Folge  dessen  vielleicht  gar  schon  unter  der  Form  einer  Payiophthalmitis 
ergriffen  zu  werden,  oder  durch  Yerschwärung,  oder  durch  Brand  der 
Hornhaut  zu  Grunde  zu  gehen  :  so  zögere  man  keinen  Augenblick  länger  mit 
dem  Einstiche,  um  wenigstens  den  Druck,  unter  welchem  die  Theile  stehen, 
zu  vermindern. 

Es  wird  zu  diesem  Ende  ein  spitzes  Bistouri  auf  1  Zoll  Tiefe  zwischen 
dem  Bulbus  und  der  Orbitalwand  an  jener  Seite  eingesenkt,  an  welcher 
der  erstere  durch  die  Geschwulst  am  weitesten  von  der  Knochenwand  weg- 
gedrängt erscheint.  Bei  dem  Einstiche  muss  man  sich  sehr  gut  die 
Streichungsverhältnisse  der  betreffenden  Wand  vergegenwärtigen,  an  der 
Innenseite  des  Augapfels  das  Messer  etwas  schief  nach  hinten  und  nach 
aussen  von  der  Medianlinie  des  Kopfes,  an  der  Aussenseite  aber  schief  nach 
innen  und  hinten  horizontal  vorschieben. 

Halten  sich  die  Entzündungssymptome  innerhalb  den  Grenzen  der  Massig- 
keit, so  genügen  neben  strengem  antiphlogistischen  Verhalten  des  Ki-anken 
zeitweilige  Eisüberschläge.  Bei  der  subacuten  Form,  wenn  keine  örtliche 
Temperaturerhöhung  nachweisbar  ist ,   empfiehlt  sich  der  Verband  mit  Watta. 

3.  Sobald    man    Grund  hat,   beträchtliche    Eiteransammlungen  innerhalb 

der   Orbita   als  gegeben  zu  vermuthen,   muss  unter  allen  V'erhältnissen  sogleich 

deren  Entleerung  durch   einen  in   der  vorerwähnten    Weise  auszuführenden 

operativen    Eingriff    angestrebt    werden,     widrigenfalls    man  Gefahr    läuft, 

dass   die    eitrige   Zerstörung  weiter  und  weiter  greift,    dass  sich  Hohlgänge 

nach  den  verschiedensten  Richtungen  bilden,   der  Knochen  und  Bulbus  in 

Mitleidenschaft    gezogen    werden    und    am    Ende    hässliche    tind    für    die 

Functionstüchtigkeit  des  Augapfels    höchst  verderbliche  Narben   zu  Stande 

kommen. 

Es  ist  besser  zu  früh,  als  zu  spät  den  Einstich  zu  machen.  Wartet  man,  bis 
sich  an  einer  Stelle  Fluctiiafion  oder  gar  schon  ein  Eiterpunkt  bemerklich  macht, 
so  wird  man  liäulig  die  eben  genannten  und  noch  sclilimmere  Folgen  zu  beklagen 
haben.     Operirt  mau  aber  zn  früh  \ind  entleert  sich  nur  sehr  wenig  oder  gar  kein 

38* 


596  Ortitalabscess  ;  Behandlung;  Entleerung  des  Eiters;  Drainage. 

Eiter,  so  ist  damit  durchaus  kein  Schaden  gestiftet,  im  Gegentheile  geschieht  es 
dann  sehr  gewöhnlich,  dass  alle  Erscheinungen  überraschend  schnell  an  Intensität 
abnehmen  und  der  Process  seinem  Ausgleiche  zugeht.  Es  ist  nämlich  der  Druck, 
unter  welchem  sich  das  wuchernde  Gefiige  befindet,  cm  und  für  sich  ein  die  Vege- 
tationsverhältnisse missliebig  beeinflussendes  Moment.  Dieser  Druck  wird  aber 
durch  die  theilweise  Trennung  der  Fascien,  sowie  durch  die  Blutung  und  auch 
durch  die  Entleerung  kleiner  Abscesshöhlen,  wesentlich  herabgesetzt.  Ausserdem 
öffnen  sich  kleine  Abscesse  leichter  in  den  nahen  Wundkanal,  als  sie  nach  vorne 
durchbrechen.  Falls  sich  daher  unmittelbar  nach  der  Eröffnung  nichts  entleeren 
würde,  darf  man  mit  einiger  Zuversicht  hoffen,  dass  dieses  nach  der  Hand  in 
kurzer  Zeit  geschehe  und  dass  so  der  Zweck  erreicht  w-erde.  Im  schlimmsten  Falle 
muss  man  nach  einiger  Zeit  den  Eingriff  wiederholen. 

Nach  dem  Einstiche  darf  man  den  Ausfluss  immer  nur  durch  einen 
sehr  massigen  Druck  fördern.  Einspritzungen  in  den  Wundkanal  behufs  der 
Ausschwemmung  eitriger  Producte  sind  zu  unterlassen,  da  sich  das  Wasser 
in  dem  lockeren  Gefüge  diffundiren  und  Veranlassung  zu  einer  beträcht- 
lichen Steigerung  der  Entzündung,  somit  auch  zur  Erweiterung  der  Grenzen 
der  Eiterung  geben  kann.  Wohl  thut  man,  alsbald  nach  der  Operation 
mittelst  vorsichtiger  Sondirung  nach  etwaigen  Erkrankungen  der  Knochen- 
wandungen zu  forschen.  Findet  sich  Caries  oder  Nekrosis,  so  ist  nach  den 
später  zu  erörternden  Regeln  vorzugehen.  Jedenfalls  muss  der  Wundkayial 
offen  erhalten  werden,  bis  sich  kein  Eiter  mehr  entleert  und  die  Abscess- 
höhle  Zeit  gefunden  hat,  sich  vom  Grunde  aus  durch  Granulationen  aus- 
zufüllen. Das  Mittel  hiex'zu  ist  die  Einführung  eines  dünnen  Kautschuk- 
röhrchens,  das  an  den  Seiten  kleine  Löcher  hat  und  so  dem  Eiter  einen 
beständigen  Ausfluss  ermöglicht.  Verstopft  sich  dessen  vordere  Mündung 
durch  vertrocknetes  Product,  so  muss  mit  einer  zarten  Sonde  die  Durch- 
gängigkeit wieder  hergestellt  werden. 

Wuchern  die  Granulationen  gar  zu  üppig  über  die  Oberfläche  der  Bindehaut 
hervor,  so  sind  selbe  durch  Betupfung  mit  Opiumtinctur  niederzuhalten  und  nöthi- 
genfalls  mit  der  Schere  abzutragen. 

Bleibt  nach  Verschluss  der  Oeönung  der  Bidhus  noch  etwas  vorgedrängt  und 
zögert  das  Oedem  der  Conjunctiva  mit  der  Rückbildung,  so  ist  ein  Druckverband 
anzulegen  und  durch  einige  Zeit  zu  tragen.  Er  führt  meistens  rasch  zu  dem  ge- 
wünschten Ziele. 

Zeigt  sich  im  Verlaufe  des  Leidens  der  Bulbus  überaus  hart  und 
gespannt,  oder  entwickelt  sich  ein  Hypopyon,  so  ist  die  Paracentesis  corneae 
dringend  geboten  und  nöthigenfalls  auch  zu  wiederholen.  Hat  sich  Eiter 
im  hinteren  Augenraume  angesammelt,  so  ist  es  um  den  Bulbus  geschehen, 
doch  versäume  man  nicht,  den  Eiter  so  bald  als  möglich  durch  einen  Ein- 
stich in  die  Sclera  zu  entleeren,  um  die  Qualen  des  Kranken  zu  mildern 
und  zu  retten,  was  zu  retten  ist. 

Versuche,  SteUungsanomalien  des  Augapfels  und  der  Lider,  wie  sie  öfters  durch 
die  Zusauimenziehung  der  Narben  bedingt  werden,  durch  Verbände  u.  s.  w.  zu 
verhindern,  bleiben  fast  immer  fruclitlos.  Wo  die  Verhältnisse  die  Möglichkeit 
eines  günstigen  Erfolges  zulassen,  darf  man  derartige  Versuche  natürlich  nicht 
vernaclilässijjen. 

Die  Kegeln  für  die  Behandlung,  welche  Affectionen  des  Gehirnes  erheischen, 
gibt  die  specielle  Therapie. 

Quellen:  Mackenzie,  Traite  d.  mal.  d.  yeux.  Traduit  p.  Warlomont  et  Testelin. 
I.  Paris.  1856.  S.  2  u.  f. ,  168,  171,  441,  443.  —  Himly,  Krankheiten  u.  Missbil- 
dungen. I.  Berlin.  1843.  S.  363.  —  Carron  du  Villards,  nach  Arlt,  Krankheiten 
des  Auges.  III.  Prag.  1856.  S.  425.  —  Fischer,  Lehrb.  der  ges.  Entzündungen. 
Prag.  1846.  S.  359.  —  Stellwag,  Ophth.  II.  1257,  1261,  1263,  1333.  Nota  261  u.  f. 
—  Leyden,  Virchow's  Archiv.  29.  Bd.  S.  199.   —   Graefe,  kl.  Monatbl.  1863.  S.  49, 


Periostitis  orbitae ;  Krankheitsbild ;  Verlauf;  Acute,  ciironische  Farm.  597 

50,  53,  56,  58,  59;  Virchow's  Jahresber.  1868.  II.  S.  510.  —  Berlin,  ibid.  1866. 
S.  77.  —  Tetzer,  Bydel,  Wien.  med.  Jahrb.  1866.  4.  S.  75,  77.  —  0.  Becker,  Wien, 
med.  Wochenschrift.  1866.  Nr.  65.  —  Küchler,  Deutsche  Klinik.  1866.  Nr.  21.  — 
Mooren,  Ophth.  Beitr.  S.  26.  —  Biermann,  klin.  Monatbl.  1869.  S.  71.  —  Knapp, 
A.  f.  O.  XIV.  2.  S.  234.  —  Hiilke,  Lancet.  1867.  II.  S.  395;  Schmidt's  Jahrb. 
140.  Bd.  S.  203.  —  Oettinger,  Schmidt's  Jahrl).  133.  Bd.  S.  328.  —  Zander, 
Geissler,  Verletzungen  d.  Auges.  1864.  S.  219,  291,  335,  399. 


3.   Periostitis  mit  Caries  und  Nekrosis  der  Orbital- 

knoclienwan  düngen. 

Krankheitsbild  und  Verlauf.  Im  ersten  Beginne  macht  die  Krank- 
heit meistens  ganz  den  Kindruck  eines  einfachen  Abscesses  und  lässt  sich 
davon  oft  platterdings  nicht  mit  Gewissheit  unterscheiden,  bis  sich  der 
Eiter  entleert  hat  und  durch  den  solchermassen  entstandenen  geschwürigen 
Hohlgang  eine  Sonde  eingeführt  werden  kann.  Doch  pflegen  gleich  von 
vorneherein  lebhaftere  Schmerzen  zu  bestehen,  welche  oft  weithin  ausstrahlen 
und  in  der  Regel  durch  Druck  sowie  durch  Klopfen  auf  den  knöchernen 
Orbitalrand  sehr  autfällig  gesteigert  werden.  Auch  nehmen  die  über- 
lagernden Theile  der  Bindehaut  und  der  äusseren  Haut  gewöhnlich  später 
Antheil  an  der  Entzündung.  Ausserdem  wird  bei  tieferem  Sitze  des 
Leidens,  und  wenn  nicht  gerade  die  Spitze  der  Pyramide  das  Herdcentrum 
abgibt,  der  Augapfel  nicht  so  gleichmässig  von  der  Geschwulst  umgeben 
und  nach  vorne  getrieben,  wie  beim  einfachen  Orbitalabscesse,  sondern 
je  nach  der  Oertlichkeit  der  erkrankten  Wandpartie  vorwiegend  bald 
nach  dieser  bald  nach  jener  Seite  gedrängt  und  in  seinen  Bewegungen 
gehemmt. 

Der  Process  entwickelt  sich  öfters  in  acuter  Form,  unter  lebhaftem 
Fieber  und  intensiven  Entzündungserscheinungen,  welche  sich  rasch  zu  steigern 
pflegen,  bis  die  Eiterung  im  Gange  ist  und  der  Durchbruch  sich  allmälig 
vorbereitet. 

In  anderen  Fällen  ist  die  Intensität  des  Processes  gleich  von  vorne- 
herein eine  massige.  Derselbe  entwickelt  sich  dann  weniger  rapid  oder 
neigt  gar  zum  subacuten  Verlaufe,  indem  Wochen  vergehen  können,  ehe  es 
zum  eitrigen  Durchbruche  kömmt.  Das  Fieber  fehlt  gänzlich  oder  macht 
sich  nur  zeitweise  bemerkbar.  Die  entzündliche  Geschwulst  der  Weich- 
theile  trägt  mehr  den  Charakter  des  einfachen  Oedems.  Die  Schmerzen 
jedoch  sind  meistens  ziemlich  bedeutend.  Sie  treten  mitunter,  z.  B.  bei 
syphilitischer  Grundlage,  nur  periodisch,  zu  gewissen  Tageszeiten  auf;  in 
der  Regel  aber  sind  sie  continuirlich  und  schwanken  zwischen  Exacerbationen 
und  Remissionen.  Sie  werden  gewöhnlich  als  spannend  oder  reissend 
bezeichnet.  Ist  der  knöcherne  Augenhöhlenrand  oder  dessen  nächste  Umgebung 
ergriffen,  so  kann  man  bisweilen  die  Avftreibung  des  Knochens  oder  die 
Abhebung  der  Beinhaut,  letztere  durch  das  Auftreten  eines  undeutlich 
fluctuirenden  härtlichen    Tumors,   nachweisen. 

Sehr  häufig  endlich  entwickelt  sich  das  Knochenleiden  überaus  lang- 
sam und  schleichend  unter  so  unmerklichen  Erscheinungen,  dass  es  lange  Zeit 
ganz  unbeachtet  bleiben  kann,  bis  endlich  nach  Wochen   oder  Monaten  der 


598  Periostitis  orbitae;  KraiikheitsbUd ;  Durchbiuch;  Ilohlgescliwür ;  Caries;  Nekrosis. 

Process  einen  Aufschwung  nimmt  und  der  Eiter  zum  Durchbruche  gelangt. 
Besonders  bei  tiefem  Sitze  des  Herdes  wird  die  Krankheit  oft  übersehen, 
da  objective  Symptome  fast  ganz  fehlen  und  höchstens  ein  von  Zeit  zu 
Zeit  exacerbirender  Schmerz,  welcher  übrigens  durch  Druck  auf  den  Orbital- 
rand nicht  immer  wesentlich  gesteigert  oder  hervorgerufen  wird,  auf  die 
vorhandene  Störung  hindeutet.  Bei  mehr  oberflächlicher  Lage  des  erkrankten 
Knocheustückes  ist  jedoch  die  merkliche  Verdickung  des  Knochens  oder  die 
blasige  Hervorbauchung  der  Beinhaut  auffällig  genug,  um  diagnostische 
Irrthümer  zu  verhindern. 

Der  Durchbruch  erfolgt  in  der  Eegel  nach  aussen  durch  die  Bindehaut 
oder  die  Lidhaut,  ersteres,  wenn  der  Eiterherd  hinter  der  Fascia  tarso- 
orbitalis  gelegen  ist,  letzteres,  wenn  der  Knochenra?id  den  Sitz  des  Leidens 
abgibt.  Meistens  bildet  sich  nur  Ein  Hohlgang ,  selten  bohrt  sich  der 
Eiter  an  mehreren  von  einander  entfernten  Stellen  eine  Bahn.  Ausnahms- 
weise kömmt  es  indessen  wohl  auch  vor,  dass  nach  partieller  Zerstörung 
der  Wandknochen  der  Abscess  sich  in  die  Nasen-,  Stirn-  oder  Highmors- 
höhle entleert,   oder  dass  er  in  die   Schädelhöhle  sich  ergiesst. 

Der  Eiter,  welcher  sich  durch  den  Hohlgang  entleert,  ist  gemeiniglich 
von  übler  Beschaffenheit,  schwärzt  silberne  Sonden  oder  zeigt  wohl  gar 
schon  durch  Missfärbigkeit  iind  Gestank  seine  fortgeschrittene  Zersetzung. 
Erst  wenn  das  Knochenübel  seiner  Heilung  zuschreitet,  wird  er  dicker  und 
gutartiger.  Dem  entsprechend  tragen  denn  auch  die  Wandungen  der  Eiter- 
höhle und  des  Hohlganges  ganz  den  Charakter  einer  wahren  Verschwärung, 
was  sich  besonders  an  der  Mündung  der  Cloake  offenbart,  welche  meistens 
in  grösserem  oder  geringerem  Umfange  von  geschwelltem  'aber  schlaffen, 
mit  einem  Stiche  ins  Blaue  oder  Braune  tief  gerötheten,  nicht  selten  granu- 
lirenden  Gefüge  umgeben  erscheint. 

Eine  durch  den  Hohlgang  eingeführte  Sonde  lässt  dann  leicht  die 
Rauhigkeit  des  betreffenden  Knochenstückes ,  so  wie  etwa  bereits  auf- 
geschossene Granulationen  durch  das  Gefühl  wahrnehmen.  Selten  nur  findet 
man  gleich  anfänglich  ein  Knochenstück  lose  und  verschiebbar,  da  die 
Abstossung  nekrosirter  Splitter  gewöhnlich  längere  Zeit  in  Ansprucli  nimmt. 
Ausnahmsweise  gelangt  man  mittelst  der  Sonde  durch  eine  von  rauhem 
Knochengefüge  umgrenzte  Oeffnung  in  eine  nachbarliche  Höhle;  doch 
geschieht  dieses  sehr  selten,  da  eben  die  Caries  und  Nekrose  meistens  nur 
oberflächlich  sind. 

Der  Hohlgang  schliesst  sich  dauernd  erst  dann ,  wenn  die  Caries 
wirklich  getilgt  oder  das  etwa  abgestoi'bene  Knochenstück  ausgestossen  ist. 
Erfolgt  die  Schliessung  früher,  sei  es  durch  üppig  wuchernde  Granulationen 
oder  durch  förmliche  Narbenbildung,  so  sammelt  sich  der  Eiter  in  der  Tiefe 
und  der  Process  wiederholt  sich,  wobei  gewöhnlich  die  eitrige  Zerstörung 
der  Weichtheile  sowohl  als  auch  des  Knochens  eine  bedauerliche  Aus- 
breitung gewinnt.  Sehr  häufig  vergehen  viele  Monate  und  selbst  Jalu'e, 
ehe  der  Process  seinen  Abschluss  findet. 

Ursachen.  Primär  entwickelt  sich  die  Krankheit  nicht  gar  selten  in 
Folge  von  Erschütterungen  und  Verletzungen  der  Augenhöhlenwände,  wobei 
wohl  zu  merken  ist,  dass  öfters  Wochen  und  Monate  vergehen,  ehe  sie 
sich  durch  äussere  Erscheinungen  zu  erkennen  gibt.  In  neuerer  Zeit  ist 
sie  öfters  auch  durch  unvorsichtiges    Gebahren    bei    Verödung  des    Thränen- 


Ursachen;  Dyscrasien;  Ausgänge;  Dislocatiou  der  Lider.  509 

sackes  hervorgerufen  worden.  Ausserdem  stellt  sie  manchmal  einen  Localherd 
der  allgemeinen  Syphilis  dar  und  A'erläufl  dann  gewöhnlieh  suhacut.  Auch 
die  Mercitrialdi/scrasie  und  Gicht  wvrdvn  als  pathogenetisclu^  Momente 
betrachtet.  Am  häufigsten  jedoch  liegt  der  Caries  und  Neki-ose  ScropJiulosis 
zu  Grunde,  daher  sich  dieselbe  denn  auch  in  eiiiem  überaus  grossen  pro- 
centarischen  Vei'hältuisso  bei  elenden,  schlecht  genährten  Kindern  findet. 
Sie  tritt  dann  oft  an  einer  grossen  Anzahl,  von  Knoclien  gleichzeitig  oder  in 
kurzen  Zwischenpausen  auf  und  zeichnet  sich  meistens  durch  ausserordent- 
liche Torpidität  und  überaus  schleppenden  Verlauf  aus.  Ihr  Licblingssitz 
ist  der  knöcherne  Orbitalrand  und  besonders  dessen  äussere  untere  Partie. 
Oft  fehlt  wohl  auch  jede  nachweisbare  Veranlassung,  der  Process  entwickelt 
sich  scheinbar  spontan  in  sonst  völlig  gesunden  Individuen. 

Secundär  kömmt  es  zur  Caries  und  Nekrose  manchmal  im  Ge- 
folge von  Orbitalabscessen ,  von  Dacryocystitio  phlegmonosa,  mitunter  auch 
nach  Erysipelas  faciei  und  durch  Embolie.  In  einzelnen  Fällen  werden  die 
Orbitalknochcnwandungen  durch  Fortpflanzung  des  Processes  von  den 
umgebenden  Thcilen  des  Gesichtsskeletes  in  den  Process  verwickelt.  Auch 
Geschwülste,  welche  sich  in  den  nachbarlichen  Höhlen  entwickeln  und  deren 
Wandungen  aus  einander  treiben ,  werden  nicht  selten  Veranlassung  der 
Caries  und  Nekrose.  Endlich  ist  noch  die  Meningitis  suppurativa  und  der 
Gehirnabscess  als  mögliches  pathogenetisches  Moment  zu  erwähnen.  In 
der  That  weisen  nicht  wenige  Erfahrungen  darauf  hin,  dass  primär  in  der 
Schädelhöhle  auftretende  Eiterherde  durch  cariöse  oder  nekrotische  Zer- 
störung der  Orbitaldecke  sich  einen  Weg  nach  aussen  bahnen  und  dadurch 
zur  Heilung  gelangen  können. 

Ausgänge.  In  der  Regel  endet  der  Process  mit  Heilung ,  nachdem 
der  cariöse  Knochentheil  seine  Eauhigkeit  verloren  und  eine  etwa  lebens- 
unfähig gewordene  nekrosirte  Partie  sich  abgestossen  hat,  was  meistens 
ganz  allmälig  in  kleinen,  oft  mikroskopischen  Splittern,  selten  in  grösseren 
Fragmenten  geschieht.  Es  entwickeln  sich  dann  au  der  früher  rauhen 
Stelle  oder  am  Rande  der  Knochenlücke  Gramdationen,  der  aus  dem  Hohl- 
gange abfliessende  Eiter  wird  sparsamer  und  gewinnt  ein  besseres  Aus- 
sehen, die  Cloake  selbst  wird  enger,  die  Umgebung  ihrer  äusseren  Mündung 
wird  blässer  und  zeigt  eine  hellere  Nuance  von  Roth ;  endlich  schliesst  sich 
die  Cloake,  um  nicht  mehr  aufziibrechen. 

Bisweilen  wird  auf  diese  Weise  die  Heilung  vollendet ,  ohne  dass 
erhebliche  Schäden  afts  dem  Processe  resultiren.  Viel  häufiger  indessen 
führt  die  Narbenbildung  zu  höchst  bedauerlichen  ständigen  Folgeübeln,  welche 
an  und  für  sich  die  Function  des  Auges  und  selbst  den  Bestand  des- 
selben in  Frage  stellen  können.  Es  hängt  dieses  natürlich  zum  grossen 
Theile  von  der  Oertlichkeit  des  Krankheitsherdes  und  von  dessen  Aus- 
breitung ab. 

Am  häufigsten  kömmt  die  Caries  und  Nekrose  am  Augenhöhlenrande 
vor  und  zerstört  kleinere  oder  grössere  Portionen  der  Randleiste,  was  sich 
zum  Theile  daraus  erklärt,  dass  diese  Partie  am  meisten  der  Verletzung 
ausgesetzt  ist  und  dass  bei  disponirten  Individuen,  in  specie  bei  scrophu- 
lösen  Kindern,  schon  anscheinend  ganz  geringfügige  Traumen  hinreichen, 
um  Entzündungen  üblen  Charakters  im  Knochen  hervorzui'ufen.  Das 
Resultat  ist  eine   tiefe  trichterförmige   narbige  Einziehung  der  äusseren  Haut, 


600        Periostitis  orbitae;  Ausgänge;  Ectropium;  Mitleidenschaft  des  Bulbus  und  Sehnerven. 

welche  in  den  meisten  Fällen  ein   mehr  weniger    hochgradiges     Ectropium 
mit  sich  bringt  (S.   538,   c.). 

Auch  im  vorderen  Drittheile  der  Orhitalwände  wird  der  Process  ziemlich 
oft  beobachtet.  Bei  scrophulösen  Kindern  ist  vornehmlich  die  Thränen- 
drüsengrube  ausgesetzt.  Die  Folge  davon  ist  meistens  narbige  Uinstülpung 
des  oberen  Lides  oder  ein  durch  Verkürzung  der  äusseren  Lidhaut  bedingter 
Lagophthalmus.  Es  verschwärt  unter  solchen  Verhältnissen  nämlich  ganz 
gewöhnlich  die  äussere  Decke  rings  um  die  Mündung  der  Cloake  und  zieht 
sich  weiterhin  unter  narbiger  Schrumpfung  sehr  bedeutend  zusammen, 
während  gleichzeitig  die  der  Knochenoberfläche  entsprossenen  Granulationen 
und  das  die  Abscesshöhle  sowie  die  Cloake  umgebende  wuchernde  Gefüge 
sich  in  dichtes  Narbengefüge  umwandeln,  welches  sich  mehr  und  mehr  con- 
trahirt  und  so  die  Lidnarbe  oft  fast  unmittelbar  an  die  Knochennarbe  her- 
anzieht. Ist  die  innere  Partie  der  vorderen  Waudportion  der  Sitz  des 
Leidens,  so  wird  meistens  der  Thränensack  in  den  Process  einbezogen  und 
geschädigt. 

Minder  häufig  kömmt  die  Caries  und  Nekrose  an  den  hinteren 
Portionen  der  Orbitalwände  vor.  Es  sind  dieses  die  schlimmsten  Fälle. 
Das  Knochenleiden  führt  dann  nämlich  immer  zu  sehr  ausgebreiteten  Ver- 
eiterungen des  Orbitalzellgewebes  und  deren  Folgen.  Mcht  selten  wird  der 
Sehnerve  ergriffen  und  durch  Entzündung  functionsuntüchtig  gemacht,  oder 
durch  die  Aufschwellung  des  Knochens  und  Hervortreibuug  der  Periorbita 
im  Foramen  opticum  zusammengedrückt  und  zur  Atrophie  gebracht  {Homer). 
tJeberdies  Hegt  unter  solchen  Verhältnissen  der  lethale  Ausgang  nicht  gar 
ferne.  Es  ist  nämlich  die  massenhafte  und  durch  lange  Zeit  anhaltende 
Eiteraussonderung  an  und  für  sich  genügend,  um  ohnehin  schon  sehr  her- 
abgekommene schwächliche  Lidividuen  völlig  zu  erschöpfen.  Sind  die 
Augenhöhlenwandungen  vielleicht  gar  nur  secundär,  z.  B.  durch  eine  weiter 
und  weiter  fortschreitende  Ozäna,  in  Mitleidenschaft  gezogen  worden,  oder 
hat  sich,  wie  dieses  besonders  bei  syphilitischem  Grundleiden  bisweilen 
geschieht,  eine  anfänglich  engumgrenzte  Caries  der  Orbitalwandungen 
allmälig  über  grosse  Theile  des  Gesichtsskeletes  ausgebreitet,  so  unterliegen 
am  Ende  wohl  auch  kräftige  Leute.  Abgesehen  hiervon  ist  die  Nähe  des 
Gehirnes  von  grösstem  Belange.  Bei  Caries  und  Nekrose  des  Orbitaldaches 
leiden  früher  oder  später  immer  die  Meninges  und  wohl  gar  das  Gehirn 
mit  und  verrathen  dieses  gewöhnlich  auch  durch  ganz  auffällige  Sj^mptome. 
In  manchen  Fällen  wird  hierdurch  schon  sehr  frühzeitig  der  Tod  herbei- 
geführt. Bisweilen  erfolgt  derselbe  urplötzlich  unter  apoplectischen  Er- 
scheinungen, indem  der  orbitale  Eiterherd  durch  die  cariöse  oder  nekro- 
tische Lücke  des  Augenhöhlendaches  in  die  Schädelhöhle  perforirt.  Häufig 
tritt  der  Tod  jedoch  erst  spät  und  nach  langem  Leiden  ein.  Es  ist  über- 
haupt ganz  merkwürdig,  was  der  Organismus  in  dieser  Beziehung  ver- 
tragen kann.  Es  sind  nicht  wenige  Fälle  bekannt,  in  welchen  die  orbi- 
tale Abscesshöhle  durch  eine  solche  cariöse,  oder  einfach  in  Folge  von 
Usur  entstandene  Knochenlücke  mit  nuss-  bis  hühnereigrossen  Gehirn- 
abscessen  im  Zusammenhange  stand,  so  dass  letztere  in  der  nach  aussen 
führenden  Cloake  ihren  Abzugskanal  hatten.  Derartige  Gehirnabscesse 
bestanden  Monate  und  Jahre  ohne  sonderlich  auffallende,  darauf  hinweisende 
Symptome  und  gelangten  am  Ende  wohl  gar  zu  dauernder  Heilung  durch 
Narbenbildung. 


Behandlung;  Antiphlogosis ;  Eröffnung;  Drainage.  601 

Behandlung.  Wie  bei  Caries  und  Neki'osis  an  anderen  Theilen  des 
Skeletes  zielt  die  erste  Indication  auf  TUguncj  oder  thnnlichste  Beschränkung 
des  entzündlichen  Gewebswucherungsprocesses.  Die  zweite  Sorge  ist  auf  mäylichst 
rasche  Entleerung  des  etwa  schon  angesammelten  Eiters  und  auf  Erhaltung 
eines  freien  Abflusses,  so  wie  auf  Begünstigung  der  Aiisstossung  abgestorbener 
Knochentheile  zu  richten.  Endlich  hat  die  Therapie  auch  noch  Einfluss 
zu  nehmen  auf  den  Vemarbungsprocess ,  um  wo  möglich  die  darin  begrün- 
deten misslichen  Folgen  auf  ein  Kleinstes  zu  reduciren. 

1.  Die  Causalindication  tritt  besonders  drängend  bei  dyscratischem 
Grundleiden  hervor  und  fordert  häufig  eine  energische  allgemeine  Behand- 
lung. Ohne  diese  ist  bei  syphilitischer  oder  scrophulöser  Basis  in  der  That 
wenig  oder  nichts  zu  erwarten.  Aber  auch  dann ,  wenn  in  Folge  des 
Knochenleidens  der  gesammte  Organismus  hart  mitgenommen  worden  ist, 
kann  eine  entsprechende  allgemeine  Behandlung  nicht  entbehrt  werden, 
indem  missliche  Vegetationsverhältnisse  des  ganzen  Körpers  höchst  ungünstig 
auf  das  Localleiden  zurückwirken.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  dort, 
wo  die  Caries  oder  Nekrose  der  Augenhöhlenwandungen  ein  secundäres 
Leiden  ist,  der  primären  Affection  die  gebührende  therapeutische  Beachtung 
gezollt  werden  müsse. 

2.  Die  directe  Behandlung  ßilU  mit  der  des  Orbitalabscesses  nahe 
zusammen.  Im  ersten  Stadium  ist  die  Antiphlogose  je  nach  Massgabe  der 
Intensität  des  Processes  mehr  minder  streng  zu  handhaben.  Bei  sehr 
chronisch  einhergehenden  Processen  ist  allerdings  die  locale  Antiphlogose 
von  geringem  Erfolge  und  muss  sich  meisthin  auf  die  in  ihrer  Wirkung 
sehr  problematischen  Einreibungen  von  Mercurialsalben ,  auf  Anlegung  eines 
Wattaverbandes  u.  dgl.  beschränken.  Doch  sind  derlei  Processe  meistens 
dyscratischer  Natur,  und  gelingt  es,  das  Grundleiden  zu  heben,  so  sind  locale, 
auf  Antiphlogose  zielende  Eingriffe  in  der  Regel  ganz   entbehrlich. 

3.  Sobald  sich  die  Bildung  eines  Eiterherdes  verräth,  muss  sogleich  zur 
Eröffnung  geschritten  werden.  Die  Regeln  hierfür  sind  S.  595  angegeben 
worden.  Zeigt  sich  dabei  die  Beinhaut  stark  verdickt  oder  gar  blasig  vom 
Eiter  emporgehoben,  so  ist  es  von  grösster  Wichtigkeit,  dieselbe  bis  auf 
den  Knochen  zu  spalten,  um  einerseits  die  Spannung  zu  beheben,  ander- 
seits aber  auch  um  die  weitere  Ablösung  des  Periostes  vom  Knochen  zu 
verliindern.  Bei  mehr  oberflächlichem  Sitze  des  Entzündungsherdes  unterliegt 
dieses  keinerlei  Schwierigkeiten.  Bei  tiefer  Lage  des  Herdes  ist  es  öfters 
iiicht  ausführbar.  Da  ist  es  aber  auch  selten  möglich,  den  fraglichen  Zu- 
stand mit  Sicherheit  zu  erkennen,  daher  gewöhnlich  der  spontane  Durch- 
bruch abgewartet  wird. 

4.  Hat  sich  der  Eiterherd  nach  aussen  entleert,  so  muss  die  Schliessung 
der  Cloake  gehindert  werden ,  was  durch  Einführung  mit  Fett  bestrichener 
Charpiewieken  oder  besser  durchlöcherter  feiner  Kautschukröhren,  deren 
Lichtungen  mit  Sorgfalt  offen  zu  erhalten  sind,  geschieht.  Nicht  zu  ver- 
nachlässigen sind  hierbei  öftere  Sondirungen,  um  den  Zustand  des  erkrank- 
ten Knochens  zu  prüfen  und  etwa  bereits  abgestossene,  in  der  Cloake  liegende 
Knochensplitter  bald  zu  entdecken  und  mit  der  Pincette  nach  aussen  zu 
fördern.  Manche  greifen  bei  oberflächlicher  Lage  des  Herdes  wohl  auch 
zu  eigens  construirten  zarten  Trepanen  (Demarquay).  Nimmt  der  Process 
einen    sehr    schleppenden     Verlauf,     fehlen  alle    Reizsymptome,   entleert  sich 


602  Krankhafte  Geschwülste  ;    Gut-  und  bösartige. 

ein  dünnflüssiger  Eiter,  so  kann  wohl  auch  durch  Bestreichung  der  Charpie- 
wieke  mit  reizenden  Salben,  durch  Aetzungen  mit  Höllenstein  und,  bei  ober- 
flächlicher Lage  des  afficirten  Kuochentheiles,  durch  Anwendung  des  Glüh- 
eisens der  Abschluss  des  Processes  gefördert  werden.  Uebermässig  touchernde 
Granulafioneti  sind  immer  durch  Höllenstein  oder  Opiumtinctur  niederzu- 
halten. Erst  wenn  der  Knochen  jede  Rauhigkeit  verloren  hat  und  alles 
nekrotische  abgestossen  ist,  ausserdem  aber  auch  nur  sehr  wenig  gutartiger 
Eiter  ausgeschieden  wird,   darf  die   Cloake  zur   Heilmig  geführt  werden. 

5.  Um  Verkürzungen  der  Lidhaut  und  Ectropien  zu  verhindern,  dürfte 
bei  Caries  und  IS^eki'osis  des  Orbitab'anrfes  die  Tarsoraphie  erspriessliche 
Dienste  leisten.  Bei  tieferem  Sitze  des  Knochenleidens  sind  alle  Versuche 
vergeblich,  welche  gemacht  werden  könnten,  um  den  aus  der  Narbeu- 
bildung  direct  resultirenden  Schäden  wirksam  entgegenzutreten. 

Quellen:  Mackenzie,  Traite  d.  mal.  d.  yeux.  Traduit  p.  Warlomont  et  Testelin. 
I.  Paris.  1856.  S.  37,  40—53.  —  Stellwag,  Ophth.  II.  S.  1343.  Nota  301.  —  Oraefe, 
A.  f.  O.  I.  1.  S.  430,  433;  IV.  2.  S.  162;  kl.  Miitbl.  1863.  S.  50.  —  Ho^mer,  kl. 
Mutbl.  1863.  S.  71,  74—77.  —  Heymann,  A.  f.  O.  VII.  1.  S.  144.  —  Pagen- 
stecher und  Sämisch,  kl.  Beobachtungen.  I.  Wiesbaden.  1861.  S.  75.  —  Demarquay, 
Centralbl.  1868.  S.  862.  —  Hulke,  Lancet.  1867.  II.  S.  395. 


ZWEITES  HAUPTSTÜCK. 

Die  krankhaften   Geschwülste. 


Nosologie,  Krankheitsbild  und  Verlauf.  Es  kommen  in  dem 
Augapfel  sowie  in  seinen  Hilfs-  und  Schutzorganen  krankhafte  Geschwülste 
der  mannigfaltigsten  Art  vor.  Manche  trifft  man  hier  sehr  selten,  manche 
werden  häufiger  beobachtet.  Gewisse  finden  sich  nur  in  bestimmten  Organen  ; 
andere  können  hier  und  da  und  wohl  auch  in  jedem  beliebigen  gefäss- 
hältigen   Theile  ihre  Wurzel   schlagen. 

Man  pflegte  sie  früher  in  gutartige  und  bösartige  zu.  scheiden  und 
bezeichnete  mit  letzterem  Namen  solche,  welche  bei  mehr  oder  weniger 
raschem  Wachsthumc  sich  auf  Gewebe  der  verschiedensten  Art  ausbreiten 
und  diese  zerstören,  auch  gerne  durch  Vermittelung  der  Lymph-  und  Blut- 
bahnen weiter  schreiten,  in  Organen  der  diiferentesten  Systeme  neue  Herde 
bilden,  daher  schwer  zu  beseitigen  sind,  in  der  Regel  recidiviren  und  am 
Ende  sogar  allgemein  werden,   einen  constitutionellen  Habitus  annehmen. 

Es  haften  diese  Eigenschaften  jedoch  nicht  an  bestimmten  specifischen 
Elementen,  so  dass  aus  dem  Vorhandensein  oder  Fehlen  derselben  auf  den 
gut-  oder  bösartigen  Charakter  einer  Geschwulst  geschlossen  werden  könnte. 
Vielmehr  wiederholen  sich  an  dem  Gefüge  der  mannigfaltigsten  Geschwulst- 
arten nur  die  Typen  normaler  Gebilde,  des  Epithels,  der  Muskelzelle,  des 
Bindegewebes  in  seinen  verschiedenen  Modificationen,  des  Knorpels,  Knochens 


lloiiKilogc,  hctcroloffc  TuiiioR'ii ;  KinUiciliiiij,' :  (Vmiodo;  Milhini,  603 

u.  s.  w.  Ueberhaupt  sind  nicht  sowohl  die  Formelemente  an  sich  das  über 
die  Gut-  und  liösartigkeit  onlscheidciidc,  sondern  deren  j^rössere  oder 
gerinj^ere  Uehereinstimmuny  mit  den  Matterzellen,  aus  welchen  sie  hervor- 
gingen. Dieselben  Elemente  haben  eine  verschiedene  prognostische  Bedeutung, 
je  nachdem  sie  diesem  oder  jenem  Gefüge  entsprossen  sind,  je  nachdem  sie 
also  homolog  oder  heterolog  erscheinen.  Sie  sind  geradezu  bedenklich,  wenn 
sie  sich  weit  von  dem  Typus  des  Muttergewebes  entfernen  oder  gar  aus  der 
histologischen  Reihe  desselben  heraustreten,  z.  B.  im  Bindegewebe  oder 
Knorpel  den  epithelialen  Charakter  annehmen.  Ihre  Bösartigkeit  luächst, 
wenn  sie  sehr  saftig  sind  und  zumal  wt'nu  sie  reichliche  Mengen  eines 
ausdrückbaren  Saftes  in  die  Intercellularsubstanz  abscheiden ;  oder  wenn 
sie  sehr  vergänglich  sind,  rasch  zerfallen  und  durch  üppige  Wucherung 
immer  wieder  regenerirt  werden;  oder  endlich  wenn  der  Boden,  auf  welchem 
sie  sich  entwickeln,  von  Lymph-  und  Blutgefässen  dicht  durchwebt  ist.  In 
dem  Masse  nämlich,  als  der  Gehalt  einer  Geschwulst  an  Saft  oder  recre- 
mentitiellcn  Bestandtheilen  und  an  Lymph-  und  Bhitgefässen  zunimmt, 
wachsen  auch  die  Bedingungen  für  die  Aufnahme  krankhafter  Stoffe  ins 
Blut  und  für  deren  Verführung  durch  den  ganzen  Körper.  Die  nächste 
Folge  sind  dann  lleizzustände  in  den  verschiedensten  disponirten  Organen, 
die  Ausbildung  neuer  Herde  an  den  mannigfaltigsten  Orten  und  schliesslich 
nicht  selten  auch  die  Uebersättigung  des  Blutes  mit  fremdartigem  Materialc, 
das  Sinken  des  gesammten  Ernährungszustandes,  das  Hervortreten  der 
Cachexie   (Virchow). 

Eine  durchgreifende  Eintheilung  der  Geschwülste  lässt  sich  nur  von 
dem  anatomisch  genetischen  Standpunkte  aus  durchführen.  Wird  dieser  ins 
Auge  gefasst,  so  sondern  sich  vorerst  drei  Hauptgruppen,  welchen  man 
allenfalls  die  durch  Blasenwürmer  bedingten  Tumoren  als  vierte  anreihen 
kann.  Die  erste  derselben  umfasst  Geschwülste,  welche  durch  Ansammlung 
von  Blut  oder  von  unmittelbar  aus  dem  Blute  stammenden  Stoffen  in  natür- 
lichen oder  auf  mechanischem  Wege  neu  geschaffenen  Räumen  zu  Stande 
gekommen  sind,  die  Extravasat-,  Transsudat-  und  Exsudatgeschwülste.  Die 
zweite  begreift  Tumoren,  welche  der  Anhäufung  wirklicher  Secretstoff'e  in  be- 
stehenden Höhlen  ihren  Ursprung  verdanken,  Retentions-,  Dilatationsgeschwülste. 
Die  dritte  Gruppe  endlich  wird  von  den  Gewächsen,  den  eigentlichen 
Aftergebilden  oder  Pseudoplasmen  dargestellt,  welche  unmittelbar  aus  dem 
Gefüge  der  Organe  herauswachsen,  ihre  Quelle  in  wirklich  formativen  Pro- 
cessen,  in  einer  wahren   Gewebswucherung  finden   (VirchowJ. 

A.  Geschwülste   der  ersten    Ordnung  sind  auf  oculistischem  Gebiete  sehr 

seltene  Vorkommnisse. 

Ausser  manchen  in  der  Tiefe  der  Orbita  beobachteten  Cysten  gehören  jene 
orhitalen  (S.  583)  und  subchorioidalen  (S.  323)  Tumoren  hierher,  welche  sich  aus 
Blutergüssen  durch  Eindickung  und  durch  theilweise  Organisation  dei  Gerinnsel  bilden. 

B.  Die  zweite  Gruppe  ist,  entsprechend  dem  Rcichthume  der  Augen- 
gegend an  drüsigen   Organen,   sehr  stark  vertreten. 

1.  Die  Liddecke  und  die  nachbarlichen  Theile  der  Gesichtshaut  finden  sich 
häufig  dicht  besäet  von  Comedonen  und  Miliumknoten.  Ausnahmsweise  erreichen  die 
letzteren  Hirsekoi-ngrösse  und  darüber,  indem  die  Secretionszellen  der  Schmeer- 
bälge  verhornen  und  sich  schichtweise  übereinander  lagern.  Es  entstehen  so  knorpel- 
harte weissgelbliche  runde  Knoten,  welche  stark  hervorspringen  und  viele  Aehnlich- 
keit  mit  den  Perlgeschwülsten  haben.  In  früheren  Zeiten  scheint  man  sie  theilweise 
als    Lithiasis   {Himly)    oder,    nach    einem    alten  Wachspräparate    zu    urtheilen,    als 


604  Tumoren ;  Perlgeschwulst ;  Balggescilwulst ;  Encanthis  ;  Cysten ;   ScUeimpolypen. 

Gh^ando  beschrieben  zu  haben.  In  einem  Falle  war  der  freie  Rand  beider  Lider 
des  linken  Auges  in  einer  etwa  2'"  breiten  Zone  ganz  bedeckt  von  solchen  Knoten, 
so  dass  er  das  Ansehen  einer  durchschnittenen  Feige  darbot.  Stellenweise  häuften 
sich  die  Geschwülste  zu  beerentraubenähnlichen  grösseren  Klumpen.  An  der  Ober- 
fläche der  meisten  Knoten  war  ein  Nabel  deutlich  zu  unterscheiden.  Die  Wivipe7-7i 
waren  gut  erhalten  und  wuchsen  neben  und  zwischen  den  Knoten  heraus.  Am 
unteren  Lide  waren  mehrere  7-andständige  Hordeola  zu  sehen.  Die  ganze  Gesichts- 
haut zeigte  sich  durchwegs  reichlich  besetzt  mit  ähnlichen  Geschwülsten  und  Milien, 
mit  Comedonen  und  zahllosen  Acnepiisteln. 

Manchmal  stösst  man  in  dem  fraglichen  Bezirke,  zumal  in  der  Brauengegend, 
auf  Kalkcysten  von  beträchtlicher  Grösse.  Sie  enthalten  in  einem  Gerüste  von 
organischer  Substanz  kohlensauren  Kalk  und  Magnesia.  Sie  sind  knochenhart  und 
adhäriren  gewöhnlich  blos  nach  hinten  an  einer  Stelle  (Sichel).  Viel  gewöhnlicher 
sind  Balggeschwülste  im  engeren  Wortsinne  mit  fettig  griesigem  oder  sulzigera,  auch 
wohl  honigartigem  Inhalte  (Atherom,  Meliceris).  Aus  ihrer  Innenwand  wachsen  bis- 
weilen Haare  (Himly,  Kerst,  Stavenhagen).  Ausnahmsweise  erreichen  sie  ganz  be- 
deutende Grössen,  dringen  tief  in  die  Orbita  hinein  (Schwarz,  Testelin)  und  können 
Exophthalmus  bedingen.  Wenn  sie  in  der  Thräjiensackgegend  sich  entwickeln,  können 
sie  leicht  eine  Dacryocystoblennorrhoe  vortäuschen  (Himly,  Hasner).  Manches 
Molluscum,  welches  an  den  Lidern  beobachtet  wurde  (Mackenzie),  mag  eine  modificirte 
Balggeschwulst  gewesen  sein.  Auch  die  Hagelkörner  lassen  sich  in  gewisser  Beziehung 
als  Kystome  betrachten. 

2.  In  der  an  Schmeerdrüsen  sehr  reichen  Carunkel  werden  acneähnliche  Pro- 
cesse  gleichfalls  beobachtet.  Sie  treten  bald  spontan  (Mackenzie) ,  bald  in  Folge 
mechanischer  Reizung  durch  eingedrungene  fremde  Körper,  eingebogene  Wimpern 
oder  steife  verkrümmte  Carunkelhaare  (Himly)  auf.  Gewöhnlich  ist  Verschwärung 
einzelner  oder  vieler  Schmeerdrüsen  der  Ausgang.  Mitunter  jedoch  führt  die  Secret- 
stockung  zu  entzündlicher  Hypertrophie  des  Stroma,  die  Carunkel  schwillt  zu  einem 
ansehnlichen  Tumor  auf,  an  dessen  Oberfläche  dann  die  gefüllten  Follikel  als  gelb- 
liche rundliche  Knoten  hervortreten  oder  wenigstens  durchscheinen  (Himly,  Graefe). 
Ihr  Inhalt  dickt  sich  gerne  zu  einer  fettig  griesigen  atheromatosen  Masse  ein 
(Benedikt,  Weller);  seltener  bilden  sich  darin  grössere  Concremente  (Encanthis 
calculosaj,  welche  ausnahmsweise  einen  ziemlich  bedeutenden  Umfang  erreichen 
(Blasius,  Sandifort,  Schmucker,  Riheri).  Hier  und  da  wird  die  Carunkel  in  Folge 
üppiger  Wucherung  des  Stroma  zu  einem  schwammähnlichen  mächtigen  Tumor  auf- 
getrieben (Encanthis  fungosa),  granalirt  förmlich  und  bildet  fleischwärzchenähnliche 
Auswüchse.  Wahrscheinlich  sind  auch  manche  der  Schleimpolypen  (Mackenzie)  und 
Cysten  (Riheri,  Quadri),  welche  auf  der  Carunkel  gesehen  worden  sind,  als  Reten- 
tionsgeschwülste  aufzufassen. 

3.  Die  Drüsen  der  Bindehaut  und  des  Thr-änenschlauches  sind  in  analoger 
Weise  der  Ausdehnung  durch  angehäuftes  Secret  unterworfen.  Der  Tumor  ent- 
wickelt sich  bisweilen  unter  der  Gestalt  eines  Schleimpolypen.  Viel  häufiger  jedoch 
trägt  er  den  Charakter  einer  Cyste.  Man  findet  diese  gelegentlich  an  den  verschie- 
densten Stellen  des  Conjunctivalsackes  als  hirse-  bis  erbsen-  oder  bohnengrosse 
dünnwandige  und  steil  aus  der  Oberfläche  der  Membran  hervortretende  Blasen  mit 
wasserhellem  serösen  Inhalte.  Wird  der  überaus  verdünnte  mucose  Ueberzug  der- 
selben durchschnitten,  so  rollt  die  Cyste  oft  von  selbst  heraus,  sie  hängt  nur  lose 
mit  dem  umgebenden  Gefüge  zusammen.  In  anderen  Fällen  erreichen  derlei  Cysten 
ein  ganz  bedeutendes  Voluvien,  werden  hühnereigross  und  darüber.  Sie  wachsen 
dann  gerne  in  die  Augenhöhle  hinein  und  begründen  einen  Exophthalmus.  Ihre 
Wandungen  pflegen  unter  solchen  Umständen  sehr  dick,  apo7ieurosenartig  zu  sein 
und  nur  locker  an  dem  zu  einem  mächtigen  sehnigen  Balge  verdichteten  orbitalen 
Bindegewebe  zu  haften.  Ihr  Inhalt  ist  meistens  flüssig,  serumähnlich,  öfters  gelblich 
oder  bräunlich  gefärbt,  seltener  haemorrhagisch,  ausnahmsweise  milchartig  oder 
sulzig.  Sie  sitzen  mitunter  nach  aussen  oder  oben  (Bourdillat),  am  häufigsten  aber 
nach  innen  vom  Bulbus  und  zerstören  dann  im  Laufe  der  Jahre  nicht  selten 
die  Siehplatte,  bohren  sich  so  in  die  Nasenhöhle  hinein  und  breiten  sich  darin  aus 
(Schuh,  Ressel,  Caratheodori,  Fano).  In  einem  Falle  war  eine  solche  Cyste  durch 
das  Sehloch  in  die  Schädelhöhle  gedrungen  und  hatte  durch  Druck  auf  das  Gehirn 
eingewirkt  (Delpech). 

i.  Die  Schleimpolypen  und  Cysten,  welche  in  der  Nasen-,  Stirn-  und  Kieferhöhle 
auftreten  und  manchmal  zu  ganz  erstaunlichen  Grössen  gedeihen,  so  dass  die  Orbita 


Cysten  der  Iris  ;  Histoide,  organoide,  teratoide  Gewächse ;   Combiiiationsgeschwulste.         605 

und  selbst  die  Schädelhölile  unter  Verdrängung  der  betreffenden  Kuochenwandungen 
beengt  werden  fAIackenzieJ,  stammen  erwiesener  Massen  zum  guten  Tlieile  von  den 
Dfüsen  des  seh  leim  häutigen  Ueherzuges,  sind  ursprünglich  durch  Anhäufung  von 
Secretstoflfen  begründet  worden  (Virchow).  Sie  sind  gleich  den  Orbitalcysten  öfters 
mehrßicherig. 

5.  Zu  den  Dilatationsgeschwülsten  sind  weiters  streng  genommen  auch  die 
mit  blennorrlioischer  Entzündung  des  Schlauches  gepaarte  Ecta.ne  des  Thr'dnensackes 
und  vornehmlich  der  sogenannte  Hgdrojjs  sacci  lacryinalli  (S.  565),  so  wie  der 
Dacryops  (S.  553)  und  endlich  die  Wasserblase  der  Tliräneiidrüse  (Ad.  Schmidt,  Beer) 
zu  zählen.  Letztere  wird  indessen  von  Manchen  auf  einen  Blasenwurm  bezogen 
(Himly).  Sie  entwickelt  sich  bald  rasch,  bald  mehr  chronisch,  verursacht  einen  sehr 
starken  Exophthalmus  und  kann  durch  Verdrängung  des  Orbitaldaches  aucli  einen 
Druck  auf  das  Gehirn  ausüben,  ja  selbst  apoplektische  Erscheinungen  im  Gefolge 
haben.  Mitunter  vereitert  sie  und  der  Ausgang  ist  Heilung  oder  die  Bildung  einer 
Fistel. 

6.  Erwähnung  verdienen  überdies  die  Cysten  der  Iris,  obgleich  deren  Zurück- 
führung  auf  P"'altung  und  Absackung  eines  Regenbogenhautabschnittes  (Weckei-)  für 
die  grösste  Mehrzahl  der  Fälle  kaum  zutreffend  sein  dürfte  und  die  fraglichen 
Gebilde  höchst  wahrscheinlich  mit  Retentionsgeschwülsten  sehr  wenig  gemein  haben. 
Nach  den  vorhandenen  Zusammenstellungen  (Hulke,  Wecker)  führen  sie  in  der 
Regel  einen  serumähnlichen  Inhalt ,  ausnahmsweise  jedoch  auch  einen  fettig 
grumösen,  ja  selbst  Haare  (Graefe).  Ihre  Höhlung  ist  von  Epithel  überkleidet  und 
ihre  Wandung  steht  in  unmittelbarer  Verbindung  mit  dem  Irisgewebe,  oder  ist 
vielmehr  nichts  Anderes,  als  rareficirtes  Irisgewebe  selber.  Es  sitzen  derlei  Cysten 
am  häufigsten  im  unteren  Theile  der  Iris  und  erreichen  bisweilen  sehr  beträchtliche 
Grössen ,  so  dass  sie  den  Kammerraum  fast  vollständig  erfüllen.  In  fast  zwei 
Dritteln  der  Fälle  sind  sie  auf  Traumen,  namentlich  auf  perforirende  Hornhautver- 
letzungen  zurückführbar  gewesen  (HidkeJ. 

In  einem  Falle  wurde  eine  angeborene  Cyste  mit  klarem  serösen  Inhalte  im 
vorderen  unteren  Theile  der  Sclerotica.  sitzend  gefunden  und  auf  eine  Ausweitung 
des  Schlemm'schen  Kanales  bezogen  (Waldhauer). 

C.  Die  eigentlichen  Gewächse,  welche  am  Auge  und  seinen  Hilfs- 
organen vorkommen ,  sind  bald  histoide,  aus  einem  einfachen  Gewebe  zu- 
sammengesetzte und  erweisen  sich  dann  oft  als  blosse  Hyperplasien  irgend 
eines  histologischen  Bestandtheiles ;  bald  sind  sie  organoide,  es  concurriren 
bei  ihrer  Bildung  mehrere  Gewebsarten,  welche  nicht  selten  eine  bestimmte 
typische  Anordnung  zeigen  und  so  dem  Tumor  Aehnlichkeit  mit  gewissen 
Organen  geben ;  bald  endlich  treten  mehrere  Organe  zusammen  und  ent- 
sprechen in  ihrer  Vereinigung  einem  ganzen  Systeme  des  Körpers  (teratoide 
Tumoren).  Dazu  kommen  noch  die  Combinationsgeschwülste,  in  welchen 
mehrere    Geschwulstformen  sich  mit  einander  vereinigt  haben. 

Die  Comhinationsfähigkeit  der  Geschwülste  ist  eine  überaus  grosse,  und 
zwar  combiniren  sich  nicht  blos  die  mannigfaltigsten  Aftergehlide  unter 
einander,  sondern  Tumoren  aller  drei  erwähnten  Havptgruppen.  In  der  That 
geschieht  es  bisweilen,  dass  in  einem  vorhandenen  Aftergebilde  durch 
Extravasat,  Transsudat  und  Exsudat  Höhkingen  gebildet  werden ,  um 
welche  herum  das  verdrängte  und  entzündlich  gereizte  Gefüge  zu  einer 
Art  Balg  sich  verdichtet  und  der  Geschwulst  einen  cystoiden  Charakter 
aufprägt.  Andererseits  stösst  man  nicht  selten  auf  Geschwülste  der  ersten 
oder  zweiten  Hauptgruppe,  in  deren  Balg  oder  Bette  Aftergebilde  wuchern, 
welche  die  Cyste  allmälig  umschliessen  oder  in  ihre  Höhle  hineinwachsen 
lind  selbe  ausfüllen.  Auch  kömmt  es  vor,  dass  Pseudoplasmen  in  drüsigen 
Organen  sich  entwickeln  und  dxu'ch  mechanische  Beengung  der  Ausführungs- 
gänge Veranlassung  von   Secretstockungen  iind    Cystenbildungen  werden. 


(306  Tumoren;  Fibrome;  Pinguecula. 

Diese  Veränderlichkeit  des  Geschwulsttypus  ist  vom  praktischen  Stand- 
punkte aus  überaus  wichtig,  indem  ursprünglich  völlig  gutartige  Tumoren 
allmähg  in  maligne  Formen  übergehen  können.  Im  Ganzen  darf  nämlich 
eine  Geschwulst  nur  so  lange  als  gutartig  betrachtet  werden,  als  sie  homolog 
im  engeren  Wortsinne  ist.  Sobald  sie  aufhört,  dies  zu  sein,  hat  sie  zum 
mindesten  als  verdächtig  zu  gelten  {Virchoxo),  zumal  in  der  Augengegend. 
Es  kömmt  hier  nämlich  der  sehr  beträchtliche  Eeichthum  an  Lymph-  und 
Blutgefässen  so  wie  der  Umstand  in  Betracht,  dass  die  Orbita  von  wenig 
oder  nicht  zugänglichen  Höhlen  umgeben  ist,  welche  schon  ein  continuir- 
liches  Weitersehreiten  der  Geschwulst,  um  so  mehr  aber  Disseminationen 
verderblich  machen. 

1.  Die  Fibrome  fuhren  als  alleinigen  oder  Haupthestandtheil  Bindegewehe 
in  der  gewöhnlichen  Bedeutuns:  des  Xamens.  Sie  gehen  meistens  aus  dem 
Stroma  der  Organe  und  vorzugsweise  aus  den  dichteren  derberen  Binde- 
gewebsausbreitungen  hervor,  welche  als  Häute  auftreten.  Sehr  selten  ent- 
spriessen  sie  anderen  verwandten  Gefügen,  zumal  dem  Knochen,  und 
erscheinen  solchermassen  als  keterologe  Gebilde.  Häufig  sind  sie  histoid 
und  stellen  dann  eine  blosse  Hyperplasie  dar;  oft  jedoch  ist  ihr  Bau  ein 
compücirter,  die  Geschwulst  gewinnt  einen  organoiden  Anstrich.  Zudem 
findet  sich  das  Fibrom  sehr  oft  in  Combinationsgeschicülsten,  sei  es,  da.'äs 
verschiedene  nebeneinander  lagernde  Theile  eines  Gefüges  gleich  von  vorne 
herein  differente  Elemente  produciren,  oder  dass  eine  ursprünglich  rein 
fibröse  Geschwulst  streckenweise  den  Bildungstypus  ändert,  massenhaft 
Schleimgewebe  oder  zellige  Elemente,  Gefässe  entwickelt,  verknorpelt, 
verknöchert  u.  s.  w.,  oder  gar  durch  alveolare  Structur  und  die  charakte- 
ristischen Einlagerungen  epithelialer  Gebilde  den  Uebergang  in  Ki*ebs 
andeutet,  sich  also  in  entschieden  maligne  Formen  umwandelt.  Man 
unterscheidet  im  Allgemeinen  diffuse,  papilläre  oder  loarzige  und  tuberöse 
Formen. 

a.  In  die  erste  Reihe  gehört  die  Elephantiasis,  welche  in  höchst  seltenen 
Fällen  an  den  Lidern  beobachtet  worden  ist  (Carron  du  Villards,  GraefeJ  und 
manche  Formen  von  Molluscum  (VirchoicJ. 

b.  In  der  ziceiten  Reihe  möge  der  Lidspaltenßeck,  die  Pinguecula,  einen  Platz 
finden.  Man  trifft  dieses  Xeugebilde  immer  nur  im  Lidspaltenf heile  der  Sderalhinde- 
haut,  es  reicht  mit  seinen  Wurzeln  jedoch  öfters  bis  in  das  Episcleralgefüge  und 
selbst  bis  in  die  Lederhaut.  Es  sind  hirse-  bis  hanfkomgrosse,  selten  umfangreichere 
plattrundliche,  bisweilen  gelappte  Klümpchen  einer  weissgelblichen  Masse,  welche 
äusserlich  viel  Aehnlichkeit  mit  Fett  hat,  sich  bei  genauerer  Untersuchung  aber 
als  embryonales  Bindegewebe  beurkundet.  Es  werden  diese  Klümpchen  meistens  von 
einigen  stark  ausgedehnten  Gefässen  um-  oder  übersponnen,  sind  ganz  unschmerz- 
haft und  bestehen,  einmal  entwickelt,  gewöhnlich  zeitlebens  unverändert  fort.  Man 
trifft  sie  bei  alten  Leiiten  häufiger  als  bei  jungen.  Es  scheint,  dass  die  BlossteUung 
des  genannten  Bindehautstückes  gegenüber  äusseren  Schädlichkeitseinwirkungeu 
als  Chiind  des  häufigen  Vorkommens  dieser  Art  von  Hypertrophie  aufzufassen  sei. 
Jedenfalls  begünstigen  häufig  wiederkehrende  Reizzustände  der  Bindehaut  das  Auf- 
treten der  Pinguecula  (Seitz). 

c.  Die  papillären,  icai-zigen,  zottigen  Fibrome  entwickeln  sich  gelegentlich  an 
der  äusseren  Haut,  der  Conjunctiva,  der  Carunkel.  Ausnahmsweise  hat  man  sie  aus 
einem  Follikel  der  letzteren  in  Fransenform  hervorwuchern  gesehen  (Carron  du 
Villards).  Ihr  Ausgangspunkt  ist  das  bindegewebige  Strovia.  Sie  entstehen  hier  als 
kleine  amorphe  körnige  oder  homogene  Knospen,  in  denen  erst  später  Zellen  sicht- 
bar werden  (Virchow).  Ihre  weitere  Vergrösserung  geschieht  durch  Vermehrung  der 
zelligen  Theile  oder  der  Intercellularsubstanz.  Die  ersteren  überwiegen  oft  in  dem 
Masse,  dass  ein  wirklicher  Granulationszustand  sich    ausbildet  und    die  Auswüchse 


Papilläre,  tuberosp  Pilirmiip;  FiliriVso  rnl)'pcn:  Dormnido.  007 

ein  den  Fleischivä7r.chen  oder  Schrammen  ähnliclics  Aussehen  bekommen,  wie  selbe 
sich  bisweilen  auf  Geschwüren  der  Bindehaut  und  Cornea,  auf  vorgefallenen  Iris- 
theilen  u.  s.  w.  entwickeln  und  öfters  aucii  gestielt  sind.  Gefässe  können  in  iln-om 
Gofüge  ganz  fehlen  oder  doch  sehr  spärlich  vertreten  sein.  Meistens  jedoch  sind 
derlei  Geschwülste  von  überaus  dichten  Gefässnetzen  durchwebt  und  können  dann, 
wenn  sie  nur  eine  dünne  oberflächliche  Lage  von  weichem  Epithel  füliren  ,  leicht 
zu  spontanen  Blutungen  neigen  (Seitz),  welche  unter  Umständen  vermöge  ihrer 
Massenhaftigkeit  Gefahren  begründen.  Es  sitzen  die  papillären  Fibrome  oft  flach 
ihrer  Unterlage  auf  und  erscheinen  als  isolirte  oder  gruppig  zusammengehäufte, 
blasse  oder  tief  geröthete,  mehr  weniger  derbe  Knötchen,  welche  meistens  ziemlich 
unempfindlich  sind,  ausnahmsweise  jedoch  überaus  stark  jucken  (Beer).  Manchmal 
wachsen  solche  Knoten  zu  himheer'dlmlichen  grösseren  Tumoren  zusammen  (Himly, 
Chelius,  Ammon),  welche  gewöhnlich  sehr  gefässreich,  in  einzelnen  Fällen  aber  von 
Pigment  ganz  dunkel  gefärbt  erscheinen  (Travers),  Oefters  erheben  sie  sicli  auf 
einem  Stiele  über  die  Oberfläche  des  Mutterbodens  (Mackenzie,  Arlt,  Hasner).  Der 
Stiel  ist  von  sehr  derbem  Bindegewebe  gebildet  und  enthält  gewöhnlich  starke 
Gefässe,  welche  bei  der  Abtragung  der  Geschwulst  profuse  Blutungen  zu  veranlassen 
pflegen.  Bei  einzelnen  wurden  Recidiven  beobachtet  (Arlt). 

d.  Die  tuberösen  Fibrome  umfassen  unter  anderen  Gewächse,  welche  früher 
als  Fihroide,  Sfeatome,  fibröse  Polypen,  und  wenn  sie  auf  der  äusseren  Haut  den 
Standort  hatten,  als  Mollusken  l)eschrieben  wurden.  Sie  bestehen  aus  einem  radiären 
und  fasciculirten  Bindegewebe,  das  sich  bisweilen  bis  zur  Knorpelhärte  verdichtet, 
häufig  aber  auch  eine  viel  geringere  Consistenz  darbietet  und  oftmals  durch  Aiif- 
nahme  reichlicher  Mengen  von  Schleimgewebe  sogar  sehr  weich,  ja  fast  schwap- 
pend wird  (Virchoio).  Abgesehen  von  der  äusseren  Haut  sind  die  Fascien  und  das 
Periost  die  gewöhnlichen  Ausgangspunkte.  Die  derben  dichten  Knoten,  welche  im 
Bereiche  der  Orbita  vorkommen,  lagern  meistens  in  der  Nähe  des  Augenhöhlen- 
randes und  haften  dann  häufig  mit  breiter  Fläche  der  knöchernen  Wandung  an. 
Sie  wachsen  in  der  Regel  langsam,  verknöchern  bisweilen  (Graefe)  oder  verkalken 
(Bader),  und  erreichen  selten  ansehnliche  Grössen  (Schuh,  Weinlechner,  Zehender, 
Mooren).  Wo  ihr  Volumen  ein  bedeutenderes  ist,  handelt  es  sicli  fast  immer  um 
eine  Combinationsgeschicidst,  z.  B.  um  secundäre  Ci/stenbildungen  (Mackenzie,  Schiess- 
Gemuseus),  um  einen  Uebergang  in  Krebs  u.  s.  w.  Die  iveicheren  tuberösen  Fibrome 
sind  häufig  gestielt  und  ragen  weit  über  die  Oberfläche  hervor,  treiben  dabei  die 
schleimhäutigen  Decken  vor  sich  her  und  werden  von  denselben  bis  auf  den  Stiel 
hin  überkleidet.  Der  letztere  ist  meistens  sehr  derb  und  entspringt  mit  einer  oder 
mehreren  Wurzeln,  gewöhnlich  im  Perioste.  Der  Körper  der  Geschwulst  kann  knor- 
pelhart sein  (Laicrence) ;  gemeiniglich  aber  ist  er  sehr  weich.  Man  hat  solche  ge- 
stielte Fibrome  oder  fibröse  Polypen  im  Bereiche  des  Bindehautsackes  (Graefe), 
auf  der  Sclera  wurzelnd  und  den  Bulbus  bis  zum  Sehnerveneintritte  hin  auf  einer 
Seite  deckend  (Borelli),  im  Thränenschlauche  (S.  555),  und  in  den  die  Oi-bita  umgehen- 
den, von  Schleimhaut  überzogenen  Höhlen  gesehen.  An  der  Bindehaut  übersteigen 
sie  nur  ausnahmsweise  (Jüngken)  den  Umfang  einer  Haselnuss.  Die  tiefe  Lage 
ihrer  Wurzeln  macht,  dass  sie  nach  der  Abtragung  gerne  wiederkehren. 

2.   Die  Dermoidgeschioülste  wurden  früher  unter  dem  Namen  „  W^aj-zen" 

mit  manchen  anderen   Geschwülsten  zusammengeworfen.      An  der  äusseren 

Liddecke  und  an  der   freien  Lidrandfläche   kommen  sie    ziemlich    oft  vor. 

Ausnahmsweise    trifft    man    deren    auch  an   der    oberen   Uebergangsfalte,   wo 

sie    sich    wulst-    oder    klappenförmig    zwischen  dem  oberen    und  äusseren 

geraden  Augenmuskel  herausstülpen  (Graefe)  und,   da  sie  mit  Lappen  sub- 

conjunctivalen    Fettes    zusammenzuhängen    pflegen ,    für    TApome    gehalten 

wurden.      Ausserdem    liegt    eine    lange    Reihe  von    Fällen  vor,   in  welchen 

Dermoide    sich    an    der    Cornealgre.nze    entwickelt  hatten,   mit  einem   Theile 

ihres  Umfanges  in  der  Hornhaut,   mit  dem  anderen  in  der  Bindehaut  oder 

Sclera  wurzelten  und   oft  tief  in   deren  Gefüge  eingriffen. 

Es  sind  diese  Warzen  gewöhnlich  pfefferkorn-  bis  bolmengross,  erstrecken 
sich  bisweilen  aber  auch  fast  über  die  ganze  Hornhaut  oder  decken  gar  eine 
Hälfte  des  vorderen  Bulbusumfanges  (Gi-aefe).  Sie  sind  meistens  rundlich  oder 
oval  und  treten  mehr    weniger  stark  über  ihre  Grundlage  hervor.     Ihre  Consistenz 


608  Tumoren;  Coruealwarzen  ;  Lipome;  Myxome. 

ist  oft  schwammähnlich  weich,  oft  aber  auch  ziemlich  derb  und  selbst  knorpelartig 
hart  (HilcUge),  Die  Farbe  wechselt  ausserordentlich,  indem  sie  bald  sehnig  weiss, 
bald  fettgelb,  bald  roth,  braunroth  oder  gar  dunkelbraun  gefunden  wird.  Die  Ober- 
fläche der  Geschwulst  ist  bald  glatt,  bald  nach  Art  einer  Erd-  oder  Himbeere 
drusigkörnig  und  trägt  häufig  eine  Anzahl  von  zarten  kurzen  blassen,  oder  von 
steifen  langen  dunklen  Haaren  (Tr-ichosis  bulbi).  Es  bestehen  diese  Geschwülste 
aus  einem  von  einer  dicken  Lage  Epithel  gedeckten  Polster  von  Bindegewebe  und 
elastischen  Fasern,  in  welchem  die  Haarfollikel  bald  mit  bald  ohne  zugehörige 
Schmeerdrüsen  und  häufig  auch  Gruppen  von  Fettzellen  sitzen  (Virchow).  Sie  sind 
meistens  angeboren  und  vergrössern  sich  mit  dem  Wachsthume  des  Körpers  allmälig 
(Riha,  Fischer,  E.  Müller,  Graefe,  Lainati,  Visconti  Achilli  u.  A.).  Man  glaubt 
dieselben  in  genetischen  Zusammenhang  bringen  zu  müssen  mit  den  congenitalen 
Lidspalten,  bei  welchen  sie  wenigstens  andeutungsweise  vorhanden  sein  sollen.  Man 
meint  nämlich,  dass  jener  Theil  des  Cutisüberzuges,  welcher  beim  Hervorwachsen 
der  Lider  über  den  Bulbus  in  Bindehaut  umgebildet  wird,  an  der  betreffenden 
Stelle  die  Charaktere  der  äusseren  Haut  beibehält  und  so  das  Dermoid  darstellt 
(Wecker). 

3.  Lipome.  Sie  enthalten  ein  mehr  öhlartiges  Fett  in  gekernten  Zellen,  welche 
etwas  grösser  als  in  der  Norm  zu  sein  pflegen,  sind  immer  lappig  und  stets  auf 
Neubildung,  auf  Hyperplasie  vorhandener  Fettlager,  zurückzuführen.  Es  überwiegt  in 
ihnen  bald  das  Fett,  wo  sie  sehr  weich  sind,  bald  das  Bindegewebe,  wo  sie  dann 
eine  sehr  bedeutende  Consistenz  erlangen  können.  Nach  Manchen  sollen  sie  in  der 
Orbita  häufiger  vorkommen  [Demarquay).  Andere  erfahrene  Autoren  sahen  sie  hier 
nie  und  halten  dafür,  dass  die  daselbst  beobachteten  Lipome  meistens  lappige 
Blutgefässschwämme  gewesen  seien,  welche  ersteren  oft  zum  Verwechseln  ähnlich 
sind  (Schuh).  In  einem  Falle  soll  ein  Lipom  im  subcorijunctivalen  Gefüge  (0.  Becker) 
imd  in  einem  anderen  sogar  in  der  Iris  (Mooren)  gefunden  worden  sein. 

4.  Myxome.  Der  hauptsächliche  Bestandtheil  derselben  ist  Schleim- 
geivebe,  welches  im  Glaskörper  und  der  Sülze  des  Nabelstranges,  so  wie 
in  der  Neuroglia  des  Nervensystemes,  seine  normalen  Eepräsentanten  findet 
und  mit  dem  Fettgewebe  auf  das  Innigste  verwandt  ist,  indem  beide 
durch  Aufnahme  und  beziehungsweise  Abgabe  von  Fett  unmittelbar  in 
einander  überzugehen  vermögen.  Sie  sind  sehr  weich,  oft  sogar  gleich 
Cysten  schwappend,  selten  derber  und  entleeren  aus  Durchschnittsflächen 
eine  fadenziehende  Flüssigkeit,  welche  sich  ganz  wie  Schleim  verhält. 
Daneben  findet  sich  eine  faserige  Grundsuhstanz,  deren  Elemente  den  Binde- 
gewebsfibrillen  sehr  ähnlich,  aber  sehr  locker  und  durchwegs  von  mucin- 
hältiger  Flüssigkeit  durchtränkt  sind.  Die  Intercellularsubstanz  führt  zellige 
Elemente  in  wechselnder  Menge  und  von  sehr  verschiedener  Gestalt 
(Virchow). 

In  jungen  Myxomen  überwiegen  die  runden  Zellen  (Schleimkörper),  in  älteren 
die  sjjiitdeligen  und  sternjörmigen,  welche  letztere  mitunter  anastomosiren  und  einen 
areolaren  Bau  erzeugen.  Je  nachdem  die  Zellen  mehr  zurücktreten,  oder  in  sehr 
reichlicher  Menge  vorhanden  sind,  oder  durch  Aufnahme  von  Fett  sich  in  Fett- 
zellen umwandeln,  erscheint  die  Geschwiilst  mehr  hyalin,  markartig,  oder  liponi- 
ähnlich.  Oefters  geschiet  es  auch,  dass  die  Intercellularsubstanz  ganz  verflüssigt 
und  cystenähnliche  Höhlungen  gebildet  werden,  oder  dass  das  Gerüste  sich  zu 
einem  derben  bindegewebigen  Maschenwerke  verdichtet,  oder  gar  knorpelartige 
Eigenschaften  annimmt,  oder  Gefässe  in  sehr  reichlicher  Menge  führt,  welche 
überdies  streckenweise  eine  telangiektatische  Beschaffenheit  zeigen ,  das  Myxom 
ändert  theilweise  in  die  cystoide,  fibröse,  knoipelige,  telangiektatische  Form  ab 
(  Virchow). 

Im  Ganzen  sind  Myxome  keine  häufige  Erscheinung.  Sie  entwickeln 
sich  meistens  in  der  Bedeutung  homologer  Geschwülste  und  haben  dann 
einen  gutartigen  Charakter.  Doch  sind  sie  der  mannigfaltigsten  Combinationen 
mit    anderen    Gewächsarten    fähig,    gehen    auch    nicht    selten    auf  die   ver- 


Myxom ;  Cliondrom  ;  Osteom ;  Leontiasis.  609 

schiedensten  Gewebe  über,  werden  herterolog  und  nehmen  einen  ausgesprochenen 

malignen  Charakter  au   (Vircliow). 

Erwiesen  ist  das  Vorkommen  des  Myxoms  im  Sehnerven,  wo  es  mehr  minder 
mächtige  Tumoren  bildet,  welche  von  der  Scheide  des  Opticus  kapselartig  um- 
schlossen werden,  den  Bulbus  mehr  gleichmässig  nach  vorne  treiben  und  seine 
Beweglichkeit  beschränken,  ohne  selbe  aufzuheben,  rasch  vAxr  Erblindung  führen 
und  schmerzlos  verlaufen.  In  einem  solchen  P''alle  war  der  Augapfel  in  Folge  von 
Iloriihautverschwärung  bereits  entleert  und  von  vorne  nach  hinten  platt  zusammen- 
gedrückt (Rothmund).  In  einem  anderen  Falle  bestand  der  Bulbus  noch  und  man 
konnte  ojjhfhalmo/fkopisch  das  Vordringen  der  Afterwucherung  auf  die  Papille 
durch  beträchtliche  Vorwölbung  und  Trübung  derselben,  so  wie  durch  sehr  aus- 
gesprochene Stauungseracheinungen  im  Gefässsysteme  der  Netzhaut  erschliessen 
(GraefeJ.  In  einem  dritten  Falle  hatte  sich  ein  Myxomherd  in  der  Papille  neben 
einer  Mehrzahl  analoger  kleiner  Tumoren  im  Orbitalfettgewebe  entwickelt  (Jacohson). 
In  einem  vierten  Falle  erfüllte  das  Myxom  als  recAdivirende  Geschwulst  die  ganze 
Orbita,  nachdem  der  Bulbus  wegen  einem  seit  zwei  Jahren  bestehenden  ,  gelblich 
weisses  Licht  reflectirenden  Tumor  des  hinteren  Augenraumes  exstirpirt  worden 
war  (Lehrun). 

5.  Chondrome,  deren  Grundsubstanz  Knorpel geioehe  ist,  mögen  hier  und  da  im 
Bereiche  der  Orbita  beobachtet  worden  sein  und  unter  dem  Namen  Osteosteatom, 
Osteosarcom  (Mackevzie,  CheliusJ  etc.  in  der  Literatur  vorkommen.  Doch  lassen  sich 
die  strenge  hierher  gehörigen  Fälle  kaum  herausfinden.  Jedenfalls  sind  Chondrome 
auf  oculistischem  Boden  sehr  selten  (Schuh).  Einmal  wurde  in  einer  mit  Drüsen 
versehenen  Warze  an  der  Cornealgrenze  ein  Stück  Netzknorpel  gefunden  (Schweigger). 
Auch  wurden  Chomlrome  in  der  Thränendrüse  nachgewiesen  (Busch).  Sie  entwickeln 
sich  bald  aus  normalem  Knorpel,  bald  aus  anderen  Geweben,  sind  daher  bald 
homolog  bald  heterolog  und  vermögen  in  letzterer  Eigenschaft  sehr  bösartig  zu  wer- 
den. Sie  können  sehr  weich  sein,  aber  auch  verknöchern,  amyloid  degeneriren  und 
verschwären.  Sie  treten  oft  in  Combination  mit  anderen  Geschwulstarten  auf,  mit 
Myxom,  Krebs  etc.  Man  trifft  sie  vei'hältnissmässig  am  häufigsten  bei  jugendlichen 
Individiien  (Virchow). 

6.  Osteome  entwickeln  sich  aus  einer  ursprünglich  hindegeioehigen  oder  Icnor- 
peligen  Grundsubstanz ,  unterscheiden  sich  aber  von  verknöchernden  Fibromen, 
Chondromen  u.  s.  w.  dadurch,  dass  bei  ihnen  die  ganze  Bildung  von  vorneherein 
auf  Knochenerzeugung  gerichtet  ist.  Sie  sind  oft  elfenheinhart,  bestehen  aus  überaus 
compacter  Knochensubstanz  mit  Gefässen  und  einem  beinhaut-  oder  knorpelähnlichen 
Ucberzuge.  In  anderen  Fällen  ist  das  Gefüge  schwammig,  enthält  wohl  auch  Mark 
in  kleinen  Canälen  oder  grösseren  Höhlen.  Die  Osteome  sind  meistens  blosse 
Hyperplasien,  finden  sich  jedoch  auch  als  heterologe  Gewächse  und  kommen  nicht 
ganz  selten  in  Comhination  mit  anderen  Geschwulstformen,  namentlich  Myxomen, 
Myxomcysten  u.  s.  w.  vor  (Virchoio).  Das  homologe  Osteom  stellt  sich  bisweilen  als 
eine  übermässige  Entwickelung  einzelner  Knochen  oder  ganzer  Skelettheile  dar, 
welche  dann  zu  unförmlichen  Massen  aufgetrieben  werden  (Leontiasis,  Virchoiü, 
Acrel).  Häufiger  jedoch  bilden  sie  umschriebene  Tumoren,  welche  sich  mehr  weniger 
über  die  Oberfläche  des  Mutterknochens  erheben.  Sie  wachsen  bald  unmittelbar 
aus  der  Substanz  des  letzteren  hervor;  bald  ist  ihr  Ursprung  auf  eine  Wucherung 
der  Beinhaut  zurückzuführen,  es  entsteht  vorerst  eine  bindegervebige  Geschwulst, 
welche  allmälig  verknöchert  und  sich  mit  dem  unterlagernden  Knochen  vereiniget. 
Die  in  der  Orbita  vorkommenden  Osteome  sind  in  der  Regel  elfenbeinhart.  Sie  gehen 
sehr  häufig  von  der  Diploe  der  betreffenden  Knochen  aus  und  brechen  gerne  nach 
beiden  Seiten  durch,  so  dass  der  in  der  Augenhöhle  erscheinende  Tumor  nur  der 
Theil  einer  Geschwulst  ist,  welche  in  eine  oder  mehrere  Nachbarhöhlen  hineinragt 
(Mackenzie,  Knapp).  Es  muss  hierauf  stets  Bedacht  genommen  werden,  zumal  wenn 
es  sich  um  operative  Beseitigung  der  Geschwulst  handelt.  Vom  Siehbeine  (Maisonneuve, 
Boivman)  und  dem  Boden  der  Augenhöhle  (Mackenzie)  wird  ein  Osteom  allerdings 
gewöhnlich  ohne  iinmittelbare  Gefahr  abgetrennt  werden  können.  Sitzt  es  aber  an 
oder  nahe  dem  Dache  der  Orbita,  so  ist  ein  solcher  operativer  Eingrifi:"  überaus 
gewagt,  indem  das  gleichzeitige  Vordringen  der  Geschwulst  in  das  Cavum  cranii 
sich  keineswegs  immer  durch  auffällige  Erscheinungen  verräth  (Knapp).  Immerliin 
sind  auch  von  hier  ausgehende  Osteome  mit  gutem  Erfolge  operirt  w-orden 
{Mackenzie,  Knap)p),  Textor),  da  eben  nicht  alle  nach  beiden  Seiten  durchgreifen.  Aus- 

St eilwag,  Augenheilkunde.  39 


ßlO  Tumoren;  Nosologie;  Melanom;  Myom;  Gliom. 

nahmsweise  stösst  man  übrigens  auch  auf  Knochengeschwülste,  welche  von  den  den 
Wandungen  der  Orbita  nachbarlichen  Knochen  entspringen,  erstere  aber  vor  sich 
herdrängen  und  so  die  Augenhöhle  zusammendrücken  (Mackenzie),  oder  sich  gar 
in  dieselbe  hineinbohren  (Baillie,  Hasner).  Es  sind  die  oi'bitalen  Osteome  bald  klein, 
bald  von  bedeutender  Grösse.  Hier  und  da  wurden  deren  gleichzeitig  in  beiden 
Augenhöhlen  beobachtet  {Frank,  H.  Walton,  Howshlp,  Hasner).  Junge  Leute  sind 
häufiger  die  Träger  als  alte,  Weiber  häufiger  als  Männer  {Virchow).  Die  Veran- 
lassung ist  oft  ein  Trauma,  die  Entwickelung  und  Vergrösserung  meistens  eine  sehr 
langsame,  bald  schmerzlose,  bald  mit  überaus  heftigen  Leiden  gepaarte.  In  einzelnen 
Fällen  sollen  sich  Osteome  wieder  zurückgebildet  haben  [Mackenzie),  oder  vom  Mutter- 
boden abgebrochen  und  durch  Eiterung  ausgestossen  (Stanley),  oder  nach  voraus- 
gängigen operativen  Versuchen  cariös  zerstört  und  beseitigt  {Brassant,  Spöring) 
worden  sein. 

7.  Melanome,  deren  charakteristischer  Bestandtheil  stark  pigmenti7-te  Zellen  sind, 
wie  sie  dem  Uvealstroma  zukommen,  finden  sich  als  ausgebreitete  fleckweise,  in 
allen  Schattirungen  des  Braun  und  Schwarz  wechselnde  Färbungen  der  Liddecke, 
der  Sclera  (S.  378)  und  Bindehaut.  Mitunter  kommen  sie  jedoch  auch  in  Form  von 
Geschicülsten  vor,  welche  bald  schwammähnlich  aus  der  Hornhaut  {Langhans),  der 
Bindehaut,  dem  Orbitalgefüge  hervorwaehsen  {Lisfranc,  Cunier),  bald  in  Warzen- 
form an  der  Cornealgrenze  sich  erheben  {Travers,  Ed.  Jaeger,  Hedäus),  bald  endlich 
in  der  Lis  sitzen  {Qraefe). 

8.  Myom.  Es  ist  dasselbe  bisher  nur  einmal  und  zwar  in  Combination  mit 
Sarcom  auf  oculistischem  Gebiete  nachgewiesen  worden.  Es  sass  im  inneren 
Quadranten  des  Ciliarkörpers  und  der  Chorioidea,  verlief  mit  heftigen  Schmerzen 
und  hatte  zwei  Jahre  na,ch  der  Eniicleation  noch  keine  Eecidive  gesetzt.  Der 
Tumor  nahm  die  ganze  innere  Portion  des  Ciliarkörpers  ein,  erschien  im  Durch- 
schnitte weisslich,  faserig,  an  seiner  vorderen  Peripherie  pigmentirt  und  grenzte 
sich  allenthalben  ziemlich  scharf  von  den  nachbarlichen  normalen  Theilen  ab. 
Der  im  Bereiche  des  Ciliarkörpers  gelegene  Theil  bestand  aus  spindeligen  Zellen 
mit  verlängerten  Kernen ,  w  eiche  in  meridional  ziehende  Bündel  geordnet  waren 
und  in  ihrem  Aussehen  ganz  den  glatten  Muskelfasern  entsprachen.  Es  Hess  sich 
in  ihnen  nirgends  eine  Kerntheilung  wahrnehmen.  Die  Zwischenräume  waren  mit 
runden  und  sternförmigen  Bindegewebszellen  und  fein  fibrillirter  Intercellularsubstanz 
ausgefüllt.  Die  äusserste  Peripherie  des  Tumors  bestand  aus  runden  Zellen, 
zwischen  welchen  hier  und  da  stark  pigmentirte  sternförmige  und  spindelige 
Zellen,  mitunter  auch  Bindegewebsfasern  lagen.  Auch  fanden  sich  Capillargefässe 
darin.  In  den  Nachbarportionen  des  Corjjus  ciliare  waren  die  Muskelfasern  ganz 
unverändert  und  dazwischen  lagerten  neoplastische  embryonale  Zellen ;  doch  schon 
2 — 3  Millm.  jenseits  der  Grenzen  des  Tumors  erschienen  sämmtliche  Gefüge  normal 
(Iivanoffj. 

9.  Das  Gliom  oder  der  Markschwamm,  auch  Encephaloid  genannt,  geht 
aus  der  Neuroglia,  dem  interstitiellen  Bindegewebe  der  Netzhaut,  hervor 
und  setzt  sich  aus  einer  dem  letzteren  analogen  Grundsubstanz  und  aus 
zelligen  Elementen  zusammen  (Virchow). 

Die  zelligen  Elemente  bilden  die  Hauptmasse  der  Geschwulst.  Sie  sind  meist 
fein  granulirt,  zart,  rundlich,  sehr  klein  und  enthalten  einen  verhältnissmässig  sehr 
grossen  rundlichen  Kern,  welcher  von  dem  Zellcontour  enge  umschlossen  wird.  In 
anderen  Fällen  erscheinen  sie  etwas  grösser,  ebenfalls  mit  sehr  massigem  Zell- 
körper, welcher  in  der  Regel  eine  runde ,  zuweilen  aber  auch  eine  mehr  unregel- 
mässige, mit  feinen  Fortsätzen  versehene  Gestalt  annimmt.  Hier  und  da  isoliren 
sich  längere  Faserzellen  mit  sehr  langen  Fortsätzen  und  mit  einem  sehr  schlanken 
und  kurzen  Zellkörper.  Auch  hängen  mitunter  mehrere  derselben  unter  einander 
zusammen. 

Die  Intercellidarstibstanz  ist  bald  ganz  weich,  fast  zerfliessend  und  lässt  nach 
künstlicher  Härtung  das  der  Neuroglia  eigenthümliche  feinstfibrilläre  Netzwerk 
erkennen ;  bald  ist  sie ,  wenigstens  in  einzelnen  Abschnitten ,  dicht,  derb  und  in 
Balken  oder  Blätter  geordnet,  welche  eine  mehr  parcdlele,  nicht  netzförmige  Faser- 
streifung mehr  minder  deutlich  erkennen  lassen.  Je  nach  dem  Vorwiegen  dieser 
oder  jener  Art  der  Intercellularsubstanz  und  je  nach  dem  Massenverhältnisse  der- 
selben erweisen  sich  die  Gliome  als  weiche  oder  harte. 


Ulioiii,  weich.,    hart.;    Myxogl. ;    Mcdiilhugl.:    Ciliosarc. ;  (iliofilir. ;    Kndoph.  exoph.  Foriii.      (j  1  1 

Die  rt^eichen  Gliome  roiner  Form  enthalten  m'ds.iige  Quantitäten  der  homogenen 
körnigen  Gnuuisnbstanz  mit  wechsehulen  Mengen  iibrillärer  Theile,  welclie  in  sein- 
reeelmässicje  Netze  angeordnet  sind  und  die  Kerne  und  Zeilen  in  iiiren  Knoten- 
punl<ten  enthalten.  Wächst  die  Weite  der  Maschen  und  häuft  sicli  in  ihnen  Schleim- 
stoft"  an,  was  ziemlich  oft  geschieht,  so  ist  ein  Uehergang  zum  Myxom  gegeben. 
Oft  nehmen  aber  auch  die  zelUgen  Elemente  überhand,  derart,  dass  die  Gritnd- 
substanz  nahezu  verschwindet  und  in  dem  Gefüge  nur  mehr  das  Gezweige  der 
mächtig  verdickten  Gefässe  heraussticlit,  wodurch  leicht  ein  alveolarer  Bau  vor- 
getäuscht werden  kann.  Man  spricht  dann  von  einem  wahren  Medullargliom.  Das- 
selbe kann  seinerseits  wieder  Uehergünge  in  das  Medidlarsarcom  oder  Gliosarcom 
machen,  indem  die  Zellen  an  Grösse  und  innerer  Ausstattung  sich  weiter  ent- 
wickeln. Oft  findet  man  alle  diese  U eher gangs formen  an  einer  und  derselben  Ge- 
schwulst ,  ja  noch  mehr,  durch  überreiche  Entwickelung  von  Gefässen,  welche 
bisweilen  einen  colossalen  Durchmesser  erreichen  {Hirscliherg) ,  können  Theile  des 
Gewächses  das  typische  Bild  des  Blutscltwammes  vorspiegeln.  Die  harten  Gliome 
stehen  den  Fibromen  näher  und  in  einzelnen  Fällen  kann  man  geradezu  von  Com- 
biuationen,  von  Fibrogliomen,  sprechen.  Die  nervösen  Elemente  gehen  in  der  After- 
wucherung immer  unter  (Virchow). 

Das  Gliom  kann  gelegentlich  in  jeder  einzelnen  Schichte  der  Netzhaut 
seine  ersten  Keime  setzen  (Iwanoff).  In  dei*  Regel  scheint  es  von  der 
NeurogUa  der  inneren  Körnerschichte  auszugehen  (Robin,  HirschhergJ,  seltener 
von  der  äusseren  Körner  schichte  (Knapp),  oder  von  dem  Gerüste  der  inneren 
Netzhautschichten ,  insonderheit  der  Nervenfaserlage  (Manfredi ,  Iwanoff'). 
Es  entwickelt  sich  bald  unter  der  Gestalt  kleiner  weisser  oder  grauer 
Stippchen,  welche  sich  weiterhin  vergrössern  und  zu  einem  oder  mehreren 
grösseren  Knoten  anwachsen ;  bald  tritt  es  in  Gestalt  einer  flächenartig 
ausgebreiteten  diffusen  Infiltration  auf,  welche  an  einer  oder  an  mehreren 
Stellen  sich  allmälig  verdickt  und  so  zu  einer  linsen-  oder  fladenförmigen 
Geschwulst  wird. 

Tritt  das  Gliom  primär  in  den  äusseren  Netzhautschicliten  auf,  so  pflegt  es 
alsbald  nach  aussen  durchzixbrechen  (Glioma  exophgtum).  Es  präsentirt  sich  dann 
gewöhnlich  als  ein  umschriebener  Knoten  von  weicher  Cousistenz ,  von  weissem 
oder  weissröthlichem  gefässreichen  Aussehen  und  lappiger  selbst  blumenkohlähnlich 
zerklüfteter  Oberfläche,  welcher  der  meisthin  schon  in  weitem  Umfange  abgehobe- 
nen Netzha^d  von  Aussen  her  aufsitzt.  Die  Elemente  der  Retina  sind  dabei,  soweit 
die  gliose  Infiltration  reicht,  in  der  Regel  bereits  völlig  untergegangen,  während 
die  überlagernden  inneren  Strata  sich  gewöhnlich  lange  im  Zustande  der  Integrität 
erhalten.  Weiterhin  greift  die  gliose  Infiltration  der  Körnerschichten  immer  mehr 
um  sich ,  während  sich  neue  und  neue  Knoten  bilden,  welche  unter  einander  zu- 
sammenfliesseu.  Zuletzt  erscheint  die  Netzhaut  als  ein  dickwandiger,  von  mächtigen 
Knoten  durchsetzter  Trichter,  dessen  spitzes  Ende  mit  dem  Sehnerveneintritte  zu- 
sammenhängt vmd  welcher  bei  fortschreitendem  Wachsthume  schliesslich  die  Glas- 
körperhöhle  völlig  auszufüllen  vermag. 

Entwickelt  sich  das  Gliom  von  den  inneren  Schichten  der  Netzhaut  aus,  so 
zeigt  es  sich  im  ersten  Beginne  öfters  als  eine  diffuse  Infiltration  der  Nervenfaser- 
schichte mit  Auflagerung  glioser  Massen  auf  die  innere  Oberfläche  der  Limitans 
interna.  Diese  Auflagerung  erscheint  anfänglich  als  eine  ziemlich  gleichmässige, 
am  gehärteten  Präparate  gefaserte  Schichte,  in  welche  an  vielen  Stellen  Ausläufer 
der  retinalen  Stützfaseru  eintreten.  Späterhin  verdickt  sich  dieselbe  zu  Stippchen 
und  Knötchen  von  verschiedenem  Caliber,  welche  schon  mit  freiem  Auge  deutlich 
wahrgenommen  werden  können.  Die  Hauptmasse  dieser  Knötchen  wird  von  Gliom- 
zellen  gebildet,  welche  durch  Lücken  der  Limitans  interna  in  unmittelbarem  Zu- 
sammenhange stehen  mit  dem  Gliomlager  der  Nervenfaserschichte  und  offenbar 
aus  dieser  auf  die  freie  Oberfläche  der  Netzhaut  gelangt  sind.  Grössere  Knoten 
erscheinen  übrigens  auch  von  Gefässen  durchsetzt,  welche  aus  den  retinalen 
Stämmchen  ihren  Ursprung  nehmen.  In  anderen  Fällen  entwickelt  sich  das  Gliom 
der  inneren  Netzhaiitschichten  in  Gestalt  umschriebener  Knoten,  welche  erst  bei 
zunehmendem  Wachsthume  sich    allmälig  bis    in  die    innere  Körnerschichte  hinein 

39* 


612  Tumoren;  Nosologie;  Gliom;  TJebergang  anf  den  Sehnerven  und  die  Aderhaut. 

ausbreiten.  Sie  sind  bei  grösserem  Umfange  immer  sehr  gefässreich,  nnd  ihre  klein- 
zelligen Elemente  erscheinen  auf  Durchschnitten  in  concentrischen  Ringen  um  die 
Gefässwandungen  herum  angehäuft.  Bei  fortgesetztem  Wachsthume  pflegen  auch 
diese  Knoten  die  Grenzhaitt.  zu  durchbrechen,  worauf  die  Aftermasse  mit  ihren 
Gefässen  an  der  Innenwand  der  Netzhaut  weiter  wuchert  und  in  Gestalt  eines 
mächtigen  Tumors  den  Glaskörper  allmälig  verdrängt  (GUoma  endophytum,  Iwanoff), 

Die  von  den  inneren  Netzhautschichten  ausgehenden  Gliome  scheinen  Netz- 
hautahhehungen  weniger  zu  begünstigen.  Es  steht  übrigens  dahin,  ob  jene  Pralle,  in 
welchen  die  infiltrirte  Netzhaut  in  Gestalt  einer  Kiigelschale  (Sichel,  Pockels),  oder 
einer  Feige  (Homer)  der  Aderhaut,  anliegend  gefunden  wurde,  den  endophyten 
Gliomen  zugezählt  werden  dürfen. 

Der  Pi'ocess    greift  in  der  Regel    schon   sehr  fx-ühzeitig  theils   durch 

unmittelbare  Fortpflanzung,    theils    durch  Ausstreuung    neuer    Keime    auf  den 

Sehnerven  und   die   Aderhaut  über. 

Im  Sehnerven  bildet  das  Gliom  anfänglich  rundliche  oder  längliche  Herde. 
Dieselben  stellen  sich  auf  Längsschnitten  als  Züge  von  kleinen  Rundzellen  dar, 
welche  zwischen  den  Nervenfaserbündeln  mehr  weniger  weit  sich  nach  Hinten  er- 
strecken. Bei  fortschreitender  Wucherung  gehen  die  Nervenfasern  allmälig  zu 
Grunde  und  der  Orbitaltheil  des  Opticus  schwillt  mehr  und  mehr  an.  Er  erscheint 
dann  bald  walzig,  bald  spindelförmig,  bald  wird  er  unter  beträchtlicher  Flächen- 
vergrösserung  der  Siebhaiit  rosenkelchähnlich  aufgetrieben.  Der  Process  pflanzt 
sich  dabei  häufig  schrittweise,  oder  sprungweise,  d.  i.  durch  Dissemination  von 
Keimen,  auf  den  intracraniellen  Theil  fort,  welcher  dann  nicht  selten  umfangsreiche 
Geschwülste  bildet,  die  für  den  Kranken  meist  binnen  Kurzem  tödflich  werden 
(Mackenzie,  Joffroy).  Nur  ausnahmsweise  bleibt  der  Sehnerve  bei  vorgeschrittenem 
gliösen  Netzhautleiden  unversehrt  oder  geht  atrophisch  unter  (Virchow,  Knapp, 
Schiess-  Gemuseus). 

Der  Uebergang  auf  die  Aderhaut  findet  am  häufigsten  am  Sehnerveneintritte 
statt,  wo  das  Stroma  und  die  Gefässe  der  Netz-  und  Aderhaut  unmittelbar  zixsam- 
menhängen.  In  anderen  Fällen  greift  der  Process  an  Stellen  über,  an  welchen  der 
retinale  Tumor  mit  der  Oberfläche  der  Äderhaut  in  Berührung  steht  und  man 
findet  dann  bisweilen  strangartige  Verbindungen,  aus  Gefässen  bestehend,  deren 
Adventitia  von  einer  dicken  Lage  gliöser  Elemente  überdeckt  ist  (Schiceigger, 
Hirschbery).  Nicht  selten  jedoch  bilden  sich  secundäre  Aderhautherde  auch  an 
Stellen  aus,  welche  von  dem  Netzhauttumor  durch  subretinale  Flüssigkeit  getrennt 
sind.  Die  Uebertragung  geschieht  dann  entweder  durch  die  Gefässe  oder  dadurch, 
dass  von  der  Netzhautgeschwulst  sieh  einzelne  Theile  ablösen,  auf  die  Chorioidea 
fallen  und  hier  in  das  Stroma  hineiniruchern  (Knapp).  Es  zeigen  sich  solche 
secundäre  Aderha^itherde  anfänglich  als  dünne  weiche  weissliche  membrauartige 
Auflagerungen  auf  das  Tapet,  später  als  Rundzellenherde  unter  dem  Aderhaut- 
epithel und  schliesslich  als  flache  scheibenartige  Nester  kleiner  Rundzellen  im 
sonst  völlig  normalen  eigentlichen  Aderhautgefüge  (Knapp).  Indem  von  diesem 
Herde  aus  die  Wucherung  weiter  und  weiter  fortschreitet,  entwickelt  sich  allmälig 
ein  linsen-  oder  kuchenförmiger ,  oder  ein  knollenartiger  Aderhauttumor,  welcher 
gewöhnlich  etwas  derber  i;nd  fester  ist,  als  das  Netzhautgliom  und  in  seinem 
Stroma  meistens  eine  deutlichere  Faserung  erkennen  lässt.  Es  geschieht  dann  bis- 
weilen ,  dass  die  Aderhautgeschwulst  in  ihrem  Wachsthume  wieder  etwas  ztirück- 
hleibt,  während  der  retinale  Tumor  schliesslich  den  ganzen  noch  disponiblen  Glas- 
körperraum ausfüllt,  auch  wohl  gar  die  Linse  dislocirt  oder  zer-stört  und  so  durch 
die  Pupille  in  die  Vorderkammer  hineinwächst  (Weller,  Ammon,  Chelius).  Häufiger 
aber  breitet  sich  der  Aderhauttumor  va^hv  flächenartig  aus,  umgreift  schalenartig 
den  Netzhautbecher  und  schliesst  ihn  endlich  in  Gestalt  einer  mehr  weniger 
dicken,  stellenweise  knollig  aufgetriebenen  Hülse  seinem  grössten  oder  ganzen 
Umfange  nach  ein.  Das  Aderhautgliom  pflegt  unter  solchen  Umständen  im  Be- 
reiche des  Sehnerveneintrittes  mit  dem  Netzhauttumor  zusammenzuhängen,  sonst 
aber  allenthalben  sich  strenge  abzugrenzen,  indem  sich  gewöhnlich  die  Grenzhaut 
mit  Resten  des  Tapetes  und  selbst  die  Choriocapillaris  ziemlich  lange  erhalten. 
Letztere  erscheinen  anf  meridionalen  Durchschnitten  (Fig.  84)  als  eine  dunkle  Linie, 
welche  von  den  Ciliarfortsätzen  beginnend  geschlängelten  Laufes  gegen  den 
Opticuseintritt  hin  streicht.  Nicht  selten  greift  das  Aderhautgliom  an  seiner  vorde- 


Regressive  Metamorphosen. 


613 


ren  Grenze    auch    wohl    auf    das    den  Ciliarkörpcr    mit    der    Sclera    verknüpfende 
Bindegewehe  über,  drängt  das  Corpus  ciliare  an  einer  Stelle  zur  Seite,  oder  consumirt 


Fig.  84. 


letzteres  ebenfalls  imd  gelangt 
so  in  die  Vorderkammer,  welche 
es  bald  gänzlich  ausfüllt. 

Auf  diesem  Punkte 
angelangt  \\\\([  häufig'  auch 
noch  früher  beginuen  ein- 
zelne Theile  der  Aftermasse 
sich  regressiv  zu  metamor- 
phosiren ,  zu  verfettigen,  zu 
verkalken  oder  zu  veröden. 

Die  herdweise  Verfdhmg 
gellt  immer  mit  einer  beträcht- 
lichen Vergrösserung  der  Gliom- 
zellen  einher  und  bedingt  die 
Verwandlung  der  Aftermassen 
in  käsige  Klumpen,  oder  in 
eine  weiche,  schmutzig  weiss- 
gelbe  zerfliessende  eiterähn- 
liche Substanz,  deren  Haupt- 
bestandtheile  Fettkörnchenzel- 
len, Fettkörnchenkugeln  und 
fettiger  Detritus  sind ,  und 
welche  häufig  reichliche  Men- 
gen von  Salzen  in  sandförmigen 
Grumen  enthält.  Eigentliche  cystoide  Ericeiclmngen  (Sichel)  sind  jedoch  selten.  Bis- 
weilen erreichen  die  Coucremente  eine  ansehnliche  Grösse  (Rohin).  Sie  pflegen 
hauptsächlich  aus  phosphorsaurem  und  kohlensaurem  Kalke  zu  bestehen.  Bei  der 
Verödung  zeigen  einzelne  Theile  der  Geschwulst  eine  gelbe  käsige  Beschaffenheit 
xind  lassen  in  ihrem  Bereiche  die  zelligen  Elemente  und  Kerne  geschrumpft  er- 
scheinen. Die  derberen  Bestaudtheile  der  Geschwulst  gewinnen  bei  diesen  Pro- 
cessen manchmal  ein  sehnen-  oder  selbst  knorpelähnliches  Aussehen  und  bilden 
Blätter  oder  ein  Balkenwerk,  in  welchem  die  fettigen  sandigen  oder  käsigen  Reste 
der  zerfallenen  Massen  lagern,  und  welches  streckenweise  im  Laufe  der  Zeiten  zu 
verknöchern  vermag. 

Man  glaubt  auf  Grundlage  neuerer  Beobachtungen  behaupten  zu 
dürfen,  das.s  auf  diesem  Wege  der  gliomatöse  Process  kaum  jemals  wirklich 
und  dauernd  abgeschlossen  werde,  obgleich  einige  ältere  Erfahrungen  dafür 
zu  sprechen  schienen.  So  viel  steht  fest,  dass  partielle  Rückgänge  des 
Glioms  in  der  Regel  entweder  gar  keinen  oder  doch  nur  einen  sehr 
vorübergehenden  Stillstand  in  dem  Wachsthume  der  Geschwulst  als  Ganzen 
mit  sich  zu  bringen  pflegen.  Immerhin  kommen  Stillstände  vor,  welche 
bisweilen  Monate,  ja  selbst  Jahre  lang  anhalten.  Sie  sind  öfters  in  Zu- 
sammenhang zu  bringen  mit  entzündlichen  Zufällen,  welche  sich  gemeinigüch 
unter  dem  Bilde  der  Iridochorioiditis  geltend  machen.  Der  Bulbus  wird 
dann  manchmal  nach  Beschwichtigung  des  entzündlichen  Anfalles  in  sehr 
auffälligem  Grade  weich,  welk  oder  schrumpft  wohl  gar  merklich  zusam- 
men, und  man  kann,  falls  die  Gelegenheit  sich  bietet,  in  seinem  Inneren  die 
Producte  als  hintere  Synechien,  iridokyklitische  Schwarten,  verknöchernde 
Schalen  an  der  Oberfläche  der  Chorioidea  u.  s.  w.  nachweisen  (Schiess- 
Gemuseus,   Hirschberg,   Knapp). 

In  einzelnen  Fällen  hat  man  solche  transitorische  Atrophien  des  Bulbus 
loiederholt  auftreten,  d.  i.  mit  Episoden  wechseln  gesehen,  in  welchen  der  welk 
gewordene  Bulbus  sich  wieder  füllte  und  zu  erhöhter  Spannung  gelangte,  während 
die  Afterwucherung  einen  Aufschwung  nahm  (Knapp). 


614 


Tumoren ;  Nosologie ;  Glioma  retinae  ;  Durehbiuch. 


In  dei"  Mehrzahl  der  Fälle  jedoch  fehlen  auch  zeitweilige  Stillstände 
gänzlich,  das  intraoculare  Gliom  wuchert  fort  und  fort,  zerstreut  seine 
Keime  und  bricht  endlich  durch. 

Die  Perforation  erfolgt  gemeiniglich  durch  die  Hornhaut,  seltener 
durch  die  Sclerotica,  oder  durch  die  Scheide  des  bereits  infiltrirten  Opticus 
(Hulke,   Hirschberg,    Neumann). 

Die  Zerstörung  der  Cornea  wird  bisweilen  durch  neuroparalytiache  Ulcerationen, 
gewöhnlich  aber  durch  Fortschreiten  einer  Panojjhfhalmifis  auf  die  Hornhaut  ange- 
bahnt,   oder  es  wächst    die  die  Vor- 
'^'      ■  derkammer  bereits  erfüllende  Gliom- 

masse in  das  Comealgefilge  hinein 
(Hirschherg)  und  consumirt  es  bis 
auf  den  letzten  Rest.  Ist  die  After- 
niasse  solchergestalt  aus  der  vorderen 
Scleralöffnuiig  hervorgetreten,  so  wird 
das  M^achsthum  gewölinlich  ein  über- 
aus rasches ,  binnen  Kurzem  ist  das 
Gliom  zu  einem  mächtigen  Tumor 
aufgeschwollen,  welcher  mit  hais- 
förmig  eingeschnürter  Basis  aus  der 
vorderen  Scleralöffnuiig  hervorquillt 
(Fig.  85),  eine  dnnkelrothe  Farbe 
annimmt ,  leicht  blutet  und  unter 
fortgesetzter  Massenzunahme  meistens 
bald  die  Kräfte  des  Kranken  auf- 
reibt. Der  Bulbus  bewahrt  bei  diesen 
Processen  oft  lange  seine  natürliche 
äussere  Form.  Oft  wird  indessen  die 
vordere  Sderalöffnvng  unter  dem 
Drucke  des  hervorquellenden  Pseudo- 
plasma  sehr  stark  ausgeweitet  und  die 
Lederhaut  bildet  einen  walzlichen 
Becher,  eine  Glocke  oder  gar  eine 
tellerförmige  Schale. 

Der  Dnrchhruch  durch  die  Scle- 
rotica wird  bisweilen  dadurch  ermög- 
licht, dass  sich  unter  entzündlichen 
Erscheinungen  Scleralecfasien  ent- 
Ausnahmsweise  ist  eine  zufällige  oder  operative 
Perforafionswunde  der  Lederhaut  der  Weg,  auf  welchem  die  Aftermasse  nach  aussen 
tritt  (Greeve).  In  der  Pegel  jedoch  erfolgt  der  Durchbruch  der  Sclera,  ebenso  wie 
jener  der  Opticvsscheide,  indem  diese  Häute  vom  Gliome  durchwachsen  werden.  Diese 
Durchwachsung  geschieht  sehr  wahrscheinlich  immer  in  der  Richtung  von  innen 
nach  aussen.  Das  Gefüge  der  Lederhaut  oder  Opticusscheide  wird  nämlich  au 
Stellen,  an  welchen  es  mit  der  im  Binnenraume  oder  im  Opticusmarke  wuchernden 
Aftermasse  in  unmittelbarer  Berührung  steht,  von  Gliomzellen  durchsetzt,  es  bilden 
sich  förmliche  Nester,  welche  die  normalen  Elemente  auseinander  drängen,  in 
der  Dicke  der  Lederhaut  nicht  selten  taschenförmige  Räume  ausweiten  und  schliess- 
lich nach  aussen  perforiren. 

Nach  dem  Durchbruche  wächst  der  Tumor  an  der  äusseren  Wand 
des  Bulbus  oder  des  Opticus  gewöhnlich  in  der  kürzesten  Zeit  zu  beträcht- 
lichem Umfange  heran,  verdrängt  die  Orbitalgebilde  oder  wächst  in  sie 
hinein  und  zerstört  sie  in  grosser  Ausdehnung. 

Sehr  häufig  bilden  sich  auch  secundäre  Herde  im  Episcleralgewebe 
oder  an  der  äusseren  Oberfläche  der  Opticusscheide,  welche  mit  dem 
intraoculären  Markschwamme  primär  nirgends  im  Zusammenhange  stehen 
und  daher  unzweifelhaft  auf  Keime  zurückgeführt  werden  müssen,  welche 
durch  die    Gefässe  verführt  worden   sind. 


wickeln,  welche  bersten  (Lerche). 


Seouudare  Hfide  in  d.  (hl)ita  u.  il.  Naclilmrliöhleii  ;  Kociiliviiciides  Orbitalgliom.  f)15 

Sie  zeigjPii  sich  öfters  schon  sehr  frühzeitijr,  pjreifcii  bisweilen  sehr  tief  ein 
in  die  Dicke  der  Ledcrluiut  und  OpticussclieicU-,  verdünnen  dieselben  streckenweise 
auf  ein  Miniuuun,  dürften  jedoch  nach  zahlreichen  Beobachtung'cn  kaum  jemals 
nach  innen  hin  förmlich  durchbrechen  und  so  in  die  Höhlung  des  Augapfels  oder 
des  Opticus  hineinwachsen.  Es  ist  bald  ein  einzelner  Knoten,  bald  eine  Mehrzahl 
derselben.  Man  hat  den  Orbitaltheil  des  Sehnerven  seiner  ganzen  Länge  nach 
von  zahlreichen  gliosen  Knoten  durchsetzt  gefiniden  (Bader).  Es  zeigen  solche 
extraoculäre  Knoten  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  eine  Vorliebe,  sich  flächenartig  an 
der  Obertläche  der  Lederhaut  und  Opticusscheide  auszubreiten,  indem  sie  den 
Bulbus  und  den  Opticus  nicht  selten  auf  grosse  Strecken  hin  schalenartig  umhüllen. 

Oft  entwickeln  sich  seeundäre  Gliomherde  auch  im  Orbitalgewehe. 
Sie  erscheinen  anfäng-lich  knotig,  greifen  aber  rasch  weiter  und  consumiren 
heteroplastisch  die  einzelnen  Gebilde ,  Nerven,  Muskeln  ,  Thränendrüse. 
Sie  werden  dabei  gerne  grosszellig  und  gewinnen  solchermassen  den 
Charakter  des  Gliosareoms.  Falls  sie  bei  ihrem  Wachsthume  auf  Knoten 
stossen,  welche  der  Episclera  oder  Opticusscheide  aufsitzen  oder  durch 
diese  von  innen  her  durchgebrochen  sind,  pflegen  sie  rasch  mit  ihnen  zu 
verschmelzen.  Das  orbitale  Gliom  bildet  schliesslich  nicht  selten  einen 
förmlichen  Abguss  der  Augenhöhle,  drängt  wohl  auch  deren  Wandungen 
auseinander  oder  usurirt  sie  bis  zu  wirklichen  Defecten,  führt  zu  cariöser 
Zerstörung  derselben  (Hasse,  Lincke) ,  oder  geht  unmittelbar  auf  den 
Knochen  über  (Brodowski)  und  schafft  sich  so  Wege  in  die  Nachbarhöhlen. 
Manchmal  greift  das  Gliom  auch  durch  die  Fascia  tarsoorbitalis  auf  die 
Lider  über  oder  entwickelt  daselbst  neue  seeundäre  Herde. 

Den  gleichen  Gang  verfolgen  auch  die  recidivirenden  gliösen  Orhitalgeschwülste, 
welche  in  der  Regel  von  dem  Opticusstumpfe  ausgehen,  denselben  mächtig  auf- 
treiben, schliesslich  durchbohren  und  auf  das  umgebende  Orbitalgefüge  übergehen, 
oft  aber  a\ich  ihren  Ursprung  von  dem  Fettpolster  der  Orbita,  selbst  von  den 
Knochenvvandungen  und  Lymphdrüsen  aus  nehmen,  nebenbei  nicht  selten  Herde 
in  den  Lidern  setzen  und  in  der  Regel  überaus  rasch  zu  bedeutendem  Volumen 
heranwachsen.  Sie  sind  gewöhnlich  auch  kleinzellig,  bisweilen  sogar  dann,  wenn 
die  primäre  Geschwulst  grosszellig  war,  also  in  die  Kategorie  der  Gliosarcome  ge- 
hörte (Hirschherg). 

Greift  das  orbitale  Gliom  durch  die  Decke  der  Augenhöhle  hindurch, 
sei  es,  dass  daselbst  sich  ein  wirklicher  Defect  gebildet  hat,  oder  dass  die 
Knochenwandungen  selbst  den  Ausgangspunkt  secundärer  glioser  Herde 
abgaben,  so  erfolgt  in  der  Regel  bald  der  Tod,  indem  sich  die  Geschwulst 
innerhalb  der  Schädelhöhle  rasch  zu  vergrösseru ,  neue  Tochterherde 
anzubilden  und  so  das  Gehirn  mehr  und  mehr  zu  verdrängen  pflegt. 
Doch  ist  dies  nicht  der  gewöhnliche  Weg ,  auf  welchem  das  Gliom 
in  das  Cavum  cranii  vordringt ;  dieser  führt  den  Opticus  entlang.  In  der 
That  schwillt  der  Sehnerv  nicht  nur  häufig  zu  colossalen  Dimensionen 
an,  sondern  umgibt  sich  mit  zahlreichen,  rasch  wachsenden  disseminirten 
Herden,  welche  sich  meistens  besonders  in  der  Gegend  des  Türkensattels 
anhäufen,  mitunter  jedoch  auch  bis  in  das  Bückenmark  vordringen  (Reckling- 
hausen, Knapp)  und  manchmal  sich  auch  als  neuromähnliche  Anschwellun- 
gen in   anderen  Hirnnerven  localisiren   (Hjort  Heiberg,   Recklinghausen). 

Neben  diesen  mehr  localen  Keimverstreuungen  kommen  nicht  selten 
seeundäre  Herde  auch  in  entfernteren  Körpertheilen  vor  und  zeugen  entschie- 
den für  die  Bösartigkeit  des  Glioms.  Man  findet  solche  Metastasen 
gelegenthch  in  jedem  beliebigen  Körpertheile,  die  entferntesten  Partien  des 
Knochenskeletes  nicht  ausgenommen. 


616         Tumoren;  Nosologie;  Gliom;  Metastasen;  Binoculäres  Auftreten;  Aetiologie;  Sarcom. 

Insbesondere  sind  die  Lymphdrüsen  in  der  Gegend  der  Parotis  und  des 
Unterkleferioinkels  (Knapp),  welche  mit  dem  Bulbus  durch  Lymphvvege  zusammen- 
hängen, als  öfterer  Sitz  secundärer  Herde  zu  nennen.  Weniger  oft  betheiligen  sich 
die  Lymphdrüsen  am  Halse,  im  Gekröse  u.  s.  w.  Von  Eingeweiden  scheint  nach 
den  bisherigen  Erfahrungen  die  Leher  am  meisten  disponirt  zu  sein.  Ausnahms- 
weise hat  man  gliose  Herde  aber  auch  in  der  Niere ,  in  den  Ovarien  (Heymann, 
Fiedler),  in  dem   Uterus  (Mackenzie)  u.  s.  w.  gefunden. 

Das  retinale  Gliom  greift  in  etwa  einem  Fünftheile  der  Fälle 
(Hirschherg)  auf  das  ziueite  Auge  über.  Sehr  ausnahmsweise  bildet  dann 
das  Chiasma  die  Brücke  (Hjort  Heiberg,  GreeveJ,  oder  es  bricht  die  After- 
masse vom  Gehirne  aus  in  die  zweite  Orbita  und  treibt  daselbst  den  Bulbus 
heryor  (Lawrence).  Ln  der  Regel  ist  es  ein  neuer  Herd ,  welcher  sich  im 
zweiten  Bulbus  durch  Dissemination  entwickelt  und  seine  Phasen 
durchmacht. 

Das  Güoma  retinae  ist  im  Ganzen  ein  nicht  gar  seltenes  Leiden, 
denn  es  wird  in  0,05  "/q  der  Augenkranken  beobachtet  (Hirschberg).  Man  kann 
es  im  ganz  eigentlichen  Wortsinne  eine  Krankheit  des  Kindesalters  nennen 
(Mackenzie),  wenigstens  ist  bisher  kein  unzweifelhafter  Fall  von  retinalem 
Markschwamme  bei  einem  Individuum  jenseits  des  zwölften  Lebensjahres 
beobachtet  worden  (Hirschberg).  Das  Lebensalter,  in  welchem  das  Gliom 
beginnt,  umfasst  die  ganze  Zeit  von  der  Geburt  bis  zu  der  genannten 
Periode.  Wiederholt  ist  es  bereits  an  Neugebornen  gefunden  worden 
(Sichel,  Virchow,  Knapp  u.  A.),  so  dass  man  seine  Eutwickelung  ivährend 
dem  Fötalleben  annehmen  muss.  In  mehreren  Fällen  wurde  es  bei 
mehreren  Kindern  derselben  Ellern  gesehen  (^Lerche,  Sichel,  Graefe).  In 
Betreff  des  Geschlechtes  ist  ein  geringes  Uebergewicht  bei  Knaben  nachge- 
wiesen worden  {Hirschberg).  Specielle  ätiologische  Momente  sind  unbekannt. 
Eine  objectiv  wahrnehmbare  Kakochymie  oder  sonstige  fehlerhafte  Diathese 
liegt  gewiss  nicht  zu  Grunde.  Im  Gegentheile  lässt  die  grösste  Mehrzahl 
der  ergriffenen  Kinder  durch  ihr  blühendes  Aussehen  und  das  höchst 
befriedigende  Allgemeinbefinden  auf  normale  Nutritionsverhältnisse  schliessen. 
Eben  so  wenig  sind  äussere  Schädlichkeiten,  Traumen  etc.  einer  Einfluss- 
nahme  auf  das  Zustandekommen  des  retinalen  Markschwammes  zu 
beschuldigen  {Hirschberg). 

10.  Das  Sarcom  wechselt  in  seiiier  äusseren  Erscheinung  ganz  ausser- 
ordentlich und  wurde  daher  unter  den  verschiedensten  Titeln ,  als  fibro- 
plastisches,  medulläres,  melanotisches  Sarcom  oder  Carcinom,  als  Speckgeschwulst, 
Markschwamm,  fibröser  Polyp  u.  s.  w.  beschrieben.  Sein  Gefüge  nähert  sich 
dem  Typus  bald  dieser,  bald  jener  Gruppe  des  Bindegewebes,  bildet  gleich- 
sam Uebergänge,  so  dass  man  fibröse,  mucöse,  gliose,  melanotische,  Knorpel- 
und  Knochensarcome  zu  unterscheiden  veranlasst  ist.  Doch  ist  ihm  die 
vorwiegende  Entwickelung  der  zelligen  Elemente  eigenthümlich.  Diese 
zeigen  noch  die  bekannten  Formen  der  Bindesubstanzgebilde  ,  aber  gewisser- 
massen  in  hypertrophirtem  Zustande.  Sie  verharren  auch  in  dieser  Eigen- 
schaft, ohne  in  ihrer  Entwickelung  zu  vollendetem  Bindegewebe  weiterzu- 
schreiten. Andererseits  sind  dieselben  mit  der  Intercellularsubstanz  noch 
zu  einer  relativ  festen  und  in  sich  cohärenten  Structur  vereinigt  ,  welche 
Gefässe  in  sich  aufnimmt  und  in  contivuirlichem  Zusammenhange  mit  den 
nachbarlichen  Geweben  der  Bindesubstanz  steht ,  was  eine  wesentliche 
Differenz  den  Epithelformationen,  namentlich  aber  allen  Krebsen  und  cysti- 
schen   Geschwülsten  gegenüber  ergibt.      Die  Intercellularsubstanz    tritt    zudem 


Sarcom;  Medulläre,  melanotische  Form;  Netz-,  Spindel-,  Kund-,  Riesenzellensarc.  617 

häuii"'  sehr  stark  zurücl",  wälirend  dio  Zellen  überhand  nehraen  vind  erstere 
fast  ganz  decken.  Das  Sarcom  erhält  solchermassen  ein  markähnliches  Aus- 
sehen, wird  medullär,  oder,  falls  die  Zellen  mit  Pigment  reichlich  geschwängert 
sind,  melanotisch  (  Virchow). 

Die  sei/igen  Elemente  sind  bald  .sfernförnrnj ,  bald  spinde/lff,  bald  rnndlicli. 
Letztere  gedeihen  nicht  selten  zn  ganz  kolossalen  Grössen,  wo  sie  dann  eine  Un- 
zahl von  Kernen  führen.  Je  nach  dem  Vorherrschen  dieser  oder  jener  Zellenart 
werden  daher  anch  Netz-,  Spindel-  Rund-  und  RiesenzeUensarcome  unterschieden. 
Die  ersteren  nähern  sich  den  einfachen  Gewächsen  der  Biudegewebsreihe  am  meisten 
und  wären  von  ihnen  kaum  zu  iinterscheiden,  wenn  sich  nicht  sehr  häufig  Ueher- 
gänge  zu  Spindel-  und  Kundzellensarcomen  fänden,  die  Zellen  gewöhnlich  stärker 
entwickelt  und  an  Masse  derart  überwiegend  wären,  dass  die  Intercellularsubstanz 
nur  mit  Noth  nachzuweisen  ist.  Zumal  pigmentirte  Sternzellen  entwickeln  sich 
nicht  selten  in  solcher  Masse  und  zu  so  bedeutender  Grösse,  dass  man  zuletzt  fast 
nichts,  als  dicke  schwarzbraune  Pigmenthaufen  sieht.  —  Die  S2)indelzeUensarcome 
(ßJ>roplastischen  Geschicillste)  sind  überaus  scharf  charakterisirt  durch  die  eigen- 
thümliche  Form  der  Zellen,  welche  langgestreckt  sind,  an  beiden  Enden  in  fädige, 
bei  üppiger  Wucherung  wohl  auch  verzicelgle  P^ortsätze  auslaufen  und  einen  läng- 
lichen eiförmigen  Kern  führen.  Sie  sind  oft  stark  pigmentirt  und  im  Allgemeinen 
sehr  zerbrechlich,  so  dass  man  oft  freie  Kerne  im  Gefüge  zerstreut  sieht.  Es  lagern 
diese  Zellen  bald  in  reichlicher  Intercellularsubstanz,  bald  rücken  sie  so  nahe  an 
einander,  dass  letztere  fast  ganz  verschwindet.  Durch  nahes  Zusammentreten  und 
parallele  Axenrichtung  bilden  sie  häufig  blätter-,  bündel-  oder  balkenförmige  Züge, 
welche  sich  mitunter  kreuzen  und  im  Ganzen  einen  wesentlichen  Einfluss  auf  das 
makroskopische  Verhalten  des  Gewächses  ausüben.  —  Die  Rundzellensarcome  wer- 
den fast  durchwegs  mit  medullären  und,  falls  sie  viel  Pigment  führen,  mit  vielano- 
ti'icJien  Krebsen  zusammengeworfen.  Die  Aehnlichkeit  ist  auch  eine  überaus  grosse, 
wenn  dicht  verzweigte  Gefässe  oder  Reste  des  Mutterbodens  einen  alveolaren  Bau 
vortäuschen.  Doch  tragen  die  Zellen  beim  Sarcom  eben  nicht  den  epithelialen  Cha- 
rakter, sie  sind  nicht  platt,  sondern  rund,  eiföi'mig  oder  höchstens  linsenförmig; 
lagern  auch  nicht  grupjjenioeise  in  Lücken  der  Intercellularsubstanz,  sondern  sind 
allenthalben,  wenn  auch  von  minimalen  Quantitäten  der  letzteren,  umgeben.  Ihre 
Zerstörbarkeit  ist  eine  aussergewöhnlich  grosse,  so  dass  freie  Kerne  in  den  Präpa- 
raten sehr  reichlich  vertreten  zu  sein  pflegen.  Diese  Kerne  sind  gewöhnlich  ver- 
hältnissmässig  gross  und  mit  mächtigen  Kernkörperchen  versehen.  Man  findet  der- 
lei Rundzellen  gelegentlich  in  jeder  Form  des  Sarcoms.  Häufig  sind  dieselben  seh7- 
klein,  die  Geschwulst  bildet  einen  Uebergang  in  das  Oliosarcom.  In  anderen  Fällen 
erscheinen  sie  grösser,  werden  mehrkernig  und  gelangen  durch  zahlreiche,  oft  in 
demselben  Präparate  nebeneinander  bestehende  Uebergänge  zu  ganz  erstaunlichem 
Umfange.  Fallen  solche  Riesenzellen  aus  dem  Stroma  heraus,  so  kann  ebenfalls  ein 
alveolares  Aussehen  begründet  werden ,  doch  lagert  eben  nur  eine ,  nicht  mehrere 
grosse  Zellen  oder  ganze  Haufen,  in  den  einzelnen  Lücken  (Virchoiv). 

Die  Tnfercellularsubsfanz  ist  selten  rein  bindegeivebig ,  leimgebend,  meistens 
enthält  sie  albuminose,  caseinöse  oder  mucinose  Bestandtheile.  Wo  sie  in  grösserem 
Massenverhältnisse  auftritt,  wird  sie  mitbestimmend  für  den  Artunterschied  des 
Sarcomes.  Sie  ist  bisweilen  fibrillär  und  stempelt  das  Sarcom  zu  einem  Fibro- 
sarcom.  In  anderen  Fällen  ist  sie  körnig.  Es  kömmt  dies  am  häufigsten  bei  den 
Gliosarcomen  und  bei  manchen  kleinzelligen  Myxosarcomen  vor.  Häufig  endlich  er- 
scheint sie  homogen  iind  zwar  als  eine  hyaline  gallertige  Schleimmasse,  welche  von 
einer  gewissen  Menge  breiter  und  dunkler  Fasern  durchzogen  ist  (bei  manchen 
Myxosarcomen),  oder  überaus  dicht  und  fest,  fast  knorpelähnlich.  Die  letzteren 
Eigenschaften  hat  sie  dann  entweder  von  vorneherein,  oder  gewinnt  sie  durch  eine 
Art  Sclerose  fibrillärer  oder  schleimiger  Massen.  Es  geht  eine  solche  Verdichtung 
in  der  Regel  der  Verkalkung  und  Verknöcherung  voraus  und  bildet  den  gewöhn- 
lichen Entwickelungsgang  der  Osteosarcome  (Virchoiv). 

Alle  Sarcome  enthalten  Gefässe.  Dieselben  wachsen  aus  dem  MxMerboden  in 
das  Aftergebilde  hinein  und  verzweigen  sich  darin  bald  zu  schütteren,  bald  zu 
übei-aus  dichten  Netzen  (Wedl).  In  manchen  Fällen  sind  die  Gefässe  so  reichlich 
vertreten,  dass  sie  geradezu  an  Masse  vorherrschen  und  vermöge  ihrem  beträcht- 
lichen Caliber  der  Geschwulst  grosse  Aehnlichkeit  mit  Blutschwämmen  verleihen 
(Sarcoma  telangiektodes  oder  cavernosumj.    Selbstverständlich    begünstigt    die  Anwe- 


618  Tumoren;  Nosologie;  Sarcom  ;  Knotige,  diffuse  Form;  Cystosarcom;  Combinationen. 

senheit  zalilreicher  Gefässe  das  rasche  Wachstlnun  und  den  Saftgelialt,  folgerecht 
also  auch  die  Infectionsfäliigkeit  der  Geschwulst.  Ist  diese  bereits  blosgelegt,  so 
wird  auch  das  Nässen,  so  wie  das  Bluten  derselben  dadurch  gefördert.  Es  erfolgen 
Haemori-liagien  bald  nach  aussen,  bald  nach  innen.  Iin  letzteren  Falle  können  sie 
eine  schnelle  Vergrösserung  des  Tumor  begründen  und  vermöge  der  allmäligen 
Umwandlung  des  Extravasates  in  Pigmentkörner  auch  melanoHsche  Färbungen 
veranlasse7i. 

Das  Sarcom  entwickelt  sich  meistens  in  Form  von  Knoten,  welche 
unter  Umständen  sehr  beträchtliche  Durchmesser  erlan2;en  können  und 
durch  Anschiessen  neuer  Herde  leicht  ein  lappiges  Aussehen  erhalten. 
Wuchern  solche  Geschwülste  an  Oberflächen,  so  treten  sie  gerne  über  die- 
selben hervor  und  werden  auf  Häuten  oft  polypenähnlich  oder  schwamm- 
förmig.  Seltener  erscheint  das  Sarcom  diffus  im  Inneren  eines  Organes 
nach  der  Art  eines  Infiltrates  oder  einer  Hypertrophie.  Sind  drüsige  Organe 
der  Sitz  ,  so  können  die  natürlichen  Höhlen  und  Kanäle  derselben  auf 
mechanischem  Wege  erweitert  und  der  Begriff  eines  Cystosarcomes  erschöpft 
werden   (Virchow). 

Es  ist  ein  solcher  Zustand  wohl  zu  unterscheiden  von  jenem,  wo  ein  Sarcom 
in  der  Wand  einer  bereits  bestehenden  Cyste  auftritt  und  allenfalls  in  sie  hinein- 
wächst; oder  wo  ein  Sarcom  durch  partielle  Erweichung  und  Verflüssigimg  seines 
Gefüges  Höhlungen  bekömmt;  oder  sich  mit  einer  derben  Hülle  überkleidet,  gleich- 
sam incajjstdirt  wird. 

Es  gehen  die  Sarcome  mit  entschiedener  Vorliebe  aus  dem  Binde- 
geiuehe  im  engeren  Wortsinne  hervor.  Sie  können  jedoch  auch  jedem  anderen 
zur  Bindesubstanzreihe  gehörigen  Gefüge  entspriessen ,  und  dann  pflegen 
sich  im  Gewächse  die  besonderen  Eigenthümlichkeiten  der  Matrix  theilweise 
zu  wiederholen ,  so  dass  das  Sarcom  je  nach  der  speciellen  Art  seines 
Keimbodens  sich  zum  fibrösen,  mucösen,  gliosen,  knorpeligen,  knocliigen, 
melanotischen  Sarcom  ausbildet.  Immerhin  ist  ein  solches  Anlehnen  an 
den  Typus  des  Mattergewebes  keine  durchgreifende  Regel.  Zudem  ist  auch 
die  Combinationsfähigkeit  des  Sarcoms  eine  sehr  grosse;  nicht  selten  kann 
in  einer  und  derselben  Geschwulst  eine  Mehrzahl  von  Gewächsarten  nach- 
gewiesen werden,  welche  dann  nicht  einmal  stets  der  Bindesubstanzreihe 
angehören. 

So  sieht  man  gar  nicht  selten  die  Elemente  des  Krebses  neben  jenen  des 
Sarcoms  aus  der  Matrix  hervorwuchern  (Virchow).  Die  ersteren  ordnen  sich  dann 
bisweilen  innerhalb  der  sarcomatösen  Geschwulst  zu  schlauchartigen,  vielfach  unter 
einander  anastomosirenden  Zügen  mit  zapfen-  und  kolbenähnlichen  Auswüchsen 
und  stellen  so  ein  cancroides  Gebilde  dar,  welches  vielfach  unter  dem  Namen  Ade- 
noid beschrieben  wird  (RecMinghausen,  Hirschberg).  In  anderen  Fällen  findet  man 
hyaline,  vielfach  verzweigte,  plexusartig  unter  einander  anastomosirende  Stränge 
von  flbrocartilaginösem  Gefüge,  deren  Grundlage  offenbar  Gefässe  sind  und  welche 
neuerer  Zeit  als  der  charakteristische  Bestandtheil  der  plexiformen  Tumoren  (Bill- 
roth, Czexny)  aufgefasst  werden. 

Die  Sarcome  sind  keineswegs  gutartige  Geschwülste,  welche  blos  local 
wiederkehren.  Ihre  Infectionsfähigkeit  ist  vielmehr  eine  überaus  stark  ausge- 
sprochene. Past  allgemein  findet  sich  die  continuirliche  Infection  der  Nachbar- 
schaft, und  zwar  schreitet  die  Wucherung  vorerst  im  homologen  Gefüge 
weiter,  geht  dann  aber  ganz  gewöhnlich  auf  heterologe,  in  organischem 
Zusammenhange  stehende  Theile  über.  Nur  die  Knorpel  und  im  geringeren 
Grade  auch  die  fibrösen  Häute  widerstehen  längere  Zeit,  bilden  gleichsam 
eine  Schranke.  Später  kömmt  es  sehr  oft  auch  zur  discontinuirlichen 
Infection,    es  entwickeln    sich  vorerst    neue  Herde     in    der  Nähe,    oder  es 


Bösartigkeit;  Disseininationen ;  Stillstände;  Regressive  Metamorphosen.  619 

treten  nach  Art  der  Aletastnsen  Knoicii  in  den  TTungon,  vornchmlic.li  aber 
in  der  Leber,  Niere,  dem  Gehirne  u.  s.  \v.  auf.  Es  pÜanzen  sich  dabei 
die  EiqenthümUchkeiten  des  Primärherdes  .^ehr  häufig  auf  die  'rochterknoten 
fort;  primäre  Melanosarcome,  MeduUarsarcome,  Osteosarcome  etc.  erzeugen 
durch  Infeetion  gewöhnlich  wieder  melanotische,  medulläre,  osteoide  u.  s.  w. 
Producte  {Virchow). 

Der  Umstand,  dass  bei  diesen  Disseminationeu  die  Lymphdrüsen  sehr  häutig 
frei  bleiben,  zeichnet  die  Sarcome  einigermassen  unter  den  übrigen  malignen  Ge- 
wächsen aus;  lässt  ausserdem  aber  vermuthen,  dass  die  Verführung  des  Samens 
nicht  sowohl   durch  die  Lymphwege,  als  durch  das  Blut  geschehe. 

Es  offenbart  sich  der  maligne  Charakter  der  Sarcome  indessen  nicht 
immer  gleich  von  vorneherein.  Die  meisten  haben  eine  unschuldige  Periode, 
während  welcher  sie  auf  den  Mutterboden  gebannt  bleiben  und  überaus 
langsam,  oft  auch  mit  langen  Stillständen,  wachsen  ;  ja  manche  bestehen 
in  ihrer  Anlage  seit  Jugend  oder  sind  gar  angeboren  und  werden  erst  im 
reifen  oder  im  Greisenalter  unter  plötzlicher  Yolumszunahme  bösartig. 
Auch  ist  nicht  jede  Art  des  Sarcoms  in  gleichem  Masse  infectiös.  Am 
wenigsten  scheinen  dies  ganz  harte  Fibrosarcome  zu  sein.  Doch  kommt 
auch  diesen  ein  gewisser  Grad  von  Ansteckungsfähigkeit  zu,  wie  daraus 
hervorgeht,  dass  sie  trotz  scheinbarer  völliger  Exstirpation  öfters  recidiviren 
und  dies  zwar  bisweilen  mit  verändertem  histologischen  Charakter,  in 
medullärer  Form  u.  s.  w.  {Hirschberg).  Im  Uebrigen  sind  grosszellige 
Sarcome,  auch  wenn  sie  weich  sind,  insbesondere  die  Spindel-  und  Riesen- 
zellensarcome,  minder  verderblich,  als  die  Jcleinzelligen.  Am  schlimmsten  unter 
allen  sind  die  melanotischen,  welche  eben  zumeist  nichts  als  pigmentirte 
medulläre  Formen  darstellen.  Von  hohem  Belange  sind  weiters  der  Sitz 
und  das  Verhältniss  des  Gewächses  zum  Gefäss-  und  Lymphsysteme.  Orbitale 
Sarcome  erzeugen  erfahrungsmässig  viel  rascher  Tochterherde  und  werden 
auch  viel  schneller  disseminirt,  als  gleichartige  intraoculare  Tumoren,  welche 
häufig  lange  im  Augapfel  abgeschlossen  bleiben,  üeberall  ist  das  bereits 
merkbare  Uebergehen  auf  heterogene  Gewebsarten  und  noch  mehr  eine  etwa 
schon  erfolgte  Durchbohrung  derber  -widerstandsfiihiger  Scheidewände,  z.  B. 
der  Cornea,  Sclera,  ein  Zeichen  der  übelsten  Bedeutung,  insoferne  unter 
solchen  Umständen  fast  constant  Infectionen ,  selbst  entlegenerer  Theile, 
bereits  stattgefunden  haben. 

Uebrigens  schreitet  das  Sarcom  nicht  alleraal  ganz  stetig  seinen  Aus- 
gängen zu.  Gar  oft  werden,  namentlich  im  Binnenraume  des  Augapfels, 
Biickbikhingen  beobachtet.  Es  beschränken  sich  dieselben  nicht  selten  aixf 
Theile  der  Geschwulst,  der  Eest  derselben  wuchert  um  so  üppiger  weiter; 
falls  aber  auch  der  Rückgang  den  ganzen  Tumor  beträfe,  ist  damit  häufig 
nur  ein  zeitweiliger  Stillstand  des  Processes  gegeben,  indem  über  kurz  oder 
lang  die  Afterbildung  sich  wieder  geltend  macht  und  dann  gewöhnlich 
mit  äusserster  Bösartigkeit  ihre  Ziele  verfolgt.  Es  wird  die  regressive 
Metamorphose  durch  Verfettigung  der  zelligen  Elemente  eingeleitet,  welche 
letztere  sich  nach  und  nach  in  Fettkörnchenzellen,  Fettkörnchenkugeln  und 
schliesslich  in  einen   emulsiven  fettigen  Detritus  verwandeln. 

Es  wird  diese  Verfettigung  gelegentlich  bei  jeder  Art  des  Sarcoms 
beobachtet  ;  doch  neigen  die  zellenreichen  und  überhaupt  die  schnell 
wachsenden  Gewächsformen  am  meisten  dazu.  Bei  harten  Formen,  zumal 
bei  den  Fibrosarcomen,  wird  dadurch  unter  fortschreitender  Resorption  der 


620         Tnmoreu;  Nosologie;  Sarcom;  Verschwärung :  Aetiologie  :  Keloid:  Saroom  der  Lider. 

zersetzten  Stoffe  oft  ein  Einsinken  der  Geschwulst  und  die  Schrumpfung 
zu  einem  derben  narbenartigeu  zellenarmen  Gefüge  veranlasst,  welches 
mitunter  verknöchert.  Bei  weicheren  Sarcomarten  liingegen  wird  die  Masse 
mehr  breiartig  und  dickt  sich  scliliesslich  zu  einer  käsigen  Substanz  ein, 
die  viel  Fett  und   oft  auch  Kalksalzgrumen  enthält. 

In  anderen  Fällen  führt  die  Verfettigung  zur  Erweichung,  es  bilden 
sich  Hohlräume  im  Inneren  der  Geschwulst,  welche  bei  eintretender  Resorption 
des  Zerfallenen  nicht  einsinken,  sondern  das  Verlorene  durch  Flüssigkeit 
ersetzen  und  so  am  Ende  das  Aussehen  von  Cysten  gewinnen.  Oft  werden 
bei  einer  derartigen  Erweichung  auch  Gefässe  angefressen,  es  kömmt  zu 
massigen  parenchymatösen  Blutungen,  welche  dann  ein  Uebergehen  der 
Erweichung  in    Ulceration  zu  veranlassen  pflegen. 

Im  Ganzen  neigen  Sarcome  wenig  zur  Verschwärung.  Doch  gibt  es 
keine  Form  derselben,  welche  nicht  endlich  aufbrechen  und  ein  Geschwür 
liefern  könnte.  Die  harten  Formen,  welche  zugleich  meistens  ein  langsames 
Wachsthum  haben ,  bleiben  am  längsten  geschlossene  Geschwülste  und 
erreichen  daher  zuweilen  sehr  bedeutende  Grössen.  Bei  weichen,  namentlich 
zellenreichen  Sarcomen  hingegen  tritt  die  Verschwärung  gewöhnlich  sehr 
bald  ein  und  schreitet  auch  sehr  rasch  weiter,  wobei  die  Absonderung  eine 
sehr  reichliche,  häufig  blutige  oder  gar  faulige  zu  werden  pflegt  und 
binnen  Kurzem  OHgaemie,  Marasmus,  Inanition  des  Individuums  herbeizu- 
führen vermag.  Eine  eigentliche  Cachexie,  wie  bei  Krebsen,  entwickelt 
sich  bei  Sarcomen  nicht  leicht,   es  bleibt    bei    einfacher   Ernährungsstörung. 

Das  Sarcom  ist  bei  Erwachsenen  viel  häufiger  als  bei  Kindern.  Es 
kömmt  an  den  verschiedensten  Theilen  des  ophthalmologischen  Gebietes 
primär  vor.  Es  tritt  oft  ohne  nachweisbare  Ursache  auf.  In  anderen  Fällen 
sind  andauernde  oder  sich  häufig  wiederholende  Reizzustände  oder  Entzün- 
dungen  als  ^Veranlassung  aufzufassen.  Hin  und  wieder  geht  es  aus  schrum- 
pfenden Narben  hervor  und  wird  dann  Keloid  genannt. 

a.  In  der  Liddecke  entwickelt  sich  das  Sarcom  nicht  ganz  selten  aus  Fleisch- 
tvareen  oder  pigmentirien  Malern,  welche  von  Geburt  aus  bestehen  oder  doch  schon 
in  der  ersten  Kindheit  bemerkt  wurden.  Es  sind  diese  Gewächse  meistens  sehr 
kleinzellig  und  können  als  Sarcome  in  der  Anlage  betrachtet  werden.  Sie  bleiben 
gewöhnlich  bis  ins  höhere  Alter  ziemlich  unverändert,  werden  dann  aber  mit  oder 
ohne  äusseren  Anlass,  z.  B.  in  Folge  einer  Verletzung,  plötzlich  sehr  empfindlich 
und  wohl  auch  in  hohem  Grade  schmerzhaft,  schwellen  auf  und  verwandeln  sich 
in  lappige  Geschwülste.  Doch  kommen  auch  Hautsarcome  vor,  welche  tief  im  sub- 
cutanen Gefüge  wurzeln.  Sie  stellen  glatte  Geschwülste  dar,  treiben  das  Integument 
vor  sich  her,  ohne  dasselbe  immer  zu  durchgreifen,  erreichen  manchmal  sehr  be- 
deutende Grössen  und  können  auch  sehr  schmerzhaft  werden  (Mackenzie,  WedlJ. 
Hierlier  gehört  auch  eine  eigenthümliche  Gesehwulst,  welche  bei  einem  Greise  an 
allen  vier  Lidern  beobachtet  wurde.  Dieselbe  lagerte  im  laxen  Bindegewebe  und 
Hess  sich  mit  Leichtigkeit  von  ihren  Umgebungen  lostrennen.  Dieselbe  gab  den 
Lidern  das  Aussehen  starken  Oedems,  war  prall  elastisch,  etwas  lappig,  von  Farbe 
weiss  gelblich  wachsähnlich  und  erwies  sich  als  ein  kleinzelliges  Sarcom  (Schirmer). 
Es  erinnert  dieser  Fall  an  einen  anderen,  wo  im  oberen  Augenlide  eines  Knaben 
eine  ähnliche  Geschwulst,  aber  mit  p?ea;(/b?-«ie7?i  Charakter,  gefunden  wurde  (Billroth). 
Im  Oriente  sind  analoge  Geschwülste  am  oberen  Augenlide  sehr  häufig  und  werden 
schon  von  Celsus  als  Hydatis  oder  Vesica  pinguis  des  Näheren  gewürdigt.  Sie 
entstehen  gewöhnlich  bei  Kindeni,  erschweren  die  Hebung  des  oberen  Augen- 
deckels und  lassen  sich  durch  eine  horizontale  Hautwunde  leicht  mit  den  Fingern 
herausziehen  (J.  E.  Polak).  In  einem  alten  geschrumpften  Weingeistpräparate  Hess 
sich  die  Zusammensetzung  aus  zelligeu  Elementen  und  einer  bindegewebigen  Grund- 
substanz entnehmen. 


Sarcom  der  Bindehaut,  der  Orbifa;  Mitleideuscliaft  des  Bulbus  und  des  Gehirnes.  621 

b.  In  der  Bindehaut  geben  bisweilen  F/ei.ichwarzen,  polypöse  nnd  schivamviige 
Auswüchse,  melanotische  Tumoren  den  Boden  ab,  aus  welchem  Sarconio  hervor- 
wuehern,  ja  nicht  wenige  der  unter  jenen  Namen  beschriebenen  Gewächse  mögen 
von  vorneherein  die  Bedeutung  von  Sarcomen  haben.  Nicht  minder  entwickelt  sich 
das  fragliche  Gewächs  auch  primär  in  vorläufig  gesundem  Gewebe,  oder  secimdär 
durch  hifection  von  Seite  intraocularer  oder  orbitaler  Geschwülste.  Es  zeigt  sich 
vorerst  als  ein  einzelnes  oder  als  eine  Mehrzahl  zerstreuter  rötlilicher  oder  stark 
pigmentirter  Knötchen,  welche  gemeiniglich  im  sulmiucosen  Gefiige  lagern,  bald  zu- 
sammenfliessen  und  bisweilen  zu  ganz  ansehnlichen  Tumoren"  heranwachsen.  Sitzen 
sie  der  vorderen  Bulhusohtr fläche  auf,  so  breiten  sie  sich  gerne  der  Flüche  nach 
aus,  greifen  gelegentlich  auf  die  Hornhaut  über  {His),  dringen  im  Episcleralgevvebe 
nach  hinten,  und  bilden  bisweilen  förmliche  Schalen,  welche  den  Bulbus  grossen- 
theils  umhüllen  und  aus  seiner  natürlichen  Lage  drücken. 

c.  Li  der  Orbita  finden  sich  Sarcome  häufig.  Sie  sind  hier  öfters 
sehr  kleinzellig,  erweisen  sich  als  GUo-  und  Myxosarcome,  welche  streckenweise 
bisweilen  den  plexiformen  (RecJdinghausen,  Czerny)  oder  cancroiden  {Hirsch- 
berg)  Charakter  tragen.  In  anderen  Fällen  erweisen  sie  sich  als  Fibrosarcome 
{Hirschberg),  oder  als  überaus  bösartige  Melanosarcome,  seltener  als  cavernose 
{Pagenstecher)  oder  als  Cystosarcome  {Mackenzie,  Schiess-Gemuseus ,  Hirsch- 
berg, M.  Singer).  Sie  gehen  in  der  Regel  vom  Fettgeivebe  aus  {Virchow) 
und  pflanzen  sich  meistens  bald  auf  die  übrigen  Theile  fort,  pflegen  darum 
auch  mit  den  Fascien  und  zumal  mit  der  Periorbita  fest  zusammenzuhän- 
gen. Sitzt  das  Gewächs  weit  nach  vorne,  so  tritt  es  gemeiniglich  bald  zur 
Lidspalte  heraus  und  bildet  mitunter  mächtige  Tumoren  {Chelius),  ehe  es 
die  Bindehaut  durchbricht  und  zu  verschwären  beginnt.  Meistens  wuchert 
es  dabei  gleichzeitig  nach  hinten  und  bedingt  Exophthalmus.  Hat  das 
Sarcom  seinen  Ausgangspunkt  hinter  dem  Augapfelgleicher,  so  wird  der 
Bulbus  selbstverständlich  um  so  früher  aus  der  Orbita  hervorgedräugt. 
Eine  häufige  Folge  dessen  sind  intraoculäre  Entzündungen  mit  Ausgang 
in  Atrophia  bulbi  et  nervi  optici ,  oder  in  Vereiterung  der  Hornhaut  und 
Phthise  des  Auges.  Ein  directes  Hineinioachsen  des  Aftergebildes  in  die 
Höhlung  des  vorgetriebenen  Bulbusstumpfes  findet  sicherlich  nur  äusserst 
selten  statt,  wurde  jedoch  in  einem  Falle  als  sehr  wahrscheinhch  nachge- 
wiesen {Virchow).  Dagegen  bohren  sich  Orbitalsarcome ,  besonders  die 
melanotischen,  gar  nicht  selten  durch  die  knöchernen  Scheidewände,  indem 
sie  selbe  entweder  durch  Caries,  IJsiir  oder  Xekrose  zerstören,  oder  indem 
die  Afterwucherung  sich  auf  die  Beinhaut  und  das  Knochengewebe  unmit- 
telbar fortsetzt.  Ist  das  Pseudoplasma  solchermassen  in  eine  Nachbarhöhle 
vorgedrungen,  so  pflegt  es  sich  in  der  Orbita  nur  mehr  langsam  zu  ver- 
grössern.  So  kömmt  es,  dass  man  mitunter  nur  eine  ganz  massige  und 
scharf  umgrenzte  Geschwulst  vor  sich  zu  haben  glaubt,  während  diese  in 
den  unzugänglichen  Nachbarhöhlen  schon  zu  einem  mächtigen  Tumor 
angewachsen  ist.  In  einzelnen  Fällen  hat  der  Process  wohl  auch  den 
umgekehrten  Weg  genommen,  ist  aus  der  Highmorshöhle  {Pagenstecher), 
Nasenhöhle  (Graefe),  Stirnhöhle  {Eothmund)  etc.  in  die  Orbita  vorgedrun- 
gen. Jedenfalls  indessen  viel  häufiger,  als  solche  directe  Uebergänge,  sind 
Bildungen  von  Tochterherden  im  Knochen  xind  in  den  Weichtheilen  der 
angrenzenden  Räume.  Besonders  gefährdet  erscheinen  in  dieser  Hinsicht 
der  Inhalt  der  Schädelhöhle  und  zwar  in  erster  Linie  die  weichen  Hirnhäute 
{Virchow).  Diese  Disseminationen  und  wirklichen  Metastasen,  zu  welchen 
Orbitalsarcome,  zumal  die  melanotischen,  überaus  stark  hinneigen  und 
welche     öfters    schon    sehr  frühzeitig    erfolgen,     sind    nicht    nur    operativen 


622 


Tumoren;  Nosologie;  Sarcom  der  Thräuendrüse,  d.  Cornea,  d.  Iris  u.  d.  Ciliarkorpers. 


Eingriffen  im  hohen  Grade  missgünstig ;  sie  führen  durch  Functionsbehin- 
derung  lebenswichtiger  Organe  auch  oft  zum  Tode,  ehe  der  Primärherd  zu 
einer  übermässigen  Entwickehmg  gediehen  ist. 

d.  In  der  Thränendrüse  kommen  Avahrscheinlich  Sarcome  häufiger  vor,  als  sie 
daselbst  nachgewiesen  (Stengel)  wurden.  Manche  für  einfache  Verhärtung  oder 
Hypertrojjhie  (S.  553)  gehaltene  Erkrankung  und  manche  Cystenbildung  (S.  605) 
mag  als  Sa7-com  oder  wenigstens  als  eine  Mischgeschwidst  mit  sarcomatöser  Grund- 
lage zu  gelten  haben.  In  mehreren  Fällen  hat  man  die  durch  ihre  eigenthümliche 
grünliche  Färbung  ausgezeichnete  Varietät,  das  Chloroma,  in  der  Thränendrüse 
beobachtet  {Paget,  Bums,  BaJfour,  Durand-Fardel). 

e.  In  der  Hornhaid  sind  primäre  Sarcombilduugen  grosse  Seltenheiten.  In 
einem  Falle  wurde  ein  sehr  gefässreiches  haseluussgrosses  lappiges  Netzzellensarcom, 
welches  in  der  Cornea  und  Sclera  wurzelnd  steiltussig  hervortrat,  gefunden  (Berthold). 
Unzweifelhaft  gehören  hierher  auch  manche  jener  melanotischen  oder  fleischähnlichen 
Gewächse,  welche  gleich  itr»prÜ7\glich  in  der  Cornea  wurzelten  {Cooper,  Nelaton, 
Steffan),  dieselbe  grossentheils  oder  ganz  zerstörten  und  zu  ziemlichen  Grössen 
gelangt  waren,  ohne  die  Descemet!  zu  durchbohren  iind  ohne  auf  den  Limbus 
conjunctivalis  und  die  Lederhaut  überzugehen.  Viel  häufiger  sind  secundäre 
Cornealsarcome.  Dieselben  stammen  von  Bindehaidsarcomen,  welche  sich  allmälig 
über  die  Hornhaut  ausgedehnt  haben,  oder  von  fleischähnlichen  und  melanotischen 
Warzen  (Virchoio),  welche  an  der  Hornhautgrenze  sassen  und  sich  allmälig  zu 
wahren  Sarcomen  ausgebildet  haben.  Die  melanotische  Form  gleicht  in  ihrem 
Fortschreiten  einem  Pannus  crassus,  welcher  von  dem  Primärherde  aus  unter 
dem  Epithele  weiter  und  weiter  wuchert  und  höckerige  Geschwülste  aus  seiner 
Oberfläche  treibt.  Die  medidlare  Art  hingegen  stellt  sich  in  ihren  Anfängen 
als  eine  wolkig  umgrenzte  weissgraue  Infiltration  dar,  welche  sich  allmälig  aus- 
breitet, Gefässe  bildet  und  wildem  Fleische  ähnliche  Knötchen  erzeugt,  die  rasch 
anwachsen,  zusammenfliessen,  sich  mit  dem  Mutterknoten  vereinigen  und  dessen 
Umfang  vermehren. 

/.  Auch  in  der  Iris  (Lehrun,  Htrschherg)  sowie  im  Ciliarkörper  {Knapp, 
Qraefe,  Cowell,  Warren),  oder  in  beiden  zugleich  {Knajjp,  Berthold)  entwickeln  sich 
ausnahmsweise  primär  Sarcome  der  mannigfaltigsten  Art.  Sie  zeigen  sich  in  der 
Iris  gewöhnlich  unter  der  Form  von  Knoten,  welche  breit  aufsitzen  und  unter 
allmäliger  Vergrösserung  meistens  bald  den  Kammerraum  ausfüllen,  oftmals  auch 
auf  den  Strahlenkranz  übergreifen  und  denselben  gleich  der  Iris  grösstentheils 
oder  ganz  bis  zur  Ora  serrata  hin  zerstören  {Dixon).  Im  Ciliarkörper  erscheinen 
sie  bisweilen  als  diffuse  Infiltrationen  {Graefe).  In  der  Regel  jedoch  treten  sie  hier 
ebenfalls  in  der  Knotenforvi  auf  und  consumiren  nach  und  nach  grosse  Portionen 
des  Strahlenkranzes.      Sie    drängen    bisweilen    die  Iris  zur    Seite  [Knapp),  häufiger 

j,.     gg  wachsen  sie  in  dieselbe  hinein 

und  füllen  dann  bald  den 
Kammerraum  aus.  Mitunter 
greifen  sie  auch  nach  rück- 
wärts auf  die  Chorioidea.  In 
der  grössten  Mehi-zahl  der 
Fälle  jedoch  ist  das  Sarcom 
ij  des  Ciliarkorpers  und  der  Iris 
~  ein  secundüres,  von  der  Ader- 
haut überkommenes  (Alf. 
Graefe,  Demarquay,  Hirsch- 
herg).  Es  erregen  solche  Sar- 
come im  Ciliarkörper  und  der 
Iris  öfters  heftige  Kntzündun- 
gen,  welche  das  zweite  Auge 
sympathisch  gefährden  können 
(Mooren),  führen  jedoch  selten 
zurNetzhautabhebungfiCna^jpJ. 
Mitunter  kömmt  es  zu  Scleral- 
ectasien ,  welche  später  bersten  iind  dem  Tumor  den  Austritt  gestatten.  In  einem 
Falle  war  die  Wunde,  welche  behufs  der  Ausschneidung  eines  von  einem  Knoten 
besetzten    Irisstückes     in     die    Cornealgrenze     gelegt    wurde,     die    Ausgangspforte 


Aderhautsarcom ;  Mikroskoii.  Unterschiede;  Ausgangspunkte.  623 

(Lebrun).  In  der  Regel  durchwächst  das  Sarcom  förmlich  die  Cornea  und  Sclera. 
Nach  erfolgter  Perforation  wuchert  das  Aftergebildo  rasch  jsu  einem  ganz  ansehn- 
lichen Tumor  (Fig.  86)  heran,  welcher  mit  eingeschnürtem  Halse  dem  Augapfel 
aufsitzt.  In  einzelnen  Fällen  wurde  nach  einem  solchen  Vorgänge  die  Rückbildung 
der  Geschumlst  mit  Atrophie  und  Schrumpfung  des  Augapfels  beobachtet  (Saunders, 
Lawrence,  Maitre-Jean,  Graefe),  wobei  jedoch  die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen 
ist,  dass  es  sich  um   Gramdome  gehandelt  hat. 

g.  Am  allerhäufigsten  stösst  man  im  Bereiche  dej-  Aderhaut  auf 
Sarcome.  Die  Aftcrwuclierung  geht  hier  nicht  selten  unter  auffälligen 
Reizerscheinungen  einher,  daher  man  sie  in  der  Bedeutung  einer  Entzün- 
dung aufgefasst  und  den  Process  als  Chorioiditis  hyperplastica  und  sarco- 
matosa  beschrieben  hat. 

Das  Aderhautsarcom  ist  oftmals  stark  pigmentirt;  eben  so  oft  aber  auch  blos 
dunkel  gestrichelt,  gesprenkelt,  gestreift,  marmorirt.  Dagegen  sind  ungefärbte 
sogenannte  Leucosarcome  {Virchoiv,  Graefe,  Hirschherg,  Knap2},  Hutchinson,  HidkeJ 
seltener.  Vielleicht  hat  auf  die  Grösse  des  Farbstoftgehaltes  die  wandelbare 
Pigmentirung  des  Muttergewebes  einen  Einfluss  (Haase,  Berthold).  Gewöhnlich  über- 
wiegen die  Spindehellen,  zumal  an  der  Oberfläche  der  Geschwulst,  wo  sie  oft  eine 
ziemlich  derbe  Hülle  darstellen.  Doch  finden  sich  auch  Stern-  und  Rundzellen  gar 
nicht  selten  in  grosser  Menge  und  in  vielen  Fällen  sind  Theile  des  Gewächses 
geradezu  medidlar.  Die  Intercelhdarsuhstanz  ist  bald  sehr  dicht,  deutlich  faserig, 
besonders  in  der  Hülle,  bald  sehr  weich,  beinahe  zerfliessend,  oder  tritt  fast  ganz 
zurück.  In  einzelnen  Fällen  zeigten  sich  darin  die  eigenthümlichen  plexiformen  GehiXAQ 
(Knapp),  in  anderen  war  der  Bau  entschieden  cavernös  (Leber,  Knap>p,  HtilkeJ. 
Manchmal  findet  sich  das  Sarcom  in  Combination  mit  Krebs  (Landsberg,  Gn-aefe). 
Das  Aderhautsarcom  entwickelt  sich  bald  von  der  subchorioidalen  Schichte, 
wo  dann  die  eigentliche  Chorioidea  längere  Zeit  ihre  Integrität  erhalten  kann;  bald 
geht  es  von  der  innersten  Gef'ässschichte  aus,  diese  beginnt  zu  granuliren,  es  zeigen 
sich  daselbst  zahlreiche  Bildungszellen,  welche  allmälig  den  Charakter  der  Sarcom- 
zellen annehmen  (Knapp).  Sie  sind  öfters  mit  Myeloplaxen,  d.  i.  Protoplasmamassen 
von  ganz  unregelmässiger  wechselnder  Gestalt,  welche  von  runden  und  ovalen 
Kernen  gefüllt  sind,  durchmischt  und  lagern  in  einer  deutlich  feinfaserigen  Inter- 
cellularsubstanz  (Iwanoff).  In  manchen  Fällen  scheint  es  zu  einer  Exsudation  auf 
der  Oberfläche  der  Aderhaüt  zu  kommen.  Es  treten  gelbe  Flecke  auf,  welche 
allmälig  confluiren  und  von  den  Gefässen  der  Netzhaut  straff  überspannt  scheinen. 
Weiterhin  kömmt  neben  diesen  Gefässen  ein  zweites  Gefässuetz  zum  Vorscheine, 
welches  aus  dem  Aderhauttumor  in  die  damit  verklebte  Netzhaut  hineingewachsen 
ist  und  öfters  Hämorrhagien  veranlasst.  Schliesslich  wächst  die  Aftermasse  wohl 
auch  durch  die  Netzhaut  hindurch  und  breitet  sich  im  Glaskörperraume  aus 
(Knapp).  Die  Textur  des  'Nctzliautinfiltrates  ist  dann  öfters  sehr  kleinzellig,  trägt 
ganz  den  Charakter  des  Glioms  oder  Gliosarcoms.  Es  combiniren  sich  dann  also 
in  einer  und  derselben  Geschwulst  Gliom  und  Sarcom  (Virchow,  Homer,  Rind- 
fleisch,  Graefe,  Hirschberg,  Berthold). 

Das  Aderhautsarcom  stellt  anfänglich  einen  linsenförmigen  Fladen 
dar,  welcher  zwischen  Chorioidea  und  Lederhaut  gelagert,  buckeiförmig  in 
den  hinteren  Augenraum  hineinragt  (Fig.  87  a).  Unter  fortgesetztem  Wachs- 
thume  der  Neoplasie  erhebt  sich  dieser  Buckel  immer  mehr,  er  bildet  eine 
rundliche  Geschwulst  h,  deren  Zenith  sich  allmälig  der  optischen  Axe 
nähert  oder  dieselbe  gar  überschreitet ,  während  der  Fuss  sich  immer 
weiter  ausbreitet,  so  dass  endlich  die  Hälfte  und  mehr  des  hinteren  Augen- 
raumes ausgefüllt  erscheint.  Ausnahmsweise  jedoch  verbreitet  sich  das 
Sarcom  in  diffuser  "Weise  und  umhüllt  schliesslich  den  hinteren  Bulbus- 
raum  in  Form  einer  mehr  weniger  dicken  Schale"  (Hirschherg^. 

Gewöhnlich  erhält  sich  die  Grenzhaut  c  der  Chorioidea  trotz  bedeu- 
tender Massenzunahme  des  Tumors  und  übcrkleidet  denselben  seiner  ganzen 
Ausdehnung  nach   als  ein   strafft  gespanntes  Häutchen ,     welches    sich  unun- 


624 


Tumoren;  Nosologie;  Aderhautsarcom ;  Verlauf;  Entzündliche  Episoden. 


-    d 


terbroclien    auf    die     die     Geschwulst     umgebenden    und     von    deren    Fuss 

meistens     etwas    emporgehobenen    Partien    der  Aderhaut    d    fortsetzt.      Die 

pj„.  87.  Oberfläche     der    Geschwulst    ist 

in  solchen  Fällen  in  der 
Regel  eine  ganz  glatte.  Die 
darüber  lagernde  Netzhautpartie 
wird  meistens  schon  frühzeitig 
durch  eine  mehr  weniger 
reichliche  Menge  von  Flüssig- 
keit in  Form  eines  Sackes  e 
von  dem  Tumor  abgehoben,  er- 
scheint faltig  und  flottirt  stark, 
die  Geschwulst  wird  gleichsam 
maskirt  durch  eine  Netzhautab- 
hebung. Späterhin  schmiegt  sich 
die  gewöhnlich  stark  getrübte 
Xetzhaut  bisweilen  wieder  der 
Oberfläche  der  Geschwulst 
innig    an,    verklebt  wohl  auch 

mit     ihr     und      wird     schliesslich  von     ihr  förmlich  durchwachsen    (Mooren, 

Knapp). 

Es  kommen  Fälle  vor,  wo  der  Tumor  bereits  den  grössten  Theil  des  hinteren 
Bulbusranmes  ausgefüllt  imd  die  eine  Hälfte  der  Netzhaut  vor  sich  her  in  die 
Concavität  der  anderen  getrieben  hat,  so  dass  die  Retina  schlafhaubenförmig 
eingesiü/jjt  erscheint  und  ihre  beiden  Blätter  nur  durch  eine  dünne  Schichte  trüben 
Glaskörpers  von  einander  getrennt  sind.  Auch  sieht  man  die  Netzhaut  öfters  zu 
einem  langgestielten  Trichter  zusammengezogen  und  fast  ringsum  von  der  sarco- 
matosen  Masse  iimgeben. 

In  manchen  Fällen  waren  derlei  Gewächse  gestielt.  Der  derbe  gefässhältige 
Stiel  wurzelte  in  der  Aderhaut  und  der  Körper  der  Geschwulst  war  mit  der  trichter» 
artig  zusammengefalteten  Netzhaut  verwachsen  (Knajyp,  Klebs,  LandesbergJ. 

Das  Aderhautsarcom  entwickelt  sich  bisweilen,  zumal  wenn  Traumen 
seine  Veranlassung  waren,  ziemUch  schnell  und  gedeihet  binnen  Monatfrist 
zu  ganz  beträchtlichem  Umfange.  In  der  Regel  aber  ist  sein  Wachsthum 
ein  überaus  langsames  und  von  Stillständen  vielfach  unterbrochenes.  Manche 
Chorioidalsarcome  bestehen  Jahre  lang  ohne  auffällige  Veränderung.  Eir 
Beginn  bleibt  öfters  sogar  ganz  unbemerkt,  erst  die  Erblindung  des  Auges 
macht  den  Kranken  auf  sein  Leiden  aufmerksam. 

Nicht  ganz  selten  werden  dann  Verletzungen  als  Ursache  beschuldigt,  welche 
vor  langer  Zeit  den  Bulbus  functionsuntüchtig  gemacht  haben.  Es  kann  auch  wohl 
sein,  dass  schrumpfende  Narben,  welche  gerne  einen  gewissen  Erregungszustand 
unterhalten,  manchmal  den  Ausgangspunkt  der  Afterwucherung  abgeben. 

Häufig  stellen  sich  zeitweilig  heftige  Reizzustände  oder  förmliche  Ent- 
zündungen ein.  Letztere  verlaufen  häufig  unter  merklicher  Erhöhung  des 
intraocularen  Druckes  und  präseutiren  sich  nicht  selten  unter  dem  ausge- 
sprochenen Krankheitsbilde  des  chronischen,  nicht  selten  jedoch  auch  des 
acuten  Glaucoms.  In  anderen  Fällen  trägt  das  intercurrente  Leiden  den 
Charakter  der  Iridochorioiditis  und  fülrrt  öfters  zu  Verwachsungen  des 
Pupillarrandes,  weiterhin  aber  zu  partiellen  oder  totalen  Sclerochorioidal- 
staphglomen  und  nicht  ganz  selten  zu  sgmpathischen  Ophthalmien  des  anderen 
Auges  (Mooren).  Bisweilen    kömmt  es  wohl  auch  zur  Eiterung,  die  Cornea 


Eegressivo  Motamorpliosen ;  Durchbruch.  625 

infiltrirt  sich  unter  den  Erschoinnne;en  der  Panophthalmitis  suppurativa,  und 

bricht   durch. 

Wenn  der  Sch(nn  niclit  trügt,  kann  ansnahmswoise  der  Tumor  sammt  dem 
Bulbus  auf  suppurativcm  Woge  zerstört  wcrflen,  phthisiach  zu  Grunde  gehen.  I^eider 
ist  die  sarcomatöse  Natur  der  bezüglichen  Fcälle  nicht  erwiesen  und  es  kann  der 
Einwand  geltend  gemacht  werden,  dass  es  sich  nicht  sowohl  um  ein  Sarcom,  als 
vielmehr  um  ein   Oranulom  u.  dgl.  gehandelt  habe. 

Das  Wachsthum  der  Geschwulst  pflegt  unter  den  entzündlichen  Vor- 
gängen einen  Aufschwung  zu  nehmen.  Mitunter  geschieht  jedoch  gerade 
das  Gegentheil,  es  datirt  von  daher  ein  auffälliger  Rückgang  des  After- 
processes,  das  Sarcom  verfettigt  und  schrumpft  vermöge  der  Aufsaugung 
der  zerfallenen  und  löslich  gewordenen  Bestandtheile,  während  gleichzeitig 
der  Augapfel  weich,  welk  wird  und  unter  Faltung  der  Lederhaut  zu  einem 
unförmlichen  Stumpfe  sich  zusammenrunzelt. 

Verhältnissmässig  am  öftesten  schrumpfen  wohl  intraoculare  Sarcome, 
bevor  sie  durchgebrochen  sind.  Doch  kömmt  es  bisweilen  zur  Atrophie 
auch  dann,  wenn  der  Aderhauttumor  sich  bereits  einen  Weg  nach  Aussen 
gebahnt  hat  (Berthold).  Im  Ganzen  ist  sehr  wohl  festzuhalten,  dass  die  regressive 
Metamorphose  des  intraocularen  Sarcoms  und  der  damit  einhergehende 
Schwund  des  Augapfels  durchaus  nicht  immer  einen  wirklichen  und  dauernden 
Äbschluss  des  Processes  bedeuten.  In  der  That  wird  häufig  das  geschrumpfte 
und  verödete  Gewächs  nach  Monaten  und  Jalu'en  wieder  lebendig,  es  ent- 
keimen demselben  oder  seiner  Nachbarschaft  neue  Herde,  welche  dann  mit 
Schnelligkeit  an  Umfang  zunehmen  und  in  vielen  Fällen  einen  sehr  hös- 
arfigen  Charakter  entfalten.  Bei  partiellen  Yerfettungen  oder  Schrumpfungen 
geht  die  Wucherung  in  den  angrenzenden  Theilen  des  Tumors  häufig  sogar 
um  so  rascher  vor  sich. 

Ueberhaupt  bilden  Bückgänge  des  Processes  keineswegs  die  Regel. 
Meistens  schreitet  die  Afterwucherung  stetig  oder  mit  zeitweiligen  Unter- 
brechungen vorwärts,  füllt  den  hinteren  Bulbusraum  mehr  und  mehr  aus, 
greift  auf  die  Netzhaut,  auf  den  Strahlenkranz  und  die  Iris  über,  stopft 
den  Kammerraum  voll  und  bricht  endlich  durch,  worauf  die  Geschwulst 
aus  der  Oeffnung  hervorquillt,  sich  meistens  überaus  rasch  zu  einem 
mächtigen  Tumor  vergrössei't  und  zu  verjauchen  beginnt. 

Der  Durchbruch  erfolgt  öfters  durch  die  Hornhaut,  indem  dieselbe 
neuroparalytisch  oder  in  Folge  eines  intercurreitten  heftigen  Entzündungs- 
processes  verschwärt,  auch  wohl  brandig  zerstöi't  wird,  oder  indem  sie  von 
der  die  Kammer  erfüllenden  Geschwulst  einfach  durchwachsen  wird.  In 
seltenen  Fällen  pflanzt  sich  die  Geschwulst  auf  den  Sehnerven  fort  (Pagen- 
stecher) und  bricht  durch  dessen  Scheide  hindurch.  Am  häufigsten  jedoch 
und  recht  oft  schon  sehr  frühzeitig  perforirt  das  Aderhautsarcom  die  Sclero- 
tica  und  breitet  sich  dann  unter  beschleunigtem  Wachsthume  in  der  Orbita 
aus,  so  dass  häufig  binnen  Kui'zem  der  Augapfel  aus  der  Lidspalte  hervor- 
getrieben und  unbeweglich  wird. 

Die  Perforation  kann  gelegentlich  an  jedem  beliebigen  Punkte  stattfinden. 
Doch  sind  Stellen,  an  welchen  viele  Gefässe  hindurchtreten,  der  vordere  Gürtel, 
die  Gleicherzone  (Fig.  88)  und  der  hintere  Umfang  der  öclerotica  bevorzugt.  Der 
Durchbruch  wird  nicht  sowohl  auf  mechaniscliem  Wege,  als  vielmehr  durch  ein 
Uehergreifen  des  Processes  auf  das  Lederhautgefüge  vermittelt.  Man  sieht  daselbst 
deutlich  die  zelligen  Elemente  sich  vermehren  (Virchow),  endlich  aber  das  Faser- 
gewebe ganz  in  der  Afterwucherung  untergehen.  Nicht  selten  bilden  sich  durch 
Stellwag,  Augenheilkunde.  40 


626 


Tumoren;  Nosologie:  Saicom;  Metastasen;  Granulome. 


ungleichmässige  Anhäufung  von  Produkten   taschenähnliche  Räume   in  der  Dicke  der 
Lederhaut,  ehe  die  Perforation  erfolgt.  Ist  dieses  geschehen,  so  werden  die  Ränder 

der     Oeffnung     von 
F'?-  88.  Seite  des  nach   aus- 

sen drängenden 

Tumors  oft  trichter- 
förmig hervorge- 
staut. Der  letztere 
pflegt  sich  dann  im 
Inneren  des  Bulbus 
nicht  wesentlich 

mehr  zu  vergrössern, 
sein  Wachsthum 

geht  vorzugsweise 
nach  aussen,  daher 
sich  in  solchen  Fällen 
die  Cornea  lange  er- 
hält. 

Sehr  oft  ent- 
wickeln sich  noch 
vor  dem  Durch- 
bruche ,  und  um 
somehr  nach  dem- 
selben, Tochter - 
herde  indem  locke- 
ren Episcleralgefüge ,  welche  mit  dem  Hauptherde  öfters  gar  nicht  zu- 
sammenhängen (Knapp),  in  anderen  Fällen  jedoch  durch  Züge  neopla- 
stischer Zellen  communiciren  (Hirschberg).  Ebenso  oft  finden  sich  secundäre 
Herde  in  der  Orbita.  Dieselben  wuchern  gleich  den  episcleralen  Tochter- 
herden gemeiniglich  ziemlich  rasch  zu  beträchtlichen  Grössen  heran  und 
verhalten  sich  im  Uebrigen  ganz  ähnlich  wie  die  primären  Sarcome  der 
Augenhöhle  (S.  621).  Auch  sind  Metastasen  in  entferntere  Theile,  beson- 
ders in  das  Gehirn,  die  Lunge,  Leber  u.  s.  w.  bei  vorgeschrittenem  Pro- 
cesse  etwas  sehr  gewöhnliches.  Bisweilen  machen  sich  dieselben  schon 
sehr  frühzeitig  geltend  oder  legen  wenigstens  die  Keime  nieder,  welche 
sich  nach  der  Exstirpation  des  primären  Tumors,  auch  wenn  diese 
bald  nach  dem  ersten  Auftreten  des  letzteren  vorgenommen  wird ,  rasch 
entwickeln  und  als  locale  Hecidiven  oder  entfernte  Metastasen  zum  Vor- 
scheine kommen  {Alf.    Graefe). 

10.  Die  Granulationngeschwülste  oder  Granulome  schliessen  sich  an  die 
bindegewebsartigen  Gewächse  unmittelbar  an,  stellen  aber  in  ihrem  Blüthe- 
stadium  keine  reife  Bhidesubstanz  dar,  sondern  sind  überwiegend  aus 
vergänglichen  Elementen  zusammengesetzt  und  pflegen  mit  deren  Zerfall 
unterzugehen.  Ihr  vorzugsweiser  Keimboden  ist  Bindegewebe  oder  binde- 
gewebsartiges  Gefüge. 

Ihr  hauptsächlicher  Bestandtheil  sind  kleine  runde,  mit  verhältnissmässig  grossem 
Kerne  versehene  Zellen,  welche  viel  Aehnlichkeit  mit  Lyniph-  oder  Exsudatkörpern 
haben,  sich  aber  nicht  immer  vollständig  ausbilden,  indem  die  Muf.terzellen  oft 
schon  während  ihrer  Vergrösserung  und  Kerntheilung  verfettigen.  In  einzelnen 
Fällen  sind  dazwischen  auch  zahlreiche  Kiesenzellen  gefunden  worden  (Graefe). 
An  den  Gren::en  und  Rändern  der  Geschwulst  stösst  man  gemeiniglich  auf  Elemente 
wahren  Bindegewebes,  auf  anastomosirende  sternförmige  und  spindehge  Zellen.  Die 
Intercellularsuhstanz  ist  bald  mehr  faserig,  wo  dann  die  ganze  Strnctur  dem  Binde- 
gewebe entspricht;  bald  ist  s\e  weich,  sclileimähnlich,  oAev  g^nz  zerfliessend  und  eiter- 
artig {VirchoirJ. 


Grannlomo  der  Iris  u.  Aderhant :  Lupus;  Gummen;  Exophthalmia  fung. ;  Papillome.  62  ( 

Man  hat  derlei  Granulome  in  der  Iris  p;efnnden  (Lincke,  Graefe).  Sie  zeigten 
sich  daselbst  primär  als  eine  partielle  Verdickung;  der  Regenbogenhaut,  welche 
sich  unter  entzündlichen  P^rscheinungen  entwickelte  und  rasch  zu  einem  l)lassen 
Tumor  heranwuchs,  der  alsbald  vascularisirte,  einen  grossen  Theil  der  Kammer 
ausfüllte,  aber  auch  auf  den  Ciliarkörper  übergriff  und  diesen  eine  Strecke  weit 
völlig  consumirte.  Man  sah  solche  Ttunoren  lange  Zeit  .9<rt/'Jo?iäj-  bleiben.  Schliesslich 
pflegen  sie  jedoch  die  Hornhaut  zu  durchwachsen,  sich  au  der  freien  Oberfläche 
des  Bulbus  schwamniälinlich  auszubreiten,  dann  aber  constant,  sei  es  nach  chirur- 
gischen Eingriffen,  wie  Abkappung,  (Kauterisation  u.  s.  w.,  oder  spontan  zu  dauernder 
Atrophie  des  Bulbus  zu  führen. 

Möglicher  Weise  gehören  hielicr  auch  mächtige  Geschwülste  der  Aderhavl, 
welche  sich  in  Bezug  auf  Ausbreitung  ganz  wie  Sarcome  verhielten,  den  Bulbus 
vollständig  ausfüllten,  nach  vorne  durch  die  Cornea  brachen  und  dann  unter  Ver- 
fettigung  und  Schrumpfung  mit  theil  weiser  Verkalkung  und  Verknöcherung  des 
bindegewebigen  Gerüstes  zu  einer  dichten  derben,  stellenweise  bröckelig  sandigen 
Masse  schrumpften  ;  in  einem  Falle  aucli  die  Sclerotica  nach  hinten  durchwuchsen, 
die  Orbita  zum  grossen  Theile  anstopften  und  mehrere  beträchtliche  secundäre 
Herde  in  der  Stirn-  und  Zitzenfortsatzgegend  bildeten,  nach  einer  ganz  unvoll- 
ständigen Exstirpation  der  Orbitalgeschwulst  jedoch  suppurativ  zerfielen  und  unter 
Narbenl)ildung  dauernd  heilten. 

Aiisserdem  sind  hieher  zu  rechnen  der  Lupus  (8.  486)  und  die  Gummiye- 
schicühte.  Letztere  finden  sich  sehr  gewöhnlich  an  der  Iris  (S.  280),  können  aus- 
nahmsweise jedoch  auch  sich  über  sämvitliche  Häute  des  Auges  verbreiten  und  den 
Bulbus  unter  den  Erscheinungen  der  Panophthalmitis  zu  Grunde  richten  (Hippel). 
In  mehreren  Fällen  wurden  sie  an  den  Lidern  (S.  486),  an  den  Knochenwänden  der 
Orbita  (Chelins),  öfters  an  der  Schädelbasis  (Graefe)  und  einmal  im  Chiasma  (Arcoleo) 
beobachtet. 

Wahrscheinlich  sind  auch  gewisse  dem  submucosen  Gefüge  entsprossene  Ge- 
wächse, welche  früher  zur  Aufstellung  einer  Exophthalmia  fungosa  Veranlassung 
gegeben  haben  mögen,  in  der  Bedeutung  von  Granulomen  aufzufassen.  Man  sieht 
sie  bisweilen  sehr  zahlreich  im  Bereiche  der  Tarsalbindehaut  und  insbesondere  der 
halbmondförmigen  Falte.  Sie  sind  meistens  rundlich,  pfefferkorn-  bis  bohnengross, 
wurzeln  diffus  im  lockeren  Stroma  und  st;iuen  die  überlagernde  Bindehaut  vor  sich 
her.  Durch  Zusammenhäufuvig  gedeihen  sie  mitunter  zu  ganz  beträchtlichem  Umfange, 
so  dass  die  Schliessung  der  Lidspalte  erschwert  oder  behindert  und  selbst  die 
Stellung  des  Ai;gendeckels  alterirt  wird.  Am  Uebergangstheile  der  Bindehaut  zeigen 
sich  nebenbei  meistens  Querwülste,  welche  sich  auf  breiter  Basis  erheben  und 
mehrere  Linien  im  Durchmesser  erreichen  können,  so  dass  sie  den  betreffenden 
Augendeckel  nach  aussen  hervorbauchen  oder,  indem  sie  zwischen  dem  Bulbus  und 
Lidrande  sich  nach  aussen  drängen,  die  Veranlassung  eines  Ectropiums  werden.  Es 
finden  sich  diese  Geschwülste  gewöhnlich  in  Begleitung  eines  Trachomes.  Die  sie 
überkleidende  Bindehaut  ist  dann  von  Granulationen  bedeckt  oder  bereits  sehnig 
entartet.  Die  Tumoren  sind  ziemlich  hart,  elastisch  und  lassen  sich  durch  anhalten- 
den Druck  nur  wenig  verkleinern.  Sie  bestehen  oft  Jahre  lang  unverändert  fort. 
Ihr  Gefüge  besteht  aus  einem  mehr  weniger  dichten  Balkenwerk  von  sehnigen 
Strängen  und  Häuten,  dessen  Zwischeniäume  durch  sulzähnliches  Bindegewebe 
erfüllt  werden. 

Ausserdem  kommen  hier  in  Betracht  die  Granulationen,  welche  sich  bisweilen 
an  randständigen  oder  mit  einem  Irisvorfalle  combinirten  Hornhautgeschwüren  ent- 
wickeln und  ausnahmsweise  langgestielte  pfefferkorn-  bis  erbsengrosse  Tumoren  dar- 
stellen. Weiters  sind  hierher  zu  rechnen  die  Papillome,  welche  bei  hochgradigem 
Pannus  bisweilen  aus  der  subepithelialen  Bildungsschichte  hervorwachsen  (Iwanoff), 
ixnd  ausnahmsweise  die  Hornhaut  völlig  deckend  zu  einem  so  beträchtlichen  Volumen 
gedeihen  können,  dass  sie  die  Lider  auseinander  drängen  (Businelli).  Nicht  minder 
gehören  in  diese  Kategorie  sch.irammige  Au.suiilchse,  welche  sich  manchmal  \un  fremde, 
in  der  Uebergangsfalte  lagernde,  oder  in  der  Conjunctiva  bulbi  steckende  Körper 
erheben,  dieselben  mitunter  förmlich  einhüllen  und  der  Wahrnehmung  entziehen. 
Auch  sind  die  kohlblmnenähnUchen  Excrescenzen  zu  erwähnen,  welche  aus  eiternden 
Bindehautwunden  hervorsprossen  und  am  öftesten  nach  der  Strahotomie  beobachtet 
werden,  zumal  wenn  dabei  ein  Theil  der  Muskelsehne  am  Bulbus  haften  geblieben 
ist.  Auch  das  Hagelkorn  ist,  so  lange  es  viel  unentwickeltes  Bindegewebe  in 
seiner  Höhle  führt,  als  Granulom  zu  betrachten. 

40* 


(528  Tumoren ;  Nosologie ;  Irisgrannlome ;  C'arcinome. 

In  Hinblick  auf  den  nicht  seltenen  Uebergang  von  Honihautgranulationen 
in  epitheliale  Narben  (S.  120)  mögen  endlich  gewisse  Irisgeschicülste  hier  einen  Platz 
finden,  welche  zum  grössten  Theile  aus  eindermoidalen  Zellen  bestanden  iind  durch 
Verdichtung  der  äusseren  Hülle  Aehnlichkeit  mit  Balggeschwülsten  gewonnen  hatten. 
Sie  enthielten  ein  oder  mehrere  Wimjjernhaare,  welche  in  Folge  eines  Trauvia  in 
die  Kammer  gelangt  waren  und  sind  kaum  anders  als  in  der  Bedeutung  einer  Art 
von  Incapsulation  aufzufassen  (Pamard,    Graefe,  Langenheck^  StöherJ. 

11.  Die  Carcinome  oder  Krebse  sind  durch  den  alveolaren  Bau  ihres 
Stroma  und  durch  den  epithelialen  Charakter  ihrer  zelligen  Elemente  aus- 
gezeichnet. Es  lagern  die  letzteren  in  besonderen  Maschenräumen  des 
Gefüges  haufenweise,  dicht  an  einander  gedrängt,  ohne  alle  Intercellular- 
substanz;  sie  verhalten  sich  nicht  wie  Parenchymzellen,  sondern  lassen  sich 
von  der  alveolaren  Grundlage  trennen,  auf  Durchschnitten  in  Form  eines 
Saftes  aus  den  Lücken  des  Gerüstes  auspressen.  Sie  führen  öfters  viel 
Pigment  und  stempeln  den  Krebs  dadurch  zu  einem  melanotischen 
(Virchow). 

Die  Zellen  erscheinen  nicht  selten  spindelförmig  mit  polaren  fädigen  Fortsätzen 
und  machen  so  die  Geschwulst  den  Spindelzellensarcomen  sehr  ähnlich.  Doch  tritt, 
zumal  an  Querschnitten,  die  Abflachung  und  die  derbe  hörn  artige  Beschaffenheit  der 
Zellenmembran  so  wie  die  Zusamraenhäufung  in  Stromalücken  gewöhnlich  deutlich 
hervor.  In  anderen  Fällen  sind  sie  sehr  klein.,  plaftrundlich  und  geben  dem  Krebse 
ein  medidlares  Aussehen.  Auch  kommen  Riesenzellen  mit  6 — 12  und  mehr  Kernen 
vor;  doch  erreichen  dieselben  niemals  so  bedeutende  Grössen,  wie  beim  Sarcom, 
lagern  nicht  einzeln,  sondern  immer  in  Gruppen  beisammen  und  sind  nebenbei  mit 
grossen  Zellen  gemischt,  welche  blos  Einen,  dafür  aber  ganz  unverhältnissmässig 
grossen  Kern  führen  (Virchow). 

Der    äusseren    Gestalt    nach  kommen  die  Carcinome    bald  mit  dieser, 

bald  mit  jener  der  im  Vorhergehenden  geschilderten  Gewächsarteu  so  nahe 

überein,    dass    nur    eine    sorgsame    Untersuchung    des   feineren  Baues  den 

krebsigeu  Charakter  zu  ermitteln  im  Stande  ist. 

Es  unterliegt  darum  auch  gar  keinem  Zweifel,  dass  gar  manche  der  oben 
citirten  Fälle  auf  Krebs  zu  beziehen  seien,  und  dieses  zwar  um  so  mehr,  als  sich 
eben  die  verschiedensten  Aftergebilde  gleich  von  vorneherein,  oder  in  ihrem  weiteren 
Verläufe  mit  Carcinom  combiniren  wnA  mehr  und  mehr  den  Charakter  desselben 
annehmen  können,  indem  die  dem  Krebse  eigenthümlichen  Elemente  sich  strecken- 
weise in  Form  von  Nestern  oder  von  plexusähnlichen  Zügen  zusammenhäufen  und 
bei  fortgesetzter  Wucherung  allmälig  das  Uebergewicht  erlangen. 

Im  Allgemeinen  kann  man  sagen,  dass  die  Bösartigkeit  bei  keinem  anderen 
PseudopJasma  sich  in  dem  Grade  ausspreche,  als  bei  Carcinomen.  In  der 
Eegel  ist  schon  sehr  zeitHch  die  Infection  vom  Mutterherde  aus  weit 
vorgeschritten,  ohne  dass  sie  sich  jedoch  immer  gleich  durch  aufTällige, 
dem  freien  Auge  wahrnehmbare  Veränderungen  des  Gefüges  offenbart.  Auch 
greift  der  Krebs  viel  leichter  auf  heterologe  Gewebsarten  über  und  selbst 
derbe  sehnige  oder  knöcherne  Scheidewände  sind  nur  schwache  Schranken, 
welche  bald  überwunden  werden.  Zudem  ist  die  discontinuirliche  Infection, 
die  Bildung  von  Tochterherden  an  entlegeneren  Stellen  und  das  Auftreten 
förmlicher  Metastasen  bei  Krebsen  meistens  viel  rascher  und  in  ausgiebigerem 
Masse  zu  erwarten,  als  bei  den  anderen  mehr  histoiden  Geschwulstarten. 
Die  Vermittler  der  Fortpflanzung  sind,  zum  Unterschiede  von  den  Sar- 
comen,  vorzugsweise  die  Lymphgefässe ;  daher  denn  auch  gewöhnlich  schon 
sehr  früh  Anschwellungen  der  Lymphdrüsen  hervortreten.  Uebrigens  deutet 
die  baldige  Ausbildung  einer  Cachexie  bei  Krebsen  darauf  hin,  dass  die 
Ueberfuhr  abgelöster  morphologischer  Bestandtheile  ins  Blut  eine  sehr  reich- 


Sitz;  Epithelialkrebs.  629 

liehe  sein  möge.  Endlich  ist,  der  Umstand,  dass  Carcinome  meistens  vom 
Anbeginne  an  mit  lebhafteren  Schmerzen  verknüpft  zu  sein  pflegen,  ein 
nicht  zu  verachtender  praktischer  Behelf,  wenn  es  sich  um  Beurtheilung 
einer  Geschwulst  am  Lebenden  handelt. 

Das  Carcinom  kann  gelegentlich  ohne  Zweifel  in  jedem  einzelnen 
Theile  und  in  jeder  Gewebsart  des  ophthalmologischcn  Gebietes  primär 
auftreten. 

Docli  scheinen  die  Binnenorgane  im  Ganzen  weniger  zu  Krebsbildungen  zu 
neigen,  wenigstens  ist  bisher  keinYaW.  von  jjriviäfem  intraoctdären  Curcmome  völlig 
sichergestellt  und  wo  Krebseleniente  gefunden  wurden,  waren  sie  stets  nur  in 
Sarcomen  u.  s.  w.  eingesprenrjt. 

Im  Uebrigen  wurden  Carcinome  als  nielir  weniger  vascularisirte,  bisweilen 
jiigmentirte,  steilfiissige,  oberflächlich  lappige  Geschwülste  auf  der  Hornhaut  (Lang- 
hans), an  der  Cornealgrenze  und  zum  Theile  im  Lederhaxitgeßlge  wurzelnd  (Berthold, 
Sieffan,  Classen),  in  der  äusseren  Haut,  in  der  Bindehaut  (Althof)  und  in  der  Orbita 
(Graefe,  Sichel,  Rothraund),  gefunden.  In  einzelnen  Fällen  ging  das  Aftergewächs 
von  den  henachharten  Skelettheilen,  dem  Keilbeine  (Graefe),  den  Gesichtsknochen 
(Hnlke)  aus  iind  wmcherte  unter  weitläufigen  Zerstörungen  der  zwischenliegenden 
Gebilde  in  die  Orbita  hinein.  Die  in  der  Thr'dnendnise  beobachteten  cancroiden 
Gewächse  scheinen  den  plexiformen  Tumoren  eingereiht  werden  zu  müssen. 

Eine  besondere  Erwähnung  verdient  das  unter  dem  Namen  Epithelial- 
krebs  seit  Langem  bekannte  Hautcarcinom.  Es  entwickelt  sich  dasselbe  nur 
selten  bei  jugendlichen  Lidividuen,  ziemlich  häufig  aber  im  späteren 
Mannes-  und  Greisenalter  und  ist  im  letzteren  Falle  meistens  viel  bösartiger, 
indem  selbst  unter  günstigen  Umständen  vorgenommene  Operationen  in  der 
Eegel  nur  einen  sehr  unvollständigen  Erfolg  haben,  der  Krebs  fast  immer 
recidivirt.  Es  sitzt  das  Epithelialcarcinom  stets  in  den  oberflächlichen 
Theilen  des  Körpers  und  geht  niemals  auf  Eingeweide  über.  Es  kommt  nur 
sehr  selten  primär  an  den  Lidern,  an  der  Bindehaut  oder  an  der  Hornhaut 
vor ;  desto  öfter  setzt  es  sich  von  der  Wangen-,  Stirn-  und  Nasenhaut 
auf  die  Augendeckel  und  von  diesen  auf  die  orbitalen  Gebilde  fort.  Es  ist 
fast  immer  die  flache,  selten  die  drusige  Art,  welche  mau  in  dieser 
Gegend  beobachtet. 

a.  Der  flache  Epithelialkrebs  erscheint  in  der  äusseren  Haut  unter  der  Ge- 
stalt kleiner  rundlicher  harter  lichter  Knötchen,  welche  sich  verschiedenartig 
gruppiren,  sich  späterhin  mit  zahlreichen  venösen  Gefässen  überspinnen  und  dadurch 
ein  marmorirtes  oder  gestreiftes  Aussehen  bekommen.  Die  Knoten  belegen  sich  dann 
mit  gelben  Borken,  unter  welchen  man  zunächst  blos  eine  excoriirte,  weiterhin  aber 
eine  geschwürige  Fläche  findet,  die  eine  dünneitrige  Flüssigkeit  absondert,  harte 
Ränder  zeigt,  zeitweilig  sich  wohl  auch  schliesst,  bald  aber  wieder  aufbricht  und  in 
diesem  Zustande  Monate  und  Jahre  verharren  kann,  ohne  sich  wesentlich  nach 
Umfang  und  Tiefe  zu  vergrössern.  Dabei  ist  die  Aifection  fast  schmerzlos,  oder 
es  treten  blos  zeitweilig  Stiche  auf.  Erst  nach  längerem,  öfters  mehrjährige^n,  Be- 
stände greift  der  Krebs  sowohl  tiefer  als  weiter  um  sich  und  zerstört  durch  Schmel- 
zung der  sich  fort  und  fort  neu  bildenden  Knoten  nicht  nur  die  äussere  Haut,  sondern 
auch  alle  '> interliegenden  Gebilde  des  einen  und  des  anderen  Lides.  Er  setzt  sich 
dann  auf  das  fettreiche  orbitale  Bindegewebe  fort,  fixirt  den  Augapfel  und  bringt  ihn 
unter  fortwährenden  Entzündungen  seiner  Bestandtheile  ziir  Schrumpfung.  In  manchen 
Fällen  indessen  pflanzt  er  sich  unmittelbar  oder  durch  disseminirte  Keime  auf  die 
Bindehaut  und  vom  Limbus  conjunctivalis  aus  theils  über,  theils  unter  der  Bow- 
man'schen  Membran  auf  die  Cornea  fort  (Iivanoff).  Unter  allmäligem  Wachsthume 
der  Aftermasse  wird  dann  mehr  und  mehr  von  der  Hornhaut  zerstört  und  am  Ende 
die  Phthisis  des  Bidbus  eingeleitet.  Indem  der  Krebs  an  der  Oberfläche  nach  und 
nach  abstirbt,  dafür  aber  tiefer  eindringt,  wird  die  Augenhöhle  immer  weiter  ge- 
öfl'net  und  der  schrumpfende  Bulbus  mehr  und  mehr  entblösst.  Früher  oder  später 
schreitet  er  auch  auf  die    knöchernen  Wandungen  der  Augenhöhle    fort,  zerstört  sie 


630  Tumoren  ;  Nosologie ;  Epithelialkrebs ;  Angiome ;  Cavernöse  Tumoren. 

in  wachsendem  Umfange,  stellt  solchermassen  Verbindungen  der  Orbita  mit  den 
umliegenden  Höhlen  her  und  kann  am  Ende  wohl  auch  eine  oder  die  andere  Hälfte 
des  GesicJitsskelefes  mehr  weniger  vollständig  vernichten.  Sobald  der  Krebs  einmal  tiefer 
greift  und  wohl  gar  schon  den  Bulbus  fixirthat,  stellen  sich  immer  sehr  heßige  Schmerzen 
ein,  welche  sich  aus  dem  starken  Drucke  und  aus  der  Spannung  erklären,  denen 
die  Nerven  von  Seite  des  Krebses  ausgesetzt  sind.  Die  Schmerzen  wüthen  besonders 
des  Nachts,  verbreiten  sich  über  den  ganzen  Kopf  und  rauben  vermöge  ihrer  Hef- 
tigkeit dem  Kranken  seinen  Schlaf.  Es  pflegen  dann  «auch  die  Li/nvphdrüsen  in  der 
Umo-ebnng  der  Parotis  stark  anzuschwellen.  Zuletzt  magert  der  Kranke  unter  dem 
fortwährenden  Leiden  immer  mehr  ab,  die  Gesichtsfarbe  wird  eine  üble,  es  tritt 
Zehrfieher  ein  und  der  Kranke  stirbt  (ScInihJ. 

h.  Der  drusige  EpiÜielialkrehs  entwickelt  sich  sowohl  an  der  äusseren  Decke, 
als  auch  im  Unterhautbindegewebe,  im  Muskelgefüge,  in  der  Bindekaut  der  Lider 
und  des  Augapfels  primär.  Er  tritt  bald  als  umschriebene  Geschwulst,  bald  in  der  Form 
von  Infiltration  auf.  Es  bilden  sich  hierbei  in  oder  unter  der  Haut  ein  oder  mehrere 
runde  harte  und  bei  stärkerem  Drucke  schmerzhafte  Knötchen,  welche  bis  zu 
Erbsen-  oder  Wallnussgrösse  anschwellen  können,  ehe  sie  aufbrechen,  was  meistens 
erst  im  Laufe  einiger  Wochen  geschieht.  Die  entblösste  Geschwulstoberfläche 
erscheint  dann  dunkelroth,  bisweilen  braunroth,  und  ziemlich  eben,  sie  sondert 
schmutzigweisses  dünneitriges  Secret  ab,  das  l)ald  übel  riecht  und  zu  Krusten  ver- 
trocknet. Bisweilen  bilden  sich  streifenweise  Ueherhäutungen  od&r  wirkliche  grubige 
Narben.  Die  Ränder  des  Geschwüres  sind  stark  aufgeworfen,  mehr  weniger  nach 
aussen  gekehrt,  rundliche  Wülste  darstellend  oder  eingekerbt.  In  Betreff  des 
weiteren  Verlaufes  und  der  Ausgänge  verhält  sich  der  drusige  P>pithelialkrebs  ähnlich 
wie  der  flache.  Doch  werden  bei  der  drusigen  Art  die  Lymphdrüsen  der  Nachbar- 
schaft sehr  zeitlich  in  Mitleidenschaft  gezogen,  was  die  Aussicht  auf  Heilung  durch 
die  Operation  sehr  vermindert  (Schuh). 

12.  Angiome.  Es  sind  dies  Geschwülste,  welche  durch  die  Aus- 
deliuung  normaler,  oder  durch  die  Entartung,  Neubildung  und  Erweiterung 
pathologischer  Gefässe  dargestellt  werden.  Das  Hervorgehen  aus  Gefässen 
unterscheidet  sie  wesentlich  von  den  telangiektoden  Formen  der  vorhin 
geschilderten  Gewächsarten,  welche  eben  nur  nebenbei  und  häufig  blos 
streckemveise  durch  die  übermässige  Vascularisatiou  die  Eigenschaften  eines 
Blutschwammes,  eines  Fungus  haematodes  annehmen,  ohne  jedoch  ihren 
ursprünglichen  Charakter  als  Myxom,  Sarcom,  Carcinom  u.  s.  w.  aufzu- 
geben. Sie  sind  ihrem  histologischen  Verhalten  und  der  äusseren  Er- 
scheinung nach  überaus  mannigfaltig,  daher  sie  in  mehrere  Kategorien  ge- 
trennt werden. 

o.  Angioma  cavernosum,  Cavernöse  Tumoren.  Es  gehören  dieselben 
eigentlich  nicht  zu  den  Gefässgesehwülsten,  da  sie  nicht  sowohl  Gefässen, 
als  vielmehr  einer  bindegewebigen  oder  hindegewebsartigen  Grundlage  ent- 
spriessen  und  Fachwerke  mit  rundlichen  oder  hautartigen  Balken  dar- 
.stellen,  deren  Lücken  von  Venen  aus  mit  Blut  gefüllt  werden  und  so  dem 
Gewächse  eine  Aehnlichkeii  mit  Schwellkörpern  verleihen.  Die  Balken 
bestehen  aus  einer  hyalinen  feinfibrillirten  oder  lockig  faserigen  Intercellular- 
substauz  mit  zahlreichen  gestreckten  Kernzellen  und  bilden  bald  ein  zartes 
filzartiges,  bald  ein  grobes  Gerüste.  Sie  wachsen  oft  in  hohle  runde  Kolben, 
bisweilen  auch  in  dentritisch  verzweigte  Schläuche  aus,  welche  gleichfalls 
Blut   führen   (Rokitansky). 

Die  cavernösen  Geschwülste  entwickeln  sich  nicht  selten  in  den  tiefe- 
ren Schichten  des  Unterhautbindegewebes  der  Lider  und  in  deren  nächsten 
Umgebungen,  wurzeln  bisweilen  aber  auch  im  Orbitalgefilge  (Wecker,  de  Ricci, 
Manz)  und  zwar  in  wechselnden  Tiefen.  Sie  sind  gewöhnlich  mit  den  Ge- 
weben ohne  bestimmte  Grenzen  verstrickt,  seltener  von  einer  dünnen  Zell- 


Cavernöse  Tiinioi(Mi;  Plexiforme  Geseliwulste ;  Cylindrome.  631 

gewebshülle  umgebon  und  daher  ausschälbar.  Bisweilen  erscheinen  sie  auch 
gestielt  und  hängen  dann  an  einer  Stolle  fest.  Wenn  siti  oherflächlich  lagern 
und  ungehindert  nach  allen  Richtungen  wachsen  können,  so  erscheinen  sie 
meistens  rundlich  und  undeutlich  lappig,  beurkunden  einen  ziemlichen 
Gi'ad  von  Elasticität  und  bisweilen  sogar  eine  dunkle  Schwappung.  Auch 
macht  sich  dann  ihre  Schwellbarkeit  sehr  auttallig  geltend,  sie  vergrössern 
sich  beim  Schreien,  Drängen,  Huvsten  etc.,  überhaupt  bei  jeder  Blut- 
stauung in  der  oberen  Körperhälfte,  lassen  sich  aber  leicht  zusammen- 
drücken und  gellen  sogleich  wieder  auf  ihren  früheren  Umfang  zurück, 
wenn  die  mechanische  Hyperämie  behoben  wii"d.  Sie  drängen  sich  bei  ihrem 
Wachsthume  und  bei  vorübergehenden  Anschwellungen  zur  Lidspalte 
heraus  {Bhssig)  oder  treiben  das  eine  oder  beide  (Borelli)  Lider  in  Gestalt 
mächtiger  Beutel  hervor.  Sie  scheinen  dann  gewöhnlich  dunkelbläulich  bis 
schwärzlich  durch.  Doch  ist  Letzteres  keineswegs  immer  der  Eall,  öfters 
ist  die  Geschwulst  obex'flächlich  ganz  blass  und  wird  dann  leicht  mit  einem 
Lipome  verwechselt,  bis  ein  Einschnitt  die  wahre  Natur  verräth.  Es  füllen 
sich  eben  die  Maschen  des  Gerüstes  nicht  immer  gleich  von  vorneherein 
mit  Blut ,  sondern  bleiben  theilweise  eine  Zeit  lang  ausser  Verbin- 
dung mit  Venen  und  präsentiren  sich  als  solide  Geschwülste.  Im  loeiteren 
Verlaufe  verwachsen  die  Tumoren  gerne  mit  der  äusseren  Decke  und 
brechen  in  Gestalt  kleiner  beerenartiger  rothbrauner  Auswüchse  nach  aussen, 
nachdem  die  Venennetze  der  Haut  sich  stark  und  oft  in  grossem  Um- 
kreise ausgedehnt  haben.  Oft  dringen  sie  gleichzeitig  nach  rückwärts  in 
die  Augenhöhle,  usuriren  wohl  auch  den  Knochen  und  gelangen  so  in  die 
Nachbarhöhlen,  um  sich  dort  auszubreiten.  Entwickeln  sie  sich  tiefer 
hinten,  z.  B.  im  Muskeltrichter  (Graefe)  oder  ausserhalb  desselben  im  Fett- 
gewebe (Bowman),  so  kommen  ihre  Eigenthümlichkeiten  nicht  so  deutlich 
zur  Aeusserung  wegen  dem  Drucke,  unter  welchem  sie  sich  von  Seite 
der  Umgebungen  befinden;  ihre  Consistenz  erscheint  dann  viel  grösser,  die 
Elasticität  geringer  und  auch  die  Schwellbarkeit  ist  nur  schwer  nachweis- 
bar. Sie  sind  in  der  Regel  angeboren.  Oft  treten  sie  schon  bei  ganz  jungen 
Kindern  mit  einem  beträchtlichen  Umfange  hervor  und  wachsen  auch  sehr 
schnell.  In  anderen  Fällen  ist  die  Volumszunahme  eine  sehr  langsame,  die 
Geschwulst  macht  sich  erst  im  späteren  Kindesaller  oder  gar  am  Erwachsenen 
bemerkbar.  Es  können  die  Blutschwämme  ganz  enorme  Grössen  ei'reicheii 
und,  falls  sie  in  der  Orbita  sitzen,  diese  völlig  ausfüllen  und  den  Aug- 
apfel weit  hervortreiben.  Oft  finden  sich  nebenbei  ähnliche  Tumoren  an 
anderen  Stellen  der  Körperoberfläche.  Sie  sind  schmerzlos  und  pflegen 
keinen  nachtheiligen  Eiufluss  avif  die  Vegetationsverhältnisse  des  Gesammt- 
organismus  auszuüben,  ihre  Schädlichkeit  ist  in  den  mechanischen  Verhält- 
nissen begründet  (Schuh). 

h.  Plexiforme  Geschwülste.  Dieselben  kommen  im  Ganzen  selten  vor  und  sind 
dann  überdies  meistens  mit  anderen  Gewächsarten ,  vornehmlich  mit  Myxom  und 
Sarcom  gemischt.  Die  charakteristischen  Bestandtheile  derselben  sind  vielfach  unter 
einander  anastomosirende,  oft  knotige  Schläuche  von  derber  Consistenz,  welche 
blind  endende  Kolben  und  Zapfen  treiben.  Die  histologischen  Eigenschaften  dieser 
Gebilde  ivechseln  in  den  einzelnen  Fällen  und  zwingen  vorläufig  zur  Unterscheidung 
mehrerer  Gruppen,  welche  jedoch  darin  übereinkommen,  dass  sie  sämmtlich  von 
den  Lyviphgefdssen  auszitgehen  und  einer  Wucherung  des  Epithels  der  letzteren 
ihren  Ursprung  zu  verdanken  scheinen  (Koester).  Bei  der  einen  Gruppe,  welche 
auch  als  Cylindrom  beschrieben  wurde,  erweisen  sich  die  derben  Schläuche  und 
Blindkolben  anfänglich  zusammengesetzt  aus  Bildungszellen  und  deren  verschiedenen 


ß32  Tumoren;  Nosologie;  Plexiforme  Geschwülste;  Telangiektasien. 

Uebergängen  zur  Spindel-  und  Sternform,  welche  in  eine  hindegeivehige  faserstreifige 
Intercellularsubstanz  eingebettet  sind.  Später  verfettigen  diese  Elemente  zum  Theile, 
zumeist  aber  entarten  sie  zu  einer  hyalinen  structurlosen,  anfangs  weichen,  später 
fester  und  selbst  beinhart  werdenden  Masse ,  welche  den  plexiformen  Gebilden 
ganz  das  Aiissehen  gibt,  als  wären  sie  von  knorpeligem  Gefüge.  In  manchen  Fällen 
stimmt  die  Textur  der  Schläuche  und  Blindkolben  aber  auch  wirklich  mit  jener 
des  wahren  Knorpels  überein  und  führt  die  diesem  eigenthümlichen  grosskeraigen 
Zellen  von  beträchtlichem  Umfange  fBoettcher),  daher  man  diese  Gruppe  zu  den 
Enchondromeu  zu  zählen  und  als  Chondroma  telangiektodes  in  das  System  einzu- 
zureihen  sich  veranlasst  fand.  In  einer  dritten  Gruppe,  zu  welcher  auch  die  soge- 
nannten Adenoide  theil weise  gehören  mögen,  tragen  die  die  Schläuche  bildenden 
Elemente  durchwegs  den  epithelialen  Charakter ,  liegen  enge  aneinander  ohne 
Ziohchensubstanz  und  stempeln  das  Gewächs  solchermassen  zum  Cancroide  (Hirsch- 
hergj,  während  sie  durch  ihre  Neigung  zur  gallertartigen  Degeneratiori  und  durch  die 
Entwickelung  zahlreicher  Alveolen  mit  choloidem  Inhalte  sowie  durch  ihre  plexiforme 
Gestaltung  ihre  innige  Verwandtschaft  mit  den  vorgenannten  beiden  Gruppen 
verrathen. 

Die  Schläuche  der  ersten  und  zweiten  Gruppe  sind  häufig  an  den  Verlauf 
der  Nerven  und  besonders  der  kleinen  Gefässe  gebunden  und  scheinen  aus  den 
diese  umspinnenden  Lymphgefässnetzen  hervorzugehen.  Sie  stellen  dann  eigentlich 
nur  verzweigte  Röhren  dar,  in  deren  Lichtung  die  Gefässe  und  Nerven  eine  Strecke 
weit  eingehüllt  sind.  Mitunter  jedoch  entwickeln  sich  diese  Geschwülste  auch 
selbständig  auf  fibrocartilaginösem  Boden  und  wuchern  aus  demselben  in  Gestalt 
von  Cylindern,  Kolben  oder  Dendriten  hervor.  Sie  scheinen  in  ihrer  ersten  Anlage 
angeboren  zu  sein  und  später  selbständig,  meist  schmerzlos  zu  wachsen,  auf  die 
Vegetationsverhältnisse  des  Individuums  wenig  Einfluss  zu  nehmen  und,  wenn  sie 
vollständig  exstirpirt  werden  konnten  und  in  reiner  Form  auftraten ,  nicht  leicht 
zu  recidiviren.  Sie  stellen  meistens  mehr  weniger  grosse  lappige,  elastisch  weiche, 
bisweilen  lipomähnliche  Geschwülste  dar,  in  welchen  sich  die  derberen  knotigen 
Stränge,  mitunter  auch  mächtige  Knollen,  deutlich  fühlen  lassen.  Sie  lagern  am 
häufigsten  sehr  oberflächlich.  Man  fand  sie  im  Unterhautbindegewebe  des  oberen  Lides. 
Sie  sandten  von  hier  Stränge  in  die  Orbita  hinein  (KnapjjJ  oder  breiteten  sich 
auf  die  Brauen-  und  Stirngegend  aus  (Billroth).  In  anderen  Fällen  sassen  sie  im 
vorderen  Theile  der  Orbita  nahe  der  Decke  und  stülpten  das  Lid  hervor  (Czerny, 
Graefe),  oder  hatten  sich  hinter  dem  Thränensacke  entwickelt  und  diesen  nach  aussen 
und  vorne  getrieben  (Graefe).  Manchmal  gehen  sie  jedoch  auch  vom  Hintergrunde 
der  Augenhöhle  aus  und  drängen  den  Bulbus  hervor  (Graefe).  In  einem  Falle  hatte 
eine  derartige  Geschwulst  die  Knochen  der  Orbita  gegen  die  Schädelhöhle  hin 
(Boettcher),  in  einem  anderen  nach  unten  (Koester)  dtirchbi-ochen. 

Die  cancroide  Form  wurde  im  Vordertheile  der  Orbita  (Hirschberg)  nachge- 
wiesen und  allem  Anscheine  nach  sind  auch  manche  der  in  der  Thränendrüse  be- 
obachteten adenoiden   Geschivülste  (0.  Becker)  auf  sie  zu  beziehen. 

c.  Telangiektasieyi  kommen  als  xmischriebene  Geschwülste  und  in  flächenartiger 
Ausbreitung  vor.  Es  liegt  ihnen  wahrscheinlich  nicht  blos  eine  Ausdehnung,  son- 
dern auch  eine  Neubildung  von  Capillaren  zu  Grunde.  Die  letzteren  erscheinen 
stark  gewunden,  knäuelartig  unter  einander  verschlungen,  oft  auch  sackförmig 
erweitert,  ja  in  einzelnen  Fällen  fliessen  wegen  Resorption  der  Zwischenwände 
eine  Anzahl  solcher  Hohlräume  zusammen  und  geben  der  Geschwulst  einige  Aehn- 
lichkeit  mit  cavernosen  Tumoren  {Rokitansky).  Immer  sind  auch  die  nachijarlichen 
kleinen  Gefässe  ektatisch  und  zwar  bald  vorwiegend  die  arteriellen,  bald  die  venösen, 
je  nachdem  der  Process  in  den  Capillaren  mehr  nach  dieser  oder  jener  Seite  hin 
greift  (active  und  passive  Telangiektasie).  Die  mehr  arteriellen  Geschwülste  pflegen 
sich  durch  eine  etwas  hellere  Färbung  auszuzeichnen,  können  auch  wohl  pulsiren 
und  nähern  sich  in  ihrem  ganzen  Verhalten  schon  sehr  dem  Aneurysma  anastomo- 
ticum.  Allen  Telangiektasien  ist  eine  gewisse  Schwellbarkeit  eigen,  welche  sich  bei 
Blutwallungen  und  besonders  bei  Blutstockungen  im  Gebiete  der  oberen  Hohlvene 
sehr  auffällig  zu  machen  pflegt.  Sie  antworten  auf  Verletzungen,  selbst  auf  sehr  gering- 
fügige, durch  reichliche  Blutungen  und  neigen  zu  partiellen  Verschwänmgen 
{Mackenzie).  Sie  sind  gemeiniglich  angeboren  oder  zeigen  sich  wenigstens  schon  im 
frühesten  Alter;  gehen  späterhin  öfters  wieder  zurück,  bestehen  aber  in  der  Regel 
zeitlebens  fort,  vergrössern  sich  wohl  gar  und  sollen  ausnahmsweise  ganz  er- 
staunliche Grössen  erreicht  haben  (Pauli,  AVClelland).  Man  findet  sie  am  häufigsten 


Pulsirendo  Gescliwülsto ;  Aneurysma  anastomoticum.  633 

in  und  unter  der  äusseren  Ilmd;  seltener  gehen  sie  auf  die  Bindehaut  über 
{Mooren)  oder  entwickeln  sicli  daselbst  jjrimär  (Graefe).  Mitunter  dringen  sie  auch 
tief  in  die  Orhita  hinein  [Wardrop).  In  einem  solchen  Falle  hat  man  anbei  eine 
starke  Erweiterung  und  Selilängelnng  der  Netzhau/venen  beobachtet  (Schirvier). 
Es  ist  ungewiss ,  ob  die  als  Telangiektasien  und  als  Naevi  venosi  beschriebenen 
Geschwülste,  welche  aus  der  Iris  {Mooren),  aus  dem  suhconjnnctivalen  Gewebe  und 
aus  der  Carnnkel  {Aminon),  aus  dem  Vordertheile  des  orbitali'U  Fettpolsters  {Bnrns, 
Ahernethy ,  Schön)  hervorwucherten,  oder  vernu'ige  ihrer  tiefen  Lage  Exophthalmus 
begründeten  {Kemjf,  Soler),  zu  den  Telangiektasien  gehören,  oder  ob  sie  nicht 
vielmehr  als  cavernöse  Tumoren,  Cylindrome ,  Phlebektasien  zu  betrachten  seien. 
Namentlich  ist  dieser  Zweifel  gerechtfertigt,  wo  ein  Trauma  die  Ursache  abgegeben 
zu  haben  scheint. 

d)  Die  pulsirenden  Geschwülste.  Es  lagern  dieselben  bisweilen  sehr 
oberflächlich  und  zeigen  sich  als  ziemlich  umschriebene  höokei'ige  Gefäss- 
conYolute  (Bell,  Wardrop),  welche  den  Telangiektasien  sehr  ähnlich  sind  und 
in  der  Bedeutung  eines  Aneurysma  anastomoticum  aufgefasst  werden   dürfen. 

In  der  grössten  Mehrzahl  der  Tälle  jedoch  sitzen  sie  tiefer  in  der 
Orhita  und  bedingen  einen  Exophthalmus,  welcher  gewöhnlich  mit  sehr  be- 
trächtlichen Sehstörung-en  einhergeht  und  häufig  auch  den  Bulbus  durch 
Atrophie  zu  Grunde  richtet.  Die  hervorragendsten  Symptome  sind  aneurys- 
matische  Geräusche  und  die  sehr  auffälligen  Pulsationen.  Die  ersteren  sind 
an  dem  Augapfel  sowie  in  dessen  Nachbarschaft ,  an  den  Schläfen,  der 
Stirne  und  sogar  noch  in  weiterem  Umfange  hörbar.  Die  Pulsationen 
können  nicht  nur  gefühlt,  sondern  häufig  auch  deutlich  gesehen  werden. 
Auch  die  Kranken  hören  und  fühlen  die  Geräusche,  zuweilen  in  einer 
sehr  qualvollen,  ja  unerträglichen  Weise.  Nicht  selten  bestehen  dabei 
heftige  Schmerzen  im  Kopfe  und  Auge.  Durch  das  Eingehen  mit  dem 
Finger  zwischen  Orbitalrand  und  den  Bulbus  lässt  sich  die  Geschwulst 
als  eine  meistens  sehr  weiche,  leicht  zusammendrückbare  elastische,  in  der  Regel 
nicht  scharf  umschriebene  Masse  nachweisen.  Das  Zurückdrängen  des  Aug- 
apfels ist  in  der  Regel  nicht  schmerzhaft  und  findet  meistens  auch  keinen 
besonderen  Widerstand.  Circulationshindernisse  im  Bereiche  der  oberen 
Hohlvene  pflegen  den  Exophthalmus  und  die  etwa  sichtbare  Geschwulst  zu 
vergrössern,  wogegen  Compression  oder  gar  Unterbindung  der  gleichseitigen 
Carotis  den  Tumor  verkleinert  und  nebenbei  das  Pulsiren  und  Schwirren 
aufhebt,  oder  wenigstens  zeitweilig  wesentlich  vermindert  (Travers,  Dal- 
rymple ,  Walton,  Brainard ,  Freeman ,  Morton,  Bell,  Lawrence,  Coüard, 
Williams,  Demarquay,  Mackenzie,  Poland,  Zander,  Geissler,  Zehender,  Schiess- 
Gemuseus), 

In  nicht  wenigen  Fällen  ragt  die  Geschwulst  wohl  auch  nach  vorne  hin 
aus  der  Orhita  heraus  und  drängt  die  Lider  sowie  die  Conjunctiva  hervor.  Sie 
steht  dann  bisweilen  mit  sehr  erweiterten  Gefässen  im  Zusammenhange ,  welche 
sich  auf  die  Lider,  die  Stirne  und  Nasengegend  etc.  ( Wecker,  Bourguet,  Bell, 
Sahiess  -  Gemuseus)  verfolgen  lassen  und  dann  mitunter  dasselbe  Pulsiren  und 
Schwirren  zur  Wahrnehmung  bringen.  In  einzelnen  Fällen  wurde  nebenbei  eine 
sehr  starke  Erweiterung  der  Venen  und  Arterien  des  Augapfels  beobachtet  ( Wecker, 
Schiess- Gemuseus).  In  einem  Falle  schien  die  Geschwulst  in  die  Stirnhöhle  einge- 
drungen zu  sein  {Johert)  und  in  einem  anderen  fanden  sich  ganz  ähnliche  pulsirende 
Tumoren  im  Gehirne,  den  Lungen  und  Waden  (Lenoir).  Ausnahmsweise  erwies 
sich  die  Geschwulst  doppelseitig  {Velpeau,  Herpin,  Desormeaux). 

In  der  grösseren  Hälfte  der  hierher  gehöiigen  Fälle  gab  ein  Trauma  die 
nächste  Veranlassung.  Der  Exophthalmus  zeigte  sich  zuweilen  unmitfeWar  darnach, 
meistens  jedoch  erst  spüler,  manchmal  sogar  nach  Wochen,  Monaten  und  selbst 
Jahren.  Die  Entwickeluug  des  Tumors  war  dann  liänfig  mit  starken  Kopfschmerzen, 
mit  den    Gefühlen    von   Krachen,    Klopfen    und    von    Sausen    im    Ohre  verbunden. 


634  Tumoren;  Nosologie;  Pulsirende  Geschwülste;  Wahre  Aneurysmen;  Phlebektasien. 

Einige  Male  trat  er  während  der  Schioangerschaft,  während  der  Enthindung  {Nunnehy), 
in  Folge  heftigen  Hustens  etc.  hervor. 

Laut  anatomischen  Untersuchungen  finden  sich  derlei  pulsirende  Orbital- 
geschwülste öfters  in  Combination  mit  Strömungshmdernissen  im  Sinus  cavernosus 
und  es  lag  nahe,  die  Stauung  in  den  beiden  Venis  ophthalmicis  als  den  patho- 
genetischen Grund  des  Exophthalmus  anzuerkennen  {Nunneley).  Es  erwiesen  sich 
diese  Circulationshindernisse  begründet:  durch  massige  Exti-avasate,  welche  im 
Sinus  cavernosus  ringsum  die  Carotis  lagerten  ( Gendrin);  durch  entzündliche  Producte 
{Hxclke)  und  durch  wuchernde  Geschwülste  [Nnnneley ,  Lenoir),  welche  den  Sinus 
cavernosus  verstopften;  durch  ein  wahres  Aneurysma  dei'  Carotis,  welches  gerade 
an  der  Ursprungsstelle  der  Arteria  ophthalmica  sass  und  die  gleichnamige  Vene 
zusammendrückte  [Nunneley);  endlich  durch  einen  Varix  aneitrysmaticas  der  Carotis, 
welche  von  einem  Knochensplitter  an  der  Austrittsstelle  aus  dem  Canalis  caroticus 
durchrissen  worden  war  und  ihren  Inhalt  mit  dem  des  Sinus  cavernosus  mischte 
{Nelaton).  Die  Zurückführung  pulsirender  Orbitalgescliwülste  auf  Verstopfungen 
im  Sinus  cavernosus  wird  indessen  einerseits  durch  die  weite  Communication  der 
Venae  ophthalmicae  mit  der  Vena  facialis  anterior  (S.  580)  bedenJdich ;  anderseits 
stehen  ihr  Fälle  entgegen,  in  welchen  ganz  dieselben  Erscheinungen  während  des 
Lebens  bestanden  und  nach  dem  Tode  entweder  gar  nichts  Krankhaftes  gefunden 
wurde  (Boicma7i),  oder  wenigstens  jedes  Circulationshindeniiss  im  Sinus  cavernosus 
ausgeschlossen  werden  konnte ;  dafür  aber  eine  sehr  beträchtliche  Erweiterung  der 
orbitalen  Venen  und  eine  entzündliche  Verdickung  ihrer  Wandungen  nachgewiesen 
wurde  [Wecker).  Es  ist  nach  diesen  Befunden  kaum  zu  zweifeln,  dass  nicht 
sowohl  die  Venenstauung  an  sich,  als  vielmehr  die  entzündliche  Erweiterung  der 
orbitalen  Gefässnetze  der  Grund  des  Exophthalmus  auch  in  jenen  Fällen  gewesen 
sei,  in  welchen  der  Sinus  cavernosus  an  der  Leiche  verstopft  getroffen  wurde, 
und  dass  das  Pidsationsphänomen  durch  die  Fortpflanzung  des  systolischen  Herz- 
druckes auf  die  dilatirten  Gefässe  erklärt  werden  müsse. 

Wahre  Aneurysmen  sind  nur    selten  anatomisch    nachgewiesen  worden. 

Dieselben  betrafen  gewöhnlich  den  Stamm  der  Arteria  ophthalmica  {Guthrie, 
Carron  du  Villards,  Passavant).  In  einem  Falle  sass  die  Geschwulst  in  der  Schädelhöhle 
an  jener  Stelle  der  Carotis,  an  welcher  die  Arteria  ophthalmica  abgeht  (Giraudet). 
In  anderen  Fällen  bestanden  Aneurysmen  an  den  Endzweigen  der  Arteria  ophthal- 
mica [Parish,  Hort,  Szokalski).  Auch  hat  man  die  pulsirende  Erweiterung  eines 
Hauptastes  der  Arteria  centralis  retinae  ophthalmoscopisch  beobachtet  [Sous)  und 
laut  älteren  Aufzeichnungen  sogar  an  der  Leiche  getroffen  [llimly ,  Graefe  sen., 
Beultet). 

e.  Einfache  Phlebektasien.  Hierher  gehört  eine  mit  starker  Erweiterung  der 
Lidvenen  einhergehende ,  übrigens  nur  zeitweilig  oberhalb  der  äusseren  Lidcom- 
missur  hervortretende ,  einen  Pldebolith  enthaltende  erbsengrosse  Geschwulst  im 
vordersten  Theile  des  Orbitalbindegewebes  {Graefe).  Ueberdies  sollen  Phlebektasien 
in  Gestalt  mächtiger  Varices  an  der  Bindehaut  gefunden  worden  sein  (K.  Jaeger, 
RoosbroeckJ.  Einmal  hatte  sich  nach  einem  Trauma  im  unteren  Lide  ein  „venöser 
Tumor"  gebildet,  welcher  bei  aufrechter  Körperstellung  völlig  zurücktrat,  bei  vor- 
gebeugtem Kopfe  aber  zur  Mandelgrösse  anschwoll  {Foucher).  Möglicher  Weise 
gehören  auch  gewisse  Exophthalmi  mit  ganz  ähnlichem  Verhalten  hierher.  Es  traten 
die  Augäpfel  bei  stark  geneigtem  Oberkörper  um  ein  Beträchtliches  hervor,  sanken 
unter  entgegengesetzten  Verhältnissen  aber  in  ihre  normale  Lage  zurück  {Andrae, 
Mackenzie),  oder  hoben  und  senkten  sich  ausserdem  mit  dem  Wechsel  des  Respira- 
tionsdruckes {Ad.  Schmidt). 

D.  Blasenwürmer.  In  der  Augengegend  sind  bisher  nur  der  Echino- 
coccus hominis  und  der  Cysticercus  cellulosae  nachgewiesen  worden.  Der 
erstere  stellt  mächtige  schwappende  Geschwülste  cystoiden  Charakters  dar, 
welche  in  seröser  oder  klebriger  Elüssigkeit  eine  kleinere  oder  grössere 
Anzahl  wasserheller  Blasen  von  wechselndem  Durchmesser  enthalten  und 
bei  Eröffnung  des  Thiersackes  nach  aussen  entleeren.  Der  Cysticercus 
erreicht  meistens  nur  Kirschkorngrösse ,  und  kennzeichnet  sich  als  eine 
trübe  zarte  Blase,  welcher  der  überaus  contractile  Hals-  und  Kopftheil  des 
Thieres  aufsitzt. 


Blasenwünner;  Echinococcus;  Cysticercus.  63o 

1.  Der  Echinococcus  ist  im  Stirnhnochen  (Ke.ate),  im  suhcutanen  CSefüge  der 
Schläfen-  und  Jochgegend  [Mackenzie)  und  in  der  Orhüa  (Lawrence,  Boioman, 
Waldhauer,  Wharton  Jones)  gefunden  worden.  In  der  Augenhöhle  scheint  er  den 
inneren  oberen  Winkel  zu  bevorzugen,  l)reitet  sich  jedoch  meistens  stark  aus  und 
begründet  dann  hochgradigen  Exophthalmus  mit  dessen  Folgen.  Er  ist  stets  von 
einer  Kapsel  aus  verdichtetem  Bindegewebe  umschlossen,  welche  von  dem  ver- 
dräno-ten  Stroma  gebildet  wird  und  nur  lose  mit  der  Thierbhise  zusammenhängt, 
so  dass  letztere  aus  ersterer  losgeschält  werden  kann. 

2.  Der  Cysticercus  ist  im  nördlichen  Deutschland  eine  ziemlich  häufige 
Erscheinung,  im  südlichen  hingegen,  so  wie  in  Oesterreich,  Frankreich  und 
in  der  Schweiz  eine  grosse  Seltenheit.  Das  jüngste  ergriffene  Kind  stand 
im  achten,  das  älteste  Individuum  im  siebzigsten  Lebensjahre.  Nur  selten 
finden  sich  nebenbei  Blasenwürmer  in  anderen  Körpertheilen,  oder  der 
Bandwurm  in  den  Eingeweiden.  In  zwei  Fällen  deuteten  Gehirner- 
scheinungen auf  das  gleichzeitige  Vorhandensein  eines  Cysticercus  im  Ge- 
hirne hin. 

Man    hat    den     Cysticercus    im    vorderen    Theile     des    Orhitalgefüges 

(Graefe),    zwischen     den    Lamellen     der    Hornhaut    (Appia),    im  submucosen 

Gefüge    an    der     Cornealgrenze   (Estlin)   und  wiederliolt    unter  der  Augapfel- 

hindehaut    nahe    der    Uebergangsfalte   {Boioman,   Höring,    Sichel,    Graefe  etc.) 

beobachtet. 

Eine  Verwechselung  mit  einfachen  Cysten  ist,  wenn  das  Thier  oberflächlich 
und  zumal  unter  der  Conjunctiva  haust,  nicht  sehr  schwer  zu  vermeiden.  Cysten 
der  Bindehaut  haben  nämlich  einen  ganz  wasserhellen  Inhalt  und  scheinen  stark 
durch,  indem  die  darüber  hinwegziehende  Schleimhaut  sehr  verdünnt  und  nur  von 
spärlichen  Gefässen  durchstrickt  zu  sein  pflegt.  Die  Blasenfinne  dagegen  ist 
mehr  trübe  und  lässt  ausserdem  nicht  ganz  selten  den  Kopf-  und  Halstheil  des 
Wurmes  als  eine  weissere  dichtere  Masse  erkennen.  Auch  bedingt  ihre  Einquartirung 
gewöhnlich  starke  Reizzustände,  in  Folge  deren  sich  Hyperämien  und  weiterhin 
entzündliche  Producte  einstellen,  welche  zur  Verdichtung  des  nachbarlichen  Gewebes 
führen  {Graefe). 

Ungleich  häufiger  kömmt  der  Cj'sticercus  im  Inneren  des  Auges  vor. 
In  der  Vorderkammer  ist  er  schon  vor  mehreren  Jahrzehuten  entdeckt 
worden  {Schott,  Logan)  und  seitdem  hat  sich  die  Zahl  der  bezüglichen 
Fälle  ansehnlicli  vermehrt  {Mackenzie,  Canton,  Graefe,  Hirschler,  Mende, 
Krüger).  Einmal  sass  er  in  der  Iris  {Teale);  einmal  in  der  Linse  {Graefe). 
Sein  Lieblingssitz  ist  jedoch  unstreitig  der  hintere  Theil  der  Bulbushöhle. 
Obwohl  er  hier  erst  nach  Erfindung  des  Augenspiegels  gesehen  worden 
ist  {Coccius,  Graefe),  liegen  doch  schon  eine  lange  Reihe  ophthalmoskopischer 
Beobachtungen  vor.  In  einem  der  hierher  gehörigen  Fälle  fanden  sich 
zwei  Cysticerci  im  Glaskörperraume  {Mauthner).  Auch  war  bereits  mehr- 
mals Gelegenheit  zu  anatomischen  Untersuchungen  von  Augen,  in  welchen 
die  Blasenfinne  in  oder  unter  der  Netzhaut  sich  entwickelt  hatte 
{Schweigger,  Soelberg,  Jacobson,  Alf.  Graefe,  Hirschberg);  oder  wo  eine 
subretinale  Cyste  {A.  Weber)  so  wie  ein  in  der  Chorioidea  steckender 
Wurm  {E.  Jaeger)  mit  Wahrscheinlichkeit  als  Blasenfinne  aufgefasst 
werden  durfte. 

Mau  hat  guten  Grund  zur  Annahme,  dass  alle  Cysticerci,  welche  im  Inneren 
des  Bidhus  Wohnung  nehmen ,  ihre  Entwickelungsphasen  in  den  gefässhaltigen 
Binnenorganen  beginnen.  Doch  bohren  sie  sich  gerne  durch  und  gelangen  so  in  die 
durchsichtigen  Medien. 

Die  in  der  Vorderkammer  sitzenden  Blasentinnen  scheinen  immer  aus  der 
Iris  hervorzugehen ;  wenigstens  hängen  sie  gewöhnlich  mit  einem  Theile  der  Blase 


636  Tumoren;  Nosologie;  Cysticercus;  Filaria. 

an  der  Regenbogenhaut  fest,  obgleich  deren  auch  gefunden  werden,  welche  frei  im 
Humor  aqueus  herumschwimmen. 

Die  in  den  hinteren  Partien  der  Bulbushöhle  auftretenden  Cysticerci  jedoch 
dürften  mit  seltenen  Ausnahmen  in  der  Netzhaut  ilire  Keimstätte  haben.  In  einem 
grossen  Theile  der  beobachteten  Fälle  lagerte  der  Wurm  nämlich  noch  unter  der 
Retina  und  stand  mit  deren  Gefüge  in  unmittelbarem  Zusammenhange,  während 
das  betreffende  Stück  der  Chorioidea  verhältnissmässig  wenig  verändert  war.  Gar 
oft  verharrte  das  Thier  wohl  auch  an  jenem  Orte,  incapsulirte  sich  daselbst,  ohne 
die  Netzhaut  zu  perforiren.  In  einzelnen  Fällen  dagegen  konnte  man  den  Durch- 
Iruch  direct  oder  in  seinen  Folgen  nachweisen,  man  beobachtete  das  Hervortreten 
des  Wurmkopfes  aus  der  Lücke  der  ringsum  getrübten  Nervenhaut  und  später- 
hin die  das  Loch  schliessende  Narbe  (Grae/e,  Schioeigger).  Wo  aber  der  Cysticercus 
bereits  in  den  Glaskör2]er  hinein  vorgedrungen  war,  bestand  meistens  eine  Ver- 
bindung durch  einen  sträng-  oder  schlauchförmigen  trüben  Fortsatz,  welcher  von 
der  Blase  zu  einem  Theile  der  Netzhaut  hinzog  {Graefe). 

Das  erste  Auftreten  des  Cysticercus  ist  häufig  mit  heftigen  Reiz- 
zuständen gepaart,  welche  in  der  Eegel  zu  reichlichen  Productausscheidungen 
in  der  nächsten  Umgebung  des  Wurmes  führen ;  daher  dieser  denn  auch 
öfters  gedeckt,  der  unmittelbaren  Wahrnehmung  entzogen  wird.  Doch 
geht  die  Entzündung  gewöhnlich  bald  vorüber  und  die  Trübungen  hellen 
sich  auf. 

Sind  die  mit  der  Einmiethung  und  etwaigen  späteren  Durchbohrung 
verknüpften  Stürme  vorübergegangen,  so  beruhigt  sich  das  Auge  allmälig 
und  trägt  den  Wurm  ohne  sonderliche  Beschwerden  Wochen  und  Monate 
lang.  Am  Ende  jedoch  geht  der  Bulbus  in  der  Regel  durch  Iridocho- 
rioiditis  zu  Grunde.  Diese  kann  zur  Vereiterung  und  acuten  PanOphthalmitis 
führen  {Schweigger,  Jacobson);  gewöhnlich  aber  geht  sie  mehr  schleichend 
einher  und  bedingt,  zeitweilig  exacerbirend,  schliesslich  Schrumpfung  des 
Bidbus  mit  totaler  Netzhautabhebuug.  Nur  ausnahmsweise  incapsulirt  sich 
ein  im  Glaskörper  sitzender  Wurm  und  stirbt  später  ab ,  wo  dann  der 
Bulbus  und  selbst  ein  Theil  des  Sehvermögens  erhalten  bleiben  kann. 

Die  Erscheinungen  der  Iridochorioiditis  pflegen  sich  zwischen  dem  ersten 
und  fünften  Vierteljahre  nach  Beginn  der  Sehstörung  geltend  zu  machen.  In  ein- 
zelnen Fällen  hat  die  reactive  Entzündung  durch  sympathische  Reizung  das  andere 
Auge  in  Gefahr  gebracht  {Schweigger).  Im  Uebrigen  scheinen  abgestorbene 
Cysticerci  in  geschrumpften  Augen  wolil  vertragen  zu  werden.  Die  Lef>ensdauer 
des  Wurmes  ist  unbekannt.  Sie  beträgt  sicherlich  2,  vielleicht  3  bis  4  Jahre. 
Eitrige  Entzündungen  des  Bulbus  und  mehr  noch  Verkalkung  und  Schrumpfung 
der  ihn   umgebenden  Exsudate   scheinen  demselben  verderblich  zu  werden  {Graefe). 

E)  Fila7na.  Man  will  dieselbe  zweimal  lebend  {Fano,  Quadri)  und  einmal 
todt   {Mauthner)   im    Glaskörper  gesehen  haben. 

Quellen:    Virchow,  Die  krankhaften  Geschwülste.  Berlin.  1863.  1  —  10.  Vorlesg. 

Kystome:  Virchow,  1.  c.  S.  211,  219,  221,  224,  231,  238,  244,  249,  286.  — 
Mackensie,  Traite  d.  mal.  d.  yeux.  Traduit  p.  Warlomont  et  Testelin.  I.  Paris.  1856. 
S.  70,  72,  74,  76,  81—107,  213,  214,  219,  363,  369,  371,  372,  432,  462;  II.  S.  261. 

—  Chelius,  Handb.  der  Augenheilkde;  II.  Stuttgart.  1839.  S.  424,  434,  443,  446, 
447,  472,  482.  —  Himly,  Krankheiten  und  Missbildungen.  I.  Berlin.  1843.  S.  194, 
232,  233,  237,  263,  266,  267,  294,  327,  370.  —  Avivion,  kl.  Darstellgn.  II.  Berlin. 
1838.  Taf.  9,  10,  11.  —  Stellwag,  Ophth.  II.  S.  862,  877,  880,  966,  967,  1085,  1221, 
1280.  —  Zander  und  Geissler,  Verletzungen  des  Auges.  Leipzig  und  Heidelbei-g. 
1864.  S.  416,  418,  420,  422.  —  Messet,  Allg.  Wiener  m'^ed.  Zeitung.  1860.  Nr.  8—10. 

—  Caratheodori ,  Fano,  Schmidt's  Jahrb.  112.  Bd.  S.  260,  261.  —  Benedikt, 
Weller,  nach  Himly,  1.  c.  I.  S.  263.  —  Blasius,  Sandifort,  Schmucker,  Eiberi, 
Quadri,  ibid.  S.  266,  267.  —  Testelin,  Mackenzie  1.  c.  I.  S.  471.  —  Delpech,  ibid. 
S.  468.  —  Seitz,  Handb.  der  gesammten  Augenheilkde.  Erlangen.  1855.  S.  89,  90, 
96,  100.    —     Graefe,  A.  f.  O.  L  1.  S.  290;    III.  2.  ö.  412;    VII.  2.  S.  39;    XII.  2. 


Tiiiiinrf'n ;  QHPlIen.  637 

S.  228.  —  Ilirschherg,  ibid.  XIV.  .3.  S.  295.  —  Hulke,  Ophtb.  IIo.sp.  Kep.  VI.  S.  13. 

—  Wecker,  Etudes  opbtb.  I.  1863.  S.  397;  Arcb.  f.  Augen-  u.  Obrenbeilkde.  I. 
S.  122.  —  Mooren,  Opbtb.  Beiträge.  S.  129.  —  BonrdUlaf,  Gaz.  bcbd.  1868.  Nr.  13. 

—  Stavenhagen,  kl.  Beob.  S.  22.  —  Sichel,  Centralbl.  1867.  S.  557.  —  Wuldhauer, 
ibid.  1866.  S.  767.  —  Hasner,  Beiträge  z.  Pbys.  u.  Path.  des  Tbränenableitungsa])p. 
Prag.  1850.  S.  44.  —  Schuh,  Wien.  med.  Wocbenschft.  1861.  Nr.  1—5.  —  Ad. 
Schmidt,  Krankb.  der  Tbränenorgane.  Wien.  1803.  S.  73,  90,  94.  —  Beer,  Lebre 
V.  d.  Augenkrankbeiten.  II.  Wien.  1817.  S.  597.  —  Secondi,  Clinica  oc.  di  Genova, 
Torino.  1865.  S.  114. 

Fibrome:  Virchow,  1.  c.  13.  Vorlesg.  —  Mackenzie,  1.  c.  I.  S.  207,  357,  358, 
478.  —  Travers,  ibid.  S.  366.  —  Carron  du  Villards,  ibid.  S.  220;  Ann.  d'oc.  32. 
Bd.  S.  253;  nacb  Himly  1.  e.  S.  264.  —  Oraefe,  kl.  Monatbl.  1863.  S.  21,  23; 
A.  f.  O.  I.  1.  S.  289.  —  Himbj,  1.  c.  I.  S.  217,  257,  260,  264;  IL  S.  15,  19.  — 
Stellwag,  Ophtb.  I.  S.  227,  354.  Nota  224;  II.  S.  875,  877,  996.  Nota  83;  S.  1224, 
1226,  1229.  —  Seife,  1.  c.  S.  86,  99.  —  Magne,  Ann.  d'oc.  19.  Bd.  S.  218.  —  Beer, 
1.  c.  II.  S.  678,  679.  —  ArU,  Krankheiten  d.  Anges.  I.  Prag.  1853.  S.  166.  — 
Hasner,  Entwurf  einer  anat.  Begründung  etc.  Prag.  1847.  S.  79.  —  Chelius,  1.  c. 
IL  S.  426,  439,  477.  —  Amnion,  1.  c.  IL  Taf.  9.  —  Pagenstecher  und  Saemisch,  kl. 
Beobachtungen.  IL  Wiesbaden.  1861.  S.  41.  —  Jüngken,  Lehre  v.  d.  Augenkhtn, 
Berbn.  1836.  S.  628.  —  Schuh,  1.  c.  —  Weinlechner,  Zeitschft.  d.  Wien.  Aerzte.  1865, 
Wochenbl.  S.  263.   —  Bader,  Schmidt's  Jahrb.   112.  Bd.  S.  261.  —  Zehender,  A.  f. 

0.  IV.  2.  S.  55,  62.  —  Hegmann,  ibid.  VII.  1.  S.  135,  142.  —  Mooren,  Opbtb. 
Beiträge.  S.  40.  —  Borelli,  Schmidt's  Jahrb.  142.  Bd.  S.  83.  —  Schiess-Geimiseus, 
A.  f.  O.  XIV.  1.  S.  87.  —  Lawson,  Ophtb.  Hosp.  Rep.  VI.  3.  S.  206. 

Dermoide:  Virchow,  dessen  Archiv.  VI.  S.  225.  —  Ryha,  Dusensy's  Diss. 
Prag.  1833.  S.  63.  ~  Fischer,  Lehrb.  der  ges.  Entzündungen  etc.  Prag.  1846.  S.  303.  — 
Wardrop,  Morb.  anat.  of  the  eye.  I.  London  1819.  S.  31.  —  Mackenzie  1.  c.  I. 
S.  362.  —  Chelius,  1.  c.  IL  S.  483.  —  Himly,  1.  c.  IL  S.  15,  19;  Ophtb.  Biblioth. 
IL  S.  700.  —  Ammon,  1.  c.  IL  Taf.  3.  —  ArU.  1.  c.  I.  S.   171,  —  Stellwag,  Ophth. 

1.  S.  227,  355  Nota  228;  IL  S.  877,  963.  —  Schön,  Path.  Anat.  des  Auges.  Hambg. 
1828.  S.  167;  Beiträge  z.  prakt.  Augenheilkunde.  Hamb.  1861.  S.  198.  —  Graefe, 
A.  f.  O.  L  2.  S.  287;  IL  2.  S.  3.84;  VII.  2.  S.  3,  7;  X.  1.  S.  214;  XIL  2.  S.  226. 

—  Visconti  Achilli,  Centralbl.  1867.  S.  111.  —  Hildige,  Schmidt's  Jahrb.  142.  Bd. 
S.  82.  —  Wecker,  Arcb,  f.  Aug.-  u.  Obrenbeilkde.  I.  S.  126.  —  Lainati,  Arcb.  gen. 
de  med.  1867.  II.  S.  350.  —  £.  Müller,  A.  f.  O.  IL  2.  S.  \bQ.  ~  Heyfelder,  Deutsche 
Klinik   1850.  Nr.  28.  —  Hock,   Wien.  Zeitschft.  für  prakt.  Heilkd."l895.  Nr.  26.  — 

Lipome:  Virchotv,  1.  c.  14.  Vorlesg.  —  Demarquay  ibid,  S.  374.  —  Schuh, 
1.  c.  —  0.  Becker,  Wiener  Augenklinik.  Ber.  S.  119.  —  Mooren,  Ophth. 
Beiträge  S.  128. 

Myxome:  Virchoiv,  1.  c.  15.  Vorles.  S.  425.  —  Mackenzie,  1.  c.  I.  S.  360.  — 
Graefe,  A.  f.  0.  X.  I.  S.  193,  197,  201.  —  Jacobson,  A.  f.  O.  X.  2.  S.  55,  62.  — 
Rothmund,  Jahresbericht  186%.  München.  S.  21;  klin.  Monatbl.  1863.  S.  261.  — 
Szokalski,  Congres  int.  d'ophth.  Paris.  1863.  S.  245.  —  Lebrun,  Schmidt's  Jahrb. 
141.  Bd.  S.  211. 

Chondrome:  Virchoiv,  1.  c.  16.  Vorlesg.  —  Mackenzie,  1.  c.  I.  S.  67.  —  Graefe, 
A.  f.  O.  I.  1.  S.  415;  VU.  2.  S.  5.  —  Schweigger,  ibid.  VII.  2.  S.  6.  —  Busch,  nacb 
Virchow  1.  c.  I.  S.  515.  —  Schuh,  1.  c.  —  Chelius,  1.  c.  S.  455.  —  Travers,  nach 
Mackenzie  1.  c.  I.  S.  61. 

Osteome:  Virchoiv,  1.  c.  17.  Vorlesg.  IL  S.  22,  25,  27,  28,  37,  43—52,  99.  — 
Mackenzie,  1.  c.  I.  S.  54,  56,  61,  73,  98,  481.  —  Chelius,  1.  c.  IL  S.  453.  —  Knapp, 
A.  f.  O.  VIII.  1.  S.  239;  kl.  Monatbl.  1865.  S.  376.  —  Zander  und  Geissler,  1.  c. 
S.  414.  —  Stellwag,  Ophtb.  IL  S.  1285.    —    Acrel,   nach  Mackenzie,  1.  c.  I.  S.  65. 

—  Baillie,  ibid.   S.   59.  —  H.  Walton,  ibid.  S.  63.  —  Brassant,  Sp)öriny,  ibid.  S.  64. 

—  Stanley,  ibid.  S.  73.  —  Maisonneuve,  ibid.  S.  65.  —  Hoivship,  ibid.  S.  90.  — 
Frank,  ibid.  S.  59.  —  Bowman,  Verhandlgn.  der  Heidelbg.  Versammlung.  Berlin. 
1860.  S.  18.  —  Textor,  Canstatt's  Jabresber.  1865.  III.  S.  34.  —  Hasner,  Stato- 
pathien.  1869.  S.  17. 

Melanome:  Virchow,  1.  c.  18.  Vorlesg.  S.  119,  122.  —  Mackenzie,  1.  c.  I. 
S.  366,  486.  —  Cunier,  ibid.  S.  367.  —  Desmarres,  Traite  d.  mal.  d.  yeux.  Paris. 
1847.  S.  353.  —  Stellwag,  Ophth.  II.  S.  879.  —  Lisfranc,  nach  Himly,  1.  c.  L  S.  233. 

—  Fd.  Jaeger,  Staar  und  Staaroperat.  Wien.  1854.  S.  63.  —  Hed'dus,  A.  f.  O.  VIII. 
1.  S.  314.—  Graefe,  ibid.  I.  1.  S.  414;  VII.  2.  S   35.  —Schön,  Beiträge  etc.  S.  200. 


638  Tumoren;  Nosologie;  Quellen. 

—  Hirschherg,  A.  f.  O.  XIV.  3.  S.  293,  2%&.  —  Haase,  ibid.  XIV.  1.  S.  63.  — 
Langhans,   Virchow's  Arch.  49.  Bd.  S.  117. 

Myom:  Iwanoff,  Congres  ophth.  1868.  S.  118. 

Gliome:  Virchow,  1.  c.  18.  Vorlesg.  II.  S.  123,  151—169.  —  Knapp,  Die 
intraocularen    Ge.schwülste,    Carlsruhe.    1868;    Congres  ophth.  S.  25;    kl.  Monatbl. 

1868.  S.  316,  428;  1869.  S.  106.  —  Hirschberg,  Der  Markschwamm  d.  Netzhaut, 
Berlin.  1869;  A.  f.   0.  XIV.  2.  S.  30.  —  Mackenzie,  1.  c.  II.  S.  267—273,  277—286. 

—  Chelius,  1.  c.  S.  491,  496,  506.  —  Schweigger,  A.  f.  O.  VI.  2.  S.  324,  327;  VII. 
2.  S.  47.  —  Robin,  ibid.  VI.  2.  S.  330.  —  Graefe,  ibid.  VII.  2.  S.  42,  45,  46;  X. 
1.  S.  216,  219;  XIV.  2.  S.  103,  128  u.  f.  —  hvanoff,  ibid.  XI.  1.  S.  135,  146,  148, 
151,  154;  XV.  2.  S.  69,  73,  77,  88.  --  3Ietaxa,  nach  Mackenzie  1.  c.  II.  S.  273.— 
Homer,  Rindfleisch,  kl.  Motiatbl.  1863.  S.  341,  345,  346,  349.  —  SzokalsU,  ibid. 
1865.  S.  396,  398.  —  Stelhoag,  Ophth.  II.  S.  611,  613.  —  Lincke,  Sichel,  nach 
Virchow  1.  c.  S.  152,  167.    —    Travers,   nach  Mackenzie,  1.  c.  II.  S.  268,  269,  271. 

—  Saunders,  Stevenson,  ibid.  S.  284.  —  Lerche,  Verm.  Abhandlgn.  a.  d.  Gebiete 
der  Heilkd.  Petersbg.  1830.  S.  202.  —  Netunann,  A.  f.  O.  XII.  2.  S.  278.  —  Schiess- 
Gemuseus,  ibid.  XIV.  1.  S.  73;  Virchow's  Arch.  46.  Bd.  S.  286.  —  Joffroy,  Gaz. 
med.  de  Paris.  1869.  S.  35.  —  Manfredi,  Centralbl.  1869.  S.  602.  —  Leh-un, 
Schmidt's  Jahrb.  141.  Bd.  S.  211.  -  Betz,  kl.  Monatbl.  1868.  S.  274.  —  Alf. 
Graefe,  ibid.  1869.  S.  161.  —  Hjort  Heiberg,  A.  f.  O.  XV.  1.  S.  184.  —  Heymann, 
Fiedler,  ibid.  XV.  2.  S.  173.  —  Hidke,  Ophtli.  Hosp.  Rep.  V.  S.  173.  —  Pockels, 
nach  Hirschberg,  S.  94.  —  Weller,  Ammon,  ibid.  S.   123.  —  Hasse,  ibid.  S.  58,  116. 

—  Brodoivski,  ibid.  S.  40.  —  Recklinghausen,  ibid.  S.  121,  122.  —  Lawrence,  ibid. 
S.  67.  —  Bader,  ibid.  S.  111.  —   Greeve,  VII.  Jaarl.  Verslag.  Utrecht.  S.  1.  u.  f. 

Sarcome:  Virchow  1.  c.  19.  Vorlesg.  II.  S.  222,  248,  268,  270,  279—285, 
346,  348,  349,  353,  357.  —  Wedl,  Sitzungsberichte  der  Wien.  k.  Akad.  1.  Abthlg. 
53.  Bd.  S.  343 ;  Grundzüge  der  path.  Histolog.  Wien.   1854.  S.  469.    —    Mackenzie, 

1.  c.  I,  S.  67,  118,  122—127,  216,  217,  364-369,  477—481,  486;  II.  S.  259—275, 
287-301.  —  Sichel,  Gaz.  med.  de  Paris.  1867.  Nr.  27.  —  Hirschberg,  A.  f.  O.  XIV. 

2.  S.  71;  3.  S.  285;  kl.  Monatbl.  1868.  S.  153,  159,  163,  170,  175;  1869.  S.  65, 
70,  74,  83.   —  Schirmet;  ibid.  1867.  S.  124.  -^-  Alf   Graefe,  ibid.  1869.  S.  161,  169. 

—  Iwanoff,    A.    f.    O.  XV.    2.  S.  28.   —  Haase,  ibid.  XIV.  1.  S.  63.  —  Leber,  ibid. 

XIV.  2.  >S.  221.  —  i^eeZ/ioM,  ibid.  XIV.  3.  S.  149;  XV.  1.  S.  159,  176;  kl.  Monatbl. 
1870.  S.  19,  23.  —  Recklinghausen,  A.  f.  O.  X.  1.  S.  189;  X.  2.  S.  62.  —  Billroth, 
Arch.  f.  Chirurgie.  XI.  S.  230.  —  Czerny,  ibid.  S.  234.  —  Demarquay,  Schmidt's 
Jahrb.  141.  Bd.  S.  210.  —  Lebrun,  ihiä.  —  Hulke,  Ophth.  Hosp.  Rep.  IV.  S.  82.  — 
Hutchinson,  ibid.  V.  S.  90.  —  Coioell,  Warren,  ibid.  8.  188,  230.  —  /.  E.  Polak,  briefl. 
Mittheilg.  —  Paget,  Bums,  Balfour,  Durand- Fardel,  Mackenzie's    Traite,  I.   S.   122. 

—  Saunders,  Lawrence,  Maitre-Jean,  ibid.  II.  S.  265.  —  Chelius,  1.  c.  II.  S.  439, 
459,  463,  466.  480,  484,  512.  —  Schuh,  1.  c.  —  Stellwag,  Ophth.  I.  182,  186,  344 
Nota  183,  S.  346  Nota  184;  II.    S.    306,    691,    969,   1270,   1273,   1343  Nota  304.  — 

—  Steffan,  Cooper,  Nelaton,  kl.  Monatbl.  1864.  S.  81,  83.  —  Dixon,  ibid.  1863. 
S.  405.  —  Stengel,  Aerztl.  Intelligenzblatt.  1866.  Juli.  —  Ressel,  1.  c.  —  Singer, 
Wien.  allg.  med.  Zeitung.  1860.  Nr.  46.  —  His,  Beiträge  zur  norm.  u.  path.  Histo- 
logie der  Cornea.  Basel.  1846.  S.  134.  —  Parjenstecher  und  Sämisch  1.  c.  I.  S.  78 ; 
II.  S.  91,  93;  III.  S.  70.  —  Graefe,  A.  f.  O.  I.  1.  S.  413,  417;  II.  1.  S.  214,  221; 
IV.  2.  S.  220;  VII.  2.  S.  37,  40;  X.  1.  S.  177,  179,  190,  215;  XII.  2.  S.  233,  237, 
239;  XIV.  2.  S.  106.  —  Dor,  ibid.  VI.  2.  S.  244,  248.  —  Schiess-Gemuseus  ibid. 
X.  2.  S.  109,    118,    123,  130;  XIV.   1.  S.  87.  —  Lnndsherq,  ibid.  XI.  1.  S.  58,  66; 

XV.  1.  S.  210.  —  Klebs  ibid.  XI.  2.  S.  253.  —  Jacohi  ibid.  XI.  3.  S.  165  ;  kl. 
Monatbl.  186.3.  S.  121.  —  Kna2}p  ibid.  1865.  S.  378,  383;  1868.  S.  318;  1869.  S. 
108;  Die  intraocularen  Geschwülste.  Karlsruhe.  1868;  Centralbl.  1866.  8.  726.  — 
Küchler,  deutsche  Klinik,  1866.  Nr.  17,  18,  19,  21,  23,  27,  28.  —  Rothmund,  ibid. 
1865.  S.  86.  —  Mooren,  ophth.  Beob.  S.  35;  lieber  symp.  Ophth.  8.  41.  —  Emmert, 
zwei  Fälle  von  Sarcom  der  Orbita.  Bern.  1870. 

Granulome:  Virchoio  1.  c.  20.  Vorlesg.  II.  8.  390,  462.  —  Chelius  1.  c.  II, 
8.  452.  —  Desmarres  1.  c.  8.  352.  —  Pamard,  Ann.  d'.  oc.  V.  S.  157  —  Graefe, 
A.  f.  O.  III.  2.  S.  412;  VII.  2.  8.  24,  33,  39;  X.  1.  S.  211;  XII.  2.  8.  231.  — 
Lincke,  Hirschberg  ibid.  XIV.  3.  S.  296.  —  Iwanoff',  Pagenstecher's  kl  Beob.  III. 
8.  135.  —  Businelli,  Schmidt's  Jahrb.  141.  Bd.  8.    324.     —     Colsman,  kl.  Monatbl. 

1869.  8.  53.     —    Arcoleo,  Congres  ophth.  1868.  8.  183,  186.    —    Hijjpel,    A.  f.  O, 


Tumoren;  Quellen.  639 

XIII.  1.  S.  65.  —  Sfoeber,  kl.  Monatbl.  1864.  S.  362,  364.  —  Stellwag,  Ophtli.  II. 
S.  443  Nota  142,  S.  877. 

Carcinome-  Virchoiü  1.  c.  II.  S.  196,  198,  206,  208,  213,  214,  257,  263.  — 
Schuh,  1.  c.  —  Graefe,  A.  f.  O.  I.  1.  S.  417;  X.  1.  S.  184,  206 ;  XII.  2.  8.  244;  XIV.  2. 
S.  106,  114.  —  Althof,  ibid.  VIII.  1.  S.  137.  —  Äefa?i,  kl.  Monthl.  1864.  S.  81,  85. — 
Hock,  1.  c.  —  Pagenstecher  and  Snemisch,  1.  c.  II.  S.  40.  —  Berthold  A.  f.  0.  XIV.  3. 
S.  149.  —  Itoanoff,  Pagenstecher's  kl.  Beob.  III.  S.  135.  —  Hiilke,  ychmidt's  Jahrb. 
135.  Bd.  S.  203!  —  Mooren,  ophtli.  Beob,  S.  50.  —  Classen,  Ceiitralblatt  1868.  S. 
39;  Virchovv's  Arch.  50.  Bd.  S.  56.  —  Sichel,  Gaz.  med.  de  Paris.  1867.  Nr.  27.  — 
Rothmund,  Deutsche    Klinik.  1865.  S.    86. 

Angiome:  Rokitansky,  Lehrb.  der  path.  Anat.  I.  Wien.  1855.  8.  202  —  209,  II. 
S.  315,  344,  346,  347,  364,  380.  —  Schuh,  1.  c.  —  Demarquay,  Sehmidt's  Jahrb. 
112.  Bd.  S.  259— 264.  —  GemZer  ibid.  102.  Bd.  S.  52— 54;  114.  Bd.  S.  346;  139  Bd. 
S.  219.  —  Zander  und  Geissler  1.  c.  S.  423—436.  —  Mackenzie  1.  c.  I.  S.  223—242, 
455,  487-504.  —  Himly,  1.  c.  I.  S.  220-224,  376  —  380;  II.  S.  417.  —  Chelius  I.e. 
II.  S.  428,  456.  —  Stellwag,  Ophth.  II.  S.  964,  1233,  1275,  1276,  1345,  Nota  308 
bis  310.  —  Graefe,  A.  f.  0. 1.  1.  8.  420;  VII.  2.  Ö.  11,  19;  X.  1.  S.  184;  X.  2.  8.  55;  XII. 
2.  S.  222,  223.  —  Recklinghausen,  ibid.  X.  1.  8.  189  ;  X.  2.  8.  62.  —  Knapp,  Arch. 
f.  Aug.-  u.  Ohrenheilk.  I.  8.  1,  14;  A.  f.  0.  XIV.  1.  8.  213.  —  Czerny,  Billroth,  Arch. 
f.  klin.  Chirurgie  XI.  8.  230,  234.  —  Bruns,  Virchow's  Archiv.  50.  Bd.  8.  80.  — 
Schirmer,  A.  f.  O.  VII.  8.  119.  —  Szokalski,  kl.  Monatbl..  1864.  8.  326,  427.  — 
Ammon  1.  c.  If.  Taf.  9.  Fig.  10.  —  Schön,  Beiträge  etc.  8.  204;  Handb.  8.  159.  — 
Abernethy,  nach  Mackenzie  I.  8.  227.  —  Wardrop  ibid.  S.  239,  240.  —  Pauli  ibid. 
8.  226.  —  Bums  ibid.  8.  238.  —  K.  Jaeger,  Roosbroeck,  ibid.  8.  358.  —  Poucher, 
Schniidt's  Jahrb.   102.  Bd.  S.  52.  —  Soler  nach  Zander  und    Geissler   1.  c.  8.  435. 

—  Kempf  Canstatt's  Jahresber.  1864.  III.  8.  164.  —  Nunneley,  kl.  Monatbl.  1865. 
8.  244;  8chmidt's  Jahrb.  112.  Bd.  8.  263.  —  And,rae  nach  Fischer's  Lehrb.  8.  361. 

—  Ad.  Schmidt,  Ophth.  Bibliothek.  III.  8.  174.  —  Boioman,  8chmidt's  Jahrb.  112. 
Bd.  8.  262.  —   Gendrin,  Hidke,  Nelaton  ibid.  8.  259.  —  Bell,  nach  Mackenzie  1.  c. 

I.  8.  237.  —  Bourgtiet  ibid.  8.  490.  —  Travers  ibid,  8.  495.    —  Balrymple  ibid.  497. 

—  .Tohert,  ibid.  8.  499.  —  Velpeau,   Walton,  ibid.  8.  500.  —  Brainard,  ibid.  8.  501. 

—  Guthrie,  ibid.  8.  488.  —  Carron  du  Villards,  nach  Himly  I.  8.  376.  —  Parish, 
Americ.  journ.  of  med.  science,  1841.  —  Sous,  Graefe  sen.,  Scultet,  Ann.  d'.  oc. 
53.  Bd.  8.  241.  —  Poland,  nach  Zander  und  Geissler  1.  c.  8.  427.  —  Hart  ibid. 
8.  431.  —  Küchler,  Deutsche  Klinik,  1866.  Nr.  28.  —  AfClelland,  8chmidt's 
Jahrb.  142.  Bd.  8.  320.  —  De  Ricci,  Centralbl.  1866.  8.  45.  —  BorelH,  Congres 
ophth.  1868.  8.  149.  —  Mooren,  Ophth.  Beob.  8.  119,  125.  —  Freeman,  Centralbl. 
1866.  8.  798.  —  Boettcher,  Virchow's  Archiv.  28.  Bd.  8.  400.  —  Koester  ibid.  40. 
Bd.  8.  468.  —  Blessig,  Centralbl.  1868.  8.  87.  —  Williams,  Med.  record.  New- 
York  1868.  III.  Nr.  52.  —  Wecker,  kl.  Monatbl.  1868.  8.  47,  406.  —  Zehender 
ibid.  8.  99.  —  Laiorence  ibid.  8.  126.  —  Herpin,  Desormeaux,  Passavanl,  Giraudet, 
Le7ioir,  nach  Zehender  1.  c.  —  Hirschberg,  kl.  Monatbl.  1868.  8.  153,  157.  — 
Schiess-Gemuseus    ibid.   1870.  8.  56.  —  Collard,  Gaz.  med.  de  Paris.  1866.    Nr.  39. 

—  Morton,  Prager  Vierteljahrschrift.  93  Bd.  Mise.  8.  81.  —  Manz,  kl.  Monatsbl. 
1868.  8.  182.  —   O.  Becker,  Wien.  Augenkl.  Ber.  8.  162. 

Blasenwürmer,   Filaria:    Mackenzie,  1.   c.  II.  8.  860—871. —  Stellivag,  Ophth. 

II.  8.  1289,  1356.  —  Keate  nach  Mackenzie  I.  8.  70.  —  Lawrence,  Bowman  ibid. 
II.  8.  861.  —  Waldhauer,  kl.  Monatbl.  1865.  8.  385,  388.  —  Zehender,  8eitz  Handb. 
etc.  S.  552—558.  —  Hirschler,  A.  f.  O.  IV.  2.  S.  113.  —  0.  Becker,  Zeitschrift  der 
Wien.  Aerzte.  1865.  Wochenbl.  8.  385.  —  Grae/e,  A.  f.  O.  I.  1.8.  453,457,  463,465; 
I.  2.  S.  326;  IL  2.  8.  334,  339;  IIL  2.  8.  308,  311,  312,  316,  318,  327,  328,  330, 
332  — .336;  IV.  2.  8.  171;  VIL  2.  S.  48,  49,  52;  X.  1.  8.  205;  XIL  2.  8.  174.  — 
Appia,  nach  Mackenzie  1.  c.  IL  8.  868.  —  Estlin  ibid.  8.  862.  —  Boivman  ibid.  8.  803. 
Anmkg.  —  Sichel,  Höiing,  nach  Zander  und  Geissler  1.  c.  S.  417.  —  Schott,  nach 
Mackenzie  1.  c.  IL  8.  863.  —  Logan  ibid.  8.  864.  —  Canton  ibid.  8.  868.  —  Mende, 
A.  f.  O.  VII.  1.  8.  123.  —  Coccius,  Ueber  die  Anwendung  des  Augenspiegels.  Leip- 
zig, 1853.  8.  93.  —  Schweigger,  A.  f.  O.  VIL  2.  8.  53;  Vorlesgn.  über  den  Gebrauch 
des  Augenspiegels,  Berlin,  1864.  8.  54.  —  Soelherg-  Wells,  Ophth.  Hosp.  Rep.  III. 
8.  324.  —  Jacobson,  A.  f.  O.  XL  2.  8.  147,  152,  157,  158,  161.  —  Alf.  Graefe, 
kl.  Monatbl.  1863.  8.  232.,  242.  —  A.  Weber  ibid.  1864  8.  223.  —  E.  Jaeger,  nach 
Mackenzie  1.  c.  IL  8.  869.  —  Liebreich,  A.  f.  O.  I.  2.  8.  343;  Atlas  der  Ophth. 
Berlin.  1863.  Taf.   7.  —  Busch,  A.  f.  O.  IV.  2.  S.  99,  102.   —  Nagel  ibid.  V.   2.  8. 


640  Extraoculäre  Geschwülste;  Krankheitstild. 

183.  —  Hirschberg,  Virchow's  Archiv.  45.  Bd.  S.  509.  —  Krüger,  kl.  Monatbl. 
1867.  S.  59.  —  Mauthner,  Lehrb.  d.  Ophthscop.  1868.  S.  461,  468.  —  Teale, 
Med.  Record.  1868.  III.  52.  S.  83.  —  Merkel,  Centralbl.  1867.  S.  560.  —  Arlt, 
Wocheusch.  d.  Wien.  Aerzte.  1867.  S.  252.  —  Wliarton  Jones,  Canstatt's  Jahresb. 
1865.  III.  S.  36.  —  Mooren,  lieber  symp.  Ophth.  S.  41.  —  Fano,  Quadri,  L'union 
med.  1868.  Nr.  31. 


1.  Die  extraocularen  Geschwülste. 

Krankheitsbild.  Die  Geschwülste  begründen  je  nach  ihrem 
Standorte  und  Umfange  mannigfaltige  Störungen,  welche  im  Krankheits- 
bilde eine  wichtige  Rolle  spielen.  Auf  der  äusseren  Liddecke  werden  sie 
bei  einigermassen  bedeutenderer  Grösse  dem  Lidschlage  hinderlich  und 
können  ihn  wohl  auch  ganz  aufheben.  Sitzen  sie  auf  der  Cornea,  in 
oder  unter  der  Bindehaut,  so  drängen  sie  sich  bei  fortschreitendem  Wachs- 
thume  gerne  aus  der  Lidspalte  hervor,  machen  deren  Schliessung  unmöglich, 
beirren  die  Leitung  der  Thränen,  drücken  häufig  die  Augendeckel  aus 
ihrer  normalen  Lage,  oder  stülpen  sie  förmlich  um  ;  beschränken  übrigens, 
indem  sie  sich  an  den  Lidrändern  stemmen,  die  Bewegungen  des  Bulbus, 
veranlassen  also  bei  gewissen  Blickrichtungen  Schiefstellung  der  optischen 
Axe  und  Diplopie,  oder  beeinträchtigen  das  Sehen  durch  theilweise  oder 
gänzliche  Deckung  der  Pupille.  Im  Falle  sie  hinter  der  Fascia  tarso- 
orbitalis  im  Vordertheile  der  Orbita  wurzeln,  schieben  sie  nebenbei  oft  den 
ganzen  Augapfel  zur  Seite,  verrücken  seinen  Drehpunkt. 

Gewächse,  welche  tief  in  der  Orbita  liinter  dem  Bulbus  lagern,  ver- 
ursachen stets  einen  Exophthalmus.  Lagern  sie  hierbei  ganz  innerhalb  des 
Muskeltrichters  und  sind  die  Muskeln  selbst  frei  geblieben,  so  wird  der  Aug- 
apfel gemeiniglich  gerade  nach  vorne  getrieben  und  seine  Bewegungen 
erweisen  sich  nach  allen  Seiten  hin  ziemlich  gleichmässig  beschränkt.  Die 
Drehungen  erfolgen  noch  um  den  Mittelpunkt  des  Bulbus,  wenn  die  Geschwulst 
mit  letzterem  in  keinem  unmittelbaren  Zusammenhange  steht,  sondern  durch 
Beste  des  Fettpolsters  davon  getrennt  ist.  Ist  der  Tumor  hingegen  mit 
der  Augenkapsel  verwachsen ,  so  wird  der  Drehpunkt  ein  excentrischer  oder 
fällt  ausserhalb  des  Binnenraumes.  Hat  sich  das  Aftergebilde  ausserhalb 
des  Muskeltrichters  entwickelt,  so  ist  die  Vorschiebung  des  Auges  stes  eine 
mehr  schräge  und  die  Excursionsfähigkeit  erscheint  vorwaltend  nach  der 
Seite  der  Geschwulst  hin  vermindert.  Ist  sie  in  einer  Richtung  ganz  auf- 
gehoben, so  liegt  die  Yermuthung  nahe,  dass  die  betreifenden  Muskeln  selbst 
in  die  Afterwucheruug  einbezogen  wurden,  was  seinerseits  wieder  auf  die 
Neigung  des  Gewächses,  verschiedene  Gewebsarten  anzugehen,  also  auf  einen 
bösartigen  Charakter  hindeutet   (Graefe). 

Der  Exophthalmus  kann  längere  Zeit  bestehen,  ohne  dass  der  Bulbus 
nothwendig  dauernden  Schaden  litte.  Häufig  jedoch  wird  die  nunmehrige 
Unzulänglichkeit  der  natürlichen  Schutzmittel  oder  die  Zerrung  und  Zu- 
sammendrückung der  Gefässe  und  Nerven  den  Ernährungsverhältnissen  des 
Augapfels  abträglich;  es  kömmt  zu  intraocularcn  Entzündungen,  öfters  mit 
Stauungserscheinungen  in  den  Netzhautvenen,  zu  Hydrops  subretinalis  und 
ausnahmsweise  zu  Abhebungen  der  Aderhaut,  woratif  schliesslich  der  Bulbus 
unter  den  Erscheinungen  der  Iridochorioiditis   atrophisch    zu    Grunde  geht; 


Behaiidlinin;    Oliciniicliliilii'  Tiiinnron ;  CarotisHiid'iliiiifluiiK';  Aotzpasten.  041 

oder  CS  verschwärl  dio  Hovnhaul  in  Folge  von  Neuropai'alysis  odcM-  von 
iutcrcurrenteii  heftigen  Entzündungen  und  der  Ausgang  ist  Phlhisis  des 
Auges.  Nicht,  gar  sehen  entwickelt  sich  ^^Wwäj-  oder  durch  retrobulbäre 
Neuritis  bedingt  Schwund  des  Sehnerven;  ja  bisweilen  wird  der  Opticus  von 
der  Aftermasse  selber  angegriffen   und  zerstört. 

Es  steht  jedoch  die  Grösse  des  Exophthalmus  keineswegs  nothwendig 
im  geraden  Verhältnisse  zum  jewoiligon  Umfange  der  orbitalen  Geschwulst, 
(jar  nicht  selten  wird  eine  oder  die  anderem  Wand  der  A.ugenhöhle  usurirt, 
durch  Carics  oder  Nekrose  zerstört  oder  in  den  Wucherungsprocess  ein- 
bezogen und  durchlöchert.  Der  Tumor  findet  solchermasscn,  selbst  früh- 
zeitig, einen  Weg  in  die  Nasen-,  Stirn-  oder  Kieferhöhle,  in  die  Flügel- 
gaumengrube oder  wohl  gar  in  den  Schädelraum,  breitet  sich  darin  aus, 
drängt  die  in  seiner  Bahn  gelegenen  Organe  zur  Seite,  bringt  sie  zur 
Atrophie  oder  pflanzt  sich  auf  dieselben  fort,  während  er  in  der  Orbita 
nur  wenig  mehr  an  Grösse  zunimmt. 

Ausnahmsweise  bohren  sich  Gewächse  in  umgekehrter  llichtiing  von  einer 
Nachbarhöhle  aus  in  die  Orbita  (iS.  621).  Dagegen  werden  Gescliwülste,  welche 
sich  in  den  umliegenden  Räumen  entwickelt  liaben  ,  der  Augenhöhle  und  dem 
Bulbus  öfters  dadurch  verderblich,  dass  sie  bei  ihrem  Wachsthume  die  Wandunsren 
vor  sich  her  treiben,  die  Orbita  mehr  und  mehr  verengern,  am  Ende  wohl  gar  auf 
einen  Spalt  zusammendrücken  und  den  hervorgedrängteu  Augapfel  durch  Ernährungs- 
behinderung  oder  Entzündung  zu  Grunde  richten  (Mackenzie). 

Die  Behandlung  hat  in  erster  Linie  die  Entfernung  der  Gcschrvulst 
zur  Aufgabe.      Das  Mittel  dazu  ist  in  der  Regel  das  Messer. 

Bei  kleinen  Cysten  genügt  öfters  die  mehrmalige  Function  und  Entleerung 
der  Höhle,  besonders  wenn  nachträglich  die  Innenwand  cauterisirt  wird.  Bei  grös- 
sere« Cysten  sind  wiederholte  Einspritzungen  mit  reizenden  Mitteln,  zumal  mit  der 
Jodtinctur,  nebst  der  Drainage  für  nützlich   erkannt  worden. 

Umschriebene,  oherfläclilich  lagernde  Angiome  hat  man  in  einigen  Fällen  da- 
durch beseitigt,  dass  man  Nadeln  kreuzweise  einstacli  und  bis  zum  Rothglülien 
erhitzte  (Mackenzie).  Von  den  tiefer  liegenden  pidsirenden  Orhitaltumoren  soll  einer 
ganz  spontan  zurückgegangen  sein  {Viichow),  andere  sollen  durch  den  Gebrauch 
von  Ergotin  und  Veratnnn,  von  kalten  Ueberschlägen,  eine  grössere  Anzahl  durch 
Injection  von  coagnlirenden  Flüssigkeiten,  insbesondere  von  Sesquichloretum  ferri, 
geheilt  worden  sein  (Zeheuder).  Die  Digitalcompression  nach  Vanzetti  hat  in  einigen 
Fällen  Günstiges  geleistet,  in  anderen  jede  Wirkung  versagt.  Die  meisten  Heilun- 
gen oder  wenigstens  befriedigenden  Resultate  (23  in  31  Fällen,  Zehender)  sind 
durch  die  Unterhind.ung  der  Carotis  erzielt  worden.  Doch  ist  dies  eine  jedenfalls 
sehr  bedenkliche  Operation.  Aus  einer  Zusammenstellung  von  586  Fällen  {O.  Filz) 
ergibt  sich,  dass  in  Folge  der  Carotisunterbindung  etwa  43%  der  Kranken  sterben 
und  53%  genesen ;  dass  30%  der  Kranken  wesentliche  Gehii'nstörungen  erleiden 
und  dass  etwa  bei  8%  Lähmungen  sich  entwickeln. 

Eigentliche  Aftergewächse  lassen  sich,  wenn  sie  oberflächlich  lagern,  mitunter 
durcli  Aetzpasten  entfernen.  Man  benützt  die  Wiener  Faste  oder  das  Chlorzink. 
Manche  beschränken  sich  in  deren  Gebrauche  nicht  auf  oberflächliche  Tumoren, 
sondern  benützen  diese  Caustica  auch,  um  die  verdächtig  infiltrirten  Wundflächen 
nach  der  Exstirpation  von  Orbitaltumoren  gründlich  und  selbst  bis  in  den  Knochen 
hinein  zu  zerstören  (Sichel,  Rohin,  Lairson).  In  neuerer  Zeit  wird  ausserdem, 
besonders  bei  Fpilhelioma  der  Lider,  der  innerliche  und  äusscriiche  Gebrauch  von 
Kali  chloricnm  gerühmt.  Es  sollen  Charpiebäusche ,  vvelche  mit  einer  Lösung  von 
Kali  chloricum  in  Wasser  (1:15)  imprägnirt  worden  sind,  auf  die  wuchernde 
Fläche  gelegt  und  täglich  3 — 4  Mal  erneuert  werden.  Nebenbei  sollen  innerlich 
etwa  7  Gran  des  Mittels  pro  die  in  einer  wässerigen  Solution  (1:180)  genommen 
werden  (Mugni,  Stavenhagen).  Die  Cur  scheint  einige  Monate  in  Anspruch  zu 
nehmen. 

OeschwiUste  gutartigen  Charakters,  welche  mit  einem  Stiele  ganz  oberflächlich 
wurzeln,  können  bisweilen  auch  durch  Absrliniirnng  zur  Heilung  gebracht  werden. 
Stell  wag,  Augenheilkunde.  41 


642  Extraocnläre  Tumoren;  Behandlung;  Exstirpatlon. 

Die  Exstirpation  soll  im  AUgemeiuen  so  frühzeitig  als  möglich  vor- 
genommen werden,  namentlich  bei  eigentlichen  Gewächsen,  welche  in  fort- 
schreitendem Wachsthume  begriffen  sind.  Es  handelt  sich  nämlich  nicht 
blos  darum,  Schäden  zu  verhüten  und  zu  begleichen,  welche  den  Nachbar- 
organen auf  mechanische  Weise  zugefügt  wei'den ;  die  Hauptgefahr  liegt  in 
der  oft  sehr  raschen  Infection  der  Umgebung,  in  der  Verstreuung  von  Keimen 
und  deren  Entwickelung  zu  Tochterherden.  Das  scheinbar  unschuldige 
Aussehen  eines  Tumors  darf  bei  erweisbar  zunehmender  Vergi-össerung 
nicht  als  eine  Rechtfertigung  des  Säumens  gelten ;  denn  es  steht  fest,  dass 
gutartige  Aftergebilde ,  welche  lange  Zeit  unverändert  blieben  und  ohne 
Schaden  bestanden,  öfters  plötzlich  ihren  Charakter  wechseln  und  im  höchsten 
Grade  infectiös  werden.  Es  ist  aber  unmöglich  ,  den  Zeitpunkt  einer 
solchen  unglücklichen  AVendung  zu  bestimmen,  und  ist  es  einmal  zur  An- 
steckung der  i^achbarschaft  oder  gar  zur  Dissemination  von  Keimen 
gekommen,  so  bleibt  die  Operation  in  der  Regel  erfolglos,  weil  die  Tochter- 
herde sich  anfänglich  kaum  verrathen,  also  leicht  stehen  gelassen  werden, 
oder  gar  an  unzugänglichen  Orten  auftreten.  Gewöhnlich  stellen  sich 
daher  sehr  rasch  Recidiven  ein,  welche  dann  mit  furchtbarer  Schnelligkeit 
weiter  greifen  und  den  Kranken  auch  bald  zu  tödten  pflegen. 

Offenhart  sich  die  Bösartigkeit  eines  Gewächses  unzweifelhaft  durch 
dessen  Uebergang  auf  verschiedene,  im  organischen  Zusammenhange  stehende 
Gewebsarten,  oder  hat  dasselbe  vielleicht  gar  schon  derbe,  sehnige  oder 
knöcherne  Scheidewände  in  den  Afterprocess  einbezogen  und  durchbohrt; 
so  ist  die  Wahrscheinlichkeit  des  Vorhandenseins  zerstreuter  Tochterherde 
überaus  gross  und  die  Operation  nur  mehr  ein  Glücksspiel  mit  höchst 
zweifelhaftem  Erfolge. 

Macht  sich  eine  Mehrzahl  von  Tochtei'herden  bereits  in  sehr  entwickeltem 
Zustande  bemei'klich;  oder  zeigen  sich  in  den  zugehörigen  Lymphbahnen 
die  Drüsen  angeschwollen;  oder  ist  ({\e  primäre  Geschwulst  zu  einem  sehr 
bedeutenden  Umfange  gedielien  und  theilweise  gar  in  Verjauchung  über- 
gegangen; oder  tritt  schon  die  Cachexie  im  Krankheitsbilde  hervor:  so  ist 
jeder  blutige  Eingriff  strenge  zu  meiden,  denn  es  wird  dadurch  der  Process 
nur  angefacht  und  die  olmehin  karg  bemessene  Lebensdauer  des  Ki'anken 
wesentlich  verkürzt. 

Hauptregel  ist  bei  der  Operation,  namentlich  verdächtiger  oder  ent- 
schieden bösartiger  Gewächse,  dass  alles  Krankhafte  entfernt  werde  und  auch 
nicht  der  kleinste  Theil  der  Aftermasse  zurückbleibe.  Die  Schnitte  müssen 
daher  immer  ausserhalb  der  Grenzen  des  Tumors  und  überhaupt  der  merk- 
bar veränderten  Gewebstheile  geführt  werden.  Wo  die  Geschwulst  in 
Höhlen  vorgedrungen  ist,  welche  eine  völlige  Beseitigung  nicht  erlauben, 
ist  die   Operation  ganz  zu  unterlassen. 

Die  Schnittführung  ist  selbstverständlich  dem  Standorte  und  der  Flächen- 
ausdehnung der  Wui'zeln  des  Gewächses  anzupassen.  Im  Allgemeinen  lässt 
sich  nur  das  Gesetz  aufstellen,  dass  jeder  Messerzug  von  der  Rücksicht  auf 
eine  möglichst  wenig  störende  Narbe  geleitet  werden  soll.  Lisbesondere  bei 
Pseudoplasraen  der  äusseren  Haut  und  Conjunctiva  ist  den  einzelnen  Schnitten 
immer  eine  Richtung  zu  geben,  welche  die  Lücke  nachträglich  durch  Zu- 
ziehung nachbarlicher  Theile   ohne   sonderliche   Zerrung    zu  decken  erlaubt, 


Exstirpation  oberflächlicher  Geschwülste.  643 

einer    Zuheilung    ohne    Eiterung    also    die    günstigsten    Bedingungen    dar- 
biethet. 

a.  Dermoidgeschivülste,  welche  auf  dei*  Cornealgre.nze,  sitzen,  werden  mit  der 
Pincette  gefasst,  etwas  hervorgezogen  und  mittelst  eines  Staarmessers  abgetragen 
(Graefe).  Was  noch  etwa  über  das  Niveau  der  Cornealoberfläche  hervorragt,  kann 
mit  einer  krummen  Schere  beseitigt  werden.  Sollte  die  Wundfläche  übermässig 
granuliren,  so  sind  Aetzungen  mit  Höllenstein  und  später  Betupfungen  mit  Opium- 
tinctur  am  Orte. 

b.  Bei  Cancroiden  der  ScXeralgrenze  ist  es  gerathen,  die  Bindehaut  rings  um 
die  Grenze  des  Aftergewächses  in  einem  Abstände  von  mindestens  1'"  einzu- 
schneiden, letzteres  hierauf  mit  der  Pincette  hervorzuziehen  iind  mittelst  eines 
Staarmessers  in  langen  Zügen  so  abzutragen,  dass  die  Schnittfläche  ihrer  ganzen 
Ausdehnung  nach  in  gesundes  Hörn-  und  Lederhautgefüge  fällt.  Um  den  Substanz- 
verlust der  Bindehaut  zu  decken  und  übermässige  Fleischwärzchenbildung  zu  ver- 
meiden, sollen  dann  von  den  Wundrändern  aus  zwei  viereckige  Lappen  in  der 
Bindehaut  abgegrenzt  werden,  von  denen  einer  schräg  nach  Oben  und  Aussen,  der 
andere  schräg  nach  Innen  Unten  gerichtet  ist  und  welche,  nachdem  sie  von  der 
Unterlage  abpräparirt  sind,  über  die  Scleralwundfläche  zusammengezogeir  und  durch 
Knopfnäthe  vereinigt  werden  {Knapp). 

c.  Epitheliome,  welche  in  der  Lidhaut  wuchern,  fordern  die  Exstir^^ation 
sammt  ihren  Wurzeln.  So  lange  dieselben  noch  nicht  weit  reichen,  wird  es  in  der 
Regel  leicht  sein,  die  Wundfläche  durch  Zuziehung  nachbarlicher  Theile  ohne 
besondere  Difl'ormitäten  und  Functionsstörungen  der  Lider  zu  decken.  Hat  das 
Gewächs  aber  nur  einigen  Umfang  erreicht  und  greift  es  etwas  tiefer,  so  wird 
die  Deckung  des  Substanzverlustes  meistens  schwierig.  Man  hat  zu  diesem 
Behufe  mehrere  sehr  sinnreiche  Methoden  der  Blepharo-plastik  empfohlen  {Hasner, 
Knapp).  Doch  fragt  es  sich  sehr,  ob  dieselben  ihrem  Zwecke  entsprechen  und 
der  Mühe  lohnen,  indem  der  Epithelialkrebs  bei  einigermassen  grösserer  Ausbrei- 
tung in  der  Lidgegend  hnmer  wieder  recidivirt  und  dann  gewöhnlich  rapid  um 
sich  greift. 

d)  Gewächse,  welche  nahe  unter  der  äusseren  Haut  oder  unter  der 
Bindehaut  lagern,  müssen  behufs  der  Exstirpation  erst  biosgelegt  werden. 
Zu  diesem  Ende  genügt  öfters  Eine  lineare  Schnittwunde,  welche  am  besten 
hergestellt  wird,  indem  man  die  Decke  der  Geschwulst  in  der  günstigsten 
Richtung  in  eine  Falte  aufhebt  und  diese  dann  mit  dem  Bistouri  oder  der 
Schere  durchschneidet.  Bei  grösserem  Umfange  des  Tumors  wird  häufig  ein 
Kreuz-  oder  T-Schnitt  erforderlich.  Hängt  die  Geschwulst  aber  stellenweise 
mit  ihrer  Decke  fest  zusammen,  so  ist  es  am  besten,  die  verwachsene  Partie 
des  Integumentes  durch  2  ellipsoidische  Schnitte  zu  umgrenzen.  Sodann 
wird  die  Decke  des  Aftergebildes  nach  Bedarf  in  grösserem  oder  geringerem 
Umfange  Ton  der  Oberfläche  der  Geschwulst  abpräparirt,  diese  mit  der 
gezähnten  Pincette  oder  Museux'schen  Zange  gefasst,  etwas  hervorgezogen 
und  sorgfältig  bis  auf  den  letzten  Rest  aus  den  normalen  Umgebungen  her- 
ausgelöst. 

Bei  Angiomen  der  Lider ,  welche  eine  starke  Blutung  befürchten 
lassen,  kann  man  sich  der  Desmarres'schen  Ringpincette  bedienen,  welche 
durch  Compression  der  Gefässe  die  Operation  wesentlich  erleichtert 
{Stavenhagen).  Ist  das  Gewächs  entfernt,  so  werden,  falls  man  von  der 
äusseren  Decke  eingegangen  war,  die  Wundränder  durch  Heftpflasterstreifen 
oder  besser  durch  Jeine  Knopfnähte  vereinigt  und  ein  leichter  Baumwollen- 
bausch aufgebunden,  um  die  Wundhöhle  wo  möglich  per  primam  intentionem 
zur  Verheilung  zu  bringen.  Wo  ein  solches  günstiges  Ereigniss  aber  von 
vorneherein  nicht  anzuhoffen  ist,  darf  das  Einlegen  einer  Charpiewieke  in  die 
Wundhöhle  nicht  vergessen  werden.  Im  Uebrigen  bleibt  der  Verband  der- 
selbe.    Wurde  das    Aftergebilde  von    der  Bindehaut  aus  exstirpirt,    so    sind 

41* 


(l44  Extraoculäre  Tumoren;  Bp.handluiig ;  Exsf.irpatioii  iiefsitzender  Geschwulste. 

Nähte  nur  bei  sehr  langen  oder  sich  kreuzenden  Schnittwunden  angezeigt 
und  müssen  mit  den  feinsten  Seidenfäden  hergestellt ,  übrigens  auch 
möglichst  bald  wieder  beseitigt  werden.  Der  Schutzverhand  hat  dann  den 
Zweck,  die  Bewegungen  der  Lider ,  die  Verschiebung  der  Bindehaut- 
wundränder u.  s.  w.  zu  verhindern,  die  Verheilung  sonach  zu  be- 
günstigen. Einführungen  von  Wieken  sind  unter  solchen  Verhältnissen 
zu  meiden. 

Cysten,  welche  tmter  der  Bindehaut  lagern,  springen  oft  von  seibat  heraus, 
wenn  die  Conjunctiva  darüber  gespalten  wird.  Die  Verheilung  erfolgt  fast  immer 
in  der  allerkürzesten  Zeit.  Platzt  die  Cyste  während  der  Operation  und  wird 
so  die  gänzliche  Entfernung  wegen  der  Zartheit  der  Cystenwand  schwer,  so  kann 
man  sich  getrost  mit  der  theilweisen  Beseitigung  derselben  begnügen,  ohne  einen 
Misserfolg  zu  befürchten.  Zur  grösseren  Sicherheit  kann  man  übrigens  den  bios- 
gelegten Wandrest  mit  Höllenstein  ätzen. 

e.  Bei  Aftergebilden,  welche  tiefer  im  Orbilalhindegewehe  wurzeln,  ist 
die  Exstirpation  etwas  schwieriger,  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  aber  um 
so  dringender  geboten,  namentlich  wenn  sie  rasch  wachsen.  Man  soll  dann 
die  Exstirpation  wo  möglich  von  der  äusseren  Lidfläche  aus  vornehmen, 
da  ein  Eingehen  von  der  Bindehaut  aus  weit  umständlicher  und  wegen 
Hinterlassung  von  schrumpfenden  Conjunctivalnarben  bedenklich  ist.  Es  wird 
zu  diesem  Behufe  an  der  Stelle  der  grössten  Hervorragung  ein  dem 
knöchernen  Orbitalrande  paralleler  Schnitt  bis  auf  die  Oberfläche  der 
Geschwulst  geführt  und  diese  sonach  biosgelegt.  Bei  grösserem  Umfange 
derselben  muss  noch  ein  zweiter  darauf  senkrechter  Schnitt  geführt  werden, 
so  dass  eine  T-förmige  Wunde  resultirt.  Die  Decken  der  Geschwulst  werden 
sodann  in  genügendem  Umfange  losgeschält,  das  Pseudoplasma  mit  der 
Museux'schen  Zange  gefasst,  kräftig  hervorgezogen  und  mit  dem  Scalpel 
oder  mit  einer  Schere  aus  seinen  Verbindungen  gelöst. 

Haftet  das  Pseudoplasma  an  der  Beinhaut  fest,  und  ist  diese  vielleicht 
gar  stärker  geschwellt,  so  erscheint  es  gerathen,  die  kranke  Stelle  mit  dem 
Schabeeisen  tüchtig  zu  bearbeiten  und,  falls  der  Knochen  sich  stark  alterirt 
zeigt,  wohl  auch  ein  Stück  desselben  mit  dem  Handmeisscl  auszustemmen. 
Geradezu  geboten  ist  diese  Vorsicht  bei  Gewächsen  verdächtiger  Art  oder 
erwiesenermassen  bösartigen  Charakters.  Manche  bedienen  sich  als  Surrogat 
unter  solchen  Verhältnissen  der  Chlorzinkpasta  (Sichel,  Lawson).  Doch  steht 
es  dahin,   ob   dieselbe  ihrem  Zwecke   entspricht. 

Der  Augapfel  selbst  muss  während  der  Operation  auf  das  Schonendste 
behandelt  und  besonders  vor  Stössen  bewahrt  werden.  Eine  gleichzeitige 
Exstirpation  desselben  ist,  so  lange  seine  Bestandtheile  nicht  auffällige 
materielle  Veränderungen  erlitten  haben,  nur  gerechtfertigt,  wenn  ohne  dem 
eine  völlige  Beseitigung  des  Pseudoplasmas  kaum  oder  nur  unter  den 
grössten  Schwierigkeiten  zu  bewerkstelligen  ist.  Weitaus  in  den  meisten 
Fällen  aber,  namentlich  wenn  die  Geschwulst  ausserhalb  des  Muskeltrichters 
gelagert  ist,  kann  und  muss  der  Bulbus  geschont  werden.  Die  Kothwendig- 
keit,  den  Augapfel  in  grösserem  Umfange  blos  zu  legen,  hebt  diese  Pflicht 
nicht  auf,  da  die  Erfahrung  bereits  genügend  dargethan  hat,  dass  auch 
unter  solchen  Verhältnissen  der  Bulbus  sich  nicht  nur  formel  ei-halten, 
sondern  auch  einen  Theil  seiner  Functionen  wieder  aufnehmen  und  dauernd 
fortführen  könne   {Berlin,   Zehender,    Graefe,    Schiess-Gemuseus). 

Ist  das  Aftergebilde  herausgelöst  und  die  etwaige  Blutung  gestillt,  so 
wii'd     die     Hautwunde     durch   Knopfnülile  bis  auf    einen  kleinen   Spalt    ge- 


Exstirpatio  bulbi;  Anzeigen;  Verfahren.  645 

schlössen.  Durcli  den  letztei'eii  wivd  ein  Leinwandläppchcn  bis  auf  den 
Grund  der  Wundhöhle  eingeführt,  nra  dem  sich  bildenden  Kiter  einen 
steten  Abfluss  zu  sichern.  Im  Uebrigen  ist  die  Behandlung  dieselbe,  wie 
bei  anderen  tiefen  Wunden.  ]^]s  bilden  sich  gcwöhnlicli  bald  Granulationen 
an  den  Wänden  der  Wundhöhle,  welche  diese  allmälig  ausfüllen,  bis  sie 
endlich  an  die  äussere  Hautöifnung  h(M"antrcten  und  die  Vernarbung  dem 
Processe  ein  Ende  macht.  Nicht  selten  bleiben  indessen  Monate  und  Jahre 
lang  Hohlgänge  übrig,  welche  fortwährend  Kiter  aussondern  und  sich  daher 
nicht  schliessen.  Es  geschieht  dieses  öfters,  ohne  dass  es  zur  Caries  oder 
Nekrose  eines  Theiles  der  knöchernen  Orbitahvände  gekommen  wäre.  Man 
rauss  dann  die  Höhle  kräftig  mit  Höllenstein  ätzen,  oder  reizende  Salben  anwen- 
den, im  Nothfalle  selbst  zum  Glüheisen  schreiten,  vorausgesetzt,  dass  die 
Schädelbasis  nicht  zu  nahe  liegt,  da  sonst  leicht  eine  Meningitis  bedingt 
werden  kann.  Voi'züglich  angezeigt  ist  ein  solches  Verfahren,  wenn  wegen 
mangelhafter  Granulationsbildung  sich  tiefe  und  entstellende  Narben  zu  bilden 
drohen. 

/.  Erscheint  der  Augapfel  der  Mitaffection  verdächtig,  oder  ist  dessen 
Mitleidenschaft  erwiesen,  greift  der  Krebs  voraussichtlich  in  den  Muskeltrichter 
hinein,  oder  ist  das  Aftergebilde  schon  zu  einem  beträchtlichen  Umfange 
gediehen  und  können  Nebenherde  im  Orbitalzellgewebe  vermuthet  werden  : 
so  ist  es  immer  das  Gerathenste,  den  Bulbus  sammt  der  ganzen  Masse  des 
theilweise   entarteten   Fettpolsters  auszuschneiden. 

Die  Exstirpation  des  Bulbus  und  seines  Fettpolsters  ist  wegen  der 
bedeutenden  Schmerzhaftigkeit  immer  während  der  Narkose  des  Kranken 
vorzunehmen.  Ein  Assistent  hat  diese  zu  leiten,  ein  anderer  fixirt  den 
Kopf  des  Kranken  und  hält  die  Lidspalte  möglichst  weit  geöffnet,  der 
dritte  endlich  übernimmt  die  Stillung  der  meistens  sehr  beträchtlichen 
Blutung.  Um  den  Zugang  zur  Augenhöhle  möglichst  zu  erweitern  und 
die  Hantirung  zu  erleichtern,  erscheint  es  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  vor- 
theilhaft,  die  äussere  Commissur  der  Lider  durch  einen  horizontalen  Schnitt 
bis  zum  Knochenrande  hin  zu  spalten.  Hierauf  fasst  die  linke  Hand  des 
Operateurs  mittelst  einer  Museux'schen  Zange  den  Bulbus  oder  das  hervor- 
ragende Aftergebilde  und  zieht  die  Masse  nach  vorne  und  nach  oben.  Ist 
dieses  geschehen,  so  wird  ein  starkes,  wenig  gebauchtes,  allenfalls  auch 
leicht  nach  der  Fläche  gekrümmtes  Skalpel  in  der  Gegend  des  inneren 
oder  äusseren  Lidwinkels  hart  am  Knochen  auf  mehr  als  einen  Zoll  in  die 
Tiefe  eingestochen  und  der  Augapfel  nach  unten  in  Sägezügen  bis  zur  Höhe 
des  anderen  Canthus  umschnitten.  Sodann  wird  die  Zange  gesenkt  und  die 
von  ihr  gefasste  Masse  nach  vorwärts  und  unten  gezogen,  um  von  dem. 
einen  Wundwinkel  aus  in  ganz  gleicher  Weise  den  Bulbus  nach  oben 
umschneiden  zu  können.  Es  lässt  sich  derselbe  sammt  seinen  umgebenden 
Hüllen  nun  schon  sehr  beträchtlich  nach  vorne  herausziehen,  worauf  eine 
starke  nach  der  Fläche  gekrümmte  Schere  in  den  Seitentheil  der  Wunde 
geschlossen  eingeführt,  sodann  aber  weit  geöffnet  wird,  um  den  Sehnerven 
thunlichst  weit  nach  hinten  zwischen  die  Blätter  zu  bekommen  und  mit 
einem  Schlage  zu  durchschneiden.  Sind  noch  einige  Vei'bindungen  zurück- 
geblieben, so  werden  dieselben  leicht  durch  wiederholte  Scherenschnitte 
geti'ennt  und  solchermassen  der  Bulbus  mit  der  Aftermasse  entfernt.  Es 
wird  nun  die    Thränendrüse  mit  der  Zange  gefasst,  hervorgezogen  und  mit 


646  Extraoculäre  Tumoren;  Beliandlung;  Exstirpatio  bulbi;  Verband. 

dem  Messer  oder  der  Schere  abgelöst.  Ist  dieses  geschehen,  so  wird  mit 
dem  Finger  die  Wundfläche  auf  das  genaueste  untersucht.  Wo  sich  etwas 
Krankhaftes  zeigt,  muss  es  bis  zum  Knochen  ausgeschnitten,  nöthigenfalls 
auch  das  Periost  abgeschabt  und  selbst  ein  Stück  der  Knochenwand  aus- 
gestemmt werden.  Dringt  das  Gewächs  durch  eine  Wand  hindurch,  so  kann  man 
versuchen ,  dasselbe  mit  der  Zange  hervorzuzerren  und  zu  exstirpiren, 
was  bisweilen  gelingt. 

Die  Blutung,  so  profus  sie  auch  meistens  ist,  wird  doch  in  der  Eegel 
ziemlich  leicht  durch  Einspritzen  von  Eiswasser  gestillt.  Steht  sie,  so  wird 
die  Augenhöhle  tamponirt,  um  den  nicht  seltenen  Nachblutungen  zu  begegnen. 
Es  geschieht  dieses  am  besten  durch  Ausfüllung  mit  kleinen,  sorgsam  auf 
einander  gepassten  Charpiebäuschen,  über  welchen  die  Lider  geschlossen 
und  mit  einem  grossen  Charpiebausch  belegt  werden,  den  eine  straff  ange- 
zogene Zirkelbinde  in  seiner  Lage  erhält  und  gegen  den  Augenhöhlen- 
tampon kräftig  drückt. 

Ist  die  Taraponade  sorgfältig  durchgeführt,  so  genügt  sie  fast  immer  ihrem 
Zwecke,  selbst  dann,  wenn  die  Ärteria  ophthalmica  nahe  dem  Sehloche  durchschnit- 
ten wurde  und  darum  sich  nicht  zurückziehen  und  mechanisch  schliessen  kann. 
Es  ist  deshalb  in  Fällen,  in  welchen  das  starke  Spritzen  einen  solchen  Zufall 
verräth,  anzurathen,  sich  nicht  lange  mit  den  ohnehin  vergeblichen  Versuchen,  die 
Blutung  auf  eine  andere  Weise  zu  stillen,  aufzuhalten,  sondern  nach  Entfernung 
alles  Krankhaften  sogleich  die  Tamponade  in  der  geschilderten  Weise  vorzuneh- 
men. Die  Torsion  der  Arteria  ophthalmica  oder  die  Conqji-ession  derselben  durch 
eine  Sperrpincette,  welche  durch  einen  oder  zwei  Tage  liegen  gelassen  wird,  ist 
kaum  jemals  erforderlich.  Die  Anwendung  des  Glüheisens  zur  Stillung  der  Blutung 
ist  wegen  der  Nähe  des  Gehirnes  gefährlich  und  überhaupt  nicht  verlässlich.  Wegen 
der  Nähe  des  Gehirnes  ist  auch  das  Sesquichloretu7n  ferri  kaum  verwendbar,  da  es 
das  Blut  in  den  Gefässen  auf  grössere  Abstände  hin  chemisch  alterirt  und  zum 
Stocken  bringt,  derlei  Pfropfe  in  den  Gefässen  der  Schädelbasis  aber  leicht  sehr 
verderblich  werden  können. 

Der  Verband  darf  erst  nach  zwei  oder  drei  Tagen,  überhaupt  wenn 
sich  schon  die  Zeichen  beginnender  Eiterxmg  bemerklich  machen,  erneuert 
werden.  Im  Ganzen  ist  er  zu  tragen,  bis  die  Orbita  sich  bereits  mit  einer 
Schichte  von  Granulationen  überkleidet  hat.  Mittlerweile  ist  der  Kranke 
gleich  einem  schwer  Verwundeten  zu  behandeln  und  namentlich  auf 
Mässigung  der  örtlichen  Entzündung  und  des  etwa  auftretenden  heftigen 
Fiebers  hinzuarbeiten. 

In  einzelnen  seltenen  Fällen  kömmt  es  nach  Exstirpationen  zu  wahren  trau- 
matischen Hirnhautentzündtingen.  Dieselben  neigen  wegen  ihres  eitrigen  Charakters 
zu  stürmischem  Verlaufe,  in  welchem  sich  die  schulgerechten  Stadien  mehr  ver- 
wischen. Der  Puls  ist  ein  sehr  schneller,  die  Temperatur  örtlich  sehr  erhöht,  der 
Kopfschmerz  sehr  heftig  und  die  Geistesthätigkeit  bald  umnebelt.  Es  folgen  dann 
rasch  Lähmungserscheinungen,  allgemeiner  Collapsus  und  der  Tod.  Selten  gelingt 
es,  den  Process  gleich  in  seinem  ersten  Beginne  durch  kräftige  Antiphlogose  zu 
bemeistern.  Doch  scheint  mitunter  der  Eintritt  der  Eiterung  an  den  orbitalen  Wund- 
rändern eine  Wendung  zum   Guten  anzubahnen  (Graefe). 

Ist  die  Gefahr  einer  Nachblutung  vorüber  und  die  Augenhöhle  mit 
Granulationen  überdeckt,  so  kann  man  olme  weiteres  den  Verband  weg- 
lassen und  sich  auf  tägUches  mehrmahges  Ausspritzen  der  Wundhöhle  be- 
schränken, bis  die  Vernarbung  erfolgt  ist.  Es  ist  diese  oft  schon  in  kurzer 
Zeit,  innerhalb  14  Tagen,  vollendet,  zumal  wenn  grössere  Portionen  der 
Bindehaut  geschont  werden  konnten,  da  diese  sich  zusammenziehen  und 
die  Orbita  nach  vorne  gleich  einem  Vorhange  abschliessen,  die  Wundfläche 
also  bedeutend  verkleinern. 


JutiaoiiiUire  Tuiiiuioii;  Krankheitsbild.  647 

Zögert  die  Granulationsbilduno-  sehr,  oder  ivuchern  die  Wundflächea 
unter  starker  Eiterung-  übermässig  und  cn-seheinen  die  Granulationen  blass 
schlaff  uiul  sehr  weich,  so  sind  örlliclie  Reizmittel,  Opiumtinctur,  Höllen- 
stein u.   s.   w.   anzuwenden. 

g.  Wird  die  Operation  als  unerspricsslich  aufgegeben,  so  stellt  sich  die 
Aufgabe,  dem  Kranken  seinen  höchst  peinliehen  Zustand  möglichst  erträglich 
zu  machen  und  sein  elendes  Dasein  thunlichst  zu  verlängern.  Oertlich  ist 
dann  geboten:  Fernhaltung  jeder  Schädlichkeitseinwirkung,  sorgfaltigste 
Reinhaltung  der  Geschwulst  durch  mehrmals  des  Tags  wiederholte  Bespülungen 
mit  reinem  lauen  Wasser  und  ein  entsprechender  Verband  theils  des 
Schutzes  wegen,  theils  um  die  scheussliche  Entstellung  zu  verdecken. 
Treten  später  Blutungen  ein,  so  können  Ueberschlägc  von  verdünnter 
Chlorina  liquida  angewendet  werden.  Beginnen  sich  bereits  Stücke  vom 
Gewächse  abzustossen,  so  pflegt  man  Kohlenpulver  aufzulegen,  um  den 
penetranten  Fäuluissgeruch  einigei'massen  zu  dämpfen.  Im  Uebrigen 
empfiehlt  sich  die  Vermeidung  körperlicher  und  geistiger  stärkerer  Auf- 
regungen. Gegen  locale  Entzündungserscheinungen  werden  mit  Vortheil 
kalte  üeberschläge  angewendet,  besondei\s  wenn  eine  beträchtliche  örtliche 
Temperaturzunahme  nachweisbar  ist.  Gegen  heftige  Schmerzen  helfen  bis- 
weilen Narcodca.  Bei  stäi'kerem  Fieber  empfiehlt  sich  die  Digitalis,  das 
Aconit  und  nach  Umständen  das  Chinin.  Zeigt  sich  bereits  der  zuneh- 
mende Verfall  des  Körpers ,  so  kann  man  Chinapräparate  nebst  leicht 
verdaulicher  nährender  Kost  und  massigen  Gaben  leichten  Bieres 
reichen   u.   s.  w. 

Quellen.  Hhnly,  Krankheiten  u.  Missbildungen  etc.  I.  Berlin.  1843.  S.  505.  — 
Mackenzie,  Traite  des  mal.  d.  yeux.  Traduit  p.  Warlomont  et  Testelin.  I.  Paris. 
1856.  S.  70-107,  226—242,  487—504.  —  Küchler,  Deutsche  Klinik  1866.  Nr.  18, 
19,  28.  —  Stellwag,  Ophth.  II.  S.  1221-1230.  —  Graefe,  A.  f.  O.  I.  2.  S.  288;  X, 
1.  S.  193,   194,  200,  205;  X.  2.  S.   197.     —     Schiess-Geviuseus  ibid.  XIV.  1.  S.   73. 

—  Zehender  ibid.  IV.  2.  S.  55;  kl.  Moiiatsbl.  1868.  S.  108.  —  Kna2)2h  A.  f.  O. 
XIII.   1.  S.  183;    XIV.    1.    S.  278,  283;  Arcli.    f.    Aug.  u.  Ohrenheilkde.  I.  S.   1,  3. 

—  Hasner,  Entwurf  einer  anat.  Begründg.  Prag.  1847.  S.  248.  — Jacobson,  A.  f.  O. 
X.  2.  S.  55.  77.  —  Zander  und  Geissler,  die  Verletzungen  des  Auges.  Leipzig  u. 
Heidelberg.  1864.  S.  424,  431—435.  —  Schuh,  Wien.  med.  Wochenschiift  1861. 
Nr.   1 — 5.    —     Chelius,  Handbuch  der   Augenheilkunde.   II.  Stuttgart.    1839.   S.  515. 

—  Berlin,  kl.  Monatsbl.  1866.  S.  81.  —  Hirschherg,  kl.  Monatbl.  1869.  8.  76.  — 
Sichel,  Rohin  ibid.  1868.  S.  275.  —  Lawson,  Lancet.  1869.  I.  S.  10.  —  Magni,  Rivista 
clinica  1869.  —  Stavenhagen,  kl.  Beob.  S.  23.   —   Berthold,  A.  f.  0.  XIV.  3.  S.  107. 

—  0.  Pilz,  Arch.  f.  kl.  Chirurgie.  IX.  S.  257. 


2.  Die   intraoculareii  Geschwülste. 


Krankheitsbild.  Aftergebilde ,  welche  sich  im  Hintertheile  des 
Binnenraumes  entwickeln,  führen  immer  bald  zu  tiefen  Sehstörungen.  Oft 
ist  schon  sehr  frühzeitig  die  Lichterapfindung  im  ganzen  Umkreise  des 
Gesichtsfeldes  aufgehoben,  oder  es  hat  sich  nur  an  einer  oder  der  anderen 
Stelle  desselben  ein  undeutliches  Wahrnehmungsvermögen  erhalten  und 
erlischt  später  bei  fortschreitendem  Processe  völlig.  In  vielen  Fällen  ist 
es  auch  gerade  die  monoculare  Erblindung,  durch  welche  der  Kranke  auf 
sein  Leiden  aufmerksam  gemacht  wird,     indem    der  Tumor    sich  ausbilden 


ß48  lutraoculäre  Tumweii;  Gliom;  Kraukheitsbild. 

und  selbst  zu  ansehnlichen  Grössen  gedeihen  kann,  ohne  sonstige  Beschwer- 
den zu  verursachen  oder  das  Aussehen  des  Auges  irgendwie  erheblich 
zu  verändern.  Häufig  bedarf  es  sogar  einer  eingehenden  Untersuchung,  um 
das  Gewächs  zur  Wahrnehmung  zu  bringen. 

Das  Netzhautgliom  in  seinem  ersten  Beginne  zeigt  sicli  unter  der  Gestalt 
einer  diffusen  (Knapp),  oder  einer  in  zahlreiche,  ziemlich  scharf  umgrenzte, 
grössere  und  kleinere  Herde  gesonderten  Trübung  von  bläulichweisser  bis 
gesättigt  weisser,  jeder  Beimischung  von  Gelb  entbehrender  Farbe,  welche 
gewöhnlich  frühzeitig  von  einzelnen  dichteren,  deutlich  hervorspringenden 
Knoten  durchsetzt  wird,  die  Netzhautgefässe  stellenweise  frei  lässt,  stellenweise 
aber  verschleiert  oder  gänzlich  verhüllt  und  nicht  selten  sich  vascularisirt, 
ausnahmsweise  in  dem  Grade,  dass  der  Bestand  hellrother  Fleischwärzchen 
vorgetäuscht  wird.  Der  vorwaltend  weisse ,  gesättigte  Farbenton ,  die 
Opacität  des  Infiltrates,  die  Glätte  der  Geschwulstoberiläche  und  der 
Mangel  aller  auf  Entzündung  hindeutenden  Erscheinungen,  besonders  das 
Fehlen  auffälliger  Trübungen  im  Glaskörper,  wirken  dann  zusammen,  um 
einerseits  die  Annahme  exsudativer  oder  hyperplastischer  Formen  der 
Neurodictyitis  unthunlich  erscheinen  zu  lassen,  andererseits  um  einen 
starken  Reflex  zu  ermöglichen  ,  welcher  sich  besonders  bei  erweiterter 
Pupille  und  bei  günstiger  Stellung  zum  Lichte  geltend  macht  und  ein 
Aufleuchten  des  Augengrundes  mit  intensivem  hellweissen  metallischen  Glänze 
veranlasst.  Gewöhnlich  ist  es  dieses  höchst  aufTällige  Symptom,  welches 
die  Umgebung  des  erkrankten  Kindes  auf  das  vorhandene  Leiden  aufmerk- 
sam macht  und  eine  Untersuchung  anregt,  welche  immer  schon  eine  fast 
vollständige  Erblindung  des  betreffenden  Auges  nachweiset.  Bei  fortschrei- 
tender Wucherung  drängt  sich  die  Aftermasse  immer  näher  an  die  optische 
Axe  heran  und  kann  dann  stets  schon  mit  freiem  Auge  deutlich  gesehen 
werden.  Es  wird  nämlich  in  der  Regel  schon  sehr  frühzeitig  der  betreffende 
Abschnitt  der  Netzhaut  im  weiten  Umfange  von  der  Aderhaut  abgehoben 
und  rückt  mit  einzelnen  Theilen  häufig  sogar  bis  unmittelbar  an  die  hintere 
Linsenfläche  heran ;  oft  sogar  wird  die  Ablösung  der  Retina  eine  totale. 
Die  ungewöhnliche  Lage  und  Gestalt  des  abgehobenen  Netzhauttheiles,  die 
Excentricität  der  Trichteraxe  bei  totaler  Amotion ,  die  intensiv  helle 
Färbung  und  die  Opacität,  sowie  die  oberflächliche  Glätte  des  stellenweise 
buckelig  hervorgetriebenen  abgehobenen  Netzhauttheiles  geben  dann  im 
Vereine  mit  der  eigenthümlichen  Anordnung  der  darauf  etwa  wahrnehm- 
baren Adergeflechte  Anhaltspunkte  genug,  um  den  Zustand  von  einem 
primären  Hydrops  subretinalis  zu  unterscheiden.  Dazu  kommen  als  diagno- 
stische Hilfsmittel  noch  der  Fortbestand  des  normalen  oder  gar  die 
nachweisbare  Steigerung  des  Binnendruckes,  ja  nicht  selten  die  Ent Wickelung 
eines  wirklichen  Status  glaucomatosus  mit  allen  seinen  charakteristischen 
Merkmalen,  also  ein  Zusammenfluss  von  Verhältnissen,  wie  sie  sonst  bei 
Kindern  kaum  jemals  beobachtet  werden.  Im  weiteren  Verlaufe  treten 
dann  intereurrente  Entzündungen  unter  der  Form  von  Tridochorioiditis  auf, 
welche,  wenn  sie  nicht  zur  A'creiterung  und  zum  Durchbruche  führen, 
bisweilen   eine   temporäre   Schrumpfung  des  Bulbus  vei'anlassen. 

Es  ist  diese  zeüiveilige  Phthise  nicht  immer  mit  einem  Einsinken  des  Bulbus 
gepaart,  vielmehr  findet  man  mitunter  sogar  eine  leichte  Vortreibung,  welche  dann 
im  Vereine  mit  leichten  Excursiousbeschräukungen  den  Uebergang  des  Glioms  auf 


Intraoculäres  Sarcom;  KrankUeitsbild.  049 

das  vetrobulhäre  Gefihjt  oder  weiiifjjsteiis  eine  massenhafte  Infiltration    des  vorderen 
Seimervenstückes  verräth  (Graefe). 

Das  Sarcom  zeigt  sich  in  der  Iris  uutcr  der  Form  bräunliclicr  bis 
schwarzer,  mehr  weniger  vascularisirter  Knoten,  welche  im  Parenchyme  der 
Regenbogenhaut  wurzelnd  in  die  Kammer  hineinragen.  Das  Aderhaut  sarcom 
stellt  sich  in  seinem  ersten  Beginne  gowöhnlicli  als  eine  linsenförmige, 
flach  aufsitzende  Geschwulst  von  graurother  oder  bräunlichrother  Farbe 
dar,  auf  deren  meistens  glatter  Oberfläche  sich  öfters  reiche  Gefässnetze 
und  auch  wohl  Haemorrhayien  zeigen  i^Knapp).  Häufig  ist  dieselbe  von 
Resten  des  zerworfenen  Tapetes  dunkel  gefleckt  oder  gesprenkelt,  bei  sehr 
grossem  Pigmentreich thume  auch  wohl  mattschwarz.  Insoferne  sie  immer 
noch  mehr  Licht  reflectirt,  als  die  normale  Chorioidea,  erscheint  der 
Augengrund  stark  rauchig,  in's  Grünliche  schimmernd,  oder  bei  heller 
Färbung  stellenweise  röthlich  oder  weissgrau  und  unter  günstigen  Ver- 
hältnissen matt  leuchtend. 

Wo  das  Aderhaiitsarcoin  rasch  zur  Verklebung  der  Netzhaut  mit  der  Chorioidea 
führt  und  in  Gliosarcom  umsetzend  die  Netzhaut  durchwächst,  sind  die  Erscheinungen 
wolil  auch  jenen  des  reinen  Netzhautglioms  sehr  ähnhcli,  wenn  nicht  darin  ein 
Unterschied  gesucht  wird,  dass  in  einzehien  Fällen  in  der  Umgebung  des  hellweissen 
Tumors  unregelmässige  lichte,  nicht  erhabene  Flecke  unter  der  schleierartig  ge- 
trübten Netzhaut  beobachtet  wurden  (Graefe),  welche  unzweifelhaft  auf  partielle 
Zerstörungen  des  Aderhauttapetes  zu  beziehen  sind. 

Im   Ganzen  ist  es  nur  ein  Ausnahmsfnll ,    wenn    das  Aderhautsarcom 

in  seinem  ersten  Beginne  als  solches  zur  Wahrnehmung    gelangt.      In    der 

Regel  wird  nämlich  die  Netzhaut  sehr  frühzeitig  in  weitem    Umfange  abgelöst 

und  getrübt,  so  dass  der  Tumor  vollständig  verhüllt  wird.     Erst  wenn   der 

letztere  sich  vergrössert,   kömmt  er  mit  der  Netzhaut  wieder  in  Berührung 

und  vermag,    falls  diese   durch  entzündliche  \^orgänge  nicht  zu  sehr  getrübt 

und  verdickt   ist,     mit    seiner    grauröthliehen,    bräunlichen    bis    schwarzen 

Farbe    durchzuschimmern.      Bevor    dies    der    Fall    ist,     liefern      wieder     die 

ungewöhnliche  Lage  und  Form   der  Netzhautabhebung  die    Verdachts  gründe 

für  den  Bestand   eines  intraoculären  Pseudoplasmas. 

Dabei  findet  man  übrigens  öfters  eine  ansehnliche  xmA  obendrein  ungleirk- 
mässige  Erweiterung  der  Pupille,  was  bei  der  einfachen  Netzhatitabhebung  nicht 
der  Fall  ist.  Ausserdem  ist  mitunter  eine  eigenthümliche  Art  der  Gefässeinspritzung 
im  Bereiche  der  Episclera  und  Conjnnctiva  zu  beobachten,  es  ersclieint  ein  ein- 
zelner Quadrant,  eine  Hälfte  der  Lederhaut  mit  groben,  vielfach  unter  einander 
verschlungeneu  und  anastomosirenden  Venen  überdeckt,  während  an  den  übrigen 
Stellen  der  Bulbusaussenfläche  die  Congestion  nur  wenig  oder  gar  nicht  ausge- 
sprochen ist. 

Bestimmtere  Anhaltspunkte  für  die  Ditferentialdiagnose  gibt  die  in 
der  Regel  vorhandene  und  bei  reinem  Hydrops  subretinalis  ganz  unge- 
wöhnliche Steigerung  des  intraoculären  Druckes ,  welcher  sich  bald  die 
übrigen  Sj'mplome  des  chronischen  Glaucoms  beizugesellen  pflegen.  In 
diesem  glaucomähnlichen  Zustande  vorharrt  der  Bulbus  oft  längere  Zeit, 
wenn  es  nicht  zum  Durchbruche  des  Aftergewäohses  kömmt.  Die  Linse 
trübt  sich  dann  gewöhnlich  ziemlich  rasch  und  das  Krankheitsbild  gewinnt 
ganz  den  Charakter  des  abgelaufenen  absobden  Glaucoms.  Nicht  selten  wird 
die  Ausbildung  dieses  Sj'mptomencomplexes  auch  sehr  beschleunigt  durch 
entzündliche  Anfiille  mit  überaus  heftigen  Reizerscheinungen,  welche  ganz 
das  Gepräge  des  acuten  Glaucoms  an  sich  tragen.  Der  solchermassen 
entartete    Augapfel    kömmt   jedoch    nicht,     wie    dies    bei    reinem    Glaucom 


650  Intraoculäre  Tumoren;  Sareom;  Cysticercus;  KrankheitsWId. 

meistens  der  Fall  ist,  zu  einer  länger  dauernden  Ruhe,  vielmehr  wieder- 
holen sich  gewöhnlich  die  entzündlichen  Anfälle  und  pflegen  mit  überaus 
heftigen,  ja  oft  unerträglichen  Beschwerden  des  Kranken  einherzugehen, 
besonders  weim,  wie  dies  leicht  geschieht,  intraoculäre  Hämorrhagien 
hinzutreten.  Endlich  bilden  sich  Scleralstaphylome  aus,  welche  gemeinig- 
lich den  Durchbruch  vorbereiten ,  oder  es  beginnt  allmälig  das  Auge  zu 
schritmpfen.  In  manchen  Fällen  erheben  sich  die  entzündlichen  Insulte 
wohl  aiich  zur  Bedeutung  einer  suppurativen  Ii-idochoi'ioiditis  oder  förm- 
lichen PanOphthalmitis  und  schaffen  dem  Tumor  durch  Zerstörung  der 
Hornhaut  oder  durch  Perforation  der  Sclerotica  einen  Ausweg,  oder  aber 
sie   führen   zur  temporären  Phthisis   des  Auges. 

Die  Neigung  zu  entzündlichen  Anfällen  dauert  in  den  atrophischen  oder 
phthisischen  Stümpfen  fort,  was  die  letzteren  von  jenen  unterscheidet,  welche  ihren 
Ausgangspunkt  in  reinen  Entzündungen  des  Augapfels  finden  und  an  einer  chronisch 
fortschleichenden  Kyklitis  kranken.  Auch  zeichnen  sich  diese  entzündlichen  An- 
fälle dadurch  aus,  dass  sie  mit  überaus  heftigen  Paroxysmen  spontaner  Schmerzen 
einhergehen,  während  die  Ciliargegend  eine  geringe  Empfindlichkeit  gegen  Be- 
tastung offenbart.  Im  Uebrigen  haben  derlei  Stümpfe  das  Eigenthümhche,  dass 
bei  ihnen  die  Schrumpfung  hauptsächlich  von  Vo7-ne  nach  Hinten  erfolgt,  der 
äquatoriale  Durchmesser  hingegen  verhältnissmässig  wenig  verkürzt  wird.  Die 
Kuchenform  des  Stumpfes  bringt  selbstverständlich  ein  beträchtliches  Zurücktreten 
der  vorderen  Bulbusoberfläche  mit  sich.  Wo  dieses  ein  sehr  geringen  oder  gar 
Null  ist,  hat  man  Grund  an  den  Bestand  eines  retrohulbären  Tochterherdes  oder 
an  den  bereits  erfolgten  Durchbruch  des  intraoculären  Tumors  nach  hinten  zu  denken 
(GraefeJ. 

Blasenfinnen,  welche  in  der  Vorclerkammer  hausen,  können  stets  schon 
mit  freiem  Auge  deutlich  gesehen  werden.  Sitzt  eine  solche  aber  im 
Glaskörper,  so  bedarf  es  des  Augenspiegels ,  um  selbe  zu  erkennen.  Sie 
stellt  sich  als  eine  rundliche  trübe  Blase  von  bläulicher  Färbung  dar, 
welche  zeitweilig  auifallende  wurmförmige  Bewegungen  macht ,  während 
der  Kopis  sich  bald  vorstreckt,  bald  wieder  zurücktritt.  Manchmal  konnte 
man  selbst  den  Hakenkranz  deutlich  wahrnehmen  {Liehreich).  Uebrigens 
macht  sich  das  Thier  unter  solchen  Verhältnissen  auch  subjectiv  bemerkbar, 
indem  die  von  ihm  beschattete  Netzhautstelle  als  ein  dunkler  Fleck  im 
Gesichtsfelde  erscheint ,  welcher  in  einem  Falle  sogar  die  Bewegungen  des 
Kopftheiles  wiedergab,  sich  bald  verlängerte,'  bald  verkürzte.  Lagert  der 
Wurm  noch  unter  der  Netzhaut,  so  zeigt  er  sich  im  ersten  Beginne  ophthal- 
moscopisch  als  eine  blaugraue  Trübung  von  etwa  doppelter  Papillengrösse, 
welche  rasch  nach  allen  Dimensionen  wächst,  die  Netzhaut  vor  sich  her- 
staut und  zu  durchdringen  scheint,  indem  die  Gefässe  daselbst  mehr  und 
mehr  verschleiert  und  auch  wohl  ganz  unkenntlich  werden.  Bricht  jetzt 
der  Wurm  nicht  in  den  Glaskörper  hinein,  so  zeigt  sich  öfters  neben  jener 
bläulichen  Trübung  ein  abgerundeter  heller  Fleck  am  Augengrunde, 
welcher  mit  der  Zeit  nicht  selten  bandartig  verlängert  wird,  was  daher 
rührt,  dass  der  Cysticercus  sich  imter  der  Netzhaut  weiter  bewegt,  eine 
entfärbte  Aderhautpartie  zurücklassend.  Wo  frühzeitig  Netzhautabhebung 
eintrat,  der  Wurm  also  vom  Anbeginne  an  frei  beweglich  war,  fehlen  diese 
Flecke  und  Streifen,  ebenso  wie  dort,  wo  der  Wurm  sich  binnen  Kurzem 
in  den  Glaskörper  durchgebohrt  hat. 

i  Die    hegleitenden   Entzündimgserscheimingen    sind    ihrer    Intensität    nach    aus- 

nehmend wechselnd,  bald  sehr  heftig  und  ausgebreitet,  bald  ganz  geringfügig.  Im 
späteren  Verlaufe  stellen  sich  fast  immer  sehr  dichte  Glaskörpertrübungen  ein,  welche 


Behandlung;  Entfsrnung  von  Irisgewächsen;  Extractio  Cysticerci.  G51 

die  Diagnose  nicht  wenig  erschweren.  Dieselben  zeichnen  sich  vor  anderweitig 
begründeten  durch  ihre  memhranöse  Beschaftenhuit  und  durch  ihre  Aehnlichkeit 
mit  mehreren  über  einander  liegenden  schleierartigen  Voriiängen  aus,  welche  quer 
durch  das  Auge  ziehen  und  nicht  leicht  Unterbrechungen,  wohl  aber  häufig  Falten 
zeigen.  Ist  einmal  Iridochorioidüis  eingetreten,  so  entzieht  sich  der  Augengrund 
dem  Einblicke  und  mit  der  Diagnosticirbarkeit  des  Cysticercus  ohne  Anamnese  hat  es 
ein  Ende  (Graefe). 

Behandlung.   Deren  Aufgabe  zielt  selbstverständlich  in  erster   Linie 

auf  die  Enffermmg    des    Neugebildes  und,     wo    diese    ohne    Zerstörung    des 

Auges  nicht  ausführbar    ist ,    auf    Beseitigung    des    ganzen   Bulbus ,    um    der 

drohenden  Infection  nachbarlicher  Organe  und    einer    Verallgemeinerung  des 

Leidens  zuvorzukommen. 

Sitzen  derlei  Tumoren  mit  wenig  xMr[(a.ngreicher  B&sis  a.ui  der  Regenbogenhaut, 
so  genügt  eine  lineare  Hornhantwunde,  wie  sie  zum  Zwecke  der  Iridectomie  gemacht 
wird,  um  die  Geschwulst  mittelst  einer  Pincette  hervorziehen  und  .snnniit  dein 
betreffenden  Stücke  der  Iris  ausschneiden  zu  können. 

Blasenfinnen,   welche  in   der  Vorderkammer  hausen,   lassen  sich  in   ganz 

ähnlicher  Weise   entfernen.    Vortheilhafter  scheint  jedoch  ein   Lappenschnitt 

zu  sein,  indem  sich  der  Wurm    leichter    spontan  entleert,    jedenfalls    aber 

sicherer  gefasst  und  extrahirt,   oder  nöthigenfalls  von  seinen  Verbindungen 

getrennt  werden  kann.      Cysticerci,   welche   noch  unter  der  Netzhaut  lagern, 

oder  durch  neoplastische   Schwarten  mit  derselben    verbunden  sind,     werden 

ohne    Zweifel     am    besten    durch    eine     meridional    streichende    Scleralwunde 

ausgezogen.     Falls  der  Wurm  jedoch    in    den    Glaskörper    eingetreten     und 

daselbst  noch  ziemlich  frei  beweglich    ist,   scheint  man    eine  Entfernung   am 

sichersten   durch  den  peripheren  Linearschnitt  anzubahnen. 

Es  muss  zu  diesem  Behixfe  die  Iris  im  Bereiche  der  Scleralwunde  hreit  aus- 
geschnitten und  die  Linse  möglichst  vollständig  entleert  werden.  Ist  dieses  ge- 
schehen, so  soll  mit  dem  früher  zur  Cataractextraction  benützten  stumpfen  Haken 
in  jener  Richtung  eingegangen  werden,  in  welcher  das  Thier  mit  dem  Augenspiegel 
gesehen  worden  war.  Man  bringt  es  dann  entweder  sofort  heraus  oder  fördert 
trübe  Glaskörpersubstanz  zu  Tage,  welche  den  Wurm  umhüllte.  Hierin  hat  man 
so  lange  fortzufahren,  bis  der  Cysticercus  sichtbar  wird.  Jetzt  soll  man,  um  dessen 
Verwundung  möglichst  zu  vermeiden,  auf  das  Thier  nicht  mehr  direct  losgehen, 
sondern  durch  Wegräumen  von  Glaskörper  es  ermöglichen,  dass  derselbe  unter 
sanftem  Drucke  herausschlüpfen  kann  (Graefe).  Es  soll  dies  nicht  nur  gewöhnlich 
gelingen,  sondern  in  mehreren  Fällen  sogar  ein  gewisser  Grad  von  Sehvermögen  gerettet 
worden  sein,  was  sehr  hoch  anzuchlagen  ist ,  da  bei  den  früher  gebräuchlichen 
Methoden  fast  durchwegs  Phthisis  bulbi  das  Resultat  war. 

Die  Extraction  der  Blasenfinnen  erscheint  dringend  geboten  in  An- 
betracht der  entzündlichen  Insulte,  welche  in  manchen  Fällen  von  Anbe- 
ginn an  den  Kranken  quälen  und  schliesslich  stets  den  Bulbus  zu  Gninde 
richten,  einmal  angeregt  auch  ganz  unbestimmbare  Zeit  hindurch  fort- 
dauern, oder  anfallsweise  wiederkehren  und  am  Ende  gar  den  zweiten 
Bulbus  auf  sympathischem  Wege  gefährden  {Alf.  Graefe,  Jacobson).  Um 
diese  Entzündungen  und  die  von  ihnen  abhängigen  Hindernisse  oder  Er- 
schwerungen der  Operation  möglichst  zu  umgehen,  erscheint  es  darum 
auch  am  klügsten,  mit  der  Operation  nicht  zu  zaudern ,  sobald  man  von 
dem  Bestände  eines  Cysticercus  im  Lineren  des  Bulbus  Gewissheil 
erlangt  hat. 

Wenn  der  Cysticercus  durch  ausgebreitete  dichte  Schwarten  mit  seinen  Um- 
gebungen fest  verwachsen  ist  und  sich  daher  voraussichtlich  nicht  ohne  Zerstörung 
des  Bulbus  beseitigen  lässt,  darf  man  auch  wohl  gleich  von  vorneherein  die  Ver- 
eiterung des  Augapfels  durch  Einfülirung  eines  Fadens  (S.  392)  anstreben  (OraefeJ. 


(352  lutiaoculäre  Tumoren  ;  Behandlung. 

Hat  sicil  eine  Iridokylclitis  ausgebildet,  welche  den  anderen  Bulbus  auf  sympathischem 
Wege  bedroht,  so  scheint  es  gerathen,  lieber  2?«  enucleiren. 

Gewächse,  welche  sehr  breit  auf  der  Iris  aufsitzen,  im  Ciliarkörper 
oder  in  den  tieferen  Binnenorganen  wuchern,  fordern  nach  dem,  was  über 
deren  Verhalten  mitgetheilt  worden  ist,  die  möglichst  frühzeitige  Ausschälung 
des  Augapfels,  auch  wenn  sie  zur  Zeit  einen  gutartigen  Charakter  bekun- 
den. Es  gilt  dies  vorzugsweise  von  den  Gliomen.  In  der  That  sind  nur 
äusserst  wenige  Fälle  bekannt,  wo  die  Enucleation  bei  erwiesenem  Bestände 
eines  intraoculären  Markschwammes  eine  Heilung  oder  auch  nur  eine 
länger  dauernde  Unterbrechung  des  Wucherungsprocesses  erzielt  hat  und 
zwar  waren  diess  durchwegs  Fälle,  in  welchen  das  Leiden  wälu-end  seiner 
allerersten  Stadien  zur  Behandlung  gekommen  ist.  Wenn  das  Gliom 
bereits  längere  Zeit  bestanden  und  sich  auf  der  Netzhaut  nur  einiger- 
massen  ausgebreitet  hatte  ,  blieb  die  Ausschälung  des  Augapfels  stets 
erfolglos  und  nur  selten  säumte  die  Eecidive  länger  als  zwei  Monate 
(Hirschher g)\  gewöhnlich  trat  sie  schon  früher  hervor  und  führte  den 
Kranken  zum  Tode,  oft  viel  rascher,  als  dieses  nach  dem  bisherigen  Ver- 
laufe des  Leidens  bei  Unterlassung  der  Operation  voraussichtlich  der  Fall 
gewesen  wäre.  Da  nun  die  Kranken  nur  sehr  ausnahmsweise  im  ersten 
Beginne  der  Krankheit  die  Hilfe  des  Arztes  in  Ansprach  nehmen  und 
meistens  erst  auf  das  Leiden  aufmerksam  werden ,  wenn  durch  den  hell- 
glänzenden Reflex  des  Augengrundes  sich  schon  eine  vorgeschrittene  Ent- 
wickelungsperiode  des  Gewächses  offenbart,  so  kann  den  Arzt  kein  Vor- 
wurf tretfen,  welcher  die  Operation  im  Allgemeinen  vermeidet  und  sich 
nur  dazu  entschliesst,  wenn  die  vorhin  erwähnten  günstigen  Umstände 
noch  eine  schwache  Aussicht  auf  Erfolg  übrig  lassen. 

Bei  intraoculären  Sarcomen  ist  ohne  Zweifel  die  Operation  im  Ganzen 
und  Grossen  eine  lohnendere.  Fälle,  in  welchen  eine  Jahre  lang  andauernde 
und  vielleicht  aiich  gründliche  Heilung  durch  die  Enucleation  des  erkrankten 
Auges  erzielt  wurde,  auch  wenn  das  Gewächs  bereits  Monate  und  länger 
im  Binnenraume  wucherte,  sind  nicht  übermässig  selten  {Knapp)  und  jeder 
Augenarzt,  welcher  über  ein  grösseres  Material  verfügt,  dürfte  einen  oder 
den  anderen  derartigen  Fall  aufzuweisen  liaben.  In  Berücksichtigung  dessen 
erscheint  denn  auch  hier  die  Operation  unter  sonst  günstigen  Bedingungen 
nicht  nur  gerechtfertigt,  sondern  geradezu  angezeigt,  obgleich  man  mit 
vollem  Herzen  jenen  zustimmen  muss,  welche  die  Sarcome  zu  den  bösar- 
tigsten Pseudoplasmen  rechnen  und  obgleich  gar  nicht  zu  läugnen  ist, 
dass  häufig,  ja  vielleicht  in  der  Regel ,  es  binnen  Kurzem  zu  Recidiven 
kömmt,  welche  möglicherweise  das  Leben  des  Kranken  um  ein  Beträcht- 
liches abkürzen. 

Wo  das  Pseudoplasma  jedoch  bereits  die  Cornea  oder  Lederhaut 
durchbrochen  hat,  ist  von  einer  Entfernung  des  Bulbus  nur  wenig  oder 
gar  nichts  mehr  zu  erwarten,  indem  wohl  immer  schon  die  Infection 
sich  weit  über   die  Nachbartheile  ausgebreitet  und  Tochterherde  erzeugt  hat. 

Wo  die  Operation  auf  einen  späteren  Zeitpunkt  verschoben,  oder  als 
hoffnungslos  aufgegeben  wird,  hat  sich  die  Behandlung  auf  Fernhaltung 
aller  Schädlichkeiten  und  auf  die  Bekämpfung  etwaiger  Reizzustände, 
lästiger  Symptome  u.  s.  w.  zu  beschränken,  da  es  an  Mitteln  fehlt,  welche 
die  Afterwuclierung  als  solche  in  zweckentsprechender  Weise  zu  beein- 
flussen vermögen. 


Eiiucleatio  Imllii ;  Aii/,i'ip;i'ii.  653 

Quellen:  Graefe,  A.  f.  O.  II.  1.  S.  219;  Jll.  2.  S.  312,  321,  327  ;  IV.  2.  S.  171, 
176,  182,  218,  224,  227;  VII.  2.  S.  43;  IX.  2.  S.  105,  110;  X.  1.  S.  176;  XII.  2. 
S.   174,    178,    189,    237,   239;    XIV.   2.    S.   103,    108,   116,   128,   137;  Congres  oplitli. 

1868.  S.  59;  Virchow's  Jahresber.  1868.  II.  S.  512.  —  Liehreich,  Atlas  der  Oplitli. 
Berlin.  1863.  S.  19.  —  Jacobi,  kl.  Monathl.  1863.  S.  121.  —  Btisch,  A.  f.  O.  IV. 
2.  S.  99,  102.  —  Gnersanf,  Bulletin  tlioraj).  1865.  30.  Sept.  —  Mackenzie,  Traite 
d.  mal.  (1.  yenx.  Tradnit  p.  Warlomont  et  Testelin.  II.  Paris.  1857.  S.  285.  — 
Stellivag,  Wien.  med.  Woelienselirift.  1864.  Nr.  10 — 12.  —  Ilimly,  Krankheiten  und 
Missbildungen  etc.  I.  Berlin.  1843.  S.  516.  —  Cheliu.f,  Handb.  d.  Augenheilkunde. 
II.  Stuttgart.  1839.  S.  508.    —    Knapp,    Congres    ophth.    1868.    S.  29;  kl.  Monatbl. 

1869.  S.  112.  —  Mooren,  lieber  symp.  Ophth.  Berlin.  1869.  S.  41.  —  Alf.  Graefe, 
kl.  Monatbl.  1863.  S.  242.  —  Jacohson,  A.  f.  O.  XI.  2.  S.  147.  —  Hirschhercj, 
Der  Markschwamm  in  der  Netzhaut.  Berlin.   1869.  S.  169,  247,  250,  261. 

Die  Ausschäluu^  des  Augapfels,  Eiiucleatio  bulbi. 

Anzeigen.  Die  Ausschälung  oder  Entkapselung  des  Bulbus  (0  Ferral, 
Bonnet,  Arlt)  ist  am  Platze  bei  intraocularen  Geschwülsten  so  wie  bei  After- 
gebilden, welche  an  der  Oberfläche  des  Auges  festsitzen  und  nur  wenig 
oder  gar  nicht  in  das  Orbitalgewebe  hineinragen,  sich  also  saramt  dem 
Bulbus  voraussichtlicher  Weise  leicht  und  vollständig  aus  dem  Fettpolster 
auslösen  zu  lassen  versprechen.  Ausserdem  findet  sie  eine  Indication  hei 
erblindeten  Augen,  welche  durch  fortwährende  entzündliche  Recidiven  und 
heftige  Ciliarneurosen,  oder  durch  intensive  subjective  Licht-  und  Farben- 
erscheinungen dem  Kranken  qualvoll  werden,  wenn  nicht  das  Leiden  durch 
eine  minder  eingreifende  Behandlung  getilgt  werden  kann ;  vornehmlich 
aber,  wenn  wegen  chronischer  Irldokyklitis  eine  sympathische  Erkrankung  des 
zweiten  Auges  zu  befürchten  steht  (S.   332). 

Man  hat  die  Enucleatio  bulbi  auch  zu  rein  cosmetischen  Zwecken  bei  ausge- 
breiteten, bereits  stabil  gewordenen  und  aller  Reizerscheinungen  baren  Sclero- 
chorioidaJstaphylomen  und  Totalstaphylomen  des  Bulbus  emplohlen,  indem  die  Ope- 
ration es  nachträglich  möglich  macht,  ein  künstliches  Auge  einzusetzen  und  so  den 
Schönheitsfehler  einigermassen  zu  decken.  Es  darf  hierbei  jedoch  nicht  vergessen 
werden ,  dass  bei  bedeutenden  Ectasien  des  Augapfels  das  orhitale  Fettgeivehe  in 
Folge  des  auf  dasselbe  wirkenden  Druckes  verkünmiert,  dass  soliin  nach  der  Opera- 
tion der  Bindehautsack  stark  nach  rückwärts  gezogen  wird,  das  künstliche  Auge 
schiver  haftet  und  ausserdem  imt>eweylich  bleibt. 

Die  Vortheile,  welche  ein  Stumpf  bei  der  nachträglichen  Application  eines 
künstlichen  Auges  bietet,  haben  Manche  bestimmt,  die  Enucleation  überhaupt  da- 
durch zu  unigeJien ,  dass  sie  die  Cornea  ausschneiden  und  die  Linse  sammt  einem 
Theile  des  Glaskörpers  entleeren,  oder  die  garise  Vorderhälfte  des  Augapfels  abtragen, 
indem  sie  ein  Staarmesser  durch  den  Aequator  bulbi  hindurchstossen  und  sodann 
mit  der  Schere  den  Circulärschnitt  vollenden  (Himly,  Williams).  Bei  degenerativen 
Processen  ist  ein  solcher  Versuch  sehr  gefährlich,  indem  aus  den  Chorioidal-  und 
Netzhautgefässen  oft  ganz  erstaunliche  und  gar  nicht  zu  stillende  Blutungen  zu 
Stande  kommen,  welche  allsogleich  oder  nachträglich  die  Enucleatio  als  leben- 
rettendes  Mittel  verlangen. 

Im  Allgemeinen  hat  als  Regel  zu  gelten,  dass  die  Operation  nicht 
leichtsinnig  und  ohne  dringende  Noth  vorgenommen  werde.  Abgesehen 
von  der  Verstümmelung  ist  nämlich  wohl  zu  berücksichtigen,  dass  die 
Enucleation  keineswegs  eine  Bürgschaft  für  das  Eintreten  besserer  Ernäh- 
rungsverhältnisse am  anderen  Auge  in  sich  schliesse  und  oft  genug  versage, 
trotzdem  sie  frühzeitig  durchgeführt  wurde.  Zudem  kömmt  in  Betracht, 
dass  sie  unter  Umständen  auch  wohl  gefährlich  werden  kann.  In  der  That 
hat  man  in    ihrem  Gefolge,    freilich    sehr    ausnahmsweise,    Meningitis   und 


654 


Enucleatio  bulbi;  Verfahren;  Subcutane  Neurotomie. 


Tod  beobachtet  (Mannhardf,  Homer).  Insbesondere  scheint  dieser  üble  Aus- 
gang zu  drohen ,  wenn  bei  Bestand  einer  eitrigen  Panophthalmitis  operirt 
wird   (Graefe). 

Verfahren.  Die  Operation  soll  in  der  Regel  während  der  Narkose 
des  Kranken,  die  ein  eigener  Assistent  zu  leiten  hat,  vorgenommen  werden. 
Ein  zweiter  Assistent  fixirt  den  Kopf  des  Kranken  und  hält  die  Lidspalte 
möglichst  weit  geöffnet;  ein  dritter  hat  die  Blutung  zu  stillen.  Ist  der 
Bulbus  sehr  vergrössert ,  oder  steht  er  mit  einem  umfangreicheren  After- 
gebilde im  Zusammenhange,  so  dass  dessen  Hervorziehung  aus  der  Lidspalte 
voraussichtlicher  Weise  Schwierigkeiten  finden  wird,  so  muss  vorläufig  die 
äussere  Commissur  der  Lider  durcli  einen  horizontalen  Schnitt  bis  zum 
äusseren    Knochenrande    der    Orbita    gespalten    werden.      Hierauf    wird    die 

Bindehaut  mittelst   einer  Pin- 
"'     '  cette     über     der    Ansatzstelle 

der  Sehne  des  Knksseitigen  ge- 
raden Augenmuskels  in  eine  ho- 
rizontale Falte  emporgezogen, 
mit  einer  Schere  durchschnit- 
ten, nun  die  Muskelsehne  mit 
der  Pincette  gefasst,  durch 
die  verticale  Bindehautwunde 
hervorgeholt  und  in  einiger 
Entfernung  von  der  Ansatz- 
linie durch  trennt.  Ist  dieses 
geschehen ,  so  wird  das  eine 
Blatt  der  nach  der  Fläche 
gekrümmten  Schere  von  dem 
einen  Wundwinkel  aus  unter 
der  Bindehaut  bis  zum  An- 
sätze des  nächsten  geraden 
Augenmuskels  fortgeschoben, 
die  Conjunctiva  durch  einen 
Scherenschlag  durchschnitten, 
nun  die  blosliegende  zweite  Sehne  gefasst,  abgetrennt  und  so  fort,  bis  alle 
vier  gerade  Muskeln  vom  Bulbus  gelöst  sind.  Ist  dann  nicht  zu  fürchten, 
dass  der  Bulbus  platzt  und  vorzeitig  seinen  Inhalt  entleert,  also  coUabirt, 
so  kann  eine  Museux'sche  Zange  gebraucht  werden ;  widrigenfalls  thut  man 
besser,  den  Sehnenstumpf  des  linken  geraden  Augenmuskels  mit  einer 
starken  und  verlässlichen  Pincette  zu  fassen  (Fig.  89),  um  den  Bulbus 
kräftig  nach  aussen  wälzen  und  zugleich  Jiach  vorne  ziehen  zu  können. 
Hierauf  wird  eine  starke,  nach  der  Fläche  gekrümmte  Schere  knapp  an 
der  linken  Wand  des  Bulbus  geschlossen  in  die  Wunde  geführt ,  sodann 
geöff"net,  um  den  Sehnerven  zwischen  die  Blätter  zu  bekommen,  und  dieser 
mittelst  eines  kräftigen  Schlages  thunlichst  weit  nach  hinten  durchschnitten. 
Es  lässt  sich  nun  der  Augapfel  sehr  leicht  aus  der  Lidspalte  hervorziehen 
und   aus  seinen  noch  übrigen  Verbindungen  trennen  (Arlt). 

Wenn  die  Enncleation  wegen  dem  Bestände  intraocnJarer  Tumoren,  insbeson- 
dere eines  Netzhaufglioius,  vorgenommen  wird,  so  erscheint  es  in  Berücksichtigung 
des  frülizeitigen  Ueberganges  der  Afterwuchernng  auf  den  Sehnerven  gerathen,  diesen 
letzteren    so    nahe   als    möglich  am  Sehlocbe    zu  dnrclischneiden.     Zu  diesem  Ende 


Modificationen  des  VerfahrPiis;  Quellen.  655 

empfiehlt  man,  unmittelbar  vor  der  Enncleation  ein  Nenrotom  längs  der  äusseren 
Wand  in  den  >lintergrund  der  Orbita  eiiizusteclieii  und  damit  die  Trennung  vor- 
zunehmen. Es  unterliegt  dies  keinen  Schwierigkeiten,  wenn  man  nach  der  Durch- 
trennung der  Augenmuskeln  den  Bulbus  mit  der  Fixirpincette  möglichst  stark  nach 
Vorne  zieht.  Es  lässt  sich  diese  subcutane  Neurofomie  übrigens  auch  in  der  ange- 
deuteten Weise  ohne  vorläufige  Durchschneidung  der  Augenmuskeln  ausführen  und 
wui'de  in  mehreren  Fällen  mit  Erfolg  in  Anwendung  gebracht,  wo  in  erblindeten 
Augen  intensive  Licht-  und  Feuererscheinungen  fortdauerten  und  dem  Kranken  uner- 
träglich wurden  (Oraefe). 

Wenn  die  Enucleation  des  erblindeten  Auges  wegen  sympathischer  Gefähr- 
dung des  anderen  ausgeführt  und  die  spätere  Einlegung  eines  kilnsflichen  Auges 
in  Aussicht  genommen  wird,  scheint  es  jedoch  vortlieilhafter,  den  Sehnerven  7m- 
mitlelhar  am  Bulbus  durchzuschneiden.  Nimmt  man  nämlich  ein  grösseres  Stuck 
vom  Sehnervenstamme  hinweg,  so  wird  die  Scheidenhaut  des  Auges  an  der  Ein- 
trittsstelle des  Opticus  gefenstert,  der  Stammtheil  zieht  sich  etwas  zurück  und  die 
runde  Oeffnung  der  Scheide  wird  nicht  mehr  durch  den  Sehnerven  aus  einander 
gehalten,  sondern  heilt  i;nter  einer  strahligen  Narbenbildung,  in  Folge  deren  die 
hintere  Hälfte  des  Bindehautsackes  weit  nach  hinten  gezerrt  und  für  das  Tragen 
eines  künstlichen  Auges  ein  unausgleichbares  Hinderniss  geschaffen  werden  kann 
(Mooren). 

Ist  der  zu  enucleirende  Bulbus,  wie  dies  ausnahmsweise  vorkömmt,  durch  sehnige 
Stränge  mit  dem  Orbitalpolster  verwachsen,  so  ist  eine  reine  Ausschälung  selbst- 
verständlich nicht  möglich,  man  muss  denselben  aus  seinen  Verbindungen  heraus- 
präpariren  (Sichel). 

Die  Blutung  ist  in  den  meisten  Fällen  nicht  sehr  bedeutend  und  wird 
durch  Einspritzung  von  Eiswasser  meistens  leicht  gestillt.  Sieht  sie,  so 
werden  nach  Entfernung  der  Coagula  die  Lider  geschlossen,  die  etwa 
getrennte  äussere  Commissur  durch  Heftpflasterstreifen  wieder  vereinigt 
und  nun  über  die  Lider  ein  stark  gepolsterter  Druckverhand  angelegt.  Ist 
die  Blutung  schwer  zu  stillen  oder  treten  Nachblutungen  ein,  so  wird  man 
sich  öfters  zur  Tamponade  nach  der  bei  der  Exstirpatio  bulbi  (S.  646) 
erwähnten  Methode  verstehen  müssen.  Wo  die  Tamponade  jedoch  nicht 
wirklich  nöthig  ist,  soll  man  sie  hier  lieber  meiden,  weil  sie  die  Eiterung 
vermehrt    und   die  Heilung  etwas  verzögert. 

Gewöhnlich  erfolgt  die    Vemarhung    schon    innerhalb    weniger    Tage. 

Es    sinken    nämlich     die    Lider   nach    rückwärts    und    verkleinern     so     die 

Wundhöhle    um    ein  Bedeutendes.      Ueberdies  ziehen    sich  die  Ränder  der 

rundlichen    Conjanctivalöffnung  stark  zusammen  und  verwachsen  dann  durch 

eine  strahlige   Narbe,     die    nach  hinten  mit    dem   Stumpfe    zusammenhängt, 

welcher  aus  den  durch   Granulationen  vereinigten  Vorderenden  der  Muskeln 

und  des  Sehnerven  gebildet  wird.    Es  ist  nunmehr  der  Bindehautsack  wieder 

geschlossen  und   es  kann    nach   Verlauf    einiger  Zeit    leicht    ein    künstliches 

Auge  eingelegt  werden. 

Quellen:  Bonnet,  Ann.  d'oc.  VII.  S.  30.  —  Mackenzie,  Traite  d.  mal.  d.  yeux. 
Traduit  p.  Warlomont  et  Testelin.  II.  Paris.  1857.  S.  302.  —  O.  Ferral,  ibid.  — 
Arlf,  Zeitschrift  der  Wien.  Aerzte.  1859.  S.  145,  148,  149,  151.  —  Blodig,  ibid.  1860. 
S.  293,  45t.  —  Critchett,'LRncei.  1851.  S.  386;  kl.  Monatbl.  1863.  S.  440,  442,446; 
AUg.  Wien.  med.  Zeitung.  1860.  S.  50,  83.  —  Pagenstecher  und  Saemisch,  kl.  Beob- 
achtungen. II.  Wiesbaden.  1862.  S.  44.   —    Oraefe,  A.  f.  O.  III.  2.  S.  442,  444;  VI. 

I.  S.  122,  124,  12(1,  129,  131,  134;  kl.  Monatbl.  1863.  S.  448,  456;  Congres  ophth. 
1868.  S.  59.  —  Mannhardt,  Homer,  ibid.  1863.  S.  456.  —  Höring,  ibid.  1863. 
S.  219,   222.   —   Hlvdy,  Krankheiten   und  Missbildungen   etc.  Berlin.  1843.  I.   S.  506; 

II.  S.  365.  —  Williams,  Congres  intern,  d'ophth.  Paris.  1863.  S.  139.  —  3Iaaf.s, 
Zesde  Jaarl.  Verslag.  Utrecht.  1865.  S.  25,  66,  68.  —  Sichel,  Gaz.  med.  de  Paris. 
1867.  Nr.  27.  -  Berlin,  A.  f.  O.  XIV.  2.  S.  279.  —  Mooren,  lieber  symp.  Ophth. 
Berlin.  1869.  S.  149. 


656  Prothesis  ocularis;  Anzeigen. 


Die  Eiulegnug-  eines  künstlicheu   Anges,  Prothesis  ocularis. 

Anzeigen.  Die  Einlegung  oder  Einsetzung  eines  künstlichen  Auges 
hat  vornehmlich  den  Zweck,  die  Entstellung  tliunlichst  zu  vermindern,  welche 
ein  sehr  verbildetes  Auge  oder  dessen  gänzlicher  Abgang  mit  sich  bringt.  Es 
liegt  dieses  durchaus  nicht  blos  im  Interesse  der  persönlichen  Eitelkeit  des 
Kranken,  sondern  ist  häufig  auch  für  das  bessere  Fortkommen  des  Indivi- 
duums von  grösster  Wichtigkeit,  ja  bisweilen  geradezu  eine  Lebensfrage. 
Uebrigens  gestaltet  sich  die  Prothesis  bei  völligem  Abgange  so  wie  bei  sehr 
bedeutender  Verkleinerung  eines  Bulbus  auch  zu  einem  wahren  Heilmittel, 
wenn  sie  zeitlich  genug  ausgeführt  wird.  Sie  macht  nämlich,  dass  sich  die 
Orbita  nicht  leicht  verengert  und  eine  Misstaltung  des  ganzen  Gesichts- 
skeletes  veranlasst;  auch  hindert  sie  das  Einsinken  und  Schrumpfen  der  Lider, 
so  wie  die  Einstülpung  der  Lidränder,  welche  mitunter  zu  sehr  heftigen 
und  anhaltenden  Reizzuständen  im  Bulbusstumpfe  oder  an  dem  Bindehaut- 
sacke führt ;  endlich  ermöglicht  sie  durch  richtige  Stellung  der  Lider  und 
Gestattung  des  Lidschlages  die  normale  Thränenleitung  und  behebt  so  das 
peinliche   Thränenträufeln  mit  seinen  weiteren  Folgen. 

Auf  dass  ein  gut  gewähltes  künstliches  Auge  diese  Zwecke  zu  erfüllen 
vermöge,  ist  es  nothwendig,  dass  es  nicht  nur  nach  vorne  von  den  Lidern 
genügend  fixirt  werden  könne,  sondern  auch  an  seiner  hinteren  concaven 
Fläche  möglichfit  viele  Stützpunkte  finde  und  dass  die  geraden  Augenmuskeln 
durch  diese  Stützen  einen  Einliuss  auf  die  Lage  desselben  zu  nehmen  in 
den  Stand  gesetzt  werden. 

Es  leistet  darum  die  Prothesis  am  ivenigsten  dort,  wo  das  Auge  sammt  einem 
grossen  Tlieile  des  Fettpolsters  durch  Exstirpation  entfernt  worden  ist.  Selbst  wenn 
eine  he/rärh/liche  Portion  der  BindeJiaut  erhalten  worden  wäre,  sind  doch  die  Ver- 
hältnisse sehr  ungünstig.  Es  sinkt  dann  nämlich  die  hintere  Hälfte  des  Conjunctival- 
sackes  sehr  tief  ein,  man  benöthigt,  um  den  Lidern  die  gehörige  Stellung  zu  geben, 
ein  sehr  grosses  künstliches  Auge,  das  sich  blos  mit  seinen  Rändern  an  dem  ßinde- 
hautfalze  und  Knochen  stützt,  an  seiner  hinteren  Fläche  aber  liohl  liegt,  daher  ent- 
weder sehr  unsicher  haftet,  oder  aber  drückt  und,  ganz  abgesehen  von  seiner  Schwere, 
wegen  dem  Abgange  der  Miiskeln  völlig  starr  bleibt. 

Etwas  günstiger  sind  die  Umstände ,  wenn  der  Augapfel  durch  Ausschälung 
entfernt  worden  ist,  oder  noch  als  ein  Heines  Knopfchen  Ijesteht,  es  wäre  denn, 
dass  der  Fettpolster  sehr  atrophirt  ist  und  die  Lider  somit  beträchtlich  nach  hinten 
gezogen  erscheinen.  Es  ist  der  Substanzverlust  nämlich  ein  geringerer,  daher  ein 
kleineres  künstliches  Auge  genügt,  welches  nicht  ringsum  nahe  an  der  Knochen- 
irand  ansteht,  sondern  kleine  Verschiebungen  gestattet.  Der  Bindehantsack  ist  dann 
auch  meistens  von  entsprechender  Räumlichkeit;  seine  hintere  Portion  drängt  sich 
mit  dem  Fettpolster  an  die  concave  Fläche  des  künstlichen  Auges,  wodurch  die 
Beriihrung.spunkte  sich  vervielfältigen;  überdies  bestehen  die  Muskeln  fort  und  thei- 
len  dem  künstlichen  Auge  mittelbar  durch  seine  Stützen,  die  Lider  und  die  Con- 
junctiva,   einen  geicissen   Grad  von  Beweglichkeit  mit. 

Am  meisten  leistet  die  Prothesis,  wenn  ein  vorhandener  missbildeter  Bulbus 
an  Grösse  nur  wenig  dem  normalen  Augapfel  nachsteht.  Es  reicht  dann  nämlich 
ein  sehr  kleines  künstliches  Auge  hin,  um  den  Fehler  zu  decken,  und  ein  solches 
kleines  Auge  gestattet  eine  sehr  beträchtliche  seitliche  Verschiebung.  Es  schmiegt 
sicii  dasselbe  mit  seiner  hinteren  Fläche  aber  auch  fast  völlig  dem  Stumpfe  an, 
7iiht  auf  letzterem  ganz  sicher  und  folgt  allen  seinen  Bewegungen.  Diese  sind  nicht 
selten  so  excursiv,  wie  in  der  Norm,  da  eben  der  Bogen,  mit  welchem  die  Muskeln 
den   Stumpf  umspannen,  nur  wenig  verkürzt  erscheint. 

Ist  der  verhihlete  Ävgap)fel  von  normaler  Grösse,  oder  hat  sein  Umfang  durch 
krankhafte  Processe  etwas  zugenommen,  so  ist  kein  Raum  für  ein  genügend  grosses 


Verfahren.  657 

nnd  dickes  künstliches  Auge  übrig.  Es  drängt  dieses  nämlich  die  Lider  unver- 
haltnissraässig  nach  vorne  und  djnickf,  auf  den  Stumpf,  daher  es  entstellt  und  meistens 
auch  gar  nicht  vertragen  wird.  Wollte  man  es  aber  sehr  dünn  machen,  so  würde 
es  sehr  zerbrechlich  werden ,  und  wollte  man  seinen  Umfang  übermässig  verklei- 
nern, so  liefe  man  Gefahr,  dass  es  bei  den  Bewegungen  des  Stumpfes  aus  dem 
Bindehautsacke  herausfällt.  Es  muss  daher  in  solchen  Fällen  der  Augapfel  immer 
erst  auf  operativem  Wege  verkleinert  werden ,  doch  begreiflicher  Weise  nur  um  so 
viel,  als  erforderlich  ist,  um  ein  kleines  künstliches  Auge  ohne  sonderliche  mecha- 
nische Beirrung  der  Theile  einlegen  zu  können;  denn  jede  heträchtlichere  Verklei- 
nerung geht  auf  Kosten  der  Beweglichkeit  des  künstlichen  Auges  und  des  dadurch 
zu  erzielenden  Nutzens. 

Das  künstliche  Auge  soll  erst  dann  eingelegt  werden,  wenn  von  der 
Bindehaut  und  dem  Stumpfe  jede  Spur  von  Entzündung  und  Empfindlichkeit 
gewichen  ist;  widrigenfalls  wird  es  häufig  nicht  vertragen,  erregt  heftige 
Entzündungen  mit  unerträglichen  Schmerzen  und  kann  sogar  zur  sympa- 
thischen Ophthalmie  des  anderen  Auges  führen  {Moore-ii).  Doch  darf  man 
nicht  übermässig  lange  zaudern,  wenn  der  Stumpf  sehr  klein  ist  oder  der 
Bulbus  ganz  entfernt  wurde,  da  sonst  der  Bindehautsack  und  selbst  die 
Lider  schrumpfen,  die  Lidspalte  sich  verengert  und  am  Ende  gar  die  Oi'bita 
selbst  an  Räumlichkeit  verliert. 

Verfahren.  Zuerst  muss  man  die  dem  speciellen  Falle  entsprechende 
Grösse  und    Gestalt  des  einzulegenden  Auges  auf  das  genaueste  bestimmen. 

Es  bilden  die  künstlichen  Augen  im  Allgemeinen  Abschnitte  von  Kugelschalen, 
welche  aus  Schmelz  gefertigt  sind,  und  denen  eine  ebenfalls  aus  Schmelz  darge- 
stellte Hornhaut  sammt  Iris  eingefügt  ist. 

Die  Convexität  derselben  wird  bei  Erwachsenen  eine  andere  sein  müssen  als 
bei  Kindeim ,  da  bei  ersteren  das  Auge  etwas  grösser  ist  als  bei  letzteren.  Doch 
variirt  der  uöthige  Halbmesser  in  beiden  Fällen  nur  wenig  von  einem  halben  Zoll. 

Die  Grösse  des  Kugelschalenabschnittes,  welchen  das  künstliche  Auge  im 
concreten  Falle  darstellen  muss,  hängt  wesentlich  ab  von  der  Grösse  des  Stumpfes. 
Ist  dieser  nur  wenig  kleiner  als  ein  normales  Auge,  so  darf  auch  das  künstliche 
Auge  nur  einen  sehr  geringen  Umfang  haben ,  weil  es  sonst  drücken  und  bei  den 
Bewegungen  des  Stumpfes  sich  allenthalben  stemmen  würde.  Doch  darf  es  nicht 
so  klein  sein,  dass  es  beim  Avfwärtsv;enAeTi  des  Auges  mit  seinem  unteren  Rande 
über  den  unteren  Lidrand  steigt,  da  es  sich  beim  nachherigen  Ahwärtssehen  an 
dem    letzteren  gpiessen    und  so  herausgedrückt    würde.    Fig.  90  a    (nach    Ritterich) 

Fig.  90. 
a  b  c 


d  e 

stellt  ein  für  solche  Fälle  entsprechendes  künstliches  Auge  dar.  Je  grösser  der 
Unterschied  zwischen  der  Grösse  des  normalen  Auges  und  des  Stumpfes,  um  so 
grössere  Kugelabschnitte  sind  erforderlich  (Fig.  90  b  c).  Ist  der  Stumpf  sehr  klein 
oder  fehlt  das  Äuge  ganz,  so  wird  das  künstliche  Auge  schon  eine  Halbkugel  dar- 
stellen müssen  (Fig.  90  d). 

S  t  e  1 1  w  a  g ,  Ängenlieilkunde.  42 


(358  Prothesis  ocularis :  Verfahren. 

Die  hintere  Fläche  des  künstliclieii  Auges  miiss  immer  hohl  sein.  Ist  der 
Stumpf  so  gross,  dass  das  erstere  auf  der  Vorderfläche  des  letzteren  anfliegt,  so 
darf  die  künstliche  Iris  nach  hinten  7Hcht  vorspr-ingen ,  da  sonst  ein  unerträglicher 
Druck  auf  den  Stumpf  ausgeübt  würde.  Ist  dieser  aber  sehr  Mein  oder  fehlt  er 
ganz,  so  kann  die  Iris  immerhin  vorsin-ingen ,  denn  dann  muss  die  hintere  Fläche 
des  künstlichen  Auges  hohl  liegen.  Das  Auge  so  dick  zu  machen,  dass  es  auch 
in  solchen  Fällen  nach  hinten  fest  anliegen  könne,  ist  nämlich  insoferne  unthunlich, 
als  dasselbe  zu  schrver  würde. 

Wegen  der  Schwere  darf  überhaupt  das  künstliche  Auge  nicht  massiger  ge- 
macht werden,  als  unbedingt  nothicendig  ist,  um  ihm  einen  gewissen  Grad  von 
Festigkeit  zu  verleihen.  Im  Allgemeinen  ist  für  den  Scleraltheil  eine  Dicke  von 
etwas  mehr  als  1/4'",  für  den,  äusseren  Schädlichkeiten  am  meisten  ausgesetzten 
Cornealtheil  aber  ^2'"  Dicke  zu  empfehlen. 

Der  Rand  des  künstlichen  Auges  mus  sehr  glatt  sein.  Ein  blosses  Abschleifen 
desselben  genügt  nicht.  Damit  er  die  Bindehaut  nicht  aufdrücke  und  wund  mache, 
muss  die  Schale  daselbst  umgebogen  werden.  Finden  sich  im  Uebergangstheile  Vor- 
spriinge,  sehnige  Verbindungsstränge,  so  ist  es  nothwendig,  für  diese  Vorsprünge 
Einschnitte  in  den  Rand  zu  machen,  so  dass  das  künstliche  Auge  darauf  gleichsam 
reitet  (Fig.  90  e).  Allerdings  wird  dadurch  die  Beweglichkeit  sehr  vermindert. 

Am  besten  ist  es,  eine  Sammlung  künstlicher  Augen  zur  Verfügung 
zu  haben,  um  daraus  jedes  Mal  das  entsprechende  wählen  zu  können.  Am 
Ende  genügt  jedoch  auch  die  grösste  Sammlung  nicht  für  alle  Fälle  und 
man  ist  öfters  gezwungen,  ein  für  den  concreten  Fall  passendes  Auge 
eigens  anfertigen  zu  lassen. 

Die  Einsetzung  eines  solchen  Auges  fordert  eine  grosse  Vorsicht  wegen 
der  Zerbrechlichkeit  derselben.  Sie  gelingt  am  besten,  wenn  man  das  künst- 
liche Auge  an  dem  äusseren  Winkeltheile  fasst  und,  den  inneren  Winkeltheil 
voran,  unter  das  obere  etwas  hervorgezogene  Lid  steckt,  hierauf  den  unteren 
Ilaiid  des  künstlichen  Auges  von  oben  her  durch  Zeige-  und  Mittelfinger 
der  linken  Hand  fixirt  und  mittlerweile  das  untere  Lid  herab  und  über 
den  unteren  Eand  des  künstlichen  Auges  hervorzieht.  Lässt  man  dann  die 
Lider  aus,  so  drücken  sie  von  selbst  das  Auge  in  die  entsprechende  Lage. 
Will  man  im  Gegentheile  das  künstliche  Auge  herausnehmen,  so  muss  das 
untere  Lid  /<eraigezogen  werden,  so  dass  man  mit  dem  Knopfe  einer  Steck- 
nadel hinter  das  Auge  gelangen  kann.  Mittelst  der  Nadel  lässt  sich  das 
Auge  leicht  so  weit  hervor  drücken,  dass  man  den  unteren  Rand  mit  den 
Fingern  fassen  und  das  Auge  wegheben  kann. 

Das    künstliche  Auge    soll    täglich  vor    dem  Schlafengehen  aus  dem 

Bindehautsacke   entfernt  und   gehörig  gereinigt  werden.  Es  geschieht  dieses 

am  besten  durch  Abwischen     mit  einem    reinen    Leinwandfetzen    und   von 

Zeit  zu  Zeit  durch  Eintauchen  in  Spiritus  oder  Kölnerwasser. 

Es  ist  unzweckmässig,  dasselbe  in  Wasser  zu  legen,  da  dieses  Säuren  und 
Salze  enthält,  welche  den  Schmelz  angreifen,  rauh  machen  und  da  überhaupt 
Wasser  nicht  geeignet  ist,  um  die  fettigen  Theile,  welche  dem  künstlichen  Auge 
anhaften,  zu  lösen  und  zu  beseitigen.  Dazu  kömmt,  wenn  kaltes  Wasser  ange- 
wendet wird,  der  rasche  Temperaturwechsel  und,  falls  das  Auge  mit  den  Fingern 
eingetaucht  wird,  die  ungleichm'dssige  Wärmeeinwirkung.  Es  reichen  diese  Momente 
hin,  um  an  der  Oberfläche  feine  Sprünge  zu  erzeugen,  welche  einem  späteren 
spontanen  Bersten  die  Wege  vorbereiten.  Die  zum  Reinigen  gebrauchte  Leinwand 
muss  mit  der  grössten  Sorgfalt  vor  jeder  Berührung  mit  Staub  etc.  gehütet  werden. 
In  England  sollen  die  wenigsten  künstlichen  Augen  bersten,  in  Frankreich  mehr 
und  in  Deutschland  am  meisten.  Man  ist  geneigt,  diesen  Umstand  daraus  zu  er- 
klären, dass  in  Deutschland  allenthalben  der  Streusand  in  Gebrauch  ist,  welcher 
sich  an  alle  Kleidungsstücke  ,  Sacktücher  anhängt  und  dann  beim  Abwischen  des 
künstlichen  Auges  kleine  Kitze  bildet.  (Boissonneau   Vater). 


Oraiioi-  Sliiar  ;  Krystall ;  Anatomie.  659 

Bei  sovp;lichom  Vorgehen  kann  das  Auge  Jahre  lang  erhalten  werden. 

Am  Ende  wird    es    trüb    und    aucli   rauh.      Dann    muss    es   geputzt    werden. 

Dieses    geschieht    mittelst  englischem    Koth    in    derselben    Weise,     wie    bei 

Metallknöpfen.       Das     Auge    muss     dabei     auf    einem    mit    Modellirwachs 

überzogenen  kugeligen  Leinwandbausche  fixirt  werden.   Zuletzt  nützt  auch 

das  Putzen    nichts  mehr,    es   muss   ein    neues    künstliches  Auge    angeschafft 

werden. 

Quellen:  Chelius,  Hdbch.  d.  Augeiihlkd,  II.  Stuttgart.  1839.  S.  549.  —  Hhnly, 
Krankht.  und  Missbildgn.  I.  Berlin.  1848.  S.  5.33.  —  Ritterich,  Das  kiinstl.  Auge. 
Leipzig.  1852.  —  Mackenzie,  Traite  d.  mal.  d.  yeux.  trad.  p.  Warlomont  et  Testelin. 
II.  Paris.  1857.  S.  223.  —  Boissomienu,  fils,  sur  les  yeux  artif.  Paris.  1862.  — 
Boissonneau  pere,  Mündliche  Mittheilungen.  —  Schauenhurg,  Ueber  den  Gebrauch 
kiinstl.  Augen.  Lahr.  1862.  —  Hasner,  Sitzungsbericht  der  k.  böhm.  Gesellschaft 
f.  Wissenschaften.  1861.  21.  Oct.  —  Ärlt,  Zeitschrift  der  Wien.  Aerzte.  1859. 
S.  147.  —  Burow,  A.  f.  O.  VI.  1.  S.  111.  —  Mooren,  Ueber  symp.  Ophth.  Berlin. 
1869.  S.  52,  124,  125,  129,  130.  —  Lawson,  Ophth.  Hosp.  Rep.  VL  2.  S.  123.  — 
Qraefe,  A.  f.  O.  XIV.  2.  S.  138. 


DEITTES  HAUPTSTÜCK. 

Der  graue  Staar,  Cataracta. 


Anatomie.  Der  Krystall,  Corpus  crystaUinum,  ist  in  der  Lich- 
tung des  Strahlenkranzes  durch  die  Zonula  (Fig.  2,  e,  /,  S.  54)  so  be- 
festigt, dass  seine  2'"  messende  Axe  mit  der  optischen  Axe  des  Auges 
nahebei  zusammenfällt.  Seine  vordere,  weniger  convexe  Fläche  ragt  mit 
ihrem  Mitteltheile  etwas  über  die  Ursprungsebene  der  Regenbogenhaut  her- 
vor, daher  die  Iris  von  dem  luystalle  kuppelartig  nach  Vorne  gebaucht 
und  fixirt  erscheint.  Die  hintere,  mehr  gewölbte  Fläche  ist  in  die  teller- 
förmige Grübe  des  Glaskörpers  eingebettet.  Ihre  periphere  Zone  ist  mit  der  Zonula 
verschmolzen.  Der  centrale  Theil  hingegen  hängt  mit  der  Vitrina  fest 
zusammen. 

Der  Krystall  besteht  aus  zwei  wesentlich  verschiedenen  Theilen,  aus 
einer  glashäutigen  Hülle,  der  Linsenkapsel,  und  aus  der  eigentlichen 
Kry  stalllinse. 

Die  Kapsel  ist  eine  sackförmig  geschlossene,  völlig  wasserklare,  elastische 
und  permeable  Membran ,  welche  unter  dem  Mkroskope  ganz  homogen, 
stvucturlos  erscheint,  in  krankhaften  Zuständen  jedoch  mitunter  Andeutungen 
eines  geschichteten  Baues  erkennen  lässt.  Ihre  vordere  Hälfte,  die  Vorder- 
kapsel,  hat  eine  sehr  ansehnliche  Dicke,  verdünnt  sich  aber  knapp  hinter 
der  Versclimelzung  mit  der  Zonula  sehr  rasch.  Der  Eandtheil  und  die 
hintere  Kapsel  sind  überaus  zart.  Die  Kapsel  ist  fest  genug,  um  der  Ein- 
wirkung   stumpfer    Instrumente    einen    ansehnlichen    Widerstand    entgegen- 

42* 


QQQ  Krystall;  Anatomie;  Kapsel;  Kapselepithel;  Linsenfasern ;  Kernzone. 

zusetzen,  lässt  sich  indessen  leicht  zerreissen,  zerschneiden  und  durch- 
stechen. Wird  sie  verletzt,  so  reisst  sie  vermöge  ihrer  eigenen  Spannung 
gemeiniglich  von  den  Wundwinkeln  aus  weiter  ein,  bisweilen  bis  zur 
Ansatzlinie  der  Zonula,  und  es  kann  sogar  geschehen,  dass  die  Linse  heraus- 
tritt. Die  Wundränder  ziehen  sich  dann  zurück,  indem  sie  sich  falten  oder 
förmlich  nach  innen  einrollen,  so  weit  als  es  der  Stand  der  Wundwinkel 
erlaubt.  Die  Kapsel  ist  es,  auf  deren  Eechnung  hauptsächlich  der  hohe 
Elasticitätsgrad  des  in  voller  Integrität  bestehenden  Krystallkörpers  kömmt, 
denn  die  Linse  an  sich  und  ausser  Verbindung  mit  ihrer  glashäutigen 
Hülle  ist  weich  und  leicht  zerdrückbar. 

Die  Kapsel  entbehrt  eines  Epithels.  Im  mittleren  Theile  der  hinteren 
Fläche  der  Vorderkapsel  findet  sich  allerdings  eine  einschichtige  Lage  von 
schönen  hellen  polygonalen  Zellen  mit  runden  Kernen,  welchen  ehemals 
die  Bedeutung  eines  Epithels  beigemessen  wurde.  Doch  gehören  dieselben 
unzweifelhaft  zur  Lirise  selbst  und  stehen  in  dem  innigsten  Bezüge  zu 
den  Ernährungsverhältnissen  und  zum  Wachsthume  des  Krystalles.  Aus 
ihnen  entwickeln  sich  neue  Linsenelemente,  welche  durch  Apposition  an 
die  bereits  bestehenden  die  Vergrösserung  der  Linse  nach  der  Geburt  in 
äquatorialer  Richtung  bewerkstelligen.  In  sagittaler  Richtung  dürfte  eine 
Volumszunahme  der  Linse  nach  der  Geburt  nämlich  kaum  mehr  statt- 
finden (Sappey,  Ed.  Jaeger).  In  der  That  gehen  die  sogenannten  Epithelial- 
zellen  der  Vorderkapsel  gegen  die  Randzone  hin  in  Kernfusem  über,  welche 
sich  mehr  und  mehr  verlängern,  in  das  Gefüge  der  eigentlichen  Linse 
eintreten  und   als  loahre  Linsenfasern   aufzufassen  sind. 

Die    Linsenfasern    präsentiren    sich    zumeist    als    lange    bandförmige, 

im    senkrechten   Durchschnitte    sechsseitige    abgeplattete    Röhren    von  sehr 

beträchtlicher    Durchsichtigkeit,    Biegsamkeit    und    Zähigkeit,    welche  sich 

an  ihren  beiden  Enden  ausnahmsweise  zuspitzen,  in  der  Regel  aber  stark 

verflachen    und    verbreitern.     Jede   derselben  führt,    wenigstens    in    ihrem 

Jugendzustande,    noch    den    ihren  Ursprung    aus  einer  Zelle  bekundenden 

Zellenkern. 

Es  lag^ern  die  Kerne  sämmtlich  in  den  dem  Gleicher  nahen  Theilen  der 
Linsenfasern,  doch  in  verschiedener  Höhe,  daher  sie  keine  besondere  Anschwellung 
der  betreffenden  Krystallpartie  verursachen.  Ihre  Zusammenhäufung  in  einem  ver- 
hältnissmässig  schmalen  Gürtel  der  Linsenperipherie  rechtfertigt  die  anatomische 
Unterscheidung  einer  Kernzone  (H.  Meyer). 

Die  Linsenfasern  streichen  dicht  an  einander  gedrängt,  ohne  zwischen- 
lagemde  Kittsubstanz.  Ein  senkrecht  auf  ihren  Verlauf  gerichteter  Schnitt 
gibt  das  Bild  einer  zarten,  aus  sechsseitigen,  alternirend  geordneten 
Plättchen  bestehenden  Mosaik.  Ihre  Seitenränder  sind  gezähnt  und  greifen 
übereinander,  hängen  darum  auch  fester  zusammen,  als  die  platten  Flächen, 
von  welchen  die  beiden  breitesten  immer  parallel  zur  Oberfläche  der  Linse 
streichen.  Daraus  erklärt  sich  die  Spaltbarkeit  der  Linse  in  parallel  zu 
ihrer  Oberfläche  gelagerte,  nicht  ganz  gleichmässige  Scliichten,  wodurch 
der  Krystall  das  Ansehen  gewinnt,  als  wäre  er  aus  zwiebelähnlich  in  ein- 
ander geschachtelten,  völlig  geschlossenen  Schalen  zusammengesetzt,  welche 
einen  kleinen  rundlichen  Kern  umgeben. 

Jede  einzelne  Faser  gehört  in  der  Regel  beiden  Hälften  einer  und  derselben 
Schichte  an,  indem  sie  sich  in  /S förmigem  Verlaufe  um  den  Aequator  derselben 
herumschlägt.  Die~  Hauptrichtung  derselben  ist  im  Allgemeinen  eine  7-adiäre;  doch 
erreichen    nur  icenir/e    den  vorderen    oder  hinteren  Pol    des   betreffenden  Stratums, 


Anordnung  der  Fasern;  Globulin;  Humor  Morgagni;  Linsenkern.  661 

sondern  enden  entfernt  von  demselben,  indem  ihr  breites,  gröber  zackiges  Ende 
mit  dem  einer  anderen  Faser  unter  spitzem  Winkel  zusammentrifft.  Durch  das 
spitzwinklige  Zusanniientreflen  je  zweier  Fasern  werden  lineare  Nähte  gebildet, 
welche  sternförmig  aus  dem  Pole  ausstrahlen  und,  indem  sie  in  sämmtlichen 
Schichten  der  vorderen  und  hinteren  Linsonhält'te  je  über  einander  lagern,  diese 
gleich  senkrechten  Scheidewänden  in  eine  Anzahl  von  Dreiecken  abtheilen.  Im 
Neiigehornen  finden  sich  fast  constant  sowohl  an  der  vorderen  als  an  der  hinteren 
Hälfte  der  Linse  drei  solcher  Dreiecke ,  welche  man  auch  Wirbel  oder  Voi-lices 
nennt  und  welciie  zwischen  sich  eine  dreistrahlige  Sternjigur  einschliessen.  Mit 
zunehmendem  Alter  vermehren  sich  jedoch  unter  fortgesetzter  Apposition  neuer 
Faserlagen  diese  Wirbel  und  dem  entsprechend  auch  die  Strahlen  der  sternförmigen 
Figur.  Am  Ende  kommt  es  wohl  auch  zur  Entwicklung  secundärer  Vortices,  deren 
Scheitel  entfernt  von  den  Polen  sich  zu  einem  Hauptstrahle  vereinigen,  gleichsam 
eine  Gabelung  des  letzteren  darstellen. 

Es  stossen  in  den  Nähten  oder  Strahlen  der  sternförmigen  Figur  die  Linsen- 
fasern unmittelbar  auf  einander.  Die  Annahme  einer  daselbst  angehäuften  dick- 
flüssigen homogenen  Kittsnbstanz  (Heule)  scheint  nach  neueren  Untersuchungen 
auf  Täuscluing  zu  beruhen  {Zernoff).  In  gleicher  Weise  sind  die  interfibrillären 
Gänge,  welche  sich  zwischen  den  tieferen  Faserlagen  befinden  sollen  (F.  Becker), 
durch  eingehende  Nachuntersuchungen  mehr  als  zweifelhaft  geworden  (C.  Ritter, 
Zernoff). 

Im  Centrum  der  Linse  hört  die  Schichtung  auf  und  es  finden  sich 
darin  eine  Anzahl  li^urzer,  sehr  unregehnässig  gestalteter,  an  beiden  Slnden 
zugespitzter,  mit  zackigen  Seitenrändern  in  einander  eingreifender  Fasern, 
welche  zum  Theile  kernlos  sind,  zum  Theile  aber  einen  sehr  peripher 
gelegenen  Kern  führen  und  parallel  zur  Krystallaxe  lagern  (C.  Ritter, 
Zernoff). 

Die  Liusenfasern  Neugeborner  und  Kinder  sind  sehr  loeich,  sie  formiren 
mehr  Röhren,  welche  aus  einer  überaus  feinen  und  zarten  glashellen  Hülle 
und  aus  einem  ganz  wasserklaren  flüssigen  und  bei  Zusammenhangstrennun- 
gen der  Elemente  in  grossen  Tropfen  ausströmenden  Inhalte  bestehen.  Man 
hat  in  letzterem  einen  eigenthümlicheii  Protei'nkörper,  das  Globulin  oder 
Crystallin,  nachgewiesen.  Mit  zunehmendem  Alter  des  Individuums  steigert 
sich  vom  Linsenkerne  aus  der  Gehalt  der  Linsenmasse  an  jenem  Stoffe, 
daher  die  Elemente  an  Consistenz  geioinnen,  während  sich  an  der  Oberfläche 
der  Linse  neue  Röhren  mit  flüssigem  Inhalte  ansetzen.  Beim  Schlüsse  des 
Körperwachsthumes  scheint  auch  die  Apposition  neuer  oberflächlicher  Röhren - 
strata  aufzuhören ;  dagegen  schreitet  die  Verdickung  des  Röhreninhaltes 
vom  Centrum  gegen  die  Oberfläche  allmälig  weiter.  Gleichzeitig  scheinen 
die  centralen  Elemente  etwas  an  Volumen  einzubüssen,  dabei  rauh  zu  werden. 
Auch  verlieren  sie  ihre  Kerne.  Am  Ende  kann  mau  im  Mannesalter  schon 
einen  ganz  festen,  ziemlich  harten  und  fast  trockenen  Kern  und  oberfläch- 
liche, aus  weichen  Röhren  zusammengesetzte  Rindenschichten  unterscheiden. 
Je  alter  das  Individuum  wird,  um  so  grösser  wird  der  Kern  und  um  so 
mehr  nimmt  seine  Festigkeit  und  Härte  zu,  um  so  dünner  wird  natürlich 
auch   das  noch  weiche    Corticalstratum. 

Es  sind  die  Elemente  dieser  letztgenannten  Schichte  in  hohem  Grade  ver- 
gänglich, lösen  sich  sehr  bald  nach  dem  Tode  auf  und  bilden  eine  trübe  Flüssig- 
keit, welche  seit  langem  her  als  Humor  Morgagni  beschrieben  wird,  bei  Lebzeiten 
aber  nicht  besteht.  Das  Kapselepithel  liefert  dazu  keinen  Beitrag,  da  es  sich  oft 
noch  mehrere  Tage  nach  dem  Ableben  im  Zustande  der  Integrität  vorfindet 
(F.  Becker). 

Ein  Theil  des  durch  Zerstörung  der  Linsenröhren  freigewordenen  Inhaltes 
verdichtet  sich  hierbei  zu  derben  geschichteten  Kugeln  (Myelinkugeln) ,  welche  mit 
den  cboloiden  Auflagerungen  der  Aderhaut  (S.  312)  viele  Aebulicbkeit  haben.  Man 


662  Krystall;  Anatomie;  Memlirana  capsulopupillaris ;  Senile  Veränderungen. 

sieht  dieselben  in  Linsen,  welche  nicht  ganz  frisch  in  erhärtende  Flüssigkeiten 
gelegt  wurden  oder  zur  Untersiichung  kamen,  oft  auch  sehr  zahlreich  zwischen  den 
einzelnen  Stratis  der  noch  erhaltenen  Fasern  lagern. 

Der  Krystallkörper  entbehrt  der  Gefässe  und  Nerven.  Aber  noch  kurz 
vor  der  Geburt  umgibt  die  Kapsel  ein  gefiissreicher  Saek,  welcher  die 
tellerförmige  Grube  auskleidet  und  von  da  aus  sich  um  den  Gleicher 
herumschlägt,  die  vordere  Kapsel  überkleidet,  mit  dem  Pupillarrande  der 
Iris  zusammenhängt  und  das  Sehloch  verschliesst  (Membrana  capsulo- 
pupillaris). Nach  dem  Verschwinden  dieses  Sackes  erhält  der  Krj^stall 
seine  Nahrungsstoffe  aus  dem  Kammerwasser  und  Glaskörper  durch  Trans- 
fusion. Sein  normaler  Bestand  ist  insoferne  von  der  Integrität  dieser 
Medien  und  in  weiterer  Instanz  von  der  Integrität  der  Tunica  uvea  und 
Retina  abhängig.  Es  scheint,  dass  die  Oiliarfortsätze  bei  der  Ernährung  des 
Krystalles  vorzugsweise  betheiligt  seien. 

Senile  Veränderungen.  Es  machen  sich  dieselben  bald  früher,  bald 
später  bemerklich.  Im  Allgemeinen  kann  man  wohl  sagen,  dass  sie  um  so 
deutlicher  zu  sein  pflegen,  je  stärker  sich  im  Gesammtorganismus  der 
Marasmus  ausspricht.  Insbesondere  auffällig  treten  sie  gewöhnlich  in  Augen 
hervor,  deren  Cornea  einen  schön  entwickelten  Greisenbogen  zeigt.  Sie 
bestehen  in  der  Auflagerung  hyaliner  Massen  auf  die  Hinterwand  der 
Vorderkapsel  und  hauptsächlich  in   einer    Verdichtung  der  Linse. 

Die  ersteren  kommen  in  ihren  chemischen  und  physikalischen  Eigenschaften 
mit  den  choloiden  Auflagerungen  der  Descemet!  und  Aderhaut  völlig  überein.  Sie 
stellen  sich  gleich  diesen  bald  als  halbkugelige,  breit  aufsitzende,  selten  gestielte 
Massen  dar;  bald  erscheinen  sie  in  fläclten  artig  er  Ausbreitung  und  machen  den 
Eindruck  ansehnlicher  Verdickungen  der  Glashaut.  Sie  sind  dann  öfters  sehr 
lückenhaft.  Ihre  Oberfläche  ist  häufig  sehr  uneben,  so  dass  sie  Aehnlichkeit  mit 
einem  Glasgusse  gewinnen.  Gewöhnlich  schliessen  sie  sich  unmittelbar  an  die  Innen- 
wand der  Vorderkapsel  an,  so  dass  deren  Grenze  im  Durchschnitte  nur  eine  sehr 
feine  dunkle  Linie  bildet.  In  anderen  Fällen  findet  sich  zicischen  beiden  eine 
Schichte  körniger  Masse,  welche  wahrscheinlich  von  dem  Untergange  des  ober- 
flächlichen Linsenzellenstratums  herrührt  (H.  Müller,    WedlJ. 

Die  Linse  wird  im  Allgemeinen  trockener,  spröder  und  spaltbarer. 
Besonders  gilt  dieses  aber  von  dem  Kerne  der  Linse,  welcher  in  der  Regel 
eine  zarte  weingelbliche  oder  bcrsteinähnliche,  bisweilen  sogar  in's  Bräun- 
liche spielende  Färbung  annimmt.  In  sehr  vielen  Fällen  kömmt  es  dann 
noch  überdies  zu  molecularen  Trübungen  in  den  Randtheilen  der  dem  Kerne 
unmittelbar  aufliegenden  Rindenstrata,  welche  bei  Benützung  des  lichtschwachen 
Augenspiegels  besonders  deutlich  hervortreten. 

Es  beschränken  sich  diese  Trübungen  im  Anfange  auf  eine  schmale  Zone 
der  vorderen  und  hinteren  Aequatorialpartie  der  betreffenden  Schichten  und  sind 
ausserordentlich  mannigfaltig  gestaltet.  Am  öftesten  trifft  man  radiäre  Streifen,  die 
im  Allgemeinen  dem  Zuge  der  Linsenfasern  folgen  und  auf  Trübungen  der  Linsen- 
fasern selbst  so  wie  auf  Zioischenlagerung  molekularer  Massen  bezogen  werden.  Sie 
finden  sich  sehr  gewöhnlich  gepaart  mit  zarten  dünnen,  theilweise  scharf  begrenz- 
ten weisslichen  Wölkchen,  welche  aus  Körnchen  verschiedenen  Calibers  bestehen 
und  flächenartig  an  einer  oder  beiden  Hälften  der  äquatorialen  Kernoberfläche  sich 
ausbreiten.  Häufig  zeigt  sich  der  Aequator  des  Ivernes  wohl  auch  ringsum  bedeckt 
von  einem  zarten  graunebeligen  Gürtel  ohne  bestimmte  Umrisse.  Es  reicht  dieser, 
mehr  weniger  breite,  äquatoriale  Gürtel  immer  durch  mehrere  Schichten  hindurch 
und  ist  bedingt  durch  eine  Ausscheidung  von  Fettkörnchen,  die  sich  besonders  in 
der  Nähe  des  Gleichers  häufen  und  daselbst  zu  grösseren  Tröpfchen  zusammen- 
fliessen.  Selten  kommen  kurze  und  sehr  schmale  weisse  Streifen  oder  Striche  vor, 
welche  als  ununterbrochene  Kreislinie    den  Kernäquator   umschliessen  und   so  hier 


öerontoxoii  lentis;  Nosologie;  Phakitis.  663 

die  Differenzirung'smaiko  bilden.  Sie  inaclien  den  Eiiidrnclt,  als  hätten  sieli  Klüfte 
zwischen  den  concentrischen  Faserschichten  g;el)ildct,  welclie  mit  inolecularer  Sub- 
stanz auRffofüllt  sind  (Förster).  Man  hat  diese  sich  ül)riji^ens  vielfach  mit  einander 
comhinirenden  Formen  der  scliiclitw(nsen  Trübung  am  Kernä([uator  mit  dem  Greisen- 
bogen  der  ("ornea  zusauunengestellt  und   als  deroiUoxon  lentis  beschrieben  (A7n7nonJ. 

Durch  diese  Alterationen  wird  selbstvei-ständlich  der  Lichtreflex 
im  Bereiche  des  Krystallkörpers  vermehrt.  Dem  entsprechend  erscheint 
die  Pupille  des  Greisenaucjes  nicht  melir  glänzend  scliwarz ,  sondern 
rauchig,  und  oft  sogar  aufFiiUig  trübe,  besonders  wenn  grelles  diffuses 
Licht  einwirkt,  oder  wenn  directes  Licht  schief  einfällt.  Es  ist  die  Trü- 
bung sehr  gewöhnlich  so  stai'k,  dass  man  unwillkürlich  an  eine  in  ihrer 
Entwickelung  bereits  ziemlich  weit  vorgeschrittene  cataractöse  Verbildung 
denken  muss. 

Die  Täuschuug  wird  nueh  vullständiger ,  wenn  die  künstliche  Beleuclitung 
mittelst  Sammellinsen  in  Anwendung  gebracht  wird.  Da  erscheint  die  Oberfläche 
des  Krystalles  in  der  Kegel  mit  einem  dichten,  bisweilen  seidenglänzenden,  öfters 
leicht  streifigen  grauweissen  Schleier  überdeckt.  Auch  die  Kernyrenze  macht  sicli 
durch  einen  matten  grauweissen  oder  graugelblichen  Schimmer  bemerklich.  Ganz 
vorzüglich  aber  treten  die  Trübungen  am  Ae^nator  der  Kernoberfläche  hervor.  Der 
von  der  Lichtquelle  ahgewendete  Theil  des  Kernrandes  maclit  ganz  den  Eindruck,  als 
Stacke  er  in  einem  Falze,  welclier  von  zwei  in  einem  Winkel  zusammenfiiessenden, 
inwendig  glatten  und  glänzenden,  gegen  den  Pol  hin  verwaschenen,  bisweilen 
wolkig  oder  streifig  gezeichneten  Flächen  gebildet  wird.  Die  Breite  dieses  Gürtels 
wechselt  sehr,  die  Farbe  ist  l)ald  grauweiss,  bald  graugelb. 

Es  werden  diese  Trübungen  Avirklich  von  mehreren  Seiten  für  den 
ersten  Beginn  einer  ivahren  Cataracta  erklärt.  Es  bestehen  dieselben  jedoch 
in  der  bei  weitem  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  ohne  merkliche  Verände- 
rung durch  viele  Jahre  und  führen  selbst  im  höchsten  Alter  nicht  noth- 
wendig,  ja  nicht  einmal   häufig,   zur  wirklichen   Staarbildung. 

Die  senile  Verdichtung  der  Linse  macht  sich  übrigens  auch  noch  sehr 
auffällig  geltend  durch  Erschwerung  der  accommodativen  Formveränderungen 
der  Linse.  Auch  nimmt  bei  fortgesetzter  Verdichtung  des  Krystalles  dessen 
Volumen  etwas  ab,  wenigstens  verflachen  sich  etwas  die  beiden  Oberflächen 
und  der  Kern.  Der  Brechzustand  des  Auges  sinkt  in  Folge  dessen  um  ein 
Bedeutendes. 

Nosologie.  Staarbildung  und  Schwund  des  Krystallkörpers  sind  im 
Grunde  genommen  gleichbedeutende  Ausdrücke.  V^ie  in  anderen  Organen 
kömmt  es  auch  in  der  Linse  bald  wegen  verminderter  oder  überhaupt  alte- 
rirter  Stoffzufuhr  zur  Atrophie  ;  bald  wird  dieser  Process  durch  entzündliche 
Wucherungen  der  zelligen  Elemente  der  Linse  vorbereitet  und  thatsächlich 
begründet.  Dem  entsprechend  findet  man  in  Cataracten  bald  lediglich  die 
Resultate  der  Atrophie,  bald  sind  diese  mit  den  Ergebnissen  der  elementaren 
Prolification  gepaax't. 

1.  Die  Entzündung  charakterisirt  sich  im  Krystalle  durch  ganz  ähn- 
liche Erscheinungen  wie  anderwärts.  Es  sammeln  sich  wechselnde  Mengen 
von  Bildungszellen  an  beiden  Oberflächen,  vornehmlich  in  der  äquatorialen 
Zone  der  Linse  und  dringen  zum  Theile  in  die  Tiefe,  wo  sie  dann  reihen- 
weise zwischen  den  Linsenfasern  oder  in  flächenartigen  Herden  zwischen 
den  einzelnen  Schichten  des  Krystalles  eingelagert  erscheinen.  Dabei  ge- 
rathen  die  oberflächlichen  polygonalen  Zellen  und  ganz  vorzüglich  die  an 
der  Ilandzone  gelegenen  jungen  Linsenfasern  in  einen  Wucherungsprocess, 
ihre    Kerne   umgeben    sich    mit    körnigem  Protoplasma,  schwellen  auf  und 


664  Cataracta ;  Nosologie ;  Phakitis  ;  Capsnlitis ;  Eiterstaar. 

theilen    sich    schliesslich,    während   der  übrige  Zelleninhalt  sich  trübt.     In 

völlig    entwickelten    Linsenfasern,    in    welchen    sich  der    Zelleninhalt  bereits 

ganz    zu    Globulin    umgewandelt    hat,  findet  eine  eigentliche  Kerntheilung 

niemals  statt,  man  beobachtet  blos  eine  Aufblähung  und  molekulare  Trübung, 

welche  lediglich  auf  osmotische  Vorgänge  zu  beziehen  ist  (Iwanoff). 

Indem  sich  die  Producte  der  Entzündung  vornehmlich  in  der  ohei-fl'dchlichsten 
Zellenschichte  der  Linse  häufen,  hat  man  den  Process  früher  auch  als  Capsiditis 
und  Phakohymenitis  beschrieben.  Doch  ist  in  Anbetracht  der  tief  in  das  Gefüge 
der  Linse  eingreifenden,  offenbar  entzündlichen  Veränderungen  der  Name  Linsen- 
entznndimg,  Phakitis,  unstreitig  ein  viel  treffenderer,  um  so  mehr  als  die  eigent- 
liche Kapselsubstanz  an  dem  Vorgange  einen  nur  sehr  geringen,  in  der  Regel  ganz 
unnachweisbaren  Anthell  nimmt. 

In  einzelnen  Fällen,  namentlich  wenn  sich  die  Phakitis  als  Theil- 
erscheinung  einer  Panophthalmitis  suppurativa,  oder  in  Folge  intensiver, 
die  Linse  direct  treffender  äusserer  Schädlichkeiten,  z.  B.  einer  Verletzung 
und  besonders  verunreinigter  Wunden,  entwickelt,  nehmen  die  neoplastischen 
Zellen  den  Charakter  der  Eiterkörperclien  an  und  zerfliessen  sammt  den  auf- 
gequollenen Linsenfasern  in  eine  fettig  körnige  eiterartige  Masse,  der  Zu- 
stand erschöpft  den  Begrifi'  eines  Eiterstaares,  Cataracta  purulenta  (Moers, 
0.    0.    Weber,   Lohmeyer,   Knapp). 

In  der  Regel-  jedoch,  besonders  bei  mehr  chronisch  verlaufenden 
Formen  der  Entzündung,  spricht  sich  in  den  eingewanderten  und  durch 
Endogenese  neu  erzeugten  Zellen  eine  entschiedene  Xeigung  zur  Höherge- 
staltung, zur  Umbildung  in  Linsenelemente  aus. 

Es  zeigt  sich  an  der  vorderen  und  hinteren  Oberfläche  der  Linse  neben 
Bildungszellen  eine  grosse  Menge  junger  ausicachsender  Zellen,  welche  oft  in 
mehreren  Schichten  über  einander  lagern,  oder  in  unregelmässige  Haufen  zusam- 
mengedrängt  sind  und  die  Formelemente  der  Linse  von  der  Kapsel  weg  gegen 
das  Centrum  des  Krj'stalles  zu  drängen  scheinen.  Sie  ähneln  zum  Theile  den 
polygonalen  Zellen  des  vorderen  Linsenpoles ,  zum  Theile  verlängern  sie  sich  und 
bilden  Uebergänge  zu  Kernfasern.  Doch  sind  sie  immer  sehr  unregelmässig  gestaltet, 
ihr  Inhalt  ist  leicht  getrübt,  ihren  Kern  umgibt  ein  dickes  Lager  von  Protoplasma 
und  häufig  sieht  man  an  ihnen  Theilungen  der  Kerne  und  der  Zelle  selber.  Dabei 
degeneriren  sie  auch  leicht  in  choloide  und  schleimige  Massen,  wenigstens  findet 
man  neben  ihnen  sehr  häufig  ansehnliche  Mengen  einer  homogenen,  leicht  getrübten 
Substanz  von  wechselnder  Consistenz,  in  welcher  öfters  auch  kugelige  Drusen  von 
choloidem  Aussehen  lagern.  In  den  tieferen  Rindenschichten  stösst  man  oft  auf 
Zellen  von  wechselndem  Umfange,  ja  von  kolossaler  Grösse,  welche  bald  rundlich 
sind  und  bei  leicht  getrübtem  Inhalte  einen  oder  mehrere  Kerne  führen;  bald  sich 
mehr  der  Spindelform  nähern  und  eine  feine  Molekularmasse  mit  gröberen  und 
dunkleren  Körnern,  aber  keine  Kerne  enthalten;  bald  endlich  sich  in  kernlose 
dunkle  fettähnliche  Körnerhaufen  aufgelöst  haben.  Die  stark  getrübten  Linsen- 
fasern, deren  Kerne  meistens  sehr  angeschwollen  und  dunkel  gekörnt  erscheinen, 
werden  durch  die  zwischengelagerten  neoplastisehen  Elemente  aus  ihrer  gegen- 
seitigen Stellung  gedrückt,  manchmal  förmlich  geknickt  und  wie  verdreht.  Ihre 
verbreiterten  Enden  zeigen  sich  aufgequollen  und  haben  durch  Niederschlag  und 
netzförmige  Anordnung  einer  trüben  Masse  in  ihrem  Inneren  ein  ganz  verändertes 
Aussehen  bekommen  (Wedl,  Iwanoff). 

Die  weiteren  Veränderungen  sind  im  Ganzen  sehr  wandelbar.  Oefters 
geht  der  Process  alsbald  wieder  zurück,  die  wuchernden  Zellen  mit  ihren 
Kernen  klären  sich  und  das  Gefüge  gewinnt  allmälig  sein  früheres  normales 
Aussehen.  Häufiger  aber  führt  die  Entzündung  zur  Atrophie  der  Linse, 
deren  Elemente  zersetzen  sich,  zerfallen  und  gehen  dann  secundäre  Meta- 
morphosen ein,  das  Resultat  ist  Staarhildung  im  engeren  Wortsinne.  Häufiger 
kommt   es  dann  noch  zur  Entwickelung  von  Bindegewehe  und   seinen  Deri- 


Bindegewebige  Neubildungen;  Reiner  Schwund  der  Linse.  (565 

vaten,  eine  grosse  Quote  der  neoplastischen  Elemente  wächst  aus,  gewinnt 
allmälig  die  Charaktere  der  Bindegewebszellen,  während  die  zwischen- 
lagernde Intercellularsubstanz  faserstreifig  wird  und  sich  schliesslich  wohl 
auch  in  die  eigenthünilichen  feinen,  wellig  lockigen  Faserbündel  spaltet. 

Man  findet  nicht  selten  dieses  neojjlastisclie  Bindef/ewehe  in  mehr  weniger 
mächtigen  Lagen  zwischen  Kapsel  und  dem  cataractösen  Linsenkerne  flächenartig 
ausgebreitet.  Seltener  stösst  man  an  der  Ilinterwand  der  Vorderkapsel  auf  warzen- 
ähnliche, streng  begrenzte  rundliche  Auswüchse,  welche  bald  platt  aufsitzen,  bald 
einen  rundlichen  Kopf  und  einen  deutlichen  Stiel  erkennen  lassen.  Sie  bestehen 
aus  einer  Art  Hülle  von  concentrisch  gelagerten  oblongen  Zellen  und  aus  einem 
Kerne  von  kleineren  rundlichen  Zellen.  Es  scheinen  diese  Zellen  sehr  bald  zu 
zerfallen  luid  gehen  in  eine  fein  molekulirte,  schmutzig  bräunlich  gelbe,  in  Salz- 
säure unveränderliche  Masse  über.  Bisweilen  findet  sich  der  kleinzellige  Kern  wohl 
auch  ganz  von  Glassubstanz  eingehüllt  (Wedl).  In  einzelnen  Fällen  erscheinen 
umschriebene  Eiterherde  in  eine  bindegewebige  Hülle  eingeschlossen  (Moers). 

Die  dichten  und  ihres  Zellenkernes  verlustig  gewordenen  Fasern  des 
Linsenkernes  alter  Individuen  betheiligen  sich  an  den  entzündlichen  Vor- 
gängen meistens  blos  durch  einige  Trübung  und  Aufblähung.  Häufig 
bleiben  sie  auch  ganz  unverändert,  oder  schrumpfen  im  weiteren  Verlaufe 
nur  noch  mehr   zusammen. 

Insoferne  die  Phakitis  selten  seihständig  auftritt ,  sondern  in  der 
Eegel  durch  entzündliche  Processe  im  Vordertheile  der  Uvea  hervorge- 
rufen wird,  finden  sich  ihre  Producte  gewöhnlich  neben  anderen,  welche 
von  der  Iris  und  den  Ciliarfortsätzen  ausgegangen  sind  und  den  Krystall 
von  vorneher  in  einer  der  Dicke  nach  sehr  wechselnden  Schichte  über- 
kleiden. 

2.  Der  reine  Schwund  äussert  sich  zuvörderst  durch  eine  chemische 
Scheidung  oder  Zerfällung  der  Linsenelemente  in  Stoffe  mannigfaltiger 
Art,  welche  zum  Theile  flüssig  und  resorbirbar,  zum  Theile  aber  fest  sind 
und  letzteres  bleiben,  oder  unter  fortgesetzten  chemischen  Wandelungen 
allmälig  der  Aufsaugung  verfallen.  Das  nächste  wahrnehmbare  Resultat 
der  Zersetzung  ist  optische  Ungleichartigkeit  der  Elemente,  also  Trübung 
derselben.  Weiterhin  jedoch  gestalten  sich  die  davon  abhängigen  Veräiide- 
rungen  sehr  verschieden  je  nach  der  Consistenz  der  atrophirenden  Theile, 
d.  i.  je  nach  der  grösseren  oder  geringeren  Dichtigkeit,  welche  dieselben 
in  der  gegebenen  Zeit  erlangt  haben. 

a.  In  den  harten  Kernen  alter  Individuen,  in  deren  Elementen  die 
festen  Stofi'e  bei  weitem  überwiegen,  während  der  Wassergehalt  auf  ein 
Kleines  geschwunden  ist,  geht  der  chemische  Scheidungsprocess  nur  sehr 
langsam  vor  sich  und  wird  auch  weniger  aufiallig,  da  eben  durch  das 
Austreten  der  flüssigen  Bestandtheile  die  Grundform  der  Elemente  nur 
wenig  mehr  alterirt  werden  kann.  In  Uebereinstimmung  damit  behält  der 
Kern  auch  einen  ziemlich  bedeutenden  Grad  von  Dlaphanität,  die  Ver- 
minderung der  optischen  Gleichartigkeit  zeigt  sich  mehr  in  der  Verstärkung 
des  Lichtreflexes,  in  der  deutlichen  Färbung  des  genannten  Organtheiles. 
Es  erscheint  der  Kern  nämlich  bräunlich  gelb,  bei  weit  vorgeschrittenem 
Processe  wohl  auch  schmutzig  graubraun,  selten  rothbraun  oder  purpur- 
braun, oder  gar  schwarzbraun.  Wird  er  von  den  Rindenschichten  ent- 
blösst  und  der  atmosphärischen  Luft  ausgesetzt,  so  nimmt  die  Dunkelheit 
der  Färbung  rasch  zu  und  hellt  sich  beim  Einlegen  in  Wasser  nur  wenig 
mehr  auf.  Es  zeigt  sich  der  Kern,  frisch  aus  dem  Auge  genommen,  trocken, 


666  Cataracta;  Nosologie;  Eeiner  Schwuiul. 

hart  und  spröde.  Er  spaltet  sich  leicht  in  concentrische  Schalen,  deren 
jede  fast  durchsichtig  ist  und  ins  Gelbliche  oder  Eöthliche  spielt.  Fast 
immer  findet  man  die  Convexitäten  der  beiden  Oberflächen  im  Vergleiche 
zur  Norm  sehr  vermindert.  Im  Allgemeinen  kann  man  sagen,  die  Ver- 
flachung wachse  mit  dem  aequatorialen  Umfange  des  cataractösen  Kernes. 
Der  Umfang  des  letzteren  aber  scheint  im  Verhältnisse  zum  Alter  des 
Individuums  zuzunehmen ;  wenigstens  stösst  man  bei  hochbetagten  Greisen  fast 
constant  auf  grosse  und  flache,  bei  minder  bejahrten  Individuen  auf  kleine 
und   stärker  convexe  Kerne. 

Unter  dem  Mikroskope  erscheinen  die  einzelnen,  leicht  abzublätternden 
Schichten  in  der  Gestalt  stark  durchscheinender,  orelblicher  oder  bräunlicher  Platten 
mit  treppenartig  abfallenden  rauhen  dunklen  Bruchrändern  und  glatter  Ober- 
fläche, welche  mit  mehr  weniger  dunkler,  höchst  feiner  Molekularmasse,  oft  auch 
mit  rostrothen  oder  bräunlichen  Körnern  von  grösserem  Caliber  oder  mit  Fett- 
kügelchen  bestreut  sind.  In  diesen  Platten  ist  öfters  die  Verschmelzung  der  ein- 
zelneu Fasern  eine  so  innige  geworden,  dass  deren  Grenzlinien  nicht  mehr  zu 
unterscheiden  sind.  In  anderen  Platten  jedoch  kann  man  die  Seitenränder  der 
einzelnen,  bisweilen  sichtlich  geschrumpften  Fasern  noch  recht  gut  als  etwas  rauhe 
und  parallel  zu  einander  streichende  Linien  erkennen.  In  sehr  harten  Kernen  von 
Greisenstaaren  sieht  man  die  Seitenränder  der  Fasern  oft  sogar  sehr  dunkel  und 
wie  benagt,  während  die  Flächen  der  Fasern  wie  besäet  erscheinen  von  dunklen 
Punkten,  welche  bei  genauer  Untersuchung  sich  als  kleine  Lücken  erweisen. 

h.  An  loeniyer  dichten  Linsenschichten  geht  der  cataractöse  Scheidungs- 
process  in  der  liegel  viel  rascher  und  vollstäitdiger  vor  sich  und  macht 
sich  auch  durch  starke  Trübung  einzelner  Schichten  oder  der  gesammten 
Linse  geltend.  Es  bewahren  die  trüben  Strata  dabei  häufig  ihren  Zusammen- 
hang sehr  lange  und  man  erkennt  in  ihnen  oft  sogar  mit  freiem  Auge 
den  radiären  Zug  der  einzelnen  Fasern.  Am  Ende  jedoch  zerfallen  die 
Elemente  und  stellen  einen  weissgrauen  Brei  dar,  dessen  Consistenz  je  nach 
dem  Entwickeluugszustande  der  betreffenden  Linsentheile  etwas  wechselt, 
gewöhnlich  aber  topfenähnlich  ist. 

In  den  getrübten  Fasern  und  in  deren  meistens  etwas  geschwellten  Kernen 
erscheint  eine  hellere  oder  dunklere  Molekularmasse  und  nebstbei  in  grösserer  oder 
geringerer  Menge  Fett  in  Körnchen  und  Tröpfchen  mit  zahlreichen  Myelinkugeln. 
Es  tritt  das  Myelin  auch  häufig  in  Tropfenform  ans,  so  dass  die  Linsenröhren  förm- 
lich zusammenfallen  und  als  flache  Bänder,  in  Bündel  gehäuft,  in  den  Zerfällungs- 
producten  herumschwimmen,  welche  immer  in  grösserer  oder  geringerer  Menge 
zwischen  den  Resten  der  einzelnen  Faserlagen  abgelagert  erscheinen.  Hier  und  da 
findet  man  auch  die  oben  erwähnten  sjjröden  Platten,  welche  möglicher  Weise  aus 
diesem  Zersetzungsprocesse  hervorgegangen  sind.  Sie  enthalten  gewöhnlich  noch 
eine  grössere  Anzahl  myeliner  Kugeln ,  welche  sich  bei  der  Zertrümmerung 
isoliren  und  den  Platten  das  Aussehen  eines  Maschenwerkes  mit  grossen  Lücken 
geben  (Wedl). 

Die  Elemente  des  Kapselepithels  erhalten  sich  dabei  oft  lange  unverändert, 
oder  zeigen  höchstens  eine  feine  molekulare  oder  fettige  Trübung  des  Inhaltes. 
In  einzelnen  Fällen  gehen  späterhin  jedoch  die  Zellenwandungen  ganz  unter  und 
man  findet  nur  mehr  die  stark  getrübten,  angeschwollenen  und  mannigfaltig  aus- 
gewachsenen, mitunter  wohl  auch  schon  im  Zerfalle  begrifienen  oder  sichtlich 
verkümmerten  Kerne,  zwischen  welchen  Molekularmasse  abgelagert  ist.  Nicht 
selten  sind  selbst  die  Kerne  untergegangen,  das  Epithel  hat  sich  in  Fladen  einer 
fettig  körnigen  Masse  aufgelöst,  welche  bisweilen  noch  die  polygonale  Begrenzung 
der  Zellen  beiliehalten  haben.  Daneben  findet  man  manchmal  Strecken,  in  welchen 
einzelne  Zellen  oder  Zellengruppen  einen  eigenthümlichen  Verdichtungspirocess  ein- 
gegangen sind.  Es  hat  sich  nämlich  um  den  Kern  eine  gelbliche  durchscheinende 
feste  Masse  gebildet,  die  mehr  und  mehr  zunimmt,  endlich  die  ganze  Zelle  ausfüllt 
und  dieselbe  in  eine  solide  derbe,  chemisch  sehr  indifferente  Scheibe  von  opali- 
sirendera  Glänze  verwandelt.    Diese    Scheiben   fliessen   späterhin   zu  ganz  unregel- 


Harter,  gemischter  iiiid  weiclier  Staar,  667 

massigen  drusigen   Haufen  zusammen,   oder   stehen  einzeln  zwischen  dem  Detritus 
anderer  Zellen  (H.  Müller,   Wedl). 

c.  Ganz  iveiche  Linsenelemente  zerfallen  unter  dem  Walten  des  catarac- 
tösen  Proccsscs  in  der  Regel  überaus  schnell  in  eine  trübe  ,  dem  Stärke- 
kleister ähnliche  ifasse,  oder  sie  lösen  sich  in  eine  molkenartige  Flüssigkeit 
auf,  in  welcher  trübe  gestaltlose  fettigkörnige  Flocken  schwimmen. 

3.  Da  die  physikalischen  Eigenschaften  der  Staarmasse  hauptsächlich 
von  dem  jeweiligen  Entwickelungszustande  der  betreifenden  Kiemente  abhängen, 
dieser  aber  nicht  nur  in  Bezug  auf  die  Linse  als  Ganzes  ,  sondern  auch 
in  Bezug  auf  die  einzelnen  Schichten  des  Krystalles  je  nacli  dem  Alter  der 
Individuen  sehr  bedeutend  wechselt;  da  weiters  nur  selten  die  Linse  ihrer 
ganzen  Dicke  nach  auf  eittmal  staarig  entai'tet,  die  cataractösc  Wandlung 
vielmehr  bald  von  dem  Kerne,  bald  von  den  oberflächlichen  Schichten  des 
Krystalles  ausgeht  und  sich  nur  allmälig  über  den  Rest  des  Organes  aus- 
breitet :  so  ist  es  klar,  dass  die  gröberen  anatomischen  Verhältnisse  der  Staare 
in  hohem  Grade  variiren  müssen.  Diese  sind  aber  gerade  in  praktischer 
Beziehung  von  grösstem  Belange,  daher  sie  denn  auch  eine  genaue  Berück- 
sichtigung verdienen. 

a.  Im  höheren  Mannes-  und  im  Greisenalter  geht  der  Staar,  wenn  nicht 
besondere  äussere  Verhältnisse  den  Gang  des  Processes  verkehren,  gewöhn- 
lich vom  Kerne  aus.  Dieser  scheidet  sich  gleichsam  von  der  Rinde,  wird 
hart,  spröde  und  trocken,  trübt  und  färbt  sich.  Die  oberflächlichen  Strata 
bewahren  dabei  oft  noch  lange  einen  fast  normalen  Durchsichtigkeitsgrad, 
und  nur  in  der  nächsten  Nähe  des  Kernes  kömmt  als  Folge  theilweiser 
Umsetzung  der  Fasern  ein  stark  entwickelter  Linsen greisenbogen  fS.  6G3) 
zum  Vorscheine.  Mau  nennt  diese  Form  des  Staares  den  harten  Kernstaar 
oder  Kernstaar  schlechtweg,  auch  Phacoftcleroma.  Mit  der  Zeit,  früher  oder 
später,  verfallen  auch  die  oberflächlichen  Strata  allmälig  dem  Processe.  Sie 
trüben  sich  erstlich,  ohne  dass  die  Elemente  ihre  Form  aufgeben ;  am 
Ende  jedoch  lösen  sie  sich  meistens  in  einen  mehr  oder  weniger  consistenten 
Brei,  selten  in  eine  mehr  flüssige  Masse  auf ,  der  Kernstaar  erscheint  in 
Combination  mit  dem  Bindensiaare,  ein  Zustand,  welchen  man  seit  Alters  als 
gemischten   Staar  beschreibt. 

b.  In  den  früheren  Mannesjahren  und  im  Jugendalter  entwickelt  sich 
der  Staar  häufiger  von  der  Oberfläche  als  von  dem  Kerne  der  Linse  aus, 
bleibt  aber  oft  nicht  lange  auf  einzelne  Theile  beschränkt,  sondern  greift 
binnen  kurzem  durch  die  ganze  Dicke  der  Linse  hindurch.  Das  Resultat  ist 
dann  ein  weicher  Staar  (Phacomalacia) .  Wenn  der  Process  auf  den  Kern 
gebannt  ist,  während  die  Rindenschichten  noch  ihre  normale  Durchsichtig- 
keit bewahrt  haben,  spricht  man  von  einem  weichen  Kernstaare  oder  von 
einer  weichen  centralen  Linsencataracta .  Beginnt  der  Process  aber  in  den 
peripheren  Schichten  und  geht  er  von  hier  allmälig  auf  den  Kern  über, 
so  pflegt  man,  so  lange  der  Kern  seine  Durchsichtigkeit  bewahrt,  einen 
Rindenstaar,    Cataracta  corticalis,   zu  diagnosticiren. 

c.  Bei  Kindern  wird  ebenfalls  meisthin  die  Binde  der  Linse  zuerst 
getrübt,  seltener  der  Kern.  Doch  schreitet  hier  der  Process  gewöhnlich 
so  rasch  vorwärts,  dass  man  nur  selten  einen  eigentlichen  Rindenstaar  oder 
einen  iveichen  Kernstaar,  sondern  in  der  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  schon 
einen  über  die  gesummte  Linse  ausgebreiteten  Staar  findet.  Die  Zerfällniss 
ist  dabei  fast  immer  eine  möglichst  vollständige,  die  ganze  Linse   erscheint 


668  Cataracta;  Nosologie;  Regressive  Metamorphosen. 

aufgelöst  in  eine  stärkekleisterähnliche  Subf?tanz.  Doch  stösst  man  mit- 
unter auch  im  Kindesalter  trotz  längerem  Bestände  des  Processes  und 
völliger  Verflüssigung  der  Rinde  auf  halbiveiche,  trübe,  oder  sogar  auf 
sclerosirte  Kerne. 

4.  Mit  den  gescliilderten  ,,primären"  Wandlungen  der  Linse  ist  der 
cataractöse  Process  keineswegs  abgeschlossen.  In  vergilbten  harten  Kernen 
werden  secundäre  Metamorphosen  allerdings  durch  den  geringen  Feuchtig- 
keitsgehalt sehr  erschwert  oder  unmöglich  gemacht ;  man  beobachtet  nur 
eine  fernere  Zunahme  der  Trockenheit,  Sprödigkeit  und  Härte,  sowie  eine 
Verdunkelung  der  Farbe.  In  weicheren  Krystallscliichten  jedoch  machen  sich 
die  secundären  Metamorphosen  sehr  auffällig.  Sie  beginnen  bisweilen  schon 
sehr  frühzeitig,  lange  bevor  der  Staar  sich  über  das  ganze  Gebiet  der  Linse 
ausgebreitet  hat  und  ehe  die  cataractösen  Theile  vollkommen  zerfallen  sind. 
Gewöhnlich  aber  kömmt  es  zu  den  secundären  Metamorphosen  erst,  nach- 
dem der  betreffende  Liusentheil  in  formloses  Magma  zersetzt  worden  ist. 
Die  Theile  verfolgen  hierbei  nur  sehr  ausnahmsweise  eine  progressive  Rich- 
tung; in  der  Regel  ist  der  Process  ein  stetiges  Herabsteigen  auf  der  organi- 
schen Stufenleiter,  das  Magma  wird  unter  fortschreitender  chemischer  Zer- 
fällung  und  Aufsaugung  der  löslich  gewordenen  Theile  in  eine  fettig  sandige 
oder  in  eine  dichte  trockene  Masse  verwandelt ,  deren  Hauptbestandtheile 
neben  einer  formlosen  organischen  Grundlage  Fett,  Kalksalze  und  Myelin 
in  wechselnden  relativen  Massenverhältnissen  sind. 

Das  Fett  zeigt  sich  als  ein  durch  die  Masse  vertheilter  Staub,  oder  als  Körn- 
chen und  Kugeln  von  grösserem  Caliber,  welche  öfters  in  unregelmässige  Haufen 
gruppirt  sind.  Ein  grosser  Theil  desselben  pflegt  sich  in  C'holestearin  umzuwandeln 
und  in  den  bekannten  schönen  Tafeln  zu  krystallisiren.  Oft  sind  diese  Krystalle 
nesterartig  gehäuft,  so  dass  man  sie  schon  mit  freiem  Auge  an  dem  eigenthümlichen 
Glänze  erkennen  kann.  Auch  Fettsäuren  scheinen  bisweilen  in  Gestalt  nadeiförmiger 
Krystalle  vorzukommen.  In  seltenen  Ausnahrasfällcu  fliesst  das  freie  Fett  in  grössere 
ölartige  Tropfen  zusammen. 

Der  Kalk  tritt  meistens  als  kohlensaures,  seltener  als  phosphorsaures  (GraefeJ 
Salz  auf.  Er  wird  gleich  dem  Fette  in  Gestalt  staubähnlicher  Moleküle  ausgeschieden, 
welche  später  zusammensintern  und  grössere  Körner  und  Drusen  bilden,  die  sowohl 
durch  das  freie  Auge  als  durch  das  Gefühl  erkennbar  sind.  Sehr  häutig,  nament- 
lich wo  Entzündungen  dem  Staare  zu  Grunde  liegen,  kommen  auch  grössere  Concre- 
mente  zu  Stande.  Es  haben  diese  öfters  ganz  das  Aussehen  von  unregelmässigen 
Kreidetrümmern  und  liegen  dann  frei  in  dem  fettig  sandigen  Magma.  Häufig  jedoch 
stellen  sie  auch  Schuppen  oder  umfangreiche  Schalen  von  geringerer  oder  grösserer 
Mächtigkeit  dar,  welche  der  inneren  Oberfläche  der  vorderen  oder  heidpr  Kapsel- 
hälften anhaften.  An  Schliffen  solcher  Concremente  findet  man  den  Kalk  oft  in 
Körnerform  dicht  durch  die  wellig  gestreifte  durchscheinende,  oder  ganz  amorphe 
und  feinkörnige  organische  Grundlage  vertheilt;  oft  aber  auch  streckenweise  zu 
grösseren  Massen  zusammengehäuft,  welche  die  mannigfaltigsten  Gestalten  und 
Gruppirungen  zeigen  und  mitunter  ganz  den  Eindruck  von  unvollkommen  ent- 
wickelten Knochenkörperchen  machen;  daher  denn  auch  solche  Concremente  viel- 
fach mit  den  überaus  selten  vorkommenden  Verknöcherungen  der  Linse  verwechselt 
worden  sind.  Ausnahmsweise  zeigt  sich  der  Kalk,  besonders  in  der  Nähe  der  Kapsel, 
auch  in  Gestalt  von  K>yxtal.len. 

Die  organische  G rundsuhstanz  findet  man  im  Stadium  der  secundären  Staar- 
raetamorphosen  nur  selten  flüssig,  so  dass  die  cataractöse  Masse  einigermassen 
Aehnlichkeit  mit  Kalkmilch  hat.  In  der  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  stellt  sie  sich 
als  eine  ganz  formlose  schmierige  trübe  Substanz  dar,  welche  das  Fett  und  die 
Kalksalze  nebst  hyalinen  Kugeln  zu  einem  mehr  weniger  consistenten,  fettig  san- 
digen Brei  vereinigt.  Seltener  erscheint  sie  umgewandelt  in  eine  halbdurchschei- 
nende oder  ganz  opake,  feinkörnige  oder  homogene,  überaus  spröde  und  brüchige, 
sonst   aber   sehr    consistente    und    trockene    Substanz,    ähnlich  der,    welche  schon 


Kapsellinsenstaar ;  Kiilkconcremente.  669 

in  primären  Staaren  durch  Versclimelzuug  von  Linsenfaseru  in  Gestalt  von  Platten 
zu  Stande  kömmt.  In  den  Kernschickien  weicher  oder  hathweicher  Staare,  so  wie  in 
der  nächsten  Nähe  sclerosirte)-  Kerne,  bewahren  indessen  trotz  einji^etretener  secun- 
därer  Metamorphose  die  Elemente  bisweilen  ihre  urspriinyliche  Form  und  ihren 
Zusammenhalt,  ja  öfters  sieht  man  sogar  noch  an  Schliflen  umfangreicher  stein- 
harter Concre^nente  die  charakteristischen  gradlinigen  parallelen  Begrenzungslinien 
der  Linsenfasern. 

Die  peripheren  Theile  des  Staarmagma  gehen  die  secundären  Metamor- 
phosen immer  zuerst  ein.  Besonders  gilt  dies  von  den  im  Bereiche  der 
Pupille  gelegenen  Portionen  der  vorderen  Rindenschichten,  welche  daher 
auch  gewöhnlich  am  iveitesten  in  dieser  Wandlung  vorgeschritten  erscheinen. 
Die  verdichteten  Massen  heften  sich  dabei  gerne  an  die  Kapsel,  machen 
dieselbe  steif  und  unfähig,  sich  nach  Zusaramenhangstrennungen  vermöge 
eigener  Elasticität  zurückzuziehen.  Oft  findet  man  in  der  That  schon  sehr 
frühzeitig  die  Innenwand  der  vorderen  oder  hinteren  oder  heider  Kapsel- 
hälften in  wechselnder  Ausdehnung  mit  einer  trüben  Masse  beschlagen, 
welche  sich  stellenweise  zu  kleineren  oder  grösseren  Tüpfeln  oder  zu  mannig- 
faltig figurirten  und  gruppirten  Klümpchen  häuft,  nicht  selten  sogar  sich 
zu  schuppeuähnlichen,  unregelmässig  gestalteten  Biäitchen  verdichtet.  In 
anderen  Fällen  erreicht  dieser  Beschlag  eine  beträchtliche  Dicke  und  präsen- 
tirt  sich  unter  der  Form  eines  fibröskörnigen  Maschenwerkes,  oder  unter 
der  Form  von  trüben  Schwarten  mit  fransigen  oder  wolkig  verschwommenen 
Rändern.  Bisweilen  ist  die  Kapsel  jedoch  auch  mit  mächtiyen  Schalen  von 
verkalkter  Staarmasse  verwachsen.  Mau  nennt  diese  Staare  KapselUnsen- 
staare,    Cataractae  capsulolenticulares. 

Die  Glashaut  selbst  wird  bei  diesen  Veränderungen  in  ihrerii  Gefüge  nur  aus- 
nahmsweise alterirt.  Scheinbare  Verdickungen  durch  Anlagerung  neugebildeter  glas- 
häutiger Schichten  sind  allerdings  nichts  Seltenes,  die  eigentliche  Kupselsubstanz 
verharrt  dabei  jedoch  meistens  in  voller  Integrität  Die  Mögliclikeit  einer  TriUniiig 
derselben  ist  indessen  nicht  ausgeschlossen,  obgleich  auch  nicht  nachgewiesen. 
Stücke  derselben,  welche  zwischen  iritischen  Auflagerungen  und  entzündliclien  An- 
lagerungen an  der  Innenfläche  eingeschlossen  sind,  finden  sich  bisweilen,  vielleicht 
durch  Usur,  verdilnrit.  Nach  einigen  Untersuchungen  scheint  es,  als  ob  unter  solchen 
Verhältnissen  die  Kapsel,  so  weit  die  An-  und  Auflagerungen  reichen,  auch  ganz 
zu   Grunde  gehtii  könne  (IVedl,  U.  Müller). 

Wo  keine  Entzündungen  vorangingen ,  sind  die  der  inneren  Kapselwand  fest 
anhaftenden  trüben  Massen  gewöhnlich  nicht  sehr  massenreich  imd  erweisen  sich 
zum  allergrös^sten  Theile  als  eingedicktes  Staarmagma.  Sie  bestehen  aus  einer  kör- 
nigen, oft  deutlich  fettig  kalkigen  und  durch  ihren  Pigmentgehalt  ins  schmutzig 
Gelbe  oder  Bräunliche  spielenden  Grundlage,  in  welcher  Haufen  von  Kalksalzen 
und  Cholestearinkrystallen,  ausnahmsweise  auch  Kalkkrystalle  so  wie  spröde  weisse 
zerbröckelnde  Platten  aus  kohlensaurem  Kalke ,  höchst  selten  auch  schwarze 
(Melanin-Vj  Krystalle  etc.  zerstreut  oder  zu  Gruppen  conglomerirt  lagern.  Dazwischen 
erscheinen  gewöhnlich  choloide  Drusen  und  Haufen  verdichteter  Epithelzellen, 
welche  durch  Aufnahme  von  Kalksalzen  oft  ein  dunkel  körniges  Aussehen  gewonnen 
haben.  Streckenweise  besteht  au  der  Vorderkapsel  das  Epithel  wohl  gar  noch  als 
solches,  wenn  es  auch  meisthin  in  der  regressiven  Metamorphose  schon  weit  vor- 
geschritten ist  (Wedl,  H.  Müller,  Schweigger). 

Wo  hingegen  Entzündungen  deii  Staarprocess  beeinflusst  liaben,  findet  man 
in  der  Regel  ein  mächtiges  Stratum  zwischen  Kapsel  und  das  secundär  metamor- 
phosirte  Staarmagma  eingeschoben,  in  welchem  sich  die  Zersetzungsproducte  der 
Linsensubstanz  mit  gejorriiten  und  ihrer  ganzen  Erscheinung  nach  unzweifelhaft 
aus  Wucherungsprocessen  hervorgegangenen  Elementen  mischen.  Es  sind  diese 
letzteren  meistens  selbst  schon  durch  die  regressive  Metamorphose  alterirt,  ge- 
schrumpft, von  Fett  und  Kalksalzen  durchstreut.  Mitunter  überwiegen  wohl  gar 
die  Kalksalze  in  dem  Grade,  dass  die  Neubildung  völlig  den  Charakter  eines 
Concrevientes  gewinnt. 


670  Cataracta;  Nosologie;  ßegressive  Metamorphosen;  Staarschruinpfung. 

An  der  Hinterkapsel  sind  diese  Auflagerungen  gemeiniglich  viel  weniger  massen- 
reich,  als  an  der  Vorderkapsel  und  fehlen  sogar  häufig  in  Fallen,  wo  an  der  letzteren 
ein  sehr  mächtiges  Stratum  der  geschilderten  Art  haftet.  Immerhin  kommen  auch 
Fälle  vor,  wo  die  Vorderkapsel  frei,  dagegen  die  hintere  im  weiten  Umfange  von 
derartigen  Auflagerungen  bedeckt  wird.  Es  sind  die  hinteren  Kapselstaare  bisweilen 
mit  polarer  oder  Glaslcörpercafaracta  (S.  164)  combinirt.  Meistens  jedoch  bestehen 
sie  in  reiner  Form,  die  Auflagerung  ist  lediglich  eine  intracapsulare  und  kömmt  auf 
Rechnung  der  eigentlichen  Linsensuhstanz.  Sie  erweiset  sich  dann  öfters  als  einfach 
regressiv  gewordenes  eingedicktes  Magma;  viel  gewöhnliciier  aber  sind  in  ihr  die 
Spuren  zelUger  Bildungen  ganz  unverkennbar  und  sie  muss  als  das  Product  einer 
wahren  Phakitis  betrachtet  werden  (Schweigger,    WedlJ. 

Die  secundären  Staarwandlungen  gehen  immer  mit  Schrumpfung  ein- 
her, in  Folge  deren  die  Kapsel  sich  faltet  und  ihren  Zusammenhang  mit 
der  tellerförmigen  Grube  lockert,  so  dass  der  Krj'stall  mit  seiner  Hülle 
sich  leicht  vom  Glaskörper  hinwegheben  lässt.  Die  Grösse  der  Volums- 
verminderung, welche  die  Cataracta  erleidet,  hängt  vornehmlich  von  dem 
gegenseitigen  Massenverhältnisse  ab,  in  welchem  die  löslich  gewordenen 
Bestandtheile  zu  den  unlösbar  bleibenden  stehen,  in  weiterer  Instanz  also 
auch  von  der  Dichtigkeit  des  primären  Staares.  Doch  sind  die  festen  Sub- 
stanzen secundär  metamorphosirter  Cataracten  keineswegs  blos  als  Rück- 
stände zu  betrachten;  der  Resorptionsprocess  stellt  sich  nicht  als  eine  reine 
Abfuhr  dar,  sondern  als  ein  Austausch  von  Stoffen,  bei  welchem  sich  der 
Gewinn  und  Verlust  an  festen  Bestandtheilen  auf  diese  und  jene  Seite 
neigen  kann.  In  der  That  kommen  sehr  häufig  derlei  Staare  vor,  in 
welchen  die  Summe  der  festen  Stoffe  weitaus  grösser  ist,  als  sie  es  während 
dem  Normalzustande  der  Linse  sein  konnte,  in  welchen  also  die  secundäre 
Metamorphose  offenbar  mit  einer  überwiegenden  Zufuhr  von  festen  Stoffen 
gepaart  war.  Es  wird  der  Process  aber  auch  wesentlich  beeinflusst  von 
den  Ernährungsverhältnissen,  unter  welchen  sich  das  Auge  und  zumal  der 
Krystall  jeweilig  befindet. 

a.  Wo  die  secundären  Metamorphosen  einfach  nur  der  Ausdruck  der 
fortschreitenden  Atrophie  der  ursprünglichen  Linsenelemente  sind,  pflegt  der 
unlösbare  Kückstand  ein  verhältnissmässig  kleiner,  die  Schrumpfung  der 
Linse  folgerecht  eine   sehr  auffällige  zu  sein. 

Am    wenigsten    hervorstechend    sind    die    secundären    Veränderungen 

begreiflicher  Weise  bei  „überreifen"'  gemischten  Staaren,  besonders  wenn  der 

sclerosirte  Kern  einen  grossen    Umfang  hat,     die  Rindenschichten    demnach  an 

Masse  sehr  zurückstehen.  Es  flacht  sich  dann  die  Linse  nur  etwas  ab  und 

die  durch  neugebildete  glashäutige  Schichten  verdickte,   durch  aufgelagerte 

Staarmassen  getrübte  Kapsel  schliesst  sich   dem  Kerne  mehr  an,  wird  nur 

durch  ein  verhältnissmässig  dünnes  Stratum  fettigsandigen  Breies,  in  welchem 

gewöhnlich  der  Kalk,  selten  das  Fett  vorherrscht,  von  dem  sclerosirten  Kerne 

getrennt. 

Bisweilen  ist  dieser  Rückstand  so  gering,  dass  er  nicht  mehr  eine  continuirliche 
Schichte,  sondern  Haufen,  Streifen  u.  s.  w.  bildet,  zwischen  denen  der  Kern  fast 
unmittelbar  der  Kapsel  anliegt.  Deren  beide  Hälften  treten  dann  am  Rande  des 
Scleroms  so  nahe  an  einander,  dass  der  Staar  Aehnlichkeit  mit  einem  geflügelten 
Samen  gewinnt. 

Weiche  Staare  schrumpfen  in  Folge  der  secundären  Metamorphose 
immer  sehr  bedeutend,  so  dass  sie  am  Ende  mehr  Scheiben  mit  unregel- 
mässig runzeliger  Oberfläche  ähnlich  werden,  deren  Dicke  häufig  unter 
7-2 — -'/s   Linie  sinkt.      Es  sind   diese  scheibenförmigen   Cataracten  gewöhnlich 


Scheibenförmiger,  1  rockonhulsigor,  Mik'hslaar.  (37 1 

ganz  üacli  nach  Art  einer  Sclicidowaivd  in  der  Li(!]ifun<;'  dos  Stralilon- 
körpcrs  ausgebreitet.  Nicht  selten  ersclieinen  sie  aucli  kuppelig  nadi  vorne 
gebaucht;  die  vordere  Kapsclhälfte  hat  nur  wenig  an  ihrer  noi'malen  Con- 
vexität  eingebüsst  und  demnacli  ihr  Lageverhältniss  zur  Ebene  der  PujJÜle 
nicht  sehr  verändert ;  die  hintere  Kapselhälfte  liingegen  hat  bei  der  all- 
mäligen  Massenverminderung  des  Staarmagma  ihre  Wölbung  verkehrt^  sie 
hat  sicli  in  die  Concavität  der  vorderen  Kapsel  hineingestülpt ,  indem  die 
vordere  Wand  des  Glaskörpers  in  Folge  einer  Vermehrung  der  Vitrina  in 
entsprechendem  Masse  nach  vorne  getreten  ist  (Fig.    17,   8.    144). 

Man  erkennt  an  solchen  Cataracten  schon  mit  freiein  Auge  sehr  gut  die 
beiden,  durch  neugehildete  glashäutige  Schichten  und  durcli  Außagermiy  secundär 
metamorphosirter  Linsensubstanz  verdickten  und  getrübten  Kapselh'älften.  Die 
Staamiasse  selbst  ist  gewöhnlieJi  ein  fettig  kalkiger  Brei  mit  oder  ohne  grössere 
Concretionen,  in  welchem  stellenweise  bald  das  Cholestearin,  bald  der  Kalk  her- 
vorsticht und  welcher,  indem  er  sich  hier  und  da  etwas  mehr  anhäuft,  manchmal 
buckeiförmige  Hervorragungen  an  der  Oberfläche  der  Cataracta  veranlasst.  Oft 
jedoch  findet  man  bei  scheibenförmigen  Staaren  auch  als  Hauptbestandtheil  eine 
halbdurchscheinende,  ins  Gelbliche  oder  Bräunliche  spielende,  trockene  und  brüchige 
(myeline  ?)  Substanz,  welche  macht,  dass  diese  Cataracten  bei  operativen  Eingriften 
gerne  in  eine  Unzahl  von  Trümmern  zersplittern  und  sich  nur  schwer  oder  gar  nicht 
aus  dem  Bulbus  entfernen  lassen. 

Mitunter  verflüssigen  weiche  Totalstaare,  lösen  sich  in  ein  kalk- 
milchähnliches Fluidum  auf,  in  welchem  zahlreiche,  höchst  feine  Kalk- 
körncheu  nebst  Fett  suspendirt  sind  und  sich  zum  Theile  auch  in  Gestalt 
zarter  Punkte  oder  einer  überaus  dünnen  florähnlichen  Schichte  an  der 
Innenwand  der  Kapsel  niedergeschlagen  haben.  Man  nennt  diesen  Zu- 
stand Cataracta  lactea,  Milchstaar,  auch  Phakohydropsie.  Früher  scheint 
er  auch  unter  dem  Namen  Cataracta  cystica  beschi'ieben  worden  zu 
sein    (Hasner). 

Häufig  werden  derartige  flüssige  »Staare,  sowie  überhaupt  die  sehr 
weichen  Cataracten  des  kindlichen  Alters,  im  weiteren  Verlaufe  der  secundären 
Metamorphosen  bis  auf  sehr  geringe  fettigkalkige  Reste  aufgesaugt,  so  dass 
die  beiden  Kapselhälften  in  ihrer  grössten  Ausdehnung  nahezu  unmittelbar 
mit  einander  in  Berührung  kommen.  Die  Cataracta  präsentirt  sich  dann 
unter  der  Form  einer  derben  zähen,  mehr  weniger  trüben  Haut,  welche 
flach  oder  mit  nach  vorne  springender  Wölbung  hinter  der  Pupille  aus- 
gespannt ist.  Sie  besteht  aus  den  beiden  Kapselhälften,  zwischen  denen 
sich  regressive  Staamiasse  in  einer  dünnen,  durch  klumpige  Anhäufungen 
ungleichmässigen  Schichte  eingeschlossen  findet.  Man  hat  diese  Staare  in 
Anbetracht  ihrer  Aehnlichkeit  mit  vertrockneten  Samenschoten  Cataractae 
siliquatae,  trockenhülsige  Staare,  genannt  und  durch  das  Beiwort  ,,häutig'^ 
oder  „membranös^^  von  den  vorerwähnten  scheibenförmigen  Staaren  unter- 
schieden. 

Es  liegt  auf  der  Hand ,  dass  die  drei  geschilderten  Formen  nur  die  Haript- 
repr'dsentanten  einer  Reihe  von  verschieden  zusammengesetzten  Staaren  darstellen, 
welche  letztere  gleichsam  als  Uehergäiige  von  einer  zur  anderen  Art  aufgefasst 
werden  müssen.  So  gibt  es  scheibenartige  Staare,  welche  einen  kleinen  sclerosirten 
Kern  enthalten,  meinbranöse  trockenhülsige  Staare,  bei  welchen  sich  stellenweise 
die  Staarmasse  so  häuft,  dass  sie  sich  unmittelbar  den  scheihenßjrmigen  Staaren 
anschliessen  u.  s.  w. 

Uebrigens  setzt  das  Zustandekommen  der  fraglichen  Staarformen  auch  noch 
voraus,  dass  die  Zomda  ringsum  ihre  volle  Integrität  bewahrt  hat.  Ist  diese  schon 
vor  dem  Beginne  des  cataractösen  Processes  oder  während,  den  secnndüren  Metamor- 


672  Cataracta;  Nosologie;  Eegress.  Metamorph. ;  Cat.  cholestearin,  calcar,  flbrosa. 

phosen  in  grösserer  Ausdehnung  zerrissen,  so  erfolgt  die  Schrumpfung  des  Staares 
nicht  mehr  ausschliesslich  in  der  Richtung  von  vorne  nach  h'mteyi,  sondern  auch 
von  einer  Seite  zur  anderen  und  die  äussere  Gestalt  des  Staares  wird  demnach  sehr 
wesentlich  modificirt,  mehr  weniger  unregelmässig. 

h.  Haben  auf  die  Entwickelung  und  auf  die  secundären  Metamorphosen 
des  Staares  heftige  Entzündungen  Einfluss  genommen,  so  lässt  sich  zwar  con- 
stant  eine  Volumsverminderung  des  Krystalles  und  eine  entsprechende  Fal- 
tung der  Kapsel  nachweisen,  doch  ist  die  Grössenabnahme  wegen  der 
reichlichen  Zufuhr  von  festen  Bestandtheilen  niemals  so  bedeutend,  wie  in 
den  unter  a.  geschilderten  Cataractformen.  Gewöhnüch  platten  sich  die 
beiden  Oberflächen  des  Staares  einfach  ab,  während  der  äquatoriale  Durch- 
messer sich  etwas  verkürzt,  ohne  dass  jedoch  die  Linsenform  gänzlich  ver- 
loren ginge. 

Seltener  werden  die  beiden  Convexitäten  des  Krystalles  unter  Verkürzung 
des  Gleichers  und  unter  entsprechender  Dehnung  der  Zouula  verstärkt,  während 
der  Linsenrand  sich  abrundet;  der  Staar  bekömmt  eine  mehr  kugelälinliche  Gestalt. 
Ist  jedoch  die  Zonula  geborsten,  so  schrumpft  der  Staar  meistens  zu  einem  ganz 
unregelmässigen  Klumpen. 

Auch  in  diesen  Fällen  pflegt  die  Hauptmasse  der  Cataracta  von  Fett 
und  Kalk  dargestellt  zu  werden.  Ausnahmsweise  wiegt  der  Fettgehalt  vor, 
die  Cholestearinkrystalle  häufen  sich  besonders  an  der  Oberfläche  und 
treten  wohl  gar  zu  einer  continuirlichen  Schichte  zusammen,  welche  mit 
eigenthümlichem  perlmutter-  oder  silberähnlichem  Glänze  durch  die  ver- 
dickte und  getrübte  Kapsel  durchschimmert  {Cataracta  argentea  seu  ehole- 
stearinica).  In  der  Regel  sind  Kalksalze  das  bei  weitem  Vorherrschende. 
Sie  formiren  sehr  häufig  schalenartige  Concremente,  welche  bald  der  vorderen, 
bald  der  hinteren,  gewöhnlich  aber  beiden  Kapselhälften  von  innen  her  anla- 
gern. Die  Schalen  fliessen  in  letzterem  Falle  gewöhnlich  am  Rande  der  Linse 
zusammen  und  bilden  solchermassen  eine  Art  von  Gehäuse ,  welches  eine 
mehr  minder  grosse,  unregelmässig  geformte  Höhlung  umschliesst,  die  ent- 
weder blos  von  fettig  kalkigem  Brei  mit  oder  ohne  grössere  Concremente, 
oder  von  einem  verkalkten,  oder  von  einem  sclerosirten  Kerne,  ausgefüllt 
wird  {Kalkstaar,  Cataracta  calcarea).  IVlitunter  bleibt  es  jedoch  auch  bei 
einer  einfachen  Verdickung  und  Trübung  der  Kapsel,  es  kömmt  zu  keinen 
förmlichen  Schalen,  höchstens  zur  Bildung  kleiner  kalkiger  Schuppen, 
welche  der  Kapsel  theilweise  anhaften.  Man  findet  dann  die  Kapsel- 
höhle ausgefüllt  von  einem  trockenen,  fettig  sandigen  Brei ,  welcher 
entweder  einen  Kernstaar,  oder  eine  Anzahl  kleinerer  und  grösserer  Con- 
cremente, oder  ein  einzelnes  umfangreiches  Concrement  in  sich  scliliesst 
(fettigkalkige  Staare) . 

Manchmal  entwickelt  sich  unter  solchen  Umständen  an  der  Innen- 
wand der  Kapsel  ein  dickes  Lager  von  bindegewebigem  derben  festen  Gefüge 
mit  schön  wellig  lockiger  Faserung  und  zelligen  Gebilden,  welche  den 
Bindegewebskörpern  ähnlich  sind.  Es  kann  unter  dem  Einflüsse  des 
wuchernden  Zellenstratums  sogar  die  ganze  Masse  des  Staares  in  der  pro- 
gressiven Richtung  umgewandelt  werden.  Die  immer  sehr  abgeflachte  Cataracta 
hat  dann  ganz  das  Aussehen,  als  wäre  sie  aus  gekochtem  Eiweisse  oder 
Knorpel  gebildet  (Cataracta  fibrosa).  Meistens  jedoch  stellt  das  bindegewebige 
Gefüge  nur  eine  Art  geschlossener  Kapsel  dar,  deren  Höhlung  gewöhnlich 
fettigkalkigen  Staarbrei  mit  mehreren  grösseren  steinartigen  Concrementen 
oder  einen  sclerosirten  Kern  enthält  {Cataracta  fibrosocalcarea). 


Cataracta  pntrida,  ossea,  capsularis  centralis,  pyramidalis.  673 

In  höchst  seltenen  Fällen  hat  man  in  der  Höhlung  eine  ölartige  Flüssigkeit 
von  penetrantem  ranzigen  Gerüche  gefunden  (Cataracta  cum  buvsa  ichorem  tenente, 
Cataracta  putrida,  A.  Schmidt,  Beer,  Himly). 

Im  weiteren  Verlaufe,   namentlich,  wenn  sich  massigere  Knochenstrata 

an  der  Oberfläche   der  Chorioidea  und  in   dem  sehnig  entarteten  Glaskörper 

(S.    335)    gebildet    haben,    verknöchert    wohl    auch    die    fibröse    Staarmasse 

(Cataracta  ossea). 

Es  erscheinen  dann  in  der  wellig  gestreiften  Grundlage  neben  einer  Unzahl 
von  Kalkkörnern  eine  Menge  von  theils  verkümmerten,  theils  vollkommen  ausge- 
bildeten KnochenJcörperclien  mit  den  eigenthümlichen  strahligen  Ausläufern.  Merk- 
würdiger Weise  beginnt  die  Verknöcherung  nicht  an  der  äussersten  Peripherie; 
die  der  Kapsel  zunächst  anliegenden  Schichten  des  sehnigen  Gefüges  bewahren 
ihren  ursprünglichen  Charakter,  so  dass  das  Knochengehäuse  durch  eine  hinde- 
geivehige  Schale  von  der  Kapsel  getrennt  bleibt.  Nur  wo  die  äussere  Fläche  der 
Kapsel  direct  an  ein  neugebildetes  Knochenstück  anstösst,  reicht  öfters  die  osteoide 
Staarmasse  an  sie  heran  uiid  verschviikt  mit  letzterem,  indem  das  zwischenliegende 
Kapselstück  untergeht.  Den  thatsächlichen  Beobachtungen  gegenüber  fallen  die 
Bedenken,  welche  man  betreffs  der  Möglichkeit  einer  Ossification  der  Linse  erhoben 
hat  (Virchow,  Pagenstecher),  nicht  allzuschwer  ins  Gewicht  (R.  Wagner). 

5.  Nicht  immer  wird  die  ganze  Linse  in  den  Staarprocess  hinein- 
gezogen ;  ziemlich  häufig  beschränJd  sich  derselbe  vielmehr  auf  einzelne 
Theile  des  Krystalles,  diese  zerfallen  und  gehen  durch  die  secundäre  Meta- 
morphose des  Magma  ständige  Formen  ein,  während  der  Rest  der  Linse 
normal  fortvegetirt,  seine  Durchsichtigkeit  bewahrt ,  oder  wenigstens  erst 
nach  langen  Jahren  in  den  Process  mitverwickelt  wii'd.  Man  nennt 
solche  Cataracten  partielle  Staare,  und  unterscheidet  nach  dem  Sitze,  nach 
der  Form  und  der  Grösse  des  entarteten  Linsentheiles  mehrere  Arten. 

a.  Eine  sehr  charakteristische  Art  ist  der  sogenannte  Centralkapsel- 
staar.  Er  kömmt  bisweilen  angehören  vor  und  mag  dann  öfters  seinen 
Ilrsprung  aus  dem  trichterförmigen  Fortsatze  des  in  der  Abschnürung 
begriffenen  fötalen  Linsensackes  herleiten  lassen,  indem  man  annimmt,  dass 
jener  Fortsatz  noch  vor  Beendigung  der  Abschnürung  zu  einem  anomalen 
Gewebe  consolidirt.  In  der  Eegel  jedoch  entwickelt  sich  der  Central- 
kapselstaar  erst  nach  der  Geburt ,  wenn  in  Folge  eines  Cornealdurch- 
bruches  (S.  95,  Piringer,  Arlt)  oder  einer  Iritis  (S.  287,  Hasner)  Exsudat- 
klümpchen  auf  feinem  im  Bereiche  der  Pupille  gelegenen  Theile  der  Vorder- 
kapsel haften  geblieben  und  daselbst  ständig  geworden  sind.  Die  hinter 
der  Auflagerung  befindliche  Portion  des  Zellenstratums  und  der  oberfläch- 
lichen Linsenschichten  wird  dann  auf  dem  Wege  der  reinen  Atrophie  oder 
einer  wahren  Gewebswucherung  in  entsprechendem  oder  grösserem  Umfange 
staarig  getrübt  und  unter  merklicher  Schrumpfung  durch  secundäre  Meta- 
morphosen in  ein  kuorpel-  oder  kreideähnliches,  mohn-  bis  hirsekorngrosses 
Knötchen  umgewandelt,  welches  der  Innenwand  der  Vorderkapsel  sehr  fest 
anhaftet  und  gleichsam  in  einer  Lücke  der  Krystalloberfläche  einge- 
bettet lagert. 

0 öfters  werden  unter  solchen  Verhältnissen  anstatt  eines  rundlichen 
Knötchens  förmliche  Zapfen  von  unregelmässig  walziger  Gestalt  gebildet, 
deren  hinteres,  meistens  etwas  kolbiges  Ende  mehr  weniger  tief,  bisweilen 
bis  über  die  äquatoriale  Ebene,  in  die  durchsichtige  Linse  hineini'agt. 
Das  vordere  Ende  erhebt  sich  gewöhnlich  über  die  vordere  Krystallwölbung 
und  staut  so  die  Vorderkapsel,  mit  der  es  fast  untrennbar  verwachsen  ist, 
hügelartig  empor.     In  Folge  dessen  und  des  Umstandes,   dass  die  übrigens 

stellwag,  ÄngenheiLkundö.  43 


674  Cataracta;   Nosologie:  Partielle  Staare:  Pyramidenstaar ;  Schichtstaar. 

durchsichtige  Linse  sehr  oft  ganz  bedeutend  an  Umfang  abgenommen  hat, 
zeigt  sich  die  Vorderkapsel  in  der  Umgebung  des  Zapfens  gewöhnlich  in 
schmale,  meistens  radiäre  Falten  gelegt.  Man  nennt  diese  Abart  des  Central- 
kapselstaares   Pyramidenstaar,    Cataracta  pyramidalis  oder  pyramidata. 

Bei  der  Untersuchung  eines  solchen,  leider  von  der  Kapsel  abgelösten 
Zapfens  hat  man  gefunden,  dass  derselbe  an  seiner  Vorderfläche  eines  Kapselüber- 
zuges  entbehrte  und  völlig  aus  parallel  über  einander  geschichteten  Platten  neo- 
plastischer  trüber  Linsensvbstanz  zusammengesetzt  war.  Es  hatte  ganz  den  Anschein, 
als  wäre  der  Zapfen  durch  ein  Loch  in  der  Kapsel  aus  der  Linsensubstanz  hervor- 
gewachsen (Singer,  Wedlj.  Es  ist  dies  wahrscheinlich  ein  Ausnahmsfall  und  der 
Zapfen  vielleicht  ein  Ueberbleibsel  des  fötalen  Linsensackhalses.  Es  schlösse  sich 
dann  dieser  Fall  an  gewisse  andere  an,  in  welchen  die  Pyramide  weit  über  die 
vordere  Fläche  der  Kapsel  in  die  Kammer  hineinragte  oder  wohl  gar  noch  mit 
der  Hornhaut  in  Verbindung  stand  (Steffan),  und  bei  welchen  die  Zurückführung 
auf  jene  Hemmungsbildung  vor  der  Hand  nicht  gut  abzuweisen  ist.  In  der  Regel 
jedoch  sitzt  der  Zapfen  auf  der  Hintericaiid  der  Vorderkapsel  und  besteht,  wie  er- 
wähnt wurde,  aus  regressiven  Producten  entzündlicher  Wucherungen  und  des  ein- 
fachen Staarbildungsprocesses,  was  auch  die  meistens  nebenhergehende  Voluvwab- 
nahme  und   Gestaltveränderung  des  Linsenkörpers  als  Ganzen  erklärt. 

Erwähnenswerth  sind  der  ganz  abweichenden  pathogenetischen  Verhältnisse 
wegen  Fälle,  in  welchen  bei  völliger  Durchsichtigkeit  der  hinteren  Linsenhälfte  die 
vordere  Hälfte  fast  gänzlich  untergegangen  war,  so  dass  mir  eine  Anzahl  von  scharf 
begrenzten  kalkähnlichen  Knötchen  erübrigte,  welche,  eingebettet  in  äie  pellucide 
Linseumasse,  der  stark  abgeflachten  Vorderkapsel  anhingen  und,  so  weit  sie  im 
Bereiche  der  Papille  lagen,  ganz  den  Eindruck  von  Centralkapselstaareu  machten. 
In  ähnlicher  Weise  erklärt  sich  vielleicht  der  neiierlich  beobachtete  Fall  eines 
doppelten  Pijramidenstaares  (Manthner). 

b.  Häufig  stösst  man  bei  jugendlichen  Individuen  auf  Linsen,  in 
welchen  sich  eine  einzelne  tief  liegende  Schichte  in  beiden,  oder  sehr  aus- 
nahmsweise blos  in  der  vorderen  oder  hinteren  Hälfte  (HedäusJ,  getrübt  hat 
und  vielleicht  schon  secundäre  Metamorphosen  eingegangen  ist.  während 
der  Rest  des  Krystalles  seine  Durchsichtigkeit  behauptet,  oder  doch  erst  nach 
einer  langen  Reihe  von  Jahren  in  den  Process  verwickelt  wird.  Bisweilen 
findet  man  in  übrigens  pelluciden  Linsen  wohl  auch  zwei  oder  drei  ver- 
schiedene und  von  einander  getrennte  tiefe  Faserlagen  staarig  entartet 
(Ed.  Jaeger ,  D.  E.  Müller,  Graefe).  Man  hat  solche  partielle  Cataracten 
Schichtstaare,  auch  pvrinucleare  Staare  genannt.  Sie  kommen  fast  immer 
in  beiden  Augen  zugleich  vor,  selten  in  einem  Auge  allein,  und  zwar  sind 
gewöhnlich  gleichwerthige  Schichten  in  dem  einen  uud  dem  anderen  Krystalle 
in   analoger  Weise   alterirt   (Ed.  Jaeger,    Graefe). 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  ist  die  Trübung  ihrer  ganzen  Ausdehnung 
nach  eine  fast  gleichmässige,  höchstens  kann  man  unter  günstiger  Beleuch- 
tung noch  die  radiäre  Anordnung  der  Fasern  au  einer  zarten  Streifung 
erkennen.  Das  cataractöse  Stratum  liebt  sich  mit  vollkommen  scharfer 
Grenze  einerseits  von  den  überlagernden  oberflächlichen,  pellucid  gebliebenen 
Schichten,  anderseits  von  dem  durchsichtigen  und  meistens  ins  Weingelbe 
verfärbten  Kerne  ab.  In  anderen  Fällen  zeigen  blos  die  dem  Aequator 
nahen,  allenfalls  auch  polare  Theile,  den  staangen  Zerfall.  Der  Rand  des 
durchsichtigen   Kernes  erscheint     dann   sowohl  nach  vorne   als  nach  hinten 


o^ 


von  einer  ti'üben  Zone  umgürtet,  welche  beiderseits  gegen  den  Pol 
der  Schichte  hin  in  Zacken  ausläuft,  seltener  mit  wolkig  verschwommener 
oder  feinstreifiger  Grenze  endet.  Es  unterliegt  kaum  einem  Zweifel, 
dass  die  letztere  Form  einen  unvollständig  entvrickelten  Schichtstaar  reprä- 
sentirt  uud  dass  in   der  Regel  vorerst  die  gesammte  Schichte  cataraetös  zer- 


Axen-  und  Spindelstaar;  Kranklieitsbild.  675 

fällt,    ehe    die    secundären    Metamorphosen    in  hervorstechender  Weise   Platz 
greifen. 

Ist  dieses  aber  einmal  geschehen,  so  ändert  eich  wesentlich  das  ana- 
tomische Bild.  Indem  die  löslichen  Bestandtheile  resorbirt  werden,  der  fettig- 
kalkige Bückstand  aber  sich  verdichtet  und  gleichsam  zusammenzieht, 
wird  die  früher  mehr  gleichnässige  Trübung  lückenhaft,  die  Staarschichte 
zerklüftet.  Constant  flacht  sich  hierbei  die  Linse  als  Ganzes  beträchtlich  ab. 
Ausserdem  pflegt  sich  aber  auch  der  äquatoriale  Durchmesser  unter  ent- 
spi'echender  Dehnung  der  Zonula  zu  verkürzen,  so  daes  der  Abstand  des 
Linsenrandes  von  den  Köpfen   der  Ciliarfortsätze  merklich  zunimmt. 

Ausnahmsweise  kommen  Fälle  vor,  in  welchen  von  dem  cataractösen  Stra- 
tum aus  die  structurlose  Axensuhstanz  des  Kernes  staarig  zerfällt  und  so  gleichsam 
einen  trüben  Zapfen  darstellt,  welcher  durch  die  Dicke  des  Kernes  hindurch  von 
einer  Schichthällte  zur  anderen  reicht  (Amvion,  Pilz,  D.  E.  Müller,  0.  Becker).  Mau 
hat  sie  Spindel-  oder  Axenstaare  genannt.  Häufiger  zerfällt  der  ganze  Keim  und 
wird  am  Ende  bis  auf  einige  fettigkalkige  Klümpchen  resorbirt,  welche  in  der 
Mitte  der  verflachten  Linse  zurückbleiben. 

c.  Manchmal  wird  bei  jugendlichen  Individuen  auch  ein  grösserer  Theil 
der  Linse  staarig  zersetzt  und  secundär  metamorphosirt,  während  der  Rest 
seine  Durchsichtigkeit  bewahrt.  Besonders  oft  geht  die  ganze  vordere  Hälfte 
der  Linse  bis  auf  ein  dünnes  Stratum  fettigkalkiger  Masse  unter,  ohne  dass 
die  hintere  Hälfte  des  Krystalles  an  dem  Processe  Theil  nimmt.  Der  Staar 
macht  dann,  von  vorne  gesehen,  ganz  den  Eindruck  einer  Cataracta  siliquata 
und  erst  bei  näherer  Untersuchung  findet  man  das  mächtige  Stratum  von 
durchsichtiger,  meistens  aber  ins  Weingelbe  verfärbter  und  sulzähnlicher 
Linsensubstanz,  welches  der  trüben  runzeligen  und  ganz  verflachten  Yorder- 
kapsel  anhaftet  und  diese  so  von  der  Hinterkapsel  trennt.  In  ähnlicher 
Weise  kann  auch  die  hintere  Hälfte  des  Krystalles  bei  scheinbar  normalem 
Fortbeslande  der  vorderen  staarig  zerfallen. 

Nicht  minder  geschieht  es  bisweilen,  dass  eine  seitliche  Hälfte  der  Linse 
staarig  entartet  und  unter  secundärer  Wandlung  des  Magma  auf  ein  Kleines  zu- 
sammenschrumpft, während  die  andere  seitliche  Hälfte  ihre  Integrität  bewahrt.  Die 
Linse  bekömmt  dann  gewöhnlich  die  Form  einer  Niere.  An  der  Hilusseite  erscheint 
die  stark  gerunzelte  Kapsel  von  fettigkalkigen  Staarresten  getrübt.  Die  Zomda  ist 
daselbst  entsprechend  der  Einsenkung  des  Hilus  bedeutend  verbreitert  und  meistens 
auch  von  Auflagerungen  sehnenartig  trüb. 

Selten  werden  ganz  unregehnässige  Stücke  aus  der  Dicke  der  Linse  in  den 
Process  verwickelt  und  unter  theilweiser  Resorption  in  fettigkalkige  oder  sehnen- 
ähnliche Massen  verwandelt,  welche  in  der  abgeflachten  und  auch  diametral  ver- 
kleinerten, übrigens  aber  pelluciden  Linse  eingeschaltet  erscheinen  (Oraefe,  0. 
Becker).  Die  hinteren  Kapsehfaare  (S.  670)  gehören  im  wesentlichen  hierher. 

Krankheitsbild.  CJiarakteristisch  ist  eine  Trübung,  welche  sich  in  geringer 
Entfernung  hinter  oder  in  der  Pupille  bemerklich  macht  und  das  Sehvermögen 
je  nach  ihrem  Dichtigkeitsgrade  und  ihrer  Ausbreitung  mehr  oder  minder  beein- 
trächtigt. 

Ä.  In  der  Trübung  spiegeln  sich  die  mannigfaltigen  Veränderungen, 
welche  die  staarigen  Linsenelemente  erleiden,  durch  eigenthümliche  Töne  der 
Farbe,  des  Glanzes,  durch  wechselnde  Grade  der  Diaphanität  u.  s.  w.  ziem- 
lich deutlieh  ab,  so  dass  man  aus  der  Art  der  Trübung  meistens  die  specielle 
anatomische  Form  einer  gegebenen  Cataracta  mit  einiger  Sicherheit  zu  er- 
kennen  vermag. 

43* 


ß76  Cataracta;  Krankheitsbild;  Kernstaar;  Gemischter  Staar. 

1.  a.  Der  Kernstaar  beurkundet  sich  durch  eine  diffuse  Trübung 
welche,  der  vorderen  Kei'noberfläche  folgend,  sich  mit  einer  mehr  oder 
weniger  starken  Wölbung  hinter  der  Pupille  ausbreitet.  Es  ist  die 
Trübung  im  Centrum  am  dichtesten  und  verwäscht  sich  gegen  den  Kern- 
rand hin,  da  dieser  vermöge  seiner  geringen  Dicke  viel  von  dem  auf- 
fallenden Lichte  durchlässt.  Die  Farbe  der  Trübung  ist  gewöhnlich  grau- 
gelb oder  schmutzig  bräuulichgrau ;  mitunter  spielt  sie  ins  Rothbraune  oder 
Grüne ;  selten  erscheint  sie  bronzeartig,  dunkelbraun  oder  gar  schwärzlich. 
Der  Abstand  der  Trübung  von  der  Pupillarebene  ist  immer  ein  merklicher 
und  im  iUlgemeinen  um  so  grösserer,  je  mächtiger  das  pellucid  gebliebene 
Rindenstratum,  je  kleiner  also  der  sclerosirte  Kern  ist.  Dieser  Abstand 
macht,  dass  man  zwischen  die  Trübung  und  den  Pupillarrand  hineinsehen 
und  bei  guter  Beleuchtung  den  Schlagschatten  der  Iris  als  eine  dunkle 
Sichel  wahrnehmen  kann. 

Mittelst  eines  lichtschwachen  Augenspiegels  zeigt  sich  der  Kernstaar  als  eine 
rvindliche  dunkle  Wolke  mit  verschwommenen  Rändern ;  bei  starker  Erlejichtung 
schlägt  das  Roth  des  Augengrundes  durch ,  doch  lassen  sich  dessen  Einzelnheiten 
nicht  mehr  erkennen ,  der  Augengrund  erscheint  in  einen  Nebel  gehüllt,  welcher 
sich  in  der  Mitte  des  Gesichtsfeldes  öfters  zu  einer  dunkleren  Wolke  concentrirt. 
Am  deutlichsten  tritt  die  Farbe,  die  Convexität,  die  Begrenzung,  die  relative 
Stellung  zum  Pupillarrande  etc.  bei  weiter  Piqnlle  und  schiefer  Focalheleuchtiing 
heraus.  Mit  Leichtigkeit  erkennt  man  bei  Anwendung  dieses  Mittels  den  Rand 
des  Scleromes  und  kann  dessen  Abstand  von  den  Köpfen  der  Ciliarfortsätze ,  also 
auch  den  Umfang  des  Staares,  schätzen.  Meistens  macht  sich  dann  am  Rande 
auch  ein  Linsengreisenhogen  (S.  663)  geltend. 

b.  Findet  man  mittelst  der  schiefen  Focalbeleuchtung  schon  die 
ausser  sie  Peri2)herie  der  Linse  wolkig  oder  streifig,  ist  zwischen  der  Trübung 
und  den  Köpfen  der  Ciliarfortsätze  der  Abstand  fast  auf  Null  reducirt,  so 
liegt  nicht  mehr  ein  reiner  Kernstaar  vor,  sondern  es  leiden  bereits  die 
Rindenschichten,  die  Cataracta  ist  eine  gemis'chte.  Bei  deren  weiteren  Aus- 
bildung rückt  die  Trübung  von  dem  Rande  immer  weiter  gegen  den  Pol 
der  oberflächlichen  Strata  vor,  bis  endlich  diese  ihrem  ganzen  Umfange  nach 
getrübt   erscheinen. 

So  lange  die  Elemente  ihre  ursprüngliche  Form  nicht  ganz  aufgegeben 
haben,  bleibt  die  Corticalsubstanz  durchscheinend,  bläulichweiss.  Schon  mit 
freiem  Auge,  noch  besser  aber  mittelst  schiefer  Focalbeleuchtung,  erkennt 
man  dann  in  der  diffusen  Trübung  eine  dem  Faserzuge  entsprechende 
radiäre  Streifung  oder  eine  Unzahl  von  Punkten  und  wolkig  verschwommenen 
Flecken. 

Sind  die  Streifen,  welche  sich  übrigens  gerne  zu  triangulären  zackenahn- 
lichen  Figuren  vereinigen,  sehr  schmal,  linienförmig,  gleichviel  ob  hellvveiss  und 
opak,  oder  diaplian  und  bläulich:  so  kann  man  mit  Wahrscheinlichkeit  annehmen, 
dass  die  Rindenschiclden  eine  der  Norm  naliekommende  Consistenz  bev>ahrt  haben. 
Aehnliches  gilt  auch,  wenn  bei  Ahlrandensein  solcher  Streifen  die  Trübung  ivenig 
satnrirt  ist  und  die  Punkte  und  Flecke  sich  nur  wenig  herausheben.  Breite  hl'äu- 
lichgrave  iinter  der  Kapsel  etwas  schillernde  Streifen ,  welche  nicht  vollkommen 
undurchsichtig  sind  und  zwischen  sich  durchscheinende  Sectoren  oder  mit  groben 
graulichen  Flecken  besprengte  Linsenpartien  lassen,  so  wie  anderseits  eine  ziem- 
lich stark  saturirte  Trübung  nüt  dichteren  Punkten  und  Flecken,  werden  hingegen 
als  Wahrzeichen  einer  mehr  sulz-  oder  stärkekleisterähnlichen  Consistenz  der  Cor- 
ticalstrata  aufgefasst  (Graefe). 

Wird  die  Trübung  dichter  und  dichter,  verschwimmen  die  Zeichnungen 
immer  mehr,   so   dass  die   Cataracta  am  Ende  dem  freien  Auge  fast  gleich- 


Cataracta  corticalis,  regressiva.  677 

massig  hellweiss  oder  gelblichweiss  und  opak  erscheint,  reicht  übi'igens  diese 
Trübung  bis  unmittelbar  an  den  Pupillarrand  heran,  so  dass  der  Schlag- 
schatten der  Iris  vollkommen  verschwindet:  so  kann  man  mit  grösster 
Wahrscheinlichkeit  einen  völligen  Zerfall  der  Corticalschichten  in  breiiges 
oder  flüssiges  Magma  diagnosticiren.  Der  Kern  hat  dann  meistens  seinen 
Einfluss  auf  die  Färbung  des  Staares  grössten  Theils  verloren ;  es  bedarf 
der  schiefen  Focalbcleuchtung  und  eines  sehr  kleinen  Einfallswinkels, 
auf  dass  das  concentrirte  Licht  den  Kern  schwach  durchschimmern  lassen 
könne. 

lu  einzehien  Fällen,  wo  die  Rindenscliicliten  sehr  rasch  zerfallen,  scheint 
auch  eine  Art  Avfhlühvng,  eine  Massenzunahme  in  Folge  reichlicher  Zufuhr  von 
aussen  her,  Platz  zu  greifen.  Man  schliesst  dieses  aus  dem  Umstände,  dass  unter 
solchen  Verliältuissen  die  vordere  Linsenconvexität  ungewöhnlich  stark  hervortritt, 
die   Iris   e'leiclisam  vor  sich  her  treibt  und  die  Kanuner  merklich  veren<>-ert. 

c.  Beginnen  secnndäre  Metamorphosen  in  der  cataractösen  Binde,  so 
zeigen  sich  alsbald  an  der  Oberfläche  des  Staares  die  der  inneren  Kapsel- 
wand anhaftenden  Producte.  Es  erscheinen  zerstreute  hellweisse,  völlig  opake, 
kreideähnliche  Punkte  von  wechselnder  Grösse,  welche  sich  weiterhin  mehr 
und  mehr  häufen,  zu  Kliimpchen,  Streifen  u.  s.  w.  zusammenfliessen  und 
der  Cataracta  ein  getüpfeltes,  marmorirtes,  netzartiges,  streifiges  oder 
fleckiges  Aussehen  geben.  Zwischendurch  glitzern  nicht  selten  in  grösserer 
oder  geringerer  Menge  Haufen  von  Cholestearinkry stallen.  Häufig  findet 
man  ausserdem,  namentlich  im  Pupillarb ezirke,  sehnenähnliche  gi-aue  oder 
gelblichgraue  mattglänzende,  leicht  durchscheinende  Streifen  und  Flecke 
von  ganz  irregulärer  Gestalt  mit  scharfen  zerfransten  oder  wolkigen  Grenzen. 
Es  stechen  diese  Producte,  besonders  bei  schiefer  Focalbeleuchtung,  an  der 
Oberfläche  des  Staares  um  so  deutlicher  aus  ihrer  Umgebung  heraus,  als 
ihre  Bildung  mit  einer  sehr  bedeutenden  Massenabnahme  der  Corticalschich- 
ten und  daher  mit  der  Wiederkehr  der  Transparenz  des  Staares  verbunden 
zu  sein  pflegt. 

In  der  That  kann  man  bei  weiter  vor  geschrittener  secundärer  Metamorphose 
den  Kern  oftmals  sehr  dentlh-h  wahrnehmen,  oder  dadurch  zur  Beobachtung  bringen, 
dass  man  den  Kopf  des  Kranken  eine  Weile  nach  vorne  beugen  lässt.  Man  findet 
ihn  dann  nicht  immer  gerade  in  der  Mitte;  bei  grösserer  Weichheit  der  Rinde 
senkt  er  sich  vielmehr  öfters  merklich  nach  abwärts.  In  einzelnen  Fällen  ist  die 
Resorption  der  Corticalschichten  wohl  auch  eine  so  vollständige,  dass  der  sclero- 
sirte  Kern  nur  von  einem  ganz  dünnen,  mit  Kalkpunkten  und  Cholestearinhäufchen 
bestreuten  Schleier  gedeckt  erscheint. 

Die  Volumsverminderung  des  Krystalles  beurkundet  sich  übrigens  auch 
noch  durch  das  Zurücktreten  der  leicht  gerunzelten  Staaroberfläche  hinter 
die  Ebene  der  Pupille  und,  was  unmittelbar  damit  zusammenhängt,  durch 
das  Wiederkehren  eines  Schlagschattens.  Indem  die  Regenbogenhaut  durch 
die  Abflachung  des  Staares  ihrer  natürlichen  Stütze  beraubt  wird,  kömmt 
dann  weiters  auch  noch  das  höchst  charakteristische  Schlottern  derselben 
(IridodonesisJ  zum  Vorscheine,  besonders  deutlich,  wenn  das  Auge  rasche 
Seitenhewegungen  macht. 

d.  Wenn  heftige  Entzündungen  auf  den  Process  Einfluss  genommen  haben, 
so  finden  sich  oft  schon  an  der  Aussenwand  der  Vorderkapsel  mächtige 
Lager  von  Neubildungen  (S.  287,  b),  welche  den  Staar  vollkommen  ver- 
decken. Zum  mindesten  erscheint  die  Kapsel  mit  dem  Pupillarrande  in 
grossem    Umfange   verwachsen,    so    dass  nur  der  mittlere  Theil  der  Staar- 


ß78  Cataracta;  Krankheitsbild:  Weicher  Kernstaar;  Corticalstaar. 

Oberfläche  zur  Wahrnehmung  gebracht  werden  kann.  Dieser  zeigt  sich 
dann  gewöhnlich  ganz  gleichmässig  kreideweiss,  völlig  opak  und  matt 
glänzend,  er  macht  ganz  den  Eindruck  eines  soliden  kalkigen  Concrementes 
mit  glasigem  üeberzuge.  Seltener  ähnelt  er  mehr  sehnigem  Gefüge  mit 
oder  ohne  kalkige  Einlagerungen.  Ausnahmsweise  schimmert  seine  Ober- 
fläche wohl  auch  nach  Art  eines  Perlmutterknopfes  wegen  Vorwiegen  des 
Cholestearins. 

2.  Das  Bild  des  weichen  Staares  wechselt  je  nach  dem  Gange  und 
den  Stadien  des  Processes  wo  möglich  noch  mehr. 

a.  Beginnt  die  cataractöse  Zersetzung  im  Kerne,  so  tindet  man  in  einiger 
Entfernung  hinter  der  Pupille  eine  nach  vorne  convexe,  diffuse  oder 
fleckige,  selten  gestreifte  Trübung  von  loeisshläulicher  Farbe.  Im  Centrum 
des  „weichen  Kernstaares''  ist  die  Trübung  am  dichtesten,  gegen  die  Peripherie 
hin  nimmt  jedoch  die  Diaphanität  und  demnach  auch  der  bläuliche  Ton  zu. 
Nirgends  ist  die  Grenze  eine  ganz  scharfe ;  sowohl  an  der  convexen  Fläche 
als  an  dem  Rande  löst  sich  die  Trübung  in  einen  zarten,  wolkig  flockigen 
Flaum  auf.  In  dem  Masse,  als  der  Process  weiter  schreitet,  verdichtet  sich 
die  Trübung  mehr  und  mehr,  sie  wird  hellweiss  oder  weissgelb  und  fast 
opak,  während  ihre  wolkige  bläuliche  Grenze  immer  näher  an  die  Kapsel 
rückt  und  den  Sehlagschatten  der  Iris  verschmälert.  Gewöhnlich  fangen 
dann  auch  bald  die  Rindenschichten  an,  vom  Gleicher  aus  zu  zerfallen,  der 
Kern  wird  allmälig  von  oberflächlichen,  diff'usen  oder  breitstreifigen  Trübungen 
gedeckt,  welche  von  dem  äussersten  Linsenrande  gegen  die  Pole  hin  sich 
ausbreiten,   es  liegt  ein  weicher    Totalstaar  vor. 

b.  Beginnt  der  weiche  Staar  aber  als  eine  Cor licaleatar acta,  so  zeigl 
sich  in  der  Regel  vorerst  an  der  Peripherie  der  Krystalloberfläche  eine 
bläulichweisse,  leicht  schillernde  und  oft  noch  unterbrochene  Zone,  zu  deren 
Wahrnehmung  natürlich  eine  starke  Erweiterung  der  Pupille  erforderlich 
ist.  Es  erscheint  diese  Zone  öfters  ganz  diffus  oder  wolkig.  Häufiger  in- 
dessen läuft  sie  sowohl  an  der  vorderen  als  an  der  hinteren  Fläche  der 
Linse  in  jene  bläulichen  schillernden  Zacken  aus,  welche  sich  allmälig  ver- 
breitern und  in  meridionaler  Richtung  auch  verlängern,  so  dass  sie  endlich 
in  der  Ebene  der  Pupille  erscheinen.  Mitunter  bleiben  die  verbreiterten 
Enden  der  Fasern  durchsichtig  und  es  wird  die  sternförmige  Structur  der 
oberflächlichen  Linsenschichten,  wenigstens  theilweise,  deutlich  sichtbar. 
Gewöhnlich  aber  werden  auch  die  zivisehen  den  Zacken  gelegenen  Theile 
der  Rinde  wolkig  getrübt  und  streckenweise  verschwimmen  ausserdem  die 
Zacken  in  unregelmässigen  Wolken  und  Flecken.  Am  Ende  verliert  die 
ganze  Linsenoberfläche  ihre  Durchsichtigkeit.  So  lange  der  Kern  seine  Pellu- 
cidität  bewahrt,  erscheint  dann  die  Trübung  in  der  Mitte  des  Krystalles 
am  wenigsten  dicht,  bläulich;  an  dem  Rande  jedoch  hellweiss  oder  weiss- 
gelb und  fast  opak. 

In  einzelnen  Fällen  bleibt  der  Gleicher  der  Rindenschichten  längere  Zeit 
durchsichtig,  man  findet  an  der  vorderen,  häufiger  an  der  hinteren  oder  an  beiden 
Hälften  der  Corticahtrata  einzelne  Flecke,  Punkte  oder  radiäre  Streifen,  welche 
allmälig  an  Zahl  und  Umfang  zunehmen  und  später  sowohl  an  den  Polen,  als 
besonders  an  dem  Rande  der  Linse  zusammenfliessen. 

In  seltenen  Ausnahmsfällen  beginnt  die  Trübung  der  Corticalschichten  von 
der  Mitte  aus,  es  werden  einzelne  oder  alle  Strahlen  der  sternförmigen  Figur  bläu- 
lichweiss  und  heben  sich  daher  von  der  noch  durchsichtigen  Umgebung  deutlich 
ab.  Bisweilen  setzt  sich  dann  der  Process  vorerst  auf  die  tieferen  Lagen  der  Stern- 


Weicher  Totalstaar;  Cataracta  lactea.  vegressiva.  679 

ßyur  fort,  so  dass  es  den  Aiisclieiii  j^ewinnt,  als  wäre  die  Linse  diircli  triihc  Blätter, 
welclie  fregeii  die  Axe  hin  zusammenlaufen  nnd  senkrecht  zur  Oberfläche  stehen, 
in  eine  Anzahl  von  Sectoren  {gespalten  (Cataracta  stellata).  Erst  später  greift  der 
Process  auf  die  o/jerßüch/ichen  Faserioirtel  und  den   Kern  über. 

c.  Im  weichen  Totalstaare  combiniveii  sich  die  ErRcheinungen  des  Cortieal- 
slaares  mit  dcuen  des  weichen  Kernstaares.  Die  Trübung  ist  im  Centrum 
am  dichtesten,  an  der  Peripherie  meliv  bliiulicli  diaphan.  Sie  reicht  einer- 
seits bis  7.\\  den  Köpfen  der  Ciliai'fortsätzc,  andererseits  bis  in  die  Ebene 
der  Pupille,  ja  bisweilen  gipfelt  sie  sogar  merkbar  über  der  letzteren. 
Von  einem  reinen  Schlagschatten  der  Iris  kann  darum  keine  Rede  sein. 
Bei  rasch  entwickelten  derartigen  Cataracten  macht  sich  wohl  auch 
eine  Art  Blähimg,  eine  Umfangsvermehrung,  geltend  und  kömmt  in 
starker  Vorivölbung  der  Iris  und  daheriger  Verengerung  der  Kammer  zum 
.Vusdrucke. 

Oft  bewahrt  der  weiclie  Totalstaar  einen  gewissen  Grad  von  Durch- 
scheinbarkeit  bis  in  das  Stadium  der  secundären  Metamorphosen  oder  gar 
über  diese  hinaus  und  man  kann  mittelst  schiefer  Focalbeleuclitung  noch 
ziemlich  deutlich  die  Faserwirtel  unter  der  Gestalt  radiärer  Streifen  erkennen. 
Es  sind  dieses  jene  Fälle,  in  welchen  die  Linsenelemente  ihrer  Form  nach 
nicht  ganz  untergehen,  die  staai'igen  Schichten  vielmehr  eine  der  Norm  nahe- 
stehende Consistenz  behalten,  oder  sich  bei  Opex'atiojien  unter  der  Gestalt 
einer  stärkekleisterähnlichen   Sülze  präsentiren. 

Geht  aber  die  Zersetzung,  wenigstens  in  den  Rindenschichten,  weiter, 
löst  sich  die  Linsensubstanz  in  formlosen  Brei  oder  in  eine  tropfbare  Flüssig- 
keit auf,  so  verschwimmen  allmälig  jene  verschiedenen  Farbentöne  und 
Zeichnungen,  höchstens  erkennt  maii  mittelst  der  schiefen  Focalbeleuchtung 
dichtere  weisse  Punkte  und  kleine  Flocken,  dem  freien  Auge  erscheint  die 
Trübung  fast  gleichmässig  hellweiss  oder  gelblichweiss.  Die  Nuance  dieser 
Farbe  hängt  hauptsächlich  von  der  grösseren  oder  geringeren  Dichtigkeit 
des  Magmas  und  von  dessen  wechselndem  Fettgehalte  ab. 

Ausserdem  hat  noch  der  Umstand  einen  Einfluss,  dass  bei  Ruhe  des  Auges 
die  dichteren,  in  der  Flüssigkeit  suspendirten  Flocken  sich  bisweilen  senkest,  daher 
dann  der  untere  Theil  des  Staares  fast  ganz  opak  und  hellweissgelb ,  der  obere 
aber  molkenähnlich,  bläulichweiss  und  diaphan  ei-scVieint.  Die  etwaige  Anwesenheit 
eines  noch  unzersefzten  pelluciden,  oder  bereits  getrübten,  oder  gar  sclerosirten 
Kernes  verräth  sich  dann  gewöhnlich  durch  keinerlei  äussere  Merkmale,  sie  kann 
nur  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  aus  dem  Alter  des  Individuums  errathen,  keines- 
wegs aber  mit  Sicherheit  diagnosticirt  werden,  da  auch  jenseits  der  Pubertätsperiode 
ganz  flüssige  Staare  vorkommen. 

d.  Der  Eintritt  secundärer  Metamorphosen  macht  sich  bei  der  weichen 
Totalcataracta  durch  analoge  Erscheinungen,  wie  bei  dem  gemischten  Staare 
bemerkbar.  Von  grösster  Wichtigkeit  sind  hierbei  jene  mannigfaltigen  Zeich- 
nungen, welche  die  fettigkalkigen  oder  sehnenähnlichen  Producte  durch  ihre 
Anlagerung  an  die  Innenwand  der  Kapsel  erzeugen.  Es  pflegen  diese 
Anlagerungen  beim  weichen  Totalstaare  etwas  massenhafter  zu  sein,  als  bei 
der  Cataracta  mixta,  da  bei  ihrer  Bildung  eine  grössere  Menge  von  Magma 
concurrirt.  Gerade  dieser  Umstand  macht  aber  auch,  dass  sie  anfänglich 
minder  deutlich  hervorstechen  und  erst  auffällig  werden,  wenn  der  staarige 
Brei  durch  fortgesetzte  Resorption  so  weit  vermindert  worden  ist,  dass 
der  dunkle  Augengrund  wieder  durchschlagen  kann.  Ein  zweites  wichtiges 
diagnostisches  Moment  ist   das  Zurückweichen  der  Linsenoberfläche    hinter  die 


630  Cataracta;  Krankheitsbild ;  Cataracta  discoidea,  siliquata,  calcarea,  fibrosa. 

Ebene  der  Pupille,  somit  das  Auftreten  eines  Schlagschattens  und  das  starke 
Schwanken  der  Iris.  Wo  diese  Symptome  sehr  klar  zur  Anschauung  kommen, 
dort  kann  man  gewiss  sein,  es  mit  einer  sehr  stark  geschrumpften  Cataracta 
zu  thun  zu  haben.  Im  gegentheiligen  Falle  aber,  wenn  die  Oberfläche  des 
Staares  mit  deutlicher  Convexität  nach  vorne  tritt  und  demnach  auch  nur 
schwache  oder  kleine  Runzeln  zeigt,  ist  das  Gegebensein  eines  sehr 
geschrumpften  Staares  nicht  ausgeschlossen,  da  eben  scheibenförmige  und 
trockenhülsige  Staare  von  dem  Glaskörper  gar  nicht  selten  nach  vorne 
gebaucht  werden.  Es  entscheidet  dann  in  diagnostischer  Beziehung  neben 
jenen  Zeichnungen  an  der  Oberfläche  die  Altersperiode,  in  welcher  der 
Staar  sich  entwickelt  hat,  die  Dauer  seines  bisherigen  Bestandes  und  seine 
grössere   oder  geringere  Durchscheinbarkeit. 

Scheibenförmige  Staare  zeigen  bei  erweiterter  Pupille  öfters  eine  sehr 
unregelmässige  kerbige  oder  winkelige  Begrenzung  und  stehen  darum  stellen- 
weise ziemlich  weit  ab  von  dem  Strahlenkörper.  Sie  sind  häufig  beinahe 
gleichmässig  kreideweiss  und  völlig  opak.  Eben  so  oft  jedoch  haben  sie  ein 
mehr  sehnen-  und  knorpelähnliches  Aussehen  und  sind  dem  entsprechend  in 
geringem  Grade  diaphan,  so  dass  sich  die  fettigkalkigen  Anlagerungen  der 
inneren  Kapselwand  vermöge  ihrer  helleren  Farbe  und  Opacität  merklich 
abheben.  Nicht  selten  endlich  ist  der  scheibenförmige  Staar  bei  einer 
eigenthümlichen,  schmutzig  gelbgrauen ,  ins  grünliche  oder  bräunliche 
spielenden  Färbung  stark  durchscheinend.  Man  findet  dann  an  der  Ober- 
fläche sehr  gewöhnlich  bläulichgraue  Flecken  mit  mattem  sehnenähnlichen 
Glänze.      Solche   Staare  pflegen   sehr  spröde  und   brüchig  zu  sein. 

Die  trockenhülsigen  Staare  sind  vermöge  ihrer  geringeren  Dicke  immer 
in  ziemlich  hghem  Grade  durchscheinend.  Ihre  Grundfarbe  ist  bläulichweiss 
und  zwar  schlägt  je  nach  der  Menge  des  cataractösen  Rückstandes  bald  das 
Blaue,  bald  das  Weisse  vor.  Die  mannigfaltigen  Figuren,  welche  die  an 
der  Innenwand  der  Kapsel  haftenden  kalkigen  Concretionen,  Cholestearin- 
haufen  und  fibrösen  Massen  hervorbringen,  treten  auf  dem  wolkenähnlich 
gezeichneten  bläuüchweissen  Grunde  sehr  deutlich  hervor.  Von  Wichtig- 
keit ist,  dass  der  Staar  meistens  bis  an  die  Ciliarfortsätze  reicht  und  die 
Trübung  an  der  äussersten  Grenze  des  verflachten  Staares  sehr  oft  am 
dichtesten  ist,  indem  sich  in  dem  Kapselfalze  die  fettigkalkigen  Producte 
gleichsam  häufen  und  diesem  das  Aussehen  eines  rundlichen  Wülstchens 
geben,  welches  den  Staar  kranzförmig  umgürtet.  Bei  partiellen  Cataracten 
kömmt  ein  solcher  kreidiger  Saum  kaum  vor,  er  ist  der  Cataracta  siliquata 
allein  eigen. 

e.  Wo  sich  der  weiche  Totalstaar  unter  Einßussnahme  heftiger  Ent- 
zündungen entwickelt  hat  und  weitere  Wandlungen  eingeht,  gestaltet  sich  das 
Bild  desselben  am  Ende  ganz  analog,  wie  bei  einer  unter  ähnlichen  Ver- 
hältnissen zu  Stande  gekommenen  Cataracta  mixta.  Das  im  Bereiche  der 
meistens  stark  verzogenen  Pupille  sichtbare  Stück  des  Staares  erscheint, 
wenn  nicht  iritische  Producte  dasselbe  decken,  meistens  gleichmässig  kreide- 
weiss und  opak,  seltener  sehnen-  oder  knorpelähnlich,  ausnahmsweise  perl- 
mutterartig glänzend  und  hierauf  ist  man  bei  der  Diagnose  einer  Cataracta 
calcarea,  fibrosa,  argentea  etc.  beschränkt.  Ist  die  Iris  von  der  Cataracta 
in  sehr  auffälliger  Weise  und  vielleicht  gar  trichterförmig  nach  Mitten 
gezogen,   so   kann   man   mit  ziemlicher   Sicherheit   auf  einen  sehr  geschrumpf- 


Partielle  Staare;  Schichtstaar.  681 

ten  Staar  schliessen.  Hat  die  Iris  aber  nur  wenig  von  ihrer  normalen 
Convexität  eingebüsst,  oder  ist  sie  an  die  hintere  Cornealwand  herangerückt, 
so  kann  man  auf  das  Volumen  des  Staares  höchstens  noch  aus  der  Lebens- 
periode  des  Krauken  Wahrscheinlichkeitsschlüsse  ziehen. 

3.  a.  Von  den  partiellen  Cataracten  sind  am  schwiei'igsten  jene  zu 
erkennen,  bei  welchen  die  vorderen  Corticalschichten  oder  die  ganze  vordere 
Hälfte  der  Linse  in  dem  Processc  untergegangen  sind.  In  den  ersten 
Stadien  stellen  sie  sich  nämlich  unter  ganz  ähnlichen  Erscheinungen  dar, 
wie  der  Corticalstaar ;  sp'dierldn  aber  gleichen  sie  nahezu  völlig  einer  ^roc/ce/i- 
hülsigen  Cataracta.  Als  diagnostisches  Merkmal  kann  man  den  Umstand 
benützen,  dass  bei  solchen  partiellen  Staaren  der  äusserste  Rand  lueniger 
getrübt  zu  sein  pflegt  wnd  jedenfalls  des,  der  siliquirten  Cataracta  eigenen 
Kalkwulstes  entbehrt.  —  Wo  eine  seitliche  Hälfte  oder  ein  ganz  unregel- 
mässiges Stück  aus  der  Dicke  des  Krystalles  staarig  alterirt  ist,  unterliegt 
die  Diagnose  keiner  Schwierigkeit,  da  die  anatomischen  Veränderungen 
(S.   675)   sich  dem  Beobachter  ganz  unverhüllt  präsentiren. 

h.  Der  Schichtstaar  ähnelt,  wenn  er  völlig  ausgebildet  ist,  sehr  stark 
dem  weichen  Kernstaare.  Doch  unterscheidet  sich  die  rei7ie  Form  desselben 
hinlänglich  dadurch,  dass  sich  die,  meistens  sehr  zarte  und  bläulich  durch- 
scheinende, oft  jedoch  auch  dichtere  und  dann  mehr  hellweisse  Trübung 
nicht  etwa  gegen  den  Pol  hin  an  Intensität  verwäscht,  sondern  fast  gleich- 
massig  vertheilt  und  eher  am  Bande  des  cataractösen  Stratums  gesättigter 
ist.  Ein  zweiter  wichtiger  Unterschied  besteht  darin,  dass  die  trübe 
Schichte  sowohl  an  ihrer  convexen  Vorderfläche  als  an  ihrem  Aequator 
sich  scharf  gegen  die  überlagernden  pelluciden  Strata  abgrenzt  und  scharf 
abgegrenzt  bleibt,  so  lange  der  Schichtstaar  stationär  ist :  daher  man  aus 
einer  wolkigen  oder  streifigen  Trübung  der  oberflächlichen  Schichten  auf  ein 
Fortschreiten  des  Processes,  auf  den  Uebergang  des  Schichtstaares  in  einen 
weichen    Totalstaar,   schliessen  darf. 

Besonders  klar  treten  diese  Verhältnisse  hervor  bei  der  Untersuchung  mit 
dem  lichtschwachen  Augenspiegel.  Das  cataractöse  Stratum  zeigt  sich  bei  senkrecht 
auffallendem  Lichte  als  ein  kreisrunder,  scharf  begrenzter  dunkler  Fleck,  in  dessen 
Cenf.rum  der  Augengrund  röthlich  durchsclieint,  irnd  an  dessen  Rande  vorbei  man 
sehr  deutlich  die  Netzhautgefässe  u.  s.  w.  sehen  kann.  Am  auffälligsten  jedoch 
zeigen  sich  die  Eigenthümlichkeiten  des  Schichtstaares  bei  Benützung  der  schiefen 
Focalheleuchtung .  Die  Randtheile  der  oberflächlichen  pelluciden  Strata  präsentiren 
sich  dann  als  eine  breite  dunkle  ringförmige  Zone,  welche  zwischen  die  Köpfe 
der  Ciliarfurtsätze  und  den  Gleicher  der  cataractösen  Schichte  zwischengeschoben 
ist  und  sieh  von  letzterer  vermöge  ihrer  Schwärze  sehr  deutlich  und  mit  scharfer 
Grenze  abhebt. 

Hält  man  dieses  alles  fest,  so  unterHegt  es  auch  keiner  Schwierigkeit, 
den  Schichtstaar  in  seinem  ersten  Beginne  als  solchen  zu  erkennen,  also  zu 
einer  Zeit,  in  welcher  er  sich  noch  als  eine  wolkig  diffuse  oder  speichen- 
artig gestreifte  und  feinpunktirte  Zone  darstellt,  die  von  ihrem  peripheren 
scharfen  Eande  aus  sowohl  nach  hinten  als  nach  vorne  gegen  die  beiden 
Pole   der  Schichte  sich  mehr  und  mehr  ausbreitet. 

Eben  so  wenig  können  dann  aber  auch  diagnostische  Zweifel  auf- 
tauchen, wenn  der  Schichtstaar  bereits  in  secimdären  Wandlungen  begriffen 
ist,  die  trübe  Schichte  allmälig  zu  zerklüften  beginnt  und  durch  die 
Spalten  und  Lücken  der  pellucide  Kern  wieder  zum  Vorscheine  kömmt. 
Gewöhnlich  findet  man  dann  im  vorderen  Pole    des    betreffenden    Stratums 


682  Cataracta;  Krankheitsbild;  Schichtstaar:  Ceutralkapselstaar. 

eine  Anzahl  kreideähnlieher  Punkte  ,  welche  sich  mannigfaltig  gruppiren, 
mitunter  wohl  auch  eine  steimförmige  Figur  zusammensetzen.  Es  lagern 
dieselben  in  der  Mitte  einer  zarten  bläulichen  spinnengewebeartigen,  mit 
weissen  Punkten  und  irregulären  Streifen  durchsetzten  Zone,  welche  gegen 
den  Kand  der  Schichte  hin  sich  mehr  und  mehr  Terdichtet,  so  dass  sie 
nur  kleine  Lücken  erkennen  lässt  und  endlich  ganz  scharf  abgesetzt  ist. 
In  der  Eegel  erweiset  sich  der  Linsendurchmesser  unter  solchen  Yerhältnissen 
verkleinert,  der  äusserste  pellucide  Rand  der  Linse  erscheint  unregelmässig 
verzogen  und  steht  stellenweise  beträchtlich  ab  von  den  Köpfen  der 
Ciüarfortsätze,  während  die  Volumsabnahme  des  Kj.ystalles  ausserdem  noch 
durch  das  Schwanken  der  Iris  und  durch  das  Zurücktreten  der  vorderen 
Kapsel   hinter  die   Ebene   der  Pupille  zum  Ausdrucke  kömmt. 

c.   Der   Centralkapselstaar  stellt  sich  dem  beobachtenden  Auge   als  ein 

mohn-    bis     hirsekorngrosses,     selten     umfangreicheres,    kreideweisses    oder 

knorpelähnliches,  rundliches  Knötchen   dar,   welches  in  der  Ebene  der  Pupille 

lagert   und  von   deren   Schwärze  sehr  deutlich  absticht.      Er    ist  bald   ganz 

scharf  begrenzt,   bald  von    einem     wolkig  verschwommenen  bläulichen  Hofe 

umgeben.  Mittelst  der  schiefen  Focalbeleuchtung  lässt  sich  dieser  Hof  sehr 

deutlich  zur  Wahi'nehmung  bringen,   oft  selbst  in  Fällen,  wo  er  dem  freien 

Auge  zu  fehlen  scheint.      Häufig  erkennt   man   auf  der  Höhe  des  Knötchens 

auch  ein  kleines   Häufchen  von  Irispigment  und    in   dessen  Umgebung    eine 

strahlige   Faltung  der  Kapsel. 

Selten  finden  sich  zwei  oder  mehrere  derartige  Knötchen  im  Bereiche  der 
Pupille  und  dann  ist  der  Centralkapselstaar  öfters  nichts  anderes,  als  das  Rück- 
bleibsel  einer  über  die  ganzen  Vorderschichferi  der  Linse  ausgebreiteten  und  secundär 
metaraorphosirten  partiellen  Cataracta  (S.  674). 

Ist  das  Knötchen  zapfenartig  nach  hinten  verlängert  (Cataracta 
pyramidalis),  so  ist  es  natürlich  um  so  auffälliger.  Es  tritt  dann  öfters 
merklich  über  die  Ebene  der  Pupille  hervor,  oder  ragt  gar  hornähnlich  in 
die  Kammer  hinein. 

B.  Die  mit  dem  Staare  verknüpften  Sehstörungen  resultiren  zum  Theile 
aus  der  Diffusion  und  Absorption  des  Lichtes  in  der  optisch  ungleichartig 
gewordenen  Linsensubstanz,  zum  anderen  Theile  aber  aus  den  mannig- 
faltigen Verkrümmungen,  welche  die  beiden  Oberflächen  des  Krystalles  so 
häufig  erleiden. 

In  ersterer  Beziehung  gilt  nahezu  dasselbe,  was  von  den  Corneal- 
trübungen  gesagt  wurde ;  es  sind  die  auf  Diffusion  und  Absorption 
beruhenden  Sehstörungen  bei  beiden  diesen  Zuständen  nahezu  dieselben 
(Siehe  S.  122). 

Doch  wird  von  cataractösen  Trübungen  unter  übrigens  gleichen  Ver- 
hältnissen weit  weniger  zerstreutes  Licht  auf  die  centralen  Netzhauttheile 
geworfen,  ein  Unterschied,  welcher  sich  in  sehr  aufTälliger  Weise  geltend 
macht  bei  minder  dichten  und  besonders  bei  den  auf  einzelne  Schichten 
beschi-änkten  Obscurationen.  Nicht  nur,  dass  periphere  derartige  Trübungen, 
wie  sie  z.  B.  bei  beginnendem  Corticalstaare  vorkommen,  von  der  Regen- 
bogenhaut vollständig  gedeckt  werden ;  auch  centrale  Trübungen  beirren  das 
Gesicht  in  einem  viel  geringeren  Grade,  als  gleich  dichte  und  gleich  aus- 
gebreitete nomhautß.eGke. 

Es  kömmt  hierbei  in  Betracht ,  dass  von  dem  seitlich  auflfallenden  diffusen 
Lichte  schon   viel    durch  die   spiegelnde  und    stark    convexe  Oberfläche  der   Cornea 


Sehstörungen.  600 

zurückgeworfen  wird,  also  die  Linse  niciit  mehr  trift't;  hauptsächlich  aber,  dass 
die  Regenhogenhmit  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  die  grössere  Hälfte  des  Kry- 
stalles  deckt  und  wie  ein  durchlöchertes  Diaphragma  wirkt,  sowie  dass  die  (Ober- 
fläche des  Linsenkörpers  eine  viel  geringere  Wölbung  als  die  Cornea  besitzt.  Das 
die  Seiientheile  der  Hornhaut  passirende,  schon  geschwächte,  diffuse  Licht  trifi't 
demnach  unter  sehr  grossem  Winkel  auf  die  Mitte  der  vorderen  Linsenfläche,  ver- 
liert daher  durch  Reflexion  nochmals  bedeutend  an  Litensität  und  vermag  nur  ein 
sehr  lichtschwaches  Spectrum  über  die  vorderste  Zone  der  Netzhaut  zu  ergiessen. 
Das  von  vorne  kommende  directe  Licht  aber  erleidet,  da  es  nahezu  senkrecht  auf 
die  Linse  fällt,  eine  verhältnissmässig  geringe  Zerstreuung  vxnd  geht  fast  unge- 
schwächt durch,  kann  daher  scharfe  Bilder  von  grossem  scheinbaren  Glänze  auf 
der  Netzhaut  entwerfen. 

In  der  That  nehmen  Kranke,  welche  mit  unreifem  Kernstaare  oder 
mit  Schichtstaar  behaftet  sind,  grössere  Objecte  in  mittleren  Entfernungen 
öfters  ganz  gut  aus  und  pflegen  auch  grössere  Druckschriften  anstandslos, 
obgleich  nicht  anhaltend,  zu  lesen,  besonders  wenn  die  fehlerhafte  Ein- 
stellung des  dioptrischen  Apparates  durch  entsprechende  Brillen  neutralisirl 
und  das  diffuse  Licht  möglichst  beseitigt,  überdies  auch  die  Pupille  wegen 
geringer  Erleuchtung  des  Gesichtsfeldes  weiter  wird.  Selbst  Corticalstaare, 
welche  über  die  Pole  reichen,  schliessen  nicht  nothwendig  die  Fähigkeit 
der  Selbstführung  aus  und  bei  iritischen  Auflagerungen  auf  die  Vorderkapsel, 
auch  wenn  die  Pupille  vollkommen  abgeschlossen  und  das  von  ihr  umgrenzte 
Stück  der  Linsenoberfläche  gaiiz  gedeckt  ist,  staunt  man  oft  über  die  Schärfe 
des  Gesichtes.  Besonders  auffällig  ist  die  Geringfügigkeit  der  Sehstörung, 
wenn  es  gelingt,  das  seifliche  diffuse  Licht  abzuschneiden,  und  wenn  die 
Objecte  gut  beleuchtet  sind ;  daher  denn  auch  solche  Ki'anke  auf  jede 
mögliche  Weise  das  Auge  zu  beschatten  und  die  Gegenstände  in  gutes  Licht 
zu  bringen  suchen,  den  Kopf  meistens  gesenkt  tragen,  in  dem  Gebrauche 
dunkler  Gläser  imd  breiter  Augenschirme  eine  wesentliche  Erleichterung 
finden,  die  abendliche  Dämmerung  und  das  Licht  trüber  Tage  als  besonders 
günstig  hervorheben  u.  s.  w. 

Bei  dichten  und  ausgebreiteten,  namentlich  aber  auf  eine  grössere  Anzahl 
von  Schichten  ausgedehnten,  cataractösen  Trübungen  werden  diese  Vortheile 
indessen  reichlich  aufgewogen  durch  die  Vei'grösserung  der  Lichtabsorption, 
also  durch  die  Verminderung  des  scheinbaren  Glanzes  der  Netzhautbilder. 
Bei  Cataracten,  welche  auf  den  Ker-n  beschränkt  sind,  bei  reifen  harten 
und  weichen  Kernstaaren,  bei  gewissen  partiellen  Staaren,  lässt  sich  durch 
Erweiterung  der  Pupille,  also  dadurch,  dass  die  pellucide  Linsenperipherie 
dem  directen  Lichte  erschlossen  wird,  dieser  Verlust  allerdings  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  ausgleichen  und  mindestens  die  seitliche  Partie  des  Gesichts- 
feldes zur  deutlicheren  Wahrnehmung  bringen ;  so  wie  aber  die  Trübung 
nahe  bis  zum  Rande  der  Linse  vorgeschritten  ist,  und  dies  ist  bei  reifen 
Staaren  die  Regel,  werden  äussere  Objecte  nicht  mehr  in  deutlichen  Bildern 
auf  der  Netzhaut  dargestellt  und  der  Durchmesser  des  Sehloches  hat  nur 
mehr  Einfiuss  auf  die  grössere  oder  geringere  Erleuchtung  des  Spectrums. 
Es  erscheint  dieses  dem  Kranken  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  meistens 
als  ein  gleichmässig  über  das  ganze  Gesichtsfeld  ergossener  Nebel  von  weiss- 
bläulicher,  weisser,  gelblicher,  bei  reinen  und  stark  gefiirbten  Kernstaaren 
wohl  aixch  bräunlicher,  sehr  selten  röthlicher  Farbe.  Fällt  blos  directes 
Licht  auf,  sieht  der  Kranke  aus  einem  dunklen  Räume  auf  eine  helle 
Kerzenüamme,  den  Mond  u.  s.  w.,  so  zeigt  sich  ein  begrenztes  Spectrum 
von  rundlicher  oder  ovaler  Form,   dessen    Randtheile  heller,    das  Centrum 


684  Cataracta;  Krantheitsbild. 

aber,     wegen      der     gegen      den     Pol      zunehmenden     Dicke     der     Linse, 
dunkler  ist. 

Die  solchermassen  begründete  Abschwächung  des  die  Netzhaut  treffen- 
den Lichtes  ist  wirklich  eine  sehr  bedeutende.  Es  erhellt  dieses  am  deutlich- 
sten aus  den  dunklen  Schatten,  welche  partielle  und  nur  einen  Theil  der  Pupille 
verlegende  cataractöse  Trübungen,  z.  B.  kleine  sclerosirte  Kerne,  Central- 
kapselstaare,  einzelne  Zacken  eines  beginnenden  Corticalstaares  u.  s.  w. 
unter  günstigen  Verhältnissen  auf  die  Eetina  werfen  und  welche  von  dem 
Kranken  in  der  Gestalt  von  Scotomen  wahrgenommen  werden.  Dieselben 
lassen  sich  besonders  deutlich  durch  die  entoptische  Untersuchungsmethode 
zur  Anschauung  bringen  (Siehe  Scotome). 

Es  ist  in  Beti'eif  dieses  Symptomes  von  hohem  Belange,  dass  die  in  dem 
Bereiche  der  Pupille  gelegenen  cataraetösen  Trübungen  die  bereits  convergent  ge- 
machten Strahlenkegel  in  einem  viel  kleineren  Durchmesser  schneiden,  bei  gleicher 
Ausdehnung  demnach  bei  weitem  mehr  schwächen ,  als  entsprechende  Hornhaut- 
trübungen. Dazu  kömmt,  dass  die  Staarbildung  fast  immer  mit  einer  Abnahme  der 
Accominodalio7ishreite  und  mit  einem  abnormen  Brechzustande  des  dioptrischen  Appa- 
rates verknüpft  ist,  dass  sonach  die  von  den  Linsentrübungen  ausgehenden  Schatten- 
kegel mit  einem  beträchtlichen  Durchmesser  auf  die  Netzhaut  treffen. 

So  ist  beim  Kernstaare  nicht  nur  die  Accommodation  sehr  stark  beeinträchtigt, 
sondern  wegen  Ahflachung  der  Linse  auch  meistens  eine  hochgradige  hyperme- 
tropische  Einstellung  gegeben.  Bei  iveichen  Staaren  dürfte  im  Gegentheile  eher 
eine  myopische  Einstellung  anzunehmen  sein.  Thatsächlich  wird  diese  häufig  beim 
Schichtstaare  beobachtet  (Donders)  und  gehört  bald  einem  angeborenen  fehlerhaften 
Bau  des  Bulbus  auf  Rechnung,  bald  ist  sie  erworben  und  erklärt  sich  aus  dem 
Umstände,  dass  die  Gesichtsobjecte  behufs  genaueren  Sehens  dem  Auge  unver- 
hältnissmässig  nahe  gehalten  werden  müssen.  Bei  geschrumpften  Staaren  aller  Art 
ist  der  dioptrische  Apparat  selbstverständlich  für  negative  Entfernungen  eingerichtet ; 
ausserdem  aber  macht  sich  die  mit  der  Verkleinerung  der  Linse  verknüpfte  Faltung 
der  Kapsel  durch  beträchtliche  Verzerrung  der  Spectra  oder  der  etwa  noch  ermög- 
lichten Netzhautbilder  geltend. 

Beim  Centralkapselstaare  ist  ausser  der  häufigen  Volumsverminderung  des 
Krystalles  die  Runzelung  der  das  Knötchen  umgebenden  Kapselportion  eine  Quelle 
sehr  beträchtlicher  Sehstörungen. 

Complicationen.  Am  meisten  ins  Gewicht  fallen  die  auf  Gewebs- 
wucherung fussenden  materiellen  Veränderungen  der  gefässhaltigen  Binnen- 
organe des  Augapfels  und  die  darin  begründeten  Functionsstörungen  des 
licht  empfind  enden  Apparates.  Es  sind  solche  Complicationen  mit  Amblyopie 
oder  Amaurose  in  der  Mehrzahl  jener  Fälle  gegeben,  in  welchen  sich 
der  Staar  unter  dem  Einflüsse  von  Entzündungen  der  Binnenorgane  ent- 
wickelt und  ausgebildet  hat.  Bei  der  Cataracta  calcarea,  cholestearinica, 
fibrosa,  ossea  und  deren  Mischformen  ist  die  Amaurose  sogar  ein  fast  con- 
stq/nter  Begleiter. 

Gewöhnlich  deviten  unter  solchen  Umständen  gewisse  äusserlich  wahrnehm- 
bare Symptome  auf  jene  Alterationen  mit  grösserer  oder  geringerer  Bestimmtheit 
hin,  wie  z.  B.  auffällige  Härte  oder  Weichheit  des  Bulbus,  Erweiterung  der  im 
Episcleralgewebe  streichenden  Ciliargefässstämme,  beträchtliche  Verengerung  oder 
Erweiterung  der  Kammer,  Atrophie  der  Iris,  Unbeweglichkeit  oder  Trägheit,  Ver- 
schluss oder  Abschluss  der  Pupille  u.  s.  w.  Doch  können  einzelne  oder  mehrere 
dieser  Symptome  vorhanden  sein,  ohne  dass  Amblyopie  oder  Amaurose,  oder  über- 
haupt unheilbare  Alterationen  des  lichtempfindenden  Apparates  bestehen,  und  um- 
gekehrt kommen  gar  nicht  selten  sehr  tief  in  die  Organisation  der  betreffenden 
Theile  eingreifende  Processe  vor,  z.  B.  reine  Netzhautentzündungen,  Netzhautab- 
hebungen, entzündliche  Sehnervenleiden,  exsudative  Aderhautentzündungen  etc., 
welche  in  keinem  Stadium  ihres  Verlaufes  sich  durch  Veränderungen  der  ätisserlich 
sichtbaren   Theile    des   Bulbus    verrathen,     Ueberdies    resultiren    solche  Functions- 


Complicirende  Amaiirosc;  Prüfung  dos  Lichterapflndungsvermögens.  685 

störuugen  öfters  ans  angeborenen  Bildungsfelileni ,  worauf  ganz  besonders  bei  der 
Cataracta  adnata  Rücksielit  zu  nehmen  ist.  Bei  ein-'i eiligen  Staaren,  welclic  sich  in 
dem  Kindesalter  entwickelt  haben ,  ist  die  complicirende  Amblyopie  nicht  selten 
eine  blosse  Folge  der  dauernden   Vernachlässitjnng  des  Auges. 

Insoferne  nun  eine  derartige  Complication  von  allergrösstem,  ja  geradezu 
entscheidenden  EinÜusse  auf  die  Pi'ognose  ist,  ergibt  sich  aus  dem  Gesagten 
die  dringende  Mahnung,  bei  Gegebensein  einer  Cataracta  und  besonders 
vor  operativen  Eingriffen  nicht  nur  alle  objectiven  Erscheinungen  ,  welche 
auf  materielle  Veränderungen  der  gefässhältigen  Binnenorgane  des  Augapfels 
hindeuten,  auf  das  Sorgfältigste  zu  erforschen,  sondern  auch  die  suhjective 
Seite  des  Ivrankheitsbildes,  vornehmlich  das  Quantum  und  Quäle  der  Licht- 
empfindung, einer  eingehenden  Untersuchung  zu  unterziehen.  Ganz  vor- 
züglich nothwendig  ist  dies,  wo  ein  schön  entwickelter  Kapselstaar  neben- 
bei gegeben  ist. 

Wenn  man  die  Fuuctionstüchtigkeit  des  lichtempfindenden  Apparates  allein 
aus  der  Lebhaftigkeit  des  Sjiieles  der  Pupille  bemessen  wollte,  so  liefe  man  Gefahr, 
in  einer  nicht  ganz  geringen  Zahl  von  Fällen  diagnostischen  Irrthümern  anheim- 
zufallen; da  eben  der  Pupillarrand  nicht  selten  durch  hintere  Synechien  fixivt  ist 
und  anderseits  das  Lichtempfindungsvermögen  schon  um  ein  Bedeutendes  vermindert 
sein  kann ,  ohne  dass  die  Reaction  der  Pupille  auf  Lichtwechsel  sonderlich  ge- 
schwächt erscheint. 

Die  verlässlichsten  Schlüsse  dürften  sich  in  dieser  Beziehung  aus  der  Entfer- 
nung ziehen  lassen,  aus  welcher  ein  cataractöses  Auge  im  verdunkelten  Zimmer  das 
Licht  einer  Kerze  wahrzunehmen  im  Stande  ist.  Im  allgemeinen  gilt  als  Regel, 
dass  bei  gemischten  und  iceichen  Totalstaaren ,  wo  die  Dift'usion  des  aufi'allenden 
Lichtes  eine  vollständige  ist,  das  Hell  der  Lampe  auf  15  Fuss  und  etwas  darüber 
deutlich  unterschieden  wird,  worüber  man  sich  leicht  vergewissern  kann,  wenn  man 
die  Flamme  abwechselnd  deckt  und  wieder  freilässt.  Bei  unreifen  Cataracten,  bei 
ausgebildeten  Kernst aaren,  bei  Schichtstaaren,  so  wie  bei  der  Cataracta  discoidea 
und  siliquata  ist  unter  Voraussetzung  der  Normalität  der  übrigen  Bulbusorgane 
die  Distanz  natürlich  eine  grössere,  indem  hier  viel  directes  Licht  durchgeht  und 
sich  zu  einem  Spectrum  von  grösserem  scheinbaren  Glänze  concentrirt.  Wird  der 
nebenhergehende  Fehler  der  dioptrischen  Einstellung  durch  entsprechende  Brillen- 
gläser aufgehoben  und  das  Spectrum  sonach  verkleinert,  so  kann  die  Distanz,  in 
welcher  die  Lampe  wahrgenommen  wird ,  sogar  um  ein  Bedeutendes  wachsen. 
Besteht  hingegen  Amblyopie,  so  ist  jene  Entfernung  eine  vielmal  geringere  und  um 
so  kürzere,  je  höher  der  Grad  der  P\mctionsstörung  gediehen  ist.  Bei  angeborenen 
regressiven  flüssigen  Staaren  giltt  übrigens  auch  prompte  quantitative  Lichtemptindung 
keine  genügende  Grundlage  für  günstige  Prognosen.  Es  sind  solche  Cataracten 
nämlich  sehr  dünn,  durchscheinend  i;nd  zerstreuen  darum  wenig  Licht.  Hier  muss 
die  Unterscheidung  grösserer  Objecte  gefordert  werden,  wenn  es  sich  darum  handelt, 
Functionsstörungen  der  Netzhaut  auszuschliessen.  In  der  That  ist  es  nichts  Seltenes, 
dass  solche  Kranke  auch  kleinere  Objecte  ganz  gut  ausnehmen  (Qraefe), 

Von  Nutzen  ist  auch  der  Gebrauch  farbiger  Gläser,  welche  vor  das  zu  iinter- 
suchende  Auge  gehalten  werden,  indem  sich  aus  der  Fähigkeit,  verschiedene  Farben 
und  besonders  verschiedene  Töne  derselben  Farbe  zu  unterscheiden,  sehr  sichere 
Schlüsse  auf  den  Grad  der  Fuuctionstüchtigkeit  des  lichtempfindenden  Apparates 
basiren  lassen. 

Einschränkungen  und  Unteibrechungen  des  Gesichtsfeldes  wird  man  erkennen, 
wenn  man  die  Flamme  einer  Kerze  oder  eines  Wachsstockes  u.  dgl.  in  geringer 
Entfernung  vom  Auge  im  Gesichtsfelde  herumführt  und  die  Orte  bemerkt,  aus 
welchen  das  Licht  sehr  schwach  oder  gar  nicht  wahrgenommen  wird. 

Auch  die  subjectiven  Lichferscheinungen ,  welche  entzündliche  Processe  der 
tieferen  Binnenorgaue  des  Augapfels  sehr  oft  begleiten,  sind  wohl  zu  beachten. 
Doch  muss  hierbei  berücksichtiget  werden,  dass  im  Staarmagma  vorhandene  Chole- 
stearinkrysf ankaufen  bei  günstiger  Beleuchtung  ähnliche  Phänomene,  das  Sehen 
von  Funken,  farbigen  Ringen  u.  s.  w.  bedingen  können.  Der  Umstand,  dass  der- 
artige   subjective   Lichterscheinungen    blos    im    hellen   Lichte    hervortreten  und  von 


686  Cataracta;  Ursachen;  Cataracta  adnata;  Schichtstaar. 

der  Circulation  des  Blutes   unabhängig  sind,    lässt  sie  leicht  von  den  Aeusserungen 
krankliofler  Netzhauterregung  unterscheiden. 

Ursachen.  1.  Es  entwickelt  sich  der  Staar  meistens  ohne  alle  nach- 
loeisbare  örtliche    Veranlassung. 

a.  DerProcess  beginnt  öfters  schon  vor  Eintritt  der  allgemeinen  Involution 
des  Körpers,  im  Mannesalter,  in  der  Jünglings-  oder  Kindesperiode.  Nicht 
selten  wird  er  sogar  mit  auf  die  Welt  gebracht  {Cataracta  adnata)  und  ist 
dann  oft  mit  Bildungsfehlem  des  Augapfels,  z.  B.  mj-opischem  Bau,  Mikro- 
phthalmie etc.  oder  mit  den  Folgen  intrauterinaler  Iridochorioiditis  [Pagenstecher) 
und  darin  begründeten  Functionsstörungen  der  Binnenorgane,  namentlich 
der  Netzhaut ,  rergesellschaftet.  In  manchen  Fällen  lässt  sich  eine 
Vererbung  des  Uebels  nachweisen  ;  doch  kommen  auch  staarfreie  Eltern- 
paare vor,  deren  Ejnder  in  der  Mehrzahl  oder  Gesammtheit  frühzeitig  an 
Staar  erkranken,   oder  cataractös  geboren  werden   {Hasner,   Froebelius,   Schön). 

Die  aller  gewöhnlichste  Cataractform  des  jugendliehen  Alters  ist  der 
Schichtstaar.  Es  zeigt  sich  derselbe  in  den  früheren  Lebensperioden  weitaus 
häufiger,  als  alle  anderen  Staarformen  zusammengenommen.  Ihm  reiht  sich, 
was  die  Häufigkeit  anbelangt,  der  weiche  und  flüssige  Totalstaar  mit  seinen 
mannigfaltigen  secundären  Wandlungen  an.  Weiche  Kernstaare  und  die 
übrigen  partiellen  Cataracten,  so  weit  sie  auf  spontaner  Bildung  beruhen, 
sind  schon  recht  seltene  Erscheinungen. 

Der  Schichtstaar  wird  in  einem  höchst  auffälligen  procentarischen  Verhält- 
nisse beobachtet  neben  Zeichen  vorausgegangener  Erkrankungen  des  Gehirnes  und 
seiner  Häiite ,  neben  rachitischen,  durch  Querriffung  der  Flächen  ausgezeichneten 
Zähnen,  neben  hydrocephalischer  Schädelform  und  öfters  auch  neben  ungenügen- 
der geistiger  Entwickelung.  Man  glaubt  daher  mehrseitig,  ihn  aus  Functions- 
störungen des  Gehirnes  ableiten  zu  müssen,  indem  man  annimmt,  dass  diese  durch 
gewisse  zeitweilige  Alterationen  der  Gesammternährung  einen  nachtheiligen  Ein- 
fluss  auf  die  in  der  Entwickelung  und  im  Wachsthume  begriffenen  Fasern  der 
Linse  so  wie  des  Zahnschmelzes  ausüben  (Homer,  DavidsenJ.  Andere  halten  dafür, 
dass  der  Schichtstaar  immer  erst  nach  der  Geburt  zu  Stande  komme,  und  meinen, 
dass  starke  Erschüttei-ungen  des  Linsensystemes  bei  Convulsionen,  beim  Keuch- 
husten u.  s.  w.  den  nächsten  Grund  abgeben  (ArltJ.  Es  ist  bei  diesen  Hypothesen 
allerdings  schwer  zu  begreifen,  wie  die  erwähnten  pathogenetischen  Momente  auf 
einzelne,  dem  Kern  nahe  Schichten  wirken  sollen,  während  die  anderen  unberührt 
bleiben.  Die  Voraussetzung  nämlich ,  dass  die  den  Schichtstaar  bildenden  Faser- 
lagen erst  nach  der  Geburt,  zur  Zeit  der  Einwirkung  jener  Schädlichkeiten,  ent- 
stehen und  der  Linse  von  Aussen  her  angelagert  werden,  ist  eine  falsche;  da  der 
Krystall  im  extrauterinalen  Leben  nur  in  äquatorialer,  keineswegs  aber  in  sagittaler 
Richtung  wächst  (S.  660).  Immerhin  besteht  die  Fähigkeit  der  periuuclearen 
Schichten,  sich  isolirt  zu  trüben,  als  unzweifelhafte  Thatsache  und  kömmt  auch  in 
der  Entwickehtng  des  Linsengreisenbogens  zum  objectiven  Ausdrucke.  Man  hat  den 
letzteren  Umstand  sogar  benützt,  um  den  Schicht-  und  den  Kernstaar  pathogenetisch 
iiahe  vericandt  darzustellen  (Förster).  Uebrigens  wurde  die  Ausbildung  der  Peri- 
nuclearcataracta  auch  als  Folge  der  Iritis,  so  wie  an  luxirten  Linsen  beobachtet 
(Graefe,  Hirschmann).  Es  kann  wohl  sein,  dass  der  statistisch  gut  begründete  Zu- 
sammenhang zwischen  Schichtstaar  und  Gehirnleiden  schon  aus  der  fötalen  Periode 
herrührt  und  der  erstere  gewöhnlich  blos  in  der  Anlage  zur  Welt  gebracht  wird, 
um  dann  bei  einer  die  Ernährungsverhältnisse  der  Linse  beeinträchtigenden  Ge- 
legenheit hervorzutreten.  Die  autfällige  Häufigkeit,  in  welcher  der  Schichtstaar  sich 
bei  der  stets  angeborenen  Ectopie  und  in  spontan  luxirten  Linsen  einstellt,  so 
wie  die  constante  Doppeheitigkeit  desselben  sprechen  einer  solchen  Ansicht  das 
Wort. 

b.  In  der  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  kömmt  es  erst  jenseits  des  45. 
Lebensjahres,    nach    Eintritt    der    allgemeinen     Involution,     zur  Staarbildung ; 


Cataracta  senilis,  diabetica,  ergotita.  687 

daher  diese  denn  auch  vornehmlich  als  eine  Greisenkrankheit  gilt.  Die 
Männer  leiden  in  einem  grösseren  procentarischen  Verliältnisse  als  die 
Weiber.  Es  scheint,  dass  atheromatöse  Degenerationen  der  Gefässe  in  den 
vorderen  Netzhautpartien  und  iu  der  CÜiorioidea  (Mooren)  dabei  eine  sehr 
wichtige  Rolle  spielen.  Jedenfalls  ist  es  sehr  beachtenswerth,  dass  senile 
Cataracta  und  Netzhautödem  so  häufig  oombinirt  gefunden  werden.  Letzteres 
hat  aber  seine  hauptsächlichste  Quelle  eben  in  jenen  Gefässentartungen 
(Iwanoff). 

c.  J]s  ist  möglich,  dass  ausschweifendes  Leben,  übermässiger  dauernder 
Kummer,  die  Säufer-  und  Wechselfieber-Cachexie,  Blutarrauth  (Mooren) 
etc.  mit  zu  den  entfernteren  Ursachen  des  Staares  gerechnet  werden 
dürfen,  oder  wenigstens  das  Auftreten  des  cataractösen  Processes  be- 
schleunigen und  begünstigen.  Es  stimmt  damit  die  Beobachtung  übereiu, 
nach  welcher  cataractöse  Individuen  diesseits  der  öOger  Jahre  häufig  sehr 
geschwächte,   elende,   herabgekommene,  kränkliche  Leute  sind. 

Sicher  besteht  ein  solcher  ätiologischer  Zusammenhang  zwischen  Catai'acta 
und  der  Zuckerruhr,  Diabetiker,  besonders  Männer  (Leeorch4),  werden  in 
einem  auffallend  hohen  procentarischen  \'erhältnisse  staarblind  und  dieses 
zwar  in  einem  Lebensalter,  in  welchem  sonst  der  Beginn  eines  cataractösen 
Processes  zu  den  Ausnahmen  gehört. 

Es  ist  nicht  der  erwiesene  Zuckergehalt  (Carius)  oder  die  mehrseitig  behauptete 
Säuerung  der  dioptrischen  Medien,  welche  etwa  auf  chemischein  Wege  den  Zerfall 
der  Linse  bedingen,  sondern  die  hochgradige  Depascenz  des  Gesammtorganismus, 
welche  sich  gleich  der  vorgerückten  senilen  Involution  auch  in  der  Linse  geltend 
macht,  wie  daraus  hervorgeht,  dass  die  Cataracta  fast  immer  nur  bei  selir  hoch- 
gradig entwickeltem  Diabetes  und  erst  in  den  späteren  Stadien  der  Krankheit,  nach- 
dem der  Körper  sehr  herabgekommen  ist,  und  oftmals  zu  einer  Zeit  auftritt,  in 
welcher  die  Zuckerproduction  schon  sehr  ahgenoimnen  hat  (Lecorchd). 

Es  hat  übrigens  der  Staar  der  Diabetiker  keine  anafoviischen  Besonderheiten. 
Er  ist  meistens  ein  weicher  und  entwickelt  sich  rasch,  weil  die  Zuckerruhr  ge- 
wöhnlich Individuen  im  Jünglings-  oder  im  kräftigen  Mannesalter  befällt.  Kömmt 
der  Diabetes  im  höheren  Alter  zum  Ausbruche,  so  ist  auch  der  davon  abhängige 
Staar  ein  gemischter  mit  grossem  sctevosirten  Kerne. 

EigenthUmlich  und  vor  therapeutisclien  Eingriffen  wohl  zu  berücksichtigen 
ist  indessen  die  verhältnissmässig  grössere  Häufigkeit  der  Complication  mit  Am- 
blyopie. Es  geht  die  letztere  in  den  meisten  Fällen  vom  Gehirne  oder  von  einem 
oder  dem  anderen  Sehnerventruncus  aus  und  charakterisirt  sich  gleich  den  anderen 
Cerebralamauroseu  durch  Verdunkelung  im  Gesichtsfelde  und  durch  die  Erschei- 
nungen des  Schwundes  im  Sehnerveneintritte,  durch  dessen  hellere  weisse  Färbung, 
grössere  Opacität,  auffällige  Verdünnung  der  arteriellen  Centralgefässstücke  etc. 
(LecorcJie). 

Es  braucht  nicht  erst  erwähnt  zu  werden ,  dass  diese  Amblyopie  auch  ohne 
Cataracta  bei  Diabetikern  auftritt  und  dass  die  effective  Störung  des  Gesichtes  unter 
allen  Verhältnissen  um  so  grösser  ausfallen  müsse,  als  bei  dem  allgemeinen  Ver- 
falle des  Nerven-  und  Muskelsystemes  fast  constant  eine  wahre  Parese  oder  Paralyse 
des  Accommodationsapparates  neben  hochgradigem  Diabetes  einhergeht.  (S.  245.) 

In  neuerer  Zeit  ist  auch  die  Kriehelkrankheit  (Raphanie,  Ergotismus) 
als  eine  Ursache  der  Cataractbildung  nachgewiesen  worden  (J.  Meyr). 
Der  Staar  entwickelt  sich  meistens  langsam  und  ist,  insoferne  die  Grund- 
krankheit am  häufigsten  jugendliche  Individuen  befällt,  in  der  Regel 
ein  weicher. 

Es  ist  noch  nicht  ausgemacht,  ob  das  Gift  vermöge  seiner  specifischen  Ein- 
wirkung auf  das  Ciliarsystem  die  Ernährung  des  Krystalles  beeinträchtigt,  oder  ob 
die  Krämpfe,  welche  als  Hauptsymptom  des  ganzen  Leidens  fungiren,  auf  mecha- 
nische Weise  zur  Cataracta  führen. 


ß38  Cataracta ;  Ursachen  ;  Entzündungen;  Blutextravasate ;  Cataracta  nigra. 

Tu  einem  Thale  des  Bregenzer  Waldes  wurde  bei  3  Familien  die  wahr- 
scheinlich erbliche  Entwickelung  einer  eigenthümlichen  Hautkrankheit  und  eines 
constant  damit  verbundenen  Staares  beobachtet.  Die  Hautkrankheit  zeisrt  sich 
immer  in  den  ersten  Lebensmonaten,  und  ist  durch  eine  marmorartig  gezeichnete 
Röthung,  welche  später  zu  netzförmigen  Narben  führt  und  in  einer  fettigen  De- 
generation des  Papillarkörpers  und  Rete  Malpighi  zu  bestehen  scheint,  charak- 
terisirt.  Mit  dem  vierten  bis  sechsteu  Lebensjahre  kömmt  es  dann  immer  zur 
Staarbildung  und  zwar  an  beiden  Augen  rasch  nach  einander  {Rothmund). 

2.  In  einer  anderen  Reihe  von  Fällen  liegt  die  nächste  Ursache  der 
Staarbildung  in  Entzündungen  der  Binnenorgane  des  Augapfels,  insbesondere 
der  Vordertheile  der  Gefässhaut.  Es  kann  die  Entzündung  iu  mannigfaltiger 
Weise  die  Quelle  von  I^utritionsstörungen  der  Linse  werden  und  so  auf 
verschiedenen  Wegen  zur  Cataracta  führen. 

Oftmals  wird  die  Zellenschichte  der  Kapsel  und  selbst  die  Linse  in 
entzündliche  Mitleidenschaft  gezogen,  dadurch  in  ihrer  Organisation  wesent- 
lich alterirt  und  so  eine  unerlässliche  Bedingung  zum  normalen  Fortbestände 
des  Krystalles  aufgehoben.  In  anderen  Fällen  wird  die  Cataracta  zunächst 
dadurch  begründet,  dass  der  entzündliche  Process  mit  dem  Schwunde  der 
gefässreichen  Binnenorgane  des  Augapfels  endet  und  solchermassen  die  Haupt- 
quelle der  Ernährungsstoffe  für  die  Linse  verstopft  wird.  Sehr  oft  liegt 
der  nächste  Grund  der  Staarbildung  in  Beeinträchtigungen  des  freien  Stoff- 
austausches wegen  Productauflagerungen  auf  die  Vorderkapsel.  Wenn  solche 
Producte  einen  grösseren  Theil  der  Kapsel  decken,  geht  meistens  die 
ganze  Linse  staarig  zu  Grunde.  Beschränken  sich  aber  die  Auflagerungen 
auf  eine  kleine  Quote  der  Kapseloberfläche,  so  bleibt  wohl  auch  der  Staar 
ein  partieller. 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  in  vielen  Fällen  diese  pathogenetischen 
Momente  bei  der  Erzeugung  und  weiteren  Ausbildung  des  Staares  zusammenwirken. 

Ob  VerDiischung  des  KamTneric assers  mit  extravasirtem  Blute  u.  s.  w.  an  ioid 
für  sich  eine  Staarbildung  bedingen  könne,  ist  nicht  ganz  entschieden.  Wahr- 
scheinliclier  ist  es,  dass  die  nebenhergehende  Entzündung  und  die  Auflagerung  von 
Gerinnseln  auf  die  Vorderkapsel  den  Grund  abgeben. 

Mitunter  nehmen  massige  Blutextravasate  im  Kammerraume  einen  sehr  eigen- 
thümlichen und  nachhaltigen  Einfluss  auf  die  iceitere  Gestaltung  einer  sich  ent- 
wickelnden Cataracta.  Es  dringt  nämlich  das  im  Kammerwasser  gelöste  Humatin 
durch  die  Kapsel  und  färbt  die  oberflächlichen  Schichten  der  allmälig  zerfallenden 
Linse  roth.  Später  scheidet  es  sich  im  Staarmagma  theilweise  wieder  aus  und 
man  findet  es  dann  gewöhnlich  massenhaft  unter  der  Gestalt  dunkler  pigment- 
ähnlicher Körnchen  und  Grumen  im  Sfaarbreie  eingelagert  (Beger).  Seltener  stösst 
man  auf  Gruppen  schöner  dunkelpurpurner  oder  schwarzer  Hämatoidinkrystalle. 
Bei  der  secundären  Metamorphose  wird  das  Magma,  wohl  in  Folge  der  compliciren- 
den  Entzündungen,  sehr  dicht,  fast  knorpelhart,  ohne  sehr  an  Volumen  abzunehmen, 
daher  solche  Staare  meistens  sehr  (/ros*  erscheinen.  Gleichzeitig  gewinnt  aber  wegen 
Resorption  der  löslich  gewordenen  Bestandtheile  das  umgewandelte  Hämatin 
immer  mehr  das  Uebergewicht  und  gibt  endlich  der  Oberfläche  des  Staares  eine 
purpurbraune  bis  dintenschwarze  Farbe.  Da  das  Hämatin  nicht  bis  zum  Kerne 
vordringt,  sind  die  Veränderungen  des  letzteren  auch  die  gewöhnlichen,  doch 
scheint  er  öfter  zu  scla'osiren.  Mau  hat  solche  Staare  ganz  vorzüglich  unter  dem 
Namen  y,Cataracta  nigra*^  beschrieben  und  mit  Recht  strenge  gesondert  von  jenen 
schwarzen  Kernstaaren  (S.  665),  welche  nichts  anderes  als  der  Ausdruck  einer 
sehr  weit  vorgeschrittenen  Sclerose  sind.  Ihre  Erkennung  ist  bei  Benützung  der 
schiefen  Focalbeleuchtung  und  des  Augenspiegels  nicht  schwer;  die  erstere  lässt 
sehr  deutlich  den  braunen  oder  grauschwarzen  Ton,  den  matten  Glanz  und  die 
durch  die  Reste  des  Gerinnsels  allenfalls  bedingten  Unebenheiten  der  Linsenober- 
fläche zur  Wahrnehmung  bringen  und  durch  den  Augenspiegel  erweist  sich  die 
absolute  Opacität  der  Pupille.  Bei  der  Untersuchung  mit  dem  freien  Auge  indessen 
kann  wegen  der  dunklen  Färbung  der  Pupille    der  Staar  leicht  übersehen  werden, 


Verletzungen  des  Linsensysteraes;  Cataracta  traumatica.  689 

namentlich  wenn  die  Pupille  sehr  eng  ist.  Der  Zustand  wird  dann  gerne  für  eine 
hochgradige  Amhlijoine  gehalten.  Es  ist  diese  übrigens  eine  geiröhuliclie  Coinpli- 
cation,  erstlich  weil  Extravasate  in  der  Kammer  oft  mit  Hämorrhagien  in  der 
Ader-  und  Netzhaut  vergesellschaftet  sind,  zweitens  weil  massenhafte  Blutaustretungen 
gerne  secundär  durch  Schwund  der  Theile  zu  Functionsstörungen  des  Auges  Ver- 
anlassung geben. 

3.  Eine  sehr  wichtige  KoUe  in  der  Aetiologie  der  Cataracta  spielen 
Verletzungen  des  Linsensystems. 

a.  Feine  Stiche,  welche  nicht  tief  eindringen,  verheilen  in  einzelnen 
Fällen,  ohne  irgend  eine  Spur  zu  hinterlassen.  Es  pflegt  sich  dann  kurz 
nach  der  Verletzung  rings  um  die  Wunde  eine  Trübung  einzustellen, 
welche  grössten  Theils  durch  die  Wucherung  der  nachbarlichen  Linsen- 
elemente bedingt  wird  und  später  wieder  verschwindet,  indem  die  proli- 
ficirenden  Zellen  alsbald  zur  Norm  zurückkehren.  Oefter  jedoch  führt  diese 
Wucherung  zu  einer  bleibenden  Trübung,  in  deren  Mitte,  an  der  Stelle  der 
Kapselwunde,  man  eine  dichtere  narbenähnliche  fettigkalkige  Masse  findet, 
es  ist  eine  partielle   Cataracta  traumatica  gegeben. 

Indem  nämlich  die  den  Stichkanal  umgebenden  Linsentheile  zerfallen  und 
sich  aufblähen,  treten  sie  in  die  Kapselwunde  hinein,  oder  erheben  sich  wohl 
auch  etwas  über  deren  Ränder  (Krystallflocke) ,  werden  später  theilweise  resorbirt, 
theilweise  aber  verkalken  sie,  besonders  wenn  heftigere  Entzündungen  mitwirken. 
So  entsteht  eine  Art  Pfropf,  welcher  die  Kapselwunde  narbenähnlich  schliesst, 
oftmals  aber  tief  in  die  Linsensubstanz  eindringt  und  mit  einer  neoplastischen 
glashäutigen  Schichte,  einer  unmittelbaren  Fortsetzung  der  Kapselwundränder,  über- 
kleidet zu  sein  pflegt. 

Ausnahmsweise  geschieht  es,  dass  ausgehreitete  Trübungen  der  Linse,  selbst 
solche,  welche  durch  gröbere  Verletzungen,  z.  B.  das  Eindringen  eines  Bolzens, 
veranlasst  wurden,  sich  bis  auf  geringe  Reste  wieder  aufhellen  und  eine  ver- 
hältnissmässig  unbedeutende  Störung  des  Sehvermögens  zurücklassen  {Ressl,  Rydl, 
Colsmann). 

In  den  meisten  Fallen  aber  reicht  eine  noch  so  feine  Kapselwunde  beim 
Menschen  hin,  um  die  ganze  Linse  zum  staarigen  Zerfalle  zu  bringen.  Es 
geht  dieser  Process  immer  unter  einiger,  oft  unter  einer  sehr  aufTälligen, 
Volumsvergrösserung  der  sich  zersetzenden  Krystallsubstanz  einher.  In 
Folge  dieser  Blühung  reisst  die  Kapsel  nicht  selten  von  den  Wundwinkeln 
aus  weiter  ein,  ein  Theil  der  Staarmasse  drängt  sich  hervor  und  wird 
resorbirt,  während  die  Kapselzipfel  sich  zurückziehen  und  durch  den  ver- 
kalkenden Rest  der  Cataracta  unter  einander  verklebt  werden.  Das  Resultat 
ist  eine  secundäre  traumatische  Cataracta.  Wo  aber  die  Kapsel  nicht  weiter 
einreisst,  wird  deren  Wunde  bald  durch  die  secundär  metamorphosirenden 
Staarreste  geschlossen  und  die  Cataracta  je  nach  den  Dichtigkeitsverhaltnissen 
des  Krystalles  durch  secundäre  Metamorphosen  in  einen  Kernstaar  mit  fettig- 
kalkiger Oberfläche,  in  einen  scheibenförmigen  oder  trockenhülsigen  Staar  ver- 
wandelt. 

Da  übrigens  die  Verletzung  an  sich  häufig  direct  zu  heftigen  Entzündungen 
der  gefässreichen  Binnenorgane  des  Bulbus  führt,  oder  diese  indirect  an- 
regt durch  die  Blähung  der  Staarmasse  und  durch  die  so  bedingte  mechanische 
Reizung  der  Iris,  so  kömmt  es  auch  häufig  zu  eigentlichen  Kalkstaaren 
oder  zu  fibrösen  Cataracten,  welche  in  der  Regel  mit  ausgebreiteten  oder 
totalen  hinteren  Synechien  des  Pupillarrandes  verknüpft  sind.  Häufig  findet 
man  dann  die  L-is  und  die  Linse  durch  derbe  sehnige  Balken  oder  Blätter 
mit  der  Cornealnarbe  verwachsen.  Ueberdies  wird  der  Bulbus  sehr  gewöhn- 
lich atrophirt  wegen  Theilnahme  seiner  sämmtlichen  Bestandtheile  am  ent- 
stell w  a  g ,  Augenheilkunde.  44 


690  Cataracta;  Ursachen;  Verletzungen;  Eingedrungene  fremde  Körper. 

zündliclieu  Processe.  Diese  ist  sogar  in  nicht  wenigen  Fällen  so  intensiv, 
dass  das  Endresultat  eine  wahre  Phthise  wird. 

6.  Je  grösser  die  Kapsehcunde,  um  so  sicherer  kömmt  es  zum  Total- 
staare und  den  letztgenannten  Ausgängen  der  Entzündung,  weil  dann  die 
Kapselwundränder  sich  iceit  zurückziehen  können,  ein  grösseres  Stück  der 
Linse  blosgelegt  wird,  der  Humor  aqueus  demnach  einen  grösseren  Einfluss 
gewinnt,  folgerecht  also  auch  die  staarige  Zerfallung  eine  raschere  und  die 
Blähung  eine  bedeutendere  ist.  Besonders  gefährlich  sind  insoferne  Kapsel- 
wunden bei  Individuen  jenseits  der  Pubertätsperiode,  wo  die  Linse  schon 
zu  einem  gewissen  Grade  von  Dichtigkeit  gelangt  ist.  Bei  Kindern  reizen 
geblähte  Linsen  wenio^er,  vielleicht  weil  sie  weniger  Consistenz  haben  und 
weil  auch  die  Resorption  eine  wahrhaft  rapide  ist,  die  Schädlichkeit  also 
verhältnissmässig  viel  kürzere  Zeit  dauert.  In  der  That  wird  bei  Kindern 
eine  verletzte  Linse  viel  häufiger  wieder  grossen  Theils  aufgesaugt,  ohne 
dass  der  Bulbus  durch  Entzündungen  übermässig  gefährdet  würde,  als  bei 
Erwachsenen. 

Uebrigens  kommen,  wenn  auch  sehr  selten,  doch  Fälle  vor,  wo  die  Kapsel 
in  grosser  Ausdehnung  und  selbst  durch  eine  grössere  Anzahl  von  sich  kreuzenden 
Schnitten  oder  Rissen  getrennt  und  die  Linse  tief  eingeschnitten  worden  war,  trotz 
allem  dem  aber  nur  eine  partielle  Cataracta  resultirt,  in  der  man  die  einzelnen 
Wunden  noch  au  entsprechenden  blattartigen,  senkrecht  auf  die  Oberfläche  ge- 
stellten, dichten  sehnenähnlichen,  theilweise  fettigkalkigen  Einlagerungen  erkennt, 
welche  von  wolkig  trüben  Massen  umgeben  sind  und  sich  deutlich  von  dem  durch- 
sichtig gebliebenen,  meistens  aber  etwas  vergilbten  und  sulzähnlich  weichen  Lin- 
senreste abheben. 

c.  Am  schlimmsten  sind  wohl  vertinr einigte  Wunden,  welche  oft  gesetzt 
werden,  wenn  kleine  Metallsplitter.  Theile  von  explodirten  Kupferzünd- 
hütchen, Pulverkömer  (Mackenzie)  etc.  mit  grosser  Gewalt  an  die  vordere 
Bulbusfläche  anspringen  und,  nachdem  sie  die  Cornea  mit  oder  ohne  die 
Iris  durchbohrt  haben,  in  dem  Krystalle  stecken  bleiben.  Es  haften  diese 
Körper  bisweilen  ganz  oberflächlich  in  der  Kapsehcunde.  Wenn  dann  die 
umgebende  Linsenpartie  staarig  zerfällt,  werden  sie  aus  der  Wunde  gedrückt, 
fallen  im  Kammerraume  zu  Boden  und  fühi-en  den  Bulbus,  da  sie  nicht 
leicht  gefunden  und  entfernt  werden  können,  unter  den  fürchterlichsten 
Qualen  zur  Atrophie  oder  Phthise.  Oefters  jedoch  dringen  sie  tiefer  in  die 
Linse  ein  und  werden  alsbald  von  dem  cataractösen  Magma  vollkommen 
eingehüllt.  Xur  in  den  allerseltensten  Fällen  erfolgt  dann  wieder  eine  Auf- 
hellung bis  auf  die  nächsten,  den  Eindringüng  umgebenden  Theile,  so  dass 
das  Sehvermögen  halbwegs  hergestellt  wird  (Ressl,  Wagner,  Wecker).  In 
der  Regel  kömmt  es  zum  Totalstaare,  ja  gewöhnlieh  entwickelt  sich  eine 
sehr  heftige  Entzündung,  welche  den  Bulbus  völlig  zu  Grunde  richten  kann, 
zum  mindesten  aber  ausgebreitete  hintere  Synechien  des  Pupillarrandes  mit 
sich  bringt  und  die  Wandlung  des  Totalstaares  in  einen  Kalkstaar  oder 
fibrösen  Staar  verursacht.  Ein  wichtiges  Symptom  in  den  späteren  ^'er- 
laufsstadien  dieser  Staare  ist  die  tief  orangegelbe  oder  rostrothe  Färbung 
der  Kapselnarbe  und  ihrer  Umgebung.  Wo  sich  diese  Färbung  findet,  kann 
man  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  auf  das  Vorhandensein  eines  metallischen 
Körpers  im  Staare  rechnen.  Es  kömmt  dieses  der  Diagnose  um  so  mehr 
zu  gute,  als  die  Eomhautwunde  nicht  immer  eine  kennbare  Narbe  hinter- 
lässt  und  als  die  Ki-anken  bisweilen  gar  nicht   einmal  von  einer  vorausge- 


Entozoen;  Cornealdurehbrucli ;  Zonulaberstung.  691 

gaiigenen    Verletzung  etwas  wissen,   da  die  letztere  oftmals  mit  ganz  unbe- 
deutenden  Schmerzen  verknüpft  ist  und   daher  übersehen  wird. 

4.  In  einzelnen  liöchst  seltenen  Fällen  liat  man  als  Ursache  der  Slaar- 
bildung  Entozoen  gefunden,  welche  sich  durch  die  Kapsel  in  die  Linse  ein- 
gebohrt    hatten.      Es    waren     dies     theils    Bund-,    theils    Plattwürmer    und 

•  wurden  als  Filaria  oculi  humani,  Monostoma  lentis  und  Distoma  oculi  humani 
beschrieben  (Nordmann,  Gescheidt).  In  jüngster  Zeit  ist  auch  ein  Cysti- 
cercus  im  Krj'stalle  gefunden  worden   (Graefe). 

5.  Eine  weitere  Quelle  von  Cataracten  liegt  in  centralen  Durchbrachen 
der  Hornhaut.  Ist  die  hintere  Geschwürsöffnung  eine  sehr  kleine,  so  wird 
die  Vorderkapsel  auch  nur  in  sehr  geringem  Umfange  mit  der  Cornea  ver- 
löthet  und  die  Verbindung  unter  dem  Drucke  des  sich  sammelnden 
Kammerwassers  leicht  wieder  aufgehoben,  worauf  der  an  der  Kapsel  haften 
bleibende  Pfropftheil  entweder  resorbirt  wird,  oder  einen  Centralkapselstaar 
veranlasst  (S.  94).  Uebersteigt  der  Durchmesser  die  Perforationsöffnung 
aber  etwa  eine  halbe  Linie,  so  ist  die  Losreissung  der  Kapsel  viel 
schwieriger,  in  vielen  Fällen  bleibt  die  Linse  durch  den  Narbenpfropf  mit 
der  Cornea  und  oft  auch  mit  dem  Pupillarrande  verwachsen  (Fig.  6,  S.  95) 
Sie  geht  dann  in  der  Regel  sehr  bald  staarig  zu  Grunde  und  macht  ihre 
secuudären  Metamorphosen  unter  dem  Einflüsse  des  die  Verwachsung  ver- 
mittelnden Entzündungsprocesses  durch,  wird  also  meistens  eine  kalkige  oder 
fibröse  Cataracta,  deren  beträchtliche  Schrumpfung  durch  tiefe  Falten  der 
Kapsel,  welche  häufig  strahlenförmig  um  den  A'erbindungspfropf  angeordnet 
sind,  zum  Ausdrucke  kömmt  und  stets  auch  mit  bedeutender  Zerrung  und 
Verbreiterung  der  Zonula  verknüpft  ist. 

Oftmals  geschieht  es  bei  grösseren  Diirchbriichen,  dass  die  in  die  Oeftnung 
vorgedrängte  Kapselpartie  uuter  dem  Drucke  momentaner  Muskelcontractioueu 
herstet  und  dass  ein  Tlieil  oder  fast  die  ganze  Linse  entleert  wird,  während  die 
Kapsel  zurückbleibt;  ja  bisweilen  reisst  sogar  auch  die  Jdntere  Kapsel  ein  und  es 
ergiesst  sicli  eine  grössere  oder  kleinere  Portion  des  Glaskörpers.  Es  kann  aus- 
nahmsweise unter  solchen  Verhältnissen  geschehen,  dass  nur  ein  Theil  des  Linsen- 
restes staarig  zerfällt,  das  Uebrige  aber  durchsichtig  bleibt,  also  eine  Cataracta 
partialis  resultirt.  In  der  Regel  jedoch  wird  der  ganze  Linsenrest  cataractös  und 
zum  grössfen  Theile  aufgesaugt.  Man  findet  dann  am  Ende  den  Staar  in  Form 
eines  unregelmässig  gestalteten,  hanf-  oder  pfefferkorngrossen,  kalkigen  oder  knnrpel- 
ähnlichen  Knötchens  mit  dem  Pupillarrande  an  der  Horuhautnarbe  angewachsen. 
Wenn  nach  erfolgter  Verlöthixng  der  Linse  die  Cornea  oder  die  Narbe  selber  ectatisch 
wird,  so  muss  die  Linse  vermöge  der  Festigkeit  des  verbindenden  Pfropfes  natür- 
lich nach  vorne  folgen,  die  Zonula  wird  immer  mehr  gedehnt  und  am  Ende  ringsum 
eingerissen,  so  dass  die  Cataracta  nur  mehr  an  der  Narbe  in  der  Concavifät  des 
Staphylomes  haftet  (Fig.  45,  46,  S.  382,  Fig.  48,  S.  387). 

6.  Endlich  sind  violente  Zusammenhangstrennungen  des  Strahl enblättchens 
unter  den  Ursachen  des  Staares  zu  erwähnen.  Es  können  dieselben  durch 
Erschütterungen,  welche  sich  von  dem  Knochengerüste  auf  das  Auge  fort- 
pflanzen und  die  Zonula  sammt  den  dioptrischen  Medien  in  starke  Schwingungen 
versetzen,  begründet  werden.  Am  häufigsten  werden  sie  jedoch  veranlasst 
durch  die  directe  Einwirkung  stumpfer  Gewalten  auf  das  Auge,  z.  B.  durch 
einen  Peitschenhieb,  einen  Schlag,  einen  Stoss,  welche  den  Bulbus  nach 
einer  Richtung  hin  zusammendrücken  und  vermöge  der  Incompressibilität  der 
dioptrischen  Medien  eine  compeusatorische  Ausdehnung  der  übrigen,  nicht 
unmittelbar  von  der  mechanischen  Gewalt  geti'offenen  Portionen  der  Bulbus- 

44* 


692       Cataracta;   Ursachen;  Zonnlaherstung- ;   Zitter-  und  Schwimmstaar ;   Vorfall  der  Linse. 

wand,  also  eine  momentane  Vergrösserung  des  Ursprungskreises  des  Strahlen- 
blättchens  mit  sich  bringen. 

a.  In  einzelnen  Fällen  ist  der  Riss  ein  partieller.  Derselbe  kann  dann  viele 
Jahre  verborgen  bleiben,  da  er  nicht  nothwendig  binnen  kurzer  Zeit  zur  Staar- 
bildung  führt.  Bei  genauerer  Untersuchung  wird  man  indessen  ai;f  ihn  aufmerksam 
gemacht  werden  durch  das  starke  Schwanlcen  der  Iris  bei  raschen  Bewegungen 
des  Bulbus,  durch  das  Yorgedrängtsein  der  einen  und  das  Zurücktreten  der  anderen 
Regenbogenhauthälfte;  durch  die  Sehstörungen,  welche  aus  der  Schiefstellung  und 
der  mangelhaften  Fixation  der  Linse  resultiren ;  durch  die  stark  myopische  Einstel- 
lung des  Auges,  welche  eine  Folge  der  bei  Continuitätstrennungen  der  Zonula 
Constanten  Convexitätsvermehrung  der  Linse  ist;  endlich  durch  den  gänzlichen 
Mangel  der  Accommodation.  Bei  Erweiterung  der  Pupille  wird  wohl  auch  die 
fehlerhafte  Stellung,  die  Neigung  oder  Senkung  der  Linse  direct  zum  Vorscheine 
kommen.  In  der  Folge  entwickelt  sich  bisweileu  der  Schichtstaar  (Chaefe),  häufiger 
aber  eine  Total  Cataracta.  Hat  einmal  die  Staarhildung  begonnen.,  so  unterliegt  die 
Diagnose  keinerlei  Schwierigkeiten  und  wird  um  so  leichter,  je  weiter  die  secundären 
Metamorphosen  vorschreiten,  indem  dann  der  Staar  durch  Schrumpfung  oft  ganz 
imregelmässig  gestaltet  wird  und  die  Zonula  von  den  Wundwinkeln  aus  immer 
weiter  eiiirei.sst,  also  auch  das  Schicanken  der  Iris  und  des  Staares  (Cataracta 
treimdans,  Zitterstaar)  zunimmt,  bis  endlich  der  letztere  frei  wird  und  in  die  Vorder- 
kammer  fällt  oder,  bei  mittlerweile  eingetretener  Verflüssigung  des  Glaskörpers, 
frei  im  Auge  henivischiceift  (Cataracta  natans,  Schicimnutaar)  und  eine  mechanische 
Ursache  continuirlicher ,  oder  fort  und  fort  recidivirender  Entzündungsprocesse 
abgibt. 

b.  In  anderen  Fällen  reisst  sich  der  Krystallkörper  gleich  von  vorneherein 
ringsum  los  und  wird  in  die  Vorderkammer  getrieben,  wo  er  zwischen  der  Iris  und 
der  Cornea  eingekeilt  liegen  bleibt.  Die  Regenbogenhaut  erscheint  dann  stark  nach 
rückwärts  gedrängt,  ihre  Wölbung  ist  verkehrt;  die  Pupille  ist  meistens  etwas  er- 
weitert und  unbeweglich;  die  Linse,  welche  unter  Verkürzung  ihres  Durchmessers 
eine  mehr  kugelige  Form  annimmt,  macht  sich,  so  lange  sie  ihre  Durchsichtigkeit 
bewahrt,  durch  ihren  eigeuthümliclien  Reflex,  besonders  durch  den  Schattenring 
bemerklich,  welcher  hinter  ihrem  freien  Rande  zur  Wahrnehmung  kömmt  und  von 
dem  spiegelnden  Glänze  des  letzteren  stark  absticht. 

Sehr  häufig  stellen  sich  alsbald  intensive  Entzündungen  ein,  welche  den  Aug- 
apfel durch  Vereiterung  oder  Atrophie  zu  Grunde  richten.  Es  kann  aber  auch  das 
Gegentheil  geschehen  und  der  in  seiner  Kapsel  eingeschlossene  Krystallkörper 
Jahre  lang  in  der  Vorderkammer  lagern,  ohne  sonderliche  Beschwerden  zu  veran- 
lassen. Am  gewöhnlichsten  kömmt  es  zu  Iritiden,  welche  bald  acut  auftreten,  bald 
aber  gleich  iirsprünglich  bei  geringer  Intensität  den  chronischen  Verlauf  einschlagen 
und  im  Ganzen  unschwer  beschwichtiget  werden  können,  oft  jedoch  erst,  nachdem 
sie  Proclucte  geliefert  haben ,  welche  ständige  Formen  eingehen  und  den  vorge- 
fallenen Krystall  in  seiner  Stellung  dauernd  fixirev.  In  der  Regel  recidiviren  diese 
Iritiden  über  kurz  oder  lang,  und  die  Recidiven  wiederholen  sich  alle  Augenblicke, 
so  dass  der  Kranke  selbst  bei  der  grössten  Vorsicht  seines  Lebens  nicht  froh 
werden  kann.  Wird  der  Linsenkörper  nicht  entfernt,  so  i^articipirt  am  Ende  auch 
die  Chorioidea  und  Netzhaut,  das  Auge  wird  amaurotisch  und  atrophirt,  ohne  dass 
jedoch  damit  die  Ruhe  erkauft  wird;  vielmehr  dauert  die  Empfindlichkeit  fort  und 
oftmals  geht  erst  jetzt  unter  einem  neuen  entzündlichen  Anfalle  das  Auge  durch 
Phthisis  verloren.  Ueberdies  ist  es  nichts  Seltenes ,  dass  die  Iridochorioiditis  auch 
aitf  dem  anderen  Auge  zum  Ausbruche  kömmt  und  dieses  in  seiner  Functioustüch- 
tigkeit  gefährdet. 

Der  Krystallköiper  selbst  kann  Jahre  lang  einen  gewissen  Grad  von  Durch- 
sichtigkeit behalten,  oder  doch  nur  an  jenen  Stellen  staarig  zerfallen,  an  welchen 
er  durch  iritische  Producte  festhängt.  Immer  jedoch  nimmt  er  im  Laufe  der  Zeit 
beträchtlich  an  Umfang  ab.  namentlich  wird  sein  Durchmesser  tind  später  wohl 
aitch  die  Axe  verkürzt,  während  die  Linsensubstanz  selbst  eine  mehr  schmutzig 
gelbliche  Farbe  annimmt.  Zuletzt,  obwohl  bisweilen  erst  nach  Jahren,  beginnt 
eme  wirkliche  cataractöse  Umwandlung  an  der  Oberfläche  und  schreitet  langsam 
gegen  den  Kern  vor.  Die  Schrumjjfung  ist  dann  eine  viel  ausgiebigere  und  um  so 
beträchtlichere,  je  kleiner  der  etwa  schon  vorhandene  sclerosirte  Kern  ist  und  je 
weniger   intensiv  die    durch  den  Vorfall    bedingten  und    unterhaltenen  Entzündungen 


Dislocation  der  Linse  in  d.  Ohisk'lrpi'r,  niili'i-  d.  Tündcluuif ;  Eclnpiii,  Lnxafio  lentis  adria);i.       ß08 

waren.    Ausnahmsweise   ist    eine    vöU'uje  Außöxiimj    und   Uesorption    der    prolabirten 
Linse  beobachtet  worden  (DavhJ. 

<:  Wirkten  seJü-  intensive  meclianische  (tewa/teti  auf  den  Jiullius ,  so  wird  der 
aus  seinen  Vcrbindunp;en  gerissene  Krystidlkfirper  wohl  auch  in  den  Glaskörper 
tiineingetriehen  (Haisner).  In  einzehien  Fällen  erleidet  hierbei  der  Glasldhper  eine 
Drehinui  und  die  Iris  wii-d  völlig  nach  hinton  gestülpt  (Antmon).  Meistens  kömmt 
es  in  der  Folge  zu  heftigen  Knf::'dndit.iii/en  der  ItinnenorijuHe,  um  so  mehr,  als  diese 
unter  solchen  Umständen  gewöhnlich  ehenjnüs  Risse  davontragen,  oder  wenigstens 
von  Blut.extravasateH  aus  ihren  Gelassen  zu  leiden  haben.  Ist  nicht  PhÜdsis  Lalbi 
das  Resultat,  so  geht  die  Functionstüchtigkeit  des  Auges  meistens  durch  degene- 
rative  Atroplde  der  Gefasshaui  und  des  Hchtemjjfindetiden  Apparates  unter.  Es  ver- 
ßü.isitjt  daini  gewöhnlich  der  Glaskörper  und  der  Kvystullkürper  wird  allmälig  zu 
einer  schrumpfenden  Cataracta  natans,  welche  bei  den  Bewegungen  des  Augapfels 
frei  in  dessen  Höhle  herumschwimmt  und  fort  und  fort  Reizungszustände  unter- 
hält, wenn  sie  nicht  früher  schon  durch  exsudative  Entzündungen  eingekajjselt  und 
mit  einem  Theile  der  hinteren  Av gapfelwandrin<jen  verbunden  worden  ist. 

d.  Bisweilen  wird  die  Sc/erotica  in  der  Nähe  ihrer  vorderen  Grenze  zersprengt 
und,  indem  die  dioptrischen  Medien  gegen  den  Riss  hin  auszuweichen  suchen,  der 
von  der  Zonula  abgerissene  Kri/stallköiper  mit  oder  ohne  einen  Theil  der  Iris  in 
die  Wunde  oder  gar  unter  die  Conjunctiva  dislocirt.  Der  Riss  findet  sich  fast  immer 
nach  Oben,  sehr  selten  nach  Innen  und  am  seltensten  nach  Unten  oder  Aussen  (Latvson). 
Er  läuft  stets  nahezu  concentrisch  dem  Cornealrande  (Manz).  Der  Ausgang  ist 
häufig  Phthise  oder  wenigstens  degenerative  Atrophie  des  Augai>fels.  Doch  kann 
auch  relative  Heilung  eintreten  und  ein  gewisser  Grad  von  Functionstüchtigkeit  des 
Auges  erhalten  bleiben.  Man  findet  dann  den  Krystallkörjjer  in  Gestalt  eines  härt- 
lichen, anfänglich  noch  durchsichtigen,  später  aber  sich  trübenden  linsenartigen 
Tumors  unter  der  hyperämirten  Conjunctiva,  welche  davon  buckelartig  hervorge- 
trieben wird.  Falls  der  Krystallkörper  nicht  durch  Eiterung  ausgestossen  oder  auf 
operativem  Wege  entfernt  wird,  inkapsulirt  er  sich  oder  verkreidet.  Manchmal 
jedoch,  namentlich  bei  jugendlichen  Individuen,  wird  er  auch  vollständig  aufgesaugt. 
Es  ist  nicht  unwichtig  zu  bemerken,  dass  derlei  Berstungen  der  Sclera  nicht  noth- 
wendig  mit  Dislocation  der  Linse  unter  die  Bindehaut  verknüpft  sind,  dass 
ähnliche  Vortreibungen  der  Conjunctiva  mitunter  auch  durch  prolabirte  Glaskörper- 
partien bedingt  werden  und  dann  in  kurzer  Zeit  spontan  zurückgehen. 

e.  Die  geringere  Resistenz  der  Zonula  erklärt  es,  warum  unter  der  Einwir- 
kinig  stumpfer  Gewalten  nur  äusserst  selten  die  Kapsel  berstet  und  die  Linse  aus 
der  Kapselhöhle  herausgedrängt,  vielmehr  fast  constant  der  Krystallkörper  als  Ganzes 
dislocirt  wird.  Doch  werden  Fälle  der  ersten  Art  ausnahmsweise  beobachtet.  Sie 
führen  zu  analogen  Folgen ,  wie  Ortsveränderungen  der  Linse  bei  unverletzter 
Kapsel,  hinterlassen  jedoch,  wenn  der  Bulbus  nicht  durch  Eiterung  zu  Grunde 
geht,   einen  Nachstaar  (Mackenzie,   Graefe). 

f.  iCs  kommen  übrigens  Dislocationen  des  Krystallkörper s  tiucli  ange- 
boren vor,  oder  entwickeln  sich  nach  der  Geburt  ohne  eine,  auch  nur 
annähernd  genügende,  äussere  Veranlassung.  Man  stellt  diese,  fast  immer 
binocularen  Dislocationen  als  „spontane^''  den  traumatischen,  gewöhnlich  ein- 
seitigen, gegenüber  und  unterscheidet  Ectopien  und  spontane  Luxationen 
(Slppell).  Unter  Ectopie  versteht  man  eine  mindergradige  Verrückung  des 
Linsensystems  innerhalb  des  Strahlenkranzes  bei  Fortbestand  der  normalen 
Fixationsraittel.  Die  spontane  Luxation  hingegen  ist  ein  gänzliches  Her- 
austreten des  Krystallkörpers  aus  der  optischen  Axe  wegen  Vernichtung  oder 
excessiver  Dehnung  der  Zonula  und  wegen  Trennung  der  zwischen  Hinter- 
kapsel und  Glaskörper  bestehenden  Verbindungen. 

Die  Ecto2}ie  ist  stets  ungeboren,  oft  auch  ererbt  und  in  der  Regel  ujit  aus- 
gesprochenem myopischen  Bau  des  Bulbus  vergesellschaftet.  Die  Linse  ist  dabei 
meistens  nach  oben  und  gewöhnlich  auch  etwas  nach  innen  verschoben.  Sie  drängt 
mit  ihrem  unteren  Rande  die  obere  Hälfte  der  Iris  nach  vorne,  während  die  untere 
Hälfte  der  letzteren  stark  nach  rückwärts  weicht  und  auch  in  aufiälligem  Grade 
schlottert.     Bei    erweiterter  Pu,pille    sticht  der  Zwischenraum    zwisclien  dem    unteren 


694  Cataracta;  Ursachen;  Ectopia,  luxatio  lentis  adnata. 

Linsenrande  und  den  Ciliarfortsätzen  als  eine  dunkle  schwarze  Mondsichel  deutlich 
von  der  glänzenden  Krystallgrenze  ab.  Bei  der  ophthalmoskopischen  Untersuchung 
hingegen  erscheint  der  Linsenrand  als  ein  dunkler,  nach  unten  scharf  begrenzter, 
nach  oben  verwaschener,  mondsichelförmiger  Schatten  im  rothen  Gesichtsfelde. 
Fixirt  der  Kranke  bei  massig  erweiterter  Pupille  Objecto,  so  erscheinen  sie  ihm 
oft  in  Farbensäumen  und,  wegen  der  prismatisch  ablenkenden  Wirkung  des  blos- 
gelegten  Linsenrandes,  öfters  auch  dopjjelt.  Gewöhnlich  aber  zeigen  sie  sich  wie 
gebrochen  und,  wegen  dem  theilweisen  Zusammenfallen  der  durch  die  Linse  und 
der  itvter  derselben  hinweggehenden  Strahlen  avf  der  Netzhaut,  auch  sehr  verwirrt. 
Bei  enger  Pupille,  wenn  der  untere  Rand  der  dislocirten  Linse  von  der  Iris  gedeckt 
ist,  findet  man  die  Einstellung  des  Auges  meistens  myopisch  und  stark  astigmatisch. 
Wird  aber  der  obere  Theil  der  erweiterten  Pupille  gedeckt  und  dringen  die  Strah- 
len blos  unter  dem  Rande  der  Linse  durch,  so  ist  die  Einstellung  eine  hyper- 
metropische  (Donders).  Es  bestehen  diese  Zustände  meistens  zeitlebens,  ohne  weitere 
Folgen  zu  setzen;  doch  begründen  sie  eine  Neigung  zum  Schichtstaare  und  bis- 
weilen Abweichungen  der  Augenaxen  bei  Fixation  von  Objecten  (Graefe). 

Die  spontanen  Luxationen  kommen  als  solche  wohl  nie  angeboren  vor,  sondern 
entwickeln  sich  immer  erst  nach  der  Geburt  und  dieses  zwar  früher  oder  später. 
Die  nächste  Veranlassung  bleibt  oft  völlig  unbekannt.  In  anderen  Fällen  werden 
geringfügige  Erschütterungen  des  Bulbus,  Niesen,  Erbrechen,  starkes  Bücken  u.  s.  w. 
als  Ursache  angegeben.  Offenbar  sind  eine  beträchtliche  Eesistenzoerminderung  der 
Zonula  und  eine  Lockerung  des  zwischen  Hinterkapsel  und  Glaskörper  bestehen- 
den Verbandes  unerlässliche  Bedingungen  zum  Zustandekommen  einer  spontanen 
Luxation.  Es  gehört  dieses  pathogenetische  Moment  bisweilen  auf  Rechnung  voraus- 
gängiger Entzündungen  oder  vielmehr  davon  abhängiger  Ectasien  der  vorderen  Bul- 
bushälfle  und  dadurch  bedingter  übermässiger  Zerrixngen  des  Strahlenblättchens 
(Ryha,  Heymann.).  Gewöhnlich  jedoch  fehlen  alle  auf  derartige  Processe  hindeuten- 
den Zeichen;  die  Resistenzverminderung  der  Zonula  ist  wahrscheinlich  ein  ange- 
borener und  bisweilen  ererbter  (Horner)  Zustand,  worauf  übrigens  schon  die  ge- 
wöhnliche Doppelseitigkeit  des  Leidens  hindeutet,  und  steht  in  mittelbarem  Zusam- 
menhange mit  dem  fast  immer  nachweisbaren  bathymorphischen  Baue  des  Auges.  In  ein- 
zelnen Fällen  handelt  es  sich  nicht  sowohl  um  eine  Zerreissung,  als  vielmehr  um 
eine  bedeutende  Ausdehnung,  Verbreiterung  der  Zonula  (D.  E.  Müller).  Häufiger  ist 
das  Strahlenblättchen  nur  theilweise  zerrissen ,  die  Linse  baumelt  an  dem  Reste 
desselben  hin  und  her. 

Die  luxirten  Linsen  erscheinen  bei  ruhiger  aufrechter  Haltung  des  Kopfes 
mehr  weniger  tief  nach  abwärts  und  öfters  auch  etwas  seitlich  auf  den  Grund  der 
hinteren  Augenkammer  gesenkt,  so  dass  ihr  oberer,  stark  abgerundeter  Rand  in 
oder  unter  dem  horizontalen  Durchmesser  der  Pupille  sichtbar  wird.  Sie  lagern 
dabei  schief,  ohne  gerade  umgelegt  zu  sein,  da  der  Glaskörper  fast  immer  wohl 
erhalten  ist.  Bei  Locomotionen  der  Augen  und  des  Kopfes  bewegen  sich  die  Linsen 
mit  (Höring ,  Ed.  Meyer),  und  dieses  zwar  entweder  blos  innerhalb  der  hinteren 
Augenkammer ,  oder  aber  es  können  die  Linsen  durch  gewisse  Kopfbewegungen, 
oft  völlig  willkürlich,  durch  die  Pupille  in  die  vordere  Kammer  und  wieder  zurück 
gebracht  werden.  Letzteren  Zustand  hat  man  unter  dem  Namen  der  „spontanen 
Freibeweglichkeit  der  Linse^''  beschrieben  (Heymann). 

Die  Symj)tome  der  spontanen  Luxation  bedürfen  nach  dem  von  der  Ectopia 
Gemeldeten  keiner  speciellen  Erörterung.  So  lange  die  Linsen  auf  dem  Boden  der 
hinteren  Kammer  lagern,  ist  die  Einstellung  des  Auges,  gleich  wie  bei  der  Aphakie, 
selbstverständlich  eine  hypermetropische ;  treten  sie  aber  an  die  Pupille  heran  oder 
gar  in  die  Vorderkammer,  so  wird  die  Einstellung  eine  excessiv  myopische,  da  dann 
die  kttgelige  Abrundung  der  Linse  und  deren  Vorrückung  mit  dem  myopischen  Bau 
der  Augen  concurriren.  Charakteristisch  ist  jedoch  der  überaus  rasche  Wechsel  dieser 
beiden  einander  entgegengesetzten  Einstellungen,  wenn  die  verticale  Kopfaxe  nach 
bestimmten  Richtungen  geneigt  wird.  Auch  ist  bei  der  spontanen  Luxation  das 
Sehen  in  der  Regel  viel  verworrener,  als  bei  der  einfachen  Ectopie,  indem  die  Linsen 
bei  den  geringsten  Bewegungen  des  Kopfes  und  der  Augen,  bei  dem  Verfolgen 
der  Zeilen  u.  s.  w.  in  ziemlich  excursive  Schwankungen  gerathen  und  längere  Zeit 
darin  verharren.  Nur  wenn  die  Linse  in  der  Vorderkammer  lagert,  wird  dieser 
Uebelstand  wegen  besserer  Fixation  des  Krystalles  weniger  fühlbar;  dafür  aber 
macht  sich  die  starke  Brechung  des  Lichtes  an  den  abgerundeten  Rändern  als 
Quelle  einer  um  so  grösseren  Störung  geltend,  als  die   Pupille  dann  sehr  erweitert 


Verlauf;  llailcr,  fjoinischliT,  wüicber  Slaar.  oOo 

ZU  sein  pflegt.  Diesen  Verhältnissen  ist  es  zuzuschroihen,  class  Coiivex-  und  Concao- 
(j/äser,  wolclie  die  jcwcilif^cn  Eiiistclliin^^.sl'i'liler  zu  neutralisiren  vermöchten,  den 
Bedürfnissen  der  Kranken  nur  wenijjj  entspreclien,  vvohei  allerdinfjs  die  gänzliche 
Vernichtung^  des  Accommodalionsvennöijens  erlieblich  beiwirkt. 

Die  luxirten  Linsen  und  iiire  Kapsehi  bleiben  in  der  Kej^el  viele  Jahre  lanp 
vollkonnnen  durchsichti«;-,  werden  aber  kleiuer  und  fast  k/ifjeh-im(L  Hpätcrhin  wird 
der  luxirte  Krystall  jedoeli  immer  cataructös.  YVic  Trültnnf^  bei^innt  dann  öfter  von 
den  dem  Kerne  nächsten  Schichten  und  täuscht  so  einen  Schichistaar  vor  (Fagen- 
utecher).  Antanj:;lich  kaini  der  Krystall  bei  seinen  Locomotionen  durch  mechanische 
Keizun;^  der  Iris  zu  denselben  Folgen  führen,  wie  eine  auf  traimiatisdiem  Wege 
veranlasste  Dislocation.  Besteht  die  spontane  Luxation  jedoch  schon  einige  Zeit 
und  ist  die  Linse  selion  Jileiner  und  kugelig  geworden,  so  kömmt  es  nach  den 
bislierigen  Beobachtungen  kaum  mehr  zu  einer  Entzündung. 

Verlauf.  Im  Allgemeinen  kann  man  sagen,  dass,  wo  nicht  besondere 
locale  Ursachen  der  Staarbildung  zu  Grunde  liegen,  diese  um  so  langsamer 
vorwärts  schreite,  je  älter  das  Individuum,  je  derber  und  fester  also  die 
Linse   bereits  geworden  ist. 

a.  In  der  Tliat  bedürfen  harte  Kernstaart  oftmals  Jahre,  ehe  sie  so 
weit  ausgebildet  sind,  dass  sie  die  Selbstführung  des  Kranken  unmöglich 
machen,  und  es  vergehen  nicht  selten  Monate,  ohne  dass  eine  auffallende 
Zunahme  der  Trübung  bemerklich  wird.  Immerhin  jedoch  findet  eine  fort- 
gesetzte, wenn  auch  sehr  allmälige,  Verdichtung  des  sclerosirten  Kernes  und 
eine  Vergrösserung  seines  Durchmessers  mit  entsprechender  AbÜachung  statt. 
Wo  der  Staar  daher  bereits  eine  Reihe  von  Jahren  besteht,  kann  man  mit 
grosser  Wahrscheinlichkeit  auf  einen  grossen  Kern  rechnen  und  muss  bei 
der  Operation  wohl  darauf  ßücksicht  nehmen.  Selbst  die  Erweichung  der 
oberflächlichen  Schichten  geht  bei  alten  Leuten  oft  sehr  laugsam  vor  sich. 
Besonders  dort,  wo  in  der  Corticalis  eine  ferne  zarte  Streifung  hervortritt, 
ist  der*  Fortschritt  ein  sehr  langsamer ;  während  breite  Streifen  neben 
beträchtlicher  Consistenzabnahme  der  betreffenden  Schichten  auch  eine 
raschere  Progression  des  Processes  anzudeuten  pHegen.  Immerhin  ist  bei 
einmal  begonnener  Malade  der  Binde  der  Fortschritt  ein  weit  rascherer, 
als  bei  der  Sclerose  des  Kernes,  und  es  kömmt  wohl  auch  vor,  dass  inner- 
halb weniger  Wochen  oder  gar  einiger  Tage  die  Cataracta  eine  complete 
wird,  nachdem  der  Kern  Jahre  lang  gebraucht  hat,  um  zu  einem  höheren 
Grade  von  Trübheit  zu  gelangen.  Auch  die  secundären  Wandlungen  der 
staarigen  Rindenschichten  gehen  im  Allgemeinen  ziemlich  langsam  vor  sich, 
besonders  wenn  die  Verhältnisse  einer  völligen  Erweichung  der  Rinde 
ungünstig  waren.  In  der  That  findet  man  nicht  selten  seit  Jahren 
bestehende  gemischte  Staare,  in  deren  Corticalis  die  secundären  Metamor- 
phosen kaum  erst  begonnen  zu  haben  scheinen.  Zuv  förmlichen  Schrumpfung 
bedarf  es  immer  einer  Reihe  von  Jahren. 

b.  Weiche  Staare  sind  hingegen  häufig  schon  im  Laufe  mehrerer 
Monate  ausgebildet  und  machen  auch  die  secundären  Metamorphosen  in  ver- 
hältnissmässig  kürzerer  Zeit  durch.  Besonders  rasch  pflegt  es  zu  gehen, 
wenn  Entzündungen,  Atrophien  der  gefässhältigen  Binnenorgane  oder  äussere 
Ursachen,   vorzüglich    Traumen,   dem   Staarprocesse  zu   Grunde  liegen. 

c.  Im  höheren  Mannesalter  stösst  man  öfters  auf  ganz  unregelmässige 
oder  speichenartig  von  dem  Linsengleicher  ausgehende,  gemeiniglich  fein- 
körnige Trüblingen  in  der  vorderen  ober  hinteren  Hälfte  der  Corticalis, 
während  der  Kern  noch  keine  auffalligen  Merkmale  der  Sclerose  nachweisen 
lässt.     Es  bestehen  solche  unentwickelte  partielle   Corticalstaare  häufig  viele 


696  Cataracta;   Verlauf;  Centralkapsel-,  Schichtstaar. 

Jahre  lang,  ohne  dass  sich  eine  Zunahme  oder  Flächenausdehnung  der 
der  Kapsel  scheinbar  anliegenden  Trübungen  bemerklich  machte.  AUmälig 
bringt  sich  dann  die  Sclerose  des  Kernes  zur  Geltung  oder  es  nimmt 
der  cataractöse  Process  in  der  Linsenrinde  einen  plötzlichen  Aufschwung 
und  führt  dann  binnen  Kurzem  zur  vollständigen  Zersetzung  der  Corticalis. 

d.  Partielle  Staare  entwickeln  sich  gleich  den  weichen  Totalstaaren 
gewöhnlich  sehr  rasch  und  werden  dann  stationär,  indem  die  atrophirten 
Elemente  durch  ihre  secundären  Metamorphosen  allmälig  in  ständige  Formen 
übergehen,  ohne  dass  der  Process  weiter  schreitet.  Es  gilt  dieses  vorzüg- 
lich von  dem  Centralkapselstaar  und  seinen  Abarten.  Diese  werden  der 
Regel  nach  bis  ins  höchste  Alter  getragen,  ohne  dass  sich  irgend  welche 
sehr  auffällige  Veränderungen  nachweisen  Hessen  oder  gar  ein  Uebergang 
in  Totalstaar  zu  fürchten  wäre.  Weniger  Bestand  haben  mehr  ausgebreitete 
Theilstaare,  da  hier  nach  Ablauf  mehrerer  Jahre  oder  im  höheren  Alter 
ein  Weitergreifen  des  Processes  und  die  daherige  Ausbildung  eines  Total- 
staares kaum  mehr  zu  den   Seltenheiten  gehört. 

Der  Schichtstaar  entwickelt  sich  fast  immer  schon  in  der  Kindheit  oder 
in  der  Jünglingsperiode  und  pflegt  rasch  an  Ausbreitung  und  an  Saturation 
zuzunehmen,  worauf  ein  Stillstand  eintritt,  welcher  längere  oder  kürzere 
Zeit,  meistens  Jahre,  selten  aber  bis  ins  späte  Mannesalter  hinein  dauert. 
Bei  längerem  Bestände  machen  sich  allmälig  die  secundären  Metamorphosen 
der  staarig  entarteten  Schichte  geltend  und  verändern  im  Laufe  der  Zeiten 
einigermassen  das  Bild  der  Cataracta.  Auf  einmal  und  ohne  nachweisbare 
Ursache,  bald  früher,  bald  später,  greift  der  Process  weiter,  es  zeigen  sich 
in  den  oberflächlichen  Slratis  die  dem  Rindenstaare  eigenthümlichen  diffusen 
flockigen  oder  streifigen  Trübungen,  welche  sich  bald  rasch,  bald  sehr  all- 
mälig, mit  oder  ohne  Unterbrechungen  ausbreiten  und,  an  einer  gewissen 
Grenze  angelangt,  wieder  stille  stehen,  um  durch  secundäre  Metamorphosen 
eine  ständige  Form  anzunehmen.  Man  hat  dann  eine  Cataracta,  deren  Corti- 
calis sehr  stark  geschrumpft,  zum  Theile  in  fettigkalkige  Massen  oder  in 
grössere,  der  Kapsel  anhaftende,  sehnenähnliche  Flecke  umgewandelt  ist, 
während  der  Kern  noch  seine  normale  Consistenz  und  Durchsichtigkeit 
bewahrt,  aber  stark  vergilbt  erscheint.  Am  Ende  wird  wohl  auch  dieser 
staarig  zerfällt  oder  sclerosirt,  die  Cataracta  ist  eine  totale  geworden. 

Im  Allgemeinen  kann  man  auch  hier  aus  dem  Auftreten  breiter  trüber  Streifen 
und  dazwischen  gelegener  gröberer  Punkte  und  Flecke  auf  ein  rasches  Vorwärts- 
gehen schliessen ,  während  sehr  ferne  und  sparsame  Streifen ,  so  wie  eine  diffuse 
oder  fein  punktirte  Trübung  ein  langsames  Weitergreifen  vermuthen  lassen. 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  die  Zunahme  der  Trübung  mit  einer  ent- 
spreclienden  Abnahme  des  Sehvermögens  vergesellschaftet  ist.  Diese  treibt  den 
Kranken  auch  meistens  zum  Arzte  und  daher  kömmt  es,  dass  auf  Kliniken  ver- 
hältnissmässig  häufig  solche  unreine  und  in  Progression  begriffene  Schichtstaare 
beobachtet  werden. 

e.  Staare,  welche  ihre  Ursache  in  Traumen,  in  Entzündungen,  über- 
haupt in  rein  öXfocÄen  Verhältnissen  finden,  bleiben  meistens  aw/ cZas  betreffende 
Auge  beschränkt  und  es  spricht  nichts  für  die  Annahme,  dass  sie  eine  Neigung 
zur  Staarbildung  im  anderen  Auge  begründen.  Ausnahmsweise  erhalten 
sich  wohl  auch  ohne  nachiveisbare  Veranlassung  aufgetretene  Staare,  wenn 
sie  jugendliche  Individuen  betreffen,  also  weich  sind,  lange  Jahre  oder  bis 
ins  höhere  Alter  einseitig.  Cataracten  jedoch,  welche  auf  allgemeiner  seniler 
oder  pathologischer  Involution   des  Körpers  beruhen,     oder    in  ursprünglichen 


Ausgänge;  RürVliililmiR  riitzüinlliclicr-  liinsonliiilnmgcii  n.  partieller  Staate.  b"7 

Bildungsfehlern  bogründot  sind,  entwickeln  sich  mit  Ausnahme  höclist 
seltener  Fälle  immer  in  beiden  Augen.  Sie  treten  oftmals  beiderseits  gleich- 
zeitig auf  und  dann  geschieht  es  meistens,  dass  der  Process  in  einem  Auge 
rascher  als  in  dem  anderen  vorwärts  schreitet.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle 
aber  zeigt  sich  der  Staar  zuerst  auf  einem  Auge,  und  nachdem  er  hier 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  ausgebildet  ist,  macht  sich  in  dem  anderen 
Auge   der  Beginn  des  gleichen  Processes  geltend. 

Ausgänge.  Es  betreffen  diese  einerseits  den  Zustand  des  Krystall- 
körpers  und  die  mit  seiner  Trübung  verbundenen  Sehstörungen ;  anderseits 
aber  die  Functionen  der  übrigen  Bulbusorgane ,  da  diese  erfahi'ungsgemäss 
unter  gewissen  Verhältnissen  durch  den  Staar  gefährdet  werden. 

A.  Entzündete  Linsenelemente  können  unter  günstigen  Umständen  wieder 
zur  vollen  Norm  zurückkehren.  In  der  That  sieht  man  die  zarte  Trübung 
der  obertlächlichen  Krystallschichten,  welche  sich  gerne  im  Verlaufe  von 
Iritiden  einstellt  und  unzweifelhaft  auf  Phakitis  (Capsulitis)  zu  beziehen  ist, 
nach  dem  Rückgänge  des  Wucherungsprocesses  recht  oft  vollständig  ver- 
schwinden. Der  unveränderte  Refractionszustand  des  Auges  ist  dann  Bürge, 
dass  die  Aufhellung  nicht  auf  Kosten  der  Existenz  der  entzündet  gewesenen 
Linsentheile  zu  Stande  gekommen  ist.  Es  gilt  dies  aber  nicht  blos  von 
den  zarten  nebligen  Trübungen.  In  einzelnen  Fällen  kömmt  es  unter  den 
fraglichen  Umständen  auch  zu  dichten  Trübungen  der  Rindenschichten, 
welche  ganz  den  Eindruck  eines  vollkommen  ausgebildeten  Corticalstaares 
machen,  und  auch  diese  gehen  ausnahmsweise  unter  Hei'stellung  des  früheren 
Einstellungswerthes  wieder  völlig  zurück. 

Ein  anderes  ist  es  mit  staarigen  Trübungen  im  engeren  Wortsinne, 
welche  awi  einem  Zerfalle,  auf  Schwund  der  Theile  beruhen.  Ob  auch  bei 
diesen  eine  wahre  Heilung,  eine  Rückführung  zur  Norm  möglich  sei,  ist 
zweifelhaft,  wird  aber  behauptet  und  zwar  will  man  einen  solchen  Aus- 
gang theils  spontan  (Himly,  Ed.  Jaeger),  theils  in  Folge  mannigfaltiger 
Behandlung sioeisen   (Siehe   diese)   beobachtet  haben. 

Die  Mögliclikeit  einer  spontanen  Heilung  soll  insbesondere  voi'liegen  bei 
unvollständig  entwickelten  Staaren  der  oberflächlichen  Linsenschichten,  vorzüglich 
bei  streifigen  Trübungen  in  den  mittleren  Lagen  der  hinteren  Corticalstrata,  welche 
entweder  für  sich  bestehen,  oder  doch  nur  mit  kurzen  Fortsätzen  über  den  Linsen- 
äquator in  die  vorderen  Rindenschichten  hineinragen  und  schon  durch  längere  Zeit 
stationär  geblieben  sind  (Ed.  Jaeger). 

Dagegen  wird  durch  völlige  Aufsaugung  der  staarig  gewordenen  Linsen- 
partien ,  so  wie  durch  Verschiebung  des  ganzen  Krystallkörpers,  nicht  ganz 
selten  eine  relative  Heilung  oder  wenigstens  eine  Verminderung  der  Seh- 
störung zu  Stande  gebracht. 

1.  Die  Resorption,  soll  sie  an  sich  einem  solchen  Zwecke  genügen, 
setzt  malacische  Linsenschichten  voraus  ;  bei  sclerosirten,  verkalkten,  fibrösen 
etc.  Staarmassen  ist  sie  eine  viel  zu  langsame  und  unvollständige,  als  dass 
ein  günstiges  Resultat  dieser  Art  erzielt  werden  könnte. 

a.   Bei  unverletzter  Kapsel  findet  indessen     auch  schon  die  Resorption 

iveicher  Linsenschichten  grosse   Schwierigkeiten,    und     es  geschieht  wirklich 

nur  sehr  selten,   dass  malacische  Krj^stallpartien  aus  der  geschlossenen  Kapsel - 

höhle  in  Folge  von  Aufsaugung  simrlos  verschwinden. 

Am  ehesten  kömmt  dieses  noch  vor  bei  pai-tiellen  Staaren  jugendlicher  Indi- 
viduen, vornehmlich  aber  bei  unvollständig  entwickelten  Corticalcataraclen.  Die  Auf- 
hellung geht  dann  immer  auf  Kosten    des   Umfanges  und  der  Form  des  Krystalles; 


ß98  Cataracta;  Ausgänge;  Resorption  bei  unverletzter  und  eröffneter  Kapsel. 

dessen  Oberflächen  platten  sich  in  entsprcclicndem  Masse  ab  iitid  werden  gewöhn- 
lich unregelmässig,  während  gleichzeitig  auch  eine  Schrumpfung  vom  Aequator 
her  einzutreten  pflegt.  Im  Zusammenhange  damit  steht  eine  hypermetropische 
Einstellung  des  dioptrischen  Apparates  und  beziehungsweise  eine  Verzerrung  der 
Zerstreuungskreise ,  so  wie  eine  fast  völlige  Vernichtung  des  Accomviodations- 
vermöriens. 

In  der  grössten  Melirzahl  der  Fälle  bleibt  unter  solchen  Verhältnissen 
die  Aufsaugung  eine  unvollständige,  die  gegebenen  Trübungen  verkleinern 
sich  nur  unter  entsprechender  Volumsabnahme  und  Missgestaltung  des 
Krj'stalles,  sie  zerfahren,  spalten  sich,  es  entstehen  in  der  sich  verdichten- 
den Trübung  Lücken  und  diese  stellt  endlich  nur  mehr  Haufen  von 
Punkten  oder  Flecken,  Streifen,  Blättern  u.  s.  w.  dar,  welche,  aus  fettig- 
kalkiger hellweisser  opaker  Masse  gebildet ,  in  die  durchsichtige  Linsen- 
sitbstanz  eingesprengt  erscheinen  und  mehr  weniger  grosse  Zwischenräume 
für  den  Durchgang  directer  Lichtstrahlen  zwischen  sich  offen  lassen. 

So  wird  bisweilen  bei  ausgebreiteten  corticalen  Trübungen,  welche  längere 
Zeit  stationär  geblieben  waren ,  bei  partielle7i  Staareu  aller  Art  einschliesslich 
der  traumatischen,  und  besonders  bei  Schichtstaaren,  durch  die  secundäre  Wandlung 
der  cataractösen  Massen  das  sehr  beeinträchtigte  oder  ganz  aufgehobene  Sehver- 
mögen bis  zu  einem  sehr  ansehnlichen  Grade  wieder  gebessert  und,  falls  der  Staar 
nicht  weiter  schreitet,  in  diesem  Zustande  auch  erhalten. 

Bei  Totahtaaren  genügt  die  Resorption  für  sich  allein  nicht  mehr,  um  eine 
sehr  erhebliche  Besserung  des  Sehvermögens  zu  vermitteln.  Doch  schrumpfen  mit- 
unter flüssige  Totalstaare  in  Folge  fortgesetzter  Resorption  auf  ein  dünnes  trockenes 
Häutchen  zusammen,  welches  stellenweise  einen  sehr  hohen  Grad  von  Durchschein- 
barkeit  erlangen  und  eine  mühselige  Selbstführung  gestatten  kann.  Ausnahmsweise 
wird  ein  solcher  Staar  wegen  fast  vollständiger  Resorption  des  Magma  wohl  gar 
so  durchsichtig,  dass  die  Kranken  mit  Zuhilfenahme  entsprechender  Gläser,  und 
selbst  ohne  diese,  scharf  sehen,  ja  kleinen  Druck  lesen.  Einmal  wurde  ein  solcher 
Zustand  in  einer  Familie  erblich  gefunden  (Graefe).  Möglicher  Weise  kömmt  es  wohl 
auch  bei  gemischten  Staareu  mit  flüssiger  Oberfläche  zur  Herstellung  eines  massigen 
Sehvermögens,  indem  die  Rindenschichten  fast  völlig  resorbirt  werden,  so  dass  nicht 
nur  durch  den  diaphanen  Kern,  sondern  auch  an  diesem  vorbei,  ein  gewisses 
Quantum  directen  Lichtes  passiren  kann. 

b.  Wird  die  Kapselhöhle  durch  eine  äussere  Schädlichkeit  oder  auf 
operativem  Wege  geöffnet  und  so  den  dioptrischen  Flüssigkeiten  die  Möglich- 
keit einer  directen  Einwirkung  auf  die  staarige  Linsenmasse  geboten,  so 
leistet  die  Resorption  ungleich  mehr  und  wird  unter  übrigens  normalen  Ver- 
hältnissen in  ihrer  Wii'ksamkeit  noch  wesentlich  unterstützt  durch  das 
Vermögen  der  Kapselzipfel,  sich  zusammenfalten  und  gegen  den  Aequator 
hin  bis  auf  die  Verbindungslinie  der  einzelnen  Wundwinkel  zurückzuziehen. 
Im  A  Ugemeinen  gilt  es  hierbei  ziemlich  gleich ,  ob  die  Kapselverletzung 
erst  den  Staarprocess  eingeleitet  hat,  oder  gesetzt  worden  ist,  nachdem  die 
Cataracta  bereits  begonnen  hatte  und  in  ihrer  Entwickelung  mehr  weniger 
weit  fortgeschritten  war.  Die  Grösse  des  Erfolges  hängt  mehr  ab  von  der 
Länge  und  Tiefe,  der  Zahl  und  der  Richtung  der  einzelnen  Kapselwunden, 
von  dem  Zustande  der  Kapsel,  von  der  Consistenz  der  Linse  in  ihren 
einzelnen  Schichten  und  von  der  Intensität ,  mit  welcher  die  blutführenden 
Organe   des  Augapfels  auf  die  Verletzung  reagiren. 

ct.  Eine  einfache  lineare  Kapselwunde  gestattet  natürlich  kein  sehr 
erhebliches  Kl  offen  der  Oeffnung  und  gibt  auch  der  directen  Einwirkung  der 
dioptrischen  Flüssigkeiten  auf  die  Linsenmasse  nur  einen  geringen  Spiel- 
raum. Ist  die  Wunde  sehr  kurz,  so  verheilt  sie  oft  alsbald  wieder  mit  oder 
ohne  Hinterlassung  einer  linearen  fettigkalkigen  Narbe.  Ist  sie  aber  länger, 


Voigilnge  bei  weit  Roöffiii'ti'r  Kapsel;  Cataracta  secundaria;  Krystallwulst.  609 

SO  gewinnt  sie  unter  einiger  lletraction  der  Wundnindcr  eine  scliinal 
lanceitliche  Form.  In  einem  und  dem  anderen  Falle  bleibt  die  Resorption, 
die  Verhältnisse  mögen  ihr  übrigens  noch  so  günstig  sein,  eine  unvoll- 
ständige. Die  beiden  Kapselhälften  rücken  höchstens  sehr  nahe  an  einander 
und  werden  durch  die  secundär  metamorpliosirenden  Staarreste  zusammen- 
gelöthet ;  das  Itesultat  ist  ein  trockenhülsiger  Nachstaar  {Cataracta  secundaria), 
welcher  sich  von  einer  gewöhnlichen  Cataracta  siliquata  oder  discoidea  nur 
dadurch  unterscheidet,  dass  seine  vordere  Wand  eine  fettigkalkigc  Narbe 
oder  eine  von  gewulsteten  Eändei'n  umgebene  lancettliche  Spalte  zeigt,  die 
nach  hinten  von  der,  meistens  trüb  beschlagenen  Hinterkapsel  verlegt  wird. 
War  die  hintere  Kapsel  indessen  auch  verletzt  worden,  so  kann  in  der 
Spalte  der  Glaskörper  biosliegen  und  bei  Zuhilfenahme  entsprechender 
Gläser  ein  deutliches  iiud  scharfes  Sehen  ermöglichet  werden. 

ß.  Wurde  die  Kapselhöhle  durch  einen  Lappenschnitt  oder  durch  eine 
Mehrzahl  sich  kreuzender  Risse  oder  Schnitte  geöffnet,  so  gestalten  sich  die 
Verhätnisse  weit  günstiger,  indem  sich  die  Wundzipfel  oder  Lappen  durch 
Einrollung  und  Faltung  zurückziehen.  Die  dioptrischen  Feuchtigkeiten 
wirken  dann  auf  einen  grossen  Theil  der  Linsenmasse  direct  ein,  daher 
denn  auch  die  Zerfallung  eine  sehr  rasche  zu  sein  pflegt  und,  wenn  sie 
mit  starker  Blähung  einhergeht,  nicht  selten  ein  weiteres  Einreissen  der 
Kapsel  von  den  Wundwinkeln  aus  mit  sich  bringt,  was  das  Zurückziehen 
der  Zipfel  bis  zum  Linsenrande  sehr  begünstiget.  Die  im  Bereiche  der  Kaps el- 
öffnuvg  gelegenen  Theile  des  Krystalles  werden  dann,  wenn  nicht  besondere 
Umstände  entgegentreten,  meistens  völlig  aufgesaugt;  die  von  den  Kapscl- 
resten  gedeckten  Portionen  aber  hinterlassen  immer  einen  Rückstand,  welcher 
wenigstens  theihveise  verkalkt  und  die  über  einander  liegenden  Partien  der 
beiden  Kapselhälften  zusammenlöthet. 

Waren  beide  Kapselhälften  in  loeitem  Umfange  zerspalten  worden ,  so 
stellt  der  Staar  eine  Art  Ringwulst  (Krystallwidst)  dar,  welcher  secundär 
metamophosirende  Staarmassen  enthält  und  eine  aus  den  peripheren  Theilen 
der  beiden  Kapselhälften  gebildete  Hülle  besitzt,  die  an  ihrem  inneren 
Rande  durch  die  verkalkten  Staarreste  schlauchartig  abgeschlossen  wird, 
an  dem  äusseren  Rande  aber  durch  die  Zouula  in  normaler  Verbindung 
mit  dem  Strahlenkörper  steht.  Erstreckten  sich  die  Kapselwunden  bis  an 
den  Aequator,  oder  wurden  gar  einzelne  Stücke  aus  der  Peripherie  der 
Kapsel  herausgerissen,  so  erscheint  der  Krj'stallwulst  oft  lückenhaft,  er  um- 
säumt nur  einzelne  Portionen  des  Ciliarkörpers ,  an  anderen  fehlt  jede 
Spur,  oder  es  finden  sich  daselbst  nur  einzelne  trübe  Fetzen  vor.  Es 
wird  dieser  Kiystallwulst  von  der  Iris  völlig  gedeckt,  die  Pupille  zeigt 
sich  vollkommen  rein  und  für  directe  Lichtstrahlen  wie  im  Normalzustande 
durchgängig. 

War  aber  die  Hinterkapsel  unverletzt  geblieben,  so  erscheint  sie  später- 
hin in  der  Lichtung  des  Krystallwulstes  wie  in  einem  Rahmen  ausgespannt. 
Oefters  zeigt  sie  eine  ziemlich  starke  Vorbauchung,  was  durch  die  Massen- 
zunahme des  Glaskörpers  zu  erklären  ist.  Sie  kann  für  immer  ihre  volle 
Durchsichtigkeit  bewahren  :  nicht  selten  aber  geht  sie  schon  trüb  aus  dem 
Processe  hervor  oder  verliert  erst  später  ihre  Pellucidität  durch  einen 
mehr  weniger  dichten  Beschlag,  welcher  aus  Zellen  oder  ihren  Derivaten 
besteht,   die  sich   an   der  vorderen  Fläche  der  hinteren  Kapsel  neu  zu  bilden 


700  Oatarai'ta;  Ausgänge;  Verliallen  dfh  Staares  nach  Zerkliiftiuifj  der  Kapsel. 

pflegen    (Schiess-Gemuseus)    und    im    weiteren    Verlaufe    sich    mannigfaltig 
verändern. 

War  die  Zerklüftung  der  vorderen  Kapsel  eine  unvollkommene  geblieben 
und  waren  solchermassen  nur  einzelne  kurze  Zipfel  gebildet  worden,  welche 
sich  vermöge  der  Lage  der  entsprechenden  Wundwinkel  nur  wenig  zurück- 
ziehen konnten ;  so  kommt  es  vermöge  der  Absperrung  der  peripheren 
Linsenportionen  allerdings  auch  bisweilen  zur  Entwickelung  eines  wulst- 
ähnlichen Rahmens ;  dessen  Lichtung  wird  aber  zum  grossen  Theile  verlegt 
durch  trübe  häutige  Ausläufer,  welche  aus  den  durch  ein  fettigkalkiges 
Staarstratum  übereinander  gelötheten  mittleren  Portionen  der  beiden  Kapsel- 
hälften bestehen  und,  indem  sie  nur  einen  Theil  der  Pupille  frei  lassen, 
immer  eine  sehr  merkliche  Beschränkung  des  Sehvermögens  zur  Folge  haben. 

Y.  Auf  dass  sich  die  Zipfel  der  Kapsel  zurückziehen  können,  wird  unbe- 
dingt vorausgesetzt,  dass  dieselben  nicht  durch  entzündliche  Auflagerungen 
oder  durch  anhaftende,  secundär  metamorphosirte  Staarreste  der  normalen 
Elasticität  verlustig  geworden  sind.  Schon  ganz  dünne  Auflagerungen,  sie 
mögen  die  innere  oder  äussere  Wand  betreffen,  setzen  der  Retraction  sehr 
bedeutende  Hindernisse  entgegen.  Bei  einer  gewissen  Dicke  genügen  sie,  um 
selbst  schmale  und  lange,  fast  lineare  Balken  in  ihrer  ursprünglichen  Lage  zu 
erhalten.  Es  wird  solchermassen  die  Wiedervereinigung  neben  einander 
gelegener  Kapselzipfel  sehr  begünstigt  und  die  directe  Einwirkung  der 
dioptrischen  Feuchtigkeiten  auf  die  staarige  Linsenmasse  sehr  beschränkt. 
Daher  pflegt  unter  solchen  Umständen  die  Resorption  verhältnissmässig 
weniger  zu  leisten,   dafür  aber  die  Kalkbildung  eine  reichliche  zu  sein. 

c.  Einen  sehr  wesentlichen  Einfluss  auf  die  Gestaltung  der  anato- 
mischen Verhältnisse  nimmt  die  Beschaffenheit  der  einzelnen  Linsenschichten, 
also  die  Form  und  der  Entwickelungsgrad  des  gegebenen  Staares.  Im  All- 
gemeinen pflegt  unter  übrigens  gleichen  Umständen  die  Aufsaugung  des 
staarig  zerfallenden  Krystalles  und  die  Retraction  der  Kapselzipfel  eine  um 
so  raschere  und  vollständigere  zu  sein,  je  toeicher  die  Linse  in  ihren  einzelnen 
Bestandtheilen  ist.  Flüssige  Totalstaare  ständen  insoferne  obenan,  wenn 
bei  ihnen  die  secundären  Metamorphosen  nicht  sehr  früh  begännen  und 
die  Kapsel  durch  fettkalkige  Beschläge  der  natürlichen  Elasticität  beraubten. 
Weiche  Staare,  bei  welchen  die  Malacie  bis  ins  Centrum  vorgeschritten  ist, 
insbesondere  die  von  stärkekleisterähnlicher  Consistenz  und  Farbe,  werden 
darum  als  die  relativ  günstigsten  betrachtet.  Uebrigens  geht  auch  bei  den 
partiellen  und  unvollständig  entwickelten  Totalstaaren  kindlicher  oder  sehr 
jugendlicher  Individuen  die  Resorption  sehr  rasch  vor  sich  und  es  reichen 
oft  verhältnissmässig  geringe  Verletzungen  hin,  um  die  Pupille  grossentheils 
oder  ganz  frei  zu  legen.  Jenseits  der  Pubertätsperiode  ist  die  Consistenz 
des  Kernes  einer  raschen  und  vollständigen  Resorption  oft  schon  sehr  hinder- 
lich. Die  Schwierigkeiten  steigen  aber  im  Verhältnisse,  als  mit  fort- 
schreitendem Alter  die  Dichtigkeit  und  der  Umfang  des  Kernes  wachsen. 
Harte  Kernstaare  und  gemischte  Staare,  wenn  das  Volumen  des  Scleromes 
nur  einigermassen  bedeutender  ist,  verhalten  sich  in  der  That  gegen  ein- 
fache Spaltungen,  selbst  wenn  diese  den  Kern  durchdringen,  ziemlich  in- 
different. In  noch  höherem  Grade  aber  gilt  dieses  von  Staaren,  bei  welchen 
die  secundären  Metamorphosen  schon  weit  gediehen  sind,  von  der  Cataracta 
siliquata,   discoidea,   calcarea,  fibrosa.      Damit  hier  ein    Theil  der  Pupille  für 


Staarblähunf;  und  (li'ri'ii  Folgen.  /Ol 

directe  Lichtstrahlen  duvchlässi<i;  werde,  müssen  grössere  Portionen  aus  der  Mitte 
der  vorderen  oder  beider  Ktipscln  herausgerissen  und  sammt  dem  etwa  vorhan- 
denen sclerosirenden  Kerne  aus  der  optischen  Axe  des  Auges  dislocirt  werden. 

£.  Die  Beschaffenheit  der  einzelnen  Linsenstrata  bceinüiasst  ausserdem 
das  Mass  der  mit  dem  staarigen  Zerfalle  verbundenen  Blähung  oder 
Quellung  und  damit  gewissermasscn  auch  noch  das  Mass  der  Gefahr  ent- 
zündlicher lieaction  (Graefe).  Bei  breiig  zerfallenen  und  besonders  bei  Linsen- 
theilen,  welche  in  den  secundären  Metamorphosen  schon  weit  vorgeschritten 
sind,  ist  die  Aufquellung  eine  sehr  geringe  oder  fast  Null.  Auch  grosse 
Trümmer  sclerositer  Kerne  blähen  sich  wenig,  da  sie  nur  sehr  langsam 
von  den  dioptrischen  Feuchtigkeiten  angegriffen  und  der  Resorption  zuge- 
führt werden.  Mechanische  Heizungen  der  gefässhaltigen  Binnenorgane 
sind  von  solchen  Staartheilen  also  nur  zu  fürchten,  wenn  sie  aus  der 
Kapselhöhle  hervortreten  oder  gar  auf  den  Boden  der  Kammer  fallen  und 
mit  der  Regenbogenhaut  in  directe  Berührung  kommen.  Kleinere  Trümmer 
sclerosirter  Kerne  hingegen  schwellen  unter  günstigen  Verhältnissen  schon 
mehr  auf,  weil  sie  den  dioptrischen  Feuchtigkeiten  eine  relativ  viel  grössere 
Oberfläche  darbieten,  die  Zersetzung  also  rascher  erfolgen  kann.  Am  meisten 
blähen  sich  unter  übrigens  gleichen  Umständen  durchsichtige  oder  bereits 
getrübte  Liusentheile,  welche  die  normale  oder  fast  normale  Consistenz  haben 
und  zwar  ist  die  Aufquellung  eine  um  so  raschere  und  bedeutendere,  je 
mehr  die  Kapsel  und  die  Linse  mechanisch  zerklüftet  wurden. 

Die  mit  der  Blähung  verbundene  mechanische  Reizung  der  gefässhaltigen 
Binnenorgane  ist  aber  unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  um  so  grösser 
und  droht  um  so  mehr  Gefahr,  je  grösser  die  Dichtigkeit  der  geblähten 
und  mit  der  Iris  in  Contact  kommenden  Theile  ist.  In  der  That  werden 
bei  Kindern  oft  enorme  Staarblähungen  vertragen,  ohne  dass  es  ^u  einer 
heftigen  Entzündung  kömmt,  während  schon  in  der  Pubertätsperiode  relativ 
geringe  Blähungen  intensive  Reactionen  mit  sich  zu  bringen  pflegen.  Von 
da  an  steigt  die  Missgunst  der  Verhältnisse  und  im  höheren  Mannes-  und 
Ghreisenalter  genügt  oft  schon  ein  kleiner  Kiystallflocken,  welcher  aus  einer 
zarten  Stichwunde  hervorragt,  um  wahrhaft  deletäre  Processe  anzufachen. 
Es  kömmt  hierbei  sowohl  die  mit  der  Dichtigkeit  der  geblähten  Theile 
wachsende  Schwierigkeit  der  Resorption,  als  auch  die  Dauer  der  mechani- 
schen Reizwirkung  in  Betracht.  Abgesehen  hiervon  ist  jedoch  auch  das 
Alter  als  solches  von  grossem  Belange,  denn  es  ist  durch  die  Erfahrung  so 
ziemlich  erwiesen,  dass  Kinderaugen  auf  gleiche  Verletzungen  im  Ganzen 
iveit  weniger  reagiren,  als  die  Augen  Erwachsener  oder  gar  der    Greise. 

Es  stehen  diese  Gefahren  der  Blähung  ausserdem  auch  noch  in  einem  sehr 
lüohl  TM  beachtenden  Verhältnisse  ziir  Grösse  und  Dauer  der  durch  Atropin  erziel- 
baren Wirkungen,  so  dass  man  unter  sonst  gleichen  Umstünden  die  Blähung  für 
loeniger  bedenklich  halten  kann,  wenn  die  Iris  rasch  und  nachhaltig  auf  Atropin 
reagirt,  die  Pupille  also  durch  Mydriatica  leicht  auf  das  Maximum  erweitert  und 
ausser  dem  Bereiche  der  Staartrümmer   gehalten  werden  kann  (Graefe). 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  auch  individuelle,  nicht  näher  bestimmbare 
Eigenthümlichkeiten  Einfluss  nehmen.  Diese  führen  bisweilen  zu  ganz  übermässigen 
Reactionen,  ja  zu  eitrigen  Zerstörungen  des  ganzen  Bulbus,  wo  man  es  am  wenigsten 
erwartet  hätte ;  während  sie  umgekehrt  in  einzelnen  Ausnahmsfällen  den  gröbsten 
Beleidigungen  der  gefässhaltigen  Biunenorgane  die  gefährliche  Spitze  abbrechen. 

In  wie  weit  bei  diesen  Vorgängen  das  chernisclie  Moment  der  Staarzei"setzung 
in  Rechnung  zu  ziehen  sei  (Pagenisteclier),  ist  nicht  ausgemacht.  Jedenfalls  ist  der 
vitale  Einfluss    des  Wucherungsprocesses ,    welcher  sich    in  den  der  Kapsel  anhän- 


702      Cataracta;  Ausgänge;  Einfluss  d.  Entzüiidg.  auf  d.  Resorption;  Heilung  durch  Dislocation. 

genden,  noch  lebensfähigen  Liusenelementen  einzustellen  pflegt,  bei  der  Entwickelung 
von  Iritiden  nicht  ohne  hohe  Bedeutung  (Graefe). 

Wenn  solchermassen  angeregte  Entzündungen  übrigens  auch  ohne  nam- 
haftere Schädigung  der  gefässreichen  Binnenorgane  des  Augapfels  ablaufen, 
so  bleiben  sie  doch  in  hohem  Grade  misslich,  indem  unter  ihrer  Ein- 
wirkung die  Resorption  nicht  nur  sehr  verlangsamt,  sondern  oftmals  geradezu 
gehindert  und  der  Uebergang  der  biosgelegten  Staartheile  in  ständige  Formen 
begünstigt  wird.  Einerseits  bilden  sich  in  Folge  von  Iritis  nämlich  gerne 
hintere  Synechien,  welche  der  Retraction  der  Kapselzipfel  im  Wege  stehen ; 
andererseits  aber  greift  der  Gewebswucherungsprocess  leicht  auf  die  eigent- 
lichen Linsenelemente  über.  Thatsache  ist  wenigstens,  dass  unter  solchen 
Verhältnissen  die  im  Bereiche  der  Kapselöffnung  gelegenen  Linsentheile 
sich  oftmals  ansehnlich  verdichten  und  mit  der  Zeit  förmliche  Schwarten 
von  fibrösem  Aussehen  oder  Haufen  von  Kalkdrusen  darstellen,  welche  die 
Kapselhöhle  nach  vorne  hin  wieder  abschliessen  und  sich  öfters  sogar  mit 
einem  neoplastischen  Glashäutchen  überziehen,  während  der  Inhalt  der 
Kapselhöhle  gleichfalls  unter  vorwaltender  Kalk-  oder  Cholestearinent- 
wickelung  ständig  wird  und  die  Catai'acta  ganz  den  Charakter  eines  unter 
heftigen   Entzündungen  entwickelten  Staares  gewinnt. 

2.  Ein  anderer  Weg  für  relative  Heilungen  des  Staai'es  ist  in  Sprengungen 
der  Zonula  und  in  dadurch  ermöglichten  Verschiebungen  des  cataractösen 
Krystallkörpers  gegeben.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  als  Ursachen  einer 
solchen  Zusammenhangstrennung  des  Strahlenblättchens  dieselben  Verhält- 
nisse in  Betracht  kommen,  es  möge  die  Linse  staarig  oder  durchsichtig  sein 
(S.  692).  Immerhin  sind  jedoch  die  Umstände  einer  partiellen  oder 
totalen  Ablösung  des  Krystallkörpers  bei  Cataracten ,  besonders  solchen, 
welche  in  der  regressiven  Metamorphose  scho7i  weit  vorgeschritten  sind,  um 
ein  Bedeutendes  günstiger.  Abgesehen  davon,  dass  die  Zonula  bei  Atrophie 
der  Linse  selten  ganz  unberührt  bleibt,  wird  nämlich  durch  die  Schrumpfung 
der  Cataracta  selbst  ein  Zug,  und  zwar  oft  ein  ungleichmässiger,  auf  das 
Strahlenblättchen  ausgeübt,  dieses  demnach  unverhältnissmässig  gespannt 
und  oft  sogar  ziemlich  stark  ausgedehnt.  Es  bedarf  dann  blos  einer  geringen 
äusseren  Gewalt,  oft  nur  einer  kräftigen  Contraction  der  geraden  Augen- 
muskeln, um  die  Zonula  zum  Bersten  zu  veranlasssen.  Ist  der  Glaskörper 
vielleicht  gar  verflüssigt,  was  bei  Staaren,  welche  sich  unter  dem  Ein- 
Üusse  heftiger  Entzündungen  entwickelt  haben,  nicht  selten  vorkömmt,  so 
genügen  öfters  schon  die  starken  Schwingungen,  in  welche  das  Fluidum 
durch  rasche  Bewegungen  des  Augapfels  versetzt  wird,  um  ein  Springen  der 
Zonula  zu  bewirken. 

Ist  das  Strahlenblättchen  dann  auch  nur  in  geringem  Umfange  zerrissen, 
so  senkt  sich  der  Staar,  seiner  Schwere  folgend,  bald  nach  dieser,  bald  nach 
jener  Richtung  und  legt  so  vielleicht  vorübergehend  Theile  der  Pupille  blos. 
Dazu  kömmt,  dass  nach  Trennungen  der  Zonula  das  Hinderniss  für  eine 
Verkürzung  des  Durchmessers  der  Linse  beseitiget  ist.  Kann  sich  aber  die 
Linse  nach  allen  Dimensionen  um  ein  Bedeutendes  verkleinern,  so  wird 
wohl  auch  ein  grosser  Theil  der  Pupille  oder  diese  ihrem  ganzen  Umfange 
nach  bleibend  frei. 

So  lange  ein  solcher  geschrumpfter  Staar  noch  durch  Reste  der  Zonula 
mit  dem  Ciliarkörper  in  Verbindung  steht,  kann  er  sich  allerdings  nicht  von 
der  Stelle  bewegen,   doch  folgt  er  allen  Schwingungen  des  Glaskörpers  und 


Dislocatio  eataractae;  Zitter-,  Scliwiminstaar;    I-'olf^en  iler  Seli.stöning.  703 

des  Kamnierwassers,  erscheint  dcranaoli  als  Zitterstaar  (Cataracta  tremnlans) . 
Er  wird  durch  diese  OsciUationen  und  die  mechanische  Ikürrung  der  llegen- 
bogenhaut  gerne  die  Ursache  acuter^  oft  höchst  verderblicher  Entzündungen. 
Häutiger  indessen  veranlasst  er  chronische  Tridochorioiditis,  welche  leicht 
den  Ruin  des  Bulbus  liei'beifiihv(>n,  ja  selbst  auch  das  andere  Auye  in  ]\Iit- 
Icidenschaft  ziehen  und  gefährden  kann.  Doch  kömmt  es  auch  vor,  dass 
der  Staar  durch  diese  Entzündungen  allmälig //a:;i/<  und  ?mscÄä(Z/tc7j  gemacht 
wird,  oder  dass  seine  Beivegungen  vertragen  werden,  ohne  irgend  eine 
erhebliche  Reaction  nach  sich  zu  ziehen. 

Verwächst  der  Zitterstaar  nicht  mit  seinen  gefässlialtigen  Umgebungen, 
so  schreitet  wegen  der  mit  den  OsciUationen  verbundenen  Zex-rung  die 
Trennung  der  Zonula  oftmals  weiter  und  am  Phide  wird  ein  Schwimmstaar 
daraus,  ein  Ereigniss,  welches  übrigens  auch  gleich  ursprünglich  in  Folge 
der  Einwirkung  einer  äusseren  mechanischen  Gewalt  und  in  Folge  einer 
darin  begründeten  totalen  Zerreissung  des  8trahlenblättchens  zu  Staude 
kommen  kann. 

Ein  gänzlich  aus  seinen  normalen  Verbindungen  gerissener  Staar  senkt 
sich  bisweilen  einfach  und  wird  auf  entzündlichem  Wege  am  Boden  der 
hinteren  Kammer  fixirt,  möglicher  Weise  also  auch  für  die  Dauer  unschäd- 
lich gemacht.  Oefter  jedoch  bleibt  er,  gleichviel  ob  Iridochorioiditis  ein- 
tritt oder  nicht,  längere  Zeit  frei  und  kömmt  bald  in  die  Vorderkammer, 
bald  tritt  er  wieder  zurück.  Verharrt  er  längere  Zeit  in  der  Vorderkammer, 
so  regt  er  vermöge  der  mechanischen  Beeinträchtigung  der  Iris  meistens 
bald  heftige  Entzündungen  an,  welche  selten  auf  die  Regenbogenhaut  be- 
schränkt bleiben  und  den  Staar  fixiren,  vielmehr  in  der  Regel  sich  über 
den  gesammten  Bulbus  ausbreiten  und  diesen  durch  Atrophie  oder  Phthise 
zu  Grunde  richten.  War  der  Glaskörper  bei  der  Ablösung  des  Krystalles 
schon  verflüssigt,  oder  verflüssigte  er  sich  erst  in  Folge  der  Entzündungen, 
welche  durch  den  beweglichen  Staar  augeregt  und  unterhalten  zu  werden 
pflegen :  so  kann  der  Staar  im  ganzen  inneren  Angenraume  hei'umschwimmeu, 
er  erscheint  bald  in  der  Kammer,  bald  senkt  er  sich  in  die  Tiefe  des 
Augengrundes,  bis  er  endlich  unter  einer  heftigeren  Entzündung  irgendwo 
fixirt  wird,  oder  der  Bulbus  durch  Atrophie  oder  Phthise  zum  Schrumpfen 
gebracht  worden  ist. 

B.  Die  Sehstörungen,  welche  durch  den  Graustaar  bedingt  werden, 
können  unter  gewissen  Umständen  einen  nachtheiligen  Einfluss  auf  die 
Functionstüchtigkeit  des  licht  empfindenden  und  des  Beioegungsapparates  der 
Augen  ausüben. 

Entwickelt  sich  der  Staar  erst  nach  der  Pubertätsperiode,  oder  gar  im 
reiferen  Alter,  so  droht  nur  selten  ein  derartiges  secundäres  Leiden.  Aller- 
dings erscheinen  solche  Cataracten  gar  nicht  selten  in  Gesellschaft  von 
Amblyopien  und  bisweilen  auch  von  Motilitätsstörungen ;  dieses  sind  aber 
zufällige  Complicationen,  oder  sie  fliesseu  mit  dem  Staare  aus  derselben 
Quelle.  Langjähriger  Bestand  der  Cataracta,  besonders  einer  einseitigen, 
führt  in  dieser  Altersperiode  höchstens  zu  dem  Uebelstande,  dass  der  Kranke 
nach  einer  glücklichen  Operation  die  ihm  gebotenen  Theileindrücke  nicht 
recht  zu  sondern  und  zu  beurtheilen  vermag  und  einer  längeren  Uebung 
bedarf,  um  in  den  Vollgenuss  des  wiedererlangten  Sehvermögens  zu 
gelangen. 


704  Cataracta;  Ausgänge;  Folgen  der  Sehstörung;  Behandlung;  Pharmaceut.  Mittel. 

Ungünstiger  gestalten  sich  die  Verhältnisse,  wenn  der  Staar  schon  im 
frühen  Kindesalter  oder  gar  schon  ivährend  der  Fötalperiode  zur  Entwicke- 
lung  gekommen  ist,  und  dies  fällt  um  so  schwerer  in  die  Wagschale,  als 
derartige  Cataracten  ohnehin  schon  in  einem  nicht  geringen  Procente  mit 
Bildungshemmungen  der  übrigen  Organe  und  davon  abhängigen  Functions- 
störungen  gepaart  sind.  Ist  der  Staar  beiderseitig,  so  stellt  sich  fast  immer 
sehr  bald  Nystagmus  ein,  welcher  mit  den  Jahren  an  Intensität  zunimmt 
und  in  der  Regel  auch  bald  zu  einer  sehr  bedeutenden  strabotischen  Ab- 
weichung des  einen  oder  des  anderen  Auges  führt.  Dazu  gesellt  sich 
erfahi'ungsgemäss  nicht  gar  selten  eine  Abnahme  der  Functionstüchtigkeit 
beider  Netzhäute,  welche  bei  Verschiebung  der  Operation  mit  den  Jahren 
sich  steigert,  öfter  schon  vor  Beginn  der  Pubertätsperiode  zu  einer  wahren 
binocularen  Amblyopie  geworden  ist  und  jeden  weiteren  Heilversuch  frucht- 
los macht.  Ist  der  Staar  ein  einseitiger  und  bleibt  er  es  durch  lange  Jahre, 
so  ist  Amblyopie  und  Strabismus  des  cataractösen  Auges  eine  sehr  gewöhn- 
liche Folge.  Doch  sind  allerdings  auch  Fälle  bekannt,  wo  solche  im 
frühesten  Alter  aufgetretene  Staare  in  den  späteren  Lebensperioden  mit  dem 
besten  Erfolge  operirt  worden  sind  und  das  Auge  seine  normale  Stellung 
und   Beiceglichkeit  behauptet  hat  (Graefe,  Knapp). 

Die  Therapie  hat  die  Aufgabe,  beginnende  Staare  rückgängig  zu  machen, 
oder  wenigstens  in  ihrer  weiteren  Entwickelung  zu  hemmen.  Wo  die 
cataractöse  Trübung  lediglich  der  Ausdruck  eines  im  vollen  Gange  befind- 
lichen frischen  Entzündung sprocesses  ist,  wird  man  durch  entsprechendes 
antiphlogistisches  Verfahren  diesem  Zwecke  zu  genügen  öfters  in  der  Lage 
sein.  Widrigenfalls  kömmt  es  darauf  an,  die  mit  der  fortschreitenden 
Ausbildung  des  Staares  verbundenen  Sehstörungen  thunlichst  zu  vei-mindern, 
bis  sich  die  Entfernung  des  Staares  aus  der  optischen  Axe  möglichst  leicht  und 
gefahrlos  bewerkstelligen,   die  Hauptindication  also   erfüllen  lässt. 

A.      1.   Ob  eine  Rückbildung  eigentlicher  cataractöser  Trübungen  auf 

therapeutischem  Wege  zu  erzielen  sei,  ist  mindestens  sehr  zweifelhaft. 

Allerdings  behaupten  mehrere  glaubwürdige  Autoren  nach  dem  systematischen 
Gebrauche  von  Mercin-iaUen,  nach  mehrmonatlichen  Einreibungen  von  Jodkalisalbe 
in  die  Umgebung  des  Auges,  nach  der  innerlichen  und  äusserlicheu  Anwendung  von 
Phosphor  (Tavignot),  nach  einer  Behandlung  mit  Electricität  {FayeJ,  nach  Bade- 
kuren in  Karlsbad,  Eger  (Himly,  Arlt)  u.  s.  w.  eine  völlige  Aufhellung  vorhandener 
cataractöser  Trübungen,  besonders  corlicaler,  gesehen  zu  haben.  Es  sind  diese  Fälle 
indessen  so  seltene  Ausnahmen,  dass  sie  kaum  zur  Einleitung  derartiger  Behandlungen 
ermuntern.  Die  Hofl'nungen,  welche  man  in  BetreiJ"  diabetischer  Cataracten  auf  die 
Heilwirkung  der  Karlsbader  Quellen  gesetzt  hat  (Melchior),  sind  nach  den  bisherigen 
Erfahrungen  als  ganz  gescheitert  zu  betrachten.  Eben  so  hat  sich  die  Wirksamkeit 
-methodisch  loiederholter  Corneal^jaracentesen  (S.  108)  als  nichtig  erwiesen  (Rivaud- 
Landrau  u.  A.),  doch  will  man  damit  den  Fortschritt  des  Staarprocesses  zeitweilig 
gehemmt  haben  (Secondi).  In  wie  weit  der  Einfluss  concentrirten  Sonnenlichtes  zur 
Aufhellung  staariger  Trübungen  nutzbar  gemacht  werden  kann  (M.  Laiigenbeck),  ist 
nicht  genugsam  geprüft  worden. 

Immerhin  können  therapeutische  Behandlungen  mittelbar  von    grossem 

Nutzen  werden,   insoferne   sie  nämlich  geeignet    sind,   directe    oder  indirecte 

Ursachen   der  Staarbildung  gründlich  zu  beheben. 

Es  lässt  sich  wenigstens  a  priori  kaum  abläugnen,  dass  mit  der  Beseitigung 
der  pathogenetischen  Momente  auch  die  Entivickehmg  des  Staares  gehindert  und  dessen 
Weiterscliveiten  gehemmt  werden  könne.  Gelingt  dieses  aber,  so  ist  offenbar  die 
Möglirhkeif  gegeben,  dass  die  bereits  getrübte  Partie  durch  regressive  Metamoiphose 
und  Aufsaugung    zum  Verschwinden    gebracht  oder    beträchtlich    zerklüftet  und  so 


Diätetische  Massregeln;  Mydriatica.  705 

eine  relative  Heilunj;  eizielt  wird.  Die  Indicatioii  für  ein  solches  therapeutisches 
Vorgehen  tritt  am  klarsten  lieraus,  wo  geivisse  Krankheiten  einen  verderblichen  Ein- 
fluss  auf  die  Veqelationsverhältnisse  des  gesammten  Körpers  nehmen  und  eine  i)atho- 
loo-ische  Involution  begründen,  so  wie  dort,  wo  locale  Entzündungen  die  normale 
Ernährung  der  Linse  gefährden. 

2.  Bhitziehen  sich  die  pathogenetischen  Momente  der  Staarbildung  der 
Erkenntniss,  oder  liegen  sie  ausser  dem  Bereiche  therapeutischer  Heilwirkungen, 
so  ist  es  bei  unreifen  Catai-acten  das  beste,  die  Reife  geduldig  abzuwarten 
und  die  ganze  Sorge  auf  Fernhaltung  von  Schädlichkeiten  zu  richten,  welche 
den  cataractösen  Process  möglicher  Weise  beschleunigen,  oder  die  übrigen 
Bulbusorgane  in  einen  Zustand  versetzen  könnten,  der  den  Erfolg  der 
später  vorzunehmenden   Operation  gefährdet  oder  völlig  aufhebt. 

Es  genügt  in  dieser  Beziehung  ein  gemässigtes  Leben  und  es  wäre 
ganz  überflüssig,  dem  Kranken  gewohnte  und  für  seinen  übrigen  Körper 
unschädliche  Genüsse  vorenthalten  zu  wollen.  Doch  ist  es  klug,  wenn  nicht 
geradezu  nothivendig,  auf  thunlichste  Schonung  der  Augen  zu  dringen  und 
namentlich  Beschäftigungen  zu  untersagen,  welche  ein  genaues  Sehen  in 
kurzen  Distanzen  erfordern,  also  anhaltendes  Lesen,  Schreiben,  Nähen  u.  s.  w. 

3.  Bei  beiderseitigen  Staaren,  welche  in  ihrer  Entwickelung  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  vorgeschritten  sind,  verbieten  sich  Beschäftigungen, 
die  ein  scharfes  Sehen  verlangen,  in  der  Regel  von  selbst.  So  lange  der- 
artige Staare  noch  auf  keinem  Auge  zur  Reife  gelangt  sind,  stellt  sich  die 
Aufgabe,  die  damit  verknüpften  Sehstörungen  einstweilen  nach  Thunlichkeit 
zu  vermindern,  um  dem  Kranken  sein  trauriges  Los  zu  erleichtern,  bis  die 
Operation  unter  möglichst  günstigen  Aussichten  auf  Erfolg  durchgeführt  werden 
kann.  Gemeiniglich  hilft  sich  der  Kranke  schon  selbst  durch  starke  Beschattung 
der  Augen  und  Abbiendung  diffusen  seitlichen  Lichtes  (S.  123),  indem  solcher- 
massen  die  Pupille  sich  etwas  erweitert  und  die  Erleuchtungsintensität  des 
von  der  Linsentrübung  ausgehenden  Spectrums  gemindert,  die  Deutlichkeit 
und  Helligkeit  der  Netzhautbilder  sonach  gesteigert  wird.  Der  Arzt  wird 
breite  Krampen,  Augenschirme  u.  dgl.  empfehlen,  wenn  directes  Sonnen- 
oder Lampenlicht  abzuhalten  ist;  dunkle  Gläser  aber,  wenn  grelles  diffuses 
Licht  gedämpft  werden  soll  (S.   22). 

Es  werden  in  solchen  Fällen  vielfach  die  Mydriatica  angewendet.  Man  hat 
jedoch  ihre  Wirkung  nicht  ganz  in  der  Hand.  Werden  Lösungen  von  Atropin  etc. 
eingeträufelt,  so  erweitert  sich  die  Pupille  gewöhnlich  sehr  stark  und  das  Sehen  wird 
dann  oft  sehr  verwirrt.  Der  Geivinn  ist  darum  nur  dort  ein  sehr  in  die  Augen 
springender,  wo  die  durch  Beschattung  der  Augen  erzielbare  Erweiterung  des  Seh- 
loches einer  erheblichen  Besserung  des  Gesichtes  niclit  mehr  genügt.  Hier  bleiben  die 
mydriatischen  Lösungen  jedenfalls  ein  zeitweilig  verwendbares  werthvoUes  Palliativ. 
In  den  übrigen  Fällen  ist  die  einfache  Beschattung  vorzuziehen. 

4.  Es  genügen  diese  Hilfsmittel  begreiÜicher  Weise  nur,  wenn  der 
Staar  in  stetem  Fortschreiten  begriffen  ist  und  die  begründete  Hoffnung  gibt, 
es  werde  in  nicht  ferner  Zeit  eine  erfolgreiche  Operation  desselben  mit  ver- 
hältnissmässig  geringen  Gefahren,  wenigstens  auf  Einem  Auge,  vorgenommen 
werden  können.  Bei  partiellen  Staaren,  welche  bereits  stationär  geworden 
sind  und  erfahx'ungsgemäss  Jahrzehende,  ja  das  ganze  Leben  hindurch,  ohne 
wesentliche  hier  in  Betracht  kommende  Veränderung  fortbestehen  können, 
anderseits  aber  vermöge  dem  bedeutenden  Uebergewichte  der  noch  normal 
vegetirenden  durchsichtigen  Linsentheile  eine  Staaroperation  sehr  gefährlich 
erscheinen  lassen :  bei  solchen  Staaren  müssen  wirksamere    Auskunftsmittel 

st  eil  wag,  Augenheilkunde.  45 


706      Cataracta;   Behaiidl.;   Vmlagening  der  Pupille,  Iridectomie  liei  Schichtstaar  u.  Cat.  part. 

ergriffen  werden,  will  man  den  halbblinden  Kranken  nicht  ins  Unbestimmte 
seinem  beklagenswerthen  Schicksale  überlassen  oder  den  Wechselfällen  einer 
anerkannt  sehr  gewagten  Operation  Preis  geben. 

Es  handelt  sich  in  solchen  Fällen  darum,  durch  Bloslegung  durch- 
sichtiger Linsentheile  eine  Erhöhung  des  scheinbaren  Glanzes  der  Netzhaut- 
bilder zu  ermöglichen,  andererseits  aber  auch  durch  Abhaltung  überflüssigen 
Lichtes  die  Erleuchtungsintensität  des  von  den  trüben  Krystallportionen  aus- 
gehenden Spectrums  zu  vermindern.  Dem  ersten  Zwecke  kann  man  durch 
eine  Iridectomie  genügen  [Graefe,  Steffan);  dem  anderen  durch  Beschattung 
des  Auges  mittelst  Schirmen  und  nötliigenfalls  mittelst  dunkler  Gläser. 
Besser  würde  das  vorgesteckte  Ziel  allerdings  erreicht  durch  eine  glücklich 
ausgeführte  operative  Verlagerung  der  Pupille  (S.  302),  da  auf  diesem 
Wege  gleichsam  mit  Einem  Schlage  die  Durchgangsöffnung  für  directe 
Strahlen  erweitert  und  die  lichtzerstreuende  Trübung  zum  Theile  verdeckt 
wird,  ohne  dass  damit  das  Spiel  der  Pupille  und  die  Accommodation  des 
Auges  einen  sehr  ins  Gewicht  fallenden  Schaden  erlitte  (Pagenstecher,  Ber- 
lin). In  der  That  hebt  sich  nach  einem  solchen  Eingriffe  das  Sehvermögen 
fast  constant  in  sehr  beträchtlichem  Grade  und  es  bedarf  höchstens  noch 
relativ  schioacher  Gläser,  um  den  vorhandenen  Einstellungsfehler  des  Auges 
in  zureichender  Weise  zu  corrigiren.  Doch  fallen  auch  die  Gefahren  der 
Operation  überaus  schwer  in  das  Gewicht  und  im  Grossen  und  Ganzen 
scheint  es  räthlicher,  sich  mit  den  geringeren,  immerhin  aber  sehr  be- 
friedigenden Leistungen  der  Iridectomie  zu  begnügen.  Natürlich  wird 
dabei  vorausgesetzt,  dass  der  Schichtstaar  ein  reiner  und  stationärer  ist, 
ausserdem  aber  eine  fast  linienbreite  Zone  des  Linsenrandes  vollkommen 
frei  lässt. 

Reicht  der  Gleicher  des  trüben  Stratums  näher  an  den  Aequator  der  Linse,  so 
ist  die  durch  die  Operation  gewonnene  Durchgangsöfi'uung  für  directe  Lichtstrahlen 
eine  viel  s^<  Ideine,  als  dass  die  Netzhautbilder  bei  massiger  Erleuchtung  des  Ge- 
sichtsfeldes eine  genügende  scheinbare  Helligkeit  erhalten  könnten.  Ist  der  Schicht- 
staar ein  unreiner,  fangen  bereits  andere  i\nd  besonders  oberflächliche  Strata  der 
Linse  an,  trüb  zu  werden,  so  verlohnt  sich  die  Operation  nicht  der  Mühe,  da  die 
biosgelegten  pelluciden  Randtheile  der  Linse  in  der  Regel  bald  wieder  für  directe 
Lichtstrahlen  undurchlässig  werden. 

Wären  nicht  die  oben  ausgesprochenen  Bedenken,  so  Hesse  sich  die 
Pupillenverlagerung  auch  bei  anderen  Formen  'partieller  Staare  und  nament- 
lich auch  bei  Ectopien  der  Linse  (S.  693,/)  nutzbringend  anwenden.  Im 
letzteren  Falle  müsste  die  Pupille  selbstverständlich  gegen  den  mit  dem 
Strahleukörper  in  Berührung  stehenden  Theil  des  Linsenrandes  verzogen 
werden,  damit  die  in  der  Pupille  blosUegende  Portion  des  letzteren  von  der 
Iris   gedeckt  werde   (^Pagens techer,    Wecker,   Knapp). 

B.  Ist  der  Staar  einmal  zur  Reife  gelangt,  so  stellt  sich  die  Indication 
auf  operative  Beseitigimg  desselben  und  nur  ausserhalb  der  Cataracta  gelegene 
Verhältnisse  können  eine  Verschiebung  oder  gänzliche  Unterlassung  der 
Operation  rüthlich  oder  nothwendig   erscheinen   lassen. 

Der  Begriff  der  Staarreife  ist  übrigens  kein  scharf  umgrenzbarer.  Er 
bezieht  sich  nämlich  zunächst  auf  das  Mass  der  Schwierigkeiten  und  Gefahren, 
welche  der  Operation  aus  der  Beschaffenheit  der  einzelnen  Krj'stalltheile 
erwachsen.  Er  wechselt  darum  auch  mit  den  verschiedenen  Verfahnmgs- 
weisen,  welche  in  einem  bestimmten  Falle  durchgeführt  werden  können 
und    dehnt    sicli    im    Allgemeinen    um  so  mehr  aus,    je  mehr  Mittel  und 


Staarreife;  Gefaliien  der  Operation  unreifer  Staare;  Künstliche  Staarreifung.  707 

Wpf^e   diese  bieten,   um   die   Cataracta  in  schonoider    Weise    zur    Gänze   aus 
der  Eulbushöhle  zu  entfernen. 

Von  überwiegender  Wichtigkeit  ist  in  dieser  Beziehung  der  Zustand 
der  Linsenrinde.  Wo  die  äussersten  Krystallschichten  breiig  erweicht  oder 
förmlich  zerflossen  sind,  hat  selbst  die  Entbindung  eines  grossen  durch- 
sichtigen und  normal  consistenten  Kernes  keine  Noth ;  derlei  Staare  sind  also 
reif  zur  Operation.  Auch  schliesst  der  Bestand  eines  dünnen,  völlig  nor- 
malen CorticaJ Stratums  keine  sonderlichen  Gefahren  in  sich,  wenn  der  Rest 
der  Linse  sclerosirt  ist,  indem  dann  der  Zusammenhang  zwischen  Rinde 
und  Kern  ein  sehr  inniger  ist  und  der  Krystall  sich  gerne  im  Ganzen  von 
der  Kapsel  trennt  oder  doch  nur  spärliche  Reste  innerhalb  der  Höhle 
zurücklässt.  Haben  aber  die  peripheren  Krystallscliichten  auf  eine  nur  einiger- 
massen  beträchtliche  Tiefe  hin  ihre  Durchsichtigkeit  oder  wenigstens  ihre 
normale  Consistenz  bewahrt,  so  ist  deren  Ausräumung,  da  sie  zu  fest  der 
Kapsel  anhaften,  ohne  sehr  eingreifende  und  darum  auch  gefährliche  Mani- 
pulationen nicht  denkbar.  Es  können  dann  die  auf  operativem  Wege  ge- 
bildeten Kapselzipfel  sich  nur  schwer  zurückziehen,  verkleben  leicht  mit 
einander,  schliessen  das  darunter  gelegene  Linsengefüge  wieder  theilweise 
von  der  Berührung  mit  dem  Kammerwasser  ab  und  machen  dessen  Auf- 
saugung mangelhaft  (S.  700).  Dazu  kömmt,  dass  wenig  getrübte  und  nor- 
mal consistente  Krystalltheile  sich  unter  der  Einwirkung  des  Kammer- 
wassers stark  aufblähen  und  die  Iris  mechanisch ,  ja  vielleicht  auch 
chemisch  (Pagenstecher)  reizen;  ausserdem  aber,  so  weit  sie  ihre  organische 
Verbindung  mit  der  Kapsel  aufrecht  erhalten  haben,  auch  meistens  in 
einen  üppigen  Wucherungsprocess  gerathen  und  damit  möglicherweise  den 
krankhaften  Erregungszustand  der  nachbarlichen  Binnenorgane  steigern 
(GraefeJ.  Auch  kann  bei  verschiedenen  ExUactionsmethoden  der  Umstand 
von  Belang  werden,  dass  bei  aufgehobenem  Binnendrucke  die  intraoculäre 
Filtration  sehr  zunimmt  und  ihr  Product  sehr  reich  an  Fibrinogen  wird, 
der  coagulable  Theil  desselben  sich  auch  wohl  mit  den  Staartrümmern  und 
den  entzündlichen  Exsudaten  zu  mischen  und  die  Summe  der  Neubildung 
beträchtlich  zu  vergrössern  im  Stande  ist  (Adamük).  Das  Ergebniss  der 
Operation  ist  also  zum  mindesten  ein  Nachstaar ;  in  der  Regel  aber  eine 
heftige  Entzündung,  welche  oft  die  Existenz  des  Auges  auf  das  Aeusserste 
gefährdet  und,  falls  sie  auch  beschwichtigt  würde,  die  spätere  Beseiti- 
gung der  Secundärcataracta  durch  hintere  Synechien,  durch  Schwarten- 
bildung an  der  rückwärtigen  IrisÜäche,  durch  Kalkablagerungen  in  der 
Kapselhöhle  etc.  sehr  behindert.  Es  sind  solche  Staare,  kurz  gesagt,  unreif 
zur    Operation. 

Um  in  derlei  Fällen  den  Operaiionsfermin  nicht  übermässig  hinausschieben  zu 
müssen  und  dennoch  den  vorerwähnten  Uebelständen  die  Spitze  abzubrechen,  hat 
man  neuerdings  wieder  die  künstliche  Reifung  des  Staares  durch  operative  Eröffnung 
der  Vorderkapsel  versucht  und  damit  im  Ganzen  befriedigende  Resultate  erzielt. 
Es  wurde  zu  diesem  Behufe  vorerst  eine  Iridectoviie  ausgeführt  und  dann  nach 
Ablauf  von  mindestens  5  Wochen  mittelst  einer  durch  die  Cornea  eingestochenen 
feinen  Staarnadel  die  Kapsebnitte  kreuzweise  durchschnitten,  ohne  dabei  jedoch 
tief  in  die  eigentliche  Liuseusubstanz  einzudringen.  Einige  Tage  darauf  wurde  zur 
Beseitigung  der  Cataracta  geschritten  {Graefe).  Manche  verletzten  die  Kapsel  gleich 
bei  der  Iridectomie  mit  dem  Lanzenmesser.  Andere  stachen  die  Kapsel  mit  einer  Nadel 
an  und  verbanden  die  etwa  8  Tage  darnach  vorgenommene  Staaroperation  mit  der 
Ausschneidung  eines  Irisstückes  (Mannhardt).  Es  stellte  sich  jedoch  bald  heraus, 
dass  das  Verfahren  keineswegs  ein  ganz    unschuldiges  sei,    dass  vielmehr  bei  aller 

45* 


708  Cataracta;  Behandlung;  Ueberreifo  ;  Operation  einseitiger  Staare. 

Vorsicht  die  Blähung  eine  übermässige  werden  könne  und  die  entzündliche  Reaction 
sich  nicht  immer  genugsam  niederhalten  lasse,  dass  vielmehr  öfters  auch  der  Ver- 
lust des  Auges  zu  beklagen  komme  (Arlt) ,  dass  die  forcirte  Reifung  demnach  als  ein 
sehr  gewagtes  Unternehmen  zu  betrachten  sei.  —  Vielleicht  lässt  sich  die  Gefährlich- 
keit einigermassen  dadurch  vermindern ,  dass  man  die  hintere  Kapsel  durch  eine 
von  der  Lederhaut  aus  eingestochene  Nadel  öffnet,  indem  so  die  Einwirkung  der 
geblähten  Linsentheile  auf  die  Iris  vermieden  wird. 

Jedenfalls  geben  Tofalstaare,  in  welchen  sämmtliche  Bestandtheile  zu 
höheren  Graden  cataractöser  Verbildung  gediehen  sind,  die  günstigsten  Objecte 
für  operative  Eingriffe  ab.  Doch  wachsen  die  Vortheile  der  Eeife  keines- 
wegs stetig,  wenn  die  Staarraasse  in  ihren  Wandlungen  weiter  und  weiter 
fortschreitet.  Im  Gegentheile  bringen  die  secundären  Metamorphosen  manche 
Uehelstände  mit  sich,  welche  nicht  nur  den  Gang  der  Operation  erschweren, 
sondern  auch  deren  Erfolge  in  der  misslichsten  Weise  zu  beeinflussen  ver- 
mögen; der  Rtaar  kann  auch  überreif  mit  ungünstiger  Bedeutung  des  Wortes 
werden  (^Arlt).  Cataracten,  deren  Rinde  oder  Gesammtmasse  in  eine  kalk- 
milchähnliche Flüssigkeit  mit  kleinen  sandähnlichen  Körnern  zersetzt,  oder 
in  einen  fettigkalkigen  Brei  eingedickt  worden  ist;  vornehmlich  aber  Staare, 
deren  Corticalstrata  in  eine  trockene  spröde,  der  Kapsel  anhaftende  und  bei 
der  Operation  leicht  zerbröckelnde  Masse  umgewandelt  sind  :  lassen  sich  in 
der  That  oft  nur  mit  grosser  Gefahr  beseitigen,  da  die  harten  Kalktrümmer 
nur  schwierig  zur  Gänze  aus  dem  Auge  herausbefördert  werden  können, 
sich  an  und  hinter  der  Iris  gerne  festsetzen  und  dann  gleich  fremden 
Körpern  im  höchsten   Grade  reizen. 

1.  Die  Erspriesslichkeit  der  Operation  hängt  bei  Vorhandensein  einer 
reifen  oder  überreifen  Catai'acta  zum  grossen  Theile  davon  ab,  ob  die 
Function  Aea  einen  oder  feetder  Augen  in  höherem  Grade  gestört  oder  aufgehoben  ist. 

a.  Ist  das  eine  Auge  staarblind,  während  das  andere  normal  functionirt 
oder  nur  in  sehr  geringem  Masse  leidet  und  eine  lange  Zeit  oder  für  die 
Dauer  sich  brauchbar  zu  erhalten  verspricht:  so  soll  die  Operation  nur 
vorgenommen  werden,  wenn  der  günstige  Erfolg  der  Operation  als  ein 
nahezu  gesicherter  betrachtet  werden  darf,  wobei  natürlich  abgesehen  wird 
von  den  Fällen,  in  welchen  das  längere  Verbleiben  des  Htaares  im  Auge 
an  sich  verderblich  zu  werden  droht,  wie  dieses  z.  B.  bei  traumatischen, 
sich  stark  blähenden  Cataracten,  bei  prolabirten  Linsen  und  Linsentheilen 
der  Fall  ist. 

Die  Vortheile,  welche  dem  Kranken  im  Falle  des  Gelingens  aus  der  Opera- 
tion erwachsen,  sind  in  der  That  nicht  unerheblich.  Vorerst  kömmt  schon  das 
cosmetische  Interesse  in  Betracht  und  dieses  ist  bei  jungen  Leuten  oft  von  hohem 
Belange,  so  zwar,  dass  es  an  und  für  sich,  die  Operation  fordern  kann,  selbst 
wenn  wegen  Vxxncüonsmifiichligkeit  des  Uchtempfindenden  Apparates  eine  Herstellung 
des  Sehvermögens  nicht  in  Aussicht  stände.  Dazu  kömmt  die  Ermöglichung  des 
Zusammemoirkens  heider  Augen,  die  Erweiterung  des  Gesichtsfeldes,  die  Vermehrung 
der  Intensität  der  optischen  Eindrücke.  Endlich  kann  nicht  hoch  genug  ange- 
schlagen werden ,  dass  bei  einer  nachträglichen  Ausbildung  des  Staares  auf  dem 
anderen  Auge  der  Kranke  zu  keiner  Zeit  dem  traurigen  Lose  eines  Halbblinden 
oder  Blinden  verfällt. 

Es  ist  indessen  wahr  und  muss  gegenüber  dem  Kranken  vor  der  Operation 
wohl  betont  werden,  dass  der  ungleiche  liefractionszustand  beider  Augen  sich  beim 
scharfen  Fixiren  in  misslicher  Weise  geltend  macht,  indem  die  Zerstreuungskreise 
des  linsenlosen  mit  den  schaifen  Netzhautbildern  des  gesunden  Auges  zu  einer 
gemeinschaftlichen,  weniger  deutliclien  Wahrnehnning  verschmelzen  und  dass  diesem 
Uebelstaude  durch  Vorsetzung  eines  entsprechenden  Convexglases  nicht  begegnet 
werden    könne,    wegen    der    unvermeidlichen    Ungleichheit    der  Bildgi-össe    und    der 


Operation  beiderseitiger  Staaro;   Vorbodingungen  zur  Operation;  Zustand  der  Augen.  709 

Vernichtiing  der  Accommodatioii  im  liiiseiilosou  Auge.  Doch  lernen  die  Kranlicu 
nicht  selten  von  den  Zerstrenungskreiscn  Ijcim  Scliarfsehen  abstrahircn,  so  dass 
<iUe  Störung  verscJacindet.  Oefter  jedoch  überwinden  sie  die  letztere  dadnrch,  dass 
sie  die    Walirnehimingen  des  linsenlosen  Atiges  gänzlich  unterdrücken. 

Dagegen  sind  die  Nuchtheile  im  Falle  des  Mis.slingens  nicht  selten  sehr  ge- 
wichtig nnd  fordern  zn  einer  genauen  Erwägung  aller  Umstände  auf,  welche  auf 
den  Erfolg  der  Operation  Einfluss  nehmen  können.  Ginge  das  operirte  Auge  im 
schlimmsten  Falle  immer  r«sc/i  zu  Grunde  und  gelangte  es  dann  binnen  kurzem 
zur  Ruhe,  so  köinite  man  sich  am  Ende  noch  trösten,  da  der  Kranke  neben  dem 
Verluste  des  ohnehin  blinden  Auges  nur  die  Qual  der  Operation  und  der  Nach- 
behandlung zu  beklagen  hat.  Es  kann  aber  auch  geschehen,  dass  die  Entzün- 
dungen unter  heftigen  Schmerzen  monatelang  anhalten,  dann  alle  Augenblicke 
recidiviren  und  erst  ihr  Ende  finden,  nachdem  das  andere  Auge  staarblind  oder 
vielleicht  gar  in  entzündliche  Mitleidenschaft  gezogen,  und  nachdem  der  Kranke 
die  ganze  lange  Zeit  über  an  dem  freien  Gebrauche  des  gesunden  Auges  gehindert 
worden  ist. 

6.  Ist  der  Staar  auf  einem  Auge  vollkommen  ausgebildet,  auf  dem  anderen 
Auge  aber  in  seiner  Entwickelung  bereits  so  weit  vorgeschritten,  dass  er 
sich  durch  beträchtliche  Sehstörungen  geltend  macht;  oder  ist  das  zweite 
Auge  in  anderer  Weise  functionsuntüchtig  geworden  ;  oder  sind  beide  Augen 
mit  reifen  Cataracten  behaftet :  so  ist  die  Operation  ohne  weiters  vorzunehmen, 
wenn  nicht  behebbare,  ausser  dem  Staare  gelegene  Verhältnisse  einen  Auf- 
schub reclitfertigen. 

Die  Frage,  ob  bei  beiderseitiger  Reife  oder  Ueherreife  des  Staares  heide 
Äugen  in  Einer  Sitzung  operirt  werden  sollen,  lässt  sich  für  jene  Fälle,  in  welchen 
ein  günstiger  Erfolg  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  in  Aussicht  gestellt  werden 
kann,  ohne  weiters  bejahend  beantworten.  In  dem  Masse  aber,  als  die  Bürg- 
schaften für  das  Gelingen  der  Operation  sinken,  wachsen  auch  die  Bedenken  gegen 
ein  solches  Verfahren.  Die  tüchtigsten  und  erfahrensten  Augenärzte  widersprechen 
sich  in  diesem  Punkte  und  bekämpfen  sich  mit  Gründen,  welche  sich  nicht  wider- 
legen lassen,  sondern  nur  mehr  oder  weniger  schwer  wiegen  (MitterichJ. 

2.  Ehe  zur  Operation  einer  reifen  oder  überreifen  Cataracta  geschritten 
wird,    sind  übrigens  noch    manche    andere  Verhältnisse    genau  zu   erwägen. 

a.  Der  Zustand  der  Augen  selber.  Im  Allgemeinen  gilt  hier  die  Regel, 
man  solle  nur  dann  operiren,  wenn  keine  krankhaften  Veränderungen  am 
Auge  und  dessen  Adnexis  vorhanden  sind,  welche  den  Heilungsprocess  nach 
der  Operation  ungünstig  beeinflussen  können,  oder  welche  im  Falle  des 
Gelingens  der  Operation  den  für  den  Kranken  erwachsenden  Gewinn  auf 
ein  Kleinstes  herabsetzen. 

Insoferne  gelten  Entzündungen  im  Bulbus  und  dessen  Adnexis  für  zeitweilige 
Contraindicationen,  es  wäre  denn,  dass  eine  nach  Verletzung  der  Kapsel  sich 
blähende  oder  eine  dislocirte  Linse  die  mechanische  Ursache  des  Bestandes  und 
der  Fortdauer  des  entzündlichen  Processes  abgibt,  wo  dann  im  Verhältnisse  zu 
der  mit  der  Entzündung  verknüpften  Gefahr  die  Drhigliclikeit  der  Anzeige  wächst. 
Chronische  Entzündungen  der  Adnexa,  habituelle  Blepharitis  ciliaris,  senile  Binde- 
hautkatarrhe, veraltete  chronische  Trachome,  seit  vielen  Jahren  bestehende  Thränen- 
sackblennorrhöen  u.  dgl.  gestatten  jedoch  mitunter  eine  Ausnahme,  trotzdem  sie 
sich  während  der  Nachbehandlung  immer  in  sehr  misslicher  Weise  geltend  machen. 
Ihre  vollständige  Beseitigung  ist  nämlich  nicht  selten  sehr  schwierig,  oder  nimmt 
eine  unverhältnissmässig  lange  Zeit  in  Anspruch,  welche  bei  alten  Leuten  bisweilen 
sehr  schwer  ins  Gewicht  fällt. 

In  gleicher  Weise  sind  Stelhmgsveränderungen  der  Lider  (En-  und  Ectro- 
pium), Trichiasis  und  ähnliche  Zustände,  welche  das  Auge  äusseren  Schädlichkeiten 
biosiegen,  oder  gar  directe  mechanische  Reizeinwirkrmgen  mit  sich  bringen,  als  zeit- 
loeilige  Hindernisse  der  Operation  zu  betrachten.  Sie  lassen  niu'  in  den  dringendsten 
Fällen  den  Augriff    des  Staares    gerechtfertigt  erscheinen    und  müssen,    wo  es  nur 


710  Cataracta;  Operation;  Vorbedingungen  zur  Operation;    Zustand  des  Körpers;  Alter. 

immer  vioglich  ist,  vorerst  beseitigt  werden,  ehe  man  zur  Operation  der  Caracta 
schreitet. 

Hat  der  lichlempfindende  Apparat  des  staarUinden  Auges  einen  Theil  seiner 
Functionstüchtigkeü  eingebüsst,  so  ist  die  Operation  in  den  allermeisten  Fällen 
fruchtlos  oder  g;ar  schädlich.  Man  versäume  daher  ja  nicht,  vor  der  Operation  die 
IntegritJit  des  Lichfempßndungsverviögens  und  die  Ausdehnung  des  Gesichtsfeldes  auf 
das  genaueste  zu  untersuchen  (S.  685),  namentlich  wenn  passive  Hyperämien  in  den 
Ciliargefässen ,  Spuren  vorausgegangener  Entzündungen  in  den  tieferen  Bulbus- 
organen,  ein  sehr  ausgesprochener  myojjischer  Bau  des  Auges,  welcher  zu  Scleral- 
ectasien  und  zu  Chorioiditis  posterior  disponirt,  gegeben  sind;  oder  wenn  eine  ange- 
borene, eine  diabetische  Cataracta,  ein  schön  entwickelter  Kapselstaar  oder  ein  theil- 
weise  oder  ganz  verflüssigter  AUersstaar  vorliegt,  da  diese  häufiger  mit  amhlyopischen 
Zuständen  gepaart  zu  sein  pflegen,  als  andere  Formen  der  Cataracta.  Werden 
bestimmte  Zeichen  einer  Functionsstörung  des  lichtempfindenden  Apparates  gefunden, 
so  wird  die  Operation  besser  unterlassen,  es  wäre  denn,  das  der  Kranke  auf  deren 
Ausführung  trotz  aller  Vorstellungen  besteht ,  oder  dass  das  cosmetische  Interesse 
von  hohem  Belange  ist  und  eine  wenig  gefährliche  Operationsmethode  zum  Ziele 
zu  führen  verspricht.  Eine  weitere  Atisnahvie  gestatten  auch  Fälle,  in  welchen  die 
vorgefundene  Stumpfheit  der  Netzhaut  oder  die  Amblyopie  mit  Grund  ans  dem 
langen  Nichtgebrauche  des  Auges  erklärt  werden  kann,  indem  unter  solchen  Um- 
ständen zioeckmässige  Uelnmgen  nicht  gar  selten  die  Functionstüchtigkeit  der  Retina 
bis  zu  einem  befriedigenden  Grade  heben  lassen. 

Ausgedehnte  Hornhautflecke  ixnd  Vericachsungen  der  Pupille  sind  keine  Gegen- 
anzeigen, sie  machen  nur  Modificationen  in  dem  Verfahren  nothwendig  und  ver- 
schlimmern die  Prognose.  Erstere  drohen  nämlich  sehr  eine  Narbenkeratitis  oder 
wenigstens  eine  Zunahme  der  vorhandenen  Hornhauttrübung;  letztere  sind  der 
Entbindung  der  Cataracta  und  der  Zurückziehung  der  Kapselzipfel  sehr  hinderlich. 

b.  Der   Gesundheif.szustand  des  Kranken,   insoferne  dieser  den  Ausgleich 

der  durch  die  Operation  gesetzten  localen  Störungen  missgünstig  beeinflussen, 

oder  den  Erfolg  in   anderer  Weise  gefährden  kann. 

Bei  Individuen,  welche  durch  Hunger,  Elend,  deprimirende  Gemüthsaffecte 
oder  Krankheiten  (z  B.  Diabetes)  sehr  herabgekominen  sind,  bei  marastischen  Greisen 
mit  welker  fahler  Haut  oder  sehr  ausgedehnter  Arteriosclerose,  bei  Leuten,  welche 
nachweisbar  zu  Eiterungen  und  Verschwärungen  sehr  geneigt  sind  und  vielleicht  gar 
schönem  Auge  in  Folge  em&r gut  ausgeführten  Operation  verloren  haben:  ist  die  Opera- 
tion erfahrungsmässig  eine  bedenkliche  und  die  Prognose  um  so  vorsichtiger  zu  stellen, 
je  eingreifender  das  gebotene  Verfahren  ist.  Sehr  ausgesprochene  Gicht,  secundäre 
Syphilis,  Tuberculosis  oder  sehr  entwickelte  Scrophulosia  sind  ebenfalls  misslich  und 
machen,  besonders  zur  Zeit  frischer  Nachschübe,  die  Operation  gefährlich.  Auch 
bei  Säufern  kömmt  es  öfters  zu  schlimmen  Ausgängen,  vornehmlich,  wenn  sich 
während  der  Nachbehandlung  Anfälle  von  Delirium  tremens  einstellen  (Sichel). 
Ausserdem  wird  von  erfahrenen  Praktikern  die  Zeit  der  Menstruation  und  der 
Schwangerschaft  gemieden ,  letztere  wegen  den  Gefahren,  welche  das  häufige  Er- 
brechen, die  Unmöglichkeit,  gewisse  Körperlagen  ruhig  zu  behaupten,  und  andere 
Zufälle  dieser  Periode  mit  sich  bringen.  Aus  ähnlichen  Gründen  werden  auch 
Urinbeschwerden,  Asthma,  chronischer  Bronchialkatarrh  etc.  während  der  Nach- 
behandlung sehr  gefürchtet.  Nicht  minder  sind  habituelle  Kopfschmerzen  und  beson- 
ders auch  heftige  und  häufige  Zahnschmerzen,  Nasenkalarrhe,  Neigung  zu  Krämpfen 
als  höchst  unangenehme  und  selbst  gefährliche  Complicationen  in  Anschlag  zu 
bringen. 

c.  Das  Lebensalter  des  Kranken  beeinflusst  mehr  die  Wahl  der  Methode, 

als   die   Indication  zur  Operation   als  solche. 

Die  Kindesperiode  ist  nicht,  wie  früher  geglaubt  wurde,  als  ein  zeitliches 
Hinderniss  der  Operation  aufzufassen.  Im  Gegentheile  wird  heute  zu  Tage  fast 
von  allen  Seiten  darauf  gedrungen,  dass  die  Operation  im  Falle  der  Staarreife  so 
bald  als  möglich  vorgenommen  werde,  um  den  üblen  Folgen  eines  längeren  Nicht- 
gebrauches kindlicher  Augen  (S.  704)  zuvorzukommen.  Bei  angeborenen  reifen 
Staaren  kann  ohne  weiters  schon  in  den  ersten  Lebensmonaten  die  Operation  ohne 
sonderliche  Gefahren  ausgeführt  werden:  doch  halten  Viele  die  Zeit  zwischen  dem 
2.  und  4.  Lebensjahre    für  die    am  besten    entsprechende,    da   dann    das  Kind    die 


Aeussere  Verhältnisse  dus  Kranken;  Jahreszeit;  Epidemien.  711 

den  meisten  Wechselfällen  ausgesetzt«  Leheni^periode  hinter  sicli  hat,  wälirenrl  fVu\ 
üblen  Folgen  der  Staarhiindheit  noch  nicht  zu  einem  die  Heilung  ausschliesacsndcn 
Grade  gediehen  zu  sein  pflegen  (Schön).  Späleihin  wird  hei  Weihern  höchstens 
noch  die  Zeit  des  MewstmaXionBeintrittes  und  des  Climacteriiims  einen  Ayfschvh  der 
Operation  rätlilich  erscheinen  lassen.  Hohes  Alter  an  sich  bildet  keine  Gegenau- 
zeige,  da  selbst  mehr  als  100jährige  Greise  mit  dem  besten  Erfolge  operirt  worden 
sind.  Es  ist  nur  darum  weniger  günstig,  w(>il  es  häufiger  mit  utheromatöser  Ent- 
artung der  Binnengefässe,  mit  Sclerose  der  Hörn-  und  Lederhaut,  mit  allgemeinem 
Marasmus,  allerlei  Beschwerden  (h)  und  ausserdem  mit  Abnahme  der  Verstandes- 
kräfte des  Kranken  verknüpft  ist.  Auch  vertragen  sehr  alte  und  überhaupt  stark 
marastische  Leute  schwer  das  ruhige  Liegen  und  neigen  zu  hypostatischen  Pneumo- 
nien, welche  selbst  tödtlich  werden  können. 

d.  Die  äusseren  Verhältnisse,  unter  welchen  der  Kranke  den  Heüungs- 
process  und  die  Reconvalescenz  durchzumachen  Gelegenheit  hat.  Ein  ganz 
ruhiges,  leicht  zu  lüftendes,  trockenes  Zimmer,  welches  sich  nach  Bedarf 
gleichmässig  verdunkeln  und  mehr  weniger  erhellen,  ausserdem  im  Falle 
der  Noth  gut  heizen  lässt ;  ein  bequemes,  nicht  zu  warmes  Bett  mit  Vor- 
richtungen, welche  dem  Kranken  das  Aufsitzen  ohne  Muskelanstrengung 
ermöglichen ;  ein  gut  eingerichteter  Lehnsessel,  Leibschüssel  und  Uringläser ; 
eine  wohl  geübte  und  sorgsame  Wärterin  und  die  Gelegenheit,  sich  jeweilig 
eine  entsprechende  Kost  zu  verschaffen ;  dies  sind  nothwendige  Erfordernisse, 
bei  deren  theilweisem  oder  gänzlichem  Abgange  man  besser  die  Operation, 
namentlich  eine  eingreifendere,  unterlässt.  Weniger  vermögliche  Personen 
sind  darum  in  der  Regel  auf  Heilanstalten  angewiesen,  in  welchen  diesen 
Bedingungen  leichter  entsprochen  werden  kann.  Leider  wird  jedoch  in 
solchen  Anstalten  durch  übermässiges  Zusammenpferchen  der  Kranken  und 
durch  manche  andere  bekannte  Uebelstände  nicht  selten  die  Gunst  der 
Verhältnisse  sehr  beeinträchtigt  und  das  Procent  der  Heilungen  auch 
wnrklich  gemindert. 

e.  Die  Jahreszeit,  im  Allgemeinen  kann  man  zu  jeder  Jahreszeit  mit 
Aussicht  auf  Erfolg  operiren.  Doch  thut  man  besser,  wenn  man  während 
der  heissen  Sommermonate  eingreifenderen  Staai'operationen  ausweicht,  indem 
bei  grosser  Hitze  ^'erletzungen  schwerer  per  primam  intentionem  heilen, 
ausserdem  aber  dem  Kranken  die  nothwendige  i'uliige  Bettlage  sehr  lästig 
oder  geradezu  unerträglich  wird ;  daher  auch  viel  häufiger  als  sonst  dem 
Erfolge  der  Operation  durch  unzweckmässiges  Verhalten  des  Kranken  oder 
durch  wirkliche  Erkrankungen  desselben  Gefahren  erwachsen.  Der  Winter 
hat  hingegen  das  Ueble,  dass  der  Kranke  länger  an  das  Zimmer  gebannt 
bleibt,  was  die  Reconvalescenz  merklich  verzögert. 

/.  Zur  Zeit  herrschender  Epidemien,  z.  B.  der  Cholera,  soll  man  schon 
in  Berücksichtigung  dessen  nicht  operiren,  das  deprimirende  Gemüths- 
affecte,  vorzüglich  grosse  Angst,  den  Gang  der  Heilung  erschweren.  Das 
Auftreten  des  Hospitalbrandes  und  der  Diphtheritis  (Homer)  bildet  eine 
directe  Gegenanzeige  gegen  eingreifendere  Staaroperationen,  vornehmlich 
in   Spitälern. 

5.  Hat  man  sich  einmal  zur  Operation  entschlossen,  so  muss  die 
Beschaffenheit  des  Staares  und  seiner  Nachbarorgane  auf  das  Genaueste 
erwogen  werden.  Hiervon  hängt  es  nämlich  hauptsächlich  ab,  in  welcher 
Art  und  Weise  die  Cataracta  am  leichtesten  und  unter  den  geringsten  Gefahren 
aus  der  optischen   Axe   entfernt  werden   kann. 

a.  Flüssige  und  breiige,  sowie  stärkekleisterähnliche  Totalstaare  ohne  con- 
sistenteren  Kern  lassen   sich  leicht  durch  Zerschneidung  oder  Zerreissung  der 


712       Cataracta;  Operation  flüssiger  nnd  breiiger  Totalstaare;  Discissio;  Lineare  Extraction. 

Kapsel  beseitigen  {Discissio  seu  Dilaceratio  eataractae).  Das  Magma  saugt 
sich  nämlich  nach  einem  solchen  Vorgange  meistens  ziemlich  rasch  auf, 
wälirend  die  Kapselzipfel  sich  zurückziehen  und,  falls  sie  tief  genug  zer- 
spalten sind,  auch  die  Pupille  freilegen.  Die  Reaction  ist  in  der  Eegel 
gering,  oder  doch  nicht  gar  schwer  zu  beschwichtigen,  da  derlei  Staare 
vornehmlich  nur  bei  sehr  jungen  Individuen  auftreten,  deren  Iris  gegen 
mechanische  Reizungen  weniger  empfindlich  ist  und  leicht  durch 
starke  Mydriatica  von  den  dislocirten  Staartrümmem  entfernt  gehalten 
werden  kann. 

Nicht  immer  indessen  geht  der  Resorptionsprocess  nach  Wimsch  von  Statten. 
Bei  nicht  ganz  verflüssigten  Cataracten  geschieht  es  in  der  That  trotz  ausgiebiger 
Zerstiickehmg  der  Kapsel  nicht  selten,  dass  das  Magma  unter  fortschreitender 
Aufsaugung  zersetzter  Bestandtheile  sich  eindickt,  kuchenförmig  zusammenbäckt 
und  lange  Zeit  in  unverändertem  Zustande  zu  verharren  scheint.  Es  vergehen 
dann  öfters  Wochen  und  selbst  Monate,  ehe  sich  Risse  zeigen,  welche  sich  allmälig 
vergrössern,  an  Länge  und  Breite  zunehmen  und  schliesslich  ein  Auseinanderfallen 
der  einzelnen  Stücke  zur  Folge  haben.  Wurde  die  Kapsel  nicht  genugsam  zerklüftet, 
so  verlöthen  die  "Wundränder  der  Kapsel  wohl  gar  wieder  unter  einander  und 
sperren  so  einen  Theil  oder  das  ganze  Magma  von  der  Berührung  mit  dem  Kammer- 
wasser ab;  es  wird  eine  Wiederhohing  der  Operation  nothwendig.  Oft  muss  man 
sogar  mehrmal  in  entsprechenden  Zwischenpausen  zur  Nadel  greifen,  um  endlich 
den  Zweck  zu  erreichen.  Die  Discission  ist  also  jedenfalls  eine  sehr  unvollkommene 
Operationsmethode. 

Es  können  ganz  weiche  und  flüssige  Totalstaare  nun  auch  auf  direetem 
Wege  aus  dem  Auge  herausbefördert  werden.  Es  bedarf  dazu  blos  einer 
linearen,  in  der  Richtung  einer  Sehne  streichenden  Hornhautwunde,  welche 
überaus  leicht  verheilt,  und  der  Eröffnung  der  Kapsel.  Indem  sich  nämlich 
der  Druck,  welchen  die  geraden  Augenmuskeln  auf  den  Glaskörper  aus- 
üben, auf  den  Inhalt  der  Kapselhöhle  fortpflanzt,  wird  dieser  gezwungen, 
sich  nach  aussen  zu  entleeren.  Bleiben  allenfalls  Reste  zurück,  so  können 
dieselben,  wenigstens  theilweise,  mittelst  eines  zarten  Löffels  hervorgeholt 
werden   (Lineare  Extraction,   Palucci,   Graefe). 

Es  hat  diese  Operation  der  Discission  gegenüber  den  Vortheil,  dass  sie  an 
die  Resorptionsthätigkeit  der  Binnenorgane  keine  Anforderungen  stellt,  dass  sie  bei 
vollständigem  Gelingen  die  Gefahren  umgeht,  welche  aus  der  Berührung  der  Iris 
mit  Linsentrümmern  erwachsen  und  dass  die  lineare  Honihautwunde  die  Möglich- 
keit bietet,  Kapseltheile ,  welche  durch  Auflagerungen  die  Fähigkeit  sich  zurück- 
zuziehen verloren  haben,  mittelst  der  Pincette  loszureissen  und  aus  dem  Auge  zu 
entfernen.  Doch  stehen  neben  diesen  Lichtseiten  auch  dunkle  Schatten.  Bei  unge- 
berdigen  Kranken,  welche  während  der  Operation  sehr  pressen,  zumal  bei  Kindern, 
wird  nicht  selten  ein  Theil  der  Iris  mit  dem  Staare  aus  der  Wunde  herausgedrängt 
und  verheilt  daselbst,  eine  sehr  missliche  Verziehung  der  Pupille  begründend-,  oder 
es  wird  der  Vorfall  gar  zum  Ausgangspunkte  heftiger  und  verderblicher  Entzün- 
dungen. Manchmal  kömmt  es  wegen  krampfhafter  Zusammenziehung  der  Augenmuskeln 
auch  zur  Sprengung  der  vorderen  Glaskörpencand. ,  die  Vitrina  stürzt  hervor  und 
schiebt,  während  sie  sich  durch  die  Hornhautwnnde  entleert,  die  Staartheile  zur 
Seite,  von  der  Oeflnung  weg;  die  Operation  muss  rasch  unterbrochen  werden, 
bevor  der  Staar  noch  ganz  entleert  ist.  Durch  eine  tiefe  Narkose  lässt  sich  diesen 
üblen  Zufällen  nur  unter  Aufgeben  anderer  Vortheile  steuern.  Indem  nämlich  die 
Augenmuskeln  ganz  erschlaffen,  kann  sich  der  Staar  nicht  von  selber  entleeren;  es 
bedarf  eines  künstlichen  Druckes  von  Aussen  oder  wiederholten  Eingehens  mit  dem 
Löffel,  um  den  Brei  herauszubefördern.  Bei  allem  diesem  reizenden  Verfahren 
bleibt  aber  die  Auslöftelung  oft  eine  sehr  unvollständige,  da  die  Pupille  trotz  vor- 
ausgeschickten Einträufelungeu  starker  Atropinsolutionen  im  Momente  des  Kammer- 
wasserabflusses sich  stets  sehr  verengert  und  damit  einen  grossen  Theil  der  Kapsel- 
böhle  für  das  Instrument  unzugänglich  macht.  Zudem  ist  das  Würgen  und  Er- 
brechen, welches  der  Narkose  gewöhnlich  folgt,  ein  Moment  von  übler  Bedeutiing, 


Suctionsiuothodc ;  Oper.  d.  wt'icli.Konistaares  u.  d.  Corticalcu).;    Iiiscis.,  liii.  Extnict.  in.  Iridi'ct.    713 

indem  es  öfters  noch  nachträglich  zu  Vorfällen  der  Iris  und  des  Glaskörpers  Veran- 
lassung; gibt. 

Vor  alten  Zeiten  hat  man  ganz  weiche  und  flüssige  Staare  mittelst  einer  in 
die  geöfl'nete  Kapselhöhle  eingeführten  feinen  Köhre  aussaugen  zu  können  geglaubt 
(Sichel).  Späterhin  wurde  diese  der  Vergessenheit  anheimgefallene  „SucHonsntethode^^ 
wieder  in  Aufnahme  gebracht  (Laugier)  und  soll  dermalen  noch  in  England  Anhänger 
zählen  (Knapp).  Es  liegt  jedoch  auf  der  Ifand,  dass  zin-  Aussaugung  geeignete  Staare 
sich  in  der  Regel  schon  bei  der  Eröffnung  der  Kajisel  und  um  so  mehr  bei  der  Ein- 
führung der  Röhre  entleeren  müssen,  dass  für  die  Aussaugung  also  gewöhnlich  nicht 
viel  übrig  bleiben  könne.  Es  lässt  sich  das  ganze  Verfahren  recht  gtit  als  eine  lineare 
JExf.raction  mit  künstlichen  Hindernissen  betrachten  und  erscheint  ohne  allen  prakti- 
schen Wertli,  auch  wenn  dabei  auf  eine  ausgiebigere  Zerklüftung  der  Kapsel  mehr 
Rücksicht  genommen  und  so  der  Ausbildung  eines  Nachstaares  besser  vorge- 
beugt würde. 

h.  Ist  die  Linse  nicht  in  allen  ihren  Theilen  vollständig  zerfallen,  liegt 
ein  weicher  Kernstaar  oder  eine  Corticalcataracta  mit  käsigweichem  oder 
wachsähnlichem  Kerne  oder  ein  partieller,  zumal  ein  Schichtstaar,  vor :  so 
ist  sowohl  die  Discission  als  die  einfache  Linearextraction  ein  höchst 
gewagtes  Unternehmen.  Bei  ersterer  bleibt  nämlich  immer  die  Gesammt- 
inasse der  zertrümmerten  Linse,  bei  letzterer  aber  gewöhnlich  eine  ansehn- 
liche Quote  consistenterer  Theile  im  Auge  zurück.  Diese  Reste  blähen  sich 
dann  sehr  rasch  und  meistens  auch  überaus  stark,  wodurch  in  der  Regel 
sehr  intensive  Entzündungen  angeregt  werden,  gegen  welche  selbst  energische 
Antiphlogose  und  das  Atropin  nur  wenig  vermögen,  und  welche  fast  stets 
zu  ausgebreiteten  hinteren  Synechien  oder  zum  Pupillenab-  oder  Verschlusse 
führen,  übrigens  häufig  auch  auf  den  Strahlenkranz  und  die  Aderhaut  fort- 
schreiten und  den  Bulbus  functipnsuntüchtig  machen,  oder  gar  in  Eiterung 
übergehen  mid  das  Auge  unter  der  Form  einer  Panophthalmitis  suppurativa 
phthisisch  zu  Grunde  richten. 

Bei  der  Discission  ist  der  Umstand,  dass  das  Kammerwasser  in  sehr  grosser 
Fläche  aiif  die  zerklüftete  Linsenmasse  wirkt,  einer  übermässigen  Blähung  sehr 
förderlich.  Bei  der  Linearextraction  aber  stehen  die  Form,  Richtung  und  Lage  der 
Hornhautwunde,  sowie  die  bei  Abfluss  des  Kammervvassers  sich  sehr  verengernde 
Pupille  einer  spontanen  Entleerung  der  cohärenten  Staartheile  hinderlich  im  Wege, 
gestatten  ausserdem  aber  auch  keine  vollständige  Zerspaltung  und  nachträgliche 
Auslöft'elung,  indem  ein  grösserer  Theil  der  Kapselhöhle  für  das  Instrument  nicht 
zugänglich  ist.  Hängen  die  consistenteren  Staarpartien  gar  an  der  Kapsel  an,  so 
ist  deren  Trennung  auch  an  den  mit  dem  Löffel  erveichharen  Stellen  ohne  sehr 
gewaltthätige  Eingriffe  nur  unvollkommen  ausführl)ar.  Was  dann  den  Staartrümmern 
im  Vergleiche  zur  Discission  an  Masse  abgeht,  wird  betreffs  der  Heizwirkung  reichlicli 
ersetzt  durch  die  mit  den  operativen  Handgriffen  verbundenen  mechanischen  Belei- 
digungen der  Iris,  durch  den  ungünstigen  Einfluss  der  so  häufig  zu  Stande  kom- 
menden Regenbogenhautvorfälle  u.  s.  w. 

Es  lassen  sich  die  Gefahren,  welche  der  Discission  und  der  einfaclien  Linear- 
extraction Hnvollständig  zerfallener  Cataracten  ankleben,  allerdings  dadurch  ver- 
kleinern, dass  man  diesen  Operationen  die  L-idectomie  um  mehrere  Wochen  voraus- 
schickt oder  beide  mit  einander  verbindet  (Graefe).  Doch  schützt  eine  solche  Com- 
bination  mir  sehr  unvoUkominen  vor  bedauerlichen  Misserfolgen,  ziunal  bei  der 
Discission,  wo  der  ganze  Staar  im  Auge  zurückbleibt  und  einzelne  Trümmer  dessel- 
ben sich  gerne  verschieben,  in  den  Kammerraum  herausfallen  u.  s.  w.  Dagegen 
hat  die  Iridectomie  bei  der  Linearextraction  den  Vortheil,  dass  sie  die  Zugänglich- 
keif zur  Kapselhohle  vermehrt  und  sohin  auch  die  vollständigere  Entleerung  des 
Staares  begünstigt.  Immerhin  bleibt  der  Spielrainn,  welchen  die  lineare  Hornhaut- 
umnde  gewährt,  ein  für  den  Zweck  völlig  ungenügender.  Die  spontane  Entleerung 
consistenterer  und  zusammenhängender  Staartheile  kann  eine  lineare,  wenig 
klaffende  Oeffnung  in  der  Cornea  nimmer  gestatten,  es  bedarf  des  Löffels.  Dieser 
wirkt  aber  vermöge  der  Lage  der  Wunde  nothwendig  unter  einem  grossen  Winkel 
auf    die    Linsenmasse ,    er    kann    letztere    nur    fassen ,    indem    er   selbe   gegen   die 


714  Cataracta;  Operation  weicher  Staare  ;   Excochleatio  ;  Depressio. 

Iris  Tiiid  Hornhaut  drückt.  Minder  derl)e  Staartheile  werden  solchermasseu  immer 
schon  im  Momente  des  Löft'elaugritfes  zerquetscht  und  von  dem,  was  dem  In- 
strumente folgt,  wird  stets  ein  ansehnlicher  Theil  an  den  Rändern  der  engen 
Hornhautspalte  abgestreift.  Die  Rückstände  werden  hierbei  unter  der  Einwirkung 
des  Instrumentes  und  des  von  hinten  andrängenden  Glaskörpers  nach  den  ver- 
schiedensten Richtungen  im  Kammerraume  verschoben  und  lassen  sich  nur  durch 
loiederholtes  Eingehen  mit  dem  Löffel  beseitigen,  was  an  und  fSr  sich  reizt,  übrigens 
auch  selten  zum  Ziele  führt,  indem  die  einzelnen  Flocken  vermöge  ihrer  geringen 
Trübung  sich  gerne  der  Wahrnehmung  entziehen  und  ausserdem,  zujnal  bei  un- 
ruhigen Kranken,  die  Gefahr  eines  Glaskörpervorfalles  zur  raschen  Beendigung  der 
Operation  drängt. 

Es  werden  diese  Unzukömmlichkeiten  nur  theihveise  dadurch  beseitiget,  dass 
man  die  Schnittwunde  an  die  äusserste  Cornealgrenze  oder  ein  wenig  darüber  hin- 
aus rückt  und  ihr  durch  Verwendung  einer  breiteren  Lanze  eine  grössere  Länge 
gibt.  Erfahrungsraässig  ist  dann  der  Winkel,  unter  welchem  der  Löffel  auf  die  Linse 
wirkt,  und  somit  auch  der  darauf  ausgeübte  Druck  noch  immer  gross  genug,  auf 
dass  die  Cataracta  schon  beim  Fassen  zersplittere.  Falls  sie  aber  auch  bis  zur 
Wunde  gebracht  wird,  bietet  diese  nicht  Raum  genug,  um  damit  sie  im  unver- 
kleinerfen  Zustande  durchtreten  könne.  Widersteht  indessen  der  Staarkern  vermöge 
grösserer  Dichtigkeit,  so  wird  die  Zerrung  der  Wimdwinkel  eine  höchst  bedenkliche. 
Dazu  kömmt  die  hebelnde  contusionirende  Wirkung  des  Instrumentes  auf  den 
Glaskörper  und  die  anerkannt  grosse  Häufigkeit  massenhafter  Vorfälle  des  letzteren, 
womit  wieder  sehr  häufig  entzündliche  Trübungen  der  Vitrina  veranlasst  werden, 
welche  keineswegs  immer  völlig  zurückgehen.  Man  kann  in  Anbetracht  dessen  dem 
ganzen  Verfahren,  welches  unter  dem  Namen  der  Excochleatio  cataractae  zur 
Methode  erhoben  und  selbst  für  harte  Kernstaare  verwendbar  erklärt  wurde  {Schuft), 
keinen  rechten  praktischen  Werth  beimessen.  Es  hat  sich  auch  in  der  That  nur 
wenige  Freunde  erworben,  indem  die  damit  angestellten  Versuche  nicht  sehr  ein- 
ladende Resultate  geliefert  haben  (Mooren,  Rothmuud,  Graefe,  Steffan,  DantoneJ.  Auch 
die  zweckentsprechendere  Gestaltung  des  Löffels  (Critchett,  BowmanJ  so  wie  dessen 
Ersatz  durch  einen  einfachen  (Graefe)  oder  Doppelhaken  {A.  Weber)  und  die  da- 
mit ermöo'lichte  schonendere  und  sicherere  Fassung  des  Staares  haben  zu  keinen 
Ergebnissen  geführt,  welche  die  Meinung  zu  Gunsten  der  Excochleatio  aufzubessern 
vermöchten. 

Will  man  Cataracten  mit  halhweichein  oder  normal  coii-iistentem  Kerne 
ohne  Zertrümmerung  und  dadurch  bedingte  Zuhilfenahme  beleidigender 
Handgriffe  aus  dem  Auge  entfernen,  .so  mus.s  der  Wunde  eine  grössere 
Länge  und  ein  stärkeres  Klaffungsvermögen  gegeben  werden  ,  als  dies  mit 
einer  Lanze  möglich  ist,  es  können  nur  jene  Methoden  zum  Ziele  fähren, 
welche  bei  Altersstaaren  im   Gebrauche  stehen. 

c.  Bei  Staaren  mit  sclerosirtem  Kerne  ist  die  Discission  schon  an  und 
für  sich  sehr  schwer  durchführbar,  indem  der  Kern  wegen  dem  Mangel 
einer  resistenten  Unterlage  und  wegen  seiner  Härte  der  Nadelschneide 
beständig  ausweicht  ;  es  gelingt  im  besten  Falle  nur,  den  Kern  in  grössere 
Stücke  zu  zerbröckeln,  welche  dann  höchst  intensive  Entzündungsprocesse 
anzuregen  pflegen  und  dadurch  dem  Bulbus  in  der  grössten  Mehrzahl  der 
Fälle  verderblich  werden.  Man  hat  es  daher  eine  Zeit  lang  vorgezogen, 
harte  Staare  im  Ganzen  umzulegen  und  in  den  unteren  äusseren  Theil 
des  Glaskörpers  zu  versenken  {Niederdrückung,  Depressio  seu  Reclinatio 
cataractae). 

Es  wird  zu  diesem  Behufe  eine  gerade  Staarnadel  per  Scleronyxim  in  die 
Lederhaut  eingestochen,  das  myrthcnblattähnliche  Ende  derselben  nahe  an  dem 
Schlaf  entheile  der  Ciliarfortsätze  und  des  Pupillarrandes  vorbei  durch  die  Linsen- 
peripherie hindurch  in  die  Vorderkammer  geführt,  bis  an  den  oberen  inneren  Rand 
des  Sehloches  vorgeschoben,  dann  flach  über  das  Centruiu  des  Staares  gelegt  und 
nun  auf  das  letztere  ein  sanfter,   allmälig  steigender  Druck  ausgeübt,  auf  dass  sich 


Gefahren  der  Depression ;    Extractio  catiiractae.  7  1  ö 

das  Linsensystem  in  möglichst  grossem  Umfange  aus  seiner  Verbindung  mit  der 
Zonula  löse.  Ist  dieses  geschehen,  so  wird  das  Nadelheft  in  der  Meridianehene  des 
Einstichpunktes  gehoben  und  dadurch  der  Staar  mit,  der  Kapnel  in  den  unteren 
äusseren  Theil  des  Glaskörpers  hinabgesenkt.  Durch  eine  leichte  Drehung  der  Nadel 
um  ihre  Axe  wird  deren  Spitze,  welche  sicli  gerne  in  den  deprimirten  Staarthcilen 
fängt,  frei  und  kann  flach  aus  der  Einstichswunde  herausgeführt  werden  ohne 
Gefahr,  dass  bei  diesem  Manöver  der  Staar  folge  und  an  einen  Ort  gelange,  an 
welchem  er  minder  gut  haftet,  oder  gar  die  bluthältigen  Binnenorgane  des  Aug- 
apfels gefährden  könnte. 

Es  ist  dieses  Verfahren  noch  am  ersten  verioendhar  bei  sehr  grossem 
sclerosirten  Kerne  und  verhiiltnissmässig  dünner  aber  zäher  Rinde.  Bei  sehr 
dicker  Rindenlage,  vornehmlich  wenn  sie  loeich  ist,  hat  die  Depression  den 
Uebelstand,  dass  der  grösste  Theil  der  Corticalis  beim  Eintritte  in  die 
Glaskörperwnnde  abgestreift  wird,  also  im  hinteren  Kammerraume  zurück- 
bleibt und  dort  dieselben  Gefahren  setzt,  welche  die  Discission  des  Alters- 
staares gefürchtet  machen.  Die  Hauptgefahr  liegt  jedoch  in  chronischen 
Aderhautentzündungen  mannigfaltiger  Art ,  welche  durch  den  dislocirten 
Kern  als  einen  fremden  Körper  angeregt  werden,  oft  erst  nach  Wochen, 
Monaten,  selbst  nach  Jahren  hervortreten  und  den  Bulbus  gewöhnlich 
unter  überaus  grossen  und  langwierigen  Leiden  zu  Grunde  richten,  ja  oft 
sogar  den  zweiten  Bulbus   in  sympathische  Mitleidenschaft   ziehen. 

In  Anbetracht  dessen  erscheint  bei  derlei  Staaren  die  Extraction  als 
die  allein  berechtigte  Methode.  Soll  diese  aber  die  mit  der  Discission  und 
Depression  verknüpften  Gefahren  vermindern,  so  muss  die  Entbindung  der 
Cataracta  zumeist  durch  den  vom  Glaskörper  fortgepflanzten  Muskeldruck 
bewerkstelligt  und  nur  durch  schonende  Handgriffe  zweckentsprechend 
geregelt  werden  können.  Ferner  ist  es  nothwendig ,  dass  die  Abstreifuny 
der  zerfallenen  oder  noch  normalconsistenten  ßinde  möglichst  beschränkt 
und  jede  Zerrung  der  Theile,  besonders  der  Wundwinkel,  vermieden 
werde.  Diesen  Anforderungen  kann  nur  eine  Wunde  in  der  peripheren 
Zone  der  Cornea  oder  in  der  vordersten  Scleralgrenze  genügen,  eine  Wunde, 
deren  Ebene  die  Hornhautaxe  weit  vor  dem  Krümmungscentrum  der  bei- 
den Cornealflächen  unter  fast  rechtem  Winkel  schneidet  und  solchermassen 
einen  Lappen  abgrenzt,  dessen  Basis  dem  äquatorialen  Durchmesser  des 
Staarkernes  zum  mindesten  gleichkömmt  und  welcher  am  Scheitel  eine 
der  Axe   des  Staarkernes  entsprechende  Klaffung  gestattet. 

Es  ist  der  Querdurchmesser  des  Krystalles  als  Ganzen  höchstens  10  Millm., 
die  Axe  4  Millm.  lang  (Henle).  Der  horizontale  Perimeter  der  Linse  darf  daher 
im  Maximum  auf  weniger  als  23  Millm.  geschätzt  werden.  Würde  es  sich  darum 
handeln,  jeden  Staar  im  Ganzen  ohne  Zerrung  der  Wundwinkel  und  ohne  Ab- 
streifung der  Corticalschichten  aus  dem  Auge  zu  fördern,  so  müsste  offenbar  die 
Schnittiänge  zum  mindesten  dem  Querdurehmesser  des  Krystalles  mehr  der  halben 
Axe  gleichen,  für  grösste  Staare  also  12  Millm.  erreichen.  In  der  Praxis  mildert 
sich  jedoch  diese  Anforderung  durch  die  Qualität  der  Corticalschichten.  In  der 
That  lässt  sich  ein  in  der  unverletzten  Kapsel  eingehüllter  Staar  durch  eine  merk- 
lich kleinere  Oeffnung  ohne  jede  gefährliche  Zerrung  der  Wundränder  entleeren, 
indem  die  weiche  Rinde  leicht  nachgibt  und  der  Staar  sich  so  etwas  in  die  Länge 
streckt.  Bleibt  aber  die  Kapsel  im  Bulbus  zurück,  so  gelangt  der  Staar  gar  nicht 
als  Ganzes  an  die  Wunde  der  äusseren  Bulbuskapsel;  es  wird  vielmehr  immer 
ein  Theil  der  oberflächlichen  weichen  Corticalsehichte  schon  an  den  Wundrändern 
der  Kapselöffnung  und  weiters  an  dem  Rande  der  natürlichen  oder  künstlichen 
Pupille  abgestreift.  Sind  die  Rindenschichten  gar  noch  von  normaler  Consistenz, 
so  bleibt  ein  grosser  Theil  derselben  in  Schalenform  an  der  inneren  Kapselhälfte 
haften,  es  bricht  nur  der  Kern  heraus.  In  jedem  Falle  also  wird  der  Staar  vor 
seinem  Austritte  in  den  bezüglichen  Dimensionen  \\m  ein  Beträchtliches  verkleinert, 


716  Cataracta;  Estraction;  Schnittlänge :  Qnerextraction. 

was  eine  V'ermiuderung;  der  Wimdlänge  gestattet.  Unter  ungefähr  350,  in  schwachem 
Weiugeiste  aufbewahrten  extrahirten  Staaren  waren  blos  zwei  tief  kaffeebraune, 
von  der  Rinde  entblösste  Kerne,  deren  aequatorialer  Durchmesser  7-6  u.  7.4  Millm., 
die  Axe  aber  3'5  und  3.2  MiUm.  mass.  Nur  wenige  der  übrioren  Staarkeme 
näherten  sich  diesen  Dimensionen,  die  übrigen  standen  darin  weit  zurück.  Wäre 
also  llos  die  Zeming  der  Wundwinkel  und  Ränder  zu  vermeiden,  so  müsste  in 
allen  Fällen  eine  Wundlänge  genügen,  welche  9.4  Millm.  um  ein  Geringes  über- 
steigt. Soll  jedoch  der  Staar  sich  leicht  entleeren  und  auch  die  Abstreitung  auf 
ein  möglichst  Kleines  herabgemindert  werden,  so  ist  in  Anbetracht  der  Steifigkeit 
der  Hornhaut,  welche  das  Klaffungsvermögen  wesentlich  beschränkt,  eine  Ver- 
grösserung  der  Wundlänge  für  viaximale  Staare  dringend  geboten,  die  Wunde 
wird  nicht  unter  10  Millm.  messen  dürfen,  damit  eine  genügende  Klaffimg  in 
der    Mitte    des    Lappens  ermöglichet  werde. 

Es  misst  nun  die  Oeffnung  der  hinteren  Cornealfläche  im  Mittel  etwa 
11  Millm.  (Ed.  Jaeger).  Bei  einem  Krümmungsradius  von  6-7  Millm.  würde  sich 
die  Länge  eines  Meridians  der  hinteren  Cornealfläche  auf  ungefähr  13  Millm. 
schätzen  lassen.  Ein  im  horizontalen  Meridiane  des  Auges  geführter ,  die  innere 
Hornhautfläche  halhirender  Schnitt  müsste  demnach  einen  Wrnidperimeter  von  un- 
gefähr 26  Millm.  beschaffen.  Eine  solche  Wundöffnung  übertrifft  aber  den  horizon- 
talen Umfang  des  Krystalles  soweit,  dass  von  Seite  der  Cornea  dem  Austritte  selbst 
maximaler  Staare  kein  bedenkliches  Hinderniss  entgegenstehen  kann. 

Man  hat  in  der  That  einen  solchen  Schnitt  zum  Behufe  der  Staarextraction 
vorgeschlagen  und  damit  in  einer  Reihe  von  Fällen  auch  befriedigende  Resultate 
erzielt  (Querextraction,  Küchler).  Es  liegt  aber  auf  der  Hand,  dass  eine  quer  über 
die  Pupille  hinziehende  Schnittnarbe  das  Sehvermögen  des  operirten  Auges  sehr 
beträchtlich  herabdrücken  müsse.  Dazu  kömmt,  dass  das  Klaffungsvermögen  eines 
in  einem  grössten  Kreise  der  idealen  Hornhautkugel  geführten  Schnittes  wegen  der 
Steifigkeit  der  Cornealsubstanz  ein  sehr  kleines  ist.  Es  wird  daher  nur  eine  sehr 
schmale  Zone  der  Iris  in  der  Wunde  blosgelegt  und  muss,  da  der  Rest  zwischen 
Staar  und  hintere  Hornhautfläche  gleichsam  eingeklemmt  ist,  eine  verhältnissmässig 
sehr  bedeutende  Dehnung  erfahren,  um  damit  der  Staar  durch  die  Pupille  aus- 
treten könne.  Eine  Entbindung  des  Staares  auf  diesem  Wege  kann  daher  gar 
nicht  ohne  massenhafte  Abstreifung  corticaler  Schichten  bewerkstelligt  werden. 
Ueberdies  ist  wohl  zu  beachten,  dass  der  Staarkern.  um  sich  mit  seinem  Rande 
in  die  Wunde  einzustellen,  eine  fast  rechticinkelige  Drehung  um  seinen  Querdurch- 
messer vollführen  muss,  was  bei  der  Grösse  der  Widerstände,  welche  einer  solchen 
Bewegung  entgegentreten,  nur  unter  Beihilfe  sehr  gewaltthätiger  Manipulationen 
möglich  ist  und  sehr  gewöhnlich  eine  Zerbröckeluug  der  oberflächlichen  Staar- 
schichten  mit  sich  bringen  muss.  Es  lässt  sich  dieser  Uebelstand  allerdings  ein 
wenig  dadurch  abschwächen,  dass  man  die  Schnittebene  etwas  von  dem  grössten 
Durchmesser  der  Hornhaut  entfernt.  Auf  dass  jedoch  der  Staar  ohne  sehr  excur- 
sive  Drehung  aus  dem  Auge  entfernt  werden  könne,  müsste  der  Schnitt  seiner 
ganzen  Länge  nach  zwischen  die  Scleralgrenze  und  den  Kernäquator  fallen.  Die 
Länge  eines  durch  den  Krümraungsviittelpunkt  gelegten  Schnittes ,  welcher  so  weit 
von  dem  Cornealscheitel  absteht,  würde  jedoch  um  ein  Bedeutendes  hinter  dem 
Bedarfe  zurückbleiben.  Ein  peripherer  Hornhautschnitt,  welcher'  der  Linse  gestatten 
soll,  mit  einer  sehr  kleinen  Drehung  nach  aussen  zu  treten,  kann  daher  nicht  in 
einem  grössten  Kreise  der  idealen  Hornhautkugel  liegen,  sondern  muss  die  Horn- 
hautaxe  unter  fast  rechtem  Winkel  weit  vor  dem  Krümmungscentrum  der  hinteren 
Cornealoberfläche  schneiden,  also  den  Bogen  eines  Kreluibscknittes  bilden. 

Ein  in  dem  Ursprungskreise  des  Ligamentum  pectinatum  geführter  und  den- 
selben halhirender  Bogenschnitt  erreicht  bei  einem  Radius  des  ganzen  Ursprungs- 
kreises von  5'5  Millm.  ungefähr  17  Millm.  Länge,  liefert  also  einen  Wundperimeter, 
welcher  den  horizontalen  Umfang  der  ^grössten  Linse  bei  Weitem  übertrift't.  Die 
Widerstände,  welche  sich  bei  einem  solchen  Bogenschnitte  dem  Austritte  des  Staares 
entgegen  stellen,  sind  minimale,  indem  der  abgegrenzte  Lappen  vermöge  seiner 
Höhe  und  Breite  dem  Drucke  des  vom  Glaskörper  hervorgedrängten  Staares  leicht 
nachgeben  kann  und  indem  auch  die  halbe  Iris  ihrer  Stütze  beraubt  ist,  daher 
eine  entsprechende  Erweiterung  der  Pupille  ohne  erhebliche  Zerrung  der  Regen- 
bogenhaut zu  Stande  kommen  kann.  Es  ist  ein  solcher  Schnitt  jedoch  durch  die 
anatomischen  Verhältnisse  sehr  erschwert.    Es  tritt  nämlich  der  mittlere  Theil  der 


Extraction  mit  ileiii  Hogenschiiittn,  rtciiMi  ficlaliii'ii;  Iritis.  717 

Iris  und  des  Krystulles  um  ein  Erlicbliciics  nher  die  Ursprnrigselxnie  des  Lig.airieiitum 
pectinatum  hervor.  Das  Messer  nuiss  dalier  im  Bogen  durch  die  Kammer  gefüiirt 
werden  und  den  Scheitel  der  Linse  beim  Ausstiche  zurüclidrücken,  wodurch  leicht 
der  periphere  Theil  der  Iris  unter  die  Messerschneide  {beliefert  wird.  Zudem  setzt 
ein  in  dem  Urspruugskreise  des  Ligamentum  pectinatum  verlaufender  Schnitt  eine 
ungemein  hi-eite  Wundßüche  voraus;  der  äussere  Wundrand  müsste,  da  die  Scleral- 
grenze  an  der  vorderen  Hornhautfläche  merklich  weiter  nach  vorne  reicht,  als  an 
der  hinteren,  fast  1  Millm.  weit  in  die  Lederhaut  und  den  Limbus  conjunctivalis 
hineinfallen.  Im  Uebrigen  kleben  einem  solchen  maximalen  Lappenschnitte  auch 
positive  Nachtheile  an.  Seine  Lage  und  enorme  Klaffungsfähigkeit  benehmen  dem 
vorderen  Theil  der  Zonula  jeden  Widerhalt,  dieselbe  berstet,  da  sie  dem  ganzen 
Drucke  des  Glaskörpers  biosgestellt  ist,  nicht  selten  und  führt  zu  bedenklichen 
Glaskörpervorfällen;  oft  genug  entleert  sich  ein  Theil  des  Corpus  vitreum  sogar 
vor  der  Cataracta  und  macht  dann  die  Entbindung  der  letzteren  überaus  schwierig, 
ja  bisweilen  fast  unmöglich.  Dazu  kömmt,  dass  nach  der  Operation  die  Iris  in 
der  Regel  von  dem  nach  vorne  drängenden  Glaskörper  in  die  Wunde  yetriehen  und 
so  ein  meistens  sehr  ausgedehnter  Regenbogenhautvorfall  veranlasst  wird ,  welcher 
nicht  nur  die  Wundheihtng  beirrt,  sondern  durch  Erregung  heftiger  Entzündungen, 
durch  Verziehung  und  Verlagerung  der  Pupille  den  Erfolg  der  Operation  in  hohem 
Grade  zu  gefährden  im  Stande  ist.  Man  kann  diesen  Uebelständen  durch  die  Vor- 
nahme des  operativen  Eingriftes  unter  tiefer  Narkose  des  Kranken  und  durch  Aus- 
schneidting  eines  breiten  Irisstückes  (Jacobson)  nur  theiliceise  begegnen.  Es  erscheint 
daher  räthlich,  die  Höhe  und  Breite  des  Lappens  auf  das  alfei'probte  herkömmliche 
Mass  zu  beschränken. 

Jedenfalls  genügt  ein  Lappen,  dessen  innerer  Wundrand  sich  einen  halben 
Millm.  von  dem  Ürsprungskreise  des  Ligamentum  pectinatum  entfernt  hält  und 
dessen  beide  Wundwinkel  in  dem  horizontalen  Meridian  der  Hornhaut  gelegen 
sind ,  um  selbst  maximale  Staare  unter  kleinen  Widerständen ,  in  der  Regel  sogar 
durch  den  Glaskörperdruck  allein  nach  aussen  zu  fördern.  Bei  Staaren  mit  kleinerem 
Kerne  und  breiiger  oder  flüssiger  Rinde  darf  der  Ein-  und  Ausstich  wohl  auch  in 
einige  Entfernung  vom  horizontalen  Durchmesser  der  Hornhaut  fallen  und  so  die 
Lappenhöhe  verkürzt  werden.  Es  gewährt  ein  solcher  Lappen  von  geringerer 
Breite  und  Höhe  den  wichtigen  Vortheil  der  leichteren  Anpassung  und  sichereren 
Wundheilung.  Ausserdem  ist  die  Stütze,  welche  die  Iris  und  die  Zonula  an  dem 
breiten  peripheren  Wundsaume  findet,  gemeiniglich  zureichend,  um  Vorfälle  der 
L"is  und  des  Glaskörpers  während  und  nach  der  Operation  zu  verhindern,  macht 
also  auch  in  vielen  Fällen  Verstümmelungen  der  Iris  überflüssig,  was  namentlich 
hei  jugendlichen  Individuen  nicht  nur  im  cosmetischen  Interesse  liegt,  sondern  aiich 
die  Functionstiichtigkeit  des  Auges  um  ein  Gewisses  erhöht. 

Es  ist  die  Lappenextraction  mit  dem  Hornhautbo genschnitte,  wie  sie 
seit  Langem  geübt  wird ,  ein  ziemlich  gefahrliches  Unternehmen  und 
fordert  eine  überaus  sichere  und  geübte  Hand,  so  wie  eine  genaue  Kennt- 
niss  aller  möglichen  Zwischenfälle  und  der  bei  diesen  erforderlichen 
Handgriffe,  also  eine  reiche  Erfahrung,  soll  sie  befriedigende  Resul- 
tate liefern. 

Eine  der  häufigsten  Folgen  der  Lappenextraction  sind  Regenbogen- 
hautentzündungen. Geringgradige  Iritiden  gehören  sogar  zur  Regel.  Sie 
hinterlassen  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  partielle,  narbige  Eiiiziehungen 
des  Pupillarrandes  und  theilweise  Verlöthungen  desselben  mit  den  Besten 
der  Kapsel,  was  indessen  meistens  keine  erhebliche  Störung  des  Seh- 
vermögens zur  Folge  hat.  Oft  genug  jedoch  wird  der  Wucherungsprocess 
auch  ein  sehr  intensiver  und  begründet  ausgebreitete  hintere  Synechien 
oder  völligen  Verschluss  des  Sehloches;  er  pflanzt  sich  übrigens  nicht  selten 
auch  auf  den  Strahlenkranz  und  die  Aderhaut  fort  und  schädigt  in 
sehr  bedauerlicher  Weise  die  Functionstüchtigkeit  des  Auges ,  wenn 
nicht  gar  der  Schwund  das  Ergebniss  ist.  Manchmal  nimmt  der 
Process    den    suppurativen    Charakter    an,    wo     dann    der    Bulbus   meistens 


^  X8  Cataracta:  Ertraction  durch  den  Lappenschnitt ;  Deren  Gefahren. 

rasch    atroplnrt    oder  nach     eitriger    Zerstörung     der    Cornea  phthisisch    zu 
Grunde  geht. 

Es  Tuachen  sich  diese  verderblichen  Iritiden  selten  vor  Ablauf  des 
ziceiten  Tages  bemerklich,  in  der  ßegel  kommen  sie  erst  am  4. — 10.  Tage 
und  später  zum  deutlichen  Ausdrucke.  Sie  sind  sehr  zu  fürchten  bei  harten 
und  umfangreichen  Kernen,  so  "wie  überhaupt,  •wo  die  Entbindung  der 
Cataracta  wegen  ungenügender  Grösse  des  Hornhautschnittes ,  wegen 
narbiger  oder  spastischer  Contractur  der  Pupille  schwierig  erfolgte  und 
eine  beträchtliche  Zerrung  oder  Quetschung  der  Iris  bedingte;  weiters 
wenn  die  Manipulation  eine  rohe  gewesen  ist,  oder  die  Entfernung  der 
Corticalmassen  ein  wiederholtes  Eingehen  mit  dem  Staarlöffel  erforderte. 
Geicöhnlich  indessen  hegt  die  Ursache  in  dem  Zurückbleiben  grösserer  Staar- 
reste,  zumal  einer  mächtigen,  der  Kapsel  anhängenden  Schichte  normal 
consist^nter  blähungsfähiger  Cor tical Substanz.  Die  letztere  pflegt  nämlich 
alsbald  in  einen  üppigen  Wucherungsprocess  zu  gerathen  und  fügt  solcher- 
massen  zu  dem  mechanischen  Reize  der  aufgequollenen  Trümmer  den  vitalen 
der  Entzündung  hinzu  ^Graefe  ,  regt  die  Iris  also  in  doppelter  Weise  zu 
heftigen  Reactiouen  an,  während  die  vermehrte  Filtration  fibrino^enreichen 
Serums  eine  weitere  Quelle  coagulabler  Producte  eröffnet  {Adamük).  Das 
Ergebniss  sind  ausser  den  Eolgen  der  Uveitis  massige  Nachstaare.  Manch- 
mal findet  die  Iritis  ihren  nächsten  und  hauptsächlichsten  Grund  auch  in 
einem  Vorfalle  durch  die  Lappemcunde  und  daheriger  Einklemmung  und 
Zerrung  der  Regenbogenhaut.  Es  nimmt  der  Process  dann  gerne  einen 
chronischen  Verlauf.  Ausnahmsweise  geht  er  mit  sehr  lebhafter  Cihar- 
reizung  einher  und  kann  unter  solchen  Umständen  auf  sympathischem  Wege 
das  zweite  Auge  gefährden  {Critchett). 

Gleichwie  bei  den  übrigen  Staaroperationen  lassen  sich  auch  bei  der 
Lappenextraetion  die  Gefahren,  welche  unmittelbar  oder  mittelbar  aus 
der  mechanischen  Reizung  der  Binnenorgane  resultiren,  dadurch  mindern, 
dass  man  der  Staarausziehung  eine  Iridectomie  um  mehrere  Wochen  vor- 
ausschickt,  oder  beide  Verfahren  mit  einander  verbindet  (Wenzel,  Richter, 
Graefe). 

Es  ^vird  solchermassen  nämlich  die  Ausgangsöffnung  für  den  Staar  ansehnlich 
erweitert  uud  den  Quetschungen  der  Iris  so  wie  der  Abslreifung  heträchtlicher  Men- 
gen von  Corticalsubstanz  voigebeugt;  oder,  falls  die  Quetschung  bei  Integrität  des 
Pnpillarrandes  durch  den  sich  entbindenden  Staarkern  hfreils  gesetzt  worden  wäre, 
der  mechanisch  beleidigte  Theil  der  Eegenbogenhant  beseitigt  und  an  seiner  weiteren 
Eiuflussnahme  auf  den  Heilungsprocess  gehindert.  Ferner  wird  der  Zugang  zu  etwa 
rückgebliebeiien  Staartrümmern  während  der  Operation  erleichtert  und  oft  deren 
gründliche  Beseitigung  durch  den  Löffel  ohne  sonderliche  Läsion  der  Theile  er- 
möglicht: falls  aber  trotzdem  Trümmer  der  Cataracta  zurückgelassen  werden 
mnssten,  wird  wegen  Verminderung  der  Berührungspunkte  und  Abspannung  der 
Iris  die  mechanische  Reizwirkunff  derselben  wesentlich  beschränkt.  Zu  allem  dem 
kömrat  noch  die  Verhütung  ttreiter  Irlsvorfälle  und  der  Umstand  ,  dass  bei  xceit- 
geöffneter  Pupille  eine  theilweise  narbige  Zusammenziehung  des  Randes  sowie 
partielle  hintere  Synechien  nicht  so  viel  Schaden  bringen,  als  bei  einem  normal 
weiten  Sehloche,  und  dass  überhaupt  nach  ausgiebigen  Iridectomien  ein  völliger 
Ab-  oder  Verschluss  der  Pupille  nicht  so  leicht  zu  Stande  kömmt ,  als  bei  Inte- 
grität der  centralen  Iriszone. 

Das  combinirte  Verfahren  erscheint  nach  dem  Mitgetheilten  dringend 
geboten,  wenn  Staare  mit  breiigkalkiger  oder  normal  consistenter  und  der 
Kapsel  fest  anhängender  Kinde  der  Operation    unterzogen    werden;    wenn 


fjttppenextraction  mit  Iiidoctiimic ;  «Ilaskörperstich;   Extraotion  mit  ilor  Kapsel.  719 

die  Pupille   sich  Jiiif  den   Gebi'anoh   des   AtropinR    nur  wenig  erweitert  und 

ihr  Rand  sonach  dem  Austritte  des  Staarkernes    einen   grossen  Widerstand 

entgegenzusetzen    droht;     wenn    bei    umfangsreiclien   Scleromen  der    Hoi'n- 

hautlappen     etwas   zu    klei^    ausfiel    und    die   Entbindung   Schwierigkeiten 

findet,   oder  wenn   die  Iris  hierbei   sehr  gezerrt  und   gequetscht  worden  ist ; 

besonders   aber,     wenn  aus    irgend     welchem   Grunde  grössere  Mengen  von 

Staartrümmern   im  Auge  zurückgelassen  werden   raussten   (^Arlt).   Ausserdem 

thut  man  wohl,  die  Iridectomie  beizufügen,  wo   die  normale  Wundheilung 

in  dem   Zustande  des  Gesammtorganisraus  oder  des  Auges  minder  günstige 

Bedingungen  vorfindet. 

Es  ist  jedoch  ohne  Zweifel  übertrieben,  wenn  Manche  die  Combination  der 
Lappenextraction  mit  der  Iridectomie  für  alle  Fülle  olme  Ausnahme  angezeigt  er- 
klären (Mooren),  da  bei  günstigen  allgemeinen  und  localen  Verhältnissen  so  wie 
bei  anstandsloser  DurchfiUtrung  des  Operationsactes  die  Gefahren  der  Lappenex- 
traction um  ein  sehr  Beträchtliches  abnehmen  und  dann  im  Ganzen  genommen 
kaum  mehr  den  Schaden  aufwiegen,  welchen  eine  breite  künstliche  Pupille  dem 
Sehvermögen  des  operirten  Auges  zufügt,  indem  diese  bei  stärkeren  Erleuchtungen 
des  Gesichtsfeldes  höchst  peinliche  Blendungserscheinungen  bedingt  und  im  Ver- 
hältnisse zu  ihrem  Umfange  auch  die  Zerstreuungskreise  vergrössert ,  welche  bei 
nicht  ganz  scharfer  Einstellung  des  dioptrischen  Apparates  die  Netzhaut  treffen, 
wodurch  natürlich  die  gänzliche  Aufhebung  des  Accommodutionsvermögens  doppelt 
fühlbar  gemacht  wird.  Besonders  stark  leidet  die  Deutlichkeit  des  excenlrischen 
Sehens  und  damit  die  Orientirungsfähigiceit  des  Kranken  beim  Tragen  der  Staar- 
brilleu  (Graefe),  da  dann  die  Abweichungen  der  Kandstrahlen  wegen  mangelhafter 
Abbiendung  von  Seite  der  Iris  sehr  stark  heraustreten. 

Vor  Kurzem  wurde  auch  der  Glaskörperstich  als  Ersatzmittel  der  Iridectomie 
empfohlen.  Man  glaubt  dadurch  die  Gefahren  des  Nachstaares,  der  Iritis  und 
Pupillensperre,  der  Chorioiditis  und  selbst  der  ungünstigen  Verheilung  der  Cor- 
nealwunde  in  hohem  Grade  vermindern  zu  können,  zugleich  aljer  auch  den  opti- 
schen Effect  allgemein  ganz  unvergleichlich  besser  zu  gestalten,  als  dies  bei  den 
anderen  Operationsmethoden  der  Fall  ist.  Die  Function  soll  unmittelbar  nach  dem 
Austreten  des  Staares  mittelst  einer  Nadel  bewerkstelligt  werden,  indem  diese  im 
Centrum  der  Tellergrube  durch  die  Hinterkapsel  in  den  Glaskörper  eingestossen 
wird.  Das  unmittelbare  Ergebniss  ist,  dass  etwas  Vitrina  in  den  Kammerraum  her- 
austritt, die  Pupille  ein  wenig  erweitert  und  die  früher  schlaffe  Cornea  wölbt, 
während  gleichzeitig  der  Kapselsack  in  einen  ringförmigen  Wulst  umgewandelt  und 
aus  dem  Pupillargebiete  hinweggedrängt  wird,  so  dass  das  Sehloch  in  voller  Klar- 
heit erscheint  und  einen  hohen  Grad  von  Sehschärfe  ermöglichet  (Hasner).  Es  liegt 
jedoch  die  Grösse  des  künstlicii  hervorgerufenen  Prolapsus  corp.  vitrei  nicht  ganz 
in  der  Hand  des  Operateurs  und  da  massigere  Vorfalle  dem  Auge  leicht  Schaden 
bringen,  erscheint  die  Methode  bedenklich. 

Andere  rathen,  da  sie  die  Haup>tqueUe  aller  Gefahren  in  dem  Zurückbleiben 
von  Staarresten  suchen,  die  Cataracta  samnit  der  unverletzten  Kap)sel  auszuziehen 
(Pagenstecher).  Bei  weit  in  der  regressiven  Metamorphose  vorgeschrittenen  Staaren, 
deren  Kapsel  durch  Anlagerung  verkalkten  Magmas  sehr  fest  und  zähe  geworden 
ist  und  auch  nur  lose  in  der  Tellergrube  haftet,  gelingt  dies  mitunter  sehr  leicht. 
Bei  primären  Staaren  hingegen  findet  ein  solcher  Versuch  meistens  sehr  grosse 
Schtvievigkeiten,  wie  denn  auch  deutlich  aus  den  vorgeschriebenen  Operationsregeln 
erhellt.  Es  bedarf  nämlich  vorerst  eines  grossen  Bogenschniltes  nach  unten,  welcher 
etwa  die  Hälfte  des  Kreises  umschreibt  und  behufs  möglichster  Verlängerung  über 
die  Cornealgrenze  hinaus  zu  legen  ist.  Um  dann  die  Zugänglichkeit  zum  Linsen- 
.systeme  noch  weiters  zu  erhöhen,  soll  ein  breites  Stück  der  Iris  ausgeschnitten  und 
eine  etwaige  Verwachsung  des  Pupillarrandes  mit  der  Vorderkapsel  durch  einen 
feinen  Haken  gelöst  werden.  Lässt  sich  hierauf  der  Krystall  durch  sanftes  Drücken 
auf  die  vordere  Lederhaufzone  nicht  luxiren ,  so  soll  ein  Löffel  hinter  die  Linse 
gebracht  und  diese  samnit  Kapsel  ausgezogen  werden.  Erweiset  sich  jedoch  die 
Zonida  zu  fest,  so  soll  dieselbe  vorerst  durch  einen  Haken  ringsum  eingerissen  xxnd 
so  die  Kapsel  frei  gemacht  werden.  Da  bei  diesen  Hantirungen  die  Gefahr  reich- 
licher  Glaskurpervorfälle  sehr  gross  ist,    wird  tiefe  Narkose   des  Kranken  für  unei-- 


720  Cataracta;  Extraction  durch  (len  Lappenschnitt;  Coruealvereiterung. 

lässlich  betrachtet.  Trotzdem  lässt  sich  dieses  Ereigniss  nicht  ganz  vermeiden  und 
kann  arge  Schäden  nach  sich  ziehen,  wie  denn  überhaupt  verderbliche  Reaclionen 
nicht  zu  den  Seltenheiten  gehören.  Wenn  übrigens  Nachstaare  ausgeschlossen 
sind,  so  wird  dieser  Vortheil  genugsam  aufgewogen  durch  das  häufige  Zustande- 
kommen von  entzündlichen  Glaskörpertrühungen,  welche  oft  Monate  brauchen,  um 
zurückzugehen,  und  dies  nicht  einmal  immer  thun.  Controlversuche  sind  in  der 
That  nicht  sehr  einladend  ausgefallen  (Knapp,  Bergmann,    Wecker,  Steffan). 

Die  Hauptgefahr  der  Lappenextraction  mit  dem  Cornealbogenschnitte 
liegt  jedoch  in  der  Vereiterung  der  Hornhaut.  Sie  findet  ihren  Grund 
mitunter  in  fehlerhaftem  Vorgehen  von  Seite  des  Operateurs,  vornehmlich 
in  einem  zu  klein  und  namentlich  zu  flach  ausgefallenen  Schnitte.  Ein 
zu  flacher  Schnitt  spaltet  nämlich  die  Hornhaut  eine  Strecke  weit  in  zwei 
sehr  dünn  zulaufende  Blätter,  deren  Eruährungsbedingungen  selbstver- 
ständlich ungünstige  sind.  Ueberdies  verengt  der  innere  Wundsaum  unter 
solchen  Verhältnissen  sehr  beträchtlich  die  Oeffnung  und  wird  beim  Aus- 
treten des  Staares  stark  gedehnt,  nicht  selten  sogar  in  Fetzen  zerrissen, 
was  ganz  abgesehen  von  dem  mechanischem  Wundreize  eine  directe  Hei- 
lung in  hohem  Grade  erschwert.  In  anderen  Fällen  wird  die  suppurative 
Entzündung  durch  unzweckmässiges  Verhalten  des  Kranken  nach  der 
Operation  ,  besonders  durch  Losreissungcn  des  bereits  angeklebten  Lappens 
in  Folge  zufälliger  Traumen  oder  momentaner  Steigerungen  des  Binnen- 
druckes beim  Husten ,  Messen  u.  s.  w.  veranlasst.  Auch  ist  die  Con- 
stitution  des  Individuums  von  Einlluss.  Erfahvungsmässig  droht  die 
Cornealphthise  mehr  als  bei  anderen  Individuen  bei  Leuten,  bei  welchen 
auch  Wunden  anderer  Körpertheile  gerne  eitern;  ferner  bei  Leuten  mit 
rigider  Sclerotica  und  atheromatösen  Gefässen  und  bei  sehr  marastischen, 
durch  Alter,  Krankheit,  Elend,  deprimirende  Gemüthsaffecte  etc.  tief 
herabgekommenen  Individuen  mit  tonloser,  welker,  fahler,  von  trockener, 
rissiger  Epidermis  überzogener  Haut   {Graefe,   Mooren). 

In  der  Mehrzalil  der  Fälle  kommt  indessen  die  Vereiterung  auf 
Rechnung  der  Methode  selbst,  indem  sie  sich  nach  den  best  ausgeführten 
Lappenextractionen,  bei  dem  zw  eck  massigsten  Verhalten  des  Kranken  und 
unter  den  scheinbar  günstigsten  Verhältnissen  einstellt.  Hire  vornehmlichste 
Quelle  ist  dann  ohne  Zweifel  in  dem  unvollständigen  Anpassen  des  Lappen- 
randes an  den  peripheren  Wundsaum  zu  suchen.  Wie  anderwärts  ist 
nämlich  auch  in  der  Hornhaut  ein  genaues  Aneinanderlegen  der  Wund- 
iiächen  die  unerlässliche  Bedingung  für  die  directe  Wiedervereinigung  der- 
selben. Die  Gefahr  der  Vereiterung  ist  dem  entsprechend  um  so  grösser, 
je  ungünstiger  sich  die  Verhältnisse  für  die  richtige  Lagerung  des  Lappens 
gestalten,  je  mehr  sich  bei  der  Operation  von  den  dioptrischen  Medien 
entleerte  und  je  grösser  die  damit  gesetzte  Kxümmungsveränderung  der 
vorderen  Bulbusoberiiäche  wird;  ferner  je  umfangr-eicher,  besonders  aber 
je  höher  der  gebildete  Lappen  ist,  je  leichter  dieser  also  dem  von  hinten 
her  auf  ihn  einwirkenden  Drucke  des  Augapfelinhaltes  nachgeben  kann. 
Ausserdem  wird  die  directe  Wiedervereinigung  des  Lappens  öfters  durch 
das  Zwischenireten  von  Iristheilen,  von  Glaskörpersubstanz,  von  Kapsel- 
trümmern oder  Staarresten  gehindert  und  so  die  Cornealphthise  be- 
günstigt. 

Von  mehreren  Seiten  wird  behauptet ,  die  Coruealvereiterung  sei  constant 
eine  secmulüre,  an  das  Gegebeusein  siippurativer  Iridochorioiditis  gebundene  und 
letztere  finde  ihr  ätiologisches  Moment  immer  in  zurückgebliebenen,  sich  blähenden 


Corneal Vereiterung,  Process.  721 

Slaarlrümmeni  (Arlt,  Mooren).  Eine  genaue  Verfolgung  der  nacli  dur  Extraction 
sich  ergebenden  Veränderungen  am  Atigc  (Jacobson,  Sichel,  Pagensiecher)  haben 
jedoch  das  Gegentheil  als  die  Regel  erwiesen.  Auch  hat  man  Gelegenheit  gehabt, 
die  Cornealvereiterung  bei  völliger  Integrität  der  Uvea  am  Cadaver  nachzuweisen 
(Schweigger)  und  oft  macht  am  Lebenden  der  noch  ungetrübte  Fortbestand  des 
Lichtempfindungsvermögens  bei  schon  weit  gediehener  Cornealinfiltration  die  An- 
nahme einer  suppurativen  Mitaffection  der  tieferen  Binnenorgane  des  Augapfels 
unannehmbar  (Graefe).  In  Bezug  auf  den  zweiten  Theil  jener  Behauptung  muss 
der  Umstand  berücksichtigt  werden ,  dass  die  Cornealphthise  auch  nach  völliger 
Entleerung  der  Linse,  ja  nach  Extractionen  vorkommt,  bei  welchen  der  Staar 
sammt  der  Kapsel  im  Zusammenhange  aus  dem  Auge  entfernt  wurde.  Auch  wurde 
sie  einmal  bei  einem  irislosen  Auge  beobachtet  (Graefe). 

Die  Cornealvereiterung  beginnt  an  den  Wundrändern,  welche  sich  rasch 
trüben  und  von  eitrigen  Producten  aufquellen.  Die  Infiltration  schreitet 
dann  von  den  Wiindwinkeln  auf  die  peripheren  Theile  der  nicht  durch- 
schnittenen Cornealhälfte  fort,  so  dass  sich  ein  kreisförmiger  Gürtel  von 
infiltrirtem  Eiter  zeigt,  innerhalb  welchem  die  Hornhautsubstanz  an- 
fänglich nur  leicht  getrübt  und  etwas  aufgequollen  erscheint,  dann  aber 
rasch  die  eitergelbe  Farbe  annimmt  und  unter  beträchtlicher  Schwellung 
schmilzt,  um  sich  fetzenweise  abzulösen,  oder  aber  zu  einer  Art  Schorf 
schrumpft,  welcher  sich  im  Zusammenhange  abstösst,  worauf  der  Bulbus 
unter  den  Erscheinungen  der  suppurativen  Panophthalmitis  phthisisch  zu 
Grunde  geht. 

Doch  bleibt  mitunter  die  Eiterung  auf  die  Wundränder  beschränkt, 
höchstens  kömmt  es  zur  Entwickelung  eines  circumscripten  Eitergürtels. 
In  günstigen  Fällen  kann  dann  der  Process  wieder  zurückgehen,  so  dass 
die  Wundränder  unter  Hinterlassung  einer  mehr  minder  breiten  Narbe 
verheilen.  Viel  öfter  aber  schreitet  unter  solchen  Verhältnissen  die  Ent- 
zündung alsbald  auf  die  Iris  und  von  dieser  auf  die  tieferen  Binnenorgane 
des  Augapfels  über.  Häufig  ist  dann  Atrophie  des  Bulbus  das  Endresultat 
und,  falls  grössere  Mengen  Eiter  im  Inneren  des  Augapfels  erzeugt  werden, 
kömmt  wohl  auch  eine  nachträgliche  Vereiterung  eines  Theiles  oder  der 
ganzen  Hornhaut  mit  consecutiver  Phthisis  bulbi  zu  beklagen  (Graefe, 
Jacobson), 

In  sehr  seltenen  Fällen  soll  sich  erst  am  Ende  der  2,  oder  3.  Woche  ein 
intensiv  eitergelbes  Infiltrat  an  einem  Punkte  der  Wundregion  bilden  und  indem 
es  sich  rasch  über  den  ganzen  Lappen  ausbreitet,  diesen  zerstören.  Es  soll  diese 
Affection  unter  zunehmender  Empfindlichkeit  und  Conjunctivalschwellung  beginnen 
und  sich  rasch  mit  Iritis  sxtppurativa  vergesellschaften  (Graefe). 

Um  der  durch  unvollständiges  Anpassen  des  Lappens  bedingten  Horn- 
hautvereiterung zu  begegnen,  genügt  selbstverständlich  eine  Iridectomie  nicht. 
Ebensowenig  darf  mau  von  einer  Verbindung  der  beiden  Wundränder 
durch  Knopfnähte  (Williams^  erwarten.  Die  Aufgabe  zielt  vielmehr  unzwei- 
deutig auf  Verminderung  des  Klaffimgsvermögens,  also  auf  die  Anlegung  eines 
möglichst  kurzen  und  geradlinigen  Schnittes.  Es  ist  nun  aber  die  nothwendige 
Länge  des  Wundperimeters  durch  den  horizontalen  Umfang  des  Staa,r- 
kernes  bestimmt  und  lässt  sich  ohne  Herauf beschwöruug  anderer  schwer- 
wiegender üebelstände  nicht  verkürzen.  Man  kann  der  Forderung  also 
nur  durch  die  Verlegung  des  Schnittes  in  die  Scleralgrenze  einseitig  gerecht 
werden.  Der  Kreisumfang  der  vorderen  Scleralgrenze  ist  nämlich  jeden- 
falls grösser  als  jener  der  peripheren  Cornealzone  und  ein  in  ersteror  ge- 
führter   Bogenschnitt    wird  bei  gleicher  Länge  einen  um  so   kleineren  Theil 

stell  wag,  Augenheilkunde.  46 


722  Cataracta;  Extraction  mit  dem  ijeriplieren  Liiiearsehnitte. 

des  ganzen  Kreisumfanges  darstellen,  sich  also  um  so  mehr  seiner  Sehne 
näliern,  je  weiter  sich  die  Schnittebene  von  der  Hornhaut  entfernt.  Doch 
wird  dieser  Vortheil  nicht  ohne  Opfer  erkauft.  Das  geringe  Klaffungs- 
vermögen  einer  in  die  vordere  Scleralgrenze  hinausgerückten  Lappen- 
wunde in  Verbindving  mit  der  anatomischen  Lage  der  Regenbogenhaut 
und  des  Staares  bedingen  die  Nothwendigkeit  der  Ausschneidung  eines  ent- 
sprechenden  Stückes  der  Iris. 

Ist  dadurch  sowie  durch  die  ausgiebige  Zerschneidung  der  Vorderkapsel 
jedes  Hinderniss  des  freien  Staaraustrittes  beseitigt,  so  genügt  in  der  Regel  ein 
auf  den  der  Wunde  entgegengesetzten  Theil  der  Cornealgrenze  ausgeübter  leichter 
Druck,  um  den  Staar  nach  aussen  zu  fördern.  Da  nämlich  der  Glaskörper  gleich- 
zeitig von  hiuteuher  drängt,  die  Cataracta  also  von  zicei  einander  schief  entgegen- 
wirkenden Kräften  angegriften  wird,  muss  dieselbe  in  dei'  Richtung  der  Rexultiren- 
den  gegen  die  Wunde  hin  ausweichen  und  so  mit  einer  ganz  unbedeutenden 
Drehung  Letztere  passiren.  Gelänge  einmal  dieses  Manöver  nicht,  um  den  Austritt 
zu  erzwingen,  so  kann  die  Cataracta  unschwer  ohne  Beleidigung  der  Iris  viit  dem 
Löffel  hervo7-gehoÜ  werden.  Es  lässt  sich  nämlich  das  Instrument  leicht  in  gerader 
Richtung  von  der  Wunde  aus  an  dem  Gleicher  des  Krystalles  vorbei  hinter  die 
Linse  bringen  und  hier  bis  zu  deren  jenseitigem  Rande  vorschieben.  Der  Staar 
legt  sich  dann  in  die  Höhlung  des  Instrumentes  hinein  und  dessen  etwas  vor- 
springende Vorderkante  fasst  ihn  an  seinem  Gleicher  fest  genug,  auf  dass  er  dem 
Zuge  nach  Aussen  folgen  muss.  Die  Hehelwirkung  ist  dabei  eine  minimale,  die 
Cataracta  gleitet  hinter  der  Iris  weg,  olnie  diese  sonderlich  zu  behelligen.  Selbst 
der  Kapsel  anhängende  consistentere  Rindenlagen  lassen  sicli  durch  den  Löffelrand 
ohne  bedenklichen  Druck  auf  die  Regenbogenhaut  ablösen  und  nach  aussen  fördern, 
um  so  mehr  also  bereits  getrennte  Flocken. 

Es  macht  die  Anlegung  des  Bogenschnittes  in  der  vorderen  Scleral- 
grenze und  die  Herausbeförderung  des  Staares  durch  die  periphere  Wunde 
eine  Keihe  von  Instrumenten  und  Hantirungen  nothwendig ,  welche  von 
den  bei  der  Lappenextraction  gebräuchlichen  sehr  verschieden  sind  und 
die  Methode  daher  als  eine  eigenthümUche  zu  betrachten  und  zu  beschreiben 
zwingen.  Man  hat  dafür  die  Benennung  „Modificirte  Linear  extraction, 
Extraction  mit  dem  peripheren  Linear  schnitte  und  Extraction  mit  dem  Scleral- 
schnitte"  vorgeschlagen.  Es  sind  indessen  alle  diese  Namen  wenig  zutreffend. 
In  Ermangelung  einer  besseren  Bezeichnung  möge  jedoch  der  Name  „Extrac- 
tion mit  dem  peripheren  Linearschnitte,^^  welche  dem  Erfinder  (Graefe)  am 
passendsten  dünkt,  vorläufig  im  Gebrauche  bleiben. 

Streng  genommen  kann  aus  den  oben  angeführten  Gründen  von  einer  linearen 
Wunde  hier  gar  nicht  die  Rede  sein,  auch  wenn  man  blos  den  äusseren  Wundrand 
ins  Auge  fasst  und  von  der  Stellung  der  Wundfläche  zur  Cornealaxe  gänzlicli  ab- 
sieht. Noch  greller  sticht  die  Irrtliümlichkeit  der  Bezeichnung  hervor,  wenn  man 
die  innere  Wundötinung  näher  betrachtet.  Diese  ist  durch  die  anatomischen  Ver- 
bältnisse und  durch  die  mechanischen  Bedingungen  einer  möglichst  leichten  Staar- 
entbindung  an  den  Ursprungskreis  des  Ligamentum  pectinatum  gebunden.  Der 
Radius  dieses  Kreises  misst  im  Mittel  5-5  Millm.  Das  Minimum  der  Wundlänge 
beträgt  für  maximale  Altersstaare  10  Millm.  Ein  Bogen  von  dieser  Länge  hat 
aber  nothwendig  eine  Höhe  von  ungefähr  2  Millm.  Ebensowenig  passt  der  Name 
„Scleralschnitt,^  da  die  Wundfläche  laut  anatomischen  Untersuchungen  nur  mit 
ihrer  äussersten  Zone  in  das  Scleralgefüge  fällt  und  zum  allergrössten  Theile  in 
der  Hornhaitt  liegt.  Es  ergibt  sich  daraus  zugleich  die  Täuschung  Jener,  welche 
den  Hauxilvortlieil  des  peripheren  Linearschnittes  in  der  Verlegung  der  Wund- 
fläclie  in  die  Lederhaut  suchen. 

Die    Ergebnisse,    welche    bisher    in  einer  grossen   Anzahl  von  Fällen 

mit    dem    peripheren  Linearschnitte  erzielt  wurden,    sind  unbestreitbar  sehr 

befriedigende  und  ganz  geeignet,   die  Annahme  eines  Causalnexus  zwischen 


Statistik  der  Extraction  mit  dem  poriplieren  Linearschnittö.  723 

der  Cornealphthise  uud  (Miieiu  grösseren  Klatt'imgsvermögen  der  Wunde  zu 
stützen.  Fasst  man  alles  zusammen,  was  mau  selbst  zu  beobachten,  zu 
lesen  und  unter  dem  Siegel  der  Verschwiegenheit  verstohlen  zu  hören  be- 
kömmt, so  darf  man  behaupten,  dass  das  procentarische  Verhältniss  der 
Cornealvereiterunyen  beim  peripheren  Linearschnitte  geringer  sei,  als  bei  dem 
Cornealbogenschnitte,  dass  dieser  Vortheil  aber  wieder  aufgewogen  werde 
durch  die  grössere  Häufigkeit  verderblicher  Entzündungen  im  Uvealtracte, 
namentlich  der  Iridokyklitis  und  Iridochorioiditis  mit  Schwarienbildung.  Es 
erklärt  sich  dieses  Verhältniss  zum  grossen  Theile  durch  die  schwierigere 
Spaltung  der  an  die  hintere  CornealÜäche  sich  andrängenden  Vorderkapsel, 
durch  die  schwer  zu  vermeidende  Einheibmg  der  Iriswundränder  in  die 
Winkel  der  Bogenwunde,  durcli  die  häufigeren  und  nicht  selten  erst  spät 
stattfindenden  Blutergüsse  in  den  Kammerraum  und  durch  die  etwas  ge- 
steigerte Frequenz   der  sehr  bedenklichen   (S.    158,  IG  3)    Glaskörper  Verluste. 

Diese  Verhältnisse  in  hestimmten  Zahlen  auszudrücken,  hat  seine  grossen 
Schwierigkeiten.  Nach  sorgfältigen  statistischen  Zusammenstellungen  (Dantone) 
schwanken  die  unverhiiUfen  Totalverluste  des  Auges  zwischen  2%  (Knapp)  uud 
6'4%  (Hoering),  ja  28%  (Ed.  JaegerJ.  Unvollkommene  Erfolge,  bei  welchen  die  Seh- 
schärfe bis  '/g  sank,  ergaben  sich  von  2%  (Homer)  bis  20ö/q  (Knapp).  Vollständige 
Erfolge  wurden  74%  (Hoering)  bis  90%  {Graefe)  gezählt.  Es  beeinflussen  eben 
das  Temperament,  die  mehr  minder  abhängige  Stellung  des  Statistikers  und  mancher- 
lei andere  Motive  ganz  ausserordentlich  die  Färbung  der  Brille,  durch  welche  die 
Erfolge  betrachtet  und  classiticirt  werden.  Es  ist  aber  ein  sehr  dunkles  Glas, 
durch  welches  man  dermalen  die  altherkömmliche  Lappenextraction  anzusehen  be- 
liebt, während  man  für  den  peripheren  Linearschnitt  ein  freudigrothes  gewählt 
liat.  Dazu  kommt  ein  hochwichtiger  Umstand,  nämlich  dass  die  grossen  Fort- 
schritte der  Neuzeit,  welche  in  der  Erkenntniss  der  Ui-sachen  der  Misserfolge  und 
in  der  Nachbehandlung  gemacht  wurden,  wohl  der  Extraction  mit  dem  peripheren 
Linearschnitte,  nicht  aber  der  Lajjpenextractiou  zu  Gute  gekommen  sind,  indem  die 
allermeisten  Augenärzte  auf  den  ersten  Wink  die  ältere  Methode  über  Bord  ge- 
worfen haben  und  mit  Enthusiasmus  der  neuen  Fahne  gefolgt  sind,  vielleicht  um 
sie  beim  nächsten  Winke  wieder  eben  so  rasch  zu  verlassen.  Wahi-lich  ist  die 
alte  Lappenextraction  weit  besser  als  ihr  jetziger  Ruf,  auch  wenn  man  davon 
ganz  absieht,  dass  mit  dem  marginalen  Lappenschnitte,  welchem  alle  durch  den 
peripheren  Linearschnitt  zu  vermeidenden  Fehler  in  pofenzirlem  Grade  anhaften, 
bisher  ganz  unübertroffene  Resultate  erzielt  wurden.  Es  ergab  diese  Methode  näm- 
lich in  78-5%  eine  Sehschärfe  von  y^ — i/g,  in  19'G"/,,  eine  Sehschärfe  von  V^, — 1/20 
und  in  1"9%  Phthisis  bulbi  (Jacobson). 

Unter  287  genau  protokollirten  Fällen  lieferte  die  einfache  Lappenexi7-aclio7i 
71"77%  unmittelbare  volle  Erfolge,  das  heisst  die  Kranken  verliessen  die  Klinik 
mit  normal  weiter,  vollkommen  oder  zum  allergrössten  Theile  freier  Pupille  und 
normal  functionirender  Netzhaut,  so  dass  sie  mit  den  entsprechenden  Gläsern 
mittlere  Druckschrift  auf  circa  12"  Entfernuna;  entweder  bereits  lesen  konnten  oder 
dies  nach  Ablauf  weniger  Wochen  erwarten  Hessen,  es  wäre  denn,  dass  sich  nach- 
träglich die  liintere  Kapsel  getrübt  hätte  und  eine  Nachoperation  erforderlich  machte. 
UnvoUstikidige  Erfolge,  welche  im  besten  Falle  das  Erkennen  grosser  Druckschrift 
auf  12"  Distanz  und  die  Selbstführung  gestatteten,  wurden  2160%  gezählt,  doch 
war  die  Hälfte  davon  durch  eine  Nachoperation  auf  einen  vollen  Erfolg  zu 
bringen.  2-09%  der  Augen  gingen  in  Folge  von  Iridochorioiditis  atrophisch,  4-52% 
durch  Suppuration  zu  Grunde.  Unter  den  letztoperirten  47  Fällen  waren  5,  in 
welchen  das  eine  Auge  nach  der  Extraction  mit  dem  peripheren  Linearschiütte 
anderwärts  unter  Vereiterung  zerstört  worden  war.  In  4  dieser  Fälle  wurde  mit 
der  Lappenextraction  ein  voller  Erfolg  erzielt ,  in  Einem  trat  Iridokyklitis 
mit  Pupillensperre  ein,  worauf  eine  Iridectomie  mit  Durchbrechung  der  Schwarten 
das  Vermögen  der  Selbstführung  herstellte. 

Mit  dem  periphereii  Linearsclinitte  wurden  in  44  Fällen  70'45%  volle  Erfolge, 
20-457o    unvollständige,    zur    Hälfte    vielleicht    wesentlich  aufzubessernde  Resultate 

46* 


724  Cataracta;  Extractinn  mit  dem  peripheren  Linearschnitte,  deren  Leistungsfähigkeit. 

erreicht,  in  4'54''/o  trat  Coniealphthine  und  in  eben  so  vielen  Atrophia  hulbi  ein. 
Es  waren  unter  diesen  Fällen  25,  bei  welchen  in  ein  und  derselben  Sitzung  beide 
Augen  operirt  wurden  und  zwar  das  rechte  stets  mit  dem  pi^^'^pheren  Lineai'schnitte, 
das  linke  mit  dem  Hornlimdbogenschnitte.  Der  Erfolg  war  13  Mal  ein  voller  auf 
beiden  Augen,  6  mal  ein  tmvollständiger  am  linken  und  ein  ro?/er  am  rechten  Auge ; 
4  mal  ergab  sich  das  entgegengesetzte  Verhältniss;  2  mal  war  der  Erfolg  zur  Zeit 
der  Entlassung  beiderseits  ein  tmvollständiger.  Ein  Verlust  des  Auges  war  in  keinem 
Falle  zu  beklagen. 

Im  Grossen  und  Ganzen  scheint  die  Leistung sfäliigkeit  heidet  Methoden 
sich  so  ziemlich  das  Gleichgewicht  zu  halten.  Wer  die  grössere  Schwierig- 
keit und  Dauer  der  Operation,  so  wie  die  Verstümmelung  der  Regenbogen- 
haut für  u.nbedeutend  erachtet  und  die  grösstmöglichste  Anzahl  mittlerer 
Erfolge  anstrebt,  der  wird  sich  mit  dem  peripheren  Linearschnitte  vielleicht 
am  meisten  befriedigt  finden.  Wer  jedoch  in  der  Eleganz,  Einfachheit 
und  Schnelligkeit  des  operativen  Actes,  in  der  Leichtigkeit  und  Sicherheit 
der  Staarentbindung  erhebliche  Vortheile  sieht  und  tadellose,  dem  Ideale 
sich  nähernde  Erfolge  erzielen,  dafür  auch  allenfalls  einen  oder  den 
anderen  Verlust  in  Kauf  nehmen  will,  der  wird  immer  wieder  zur  Lappen- 
extraction  zurückliehren  und  deren  Uebelstände  thunlichst  zu  mildern 
suchen,  ohne  dass  er  jedoch  den  peripheren  Linearschnitt  gänzlich  ver- 
wirft. Wo  die  obwaltenden  Umstände  einer  Cornealvereiterung  sehr  günstig 
zu  sein  scheinen ;  wo  ausgebreitete  Narbenflecke  das  Terrain  für  den 
Lappenschnitt  einnehmen  und  zugleich  eine  künstliche  Pupillenbildung 
nothwendig  machen ;  wo  alle  Bedingungen  für  die  Entwickelung  eines 
Glaucoms  vorhanden  sind  oder  ein  Auge  gar  bereits  dieses  Leiden  trägt, 
also  eine  Iridectomie  in  nicht  ferner  Zeit  erforderlich  werden  könnte :  3a 
ist  es  in  der  That  räthlich,  den  peripheren  Linearschnitt  zu  wählen.  Ein  Gleiches 
gilt  von  jenen  Fällen,  in  welchen  das  nach  der  Lappenextraction  unerläss- 
liche  strenge  Eegimen  durch  den  Körperzustand  des  Kranken  unerträglich 
und  selbst  gefährlich  werden  könnte ;  denn  beim  peripheren  Linearschnitte 
droht  bei  weitem  weniger  die  Trennung  der  bereits  verklebten  Wund- 
Üächen  als  beim  Lappenschnitte,  daher  dem  Kranken  schon  in  den  ersten 
Tagen  nach  dem  operativen  Eingriffe  wesentliche  Erleichterungen  zuge- 
standen werden   können. 

Man  hat  auch  die  kürzere  Heildauer  zu  Gunsten  der  Verallgemeinerung  des 
periplieren  LinearscJinittes  geltend  zu  machen  gesucht.  Doch  lässt  sich  dieselbe  nur 
für  die  normal  verlaufenden  Fälle  anerkennen.  Die  anomal  verlaufenden,  und 
deren  Zahl  ist  nicht  gering  (41"5*'/o)  DantoneJ,  wiegen  diesen  Vortheil  so  ziemlich 
wieder  auf,  insoferne  die  chronische  Iridokyklitis  und  Iridochorioiditis  mit  ihren 
Folgen  etwas  häufiger  sind  und  auch  die  nicht  seltenen  ci/stoiden  Narben  den  Kranken 
öfters  recht  lange  belästigen. 

Ein  triftigerer  Grund  für  die  Vorzüglichkeit  des  ^:>e?'ip7<ere?2  Linear  schnitt  es 
gegenüber  dem  Lappenschnitte  scheint  in  der  geringeren  astigmatischen  Differenz 
zu  liegen,  welche  die  nach  der  ersteren  Methode  operirten  Augen  nachweisen 
lassen  (Reuss,  WoinoivJ.  Doch  kömmt  hier  in  Betracht,  dass  der  Astigmatismus, 
welcher  der  Staarextraction  zu  folgen  pflegt,  einige  Zeit  nach  der  Operation  sich 
immer  wesentlich  zu  vermindern  pflegt  und  dass,  falls  er  nach  dem  Lappenschnitte 
auch  etwas  grösser  bliebe ,  der  Unterschied  kaum  jemals  so  gross  sein 
dürfte,  dass  Cylindergläser  ihn  auszugleichen  unvermögend  wären.  Insbesondere 
aber  ist  zu  berücksiclitigen,  dass  selbst  ein  grösserer  und  unregelmässigerer  Astig- 
matismus nach  einer  regulären  Lappenextraction  sich  vermöge  der  geringeren 
Weite  lind  der  centralen  Lage  der  Pupille  subjectiv  tveniger  bemerklich  machen 
müsse,  als  nacli  dem  peripheren  Linearschnitte  in  seiner  Combination  mit  Iri- 
dectomie. 


Extraction  des  Staaros  in  der  Kapsol ;    Oporiitinn  iibcn-oitcr  Staare.  72o 

Es  hat  auch  nicht  an  Versuchen  f!;efehlt,  die  der  Plxtraction  mit  dem  jyeri- 
pheren  Linearsclinitte  anlclebendcii  Ucbelstände  üu  niihlern  oder  ganz  zu  beseitigen. 
So  hat  man  gleich  wie  bei  der  Ijappenextraetion,  um  dem  Zurückbh'iben  von  Staar- 
triimmern  zu  steuern,  die  Anszieliuncj  der  Linse  in  der  unverletzten  Kajjsel  empfohlen 
und  glaubt  dies  sogar  ohne  Verstümmelung  der  Iris  bewerkstelligen  zu  können.  Es 
soll  zu  diesem  Behufe  nach  Anlegung  des  peripheren  Linearsehnittes  ein  Staar- 
lötlel  mit  der  Convexität  gegen  die  Linse  gewendet  in  die  ]'u])ille  eingeführt,  der 
Linsenrand  zur  Seite  geschoben  und  die  Zoniila  mit  dem  Löifelrande  durchtrennt 
werden,  worauf  das  Instrument  hinter  die  Linse  in  die  tellerförmige  Grube  einge- 
führt inid  der  Krystall  als  Ganzes  durch  die  Wunde  hindurchgezogen  wird.  Man 
rühmt  die  Leichtigkeit,  Sicherheit  und  Vortreft'lichkeit  der  Erfolge  (Gioppi,  Hasner); 
doch  wird  man  sehr  gut  thun,  Controlversuche  abzuwarten. 

d.   Bei  überreifen  Staaren  fordern  die  fettigkalkigeu  Anlagerungen  an 

der  Innenwand  der  Kapsel  die  sorglichste  Beaclitung.      Sie  machen  es  den 

durch     die     Operation    gebildeten     Kapselziiifeln     ganz    unmöglich ,     sich    zu 

retrahiren,   daher  selbst  bei  ausgiebiger  Zerstückelung  der  Kapsel  trübe  lleste 

derselben  in  der  Pupille  zurückbleiben,   welche   sich  später  meistens  schwer 

beseitigen  lassen  und  das  Sehvermögen  sehr  fühlbar  beeinträchtigen. 

Einfache  Discissionen  taugen  dann  also  weniger,  selbst  wenn  die  Linse  als 
Ganzes  bereits  zerfallen  wäre  und  einen  fettigkalkigen  Brei  darstellte.  Enthält  der 
regressive  Staarbrei  gar  noch  griesige  Kalkconglomerate,  so  kann  es  geschehen, 
dass  dieselben  in  die  Vorderkammer  austreten  und  vermöge  ihrer  Consistenz  eine 
um  so  misslichere  Reizwirkung  ausüben,  als  sie  sich  nur  langsavi  lösen  und  nicht 
leicht  entfernt  werden  können.  In  einzelnen  seltenen  Fällen  hat  man  beobachtet, 
dass  die  Kalkmassen  sich  an  der  rauhen  Oberfläche  der  Iris  ansetzten  und  auch 
die  Hinterwand  der  Cornea  mit  einem  unvertilgbareu  Beschläge  überzogen,  der  das 
Sehen  sehr  unliebsam  störte. 

Bei  regressiven  flüssigen  Totalstaaren  flihrt  mau  am  besten  mit  der 
einfachen  Linear  extraction.  Es  ist  dabei  indessen  nothwendig,  dass  das 
Kammerwasser  erst  ganz  abgelassen  werde,  ehe  man  zur  Eröffnung  der 
Kapsel  schreitet,  damit  der  Krystall  von  dem  Glaskörper  fest  an  die  hintere 
Wand  der  Iris  und  Cornea  angepresst,  die  Kammer  also  Nidl  sei,  wenn 
die  kalkmilchähuliche  Flüssigkeit  aus  der  Kapselhöhle  entleert  wird. 
Auch  thut  man  gut,  den  Linearschnitt  etwas  näher  als  sonst  an  das 
Cornealcentrum  zu  rücken,  damit  die  Oeifnung  nicht  verlegt  werde,  wenn 
während  des  Ausüiessens  des  Humor  aqueus  die  Pupille  sich  sehr  ver- 
engt. Selbstverständlich  ist  bei  einem  solchen  Vorgehen  eine  ausgiebige 
Zerldüftung  der  Kapsel  nicht  möglich.  Manchmal  gelingt  es  wohl  die 
letztere  grössten  Theiles  herauszuziehen;  häufiger  jedoch  muss  man  unver- 
richteter  Sache  die  Versuche  aufgeben.  Es  bleibt  dann  ein  Nachstaar 
zurück,   welcher  später  entfernt  werden  muss. 

Man  hat  in  Berücksichtigung  dessen  gerathen,  den  Einstich  in  die  Cornea 
nicht  mit  einer  Lanze,  sondern  mit  einer  in  allen  ihren  Durchmessern  vergrösserten 
Discissionsnadel  zu  machen,  deren  Hals  die  Wunde  stopft  und  den  Abfluss  des 
Kammerwassers  verhindei't,  die  Kapsel  also  in  genügendem  Abstände  von  der 
Descemeti  hält,  um  selbe  zerspalten  zu  können  (Graefe).  Daim  wird  aber  offenbar 
dem  Austritte  des  kalkmilchähnlichen  Magmas  in  den  Kammerraum  und  dessen 
üblen  Folgen  nicht  gesteuert;  die  Methode  ist  demnach  eine  unpraktische. 

Bei  trockenhülsigen  Staaren,  so  wie  überhaupt  bei  sehr  geschrumpften 
Cataracten  mit  einer,  durch  Anlagerungen  fester  Massen  sehr  verdickten 
zähen  Kapsel  und  breiigem  Kerne  ist  die  einfache  Linearextraction  allen 
anderen  Methoden  entschieden  vorzuziehen  und  wird  auch  schon  seit  einer 
langen  Reihe  von  Jahren  geübt  (Friedr.  Jaeger).  Es  folgen  solche  Staare 
nämlich   sehr  leicht   im   Zusammenhange  dem  Zuge  eines  Hakens  oder  eiuer 


726  Cataracta;  Extraction  überreifer  Staare;  Verfahren  bei  Bestand  hinterer  Synechien. 

Pincette  und  lassen  sich  so  durch  die  Corneal-wnnde  ohne  Anstand  ent- 
fernen. Gemeiniglich  ist  unter  solchen  Umständen  nämlich  die  Zonula 
atrophirt  und  reisst  ein,  wenn  ein  Zug  auf  sie  wirkt;  ausserdem  aber  ist 
die    Verbindung    der  hinteren    Kapsel  mit  der  Tellergrube  sehr  gelockert. 

Trockenhülsige  und  secundäre  Staare  lassen  sich  übrigens  auch  durch  eine 
Lederhautwunde  aus  dem  Auge  herausbefördern.  Früher  war  dieser  Weg  nicht 
unbeliebt,  ist  aber  längst  verlassen  worden,  da  er  keine  besonderen  Yortheile 
gegenüber  der  linearen  Extraction  durch  den  Hornhautstich  bietet.  Es  wurde  an 
der  Schläfenseite  der  Sclera,  bei  2'"  unter  dem  Horizontaldurchmesser,  mittelst 
einer  Lanze  oder  eines  Keratoms  ein  bei  3'"  langer  meridionaler  Schnitt  geführt, 
dessen  vorderes  Ende  bei  2'"  von  der  Cornealgrenze  entfernt  war.  Hierauf  wurde 
eine  zarte  stumpfgezähnte  Pincette  oder  ein  Irish'dkchen  eingeführt,  durch  den  Glas- 
körper ^  bis  zur  Cataracta  vorgeschoben,  diese  gefasst  und  hervorgezogen  (Sichel, 
Desinai~res). 

Ueberreife   Staare  mit  einem  sclerosirten  oder  normal  consistenten  Kerne 

müssen  durch  die  Lappenextraction  oder  durch  den   peripheren  Linearschnitt 

beseitigt  werden.     Doch  soll  man  hierbei  stets  den  Versuch    machen,    das 

Krystallsystem  im,  Zusammenhange   auszuziehen,   ehe  man  zur  Einschneidung 

der    Kapsel    schreitet.     Recht    oft   gelingt   das  Manöver   und  dann  ist  viel 

gewonnen,    indem    eine    Ditfusion    der    kalkigen     ßindentrümmer     in  den 

Karamerraum     und    überdies    auch    das    Zurückbleiben    eines    Nachstaares 

unmöglich    wird.     Folgt    indessen    der  Staar    nicht    dem  Zuge   des  Hakens 

oder  der  Pincette,  so  muss  die  Kapsel  ausgiebig  gespalten  und  dann  nach 

Entleerung  der    Linse  stücJciveise  extrahirt  werden. 

Um  die  üblen  Folgen  zu  verhindern,  welche  das  Zurückbleiben  kleiner  Kalk- 
körnchen im  Kammerraume  veranlassen  kann,  wurde  empfohlen,  nach  Austritt 
des  Kernes  laues,  auf  ungefähr  30"  ß.  erwärmtes  destillirtes  "Wasser  in  den  vor- 
deren Bulbusraura  zu  träufeln  oder  sanft  einzuspritzen,  um  so  die  Rückstände 
gleichsam  auszuschwemmen  (Arlt). 

e.  Bei  hinteren  Synechien  können  sich  die  Kapselzipfel  ebenfalls  nicht 
zurückziehen ,  weil  sie  theilweise  mit  der  Iris  zusammenhängen,  ausserdem 
aber,  weil  unter  dem  Einflüsse  der  vorangegangenen  Entzündungen  meistens 
ziemlich  massive,  später  verkalkende  Producte  an  der  Innemoand  der  Kapsel 
abgesetzt  werden  und  die  durch  äussere  Auflagerungen  bedingte  Steifheit 
derselben  noch  vergrössern.  Dazu  kömmt,  dass  sich  unter  dem  Einflüsse 
der  Entzündung  häufig  der  gesummte  Staarbrei  verdichtet  und  dass  sich  in 
ihm  Kalkcong  lomerate  entwickeln.  Die  Entblössung  der  Corticalis  und 
deren  Austritt  aus  der  Kapselhöhle  wird  dann  um  so  gefährlicher,  als  die 
Pupille  vermöge  der  Productbildungen  an  ihrem  Pande  sich  nicht  gut 
erweitei-n  lässt  und  durch  die  Synechien  selbst  schon  die  Neigung  zur 
Rückkehr  der  Lritis  ansehnlich  gesteigert  erscheint.  Es  ist  unter  so 
bewandten  Umständen  dringend  zu  rathen,  die  Staaroperation  mit  der 
Iridectomie  zu  paaren  und,  wo  vermöge  der  Beschaffenheit  der  Cataracta 
eine  der  Extraction smethoden  angezeigt  erscheint,  immer  erst  die  Ausziehung 
bei  unverletzter  Kapsel  zu  versuchen ;  die  letztere  also  nur  dann  einzu- 
schneiden und  hinterher  stückweise  zu  entfernen,  wenn  das  Linsensystem 
nicht  als  Ganzes  dem  Zuge  folgt.  Manche  halten  es  für  klug,  die  Operation 
mit  der    Corelyse   (S.    302)   zu  beginnen   (Hasner). 

f.  Bei  traumatischen  Staaren  können,  wenn  deren  Entwickelung  ohne 
gefahrdrohende  Reizzustände  \or  sich  geht,  die  natürlichen  Au^giiwge  (S.  689) 
unter  strenger  Antiphlogose  und  häufigen  Einträufelungen  von  Atropin  abge- 
wartet werden.  Insbesondere  bei    Kindern    ist  es  gut,  nicht  allzu  rasch  zu 


Extraction  vorgefallener  uiul  schwimmender  Staare.  727 

operativen  Eingriffen  zu  sclu-eiton,  da  eben  nicht  p;ar  selten  durch  lle- 
ßorption  eine  spontane  llciluny  erzielt  wird.  Bläht  sich  aber  die  Linse  auf 
und  macht  sich  bereits  eine  Iritis  geltend,  gelingt  es  übrigens  nicht  auf 
den  gewöhnlichen  Wegen,  die  Entzündung  rasch  zu  beschwichtigen  oder 
steckt  gar  ein  fremder  Körper  in  der  Linse,  welcher  herausfallen  könnte 
(S.  690) :  so  wird  die  Anzeige  zur  Operation  eine  drängende.  Bei  ganz 
erweichten  Staaren  ist  dann  die  Linear extr ad ioii  mit  der  Iridectoraie  oder 
besser  die  Extraction  mit  einem  Ideinen  Lappenschnitte  zu  wählen.  Bei  un- 
vollständig zerfallenem  Krj'stalle  und  überhaupt  bei  älteren  Individuen  kann 
nur  die  Extraction  mit  dem  Lappen-  oder  peripheren  Linearschnitte  zum 
Ziele  führen.  Leider  erweist  sich  das  Mittel  häufig  als  ganz  unzureichend 
und  führt  sehr  rasch  zur  Zerstörung  des  Auges  durch  Phthise  oder  Atrophie. 
In  Anbetracht  dessen  dürfte  Jene  kein  Vorwiirf  treffen,  welche  die  Opera- 
tion nur  in  der  dringendsten  Noth  und  in  verzweifelten  Fällen  als  einen 
letzten   Versuch  für  gerechtfertigt  halten. 

g.  Für  lAnsen,  welche  in  die  Vorderkammer  vorgefallen  und  daselbst 
fixirt  sind,  so  wie  für  Linsen,  welche  theilweise  oder  ganz  aus  ihren  normalen 
Verbindungen  losgerissen  sind,  vermöge  ihres  Herumschwankens  mechanisch 
reizend  auf  die  Binnenorgane  wirken  und  damit  das  Auge  in  Gefahr  bringen, 
sie  mögen  noch  durchsichtig  oder  bereits  staarig  entartet  sein :  passt  die 
Lappenextraction. 

Verkalkte  Linsen,  welche  seit  Langem  in  der  Vorderkammer  Hegen,  haben 
den  Bulbus  meistens  durch  Iridochorioiditis  schon  sehr  mitgenommen  und  sehun- 
fähig gemacht.  Falls  daher  öftere  Reizznstände  und  besonders  Iridokyklitis  zur 
Operation  auffordern,  oder  gar  schon  das  zweite  Auge  in  Gefalir  sympathischer 
Mitleidenschaft  stünde,  scheint  es  klüger,  den  Bulbus  zu  enucleiren,  da  der  operative 
Eingriff  sonst  leicht  den  entzündlichen  Process  noch  mehr  anfachen  und  auf  das 
zweite  Auge  übertragen  könnte  (Gvaefe).  Um  bei  der  Extraction  von  in  der  Vor- 
derkammer lagernden  Linsen  grössere  Glaskörperverbiste  thunlichst  hintanzuhalten, 
empfiehlt  man  die  vorläufige  Verengerung  der  Pupille  durch  Calahaipräparate 
(Pagenstecher). 

Bei  eigentlichen  Schwimmstaaren  hat  man  öfters  grosse  Noth,  den  Krystall 
mit  dem  Löffel  zu  erhaschen,  indem  er  in  der  den  Bulbusraum  erfüllenden 
Flüssigkeit  freibeweglich  ist  und  gerne  ausweicht.  Es  ist  daher  sehr  zu 
empfehlen,  die  Cataracta  vorerst  auf  eine  durch  die  Lederhaut  eingestochene 
Staarnadel  aufzuspiessen,  dieselbe  in  die  Vorderkammer  zu  drängen  und 
gegen  die  hintere  Coruealwaud  zu  pressen,  um  sie  schliesslich  durch  einen 
Lappenschnitt  zu   entfernen  (Graefe,  Hasner). 

Gelingt  es  nicht,  den  Schwimmstaar  auf  der  Nadel  zu  fixiren,  so  bleibt  wohl 
nichts  übrig,  als  die  sogenannte  Scleralextraclion  (Quadri).  Behufs  derselben  wird 
die  Lederhaut  in  der  Gleichergegend  des  Bulbus  auf  '4 — '/e  ihres  Umfanges  parallel 
dem  Cornealrande  durchgeschnitten,  der  verflüssigte  Glaskörper  entleert  und  die 
Linse  herausgezogen.  Es  geht  dann  das  Auge  allerdings  häufig  durch  Eiterung  zu 
Grunde,  doch  fällt  dies  nicht  schwer  ins  Gewicht,  da  bei  der  Cataracta  natans 
die  Functionstüchtigkeit  des  Bulbus  ohnehin  auf  Null  gesetzt  zu  sein  pflegt  und 
der  Staar  sehr  häufig  die  Veranlassung  von  immer  wiederkehrenden  Entzündungen 
ist,  welche  den  Kranken  nie  zur  Ruhe  gelangen  lassen  und  oft  sogar  den  allge- 
meinen Gesundheitszustand  desselben  schädigen.  Da  ist  eine  rasch  verlaufende 
Phthise  des  Bulbus  oft  sogar  eiu  Gewinn.  In  Aiibetracht  dessen  scheut  man  sich 
auch  nicht,  dort  wo  man  der  Linse  nicht  habhaft  werden  konnte,  die  Vereiterung 
des  Bulbus  durch  Einziehung  eines  Fadens  (S.  392)  zu  erzwingen.  Im  Falle  als 
eine  sympathische  Affection  des  anderen  Auges  droht,  oder  bereits  besteht,  wird  die 
Enucleatio  bulbi  für  angezeigt  gehalten  (Graefe). 


728      Cataracta:    Operation  eetopischer  n.  luxirter  Linsen,  des  Naehstaares:   Vorbereitungskur. 

Bei  der  Ectopie  und  bei  niederen  Graden  angeborner  Luxation  der  Linse, 

es  möge  der  Krystall  seine  Durchsichtigkeit  bewahrt  haben  oder  cataractös 

sein :    kömmt    man    öfters  mit   der   Iridectomie  aus.      Wer    die   Gefahr  nicht 

scheut,   wird  auch  wohl  die    Verlagerung  der  Pupille  wählen.      Genügt  dies 

jedoch    nicht,    um    ein    deutliches  Sehen  zu  erzielen  oder  setzt  die  luxirte 

Linse  vermöge  ihres  Schlotterns  das  Auge  in  Gefahr,   so  ist  die  Extraction, 

am  besten  mit  dem  peripheren  Linear  schnitte,   am  Platze. 

Ist  die  Linse  unter  die  Bindehaut  di^locirt,  so  erscheint  es  vortheilhaft,  deren 
Entfernung  erst  nach  erfolgter  Verkeilung  der  Scleralwunde  vorzunehmen,  um  die 
Entleerung  des  Glaskörpers  zu  vermeiden. 

h.  Nachstaare  kann  man  durch  Scleronyxis  zerstückeln  und  theilweise 
deprimiren.  Besonders  empfehlenswerth  ist  dieses  Verfahren  bei  Trübungen 
der  Hinterkapstl,  wie  sich  selbe  öfters  nach  der  Lappen-  und  Linear- 
extraction  bilden.  ^lan  thut  dabei  gut,  das  Operationsfeld  durch  eine  Loupe 
schief  zu,  beleuchten,  um  selbst  die  feiasten  Trübungen  deutlich  wahrnehmen 
zu  können  {Knapp).  Massigere  Nachstaare  lassen  sich  am  besten  durch  die 
einfache  Linearext raction  beseitigen. 

Wenn  sie  aber,  was  öfters  der  Fall  ist,  mit  ii'idokyklitischen  Schwarten  fest 
zusaninienhängen,  ist  der  zur  Extraction  erforderliche  Zug  sehr  gefährlich  und  kann 
zu  deletäreu  Entzündungen  führen.  Wo  derlei  Adhäsionen  bestehen,  thut  man 
daher  vielleicht  besser,  den  Nachstaar  mittelst  ziceier  Nadeln  zu  zerschneiden.  Diese 
Nadeln  werden  vou  zwei  entgegengesetzten  Seiten  durch  die  Cornea  eingeführt,  in 
der  Mitte  der  Cataracta  secundaria  in  dieselbe  Oeffnung  eingesenkt  und  durch 
Auseinanderziehen  in  entgegengesetzter  Richtung  ein  freier  Pupillarraum  geschaifen 
(Bowman,  Fagenstecher). 

4.  Eine  specielle  Vorbereitungskur  ist  ganz  überflüssig  und  eher  geeig- 
net, durch  den  beängstigenden  Eindruck,  welche  sie  auf  den  Kranken 
ausübt,  Schaden  zu  stiften.  Doch  ist  es  klug,  dem  Kranken  am  Tage  vor 
der  Operation  ein  Abführmittel  zu  reichen,  weil  nach  einer  gehörigen  Ent- 
leerung des  Darmkanales  der  Stuhlgang  in  der  Eegel  mehrere  Tage  aus- 
setzt, was  wegen  den  bei  Absetzung  von  Fäcalstoffen  nothwendigen  Körper- 
bewegungen, namentlich  nach  der  Lappenextraction,  höchst  erwünscht  ist. 
Soll  eine  Nadeloperation  oder  eine  lineare  Extraction  ausgeführt  werden, 
so  ist  auch  eine  wiederholte  Einträufelung  von  Atropinlösung  nothwendig, 
um  den  Effect  derselben  möglichst  sicher  zu  stellen. 

Ist  eine  Lappenextraction  im  Plane,  so  erscheint  die  künstliche  Erweiterung 
der  Pupille  kaum  erspriesslich.  Doch  glauben  Viele,  dass  durch  Schwächung  des 
Sphincter  pupillae  der  Durchtritt  des  Staares  erleichtert  und  so  den  misslichen 
Folgen  etwaiger  Zerrungen  der  Iris  einigermasseu  vorgebeugt  werden  könne.  Auch 
soll  die  Mydriase  iiach  Vei-klebung  der  Hornhautwunde  rasch  iciederkehren  und  so 
der  Einfluss  etwa  zurückgebliebener  Staartrümmer  auf  die  Iris  beschränkt  werden 
(SämischJ. 

5.  Die  Operation  wird  am  besten  des  Morgens  vorgenommen,  nach- 
dem der  Kranke  eine  oder  die  andere  Stunde  früher  eine  Schale  Suppe 
oder  Milchkaffee  zu  sich  genommen  hat.  Bei  ganz  leerem  Magen  tritt  nach 
der  Operation  gerne  Brechreiz  ein,  was  gefährlich  werden  kann.  Bei 
vollem  Magen  verträgt  der  Kranke  nicht  leicht  die  in  der  Regel  erforder- 
liche Eückenlage  und  neigt  zu.  Congestionen  gegen  den  Kopf. 

Li  neuerer  Zeit  wird  fast  allgemein  die  Rückenlage  des  Kranken  als 
die  günstigste  angesehen,  um  die  Operation  durchzuführen.  Man  bringt 
daher  den  Patienten  vor  der  Operation  im  Nachtgewande  in  das  gehörig 
vorbereitete   Bett    und    stellt   dasselbe  so,   dass    das  Licht  von  einem  oder 


Lagerung  des  Kranken;  Narkose;  Fixation  di>s  Uulbus  nnd  der  Lider.  729 

zwei    Fenstern    schief  auf   den  Kopf  des  Kranken  falle    und   das  Auge    raii. 
Ausschluss  directer   Sonnenstrahlen  gehöi'ig  beleuchte. 

Der  Vortheil  dieses  Vorgehens  liegt  darin ,  dass  der  Kranke,  lun  nach  der 
Operation  in  eine  bequeme  Bettlage  zu  koninieii,  nicht  erst  zu  Bewegungen  ge- 
zwungen wird,  welche  manche  Gefahren  in  sich  schliessen;  dass  Olinmachten  wäh- 
rend der  Operation  ihre  Bedeutung  verlieren ;  dass  der  Kopf  des  Patienten  sich 
leichter  fixiren  lässt  und  dass  der  Operateur,  indem  er  über  den  letzteren  hinüber 
manijjulirt,  das  obere  Lid  des  staarigen  Auges  selbst  abgezogen  halten  und  so 
leichter  eines  sehr  geüljten  Assistenten  entbehren  kann. 

Wo  indessen  krankhafte  Zustände  des  Körpers  die  Bettlage  sehr  lästig  oder 
gar  unerträglich  machen  und  eine  sitzende  Stellung  während  des  grössten  Thciles 
der  Heiluiigsperiode  Bedürfniss  ist,  wird  der  Kranke  besser  in  einem  bequemen 
Lehnsessel  operirt  und  darin,  zweckmässig  bekleidet  und  gut  unterstützt,  Tags  ül)er 
sitzen  gelassen,  des  Nachts  aber  in  das  nebenstehende  Bett  gebracht  und  mit  dem 
Kopfe  hoch  gelegt. 

Kinder  sind  in  der  Nai'kose  zu  operiren.  Es  handelt  sich  bei  diesen  nämlich 
fast  immer  um  eine  Discission  und  da  kommen  die  ungestümen  Bewegungen  des 
Kranken  während  dem  späteren  Halbrausche,  so  wie  das  häufig  eintretende  Würgen 
und  Erbrechen  nicht  sehr  in  Betracht,  Wird  aber  die  Narkose  gescheut,  so  ist  das 
Kind  mit  einem  Leintuche  wohl  zu  umwickeln,  so  dass  Arme  und  Füsse  unbeweg- 
lich in  gestreckter  Lage  gehalten  werden;  ein  sitzender  Assistent  fixirt  das  Kind 
auf  seinem  Schoosse,  während  der  gegenübersitzende  Operateur  die  vimwickelten 
Beine  des  Patienten  zwischen  seine  Knie  klemmt  und  ein  zweiter  Assistent  über 
den  Kopf  des  Kranken  hinüber  dessen  Lider   auseinanderzieht  und  den  Kopf  hält. 

Bei  Erioaclisenen  und  überhaupt  wo  eine  Extracfion  mit  dem  Lajypen-  oder 
peripheren  Linearschnitte  ausgeführt  werden  soll,  wird  die  Narkose  am  besten  ge- 
mieden, da  die  Unruhe  des  Kranken  während  dem  Halbrausche  bei  und  nach  der 
Operation  den  Erfolg  in  der  misslichsten  Weise  gefährden  kann  und  auch  das 
häufige  Erbrechen  sehr  störend  wirkt.  Bei  sehr  üngstüchen  Leuten  indessen, 
welche  bei  der  Operation  sich  hin  und  her  werfen  und  in  der  heftigsten  AVeise 
gegen  die  einzelnen  Eingriffe  reagiren,  wird  mau  wie  bei  Kindern  die  tiefe  Narkose 
kaum  entbehren  können. 

Vielleicht  lassen  sich  die  mit  der  Chloroformnarkose  verknüpften  Gefahren 
durch  den  Gebrauch  des  Chloralhydrates  sehr  vermindern  oder  gänzlich  beseitigen. 
Man  emptiehlt  zu  diesem  Behufe  dem  Kranken  eine  Dosis  von  2 — 4  Grammen 
des  Mittels,  falls  er  ein  Säufer  ist,  je  nach  Bedarf  auch  5  Grammen  innerlich  bei- 
zubringen und  nachdem  er  in  Schlaf  gesunken  ist,  die  Anaesthesirung  durch 
Chloroforminhalatioyien  zu  vervollständigen.  Man  hofft,  es  werden  dann  sehr  kleine 
Dosen  Chloroform  zum  Zwecke  genügen,  nach  der  Operation  werde  das  Stadium 
der  Auaesthesie  schnell  verschwinden  und  der  Patient  eines  guten  Schlafes  sich 
erfreuen  (0.  Liebreich).  —  Locale  Anaesthesirungen  nach  der  Richardson  sehen 
Methode  sind  laut  directen  Versuchen  (Weber)  nicht  anwendbar. 

Auch  die  Fixation  des  Bulbus  (S.  295)  wird,  wo  es  nur  immer  thunlich  ist, 
besser  miterlassen.  Es  gilt  dies  vornehmlich  von  der  Lajjpenextraciion.  Es  kömmt 
hier  nämlich  der  Umstand  in  Rechnung,  dass  die  Fixation  ziemlich  heftige  Schmer- 
zen veranlasst,  und  besonders  bei  sehr  unruhigen  Kranken  gerne  eine  Ursache  von 
um  so  stärkerem  Pressen  und  Drängen  wird,  was  den  Gang  der  Operation  in  der 
ungünstigsten  Weise  beeinflussen,  zu  Glaskörpervorfällen  u.  s.  w.  führen  kann. 
Wird  die  Lappenextraction  in  der  oberen  Hälfte  der  Hornhaut  durchgeführt,  oder 
der  periphere  Linearschnitt  in  Anwendung  gebracht,  so  bleibt  allerdings  gar 
oft  nichts  anderes  übrig,  als  die  Pincette  zu  gebrauchen,  um  den  nach  oben 
fliehenden  Bulbus  nach  unten  zu  drehen  und  so  das  Operationsfeld  in  der  Lid- 
spalte festzuhalten. 

Von  grösster  Wichtigkeit  ist  die  richtige  Haltung  der  Augendeckel. 
Sie  erheischt  einen  geübten  Assistenten,  da  es  nicht  leicht  ist,  die  Lid- 
spalte weit  zu  öffnen  und  die  Lider  mit  Sicherheit  abgezogen  zu  erhalten, 
ohne  dem  Operateur  im  Wege  zu  stehen,  so  wie  ohne  den  Bulbus  im 
mindesten  zu  belästigen  und  dadurch  Veranlassung  zur  Unruhe  des 
Kranken  zu  geben.     Das  eine  Lid  fixirt   in  der  Regel  der    Operateur  und 


730  Cataracta;  Operation;  Verband. 

zwar  je  nach  seiner  Stellung  hinter  dem  Kopfe  oder  an  der  Brustseiie  das 
obere  oder  untere,  das  andere  der  Assistent.  Die  beiden  dazu  verwendeten 
Hände  werden  mit  eingeschlagenem  Eing-  und  kleinen  Finger  flach  auf 
die  Stirne  und  das  Gesicht  gelegt  und,  während  der  Kranke  die  Lidspalte 
öffnet,  die  Spitzen  des  ausgestreckten  Zeige-  und  Mittelfingers  über  die 
Wimpern  an  die  Lidrandfläche  gebraclit,  worauf  sich  die  Lider  leicht  an 
der  Convexität  des  Bulbus  herabstreifen  und  mittelst  der  Cilien  am  Or- 
bitalrande festhalten  lassen,  ohne  den  Bulbus  auch  nur  im  entferntesten 
zu  beleidigen.  Wichtig  ist  dabei,  dass  die  innere  Lidlefze  keinen  Augenblick 
vom  Augapfel  abgehoben  werde,  da  sonst  bei  einigem  Pressen  des  Kranken 
leicht  eine  Umstülpung  erfolgt ,  welche  die  Operation  sehr  erschwert 
(Siehe  Fig.   91   bis   96). 

Augenlidhalter,  welche  stark  genug  sind,  um  dem  ki-ampfhaft  gespannten 
Orbicularmu.skel  Widerstand  zu  leisten,  belästigen  den  Kranken  sehr,  vermehren 
dessen  Unrulie  und  sind  darum  im  Allgemeinen  zu  meiden.  Bei  der  Extraction  mit 
dem  peripheren  Linearschnitte  jedoch  lassen  sie  sich  im  zweiten  Momente,  während 
der  Anlegung  der  künstlichen  Pupille,  öfters  schwer  entbehren,  da  bei  Fixation  der 
Lider  von  Seite  des  Assistenten  der  Rauvi  fehlt,  um  damit  ein  zweiter  Assistent  mit 
der  Pincette  den  Bulbus  festhalten  könnte. 

6.  Unmittelbar  vach  der  Operation  wird  der  Kranke  geheissen,  die  Lid- 
spalte sanft  wie  zum  Schlafe  zu  schliessen,  die  etwa  ausgetretene  Feuchtig- 
keit mittelst  weicher  Charpie  zart  aufgetupft  und  sodann  ein  Schutzverband 
über   beide   Augen   angelegt. 

Die  Anlegung  des  Schutzverbandes  fordert  die  allergrösste  Aufmerksamkeit. 
Die  C'ha7-2ne  muss  möglichst  fein  geztqjß,  zart  und  )-em  sein;  sie  darf  auch  nicht 
ahfasern,  da  sonst  leicht  einige  Flocken  zwischen  die  Lidränder  gelangen  und 
höchst  unangenehme  Zufälle  anregen  können.  Die  daraus  geformten  beiden  Bäusche 
dürfen  nicltt  zu  yross  sein ;  sie  müssen  allenthalben  eine  gleichmässige  Dichtigkeit 
haben;  die  Binde  muss  von  feinstem  und  ganz  neuen  Flanell  gefertigt  sein,  damit 
sie  sich  vollkommen  ghichm'dssig  spanne,  denn  nur  dann,  wenn  alle  diese  Bedin- 
gungen erfüllt  sind,  kann  der  Verband  sicli  allentlialben  ganz  gleichmässig  an  die 
Oberfläche  der  gesclilossenen  Lider  anschmiegen,  was  ein  Haupterforderniss  eines 
guten  Verbandes  ist.  Nicht  genug  gewarnt  kann  werden  vor  stärkerem  Anziehen  der 
Binde,  besonders  nach  Lappenextractionen ,  da  dann  leicht  der  Lappen  verrückt 
wird,  in  jedem  Falle  aber  ein  höchst  unangenehmes  Gefühl  von  Druck  entsteht, 
welches  den  Kranken  unruhig  macht  und  auch  direcl  zu  üblen  Folgen  führen  kann. 
Der  Verband  hat  in  der  Reixel  keinen  Druck  auszuüben,  sondern  nur  die  Theiie  in 
ihrer  natürlichen  Lage  zu  sichern.  Es  fehlt  zwar  auch  nicht  an  Stimmen,  welche 
einem  stärkeren  Drucke  das  Wort  reden  und  unter  Umständen,  insbesondere  bei  Iris- 
und  Glaskörpervorfällen,  bei  Blutaustretungen,  bei  beginnender  Cornealvereiterung 
u.  s,  w.  sogar  einen  Schnürverhand  (S.  16)  empfehlen  (Graefe).  Doch  tliut  man  gut, 
denselben  nicht  zu  folgen. 

Eine  Verklebung  der  Lider  mit  Streifen  von  englischem  Pflaster  lässt  sich 
neben  der  Anwendung  des  Schutzverbandes  nur  bei  sehr  unruhigen  und  leicht- 
sinnigen Kranken,  so  wie  bei  kindisch  gewordenen  Greisen  rechtfertigen,  da  bei 
derlei  Individuen  die  Gefahr  nahe  Hegt,  dass  sie  in  unbewachten  Augenblicken  den 
Verband  lüften  und  den  Effect  der  Operation  vorzeitig  prüfen,  was  die  schwersten 
Zufälle  herbeiführen  kann.    Im  Uebrigen  ist  sie  zu  verineiden  (S.   16). 

Kinder  dulden  häufig  gar  keinen  Verband  und  müssen  dann,  will  man  nicht 
durch  ihr  Schreien  und  Sträuben  noch  schwerere  Zufälle  eintreten  lassen,  mit 
offenen  Augen  in  einem  vollkommen  gleichmässig  verdunkelten  Zimmer  gehalten  wer- 
den, was  um  so  zulässiger  ist,  als  bei  ihnen  meistens  nur  Nadeloperationen  in  An- 
wendung -kommen. 

Ist  der  Kranke  verbunden,  so  muss  er  nun  definitiv  in  die  passende 
Lage  gebracht  und  diese  ihm  durch  Polster  so  bequem  als  möglich  gemacht 
werden:   denn   eine   unbequeme  Lage  hält  er  nicht  lange  aus,  es  stellen  sich 


Nachbehandlung;  Wechsel  des  Verbandes.  731 

Schmerzen  im  Kopfe,  im  Kreuze  u.  s.  w.  ein,  er  wird  uni'uhig,  wirft 
sich  herum  und  k;inn  so  leiclii-  den  Erfolp,-^  der  Opei'ation  gefährden. 
Meistens  ist  die  Rückenlage  mit  erhöhtem  Kopfe  die  am  besten  ent- 
sprechende. Wurde  jedoch  nur  ein  Auge  operirt,  so  kann  der  Kranke 
im  Nothfalle  aucli  auf  der  anderen  Seite  liegen  und  blos  zeitweiliy  in  die 
Rückenlage  gebracht  werden. 

Ist  der  Kranke  gehörig  gelagert,  so  wird  das  Eett  an  die  schon  vor- 
her bestimmte  Stelle  des  Zimmers  gerückt,  wo  es  Yor  Zugluft,  Ofenhitze, 
Streiflichtern  u.  s.  w.  vollkommen  geschützt  ist.  Das  Zimmer  wird  dann 
vollkommen  gleichmässig  verdunkelt,  docli  nicht  mehr,  als  dass  man  bei 
hellem  Tage  nach  einigem  Aufenthalte  noch  die  einzelnen  Theile  des 
Gesichtes  deutlich  unterscheiden  kann. 

7.  Der  Operirte  muss  während  den  ersten  Tagen  die  grösste  körperliche  und 
geistige  Ruhe  heicahren ;  er  darf  nur  das  allernothwendigste  leise  sprechen ; 
Muskelanstrengungen ,  Schnarchen  ,  Husten ,  Messen  müssen  mit  aller  zu 
Gebote  stehenden  Macht  vermieden  werden ;  Besuche ,  aufregende  Mit- 
theilungen sind  strengstens  zu  untersagen ;  die  Kost  hat  sich  auf  laue 
Suppe  und  höchstens  gedünstetes  Obst  zu  beschränken.  Säuerliche  Getränke 
sind,  falls  der  Kranke  sich  darnach  sehnt,  mit  Mass  genossen,  nicht  schäd- 
lich,  eher  zuträglich. 

In  neuester  Zeit  erheben  sich  Stimmen  gegen  die  unbedingt  mhige  Lage  des 
Kranken  nach  der  Operation.  Dieselbe  soll  gegen  die  allgemeinen  Principien  der 
Medicin  Verstössen  und  gerne  cerebrooculare  Congestionen  begründen ,  da  sie  die 
zur  normalen  Circulation  unbedingt  nothweudige  Muskelaction  auf  Null  setzt 
(Coursserant). 

Die  Charpie  des  Verbandes  muss  mehrere  Stunden  nach  der  Operation 
gewechselt  werden,  da  in  der  ersteren  Zeit  viel  Kammerwasser  abflLiesst  und 
auch  wohl  die  Secretion  der  Bindehaut  sehr  vermehrt  ist,  dadurch  aber 
das  die  Augen  deckende  Polster  verunreinigt  wird,  zusammenbäckt  und 
ungleichmässig  drückt,  was  leicht  zu  Reizzuständen  führt,  jedenfalls  aber 
dem  Kranken  sehr  lästig  fällt.  Die  Rücksicht  auf  die  Conjunctivalabson- 
derung  macht  auch  in  den  folgenden  Tagen  die  täglich  zweimalige  Erneuerung 
des  Verbandes  räthlich.  Fast  alle  Kranken  finden  darin  eine  wesentliche 
Erleichterung.  Doch  ist  bei  diesem  Vorgange  auf  das  Sorglichste  zu  ver- 
hüten, dass  das  Auge  nicht  mechanisch  beleidigt  werde,  oder  dass  ein 
stärkeres  Licht  auf  die  geschlossenen  Lider  falle  und  der  Kranke  wohl  gar 
die  Augen  öffne.  Es  strafen  sich  derlei  Versehen  oft  bitter  durch  höchst 
verderbliche  Reizzustände. 

Es  schliesst  dies  schon  die  dringende  Warnung  in  sich,  das  Auge  yiicht  vor- 
zeitig zu  untersuchen.  Wenn  Manche  dennoch  dazu  rathen  (Desmarres,  Zehender, 
Kiiclder)  und  bei  drohenden  Symptomen  schon  in  den  ersten  10  Stunden  so  wie 
alle  folgenden  Tage  mit  schiefem  concentrii'tem  Lichte  Studien  zu  machen  empfehlen 
(Jacobson),  so  mag  man  dies  mit  dem  Drange  nach  einer  genaueren  Kenntniss  der 
Heilungsvorgänge  rechtfertigen.  Wirklich  ist  in  dieser  Beziehung  Bemerkenswerthes 
geleistet  worden  {Sichel,  Jacobson,  Graefe).  Der  Kranke  erkauft  indessen  diesen 
Gewinn  an  Wissenschaft  mit  grossen  Gefahren.  Uebrigens  steht  auch  nicht  zu 
erwarten,  dass  sich  aus  dem  jeweiligen  besonderen  Verhalten  der  einzelnen  Bulbias- 
bestandtheile  werden  specielle  Anzeigen  für  wirksame  und  ausführbare  therapeutische 
Massregeln  ableiten  lassen.  Zu  einem  wiederholten  operativen  Eingriffe  wird  sich 
der  vorsichtige  Arzt  innerhalb  der  ersten  Paar  Tage  nicht  leicht  entscliliessen. 
Es  kann  sich  also  nur  um  das  Vorhandensein  einer  Entzündung  und  um  die  Grad- 
bestimmtmg  derselben  handeln.  Da  reichen  aber  die  bei  geschlossenen  Lidern  erörter- 
baren objectiven    und    subjectiven  Erscheinungen  aus,    um    sich    in  Bezug  auf  die 


732  Cataracta;  Operation;  Nachbehandlung  hei  mangelnder  Keaetion. 

erforderlichen  und  wahren  Nutzen  versprechenden  Mittel  gehörig  zu  orientireu. 
Man  vergesse  ja  nicht,  dass  Ruhe  eines  erkrankten  Organes  das  icirksamste  Anti- 
phlogistiann  sei  und  mehr  leiste,  als  alle  übrigen  zusammengenommen. 

Wo  Ätropineintr'ävfebinfjen  für  erspriesslich  gehalten  werden,  thut  man  iu  der 
ersten  Zeit  nach  der  Operation  gut,  den  Krauken  bei  jedesmaliger  Application  an- 
zuweisen, nach  aufwärts  zu  sehen,  während  er  die  Lider  geschlossen  hält,  sodann 
das  untere  Lid  leicht  abzuziehen  und  in  die  Spalte  einen  oder  mehrere  Tropfen 
der  Lösung  fallen  zu  lassen.  Im  Allgemeinen  ist  vieles  Mauipuliren  mit  diesem 
Mittel  widerrät hlich.  Es  scheint,  dass  dadurch  compensatorische  Hyperaemien  im 
hinteren  Theile  des  Uvealtractes  sehr  begünstigt  werden  (S.  39).  Jedenfalls  ist  die 
Heilwirkung  des  Atropins  bei  Iridokyklitis  und  Iridochorioiditis  nach  Staarextractionen 
eine  sehr  problematische. 

a.  Ist  gar  keine  Beaction  eingetreten,  so  kann  der  Kranke  nach  Ablauf 
des  zweiten  Tages,  falls  ihm  das  Liegen  sehr  schwer  fällt ,  abwechselnd 
in  die  sitzende  Stellung  gebracht  und  in  derselben  durch  eine  llücken- 
lehue  und  Polster  unterstützt  werden.  Auch  ist  es  dann  ohne  Nachtheil, 
wenn  der  Kranke  bei  Vorhandensein  grosser  Esslust  etwas  Fleischbrühe, 
eingemachtes  Hirn,  leicht  verdauliches  Gemüse  u.  s.  w.  in  kleinen  Gaben 
geniesst;  bei  sehr  herahgekommenen  Personen  erscheint  dieses  sogar 
nothwendig . 

Erst  am  5.  oder  6.  Tage  darf  das  Sehvermögen  des  Kranken  geprüft 
werden,  wobei  die  grösste  Aufmerksamkeit  darauf  zu  verwenden  ist,  dass 
das  Auge  nicht  von  grellem  Lichte,  namentlich  von  Streiflichtern,  von 
dem  Reflexe  eines  weissen  oder  glänzenden  Gegenstandes  getroffen  werde, 
widrigenfalls  jetzt  erst  der  Erfolg  der  Operation  völlig  vernichtet  werden 
kann ;  denn  die  Monate  und  Jahre  lang  hinter  der  trüben  Linse  vor 
grellem  Lichte  geschützte  Netzhaut  reagirt  anfänglich  schon  gegen  massige 
Beleuchtungsintensitäten  überaus  stark,  um  so  mehr,  als  sie  seit  der 
Operation  in  völliger  Dunkelheit  gehalten  worden  ist.  Unachtsames 
Gebahren  kann  sehr  leicht  zu  unheilbarer  Amaurose  fülu'en.  Aus  ähnlichen 
Gründen  dürfen  die  Sehversuche  dem  Gesichtsorgane  kei7ie  Anstrengungen 
auferlegen.  Wo  die  Pupille  von  Staartrümmern  gedeckt  ist,  fallen  sie  ohne- 
hin weg,  oder  haben  doch  nur  die  Grösse  des  Lichtempfindungsvermögens 
zu   ermitteln. 

Von  nun  an  genügt  während  des  Tages  ein  einfacher  Lappen- 
verband. Nachts  über  thut  man  wohl,  den  Schutzverband  anzulegen.  Der 
Kranke  kann  jetzt  die  Zeit  ausser  Bett  in  einem  bequemen  Lehnsessel 
zubringen  und  besser  genährt  werden,  jedoch  mit  Ausschluss  aller,  eine 
Kauanstrengung  erfordernden  Speisen. 

Nach  9  oder  10  Tagen  steht  nichts  mehr  entgegen,  dem  Kranken 
den  Gebrauch  des  operirten  Auges  zeitweilig  zu  gestatten.  Khig  ist  es, 
anfänglich  hlos  die  Zeit  der  Abenddämmerung  zu  diesen  Versuchen  zu 
benützen,  da  dann  der  Kranke  am  sichersten  vor  Streiflichtern  bewahrt 
werden  kann.  Nach  Ablauf  von  14  Tagen  darf  der  Kranke  schon  den 
ganzen  Tag  über  das  operirte  Auge  verwenden,  jedoch  mit  der  Vorsicht, 
dass  er  durch  Schirme  und  dunkle  Gläser  grelleres  directes  und  diffuses 
Licht  abdämpft.  Zur  Sommerszeit  thut  man  jetzt  gut,  den  Operirten  nach 
Eintritt  der  Abenddämmerung  in's  Freie  an  einen  windstillen  Ort  führen  zu 
lassen,  da  Aufenthalt  in  frischer  Luft  die  Reconvalescenz  vmgemein 
abkürzt.  Sind  einmal  18 — 20  Tage  ohne  üble  Zufälle  abgelaufen,  so 
kann  man  den  Kranken  als  geheilt  betrachten  und  es  genügt,  ihn  vor 
etwaigen     Schädlichkeiten,     namentlich    vor     frühzeitigen     Anstrengungen 


Nachbehandlung  hoim  Auftreten  ontzündlichor  ßeactionen.  733 

der  Augcni,   vor  j^Tellera   Lichte,     vor   Unnuiss    in     Speise    und  Trank    etc. - 
zu    warnen.      Dann     ist     es  wohl     auch    an    der  Zeit,    die    für    sein   Auge 
passenden    Slaargläser   zu    ermittehi.     Ein    ausgiebiger    Gebrauch  derselben 
sollte    jedoch    vor  iveiterem   Ablauf    eines    oder    zweier    Monate    nicht    gestat- 
tet werden. 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  dieses  nur  allgemeine  Regeln  sind, 
und  dass  je  nach  Umständen,  namentlich  in  Bezug  auf  die  angegebenen 
Zeitmasse,   manche   Abweichungen  zulässig  erscheinen. 

b.  Nicht  immer  jedoch  läuft  der  Heilung sprocess  so  ruhig  ab,  er  wird 
vielmehr  gar  nicht  selten  durch  mannigfaltige  Zufälle  gestört,  welche  positive 
Hilfeleistungen  nothwendig  machen  und  den  Zeitpunkt  der  Eeconvalescenz 
sehr  weit  hinausrücken  können. 

Ziemlich  häufig  stellen  sich  gleich  nach  der  Operation,  oder  einige 
Stunden  später,  Gefühle  von  Druck,  von  fremden  Körpern,  von  Hitze,  ja 
selbst  flüchtige  Stiche  und  weilenweise  heftige  Schmerzen  ein,  verlieren  sich 
aber  alsbald,  nachdem  sich  einige  Tropfen  von  Thräneuflüssigkeit  aus  der 
Lidspalte  entleert  haben,  oder  die  Charpie  des  Verbandes  gewechselt  wor- 
den ist.  Wo  die  Fixirpincette  in  Anwendung  kam,  kann  man  auf  solche 
vorübergehende  Zufälle  fast  mit  Bestimmtheit  rechnen. 

Steigern  sich  nach  Ablauf  mehrerer  Stunden  die  Schmerzen  noch  immer, 
nimmt  die  Ausscheidung  heisser  Thränen  stetig  zu,  wird  der  obere  Lid- 
rand, oder  der  ganze  obere  Augendeckel  geröthet  und  gewulstet :  so  darf 
man  an  der  Entwickeluug  einer  heftigen  entzündlichen  Reaction  im  Bulbus 
nicht  mehr  zweifeln.  Die  Indication  stellt  sich  dann  auf  kräftige  Antiphlogose. 
In  der  Regel  sucht  mau  derselben  vorerst  durch  Anlegung  von  Blutegeln 
an  die  Schläfengegend  oder  hinter  das  Ohr  zu  entsprechen.  Erscheint 
aber  die  locale  Temperatur  in  sehr  auffälligem  Grade  erhöht,  so  ist  es 
gut,  kalte  Ueberschläge  auf  Stirn-  und  Schläfengegend  zu  appliciren.  Sind 
die  Schmerzen  heftig,  so  empfehlen  sich  hypodermatische  Einspritzungen 
einer  Morphiumlösung. 

Auch  kann  man,  um  das  Einscldafen  des  Kranken  zu  fördern,  eine  Dose 
von  l'/g  —  2  Scrupehi  Cldoralkijdrat ,  mit  dem  fiintiachen  Gewichte  von  Gnmmi- 
schleini,  mit  eben  so  viel  Orangensyrnp  nnd  etwa  1  Unze  Wasser  versetzt,  inner- 
lich anwenden  (Graefe).  Mit  Atropineintrcmfelungen  sei  man  vorsichtig.  Sie  nützen 
wenig  in  diesem  Zeiträume. 

Gegen  Blutegel,  besonders  wenn  sie  an  der  Schlät'engegend  applicirt  werden, 
erheben  sich  neuerer  Zeit  Bedenken  und  man  rätli  dieselben  lieber  diircii  einen 
Aderlass-  von  4 — 6  Unzen  zn  ersetzen  (Graefe).  Die  Wirkungslosigkeit  des  letzteren 
ist  jedoch  durch  die  Erfahrung  der  früheren  Jalu'zehende  genügend  festgestellt, 
daher  er  besser  unterbleibt.  Die  Aufregung  des  Kranken,  welclie  man  von  Seite 
der  Blutegel  fürchtet,  ist  übrigens  bei  dem  Aderlasse  kaum  geringer.  Eben  so 
wenig  dürften  Purganzen,  von  welchen  man  besonders  das  Calomel  in  Verbindung 
mit  Rheum  rühmt,  dem  Zwecke  entsprechen.  Zum  mindesten  stören  sie  in  der  miss- 
lichsten Weise  die  ruhige  Bettlage  des  Kranken. 

Den  Sciuitzverband  zu  beseitigen  und  direct  au f  die  Augengegend  kalte  Ueber- 
schläge zu  appliciren,  ist  selten  dienlich;  das  Wechseln  der  Compressen  fällt  dem 
Kranken  beschwerlich  und  steigert  oft  den  Eeizzustand.  Irrigationen  mit  kaltem 
Wasser  sind  der  irritirenden  Wirkung  halber  verwerflich.  Doch  wurden  sie  jüngst 
empfohlen  (Laurence). 

Gelingt  es  durch  diese  Mittel  und  durcli  Einhaltung  strengster 
antiphlogistischer  Diät  nicht,  der  Entzündung  Herr  zu  werden,  oder  steigert 
sich  dieselbe  vielleicht  gar,  so  steht  es  mit  dem  Auge  schlimm.  Gewöhn- 
Kch  handelt  es  sich  um  eine  heftige   Iritis,    welche    von    zurückgebliebenen 


734  Cataracta;  Operatiou;  Nachbehandlung  beim  Auftreten  entzündlicher  Eeactionen. 

Staarresten  angeregt  und  unierhalten  wird.  Es  sind  die  letzteren  zu  dieser 
Zeit  aber  nur  selten  schon  so  weit  zerweicht,  dass  sie  sich  ohne  sehr 
eingreifende  und  darum  höchst  gefährliche  Hantirungen  entfernen  Hessen. 
Nur  bei  kindliehen  Individuen  lässt  die  Beschaffenheit  der  Linse  nach  einer 
vorausgegangenen  Discission  ein  sehr  rasches  Zerfallen  und  damit  die 
schonende  Beseitigung  durch  eine  lineare  Cornealwunde  gewärtigen.  Bei 
Enoachsenen  ist  schon  eine  einfache  Iridectomie  während  heftiger  Reiz- 
zustäude  sehr  bedenklich.  Man  thut  daher  erfahrungsmässig  fast  immer 
am  besten,  unter  Fortsetzung  des  streng  antiphlogistischen  Verfahrens  die 
Ausgänge  geduldig  abzuwarten.  Oft  kömmt  es  blos  zu  ausgebreiteten  Synechien 
und  massigen  Nachstaareu,  welche  dann  nach  völliger  Tilgung  des  Pro- 
cesses,  am  besten  aber  erst  nach  Ablauf  mehrerer  Wochen  oder  Monate, 
durch  die  Coremorphose  ohne  sonderliche  Gefahr  corrigirt  werden  können. 
Mit  grösster  Aufmerksamkeit  muss,  zumal  nach  Lappenextractionen,  auf 
die  Zeichen  einer  Hornhautvereiterung  geachtet  werden.  Es  kündigt  sich  dieser 
missUchste  aller  Zufälle  öfters  schon  nach  Ablauf  von  12 — 24  Stunden,  ge- 
wöhnlich aber  erst  am  Ende  des  zweiten  Tages  durch  rasch  steigende  ödematöse 
Schwellung  der  inneren  Winkelgegend  und  der  Lider,  so  wie  durch  reichliche 
Ausscheidung  von  citrigen  Bindehautsecreten  an.  Die  Schmerzen  können  dabei 
in  allen  möglichen  Arten  und  Graden  wechseln.  Bei  alten  deci-epiden 
Leuten  infiltrirt  sich  nach  der  Lappenextraction  die  Cornea  und  selbst  der 
ganze  Bulbus  gar  nicht  selten  mit  Eiter,  ohne  dass  erhebliche  Schmerzen 
hervortreten,  ja  bei  völliger  Schmerzlosigkeit  des  Bulbus.  In  einem  solchen 
Ealle  thut  man  am  besten,  sich  alsbald  durch  Besichtigung  des  Auges  über 
dessen  Zustand  Gewissheit  zu  verschaffen.  Findet  man  bereits  eine  diffuse 
Infiltration  der  Cornea,  so  ist  die  Hoffnung  auf  eine  Herstellung  des  Seh- 
vermögens auf  Null  gesunken,  die  beste  Behandlung  ist  eine  mehr  symptomatische 
und  auf  die  Behaglichkeit  des  Ki-anken  gerichtete.  Erscheint  der  Bulbus 
sehr  gespannt  und  schmerzhaft,  oder  droht  gar  ein  Durchbruch,  so  ist  eine 
Lüftung  des  Lappens  oder  eine  Paraceniesis  zu  empfehlen.  Häufig  findet 
der  Kranke   auch  in   Cataplasmen  eine  Erleichterung. 

Droht  jedoch  erst  die  Phthise,  so  will  man  durch  kräftige  Aetzungen  der 
äusseren  Lidhuut  mit  Höllenstein  in  Verbindung  mit  dem  Schnürverhande  günstige 
Resultate  erzielt  haben.  Es  soll  zu  diesem  Ende  das  Lid  gereinigt  und  seiner 
ganzen  Breite  nach  mit  Lapis  mitigatns  unter  gehöriger  Neutralisation  und  sorg- 
fältigem Abtrocknen  touchirt,  dieser  Eiugritf  nach  Bedarf  wiederholt  und  mit  dem 
oben  vorgezeichneten  antiphlogistischen  Verfahren,  nämlich  mit  Aderlass,  Pur- 
ganzen u.  s.  w.  verknüpft  werden  (Graefe).  Die  frülier  so  gerühmten  aromatischen 
warmen  Umschläge  werden  jetzt  ziemlich  vernachlässigt.  In  Einem  Falle  hat  man 
eine  bereits  ditfus  eitrig  intiltrirte  Hornhaut  wenige  Stunden  nach  der  kräftigen 
örtlichen  Einwirkung  einer  Chinivlösung  sich  vollkommen  aufklären  und  den  Fall 
mit  voller  Heilung  enden  gesehen  (Nagel). 

Nicht  selten  entwickeln  sich,  während  der  Verband  noch  am  Auge 
liegt,  Bindchautkatarrhc.  Sie  kommen  besonders  gerne  bei  alten  Leuten 
mit  schlaffer  Haut  vor  und  verlaufen  öfters  unter  beträchtlicher  ödema- 
töser  Schwellung  der  Theile.  Es  empfehlen  sich  dann  XJeberschläge  mit 
in  Aqua  saturnina  getränkten  Charpiebäuschen.  Stärkere  Adstriugentieu 
dürfen  erst  später,  wenn  eine  Reizung  des  Bulbus  nicht  mehr  gefährlich 
erscheint,   angewendet  werden. 

Quellen:  Anatomie:  Brücke,  Anat.  Beschreibung  des  menschl.  Augapfels.  Berlin. 
1847.  S.  21.  —  Kölliker,  Mikrosk.  Anat.  IL  Braunschweig.  1854.  S.  703.  —  Henle, 
Handbuch  der  Anat.  IL  Brauuschweig.    1S66.  S.  678.    —    Sappey,   ibid.  S.  685.  — 


Cataracta    linelleii.  730 

Ed.  Jaeger,  Eiiistelliiuijeu  des  diopt.  Aiipjiiat.  Wien.  1<SG1.  S.  11.  —  F.  Becker, 
A.  f.  O.  IX.  -2.  S.  1  ;  XIIl.  1.  S.  75.  —  //.  Mcijer,  ibi.l.  S.  8.  —  C.  lütter,  ibid. 
XU.   1.   17,  19,  2;$;  XIII.  2.  S.  4.^)1;   Ktudes  oplitii.  p.  Wecker.  II.  P;iri.s.   IHGC.  «.  1, 

10,  11.  —  Iwavoff,  Kliii.  IJeobaclitgn.  von  Pagenstecher,  III.  Wiesbaden.  18(>(j. 
S.  141.  —  Moers,  Virchow's  Arcliiv.  32.  Bd.  ö.  64.  —  Bahiichiii,  Würzbj^r.  natiirw. 
Zeitg-,  IV.  .S.  85.  —  Valentin,  A.  f.  O.  IV.  1.  S.  227;  VIII.  1.  S.  88.  —  Kunde, 
ibid.  III.  2.  S.  275.  —  Grapfe,  ibid.  I.  1.  S.  .323.  —  Zernoff,  ibid.  XIII.  2.  S.  521, 
527,  533,  545.  —  M.  ScJadtze,  ibid.  XIII.  1.  S.  83.  —  Woinow,  kl.  Moiiatbi.  1869. 
ö.  411.   —   Barkan,   Öitzungsber.  d.   Wien,  k.   Akad.   d.   Wiss.  54.  lid. 

Senile  Verüiideruvyen,  Nosoloyie:  H.  MiUler,  A.  f.  0.  II.  2.  S.  53,  56,  58;  HI. 
1.  S.  55,  56,  86—92;  IV.  1.  S.  385,  387;  Verhandlgn.  der  Würzburg.  pbys.  med. 
Ges.  1856.  13.  Dec;  1859.  26.  März,  —  Wedl,  Zeitschft.  der  Wien.  Aerzte.  1858. 
S.  463;  Atlas.  Lens,  Corp,  vitreum.  —  Stellwag,  Ophth.  I.  S.  451,  473,  494,  499, 
503,  505,  507,  509,  514,  518,  521,  524,  527,  531,  533,  535,  538,  547,  549,  554,  759. 
Nota  209.  —  Ammon,  kl.  Darstell.  I.  Berlin,  1837.  Taf.  11;  III.  Taf.  14.  S,  67.  — 
Förster,  A.  f.  O.  III.  2.  S.  187,  189,  196.  —  Schweigger,  ibid.  V.  2.  S.  225;  VI.  1. 
S.  142;  VIII.  1.  S.  227,  229,  233,  234,  236.  —  0.  lütter,  ibid.  VIII.  1.  8.  81; 
Etudes  ophth.  p.  W^ecker,  II.  Paris.  1866.  S.  13,  17,  —  hvanoff  1.  c.  S.  143,  144, 
148,  149,  151,  —  ScJdess-- Gemuseus,  Virchow's  Arcliiv.  24.  Bd.  S.  557.  —  Moers, 
ibid.  32.  Bd.  S.  45,  53,  56,  59.  —  C,  O.  Weber,  ibid.  19.  Bd.  S.  412  —  Lohmeyer, 
Zeitschlt.  f.  rat.  Medicin.  V.  1854.  S.  79,  81,  88.  —  Hasner,  kl.  Vorträge.  Prag, 
1865,  S.  238,  241,  242,  245,  251,  253,  260,  265,  269;  Entwurf  einer  anat.  Begrün- 
dung etc.  Prag.  1847.  S.  185.  —   Graefe,   A.  f,  O,  I,  1,    S.  330,  332;  I.  2.  S.  234; 

11.  1.  S.  203,  204,  272;  III.  2.  S.  372,376,379,  381—387.  —  Ad.  Schmidt,  ZextscMi. 
f.  Ophth.  I,  S.  364.  —  Beer,  Lehre  von  den  Augenkrankhtn.  II.  Wien.  1817.  SS.  301. 

—  Himhj,  Krankhtn.  u.  Missbildgen.  II.  Berlin.  1843.  S.  233.  —  R.  Wagner,  Nach- 
richten von  der  G.  A.  Universität  in  Göttiugen.  1851.  S.  109.  — •  Bagenstecher, 
A.  f.  0.  VII.  1.  S.  115,  117.  —  Virchoic,  Die  krankhaften  Geschwülste.  II.  Berlin. 
1864.  S.  101.  —  Euete,  Lehrb.  der  Ophth.  Braunschweig.  1845.  S,  694,  762.  — 
Piringer,  Die  Blennorrhoe  am  Menschenauge.  Graz.  1841.  S.  207.  —  Arlt,  Krank- 
heiten des  Auges.  I.  Prag.  1851.  S.  232;  II.  S.  260,  264.  —  Bau.tr,  Zeitschft,  f. 
Ophth.  HI.  S.  79.  —  Singer,  Wedl,  Wien.  med.  Wochenschft.  1864.  Nr,  14—20,  — 
Ed.  Jaeger,  Staar  und  Staaroperat.  Wien.  1854.  S.  17,  20;  Zeitschft.  der  Wien, 
Aerzte,  1859.  S.  491.    —    D.  E.  Müller,  A.  f,  O.  II.  2.  S.  164,   166,   168,   171,  176, 

—  Pilz,  Lehrbuch  d.  AugenLeilkde.  Prag.  1859.  S.  726.  —  0.  Becker,  Wien.  med. 
Jahrb.  1866,  4.  S.  55,  58.  —  BusineUi,  Zeitschft.  der  Wien.  Aerzte.  1859.  S.  410, 
425.  —  Knapp,  A.  f.  O.  XIII.  1.  S.  158,  176.  —  Mauthner,  Lehrb.  d.  Ophthscop. 
S.  139,  144,  147.  —  Stefan,  kl.  Monatbl.  1867.  S.  209,  216.  —  Moore»,  Ophth. 
Beob.  S.  207,  209.  —  Kuse,  Zeitschft.  f.  rat.  Med.  24.  Bd.  8.   261. 

Krankheitshild,  Complicationen :  Graefe,  A.  f.  O.  I.  2.  8.  231,  233,  235,  256, 
257,  260,  263-265,  272,  275,  277;  IX.  2.  8.  46.  —  A.  Weher,  ibid.  VIL  1.  8.  7  —  11, 

—  Dondevs,  ibid,  S.   160.  —  Mauthner,  Lehrb.  d.  Ophthscop.  8.  138. 

Ursachen:  Hüsner,  kl.  Vorträge  etc.  8.  259,  264,  269,  272.  —  Arlt,  Zeitschft, 
der  Wien.  Aerzte,  1856,  Wochenbl.  8.  777;  Krankheiten  d.  Auges,  II.  8,  290.  — 
Schön,  Beiträge  z.  pr.  Augenheilkunde.  Hamburg.  1861.  8.   157,  163,  166,  168,   170. 

—  Froehelius,  kl.  Monatbl.  1864.  8.  38.    —    Homer,  Davidsen,    ibid.   1865.   8.   180. 

—  0.  Becker,   Wien.  m.  Jahrb.    1866.  4.  8.  56.  —  Förster,  A.  f.  O.  III.  2.  8.   197. 

—  Ammon,  kl.  Darstellgn.  HI.  8.  67.  —  Lecorche,  Arch.  gen.  de  med.  1861.  I. 
8.  572,  577,  583,  725;  H.  8.  64,  65.  —  Kna2Jp,  Carius,  kl.  Monatbl.  1863,  8,  168, 
171;  Arch,  f.  Aug.  u.  Ohrenhlkd.  I.  S.20.  —  i¥eZo/uo?-,kl.Monatbl.l863. 8.499.  —  Graefe, 
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8.  372;  V.  1.  8.  170;  VL  1.  S.  134,  141,  143;  XH.  1.  8.  213;  XII.  2.  8.  191.  — 
Hirschmann,  kl.  Monatbl,  1866.  S.  94.  —  /.  Meijr,  A.  f.  O.  VIII.  2.  8.  120  — 
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8,  150.  —  Stellwag,  Ophth.  I.  8.  466,  547,  549,  555,  560—593,  658,  750.  Nota 
153,  8.  784.  Nota  313.  —  Beger,  Zeitschft.  f.  Ophth.  III.  8.  145.  —  Fetrequin, 
Canstatt's  Jahresber.  1857.  11 1.  8.  108.  —  Bau,  A.  f.  O.  L  2.  S.  197.  -  Ressl, 
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8.  208,  211.  —  Rothmund,  A.  f.  O.  XIV.  1.  8.  159.  —  Berlin,  ibid.  XIII.  2.  8.  282. 

—  Wecker,  kl.  Monatbl.  1867.  8.  36.  —  Colsman,  ibid.  1869.  8.  105.  —  Wagner, 
ibid.  8,  15.  —  Stavenhagen,  kl.  Beob.  S.  86,  —  Dger,  kl.  Monatbl.   1867,  8.  241.  — 


736  Cataracta;  Quellen. 

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Zeitschft.  f.  Ophth.  III.  S.  405.  —  Leuckart,  kl.  Monatbl.   1864.  S.  86. 

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Jahrb.  107.  Bd.  S.  72-74.  —  Mackenzie,  Traite  etc.  L  S.  599—607.  —  Stellwag, 
Ophth.  I.  S.  438,  440,  745.   Nota  124—139.  —  Hasner,  kl.  Vorträge  etc.  S,  231—238. 

—  Arlt,  Zeitschft.  der  Wien.  Aerzte.  1861.  Wochenbl,  S.  203;  Krankheiten  des 
Auges  etc.  II.  S.  16,  271—276.  —  Sichel,  ibid.  S.  275.  —  Ryha,  ibid.  S.  273.  — 
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Ophth.  Beob.  S.  255.  —  Colsman,  kl.  Monatbl.  1869.  S.  104.  —  Wagner,  ibid. 
S.  18.  —  Davis,  ibid.  S.   191.  —  Hoering,  ibid.  S.  347.  —  Ed.  Meyer,  ibid.  S.  351. 

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Handbuch  der  path.  Anat.  Hamburg.  1828.  S.  121.  —  Ed.  Jaeger,  Zeitschrift  der 
Wien.  Aerzte.  1853.  II.  S.  551;  Staar  und  Staaroperat.  etc.  S.  57,  59.  —  Ammon, 
A.  f.  O.  I.  1.  S.  119,  126.  —  Pagenstecher  und  Saemisch,  kl.  Beobachtungen.  II. 
S.  33;  in.  S.  5.  —   Graefe,  A.  f.  Ö.  L  1.  S.  836,  338,  344,  345;    L  2,  S.  291;  IL 

1.  S.  195,  197;  lll.  2.  S.'  365,  371,  372;  IV.  2.  S.  211,  216.  —  Benders,  ibid.  VIL 
1.  S.  201.  —  D.  E.  Müller,  ibid.  VIII.  1.  S.  166.  —  Hipiiel,  ibid.  S.  170.  —  Manz, 
kl.  Monatbl.  1865.  S.  176.  —  C.  Pagenstecher,  ibid.  S.  1.  —  Wecker,  ibid.  1863. 
S.  114.  —  Stefan,  ibid.  1865,  S.  164.  —  Hirschmann,  ibid.  1866.  S.  94,  99,  — 
Bowman,  ibid.  S.  267. 

VerUnif,  Ausgänge:  Himly,  1.  c.  II.  S.  247.  —  Ed.  Jaeger,  Wien.  Zeitschrift 
f.  prakt.  Heilkunde.  1861.  Nr.  31,  32.  —  Sch'ön,  Beiträge  etc.  S.  162.  —  Graefe, 
A.  f.  O.  L  1.  S.  326;  HL  2.  S.  376;  V.  1.  S.  173—177;  IX.  2.  S,  46;  XL  3.  S,  36. 

—  Knapp,  Dritter  Jahresbericht  186^/5.  Heidelberg,  1865.  S.  19.  —  Mooren,  Ophth. 
Beob.  S.  214.  ■ —  Mauthner,  Lehrb,  d.  Ophthscopie.  S.  142.  —  Steffan,  Erfahrgn. 
u.  Studien.  Erlangen.  1867.  S.  40.  —  Schiess-Gemusens,  A,  f.  O.  XIV.  1,  S.  95.  — 
Pagenstecher,  kl.  Beob.  III.  S.  17,  32.  —  Milliot,  Centralbl.  1867.  S.  250. 

Behandlung:  Arlt,  Lehrb.  II.  S.  294,  338 ;  Zeitschft,  d,  Wien.  Aerzte.  1859.  S.  412; 
1866,  Wochenbl.  Nr.  38;  Prag.  Vierteljahrsch.  76.  Bd.  Mise.  S.  16;  kl.  Monatbl.  1864.  S, 
337,339,344,346,  410,— iyn*?zer,Prag.  med.  Wochenschft.  1864.  Nr.  42;  kl.  Vorträge  etc, 
S.  278  u.  f.;  Prag.  Vierteljahrsschrft.  96.  Bd.  Annal.  S.  85,  88;  98.  Bd.  Annal.  S. 
85;  102.  Bd.  Ref.  S.  77;  Neueste  Phase  der  Staaroperation.  Prag,  1868;  Phakolg. 
Studien.  Prag.  1868,  —  Faye,  Congres  ophth.  1868.  S,  141.  —  Homer,  kl.  Monatbl. 
1869.  S.  134. —  Giopin,  Sülle  ultinie  ricerche  etc.  Padova.  1869.  S.  6.  —  Tavignot, 
ibid.  S.  1,  —  Dantone,  Beiträge  zur  Extraction  des  grauen  Staares.  Erlangen. 
1869.  S,  42,  43,  45,  66,  71,  77,  79  u.  f.  —  Mooren,  Die  verminderten  Gefahren 
einer  Hornhautvereiterung  etc.  Berlin.  1862.  ,S.  5,  8,  13,  15,  34,  40;  Ophth.  Beob. 
S.  219,  233,  240,  249,  246;  Ueber  sympathische  Ophth.  S.  44,  50,  79;  kl.  Montbl. 
1868.  S.  335.  —  Steffan,  A.  f.  O.  X.  1.  S.  123;  klin.  Erfahrungen.  Erlangen.  1869. 
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Monatbl.  1870.  S.  90.  —  Pilz,  Lehrb.  S.  729.  —  Melchior,  kl.  Monatbl.  1863.  S. 
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Congres  intern,  d'opth.  Paris,  1863.  S.  155—171,  —  Secondi  ibid.  S.  164,  217; 
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L  S.  321,  431,  510;  Ophth.  I.  S.  570-654.  —  Graefe,  A,  f.  O.  L  2.  S.  200,  219 
bis  286;  IL  1.  S,  195,  273;  IL  2.  S.  177,  186,  192,  244,  247;  IV.  2.  S.  211,  214; 
V.  1,  S,  158  u.  f.;  VI.  2,  S.  155  u.  f.;  IX.  2.  S.  43,  47,  110,  127;  X.  2.  S.  209; 
XL  3.  S.  1—106;  XIL  1.  S.  150-223;  XH.  2.  S.  173;  XIV.  3.  S.  106,  117,  121, 
126;  Congres    ophth.    1868.    S.    61,    95;    kl,  Monatbl.   186.3,  S.  141,   185;  1865,  S, 


Discissin  oataractao;   Anznipfon;  Vcrl'alireii.  ii)i 

306,  341,345;  1868.  S.  1,  259;  1870.  S.  1,  10,  12,  14  ii.  f.—  Ileii/r,  Eiiii,n!\vei(1.4rliie. 
1866.  S.  587,  678.  —  Gihson,  A.  f.  O.  I.  2.  S.  221;  X.  2.  S.  210.  —  Schweüjtjer, 
kl.  Monatbl.  1863.  S.  198.  —  Polucci,  nach  Himly  1.  c.  II.  S.  285.  —  Pacjmutecher, 
A.  f.  0.  VIII.  1.  S.  192;  klin.  Beob.  I.  S.  41,  45,  46,  59;  II.  S.  28—34;'  III.  S.  1, 
5,  6,  15,  21,  31;  kl.  Monatbl.  1805.  S.  316.  —  Berlin,  A.  f.  ().  VI.  2.  S.  73.  — 
Wecker,  kl.  Munatbl.  186."..  S.  114,  119;  Ann.  d'ücul.  59.  Ikl.  135.  —  Maiinhardf,, 
kl.  Monatbl.    1864.    S.    408;    Con^rös  ophth.   1868.    S.    82;   A.  f.  ().  XIV.  3.   K.  49. 

—  Knapp,  kl.  Monatbl.  1863.  R.  165;  1868.  S.  431,341;  Dritter  .laliresber.  S.  19; 
Cannstatfs  Jaliresb.  1864.  III.  S.  155;  A.  f.  O.  XIII.  1.  S  85,  98,124;  XIV.  1.  S. 
262,  285;  Arcli.  f.  Aug.-  u.  Oliriilkde.  8.  44,  58.  —  Sichel,  kl.  Monatbl.  1803.  S. 
125;  Ann.  d'oc.  XVII.  8.  106;  A.  f.  O.  IX.  2.  S.  117;  XIV.  3.  S.  1.  —  Schon,  Bei- 
träge etc.  S.  170,  175.  —  Laugier,  Ann.  d'oc.  XVII.  S.  29;  XX.  S.  28.  —  Des- 
marres,  Cliniqno   enrop.    1859.  Nro.  8;    Traite   d.  mal.  d    yeux.   Paris.    1847.   S.  651. 

—  Schuß,  Die  Auslört'elo;.  d.  gr.  Staares.  Berlin.  1860.  S.  1,  11.  —  Sföber,  De 
l'c.xtract.  de  la  eat.  p.  incis.  lin.  Strassbourg.  1857.  —  C.  RiUer,  A.  f.  O.  VIll.  1. 
S.  1.  —  liothmnnd,  Jahre.sber.  186'/.,,  München.  1863.  S.  15,  17;  kl.  Monatbl.  1868. 
S.  338;  A.  f.  O.  XIV.  1.  S.   178.    — "    0.  Liehreich,  kl.  Monatbl.   1869.  S.  353,  456. 

—  Adamiilc  ibid.  S.  385.  —  Nagel  ibid.  S  430.  —  EssUmjen,  ibid.  1868.  S.  26.  — 
Paiihen  ibid.  S.  288.  —  Hnering  ibid.  S.  131;  Congre.s  ophth.  1868.  S.  84.  —  Heg- 
7nann,  kl.  Monatbl.  1868.  S.  327;  Ophth.  Leipzig.  1868.  8.38.  —  0.  Becker,  Con- 
gres  ophth.  1868  8.  72.  —  Ed.  Meyer,  Qiiaglino,  Kanka  ibid.  S.  82  —  93.  —  Crit- 
ciielf  ibid.  8.  80;  kl.  Monatbl.  1864.  8.  349,' 353,  357;  1866.  S.  127.  —  Bowman 
ibid.  1866.  8.  128.  —  WorJanan,  Cater  ibid.  1864.  S.  41,  42.  —  A.  Weher  ibid. 
1865.  8.  309;  A.  f.  O.  XIII.  1.  8.  187,  250.  —  Qaadri,  nach  Himly  1.  c.  II.  8. 
289,  291.  —  KiichJer,  Deutsche  Klinik.  1865.  Nro.  41,  42;  1866.  Nro.  37  u.  d.  f., 
Wien.  med.  Wochenschrft.  1866.  Nro.  86;  Congres  ophth.  1868.  S.  89;  die  Qner- 
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4.  1861.  —  Jacohso»,  Ein  neues  und  gefalirloses  operat.  Verfahren  etc.  Berlin. 
1863;  kl.  Monatbl.  1864.  S.  330;  A.  f.  O.  X.  2.  8.  78;  XI.  1.  8.  114.  118,  121.  124; 
XL  2.  8.  166—234;  XIV.  2.  8.  247.  -  Braun,  A.  f.  O.  XL  1.  8.  200.  —  Ullers- 
perger,  XI.  2.  S.  260.     —     Rossander,  kl.  Monatbl.  1864.  S.  118.    —    Boeder  ibid. 

1865.  8.  307.  —  Agneio  ibid.  1865.  8.  389.  —  Laurence  ibid.  1863.  8.  416.  —  C'oiirs- 
serant,  Wien.  med.  Wochcnschft.  1865.  Nr.  88.  —  Eeuss,  Woi^iow,  Ophth.  8tndien. 
Wien.  1869.  8.  1—26.  —  Bergmann,  A.  f.  O.  XIII.  2.  8.  383.  —  Gourea  ibid. 
XV.  1.  8.  244,  257.  —  Williams,  Arch.  f.  Aug.-  n.  Ohrenhlkde.  I.  8.  91.  —  Hirsch, 
kl.  Monatbl.  1869.  8.  282. 


1.  Die  Zerstückelung,  Discissio. 

Anzeigen.  Die  einfache  Zerstückelung  des  Staares  findet  ihre  Indi- 
cation :  1 .  Bei  den  mannigfaltigen  Staarformen  der  Kindesperiode,  ausgenom- 
men die  Cataracta  siliquata.  2.  Bei  Trübungen  der  Hinterkapsel,  wie  selbe 
sich  öfters  nach  Staarextractionen   entwickeln. 

Verfahren.  Die  Zerstückelung  kann  sowohl  von  d^r  Cornea,  als  auch 
von  der  Sclera  aus  bewerkstelligt  werden.  Die  Scleronyxis  empfiehlt  sich 
insbesondere,  wenn  Verdachtgründe  vorliegen,  dass  die  Kojisel  durch  An- 
lagerungen regressiv  gewordener  8taarmassen  an  der  Eetraction  gehindert 
wei'den  wird,  da  bei  der  iScleronyxis  die  Vorderkapsel  je  nach  Bedarf 
durch  flaches  Auflegen  der  Nadel  auch  deprimirt  werden  kann  ;  ferner  aus 
gleicher  Ursache  auch  bei  jenen  Trübungen  der  Hinterkapsel,  welche  nach 
Extractionen  öfters  zurückbleiben. 

Zur  Scleronyxis  gebraucht  man  fast  allgemein  die  Beer'sche  Staarnadel. 
Für  die  Keratonyxis  passt  dieses  Instrument  jedoch  nicht,  da  in  dem  Augen- 
blicke, als  das  myrthenblattähnliche  Ende  der  Nadel  in  den  Kamraerraum 
dringt,    der    Humor     aqueus  ausfliesst,    die    Linse    sonach    an     die  hintere, 

SteUwag,  Angenheilkunde.  47 


738 


Discissio  cataractae ;  Veifahron ;  Sclcinnyxis ;  Keiatonyxis. 


Wand  der  Cornea  heraurückt  und  die  Kapsel  ausser  deu  Wirkungskreis 
der  Nadel  kömmt,  Nachstaare  also  sehr  begünstigt  werden.  Man  benützt 
daher  mit  Vortheil  die  Dalrymple'sche  oder  runde  Stopfnadel,  welche  den 
vorzeitigen  Austritt  des  Kammerwassers  verhindert. 

a.  Bei  der  Zerstückelung  des  Sfaares  durch  Scleronyxim  wird  die  Beer'sche 

Staarnadel   nach  möglichster   Eriveiterung   der   Pupille  etwa   anderthalb  Linien 

„.     „,  hinter  der  Cornealgrenze  und  1 — 2'" 

unter  dem  horizontalen  Meridiane  des 
Arxses  in  senkrechter  Eichtuno;  durch 
die  Schläfenseite  der  Lederhaut  in  den 
Glaskörper  gestossen ,  wobei  die 
Schneiden  des  myrthenblattähnlichen 
Endes  nach  vorne  und  hinten  sehen 
müssen,  um  den  Hauptgefässstämmen 
der  Aderhaut  leichter  auszuweichen. 
Hierauf  wird  das  Nadelende  nach 
vorne  gewendet,  an  dem  Schläfen- 
theile  der  Ciliarfortsätze  und  des 
Pupillarrandes  vorbei  durch  die 
Linsenperipherie  in  die  Vordei'kammer 
und  in  dieser  bis  an  den  oberen 
inneren  Rand  der  Pupille  vorge- 
schoben (Fig.  91).  Um  ein  möglichst 
grosses  Stück  aus  der  Mitte  der  Vorderkapsel  herauszureissen  und  in  den 
Glaskörper  zu  versenken,  wird  das  Vorderende  der  Nadel  flach  über  das 
Centrum  der  Kapsel  gelegt  und  sachte  unter  allm'dlig  steigendem  Drucke 
gegen  den  Glaskörper  hin  bewegt.  Die  Nadel  muss  dabei  nach  Art  eines 
zweiarmigen  Hebels  wirken,  dessen  Hypomochlion  in  der  Scleralwunde 
liegt    und    darf    bei  ihrer  Excursion    nicht  aus    der  Ebene    des  Meridianes 


Fig.  92. 


der  Stichwunde  weichen.  Ist  dieses  ge- 
schehen, so  wird  die  Starnadel  aber- 
mals in  die  Vorderkammer  gelenkt,  um 
die  stehen  gebliebenen  Theile  der  Vor- 
derkapsel loszureissen  oder  nach  Bedarf 
zu  zerschneiden,  so  wie  um  die  Staar- 
masse  noch   weiter  zu  zerklüften. 

Ein  geflissentliehes  Vorschieben  von 
Staartrümniern  in  die  Vorderkaninier  ist  nicht 
wohl  räthlich,  da  sich  dieselben  auf  dem 
Boden  der  Vorderkamraer  sammeln  und 
leicht  Iritiden  hervorrufen.  Deren  Versen- 
kung in  den  Glaskörper  hat  keine  sonder- 
liche Gefahr,  da  sie  sich  hier  leicht  auf- 
saugen und  übrigens  nur  zum  kleinen 
Theile  dahin  gelangen,  indem  sie  sich  eben 
vermöge  ihrer  Weichheit  am  Eingange  der 
Glaskörperwunde  zumeist  abstreifen  und  in 
der  Hinterkammer  zurückbleiben. 

6.  Bei  der  Zerstückelung  des  Staares  durch  Keratonyxis  wird  nach  mög- 
lichster Erweiterung  der  Pupille  die  Stopfnadel  in  der  Mitte  des  unteren 
äusseren   Quadranten    senkrecht    durch    die  Hornhaut    gestossen ,    ihre  Spitze 


Lineare  Staarextraotion;    Anzeigen:    Verfahren.  739 

durch  die  Vorderkaramor  bis  gegen  den  inneren  oberen  Rand  der  l'upille 
vorgeschoben  (Fig.  92)  und  die  Kapsel  sammt  Linse  nach  verschiedenen 
Richtungen  hin  zerspalten. 

Die  Stopfnadel  musa  senkrecht  durch  die  Cornea  gestossen  werden,  damit 
der  Wund kanal  möglichst  kurz  ausfalle.  Wird  die  Nadel  Äc/tie/"  eingestochen ,  so 
wird  der  ohnehin  grosne  Widerstand,  welchen  sie  beim  Vordringen  findet,  noch 
grösser,  und  man  hat  dann  bei  einiger  Unruhe  des  Kranken  Noth,  die  Operation 
zu  Ende  zu  führen.  Es  schliesst  ein  solcher  schiefer  Wundkanal  aber  auch  Gefah- 
ren in  sich,  indem  bei  den  gewaltigen  Excursionen  des  Nadelheftes  die  um  den 
Ein-  und  Ausgang  des  Kanales  herumgelegenen  Theile  der  Cornea  sehr  gezerrt 
und  gequietscht  werden.  Es  könnnt  dann  leicht  zu  Entzündungen,  selbst  bis  zur 
Eiterung,  und  in  der  Regel  bleiben  Trühiingen  der  Cornea  zurück.  Ganz  sicher 
werden  solche  Trübungen  übrigens  auch  nicht  bei  senlcrechtevi  Einstiche  vermieden, 
daher  der  Rath  mancher  Augenärzte,  die  Nadel  durch  die  Mitte  der  Cornea  zu 
führen,  ganz  verwerflich  erscheint. 

Quellen:  Hivily,  Krankh.  u.  Missbildgn.  II.  Berlin.  1843.  S.  330— .339.  —  Arlt, 
Krankh.  des  Auges.  JI.  Prag.  S.  335.  —  Stellwag,  Ophth.  I.  S.  570,  575,  583. 


2.  Die   lineare   Extraction. 

Anzeigen.  Es  passt  dieses  Verfahi'en :  1.  Bei  flüssigen  und  breiig 
erweichten,  so  wie  bei  stärkekleisterähnlichen  Totalstaaren.  2.  Nach  der  Zer- 
stückelung des  Staares  und  nach  Traumen  des  Bulbus,  wenn  die  aus  der 
verletzten  Kapsel  hervordringenden  aufgequollenen  Linsentheile  heftige 
Reizzustände  anregen  und  der  Krystall  bereits  seinem  ganzen  Umfange  nach 
breiig  erweicht  ist.  3.  Bei  regressiven  und  schon  sehr  geschrumpften  kern- 
losen Staaren,  besonders  bei  der  Cataracta  siliquata  und  den  ihr  sehr  ver- 
wandten Formen   des  Nachstaares. 

Das  Verfahren  ist  im  Grunde  genommen  ein  ziemlich  verschiedenes, 
je  nachdem  man  es  mit  einem  völlig  erweichten,  oder  mit  einem  zusammen- 
geschrumpften lederartigen  Staare  zu  thun  hat.  Eine  Spaltung  in  zwei 
besondere  Methoden  ist  jedoch  insoferne  unstatthaft,  als  sehr  oft  Uebergänge 
vom  weichen  Staare  zur  Cataracta  siliquata  vorkommen  und  ein  aus  beiden 
Abarten   combinirtes  Verfahren  nothwendig  machen. 

Von  Instrumenten  braucht  man  ein  gerades  Lanzenmesser  und  je  nach 
Umständen  eine  Sichelnadel  oder  ein  Irishäkehen,  eine  Fischer'sche  Pincelte 
und   einen  Daviet sehen  Löffel. 

Vorerst  wird  nach  möglichster  Erweiterung  der  Pupille  durch  ivieder- 
holte  Einträufelung  einer  Atropinlösung  die  Kammer  mittelst  des  Lanzen- 
messers eröffnet.  Der  Einstich  wird  immer  an  der  Schläfenseite  der  Horn- 
haut und  zwar  im  horizontalen  Meridiane  oder  etwas  unterlialb  demselben, 
ungefähr  1'"  von  der  Scleralgrenze  entfernt,  gemacht.  Das  Messer  muss 
so  aufgesetzt  werden,  dass  seine  Flächen  senkrecht  auf  dem  Meridiane  des 
Einstichspunktes  stehen  und  dass  seine  Spitze  schief  durch  die  Dicke  der 
Cornea  dringe.  Ist  die  Spitze  bis  in  den  Kammerraum  gelangt,  so  wird  sie 
in  derselben  Meridianebene  zwischen  Descemeti  und  Kapsel  so  weit  vor- 
geschoben, dass  die  Hornhautwunde  etwa  2'"  lang  wird,  und  hierauf  lang- 
sam zurückgezogen,  während   das  Karamerwasser  hervorstürzt. 

a.  Ist  der  Staar  flüssig  oder  breiig  loeich  und  die  Kapsel  voraussicht- 
lich rein,     so  führt  man,     nachdem   der  Kranke    zur  Ruhe  gekommen    ist, 

47* 


740 


Linpaie  Staarextractioii :  Voifaliieii. 


Fiar.  93. 


eine    Sichelnadel  flach   durch    die   Wunde   bis  nahe    zum  g-egenüberliegendeii 
Kaude   der  Linse  und  spaltet  die  Kajjsel  nach  Thunlichkeit  in  langen  Zügen 

nach  verschiedenen  Richtungen.  Flüs- 
sige und  stärkeldeisterähnliche  8taar- 
niassen  entleeren  sich  gewöhnlich 
schon  während  dieser  Manipulation 
zum  grossen  Theile;  breiig  weiche 
hingegen  drängen  sich  blos  gegen 
die  Wunde  und  treten  nur  zum 
kleineji  Theile  aus.  Um  die  Entleerwig 
vollständig  zu  machen,  wird  nun 
(Fig.  93)  das  Ende  des  Davierschen 
Löffels  mit  der  convexen  Seite  an 
die  hintere  Wundlefze  gelegt  und 
sanft  angedrückt*  so  dass  die  Oeff- 
nung  spaltenartig  klafft.  Gleichzeitig 
wird  ein  Finger  der  das  Lid  fixiren- 
den  Hand  an  den  inneren  Corneal- 
rand  gelegt  und  damit  ein  gegen 
das  Centrum  der  Pupille  fortschreitender  leiser  Druck  ausgeübt,  um  das 
im  inneren  Theile  des  Kapselfalzcs  befindliche  Magma  gcgeii  die  Wunde 
der  Kapsel  und  Cornea  zu  streichen.  Genügt  dieses  nicht,  um  den  Staar 
gänzlich  zu  beseitigen,  so  wii'd  bei  geschlossener  Lidspalte  einige  Zeit  ge- 
wartet, damit  sich  mittlerweile  etwas  Kammerwasser  sammle,  und  sodann 
durch  kreisende  Bewegungen  des  flach  auf  den  Lidern  aufliegenden  Finger- 
endes der  Rest  der  cataractösen  Masse  gegen  die  Mitte  des  Pupillarraumes 
zusammengeschoben.  Man  braucht  hierauf  die  Cornealwunde  nur  wieder 
klaffen  zu  lassen,  um  den  Staarbrei  nach  aussen  zu  fördern.  Falls  es  auf 
diese  Weise  durchaus  nicht  gelingt,  die  Pupille  rein  zu  erhalten,  muss  man 
mit  dem  Löffel  in  die  Kammer  eingehen  und  die  üeberbleibsel  hervorholen. 
Zeigen  sich  dann  noch  Reste  der  Kapsel  im  Bereiche  des  Sehloches,  was 
man  an  der  verworrenen  Spiegelung  ihrer  Falten  oder  an  der  schleier- 
artigen Trübung  erkennt,  so  müssen  dieselben  mit  dem  Ti'ishäkchen  oder 
mit   der  Pincette  exfrahirt  worden. 

b.  Ist  die  Knj)sel  durch.  Anlagerung  regressiver  Sfaarthcile  getrübt  und 
mehr  weniger  steif  oder  zähe,  geworden,  so  thut  man  am  besten,  statt  der 
Sichelnadel  ein  Irishäkchen  flach  einzuführen,  die  Kapsel  nahe  an  ihrem 
inneren  Rande  einzuhaken,  das  Instrument  dann  langsam  um  seine  Axe 
zu  drehen,  um  mehr  Anhaltspunkte  zu  gewinnen  und  seine  scharfe  Spitze 
in  Kapselfalten  zu  hüllen,  und  sodann  unter  ganz  allmälig  steigendem  vor- 
sichtigen Zuge  gegen  die  Cornealwunde  hin  zu  bewegen.  Ist  die  Vorder- 
kapsei  durch  Anlagerungen  schon  recht  zähe  geworden,  so  gelingt  es  gar 
nicht  selten,  sie  im  Zusammenhange  aus  der  Wunde  zu  bringen.  Reisst 
aber  auch  das  Häkchen  aus,  so  ist  doch  die  Kapselhöhle  weit  genug  ge- 
öffnet, um  die  Staai'masse  unter  Beihilfe  des  Daviel'schcn  Löffels  durch 
das  oben  beschriebene  Verfahren  nach  aussen  zu  fördern,  worauf  die 
zurückgebliebenen  Reste  der  Kapsel  mit  dem  Häkchen  oder  der  Pincette 
neuerdings  gefasst  und   extrahirt  werden   müssen. 


Extr<i,ctiuii  sili(iiiirt('r  .Staarcs  l'rlili'  Zuralle. 


741 


c.  Ist  ein  irockenhülsiger  oder  ein  Nachstaar  gegeben. ,  so  isl  das  Vor- 
fahren noch  einfacher.  Es  folgen  solche  Staate  nämlich  in  der  Hegel  als 
Ganzes  dem  vorsichtigen  Zuge  des 
Hakens  (Mg.  1)4)  nnd  der  Gebrauch 
des  Daviel'schen  Löffels  fällt  ganz 
weg.  lieisst  der  Haken  ans ,  oder 
bietet  die  Cataracta  gleich  von  vorne- 
herein einen  freien  K,and  zum  Fassen 
dar,  so  ist  es  besser,  die  Pincette 
einzuführen  und  mittelst  derselben 
die  Extraction  zu  vollenden,  weil 
die  Pincette  viel  mehr  Anhaltspunkte 
findet  und   sonach  sicherer  fasst. 

Der  Einstich  inuss  naliezu  eine 
Linie  oder  darüber  von  der  Sderalgrenze 
entfernt  sein,  weil  bei  2}^ri2)herer  Lage  der 
inneren  Wundöftnung  überaus  leiclit  ein 
Vorfall  der  Iris  zu  Stande  kömmt,  indem 
der  Pnpillarrand  von  dem  ausströmenden 
Humor  aqueus  und  von  der  Staarmasse 
in  die  Wunde  gelriehen  wird,  besonders 

wenn  sich  das  Sehlocli  wegen  der  Verminderung  des  intraocularen  Druckes  stärker 
verengt.  Ausserdem  wird  beim  Einstiche  näher  am  Rande  der  Cornea  die  Iris  durch 
die  in  die  Wunde  einzuführenden  Instrumente  gefährdet  und  oftmals  in  sehr  miss- 
licher Weise  mechanisch  beleidigt. 

Die  Lanze  muss  schief  durch  die  Dicke  der  Cornea  dringen,  weil  durch  eine 
schiefe  M^unde  die  Instrumente  leichter  ein-  und  ausgeführt  werden  können  ,  ohne 
die  innere  Wundlefze  zu  zerren  und  zu  quetschen;  weil  sich  auch  der  Staar 
leicliter  in  einer  fast  geraden  Richtung  herausbefördern  lässt,  als  in  einer  unter 
rechtem  Winkel  gehogenen. 

Ueble  Zufälle,  l.  Bisweilen  verengt  sich  die  PtqiMe  sehr  bedeutend  in  dem 
Momente,  als  das  Kammerwasser  ausfliesst  und  der  intraoculare  Druck  Null  wird. 
Es  hindert  dieses  sehr  die  ausgiebige  Zerschneidung  der  Kapsel,  so  wie  den  gänz- 
lichen Austritt  des  Staares.  Es  lässt  sich  bei  einem  solchen  Ereignisse  nichts  mehr 
ändern,  daher  ihm  durch  sorgliche  und  wiederholte  Anwendung  der  Mydriatica 
thunlichst  vorzubeugen  ist. 

2.  Oefters  kömmt  loährend  der  Operation  ein  Vorfall  der  Iris  zu  Stande.  Ist 
mir  ivenig  prolabirt,  so  gelingt  es  nach  Herausbeförderung  der  Kapsel  und  der 
Staarmassen  bisweilen,  die  Iris  tvieder  zur üclcznhr Ingen,  wenn  man  bei  geschlossener 
Augenlidspalte  die  Oberfläclie  des  Pulbus  durcli  einen  aufgelegten  Finger  unter 
kreisförmigen  Bewegungen  in  Zwischenpausen  *an/({  reibt,  und  dadurch  den  Sphincter 
zu  kräftigen  Contractionen  anregt.  Zumal  bei  Vorfällen  der  Pupillarzone  ist 
dieses  Manöver  öfters  von  günstigem  Erfolge.  Auch  kann  man  in  einem  solchen 
Falle  den  Versucli  machen,  den  Prolapsus  mittelst  des  Daviel'schen  Löffels  zu 
reponiren.  Doch  hüte  man  sich  vor  zu  vielem  Manipuliren,  da  die  mit  solchen 
Hantirungen  verbundene  mechanische  Beleidigung  der  vorgefallenen  Irispartie  gerne 
zu  heftigen  Entzündungen,  führt,  welche  weit  verderblicher  sind  als  der  Prolapsus 
selbst.  Gelingt  die  Reposition  nicht  leicht  und  rasch,  so  thut  man  am  besten,  den 
vorgefallenen  Theil  mit  der  Pincette  zu  fassen  und  knapj}  an  der  Hornhaut.iounde 
abzutragen.  In  jedem  Falle  muss,  wenn  ein  Theil  des  PupiUarrandes  in  die  Wunde 
gekommen  war,  gleichviel  ob  die  Reposition  oder  die  Ausschneidung  durchgeführt 
wurde,  vor  der  Anlegung  des  Verbandes  ein  Tropfen  starker  Atropinlösung  in  den 
Bindehautsack  gebracht  worden,  damit  die  Pupille  nach  Verldebung  der  Wunde 
sich  stark  erweitere  und  ihr  Rand  sich  möglichst  von  der  letzteren  entferne.  Es 
ist  diese  Vorsicht  übrigens  auch  dort  am  Platze,  wo  die  Pupille  sich  während,  der 
Operation  stark  verengte,  ohne  dass  ein  Prolapsus  eintrat,  da  dieser  in  solchen  Fällen 
sich    bisweilen    erst    nach  Anlegung  des   Verhcmdes  bildet,  wenn  der  Kranke  wegen 


742  Staarextraction  mit  dem  LaiipensrliBitte ;  AiizPigen ;  Verfahren. 

Schmerzen    u.  s.  w.    stark  presst  und  das  mittlerweile    gesammelte  Kammerwasser 
aus  der  Wunde  drängt. 

3.  Unvollständige  Entleerung  des  Staares.  Es  droht  dieser  Uebelstand  beim 
regelrechten  Gange  der  Operation  nur,  wenn  man  sich  in  der  Beschaffenheit  der 
cataractösen  Massen  geirrt  und  sonach  die  lineare  Extraction  am  unrechten  Platze 
angewendet  hat,  wenn  statt  einem  flüssigen  oder  breiig  erweichten  Totalstaare  eine 
Cataracta  mit  normal  consistenfer  Binde  oder  mit  derberem  Kerne  vorliegt,  oder  statt 
einem  lederartig  zähen  trockenhiilsigen  Staare  eine  spröde,  bei  der  Berührung  in 
Trümmer  zerspringende  (myeline?)  oder  eine  par^ie^^e  regressive  Cataracta  gegeben 
ist.  Es  wäre  in  einem  solchen  Falle  sehr  unklug,  die  vollständige  Entfernung  durch 
wiederholtes  Eingehen  mit  dem  Daviel'schen  Löffel  erzwingen  zu  wollen,  da  dann 
fast  immer  sehr  heftige  Entzündungen  folgen  und  überdies  trotz  allen  Bemühungen 
ein  grosser  Theil  des  Staares  zra-ückziibleiben  pflegt.  Man  thut  am  besten,  sich 
mit  der  Zertrümmerung  des  Staares  zu  begnügen,  ein  Stück  aus  der  Iris  auszuschneiden 
vmd  unmittelbar  darauf,  so  wie  auch  zu  luiederholten  Malen  während  der  Nachbe- 
handlung starke  Atropinlösungen  in  den  Bindehautsack  zu  träufeln. 

4.  Vorfall  des  Olaskörjjers  wegen  Sprengung  und  instrumentaler  Verletzung 
der  Hyaloidea.  Er  fordert  die  sogleiche  Unterbrechimg  der  Operatio7i  und  die  An- 
legung des  Verbandes,  da  fortgesetzte  Versuche,  die  zurückgebliebenen  Theile  des 
Linsensystemes  zu  entfernen,  wegen  der  seitlichen  Verschiebung  derselben  meistens 
ohne  Resultat  bleiben,  dagegen  eine  weitere  Entleerung  der  Vitrina  mit  sich  bringen 
und  solchermassen  die  Gefahr  intraocularer  Blutungen,  Netzhautabhebungen,  heftiger 
Reactionen  u.  s.  w.  steigern. 

Quellen:  Himly,  Krankheiten  und  Missbildungen.  II.  Berlin,  1843.  S.  285. 
—  Fr.  Jaeger  nach  Ed.  Jaeger,  Die  Behandlung  des  grauen  Staares.  Wien.  1844. 
S.  51 ;  Staar  und  Staaroperat.  Wien.  1854.  S.  45.  —  Graefe,  A.  f.  O.  I.  2.  S.  219, 

278-286. 

3.  Die  Lappenextraction. 

Anzeigen.  Die  Lappenextraction  findet  eine  gerechtfertigte  Anwendung 
nur  hei  Staaren  mit  einem  Kerne,  dessen  Dichtigkeit  jene  der  umgebenden 
Rindenschichten  merklich  übersteigt,  besonders  1 .  Bei  Corticalstaaren  und 
Totalstaaren  jugendlicher  und  reifer  Individuen,  wenn  die  Rindenschichten  er- 
weicht sind,  der  Kern  aber  normale  Consistenz  besitzt  oder  gar  etwas  ver- 
dichtet ist  und  einen  grösseren  Umfang  hat.  2.  Bei  allen  Greisenstaaren 
und  überhaupt,  wo  ein  sclerosirter  Kern  von  nur  einiger  Grösse  gegeben  ist, 
die  Rinde  möge  normal  consistent,  erweicht  oder  schon  regressiv  geworden  sein. 
Das  Verfahren  fordert  grosse  Uebung  von  Seite  des  Operateurs  und 
des  Assistenten.  Es  wird  in  mehreren  Momenten  durchgeführt  und  nach 
jedem  derselben  die  Lidspalte  sanft  geschlossen,  um  dem  Patienten  Zeit  zur 
Erholung  und  Sammlung  zu  geben. 

Die  erforderlichen  Listrumente  sind :  Ein  Staarmesser,  eine  Sichelnadel 
mit  stumpfem  Rücken,  ein  Irishäkchen,  ein  DavieV scher  Löffel  und  eine 
feine  nach  der  Fläche  gekrümmte  Schere,  nach  Umständen  auch  eine 
Fischer'sche  Pincette.  Ophthalmostaten  (S.  295)  werden  bei  der  Lappen- 
extracton  am  besten  vermieden,  da  sie  dem  Kranken  Schmerz  verursachen 
und  ihn  zu  starkem  Pressen  veranlassen. 

Von  den  vielen  Staarmessern,  welche  im  Laufe  der  Zeiten  empfohlen  worden 
sind  (Himlij),  taugt  am  besten  das  Beer'sche  und  ist  auch  weitaus  am  meisten  in 
Gebrauch.  In  neuerer  Zeit  erheben  sich  indessen  wieder  Stimmen  für  Keratome 
mit  bauchiger  Schneide  (Zehender,  Küchler),  wie  sie  schon  früher  im  Gebrauche  waren 
(Himly).  Das  Gräfe'sche  Cystitom  gewährt  keinen  guten  Ersatz  für  die  Sichelnadel, 
da  es  vermöge  seiner  scharfen  Winkel  schwer  gut  zu  schleifen  ist  und  sich  beim 
Ein-  und  Ausführen  durch  die  Cornealwunde  leiclit  in  der  Iris  fängt  und  diese 
verletzt. 


CornealbogtMischiiiU;    EiotVmniK  dir  Kapsel ;   Schlitteiimiiuöver.  743 

Der  Lapptnschnitt  muss  in  Bezug  iiui'  fjänijc.  im  V^erhältniss  zum  Um- 
fange des  Kernes  stellen.  Ist  er  zu  gross,  so  passt  er  sich  schwerer  wieder 
an  und  die  Gefahr  der  Vereiterung-  steigt ;  ist  er  aber  zu  klein,  so  tritt 
der  St  aar  gar  nicht  oder  nur  unter  Zerrung  der  Wundwinkel  aus,  der 
Schnitt  muss  nachträglich  verlängert  werden,  widrigenfalls  b(n  forcirfer  Ent- 
bindung höchst  missliche  Zufälle  nicht  ausbleiben.  Unter  allen  Umständen, 
selbst  bei  den  grössten  Kernstaaren  genügt  es,  im  horizontalen  Durchmes- 
ser der  Cornea  innerhalb  der  Grenze  des  Eindehautsaumes  ein-  und  aus- 
zustechen, überhaupt  das  Messer  so  zu  führen,  dass  die  äussere  Lefze  des 
Lappens  allenthalben  nächst  dem  Rande  des  Limbus  conjunctivalis  läuft. 
Bei  kleinem  Kerne  und  erweichter  Corticalis  genügt  auch  ein  etwas  kleinerer 
Lappen.   (S.    717.) 

Um  den  Lappen  zu  bilden,  wird,  während  der  Kranke  das  betreffende 
Auge  etwas  nach  aussen  gewendet  hält,  die  Spitze  des  Staarmessers  im  oder 
unterhalb  dem  horizontalen  Diameter  der  Cornea  und  nahe  an  dem  Lim- 
bus conjunctivalis  steil  aufgesetzt,  durch  die  Dicke  der  Hornhaut  gestossen, 
dann  sogleich  gewendet,  mit  thimlichster  Schnelligkeit,  aber  ohne  sich  zu 
übereilen,  durch  die  Breite  der  Kammer  geführt ,  in  gleicher  Höhe  mit  dem 
Einstichspunkte  dicht  vor  dem  Bindehautblättchen  ausgestochen  und  oh7ie 
den  mindesten  Aufenthalt  in  vollkommen  gleichmässigem  Zuge  so  weit  fort- 
geschoben, dass  die  Schieide  des  Keratoms  am  untersten  Segmente  der 
hinteren  Cornealwand  ansteht,  oder  daselbst  bereits  in  die  hintersten  Lamellen 
der  Hornhaut  eingedrungen  ist.  Nun  wird  eingehalten,  dem  Kranken  ein 
kurzer  Augenblick  zur  Erholung  gegönnt  und  endlich  langsam  mit  grösster 
Vorsicht  ausgeschnitten,  indem  man  das  Messer  noch  etwas  vor-  und,  falls 
die  Spitze  des  Instrumentes  der  Nase  zu  nahe  käme,  wieder  zurückschiebt, 
ohne  einen  Druck  auf  die  Schneide   auszuüben. 

Nachdem  sich  nun  der  Kranke  bei  sanft  geschlossenen  Lidern  wieder 
gesammelt  hat,  wird  zur  Eröffnung  der  Kapsel  geschritten.  Zu  diesem  Ende 
wird  die  Sichelnadel  in  horizontaler  Lage  mit  dem  Rücken  voran  von  unten 
her  unter  den  Lappen  geschoben,  ohne  diesen  zu  lüften.  Ist  die  Schneide 
in  den  Bereich  der  Pupille  gelangt,  so  wird  die  Spitze  gegen  die  Kapsel 
gewendet  und  diese  nach  Thunlichkeit  in  grossem  Umfange  nach  ver- 
schiedenen Richtungen  hin  gespalten,  wobei  jede  Vei'letzung  der  Iris  auf 
das  Sorgfältigste  vermieden  werden  muss.  Ist  dieses  geschehen,  so  wird 
die  Nadel  abermals  gewendet  und  wieder  in  horizontaler  Lage,  mit  dem 
Rücken  voraus,   unter  dem  Lappen   hervorgezogen. 

Ist  der  Lappen  von  genügender  oder  überflüssig  grosser  Circumferenz, 
so  folgt,  wenn  die  Augenmuskeln  sich  nur  einigermassen  anspannen,  oft 
schon  jetzt  der  Kern  und  entbindet  sich  ohne  alle  Beihilfe.  Ist  dieses  nicht 
der  Fall ,  so  wird  abermals  die  Lidspalte  geschlossen  tmd  erst ,  nachdem 
sich  der  Kranke  wieder  erholt  hat,  zur  Entwickelung  des  Staares  durch 
das  seit  Langem  gebräuchliche  sogenannte  Schlittenmanöver  geschritten.  Dieses 
geschieht,  indem  man  (Eig.  95)  bei  otfener  Lidspalte  und  gehörig  fixirten 
Augendeckeln  die  convexe  Seite  des  DavieVschen  Löffels  sanft  auf  die  obere 
Peripherie  der  Cornea  aufdrückt.  Der  Druck  pflanzt  sich  auf  den  oberen 
Rand  der  Linse  fort  und,  indem  dieser  nach  hinten  und  etwas  nach  unten 
ausweicht,  tritt  der  untere  Rand  des  Staarkernes  nach  vorne  und  oben, 
drängt  die  untere  Hälfte   der  Iris  und  den  Hornhautlappen    etwas  hervor, 


744 


Staaiextiiictiuii  mit  rlem  Lappfiischuitte;  Vei fahren 


Überwindet    endlich   den  Widerstand     des  Pupillarrandes  und    gleitet  unter 
der  Mitwirkung  des  von   den  geraden  Augenmuskeln  nach  vorne  gedrängten 

Glaskörpers  durch  die  klaffende 
Wunde  der  Cornea.  Zögert  der 
Kern  längere  Zeit  mit  dem  Aus- 
tritte, so  ist  es  gut,  die  Operation 
zu  unterbrechen  und  dem  Kranken 
bei  sanft  geschlossenen  Lidern 
wieder  einige  Erholung  zu  gön- 
nen,    lim     dann     den    Versuch     zu 


erneuern.     Bei 


Thätiskeit 


Ist    der     Staarkern    ausgetreten, 
geschlossen  und  einige  Zeit  gewartet 


der  Augenmuskeln  muss  man  bis- 
weilen wohl  zwei  und  drei  Mal 
die  ganze  Procedur  wiederholen, 
da  ein  stärkerer  Druck  mit  dem 
Daviel'schen  Löffel  leicht  gefahr- 
voll werden,  insbesondere  eine  Ber- 
stung  der  Zomda  und  einen  vor- 
zeitigen Prolapsus  des  Glaskörpers 
bedingen  kann, 
so  wird  von  Neuem  die  Lidspalte 
Dann  ist  es  gut,  die  Oberfläche  des 
Bulbus  unter  kreisenden  Bewegungen  des  sanft  aufgelegten  Zeige-  und 
Mittelfingers  vorsichtig  zu  reiben,  um  den  Sphincter  pupillae  zu  Contractionen 
anzuregen  und  solchermassen  etwaige  Palten  und  Lageveränderungen  der 
Regenbogenhaut  in  der  zartesten  Weise  auszugleichen,  weiters  aber  um  die 
im  Kapselfalze  etwa  zurückgebliebenen  Slaartrümmer  in  den  Bereich  des 
Sehloches  zu  treiben.  Nun  lässt  man  den  Kranken  das  Auge  vorsichtig 
öffnen  und  sieht,  ob  die  Pupille  völlig  schwarz  und  regelmässig  ist,  in 
welchem  Falle  sogleich  der  Verband  anzulegen  ist.  Zeigt  sich  die  Pupille 
noch  mit  Staarflocken  verlegt,  so  muss  der  Daviel'sche  Löffel  flach  unter 
den  Lappen  geführt  und,  was  an  cataractösen  Massen  noch  vorhanden  ist, 
vorsichtig  ausgelöffelt  werden.  Ein  besonderes  Augenmerk  ist  hierbei  noch 
auf  Flocken  zu  richten,  welche  etwa  zioischen  der  Fläche  der  Iris  und  der 
Hornhaut  oder  in  der  Wunde  lagern,  so  wie  auf  eine  etwaige  Einklemmung 
der  Iris  zwischen  die  Wundränder,  da  sie  die  Verwachsung  erschweret. 
Erst  nachdem  mit  dem  Löffel  alle  Staartrümmer  aus  dem  Bereiche  der 
Wunde  entfernt  und  etwa  vorgefallene  Irispartien  reponirt  worden  sind,  darf 
der  Verband   angelegt  werden. 

1.  Der  Lappen  kann  auch  nach  ohen  gebildet  werden.  Vor  Zeiten  wurde 
dieses  Verfahren  blos  in  Anwendung  gebracht,  wenn  es  galt,  narbigen  Trühungen 
an  der  unteren  Cornealhälfte  auszuweichen  (Himly) ,  später  aber  zur  Regel  erhoben 
(Fr.  Jaeger).  Es  liat  den  Vortlieil,  dass  der  Felder  besser  gedeckt  wird,  wenn  der 
Schnitt  eine  trübe  Bogennarbe  zurücklässt,  wenn  ein  Sector  der  Iris  unter  das  Messer 
kam  und  ausgeschnitten  wurde,  oder  wenn  wegen  einem  Vorfalle  der  Regenbogen- 
liaut  die  Pu])ille  sehr  verzogen  ist.  Der  Hauptvortheil  besteht  aber  darin,  dass  der 
Lappen,  im  Falle  er  nicht  ganz  genau  anpasst,  sondern  mit  der  äusseren  Lefze 
stufenförmig  vorspringt,  bei  den  Bewegungen  des  Bulbus  nicht  leicht  an  den  Lidrand 
anstossen  und  abgelöst  werden,  oder  späterhin  fortwährende  heftige  Reizzustände 
unterhalten  und  so  den  Erfolg  der  Operation  in  mannigfaltiger  Weise  gefährden 
kann.  Doch  ist  die  Operation  in  allen  ihren  Thcilen  schwerer  ausfiihi-bav,  nament- 
lich   bei    unruhigen  Kranken,  deren  Auge  oft  nach  oben  unter    das  Lid  flieht  und 


ViTlidufii;  V.Mv  7ai\.iUv.  745 

fliuchaus  nicht  nielir  dein  Willen  des  Ki;inkt'n  j^aliurelit.  Millelst  der  Fi.viipiiicelte 
lässt  sich  freilicli  der  lUilbns  in  die  gehörige  Stellung  zurückbringen.  Dies  hat 
aber  seine  Nachtheile,  da  die  Pincette  oft  mit  grosser  Gewalt  und  durch  längere 
Zeit  auf  den  Bulbus  wirken  niuss. 

2.  Das  Auge  soll  im  Momente  der  Lappcnbildung  etwas  nach  aus.ien  .tehen, 
da  es  bei  dieser  Stellung  viel  leichter  ist,  den  Bogenschnitt  zu  vollenden,  ohne 
mit  der  Spitze  des  Messers  in  den  Nasenrücken  zu  stechen,  was  den  Kranken 
iniruhig  macht  und  den  Operateur  oft  zwingt,  einzuhalten,  ehe  die  Schneide  des 
Messers  am  untersten  Cornealsegmente  angelangt  ist,  wo  dann  das  Kanimer- 
wasser  rascli  ausfliesst  und  ein  yi-osser  Theil  der  Iris  unter  das  Messer  kömmt.  Es 
droht  dieses  Ereigniss  um  so  mehi',  weini  der  Kranke,  wie  dieses  häufig  geschieht, 
im  Momente  des  Einstiches  uuszuioeichen  sucht  und  das  Auge  etwas  nach  innen 
dreht.  War  die  optische  Axe  leicht  nacJi  aussen  gerichtet,  so  muss  die  Excursion 
schon  bedeutender  sein,  um  die  Operation  zu  beirren,  und  beansprucht  auch  wohl 
etwas  mehr  Zeit,  daher  es  leiclder  gelingt,  die  Kannuer  zu  passiren  und  den  Bulbus 
völlig  in  die  Gewalt  zu  bekommen,  ehe  die  Spitze  des  Messers  anstösat.  Immerhin 
gewährt  auch  dieses  Manöver  keine  volle  Sicherheit,  daher  man  beim  Einstiche  auf 
das  Fliehen  des  A>iges  (jefasst  sein  muss.  Man  soll  daher  niemals  das  Messer 
ansetzen  mit  der  Idee,  dass  man  durchkonnnen  müsse.  Weicht  das  Auge  aus,  so  ist 
es  klüger,  das  Instrument  wieder  ahzuliehen  und  das  Verfahren  zu  wiederholen, 
bis  ein  Moment  der  Rulie  die  Schnittführung  erlaubt. 

3.  Die  Spitze  des  Keratoms  muss  steil  eingestochen  werden.  Wird  das  Messer 
beim  Einstiche  zu  flach  gehalten,  so  dringt  es  sehr  schief  durch  die  Cornea,  der 
Einstichskanal  wird  sehr  lang  und  hält  das  Messer  in  der  ursprünglichen  Lage 
fest,  daher  dessen  Spitze  die  Kammer  sehr  nahe  an  der  hinteren  Cornealwand 
passirt  und  ehen  so  schief  wieder  aussticht.  Die  Bogenschnitt  flache  wird  dann  sehr 
hreit  und  die  Oeffhung  im  Verhältnisse  schmäler,  daher  sich  der  Staar  entweder 
gar  nicJd  oder  überaus  schwer  entbindet,  wobei  der  zvgeschürfte  Inneurand  der 
hinteren  Wundlefze  in  der  Gegend  der  Wundwinkel  leicht  gedehnt,  gezerrt  oder 
zerrissen  wird  und  heftige  Entzündungen  eine  Veranlassung  finden. 

4.  Das  Ausschneiden  muss  sehr  langsam  und  vorsichtig  geschehen,  es  darf 
dabei  durchaus  kein  Druck  auf  die  Schneide  ausgeübt  werden,  widrigenfalls  bei 
ruckweisem  Herausfahren  des  Messers  der  Kranke  leicht  ersclnückt,  die  Augenmuskeln 
krampfhaft  zusammenzieht,  und  nicht  nur  die  Linse,  sondern  auch  einen  'J'heil  des 
Glaskörpers  herausschleudert.  Die  Kraft  muss  daher  immer  nur  in  der  Axe  des 
Instrumentes  wirken. 

5.  Die  Handhabung  des  Daviel'schen  Lößeis  fordert  die  grösste  Vorsicht.  Es 
muss  derselbe  leise  auf  den  oberen  Cornealrand  aufgesetzt  und  der  Druck  nur 
sehr  allmälig  gesteigert  werden.  Bei  hastigem  Vorgehen  hat  der  Druck  nicht  Zeit, 
sich  zu  vertheilen,  es  kann  die  untere  Partie  der  Zonula  einreissen  und  den  Glas- 
körper  herauslassen.  Uebrigens  darf  auch  der  Druck  niemals  ein  beträchtlicher 
werden. 

6.  In  neuerer  Zeit  wird  der  Daviel'sche  Löffel  von  Vielen  ganz  gemieden 
und  der  Staar  mittelst  der  Finger,  welche,  um  nicht  zu  glitschen,  nöthigen  Falles 
mit  einem  feinen  Tuche  umwickelt  werden,  entbunden  (Arlt).  Während  der  Kranke 
nach  aufwärts  zu  sehen  geheissen  wird,  setzt  der  Operateur  die  Beugefläche  seiner 
beiden  Daumen,  oder  des  Daumens  der  einen  und  des  Zeigefingers  der  anderen 
Hand,  je  auf  das  obere  und  untere  Lid,  so  dass  er  selbe  nach  Belieben  an  der 
Convexität  des  Bulbus  verschieben  kann.  Während  er  nun  das  obere  Lid  etwas 
nach  abwärts  streift,  übt  er  einen  sanften  Druck  auf  die  obere  Cornealgrenze  inid 
zwingt  so  den  Staarkern ,  seinen  unteren  Gleicherrand  nach  vorne  gegen  ilie 
Wunde  hin  zu  kehren.  Das  untere  Lid  wird  gleichzeitig  mit  der  anderen  Hand 
emptoj-geschoben  und  unter  leisem  Anpressen  an  den  vorderen  Augapfelumfang  der 
Cataracta  die  Neigung  gegeben,  sich  durch  die  Bogenwunde  und  die  leicht  geöff- 
nete Lidspalte  nach  aussen  zu  entleeren.  Die  noch  rückständigen  Corticalreste 
werden  weiters  dadurch  zum  Austritte  bestimmt,  dass  das  obere  Lid  wiederholt  an 
der  vorderen  Hornliautfläche  herabgestrichen  wird. 

Ueble  Zufälle,  l.  Verletzungen  der  Regenbogenhaut,  a)  Wird  die  Iris  gleich 
beim  Einstiche  angespiesst,  so  ist  es  das  Beste,  das  Messer  zurückztizlehen  und  die 
Operation  erst  nach  Verheilung  der  Corneal wunde  wieder  vorzunehmen,  weil  bei 
weiterem    Vordringoi    des  Instrumentes    die  Kegeubogenhaut    unter   grosser  Zerrung 


746  Staarextrattiou  mit  dem  Lappenschnitte;  Ueble  Zufalle. 

in  beträchtlicher  Breite  durchschnitten  wird,  was  die  weiteren  Operationsacte  sehr 
beirrt  und  auch  gefährliche  Entzündungen  im  Gefolge  haben  kann,  b)  Am  häufig- 
sten wird  lüährend  des  Ausschnittes  ein  Sector  der  Iris  exscindirt.  Besonders  leicht 
geschieht  dieses,  wenn  die  Kammer  sehr  enge,  die  Pupille  contrahirt  und  die  Iris 
stark  nach  vorne  gebaucht  ist,  da  dann  das  Messer  nur  schwer  vorbei  geführt 
werden  kann.  Uebrigens  fällt  auch  bei  weiter  Kammer  die  Iris  unter  das  Messer, 
wenn  dasselbe  nicht  genug  rasch  oder  mit  Unterbrechungen  die  Kammer  passirt. 
Oefters  gelingt  es  dann  noch,  die  Iris  von  der  Schneide  loegzudr'dngen,  wenn  man 
diese  nach  vorne  wendet  und  mit  der  Fingerspitze  einen  massigen  Druck  auf  den 
unteren  Cornealabschnitt  ausübt,  so  dass  derselbe  etwas  abgeflacht  wird,  oder  wenn 
man  die  sanft  aufdrückende  Fingerspitze  über  die  vor  der  Schneide  gelegene  Partie 
der  Cornea  von  oben  herabsfreicht.  Oft  versagt  aber  auch  dieses  Verfahren  und  es 
bleibt  nichts  übrig,  als  den  betreft'enden  Sector  der  Iris  zu  opfern.  Mitunter  bleibt 
der  entsprechende  Theil  des  Pupillarrandes  stehen  und  es  wird  ein  Loch  aus  der 
Breite  der  Iris  geschnitten.  Dann  ist  es  nothic endig ,  die  Brücke  sogleich  mit  der 
Nadel  zu  spalten,  damit  sich  der  Staar  nicht  fange,  die  Iris  zerre  und  selbst  die 
Brücke  zerreisse. 

2.  Der  Staar  tritt  schwer  oder  gar  nicht  aus,  er  drängt  trotz  kräftiger  Con- 
tractionen  der  Augenmuskeln  und  wirksamer  Naclihilfe  von  Seite  des  Operateurs 
die  untere  Irishälfte  wiederholt  zwischen  den  Wundrändern  der  Cornea  hervor, 
weicht  aber  immer  wieder  zurück  oder  windet  sich  endlich  müJisam,  unter  be- 
träclitlicher  Dehnung  und  Zerrung  des  Pupillarrandes,  durch  das  Sehloch  hindurch. 
Oefters  ist  die  bedeutende  Grösse  des  scierosirten  Kernes  oder  eine  ausgebreitete 
Synechie  und  schwielige  Verbildung  des  Pupillarrandes,  selten  eine  krampfhafte 
Contraction  des  Sphincter  pupillae  die  Uisache.  Man  wird  dann  entweder  gleich 
nach  dem  Lapptnschnifte  die  Iridectomie  machen,  um  den  Weg  zu  bahnen  oder,  falls 
der  Staar  schon  durchgetreten  ist,  die  Iridectomie  naclischicken ,  um  den  gezerrten 
Iristheil  zu  entfernen  und  den  Folgen  der  med i ansehen  Reizung  vorzubeugen.  Die 
gewöhnlichste  Ursache  des  schwierigen  Austrittes  aber  ist,  dass  der  Lappen  zu 
klein  angelegt  oder  der  Bogenschnitt  sehr  flach  durch  die  Cornea  geführt  wixrde. 
Erkennt  man  diesen  missliehen  Zufall,  so  hüte  man  sich  vor  dem  gewaltsamen 
Auspressen  des  Staares,  da  die  Wundwinkel  stark  gezerrt  werden  und  oftmals  die 
Entbindung  doch  nicht  gelingt,  indem  der  Glaskörper  früher  austritt.  Vielmehr 
erweitere  man  den  Bogenschnitt  sogleich  nach  Bedarf,  indem  man  das  stumpfgespitzte 
Blatt  einer  zarten  Louis'schen  Schere  von  der  Seite  her  zwischen  Lappen  und  Iris 
vorsichtig  einführt  und  dann  das  Instrument  in  der  Verlängerung  eines  oder  des 
andern  Wundwinkels  wirken  lässt.  Die  traditionelle  Furcht  vor  der  Schere  ist  ganz 
unbegründet,  da  der  von  der  Schere  gebildete  Wundtheil  in  der  Regel  eben  so 
leicht  zuheilt,  als  der  mit  dem  Messer  zu  Stande  gebrachte,  und  meistens  nicht 
einmal  eine  trübe  Narbe  zurücküisst,  vorausgesetzt  natürlich,  dass  der  Bulbus  und 
namentlich  die  Wundwinkel  nicht  gar  zu  hart  mitgenommen  wurden,  ehe  die 
Schere  in  Anwendung  kam.  Ist  ein  solcher  Fehler  geschehen,  so  muss  ebenfalls 
die  Lidecfomie  ausgeführt  werden. 

3.  Die  Entbindung  des  Staares  ist  eine  unvollständige,  ein  grosser  Theil  der 
Corticalis  ist  gleich  ursprünglich  an  der  Kapsel  haften  geblieben,  oder  hat  sich 
beim  Durchtritte  des  Staares  durch  das  Sehloch  abgestreift  und  lässt  sich  mit 
dem  Daviel'schen  Löffel  nicht  völlig  oder  doch  nur  unter  der  Gefahr  eines  Glas- 
körpervorfalles oder  einer  beträchtlichen  Reizung  der  Iris  entfernen.  Bei  schicierigem 
Durchtritte  des  Staares  durch  das  Sehloch,  so  wie  bei  der  Extraction  von  Staaren 
mit  normal  consistenter  Rinde,  also  besonders  bei  der  Operation  unreifer  Kern- 
staare, ist  ein  solcher  übler  Zufall  etwas  sehr  gewöhnliches  vind  um  so  schwerer 
zu  verhüten,  wenn  die  zuiückgebliebenen  Staartheile  noch  durchsichtig  sind,  sich 
bei  der  Operation  also  der  Wahrnehmung  entziehen.  Wo  man  gewiss  ist,  oder  mit 
Wahrscheinlichkeit  vermuthen  kann,  dass  grössere  Mengen  blähungsfähiger  Trümmer 
der  Cataracta  zurückgelassen  wurden,  ist  die  Iridectomie  sogleich  der  Extraction 
nachzuschicken. 

4.  Es  kömmt  der  Glaskörper  vor  dem  Staare.  Es  tritt  dieses  höchst  missliche 
Ereigniss  besonders  gerne  ein,  wenn  ein  Theil  des  Bogenschnittes  in  die  Sclera 
gefallen  ist,  oder  wenn  man  bei  der  Eröffnung  der  Kapsel  dem  Linsenrande  mit 
der  Nadel  zu  nahe  kam,  oder  wenn  bei  der  Enthindung  des  Staares  der  Löffel  zu 
rasch  und  zu  fest  aufgedrückt  wurde,  also  unter  Verhältnissen,  welche  einen  Theil 
der  Zonula    der  Berstung    oder  der  Verletzung    mit  der  Nadel    aussetzen.     Starkes 


Ueble  Zufalle.  747 

Pressen  von  Seite  des  Kranken  heg'dnutigl  den  Prolapsus  ungemein.  Es  bleibt  in 
einem  solchen  Falle  häufitr  niclits  anderes  übrig,  als  die  Operation  zu  unlerhrechen 
und  den  Verband  anzTilegen.  Bei  fortgesetzten  Versuchen,  den  Staar  nach  aussen 
zu  befördern,  entleert  sich  nämlich  mehr  und  mehr  Glaskörper,  die  Linse  sinkt 
immer  weiter  zurück  und  am  Ende  nniss  man  doch  abstehen,  nachdem  man  die 
Gefahr  intraocularer  Blutungen,  einer  Netzhautabhebung,  unvollkommener  An- 
passung des  Lappens  ,  heftiger  Entzündungen  u.  s.  \v.  auf  das  Höchste  gesteigert 
hat.  Doch  kann  man  bei  ruhigen  Kranken  bisweilen  zum  Ziele  gelangen,  wenn 
man  einen  breiten  S'ector  der  Iris  aussclineidtt ,  nun  mit  dem  zur  Excochleatio 
cataractae  gebräuchlichen  Löffel  den  Staar  fasst,  gegen  die  hintere  Cornealwand 
drückt  und  hervorzieht. 

5.  Es  stürzt  die  Linse  sammt  einem  Tlieile  des  Glaskörpers  hervor.  Es  droht 
dieser  Zufall  ganz  besonders  bei  imruliiijen  Kranken,  welche  stark  pressen ,  wenn 
der  Hornhautschnitt  zu  gross  angelegt  worden  ist,  oder  der  Daviel'sche  Löffel  unvor- 
sichtig gehandhabt  wurde.  Man  muss  dann  sogleich  jede  weitere  Manipulation  auf- 
geben und  den  Verband  anlegen,  widrigenfalls  der  Glaskörper  zum  grossen  Theile 
entleert  wird,  was  nach  dem  l)ereits  Mitgetheilten  zu  sehr  üblen  Folgen  führen  kann. 

6.  Unricldiges  Anheilen  des  Lajijjens,  treppenförmiges  Vorspringen  des  Lappen- 
randes. Der  letztere  stösst  dann  bei  den  Bewegungen  des  Augapfels  an  den  unteren 
Lidrand  und  bedingt  so  eine  sehr  bedeutende  Reizwirkung,  welche  oftmals  die 
Quelle  höchst  verderblicher  Entzündungen  wird.  Die  Gefahr  ist  um  so  grösser,  als 
der  schlecht  anliegende  Lappen  bei  den  Bewegungen  des  Auges  öfters  wieder 
theilweise  gelöst  vxnd  so  der  intraoculare  Druck  loiederholt  auf  Null  herabgesetzt 
wird,  bis  endlich  die  Narbe  genügende  Festigkeit  erlangt.  Es  lässt  sich  dagegen 
leider  sehr  wenig  thun,  besonders  in  den  ersten  Tagen  nach  der  Operation,  wo  es 
am  meisten  Noth  thäte.  Weder  Pflaster  noch  CoUodiumbestreichuiigen  reichen  aus, 
um  das  untere  Lid  vom  Bulbus  abgezogen  zu  erhalten,  da  vermöge  des  vorhandenen 
Reizzustandes  bei  künstlichem  Ectropium  immer  viel  Thränen  ausfliessen  und  alles 
abweichen,  die  hierzu  nöthigeu  Hantirungen  übrigens  kurz  nach  der  Operation 
auch  gefährlich  sind.  Am  besten  wird  man  unter  möglichster  Fernhaltung  aller 
anderen  Schädlichkeiten  ruhig  die  allmälige  spontane  Ahschleifung  des  vorspringen- 
den Randes  abivarten.    Gewöhnlich  ist    sie  im  Verlaufe    einiger  Wochen    vollendet. 

7.  Ein  Irisvorfall.  Er  ist  öfters  die  mittelbare  Folge  der  unrichtigen  Anheilung 
des  Lappens  und  kann  bei  unvorsichtigem  Gebahren  des  Kranken  noch  nach  Ab- 
lauf mehrerer  Wochen  zu  Stande  kommen.  Am  gewöhnlichsten  jedoch  datiren  derlei 
Vorfälle  von  der  Operation  selbst  her,  indem  beim  Austritte  der  Linse  ein  Theil  der 
Regenbogenhaut  mitgerissen  wurde  und  der  Operateur  es  versäumte,  ihn  zurückzu- 
bringen, oder  indem  wegen  Glaskörpervorfall  oder  Unruhe  des  Kranken  die  Repo- 
sition unterlassen  werden  musste.  Jedenfalls  resultirt  dann  eine  sehr  bedeutende 
Verziehung  der  Pupille,  ja  es  kann  bei  grossen  Vorfällen  sogar  zum  Verschlusse  des 
Sehloches  kommen,  besonders  wenn  sich  heftige  Iritiden  einstellen,  wie  dieses  gar 
nicht  selten  der  Fall  ist.  Auch  kann  es  geschehen,  dass  der  Lappen  eine  sehr  un- 
regelmässige Krümmung  erhält  und  das  Sehvermögen  sehr  übel  beeinflusst,  indem 
die  Narbe  sich  wohl  contrahirt,  immerhin  jedoch  eine  gewisse  Breite  behält,  so  dass 
also  der  Lappenrand  von  der  unteren  Wundlefze  absteht  (Fig.  20  S.  145).  Um 
solchen  üblen  Folgen  vorzubeugen,  ist  es  nothwendig,  den  Verband  länger  tragen 
zu  lassen,  als  es  sonst  uöthig  ist,  so  lange  nämlich,  bis  die  Narbe  dicht  und  wider- 
standskräftig geworden  ist.  Ist  der  Pupillarrand  eingeheilt,  so  muss  auch  Atropin  ange- 
wendet werden,  um  den  oberen  Thcil  desselben  möglichst  ferne  von  der  Verwachsungs- 
stelle zu  halten.  Eine  Abtragung  oder  wiederholte  Punction  ist  nur  angezeigt  bei 
sehr  grossen  und  noch  immer  wachsenden  Vorfällen  aus  der  Breite  der  Iris,  besonders 
wenn  die  Gefahr  droht,  dass  endlich  der  Pupillarrand  in  den  Bereich  der  Wunde 
gezogen  werde. 

8.  Die  Entwickelung  eines  Entropixims.  Dieser  Zufall  ist  gar  nicht  selten  bei 
sehr  schlaffen  alten  Individuen  zu  beklagen,  besonders  während  der  Nachbehand- 
lung. Es  fordert  die  allsogleiche  Entfernung  des  etwa  noch  liegenden  Schutzver- 
bandes, da  dieser  die  Einstülpung  des  Lides  sehr  begünstigt.  Unter  den  positiven 
Mitteln  (S.  530)  ist  besonders  die  Canthoplastik  (S.  5i3)  zu  empfehlen. 

Quellen.  Beer,  Lehre  v.  d.  Augenkrankh.  IL  Wien.  1817.  S.  366,  372.  — 
Himly,  Krankh.  n.  Missbilgn.  II.  Berlin.  1843.  S.  255,  263,  275,  284,  286.  —  Ai-lf, 
Krankh.    des  Auges.  II.  Prag.  1853.   S.  298,  300.  —  Hasner,    Kl.  Vorträge.   Prag. 


(  4:8  StiiarexlriiL-tiuii  mit  iluiii  periiilifii'H  Liiiciirschiütl ;  Anzeigen. 

1860.  S.  '289,  '2m,  301.  —  Sf.eUwar/,  Oi)htli.  I.  S.  635,  637,  642.  —  Zehender,  Kl. 
Monatbl.  1863.  8.  73.  —  Küchler,  Deutsche  KliuiU.  1865.  Nr.  39.  —  Hönny,  Kl. 
Monatbl.  1863.  S.  217. 


4.  Die  Extraction  mit  dem  peripheren  Linear- 
schnitte (Graefe). 

Die  Anzeigen  fallen  mit  jenen  der  Lappenextraction  zusammen. 
Doch  hat.  der  periphere  Linearschnitt  Vorzüge:  1.  wo  glaucoma- 
iöse  Zustände  drohen,  2.  bei  Ectopie  der  staarigen  Linse,  3.  wo  allge- 
meine oder  örtliche  Verhältnisse  die  Gefahr  einer  Hornhautvereiterung  nahe 
legen  und  3.  wo  der  Zustand  des  Kranken  ein  weniger  strenges  Regimen, 
insbesondere  aber  die  Abkürzung  des  in  ruhiger  RücJcenlage  zuzubringenden 
Zeitraumes   sehr  wünschenswerth  oder  geradezu   nothweudig  machen. 

Das  Verfahren  hat  manche  Aehnlichkeit  mit  dem  bei  der  Lappen- 
extraction einzuhaltenden,  und  wird  gleich  diesem  in  mehreren  ,  durch 
Pausen   der  Euhe  und   Erholung  geschiedenen  Momenten  ausgeführt. 

Die  erforderlichen  Instrumente  sind:  ein  sehr  schmales  und  spitziges 
Messer  (Graefe);  eine  Irisjiincette  und  eine  feine  gei'ade  oder  Louis" sehe 
Schere ;  eine  zarte  Sichelnadel  mit  abgerundetem  stumpfen  Convexrücken 
oder  ein  Cystitom  mit  sehr  schmaler  Fliete  ,  welcher  sich  seiner  Form 
nach  einem  einfachen  senkrechten  Haken  nähert  (Graefe);  ein  scharfes 
und  ein  stumpfes  Häkchen;  ein  Staarlöß'el  von  Metall  oder  gehärtetem 
Kautschuk ;    eine  verlässliche  Zahnpincette  und   ein   federnder  Augenlidhalter. 

Die  Sichelnadel,  das  Cystitom  und  die  Häkchen  verlangen  einen  biegsamen 
Hals,  nm  demselben  eine  nach  Bedarf  wechselnde  winkelige  Krümmung  geben  zu 
können.  Ist  der  Hals  nämlich  gerade  und  starr,  so  lässt  sich  das  Instrument,  zumal 
bei  tiefer  liegenden  Augen,  nicht  leiclit  flach  in  die  Wunde  eiufülyeu  und  hier  in 
der  Ebene  der  Iris  nach  verschiedenen  Richtungen  herumbewetren.  Aus  ähnlichem 
Grunde  werden  auch  die  Löffel  handsamer,  wenn  ihre  Hohlfläche  in  einem  nach 
vorne  sehenden  Bogen  gegen  den  Hals  gestellt  wird. 

Als  AnyenlidhaÜer  taugt  der  seit  Langem  gebräuchliche  Snowden'sche  in  so- 
ferne  wenig,  als  das  Verbindungsstück  seiner  Arme  die  Führung  der  einzelnen  In- 
strumente oft  wesentlich  beirrt.  Man  hat  darum  den  genannten  Theil  sehr  ver- 
längert und  nach  hinten  gebogen,  so  dass  er  sich  beim  Gebrauche  an  die  Schläfe 
legt  (Graefe).  Durch  die  "N'erlängerung  der  Arme  geht  aber  viel  von  der  federnden 
Wirkung  verloren,  daher  das  Instrument  entweder  viel  massiver  gebaut  oder  mit 
Stellschrauben  versehen  werden  muss,  was  seinerseits  wieder  manche  Uebelstände 
mit  sich  bringt.  Hs  scheint  darum  von  Vortheil ,  dem  nach  Snowden's  Principe 
gefertigten  Instrumente  bei  ivenig  vergrösserten  Dimensionen  eine  scharfe  Krümmung 
nach  vorne  zu  geben,  so  dass  das  Verbindungsstück  sich  an  die  Seitenwand  der 
Nase  anlegt,  wenn  die  Arme  in  den  Bindehautsack  eingeführt  werden.  Neuerer 
Zeit  sind  mehrere  Sperrelevateure  nach  diesem  Principe  gebaut  worden  (Stilling, 
Schroeter). 

Die  Bulbuskapsel  wird  in  der  Regel  im  oberen  Theile  des  vorderen 
Lederhautgürtels  eröffnet.  Um  den  erforderlichen  Linearschnitt  an  diesem 
Orte  ungestört  in  einem  oder  wenigen  Messerzügen  vollenden  zu  können, 
ist  es  nothwendig,  dass  der  obere  Augendeckel  durch  einen  Augenlidhalter, 
oder  mittelst  der  Finger  des  Operateurs  oder  eines  Assistenten  in  stark 
emporgehobener  Stellung  wohl  fixirt  werde  (Fig.  96).  Ausserdem  muss 
der  Bulbus  durch   eine  verlässliche  Zahnpincette,  welche  genau  unter  dem 


Vfrt'iiliii'U  ;   Sclmilltülinu 


Iridcclniiiir. 


749 


untersten  Punkto  dov  Hör nliaul grenze  cinzusolzon  isl  ,  um  das  Rollen  dos 
AugTs  zu  Yorhindorn,  uaeli  abiuürts  <>'ozo2,'('n  und  in  dicsci'  Lafj,'(>  uuvoiTiic.kt 
erliaUou   \vi'rd(>u. 

Doi"  Schnitt  st'lhsl  wird  in  seinci'  Länj^c  je  nacli  der  niuiliraassliohen 
Gi'össe  äes  Linsenkernes  otwas  wechseln  müssen;  doch  lassen  sich  ^^l^'"  ^^^  das 
für  Alterstaarc  entsprechendste  Maass  bezeichnen.  Um  diesem  Bedürfnisse  zu 
o'cnüa,en,  ist  Aex  Einstichspunlct  etwa  '/.j'" — ^/.y"'\o\\  der  vor(/er«i  Cornealurcnze 
entfernt  und  '^/-i'" — 1'"  unicriudb  einer  an  den  höchsten  Jlandpuiikt  der 
Cornea  gelegten  TaJigente  u\\  äusseren  Theüe  des  vordersten  Scleralgürtcls  zu 
wälilen.  Das  Messer  muss  mit  nach  innen  und  oben  sehender  Schneide 
so  aufgesetzt  werden,  dass  die  Spitze  fast  gegen  den  ÄfiifeJjninkt  dm-  vorderen 
Kammer  zielt.      In   dieser  liich- 

tung  wird  es  dann  schief  durch-  ..        '^'  '  '' 

gestossen,  so  dass  es  knapp  am 
Irisursprunge  in  der  vorderen 
Kammer  erseheint,  und  in  ge- 
rader Linie  etwa  3'"  weit  fort- 
geschoben ,  dann  aber  in  die 
ivagrechfe  Stellung  gewendet,  um 
in  gleicher  Höhe  und  in  gleicher 
Entfernung  von  dem  Hornhaut- 
rande, wie  der  Einstichspunkt, 
durch  den  entsprechenden  Iimen- 
theil  der  vorderen  Led erbaut - 
Zone  ausgestochen  zu  werden. 
Ist  dies  geschehen,  so  wird  das 
Instrument  mit  naeli  unten  und 
leicht  nach  vorne  gekehrtem 
Rücken  in    wagrechter  Richtung 

(Fig.  96)  weiter  vor-,  und  falls  die  Spitze  dem  Nasenrücken  nahe  käme, 
wieder  zurück  geschoben,  bis  die  Schneide  die  Verbindungen  des  oberen 
Irissectors  mit  dem  Rande  der  Descemeti  durchtrenut  hat  und  an  der  In- 
nenwand des  betreffenden  Lederhauttheiles  ansteht.  Nun  ist  es  Zeit,  die 
Klinge  ein  klein  wenig  nach  Vorne  zu  drehen,  so  dass  der  Rücken  etwas 
schief  nach  Hinten  und  Unten  sieht,  lam  die  Bulbuskapsel  nicht  ganz 
flach,  aber  auch  nicht  senkrecht  auf  ihre  Fläche,  also  schräg  in  langem 
Zuge  zu  durchschneiden.  Das  Messer  lagei't  jetzt  zwischen  der  Sclera  und 
Rindehaut,  welche  letztere  in  eine  breite  Querfalte  aufgehoben  erscheint. 
Damit  der  Conjimctivallajjpen  wegen  der  sehr  beträchtlichen  Nachgiebig- 
keit und  Dehnbarkeit  der  Mucosa  unter  den  folgenden  Messerzügen  nicht 
übermässig  grosse  Durchmesser  erlange  und  dadurch  Verlegenheiten  bereite, 
soll  die  Schneide  nun  nach  vorne  gerichtet  und  die  Bindehaut  sägend 
durchschnitten  werden.  Die  Wunde  der  letzteren  bildet  solchermassen  einen 
nach  vorne  convexen  Bogen,   dessen   Scheitel   den  Limbus  fast  erreicht. 

Um  beim  zweiten  Momente,  der  Ausschneidung  des  an  die  Wunde 
stossenden  Iristheiles,  ohne  Störung  hantireu  zu  können,  ist  es  dringend 
nothwendig,  den  Bindehautlax>pen  von  der  Wunde  wegzustreichen  und  auf 
die  Cornea  zurückzulegen.  Der  betreffende  Regenbogenhautsector  muss 
mit  der  Pincette  breit  gefasst,   straff  angezogen    und  knapp  an    dem  Scleral- 


750  Staarextraction  mit  ÜPin   peiipliPiPri  Linearschiiitte ;  Verfahren. 

schuittraude  abgetrageu  werden,  damit  nicht  etwa  Zipfel  zurückbleiben, 
welche  sich  in  der  Wunde  einklemmen  können.  Bei  der  Länge  der 
Wunde  ist  es  jedoch  sehr  schwer,  den  ganzen  zugehörign  Iristheil  zwischen 
die  Branchen  der  Pincette  auf  einmal  zu  bekommen  ;  daher  es  vortheil- 
haft  scheint,  die  Irisausschneidung  in  mehreren  Tempis  zu  vollführen, 
vorerst  also  den  mittleren  Theil  zu  fassen  und  abzutragen ,  sodann  nach 
einander  den  inneren  und  äusseren  Wundsaum  hervorzuholen  und  aus- 
zuschneiden. Es  ist  dabei  nothwendig,  die  Iris  straff  anzuziehen,  so  dass 
sie  sich  in  grösserer  Ausdehnung  entwickelt.  Hierauf  ist  die  Stellung  der 
unteren  Hälfte  des  Pupillarrandes  genau  zu  beobachten.  Oefters  findet  man 
sie  bereits  in  der  ihr  normaliter  zukommenden  Lage.  Ist  dies  nicht  der  Fall,  er- 
scheint sie  etwas  gegen  die  Wunde  gezogen,  so  hängt  ein  Theil  des  Iriswund- 
sauraes  in  den  Winkeln  des  Cornealschnittes  fest  und  zwar  findet  dies  gewöhn- 
lich an  der  Schläfenseite  statt.  Um  die  Einklemmung  zu  beseitigen,  dient  der 
Kautschuklöffel.  Es  werden  mit  dessen  convexer  Fläche  leichte  Streich- 
manöver auf  der  Oberfläche  des  Bulbus  gemacht,  welche  ihren  Ausgangs- 
punkt etwas  scleralwärts  von  der  betreffenden  Wundecke  haben  und  über 
diese  hinweg  gegen  das  Hornhautcentrum  gerichtet  sind. 

Es  können  diese  Manöver  auch  alternirend  melir  in  einer  der  Wundlänge 
entsprechenden  Richtung,  immer  von  der  betreffenden  Ecke  ausgehend,  oder  auch 
wohl  in  circulärer  Richtung  über  der  betreffenden  Partie  verrichtet  werden.  Ist 
nur  der  nasale  Iriswundsaum  eingeklemmt,  so  erreicht  man  auch  häufig  den  Zweck 
bei  der  Einführung  des  Cystitoms,  indem  man  mit  dessen  in  die  vordere  Kammer 
eintretenden  Rücken  die  Iris  vorsichtig  glättet,  elie  man  zur  Oeffnung  der  Kapsel 
übergeht. 

Die  Erößhung  der  Kapsel  geschieht  am  besten  in  vier  Tempis,  um 
ein  möglichst  grosses  Stück  derselben  durch  Schnitte  umgrenzen  und  dem 
austretenden  Staare  Gelegenheit  geben  zu  können ,  dasselbe  gleich  einem 
A'orhange  vor  sich  her  in  die  Wunde  zu  treiben.  Das  dazu  erforderliche 
Instrument,  das  flietenförmige  Cystitom  oder  die  Sichelnadel,  deren  Hals 
in  einem  entsprechenden  Winkel  gebogen  ist,  wird  flach  durch  die  Wunde 
bis  zum  unteren  Theile  des  Pupillarrandes  vorgeschoben ,  dann  mit  der 
Schneide  gegen  die  Kapsel  gewendet  und  diese  vorerst  längs  der  beiden 
seitlichen  Pupillar-  und  Colobomränder  in  der  ganzen  Höhe  des  Pupillar- 
raumes,  hierauf  aber  zweimal  in  querer  liichtung  gespalten  und  zwar  das 
eine  ]\fal  hart  an  der  unteren  Pupillenperiplierie,  das  andere  Mal  ungefähr 
ein  Millim.   unterhalb   des   oberen  Linsenäquators   {A.    Weber). 

Ist  die  Kapsel  genügend  zerklüftet  worden,  so  stellt  sich  der  Linseu- 
kern  häufig  schon  von  selbst  an  die  Oeffnung  der  Lederhaut,  es  bedarf 
nur  geringer  Beihilfe,  um  ihn  austreten  zu  machen.  Behufs  dessen  ist 
der  Kaufschuklöffel  mit  dem  convexen  Bücken  an  die  untere  Grenze  der 
C!ornea  leicht  anzudrücken,  wodurch  die  Scleralwunde  sich  bereits  etwas 
öffnet.  Hierauf  mnss  der  Löffel  etwas  gewendet  werden ,  so  dass  sein 
oberer  Rand  sich  ein  wenig  in  die  Hornhaut  eindrückt.  Indem  man 
dann  das  Instrument  in  dieser  Lage  an  der  Cornealoberfläche  sanft  nach 
oben  streicht,  wird  der  Staar  leicht  aus  der  Wunde  herausgetrieben  und 
kann,  wenn  er  diese  mit  einem  grossen  Theile  seines  Umfanges  passirt 
hat,   mit  dem  Löffel   leicht  hervorgehoben  werden. 

Was  au  diesen  Vorgängen  an  weicher  zerldüfteter  Linsenmasse  im 
Kapselraume  zurückgeblieben  ist,   kann  wie   bei  der  Lappenextracfion    dadurch 


Vfifalirch.  751 

gegen  die  W  uiuie  liiiigiMlriüigt  werden,  dass  uian  den  lii'n-keti  eini's  LöiJ'els 
von  unten  her  leielit  an  der  Hornhaut  hinstreichl.  I'lni leeren  sieh  die 
Rückstände  nicht  vollständig,  so  bleibt  freilich  nichts  übrig,  als  inil  dtnu 
Löffel  in  die    Wunde  einzugchen    und    erstei'e  hervorzuholen. 

Ueberhuupt  gilt  gleich  wie  bei  der  liappenextraction  die  Regel,  dass  man 
die  cataractöse  Linse  so  weit  nur  immer  möglich  vnllutündig  ausräume; 
durch  Auflagerungen  steif  gewordene  KapseUhe.ile  m\{  der  Pincette  aas- 
ziehe ;  auch  die  Wunde  gehörig  reinige  und  etwa  eingeklemmte  Iriszipfel 
beseitige;  endlich  den  Bindehautlappen  in  seine  natürliche  Lage  zurück- 
schiebe. Hat  man  diesen  Anfurderungen  genügt,  so  erscheint  es  überdies 
räthlich,  nach  Ablauf  von  '/o — 1  Minute  nochmals  das  Auge  zu  öffnen, 
und  das  mittlerweile  angesammelte  Kararaerwasser  zu  entleeren.  Es  führt 
dieses  nämlich  nicht  selten  noch  einzelne  kleine  Staarbröckchen  mit  sich 
fort  und   schwemmt  auch   ergossenes  Blut   nach  aussen. 

Die  Nachbehandlung  und  der  Verband  sind  nach  denselben  Gesetzen 
zu  regeln,  wie  bei  der  Lappenextraction.  Doch  kann  bei  der  modifrcirten 
Linearextraction  dem  Kranken  schon  vor  Ablauf  der  ersten  zwei  Tage 
eine  minder  beengende  Haltung  uud  eine  grössere  Beweglichkeit  gestattet 
werden,  da  hier  das  Losgehen  des  Lappens,  also  die  Wiedereröffnung  der 
Wunde  weit  weniger  zu  fürchten  ist. 

1.  Ein  ganz  steiler  Hovnhautschnitt ,  wie  er  frülier  angewendet  wurde  und 
auch  noch  dermalen  von  Manchen  belieht  wird,  hat  den  Nachtlieil,  dass  er  der 
Zonula  im  Bereiche  der  Wunde  jeden  Halt  nimmt  und  dadurch  GlaskörpeyvorfüUe 
wva  so  mehr  begünstigt,  als  der  .Staar,  auf  dass  er  sich  in  die  Oetfnung  einstellen 
könne,  eine  bedeutende  Drehung  nach  vorne  ausi'üln-en  muss,  daher  auch  der  die 
Entbindung  fördernde  Löffel  einen  stärkeren  Druck  in  senkreciiter  Richtung  auf 
den  unteren  Staarrand  auszuüben  hat,  was  nothwendig  ein  Hervordrängen  des 
Glaskörpers  gegen  die  Wundöffnung  hin  mit  sich  bringt.  Bei  einem  mehr  schrägen 
Schnitte  fällt  die  Drehung  des  Staares  weg,  derselbe  kann  in  der  Richtung  seiner 
Aequatorialebene  sich  nach  aussen  bewegen.  Dazu  kömmt,  dass  der  hintere  Wund- 
saum sich  unter  den  vorderen  Wundrand  hin  wegschiebt  und,  durch  den  intraocu- 
lären  Druck  angepresst,  die  Oeft'nung  klappenähnlich  schliesst,  daher  kein  Theil 
der  Zonula  biosgelegt  erscheint. 

Der  Cornealschnitt  kann  selbstverständlich  auch  an  der  unteren  Hornhaut- 
grenze gemacht  werden.  Es  operirt  sich  hier  sogar  leichter.  Doch  treten  vermöge 
dem  Irisausschnitte  gerne  Blendungserscheinungen  auf,  welche  den  Kranken  sehr 
belästigen.  Es  lässt  sich  ein  solcher  Vorgang  also  nur  rechtfertigen,  weim  der  Zustand 
des  Auges  und  seiner  Umgebungen  oder  die  Ungeberdigkeit  des  Kranken  die 
Schnittführung  nach  oben  sehr  ersciiwereu. 

2.  Der  Gebrauch  des  Atigenlidhalfers  hat  im  zweiten  Momente  der  Operation 
den  Vortheil,  einen  zweiten  Assistenten  zu  ersparen.  Da  nämlicli  beide  Hände  des 
Operateurs  mit  der  Irispincette  und  Schere,  jene  des  Geliiifen  aber  mit  den  beiden 
Lidern  des  Kranken  beschäftigt  sind,  bedürfte  es  zur  Führung  der  Fixirpincette 
einer  fünften  Hand,  was  abgesehen  von  anderen  Uebelständen  das  Missliclie  hat, 
dass  der  ohnehin  beschränkte  Raum  noch  mehr  beengt  wird.  In  den  übriqen  Ope- 
rationsmomenten hat  der  Operateur  stets  eine  Hand  zur  Fixirung  des  Bulbus  oder 
des  einen  Augendeckels  ./?•£«;  da  ist  der  Angenlidlialter  e?i</>e/;r/jr/i  und  wird  besser 
beseitigt,  indem  er  den  Kranken  sehr  belästigt  und  zu  übermässigem  Pressen  ver- 
leitet, was  den  Operationsgang  beirren,  auch  zu  Glaskörpervorfällen  Veranlassung 
geben  kann. 

3.  Die  Bildung  sehr  grosser  Bindeliaritlajopen  ist  nicht  zu  empfehlen,  da  die- 
selben sich  gerne  aufrollen,  infiltriren  und  damit  die  Heilung  der  Scleralwunde 
ungünstig  beeinflussen  können.  Es  ist  aber  aueh  eine  gänzliche  Abtragung  der- 
selben vom  Uebel,  da  gerne  eine  grössere  Wundfläche  resultirt,  deren  Schliessung 
und  Verharschung  lücht  immer  ohne  bedenkliche  Reizzustände  abläuft.  Diese  Ver- 
hältnisse   sind    es,    welche    die    Wendung  des  Messers  nach  vorne  gebieten,  wenn 


'IK 


752  Staarextraction  mit  dem  peripliereii  Linearschnitte ;   Verfahren. 

letzteres  die  Lederhaut  durchschnitten  hat  und  unter  der  Bindehaut  erscheint; 
anderseits  aber  auch  die  Schonung  des  so  gebildeten,  nach  vorne  convexen  Con- 
junctivallappens  zur  Pflicht  machen  und  dessen  Zurückstreichung  auf  die  Cornea 
wiihrend  der  folgenden  Operationsmomente  verlangen,  damit  es  von  den  Instrumenten 
nicht  leide. 

4.  Die  Iris  muss  knapp  an  dem  vorderen  Scleralvvundrande  ahgetragen  werden. 
Bleiben  nämlich  Theile  der  Regenbogenhaut  in  der  Wunde  eingeklemmt,  so  werden 
sie  vermöge  der  Zerrung,  welcher  sie  ausgesetzt  sind,  gerne  der  Ausgangspunkt  ver- 
derblicher Entzündungen.  In  einzelnen  Fällen  bauchen  sie  sich  späterhin  blasig 
hervor  und  fordern  eine  nachträgliche  Ausschneidung.  Abgesehen  davon  haben 
derlei  Iriseinklemmungen  das  Missliche,  dass  der  untere  Theil  des  Pupillarrandes 
durch  sie  sehr  stark  emporgezogen,  bisweilen  sogar  über  den  horizontalen  Durch- 
messer des  Auges  gehohen  und  so  eine  grosse  Quote  der  Pupille  bei  etwas  tieferem 
Stande  des  oberen  Lides  verlegt,  wird.  Das  Sehvermögen  leidet  dann  um  so  mehr, 
als  durch  eine  solchermassen  verlagerte  Pupille  keine  centralen,  sondern  blos 
liandstrahlen  zur  Netzhaut  gelangen,  daselbst  also  weniger  scharfe  Bilder  erzeugt 
werden.  Man  glaubt,  dass  sich  die  vollständige  Ausschneidung  der  Iris  im  ganzen 
Bereiche  des  Cornealschnittes  leichter  und  sicherer  durch  eine  gerade  oder  knie- 
förniig  gebogene,  als  durch  eine  nach  der  Fläche  gekrümmte  Schere  bewerkstelligen 
lasse  (Graefe). 

5.  Die  ausgiebige  Zerklüffmig  der  Kapsel  bis  zum  oberen  Gleicherrande  ist  bei 
der  p]xtraction  mit  dem  peripheren  Linearschnitte  noch  viel  dringender  nothwendig, 
als  bei  der  Lappenextraction,  da  bei  ersterer  die  mechanischen  Verhältnisse  für 
ein  Herausbrechen  des  Staarkernes  aus  der  Kapselhöhle  ganz  wegfallen,  die  Linse 
vielmehr  lediglich  in  ihrer  Aequaforialehene  gegen  die  Wunde  hin  rücken  muss  und 
hierbei  in  einem  unverletzten  Kapselfalze  meistens  ein  schwer  überwindliches  Hinder- 
niss  findet.  Eine  grosse  Schwierigkeit  liegt  bei  diesem  Acte  darin,  dass  die  vor- 
dere Kapsel  nach  Abflnss  des  Kammerwassers  unter  dem  Glaskörperdrucke  dicht 
an  die  hintere  Cornealfläche  herangedrängt  wird,  dass  der  centrale  Theil  derselben 
gerade  in  die  stärkste  Concavität  der  Hornhaut  hineinfällt  und  so  für  die  Schneide 
des  Instrumentes  schwer  ziigänglich  wird.  Daher  kömmt  es  auch,  dass  gar  oft 
ein  mehr  weniger  breiter  mondsichelförmiger  Kapselsaum  im  unteren  Theile  des 
Pupillarraumes  stehen  bleibt.  Derselbe  trübt  sich  später,  verlegt  die  vom  oberen 
Lide  theilweise  gedeckte  Pupille  und  schädigt  die  Sehschärfe  ganz  ausserordent- 
lich. Durch  die  mannigfaltigen  Aendeningen  in  der  Gestalt  des  Cystitoms  (Ed. 
Meyer,  A.  Weher  u.  A.J  kann  diesem  Uebelstande  nicht  abgeholfen  werden;  die 
Aufgabe  geht  vielmehr  nur  dahin,  die  Spitze  des  Instrumentes  über  die  Convexität 
der  vorderen  Kapsel  hinweg  unter  das  Niveau  des  unteren  Pupillarrandes  zu  bringen, 
ohne  vorher  in  die  Kapselhöhle  einzudringen. 

6.  Ist  die  Kapsel  durch  Auflagerungen  sehr  derb  und  zähe  geworden,  so  er- 
scheint eine  zureichende  Zerschneidung  derselben  gewöhnlich  unausführbar.  Dann 
ist  es  besser,  gleich  von  vorneherein  statt  mit  der  Sichelnadel  mit  einem  scharfen 
Häkchen  einzugehen  und  sie  tief  zu  fassen.  Gar  nicht  selten  gelingt  es,  ihre 
vordere  Hälfte  im  Zusammenhange  losziitrennen  und  nach  aussen  zu  fördern. 
Bei  regressiven  oder  geschrumpften  Staaren  folgt  öfters  sogar  das  ganze  Linsen- 
system auf  einmal  dem  Zuge  und  kann  ohne  Schwierigkeit  aus  dem  Auge  ent- 
fernt werden. 

7.  Die  Entbindung  des  Staares  lässt  sich  gleich  wie  bei  der  Lappenextraction 
auch  blos  mit //tV/e  der  auf  die  lAder  aufgelegten  Finger  (S.  745,  6)  bewerkstelligen. 
Früher  wurde  zu  diesem  Behufe  empfohlen,  die  Fixirpincette  etwas  straffer  anzu- 
ziehen und  so  den  unteren  Theil  der  Bulbuskapsel  zu  spannen,  ausserdem  aber 
den  hinteren  Wundrand  der  Sclera  mit  dem  Convexrücken  eines  Löffels  etwas 
niederzudrücken  und  das  Instrument  hierbei  in  horizontaler  Richtung  hin  und  her- 
gleiten zu  lassen.  Auch  hat  man  vielfach  das  sogenannte  Schlittenmanöver  in  An- 
wendung gebracht,  d.  h.  es  wurde,  während  der  den  oberen  Lidrand  fixirende 
Finger  einen  leisen  Druck  auf  den  oberen  Umfang  des  Bulbus  ausübte,  der  Löffel- 
rücken  wiederholt  auf  die  untere  Grenze  der  Hornhaut  aufgesetzt  und  unter  sanfter 
Pression  gegen  deren  Centrum  hinaufgestrichen.  In  neuerer  Zeit  hält  man  jeden 
Druck  auf  den  peripheren  Wundsaum  und  auf  den  oberen  Umfang  des  Bulbus  für 
widerräthlich  oder  wenigstens  überflüssig.  Einzelne  sprechen  diesem  Manöver  jedoch 
noch  das  Wort  und  glauben,  dass  das  leichte  Niederdrücken  des  peripheren  Wund- 
saumes   das    Klaffen    der  Wunde,    also    auch  den    Aiistritt    des  Staares  wesentlich 


Ueble  Zufälle.  753 

förcleru,    dass    übeidicss    aber    der   aufgesetzte  Löffelrückeu  der  Zonula  einen   Halt 
geben  und  Glaskörpervorfälle  verhindern  könne  (Knapp), 

Ueble  Zufälle.  1.  Eine  zu  kleine  ode^-  zu  flache  Linearwunde.  Dieser  Fehler 
kann  bei  einiger  Aufmerksamkeit  und  Hebung  wohl  nicht  vorkommen,  da  die 
Schnittfüliruug  im  Ganzen  eine  überaus  leichte  ist.  Das  eingestochene  Messer 
stopft  nämlich  die  Wunde  mit  ziemlicher  Sicherheit  uiul  hindert  solchermassen  den 
vorzeitigen  Ausfluss  des  Kammerwassers.  Sollte  darum  auch  die  Spitze  desselben 
weit  vor  dem  Ursprungskreise  des  Lig.  pectinatum  oder  etwas  zu  hoch  eingestossen 
worden  sein,  so  hat  man  Zeit  genug,  durch  Tieferlegung  des  Ausstichspuuktes  das 
Mangelnde  zu  ergänzen.  Selbst  ein  theilweises  Zurückziehen  des  Messers  in  die 
Kammer,  um  nochmals  auszustechen,  findet  keine  Schwierigkeiten.  Sollte  trotz  allem 
der  Fehler  gemacht  worden  sein,  so  bleibt  kaum  etwas  anderes  übrig,  als  die  Wunde 
mit  der  Schere  zu  erweitern. 

2.  Blidaustritt  in  die  Kammer.  Es  stellt  sich  dieser  Zufall  bisweilen  schon  bei 
der  Durchschneidung  der  Bindehaut  ein,  häufiger  jedoch  wird  er  als  Folge  der 
Iridectomie  beobachtet.  Er  hat  dann  nicht  viel  auf  sich.  Man  braucht  die  Opera- 
tion blos  eine  Weile  zu  unterbrechen  und  dann  den  Löffelrücken  sanft  über  die 
Oberfläche  der  Cornea  heraufzustreichen,  um  das  Blut  aus  der  Wunde  zu  drängen. 
Hat  sich  bereits  wieder  etwas  Kammerwasser  gesammelt,  so  genügt  es  oft,  die  hin- 
tere Wundlefze  leise  niederzudrücken,  um  den  Ausfluss  zu  bewerkstelligen  und  das 
Operationsfeld  für  die  Eröffnung  der  Kapsel  rein  zu  erhalten.  Bisweilen  jedoch 
füllt  sich  die  Kammer  immer  wieder,  so  oft  man  sie  auch  entleert.  Dann  wird 
das  Extravasat  für  die  weiteren  Acte  in  hohem  Grade  misslich  und  nicht  selten 
auch  der  Erfolg  der  Operation  wesentlicii  gefährdet.  Es  deutet  dieser  Zufall  näm- 
lich auf  eine  weit  vorgeschrittene  Degeneration  der  Gefässe,  besonders  wenn  das 
ausgetretene  Blut  eine  sehr  dunkle  Färbung  zeigt.  Es  wiederholen  sich  dann  die 
Hämorrhagien  gerne  nach  der  Operation,  während  die  Aufsaugung  eine  ganz  un- 
vollständige bleibt;  die  Coagula  mehren  sich,  organisiren  zum  Theile  in  Verbin- 
dung mit  den  Producten  der  reactiven  Entzündiing  und  bedingen  zum  mindesten 
den  Wiederverschluss  der  Pupille.  Häufig  kömmt  es  auch  wohl  zu  Iridochorioiditis 
oder  Iridokyklitis  mit  deren  höchst  deletären  Folgen.  In  nicht  wenigen  Fällen 
zeigen  sich  Blutextravasate  überhaupt  erst  mehrere  Tage  nach  der  Operation  in 
der  Kammer,  oder  auch  wohl  in  der  Hornhaut  (S.  62.  5).  Sie  sind  dann  aus  gleichen 
Gründen  sehr  bedenklich. 

3.  Schwierige  Entbindung  des  Staares.  Sie  findet  ihren  Grund  zumeist  in 
einem  zu  kleinen,  bisweilen  jedoch  gewiss  auch  in  &h\em  zu  flachen  Cornealschnitte. 
Sie  erfordert  in  einem  solchen  Falle  die  Erweiterung  der  Wunde  mittelst  der  Schere. 
Manchmal  jedoch  entbindet  sich  der  Staar  trotz  ausreichend  langem  Cornealschnitte 
und  genugsam  zerklüfteter  Vorderkapsel  bei  aller  Zweckmässigkeit  der  ausgeführten 
Manöver  nicht.  Unter  solchen  Umständen  ist  es,  so  viel  sich  auch  Manche  dagegen 
sträuben  mögen,  gewiss  nicht  unklug,  von  den  sogenannten  Tractionsinstrument&i 
Gebrauch  zir  macheu.  Sicherlich  schliesst  deren  vorsichtige  und  sanfte  Anwendung 
weniger  Gefahren  in  sich,  als  ein  fortgesetztes  Herumquetschen  am  Bulbus,  welches  am 
Ende  vielleicht  doch  nicht  den  gewünsciiten  Erfolg  hat,  oder  gar  einen  Glaskörpervorfall 
nach  sich  zieht.  Handelt  es  sich  um  einen  sclerosirten  grossen  Kern,  so  wird  man 
am  besten  fahren  mit  einem  stuvqifen  Haken,  welcher  gleich  der  Sichelnadel  mit 
winkelig  abgebogenem  Halse  flach  durch  die  Wunde  und  die  hintere  Rindenschichte 
des  Staares  bis  jenseits  des  Kerngleichers  vorzuschieben  und  dann  mit  der  Spitze 
nach  vorne  zu  wenden  ist,  um  den  Kern  zu  fassen  und  nach  aussen  zu  ziehen. 
Der  letztere  folgt  fast  immer  willig,  auch  wenn  der  obere  Eandtheil  der  Kapsel 
nicht  ausreichend  durclischnitten  worden  wäre,  indem  dieser  unter  dem  Drucke 
der  vorrückenden  Cataracta  leicht  nach  aussen  umgestülpt  wird.  Bei  Staaren  mit 
normal  consiste7item  Kerne  schneidet  der  Haken  jedoch  gerne  durch,  zertrümmert 
also  die  Linse  und  lässt  die  Stücke  zurück,  da  dieselben  ihm  leicht  ausweichen 
können.  Unter  solchen  Verhältnissen,  so  wie  dort,  wo  eine  normal  consistente  Corti- 
calis  von  der  Kapsel  losgetrennt  werden  muss,  wird  der  Haken  besser  durch  einen 
zweckmässig  gebauten  Löffel  ersetzt. 

4.  Ein  Glaskörpervorfall.  Dies  ist  der  häufigste  der  üblen  Zufälle.  Er  ist  be- 
sonders zu  fürchten  bei  Individuen,  welche  stark  pressen  oder  in  Folge  voraus- 
gegangener Erkrankungen  des  Bulbus  an  Verflüssigung  des  Glaskörpers  leiden. 
Er  kann  unter  so    bewandten  Umständen  in  yecieju  Momente  der  Operation  eintreten 

St  eil  wag,  Augenheilkande.  48 


754  Cataracta;  Extraction  mit  dem  peripheren  Linearschnitte;  Ueble  ZuföUe. 

und  die  folgenden  Acte  in  der  misslicbsten  Weise  beirren.  Sonst  pflegt  er  sich  ein- 
zustellen, wenn  der  Linearschuitt  zu  weit  nach  hinten  in  die  Lederhaut  fiel  und 
einen  Theil  der  Zonula  entblösste;  oder  wenn  letztere  bei  dem  Manöveriren  mit  der 
Sichelnadel  und  dem  Haken  verletzt  wurde ;  oder  endlich  wenn  das  Strahlenblättchen 
oder  der  glasbäutige  Ueberzug  der  Tellergrube  bei  den  Versuchen  der  Staarent- 
bindung  zu  stark  gespannt,  mit  den  Instrumenten  durchstossen  oder  auf  eine  andere 
Weise  zersprengt  wurde.  Entleert  sich  ein  Theil  des  Glaskörpers  vor  der  Cataracta, 
so  muss  der  Haken  oder  Löffel  rasch  zu  Hilfe  genommen  werden,  um  die  Linse 
möglichst  sicher  zu  fassen  und  hervorziehen  zu  können.  Tritt  aber  der  Glaskörper 
mit  oder  nach  dem  Staare  heraus,  so  ist  es  das  Beste,  die  Lidspalte  sogleich  zu 
schliessen  und  den  Verband  für  die  ersten  paar  Stunden  etwas  straffer  anzuspannen, 
damit  die  Neigung  zu  intraocularen  Blutungen  und  zur  Netzhautablösung  möglichst 
beschränkt  werde.  Jedenfalls  sind  Glaskörpervorfälle  von  übler  Bedeutung,  da  sie 
sehr  gerne  entziindliche  Trübungen  und  Abhebungen  (S.  158,  163)  des  im  Auge  zurück- 
gebliebenen Theiles  nach  sich  ziehen. 

5.  Baucht  sich  ein  Theil  des  Glaskörpers  bei  unverletzter  Zonula  in  die  Wunde 
der  Lederhaut  hinein,  so  ist  es  räthlich,  denselben  stehen  zu  lassen  und  einfach 
den  Verband  anzulegen.  Der  Schaden  pflegt  nämlich  nicht  erheblich  zu  werden, 
und  der  Prolapsus  durch  Resorption  bald  zu  verschwinden ,  während  ein  Abtragen 
desselben  die  Gefahr  einer  massigen  Entleerung  mit  sich  bringt. 

6.  Oefters  bleiben,  besonders  wenn  die  Corticalis  noch  nicht  völlig  zerweicht 
war,  Staarreste  im  PupiUarraume  zurück,  welche  sich  dann  später  blähen  und  durch 
Anregung  lieftiger  Entzündungen  sehr  gefährlich  werden.  Man  hat  empfohlen,  am 
3.  oder  4.  Tage  die  Wunde  wieder  zu  lüften,  um  die  Trümmer  mit  dem  Löffel 
hervorzuholen  (Küchler).  Controlversuche  haben  ergeben,  dass  beim  Versuche  jedes- 
mal Glaskörpervorfall  erfolgte  und  die  Trümmer  zurückgelassen  werden  mussten 
(Knapp).  Im  Uebrigen  liegt  die  Gefährlichkeit  eines  solchen  Unternehmens 
auf  der  Hand,  daher  sich  auch  die  gewichtigsten  Stimmen  energisch  dagegen 
aussprechen. 

7.  Die  Entivickelung  eines  Kapselstaares.  Sie  kömmt  häufig  auf  Rechnung 
einer  ungenügenden  Zerklüftung  der  Vorderkapsel.  Häufig  jedoch  resultirt  die 
Trübung  ai;s  einer  nachträglichen  Wucherung  der  der  Hinterkapsel  anhängen 
bleibenden  Staarreste,  oder  aus  der  daselbstigen  Neubihhing  von  ständig  werdenden 
Producten  und  ist  dann  nicht  zu  vermeiden.  Es  verlangen  solche  Trübungen  die 
Discission.  Doch  ist  sehr  zu  rathen,  dem  durch  die  Extraction  hart  mitgenommenen 
Bulbus  mehrere  Wochen  Zeit  zu  gönnen,  um  sich  zu  erholen.  Manche  empfehlen, 
keinen  Kranken  aus  der  Behandlung  zu  entlassen,  bevor  nicht  durch  einen  neuen 
operativen  Act  die  Hinterkapsel  in  ausgiebiger  Weise  zerklüftet  worden  ist  (Crit- 
chett).  Doch  wird  man  gut  thun,  diesen  für  den  Kranken  peinlichen  Act  auf  jene 
Fälle  zu  beschränken,  in  welchen  er   ein  wirkliches  Bedürfniss  ist. 

6.  In  nicht  seltenen  Fällen  hat  man  liinterher  eine  cystoide  Vernarbung  zu 
beklagen.  Für  ihre  Behandlung  gelten  die  (S.  359,  d)  bereits  früher  aufgestellten 
Regeln. 

Quellen:  Graefe.  A.  f.  O.  XL  3.  S.  24—80;  XH.  1.  S.  156—181,  198,  202  bis 
210;  XIII.  1.  S.  273;  XIH.  2.  S.  549,  559;  XIV.  3.  S.  106,  119,  134  u.  f.;  kl. 
Mouatbl.  1870.  S.  1,  8  u.  f.;  Congres  ophth.  1868.  S.  61,  95.  —  0.  Becker,  ibid. 
S.  72.  —  Critchett,  ibid.  S.  80;  nach  Knapp.  A.  f.  0.  XIV.  1.  S.  305.  —  Heymann, 
Ophthalmologisches.  Leipzig.  1868.  S.  38,  45  u.  f.  —  Knajjp,  A.  f.  O.  XIH.  1.  S. 
58—103;  XIV.  1.  S.  287,  291,  293;  Arch.  f.  Aug.  u.  Ohrenhlkde.  L  S.  47.  — 
Weber,  A.  f.  0.  XIIL  1.  S.  250,  256;  kl.  Mouatbl.  1868.  S.  384.  —  Ed.  Meyer, 
ibid,  S.  382.  —  Stilling,  ibid.  S.  289.  —  Nagel,  ibid.  S.  340.  —  Schröter  ibid.  1869. 
S.  126.  —  Küchler,  Die  Querextraction.  Erlangen.  1868.  S.  24.  —  Dantone,  Bei- 
träge zur  Extraction  etc.  Erlangen.   1869.  S.  06. 


Refractions-  und  Accdiiiniodationsfeliler;  Vorbegrifte;  Trennungsflächen ;  HauptscLnitte.        755 


VIERTES  HAUPTSTÜCK. 

Functionsf  elller. 


ERSTER  ABSCHNITT. 

Refractions-  und  Accommodationsfehler. 

Vorbegrifife.  Die  Haupthestandtheile  des  lichtbrechenden  oder  dioptrischen 
Apparates  des  Auges  sind  die  Hornhaut  und  der  KrystaUkörper,  welche 
beide  als  Sammellinsen  wirken  und  durch  das  Kammerwasser  von  einander, 
durch  den  Glaskörper  aber  von  der  Netzhaut  getrennt  werden.  Ihre  Ober- 
flächen, die  Haupttrennungsflächen  des  dioptrischen  Apparates,  stellen  Abschnitte 
yon  Ellipsoiden  dar,  deren  Excentricität  jedoch  unter  ?ion?iaZe?i  Verhältnissen  so 
gering  ist,  dass  ihre  im  Bereiche  der  mittelweiten  Pupille  gelegenen  Central- 
stücke  ohne  erheblichen  Fehler  als  Segmente  von  Kugelflächen  betrachtet 
werden  können. 

1.  Insonderheit  präsentirt  die  vordere  Cornealob  er  fläche  das  Scheitel- 
segment eines  dreiaxigen  EUipsoides,  dessen  längste  Axe  von  vorne  nach 
hinten  streicht,  während  die  beiden  kürzeren  Axen  senkrecht  auf  dieser  und 
mit  seltenen  Ausnahmen  {Donders)  auch  auf  einander  stehen  {Knapp).  Die 
Hauptschnitte,  d.  i.  Ebenen,  welche  durch  die  längste  und  je  eine  der  beiden 
kürzeren  Axen  gelegt  werden,  können  im  Einzelufalle  (\.\xvg[\  jeden  beliebigen 
Meridian  der  Cornea  gehen  {Javal,  Donders)  ;  doch  fällt  der  der  kleinsten 
Axe  entsprechende  Hauptschnitt,  also  das  Maximum  der  Krümmung,  ge- 
wöhnlich näher  dem  verticalen,  das  Minimum  der  Convexität  demnach  näher 
dem  horizontalen  Meridiane  der  Hornhaut  {Knapp,  Donders,  Reuss,  Woinoio, 
Snellen).  Nur  selten  findet  das  Gegenthe.il  statt,  oder  ist  der  Unterschied 
zwischen  der  grössten  und  kleinsten  Ivi-ümmung  Null,  so  dass  die  Corneal- 
oberfläche   das    Scheitelstück  eines  Eotationsellipsoides  darstellt. 

Von  den  Krümmungen  der  beiden  Linsenoberflächen  (Helmholtz,  Knajjp, 
Rosoiü)  gilt  Aehnliches.  Auch  sie  sind  asymmetrisch  mit  einem  Meridiane 
der  grössten  und  kleinsten  Krümmung,  welche  gleichfalls  in  der  Regel  einen 
rechten  Winkel  einschliessen.  Doch  wird  das  Maximum  der  Krümmung, 
entgegen  jenem  der  Hornhaut,  meistens  näher  äex  ivagrechten,  das  Minimum 
also  näher  der  senkrechten  Richtung  gefunden  {Knapp,  Donders),  ohne  dass 
jedoch  die  bezüglichen  Hauptschnitte  der  Cornea  und  des  Krystalles  in 
Einer  Ebene  zusammenzutreffen  pflegten.  Uebrigens  sind  die  Convexitäten 
der  Linsenoberflächen  häufig  viel  loeniger  regulär,  als  jene  der  Hornhaut, 
die  Werthe  ihrer  Halbmesser  steigen  und  fallen  in  den  neben  einander 
liegenden  Meridianen  recht  oft  ziemlich  ungleichmässig,  ja  sind  selbst  in 
den  einzelnen  Abschnitten  eines  und  desselben  Meridianes  verschieden 
{Donders). 

48* 


7Ö6      Anomal,  d.  Ket'r.  u.  Act-.;  Vorbegrift'e ;  Gesiclitslinien ;  I5rechung  iu  Corneii  u.  Linse;  Winkel  a. 

2.  Ausserdem  sind  die  Haupttrennung sflächen  des  dioptrischen  Apparates 
unter  einander  nicht  vollkommen  centrirt ;  vielmehr  liegt  der  Scheitel  der 
Cornea  auf  der  Nasenseite  der  Linsenaxe  {Helmholtz) .  Auch  steht  die  Gleicher- 
ebene des  Krystalles  häufig  etwas  schief  zur  Hornhautbasis  (Knapp).  Doch 
sind  diese  Abweichungen  unter  normalen  V^erhältnissen  zu  gering,  um  auf 
Gestalt  und  Lage  der  Netzhautbilder  einen  fühlbaren  störenden  Einfluss 
zu  üben. 

3.  Ueberdies  fallt  die  Scheitelaxe  der  Hornhaut  keineswegs  zusammen 
mit  der  Gesichtslinie,  d.  h.  dem  Richtungsstrahle,  welcher  den  fixirten 
Objectpunkt  mit  der  Stelle  des  directen  Sehens  verbindet;  vielmehr 
schneidet  die  Gesichtslinie  die  Hornhaut  in  der  Regel  nach  innen  vom 
Zenithe  und  meistens  unter,  selten  über  dem  wagrechten  Meridiane  {You7ig, 
Helmholtz,  Knapp).  Die  horizontale  Abweiclumg  schwankt  zwischen  2  und 
8  Graden  (Schuerman) ,  die  verticale  zwischen  1  und  3  Graden  (Mandel- 
stamm). Doch  ist  dieser  Winkel  a  kein  constanter ,  da  er  vom  Knoten- 
punkte aus  zu  messen  ist  und  letzterer  bei  dem  Accommodationswechsel 
des  Auges  seine  Lage  ändert.  Er  muss  darum  auch  bei  einem  und  dem- 
selben Individuum  je  nach  den  verschiedenen  Convergenzgxü,Aen  der  Gesichts- 
linien  ein  anderer  werden   (Reuss,    Woinoio,   Mauthner). 

4.  Die  wichtigste  der  vier  Trennungsflächen  ist  die  vordere  Hornhaut- 
fläche. In  ihr  werden  die  auffallenden  Strahlen  am  meisten  von  ihrer 
ursprünglichen  Richtung  abgelenkt.  Es  tritt  hier  nämlich  das  Licht  aus 
einem  Medium  von  sehr  geringem  Brechungsvermögen ,  aus  der  Luft ,  in 
ein  Medium  von  relativ  grossem  Brechungsvermögen  über.  In  der  That 
lehrt  eine  einfache  Berechnung,  dass  ein  Bündel  jjara^^eZer  Strahlen,  welches 
auf  die  vordere  Hornhautfläche  aiiftallt,  von  dieser  so  gebrochen  wird, 
dass  es  nahe  an  5'"  hinter  der  Netzhaut  zur  Vereinigung  käme.  Man 
kann  daher  sagen,  dass  die  hintere  Brennweite  der  vorderen  Hornhautfläche 
die   optische  Axe   des   Auges  nur  \un  wenige  Linien  übertrift't. 

Die  hintere  Hornhautfläche,  obwohl  sie  eine  stärkere  Krümmung  besitzt, 
kömmt  in  dioptrischer  Beziehung  nur  wenig  in  Betracht.  Es  können  die 
durchtretenden  Lichtstrahlen  fast  wie  in  einem  und  demselben  Medium 
fortschreitend  betrachtet  werden,  da  das  Brechungsvermögen  der  Corneal- 
substanz  von   d(>m   des  Kammerwassers  nur  sehr  ivenig  verschieden  ist. 

Wegen  der  Kleinheit  des  Unterschiedes  in  dem  Brechungsvermögen  der 
auf  einander  treffenden  Medien  haben  auch  die  beiden  Oberflächen  der  Linse 
einen  nur  geringen  Einfluss  auf  den  Gang  der  Lichtstrahlen.  Dass  der 
Krystall  dennoch  als  ein  ziemlich  stark  brechendes  Medium  wirkt ,  hat  seinen 
Grund  darin,  dass  die  Linse  aris  einer  grossen  Anzahl  von  Schichten  zusammen- 
gesetzt ist ,  deren  Brechungsvermögen  von  der  Peripherie  gegen  das 
Centrum  hin  ivächst,  dass  im  Inneren  des  Krystalles  selbst  also  eine  Anzahl 
von  Trennungsflächen  besteht,  welche  ihren  dioptrischen  Effect  gleichsam 
Summiren.  Wirklich  werden  vermöge  dieses  Baues  die  die  Linse  passi- 
renden  Strahlen  mehr  von  ihrer  ursprünglichen  Richtung  abgelenkt,  als 
wenn  der  Krystall  bei  vollkommen  homogenem  Gefüge  ein  Brechungs- 
vermögen gleich  dem  des  Kernes  hätte  (Senff,  Helmholtz).  So  geschieht  es, 
dass  parallel  auf  die  Cornea  auffallende  Strahlen  unter  normalen  \qy- 
hältnissen  in  der  lichtempfindenden  Schichte  der  Netzhaut  zur  Vereinigung 
kommen  können. 


Normaler,  rej^ulärer  Astigmatismus.  757 

5.  Eine  vollkommene  Vcrcinig-ung  der  von  einzelnen  Objectpunklcn 
ausgehenden  Lichtstrahlen  findet  jedoch  nicht  statt.  Abgesehen  von  der 
sehr  geringen  und  unter  normalen  Verhältnissen  ganz  unmerklichen  chromati- 
schen Abweichung  [Helmholtz,  Fick,  Pope)  werden  durch  den  asymmetrischen 
Bau  des  dioptrischen  Apparates  auch  ^Vberrationen  gleichfarbiger  Strahlen, 
also  monochromatische  Abiveichungen  {HclmhoUz)  veranlasst,  welche  unter  dem 
Namen   ,, Astigmatismus^^   beschrieben   worden   {Young,  Äiry). 

6.  Die  ellipsoidische  Form  der  Haupttrennungsflächen  bringt  es  mit  sich, 
dass  homocentrisches  Licht  in  den  verschiedenen  Meridianebenen  des  dioptri- 
schen Apparates  eine  ungleiche  Ablenkung  erfährt,  also  auch  in  verschiedenen 
Entfernungen  zur  Vereinigung  kömmt.  Diese  Art  der  monochromatischen 
Abweichung,  so  weit  sie  sich  blos  auf  Sti'ahlen  bezieht,  welche  in  ver- 
schiedenen Meridianebenen  gebrochen  worden  sind,  bekundet  in  ihren  Er- 
scheinungen eine  der  Grundform  der  Haupttrennungsflächen  entsprechende 
Gesetzmässigkeit  und  Einfachheit,  daher  sie  auch  als  regulärer  Astigmatismus 
beschi'ieben  wird.  Sie  findet  ihre  Hauptquelle  in  der  ellipsoidischen 
Krümmung  der  vorderen  Cornealoberfläche,  da  der  Brechwerth  derselben 
jenen  der  übrigen  Trennungsflächen  weitaus  überbietet.  Immerhin  ist 
auch  die  Linsenasymmetrie  von  bedeutendem  Einflüsse  imd  zwar  meistens 
in  correctivem  Sinne,  insoferne  die  Maxima  und  Minima  ihrer  Krümmung 
jenen  der  Cornea  entgegengestellt  zu  sein  pflegen.  Indem  jedoch  diese 
Gegenstellung  nur  selten  eine  annähernd  genaue  ist,  liegt  es  auf  der  Hand, 
dass  der  Ausgleich  minder  vollständig  sein  müsse,  als  den  Brechwerthen  der 
einzelnen  Linsenmeridiane  zukömmt.  Man  kann  eben  nur  sagen,  dass  der 
Astigmatismus  der  Cornea  für  sich  allein  im  Allgemeinen  bedeutend  {Reuss, 
Woinow)  grösser  sei,  als  jener  des  dioptrischen  Apparates  überhaupt;  keines- 
wegs aber,  dass  letzterer  dem  Unterschiede  zwischen  dem  Astigmatismus 
der  Cornea  und  der  Linse  entspreche  (Middelburg,  Donders).  Uebrigens 
finden  sich  auch  Fälle,  wo  die  Maxima  und  Minima  der  Convexitäten  in 
der  Cornea  und  Linse  sich  nähern  oder  gar  zusammenfallen,  wo  der 
Astigmatismus  beider  sich  also  summirt  (Knapp).  Auch  scheint  die 
corrective  Wirkung  der  Linse  bei  verschiedenen  Acommodationszuständen 
desselben  Auges  nicht  die  gleiche  zu  bleiben,  sondern  entsprechend  der 
Formveränderung  der  Linse  zu   wechseln  (Dobroivolsky,    Woinoio). 

Im  Grossen  und  Ganzen  gilt  also  die  Regel,  dass  die  Maxima  und 
Minima  der  Brechwerthe  im  dioptrischen  Apparate  von  der  vorderen  Horn- 
hautoberfläche beherrscht  werden,  dass  folgerecht  also  jene  Strahlen,  welche 
in  einem  dem  verticalen  nahen  Meridiane  auf  die  Coimea  trefi'en,  in  der 
kürzesten,  horizontal  divergirende  Lichtstrahlen  jedoch  in  der  grössten  Ent- 
fernung zur  Vereinigung  gebracht  werden. 

Um  diese  Form  des  Astigmatismus  richtig  aufzufassen,  ist  es  gut,  den  Gang 
der  Lichtstrahleji  im  dioptrischen  Apparate  einer  näheren  Betrachtung  zu  unter- 
ziehen. Ist  die  Brechnung  im  verticalen  Hauptschnitte  eine  wmaswuaZe,  im  Aoj'KontaZen 
eine  minimale,  so  wird  ein  Strahlenbiindel,  welches  von  einem  in  der  verlängerten 
optischen  Axe  gelegenen  Lichtpunkte  auf  die  Cornea  trifi"t,  nach  seinem  Durch- 
tritte durch  die  Pupille  und  die  Linse  nicht  mehr  einen  kr  eis  förmigen  Durchschnitt 
geben,  sondern  auf  einen  die  optische  Axe  unter  rechtem  Winkel  schneidenden 
Schirme  ein  elliptisches  Zerstreuungsbild  entwerfen,  dessen  lange  Axe  horizontal 
streicht  und  dessen  Excentricität  zimimmt,  wenn  der  Schirm  nacJi  hielten  weicht.  In 
einer  gewissen  Distanz  werden  dann  die  im  verticalen  Meridiane  auf  die  Hornhaut 
treffenden  Strahlen  sich  vereinigen,  während  die  übrigen  noch  convergiren,  der  Durch- 


758  Anomal.  A.  Refr.  u.  Accom. ;  Vorbegriffe;  Brennlinien;  Breunstrecken. 

schnitt  wird,  da  die  Zerstreuungsbilder  der  noch  convergirenden  Sectoren  des 
Strahlenbündels  sich  sämmtlich  in  einer  horizontalen  Linie  decken,  eine  loagrechte 
Linie  darstellen.  Jenseits  dieser  Linie,  der  vorderen  Brennlinie,  divergiren  die  im 
verticalen  Hauptschnitte  streichenden  Strahlen  bereits  wieder,  während  die  im  hori- 
zontalen Hauptschnitte  gelegenen  Strahlen  noch  convergiren,  das  Zerstreuungsbild 
auf  dem  Schirme  stellt  wieder  eine  liegende  Ellipse  dar,  deren  Excentricität  aber 
ahnimmt,  wenn  der  Schirm  nach  hinten  rückt,  und  an  einer  gewissen  Stelle  end- 
lich Nidl  wird,  so  dass  das  Zerstreuungsbild  also  die  Kreisform  gewinnt.  Es  ist 
dieses  zugleich  der  Ort,  an  welchem  die  Strahlen  verhältnissmässig  die  grösste  Con- 
centration  erleiden,  daher  er  auch  mit  einigem  Rechte  als  mittlere  Brennweite 
oder  beziehungsweise  mittlere  Vereinigungstveiie  bezeichnet  werden  kann.  Jenseits 
dieser  Stelle  geht  die  Zerstreuungsfigur  wieder  in  eine  Ellipse  über,  deren  lange 
Axe  aber  lotlirecht  steht  und  deren  Excentricität  loäclist,  wenn  der  Schirm  nach 
hinten  weicht,  bis  endlich  die  im  horizontalen  Hauptschnitte  sireichenden  Strahlen 
zur  Vereinigung  kommen  und  der  senkrechte  Durchschnitt  des  Strahlenbündels,  wegen 
gegenseitiger  Deckimg  der  im  verticalen  und  in  den  schrägen  Meridianebenen  ge- 
Isrochenen  Sectoren,  eine  lothrechle  Linie  (die  hintere  Brennlinie)  darstellt,  lieber 
diese  Linie  hinaus  wird  die  Zerstreuungsfigur  abermals  eine  Ellipse  mit  lothrechter 
langer  Axe  (Knapp,  DondersJ. 

Ein  genaueres  Eingehen  in  die  Refractionsverhältnisse  des  dioptrischen  Appa- 
rates ergibt,  dass  nur  die  Brennpunkte  der  in  beiden  Hauptschnitten  gebrocheneu 
Strahlen  in  die  optische  Axe  fallen;  dass  dagegen  die  Brennpunkte  der  übrigen 
Strahlen  in  einer  windschiefen  Fläche  liegen,  welche  die  beiden  Brennlinien  mit  ein- 
ander verbindet.  Weiters  lehrt  es,  dass  die  Länge  der  vorderen  Brennlinie  zur  Länge 
der  hinteren  sich  verhalte,  wie  die  Brennweite  des  stärker  gekrümmten  Haupt- 
schnittes zur  Brennweite  des  schwächer  gekrümmten,  dass  also  die  vordere  Brenn- 
linie kürzer,  als  die  hintere  sei.  Endlich  geht  daraus  hervor,  dass  der  kreisförmige 
Querschnitt,  also  der  Ort  der  grössten  Concentration  des  im  dioptrischen  Apparate 
gebrochenen  homocentrischen  Strahlenbündels,  der  vorderen  Brennlhiie  näher  und 
zwar  um  so  näher  liege,  je  grösser  die  Differenz  der  beiden  Brennlinien  ist  (K^iapp, 
DondersJ. 

Streng  genommen  sollte  man  also  nicht  von  einer  Brennweite  des 
dioptrischen  Apparates,  sondern  immer  nur  von  einer  Brennstrecke  sprechen, 
deren  T^änge  im  concreten  Falle  gleich  ist  dem  Unterschiede  der  Brennweiten 
der  beiden  Hauptschnitte,  also  im  Verhältnisse  zur  KrümmungsdifFerenz  der 
letzteren  wächst  und  abnimmt;  höchstens  könnte  man  als  Brennweite  eine 
Stelle  innerhalb  der  Brennsfrecke  anerkennen,  an  welcher  die  Strahlen  die 
grösste  Concentration  erleiden  und  welche  der  vorderen  Grenze  der  Brenn- 
strecke näher  als  der  hinteren  liegt  {Knapp).  In  der  ßegel  jedoch  sind 
die  Unterschiede  der  Brennweite  beider  Hauptschnitte  sehr  gering ,  daher 
man  sie  bei  der  Darstellung  der  Refractionsverhältnisse  füglich  vernach- 
lässigen und  eine  gemeinschaftliche  Brennweite  für  homocentrisches  Licht 
voraussetzen  kann. 

In  der  That  ist  die  Abweichung  der  in  verschiedenen  Meridianebenen 
des  Auges  gebrochenen  Strahlen  gewöhnlich  viel  zu  gering,  als  dass  sie  das 
scharfe  Sehen  beeinträchtigen  könnte,  es  bedarf  genauer  Experimente,  um 
selbe  deutlich  nachweisen  zu  können.  Man  findet  dann  in  Uebereinstim- 
mung  mit  dem  Mitgetheilten,  dass  die  meisten  Menschen  verticale  Linien 
und  einen  durch  eine  horizontale  stenopäische  Spalte  betrachteten  Lichtpunkt 
in  grösserer  Distanz,  horizontale  Linien  und  einen  durch  eine  verticale  steno- 
päische Spalte  betrachteten  Lichtpunkt  in  kürzerer  Distanz  scharf  sehen; 
dass  sie  weiters  einen  Lichtpunkt  in  horizontaler  oder  verticaler  Richtung 
verzogen  sehen,  je  nachdem  dessen  wirkliche  oder,  bei  Benützung  von  Brillen- 
gläsern,    scheinbare    Entfernung    um  ein   Gewisses  zu-   oder  abnimmt,   wobei 


Unregelmässiger  Astigmatismus;  Monociil.  Diplopie  n.  Polyopie;  Lichtempfind.  Stratum.       759 

natürlich  immer  vorausgesetzt    wird,    dass  die    Einstellung  des  dioptrischen 
Apparates  unverändert  dieselbe  bleibe. 

7.  Die  Krümmungsunregelmässigkeiten  der  einzelnen  Linsensectoren 
im  Vereine  mit  der  häufig  ungenauen  Ceutrirung  der  Haupttrennungsilächen 
begründen  monochromatische  AbeiTationeii,  welche  im  hohen  Grade  complicirt 
sind  und  nicht  nur  Strahlen  betrofTen,  welche  in  verschiedenen  Meridian- 
ebenen des  Auges  gebrochen  worden  sind,  sondern  auch  Strahlen,  welche 
in  einem  und  demselben  Meridiane  auf  die  Cornea  fielen.  Es  sind  diese  Ab- 
weichungen, der  unregelmüssige  Astigmatismus,  in  Uebereinstimmung  mit  der 
Geringfügigkeit  der  genannten  Formmängel  und  entsprechend  dem  relativ 
schwächeren  Brechungsvermögen  des  Krystalles,  unter  normalen  Verhält- 
nissen noch  weniger  störend,  als  jene,  welche  durch  den  asymmetrischen 
Bau  der  Hornhaut  begründet  werden,  treten  jedoch  unter  gewissen  Um- 
ständen sehr  deutlich  hervor.  Die  sternförmige  Zerstreuungsfigur ,  in  welcher 
hell  leuchtende  punktförmige  Objecte,  die  Sterne  und  selbst  entfernte  kleine 
Flammen,  wahrgenommen  werden,  so  wie  die  monoculare  Verdoppelung 
und  Vervielfältigung  der  Bilder  (Diplopia  und  Polyopia  monocularis  H.  Meyer) 
beruhen  darauf,  wie  daraus  hervorgeht,  dass  diese  Erscheinungen  bei  Apha- 
kie fehlen  (Donders),  keineswegs  aber  verschwinden,  wenn  der  Brechwerth 
der  Hornhaut  durch  Eintauchen  des  Auges  in  Wasser  auf  N'uU  gesetzt 
wird   (Young). 

Es  macht  sich  der  normale  nnregelmässige  Astigmatismus  am  auffälligsten 
geltend,  wenn  ein  von  der  Umgebung  stark  abstechender,  hell  leuchtender  oder 
dunkler  Punkt  aus  Entfernungen  betrachtet  wird,  für  welche  das  Auge  nicht  ein- 
gestellt werden  kann,  zumal  wenn  gleichzeitig  die  Pupille  erweitert  ist.  Ein  stark 
leuchtender  Punkt  zeigt  sich  dann  stets  in  Gestalt  eines  verzogenen  strahligen  Sternes, 
dessen  grösster  Durchmesser  sich  dem  verticalen  oder  horizontalen  Meridiane  nähert, 
je  nachdem  das  Object  jenseits  oder  diesseits  der  deutliclien  Sehweite  des  Auges  ge- 
legen ist.  Bei  minder  hellen  oder  dunklen  punktförmigen  Objecten  werden  nur  die 
gesättigtsten  Theile  der  Zerstreuungsfigur  wahrgenommen,  diese  zerfällt  daher  in  eine 
Anzahl  gesonderter  Bilder.  Die  gleiche  Ursache  liegt  auch  der  Verdoppelung  und 
Vervielfältigung  von  Linien,  der  Mondsichelhörner  u.  s.  w.  zu  Grunde  (Helmholtz, 
Donders). 

8.  Das  lichtempfindende  Stratum  der  Netzhaut  besteht  aus  einer 
Unzahl  von  einfachen  Elementen,  Zapfen  und  Stäben,  welche  mosaikartig 
aneinander  gedrängt  stehen  und  ihre  Grundfläche  der  inneren  Oberfläche 
der  Retina  zukehren.  Ihre  Wände  spiegeln,  sie  werfen  alle  schief  auf- 
fallenden Lichtstrahlen  in  das  Innere  der  Elemente  zurück  iind  hindern 
so,  dass  die  Lichtstrahlen  aus  einem  Elemente  in  das  andere  übertreten 
(Brücke). 

Jeder  einzelne  Stab  und  Zapfen  kann  seiner  elementaren  Einfachheit 
halber  nur  den  gemischten  Totaleindruck  sämmtlicher  Lichtstrahlen,  welche 
ihn  jeweilig  treffen,  zur  Wahrnehmung  bringen  ;  eine  Sonderung  der  einzelnen 
gleichzeitigen  Eindrücke  ist  in  einem  einfachen  Elemente  kaum  denkbar ; 
ja  die  Stäbe  können,  da  immer  mehrere  derselben  durch  einen  einfachen 
Nervenfaden  mit  dem  Gehirne  zusammenhängen,  höchst  wahrscheinlich 
nicht  einmal  ihre  Einzelneindrücke  scheiden,  sondern  führen  gruppenweise 
einen  aus  sämmtlichen  Theileindrücken  gemischten  Totaleindruck  dem  Gehirne  zu. 

Insoferne  jedes  einzelne  lichtempfindende  Element  der  Netzhaut  unter 
normalen  Verhältnissen  eine  ganz  unabänderliche  Lage  zum  optischen  Mittel- 
punkte des  Auges  behauptet,  kann  es,   die  richtige  Einstellung   des  Brech- 


760  Aiiom.  d.  Refr.  «.  Accoin.;  Vorbegriffe ;  Lichtempflnd.  Stratum;  Riclituugslinien. 

apparates  vorausgesetzt,  immer  nur  von  directen  Strahlen  getroffen  werden, 
welche  aus  einer  gewissen  Aichung  des  Gesichtsfeldes  divergiren.  Es  gilt 
nämlich  für  das  Auge  annähernd  genau,  was  für  einfache  sphärische 
Linsen  Gesetz  ist,  nämlich  dass  die  einzelnen  Objecfpunlcte  und  die  zuge- 
hörigen Bildpwikte  auf  geraden  Linien  liegen,  welche  das  Linseneentrum 
schneiden.  Was  bei  einfachen  Linsen  Axe  und  Hauptstrahl  heisst,  wird 
mit  Rücksicht  auf  das  Auge  Gesichtslinie  und  Richtungslinie  oder  Richtungs- 
strahl geheissen. 

Genau  genommen  wird  die  Lage  des  Netzhautbildpunktes  durch  zwei  Linien 
bestimmt,  deren  eine  vom  Objectpuukte  zum  vorderen  Knotenpunkte  zieht,  die  andere 
jjarallel  zur  ersteren  vom  hinteren  Knotenpunkte  auf  die  Netzhaut  geführt  wird 
(Listing).  Da  aber  beide  Knotenpunkte  ziemlich  nahe  an  einander  liegen,  kann 
man  beide  ohne  erheblichen  Fehler  als  zusammenfallend  betrachten.  Dieser  einfach 
gedachte  Knotenpunkt  ist  ni\n  der  optische  Mittelpunkt  des  Auges  und  der  Kreuzungs- 
punkt der  Richtungslinien, 

Richtungslinien  und  Sehrichtungen  sind  ganz  verschiedene  Begriffe.  Erstere 
beziehen  sich  auf  den  Gang  der  ohjectiven  Lichtstrahlen  und  können  auch  Lichtlinien 
genannt  werden.  Sie  bestimmen  durch  ihre  Richtung,  auf  die  Gesichtslinie  bezogen, 
die  gegenseitige  Lage  des  Objectpunktes  und  Bildpunktes  im  monocidaren  Gesichts- 
felde und  auf  der  Netzhautfläche.  Die  Sehrichtungen  hingegen  deuten  auf  den  Ort 
im  absoluten  Räume,  nach  welchem  hin  die  Netzhäute  die  Eindrücke  ihrer  em- 
pfindenden Elemente  versetzen.  Richtungslinien  und  Sehrichtungen  können  niemals 
zusammenfallen,  dagegen  aber  um  ein  Bedeutendes  von  einander  abweichen  (Siehe 
Muskeln). 

Da  die  Zapfen  und  Stabgruppen  der  Aussenwelt  nicht  sowohl  Punkte, 
als  vielmehr  Flächen  zukehren,  so  ist  es  klar,  dass  jedem  einzelnen  Ele- 
mente oder  Elementencomplexe  nicht  ein  Punkt,  sondern  ein  seiner  Grund- 
fläche proportionirter  aliquoter  Theil  des  Gesichtsfeldes  zugehöre,  dass  dem- 
nach das  Gesichtsfeld  in  eben  so  viele  Theile  zerfalle,  als  es  in  der  Netzhaut 
Stäbegruppen  und  Zapfen  gibt.  Die  relative  Grösse  dieser  Theile  oder  Aichungen 
des  Gesichtsfeldes  steht  im  Verhältnisse  zur  Grundfläche  der  zugehörigen  Ele- 
mente. Im  Centrum  des  Sehfeldes  sind  sie  kleiner,  da  die  Grundfläche  der 
Zapfen  sich  daselbst  um  ein  sehr  Bedeutendes  vermindert  und  die  Stäbe 
gänzlich  fehlen.  Die  absolute  Ausdehnung  der  Aichungen  jedoch  steht  im 
Verhältnisse  zur  Grösse  des  ganzen  Gesichtsfeldes,  also  auch  zur  Länge  der 
auf  seine  Begrenzungsfläche  gezogenen  Richtungslinien. 

Es  ergibt  sich  hieraus  unmittelbar,  dass  zwischen  den  optischen  Quali- 
täten der  objectiven  Netzhautbilder  und  den  subjectiv  wahrgenommenen 
optischen  Eigenschaften  der  entsprechenden  Gegenstände  ein  grosser  Unter- 
schied besteht.  Während  nämlich  das  TSTetzhautbild  die  Oberfläche  des 
Objectes  bis  in  das  feinste  Detail  wiedergibt,  indem  einem  jeden  Punkte 
der  letzteren  ein  Punkt  des  ersteren  entspricht :  wird  nicht  jeder  Punkt  des 
Netzhautbildes  für  sich  und  gesondert  empfunden,  sondern  es  werden  nur 
so  viele  und  nicht  mehr  gesonderte  Theilwahr nehmungen  vermittelt,  als  Zapfen 
und  Stabgruppen  von  dem  Netzhautbilde  bedeckt  werden.  Folgerecht  hängt 
die  Feinheit  des  wahrgenommenen  Details  eines  bestimmten  Objectes  einer- 
seits von  der  relativen  Grösse  des  Netzhauthildes  oder  des  Gesichtswinkels 
ab,  unter  welchem  das  Object  gesehen  wird ;  es  muss  das  Object  dem  Auge 
also  um  so  näher  gerückt  werden,  je  feiner  das  Detail  ist,  welches  zur 
Wahrnehmung  gebracht  werden  soll.  Andererseits  ist  auch  der  Ort,  auf 
welchem  das  Netzhautbild  entworfen  wird,  von  grösstem  Einflüsse.  Im 
Centrum  der  Retina,  wo    blos  Zapfen    die    äusseren    Eindrücke    aufnehmen, 


1 


Indirectes  Sehen;  Sehscliarfe  u.  deren  Messung,  7fil 

ist  die  Fähigkoii,  Theilwalirnehmunffen  zu  sondern,  am  grössten;  daher  Objcu;- 
ten,  welche  mögUch.st  genau  gesehen  wcfdeii  wollen,  immer  die  Mitte  der 
Retina,  die  Stelle  des  ,,directen  Sehens^'  zugewendet  werden  rauss.  Gegen 
die  Peripherie  hin  nimmt  diese  Fähigkeit  der  Netzhaut,  entsprechend  der 
Verminderung  der  Zapfen  und  der  Vergrösserung  der  Grundflächen  der 
einzelnen  Stabgruppen,  sehr  bedeutend  ab  und  zwar  rascher  in  verticaler  als  in 
horizontaler  Kichtung  {Auhert,  Förster) ;  docli  ist  die  Schärfe  des  „indirecten 
Sehens"  durch  IJebung  hebbar,  Avährend  sie  durch  Vernachlässigung  sinkt 
(Moser).  Im  Bereiche  des  Sehnerveneintrittes  fehlen  die  licht  empfindenden 
Elemente  ganz,  daher  denn  auch  eine  au  Grösse  proportionirte  Aicliung 
des  Gesichtsfeldes  leer  erscheint,  aber  wegen  der  untergeordneten  Rolle, 
welche  die  betreffende   Stelle  im  Sehfelde  spielt,   unbeachtet  bleibt  (Woinow). 

Gegen  die  Aniialime  der  Zapfen  als  Seheinheiten  haben  sich  Bedenken  er- 
hoben, indem  man  ihre  Grundflächen  zu  gross  fand,  als  dass  sie  die  erfahrungs- 
massige  Genauigkeit  in  der  Sonderung  von  Einzelneindrücken  erklären  köimte 
(Volkmann).  Es  genügt  indessen  der  Durchmesser  der  Grundfläche,  wie  er  neuer- 
lich an  den  Zapfen  der  Fovea  centralis  gefunden  worden  ist  (M.  SchuUze,  H.  Mülle)', 
Welke)-),  vollkommen,  um  die  gesonderte  Wahrnehmung  von  Objecten,  deren  gegen- 
seitiger Abstand  nahe  an  60  Secunden  beträgt,  zu  ermöglichen  [Hehnholtz,  Berg- 
mann), besonders  wenn  es  sich  bestätigt,  dass  das  Gesichtsfeld  der  Macula  lutea 
lückenhaft  ist  (Hensen). 

Die  Sehschärfe  oder  das  Mass  der  Fähigkeit,  Einzelneindrücke  ge- 
sondert zur  Wahrnehmung  zu  bringen,  ist  übrigens  nicht  in  allen  Fällen 
eine  gleich  grosse.  Der  zur  Trennung  erforderliche  Gesichtswinkel  schwankt 
vielmehr  schon  in  normalen  Augen  merklich  und  bei  krankhaften  Zuständen 
wird  der  Unterschied  häufig  ein  sehr  bedeutender. 

Es  knüpft  sich  an  diese  Aenderungen  ein  hohes  praktisches  Interesse,  daher 
man  schon  seit  Längerem  nach  Behelfen  geforscht  hat,  um  den  fraglichen  Winkel 
in  jedem  Falle  leicht  messen  und  so  das  Verhältniss  der  vorhandenen  centralen  Seh- 
schärfe zu  einem  angenommenen  normalen  Werthe  durch  Zahlen  ausdrücken  zu 
können.  Für  praktische  Zwecke  reichen  Schriftprohen  aus.  Da  es  sich  bei  diesen 
immer  nur  um  kleine  Winkel  handelt,  gibt  die  Höhe  der  Buchstaben,  getheilt  durch 
den  grössten  Abstand,  in  welchem  dieselben  noch  deutlich  erkannt  werden,  ziemlich 
genau  die  Tangente  des  gesuchten  Winkels.  Im  Allgemeinen  lassen  sich  nun 
5  Minuten  als  der  kleinste  Gesichtswinkel  betrachten,  unter  welchem  eine  Druck- 
schrift noch  geläufig  gelesen  werden  kann.  Man  pflegt  darum  5  Minuten  als  den 
Normalicinkel  anzusehen  und  die  Sehschärfe  auszudrücken  durch  das  Verhältniss  des 
grössten  Abstandes,  in  welchem  Buchstaben  von  gewisser  Höhe  deutlich  gesehen 
werden,  zu  dem  Abstände,  in  welchem  dieselben  Buchstaben  sich  unter  dem  Normal- 
winkel von  5  Minuten  zeigen  (Snellen).  Um  den  Rechnungsoperationen  zu  ent- 
gehen, welche  beim  Gebrauche  heliehiger  Drucksorten  nothwendig  werden  und  auch, 
um  immer  möglichst  durchsichtige  Werthe  für  die  Sehschärfe  zu  gewinnen,  hat  man 
eigene  Schriftprolen  angefertigt,  deren  kleinste  bei  einer  Höhe  h  von  O.jog'"  Pariser 
Mass  auf  eine  Entfernung  d  von  1  Pariser  Fuss  =  144'"  einen  Winkel  von 
5  Minuten  ergibt,  jede  folgende  aber  ein  Vielfaches  dieser  Normalhöhe  misst.  Der 
Vergrösserungscoefftcient  ist  als  Nummer  jeder  einzelnen  Probe  vorgesetzt,  gibt  gleich- 
zeitig also  auch  die  Anzahl  Pariser  Fusse  an,  auf  welche  das  Object  vom  Auge  ent- 
fernt werden  muss,  auf  dass  es  unter  dem  Norraalwinkel  von  ö  Minuten  erscheine. 
Ein  normalsichtiges  Auge  soll  daher  die  Proben  1,  2,  .3,  n,  auf  1,  2,  3,  n  Paris.  Fuss 

Distanz  deutlich  erkennen,  indem  ~r  tA  ^-^  ^—3  =  tang.  5'  ist.  Fände  sich  bei 
dem  Versuche,  dass  ein  Auge  auf  2d  nicht  2h,  sondern  blos  4/i  und  auf  ^d  blos 
8  h  deutlich  sieht,  so  wäre  offenbar  —-r  --,  :=  2  tang.  5';  der  erforderliche  Gesichts- 
winkel überstiege  das  Normale  um  das  Doppelte,  die  Sehschärfe  wäre  demnach  auf 
die  Hälfte  gesunken  (Snellen). 

Es  hat  diese  Methode  offenbar  etwas  überaus  Bequemes.  Doch  liefert  sie 
keineswegs  Werthe,    welche  auf  grosse   Schärfe  Anspruch    erheben  können.    Es  ist 


762  Anomal,  der  Eefr.  u.  Accom.;  Vorbegriffe;  Messung  der  Sehschärfe. 

nämlich  der  Normalwinkel  von  5  Minuten  für  Individuen  unter  25  Jahren  etwas  zu 
gros.s  gewählt  ( F)'oe607iiJ.  Durch  Verkleinerung  desselben  und  durch  gleichmässigere 
Vertheilung  der  Schattenstriche  nnd  leeren  Zwischenräume  (Giraud  Teulon)  wird 
die  Messung  wohl  genauer,  bleibt  aber  immer  noch  unsicher.  Es  hat  nämlich  schon 
die  Beleuchtung  des  Gesichtsfeldes,  ja  sogar  die  QualWdt  künstlicher  Beleuchtungs' 
Stoffe  (Heymann ,  Sussdo7-fJ  einen  sehr  bedeutenden  Einfluss  auf  die  Uuter- 
suchungsergebnisse ,  so  dass  dasselbe  Auge  unter  einigermassen  verschiedenen 
äusseren  Verhältnissen  recht  grosse  Unterschiede  in  der  Sehschärfe  nachweisen 
kann.  Auch  kömmt  die  grössere  oder  geringere  Uehung  im  Lesen  in  Betracht.  Sie 
ist  insoferne  ein  sehr  störendes  Moment,  als  sie  Vielen  es  möglich  macht,  Buch- 
staben auch  bei  wenig  deutlicher  Wahrnehmung  aus  den  Schattenumrissen  zu  erkennen. 
Endlich  sind  die  für  die  Sehschärfe  gefundenen  Zahlenwertlie  keine  solchen,  welche 
Rechnungsoperationen  ertragen,    ohne  ihre   Giltigkeit  zu  verlieren.     Es  ist  nämlich 

eine  gefundene  Sehschärfe  ^  "^  -g-  durchaus  nicht  gleich -,-,  indem  Augen,  welche 
auf  die  20fache  Normalentfernung  eine  Schriftprobe  von  lOfacher  Normalhöhe  er- 
kennen, keineswegs  nothwendig  2A  auf  d,  4/t  auf  2d  n.  s.  w.  deutlich  sehen  und 
umgekehrt.  Die  in  den  meisten  Büchern  angeführten  Werthe  der  Sehschärfe  geben 
daher  keineswegs  einen  Einblick  in  die  wirklieh  vorhandenen  Verhältnisse,  auch 
wenn  man  davon  absieht,  dass  die  jeweilige  Beleuchtungsintensität  des  Gesichtsfeldes 
und  anderer  einflussreicher  Nebenmomente  dabei  ganz  vernachlässigt  sind.  Um  ein 
einigermassen  zutreffendes  Bild  von  der  Sehschärfe  des  Netzhautcentrums  zu  ent- 
werfen, muss  jede  Reduction  des  Bruches  gemieden  werden. 

Den  Besitzern  der  Jaeger'sclien  Schi-iftscalen  möge  zur  Richtschnur  dienen, 
dass  Nr.  I  auf  14",  II  auf  19",  III  auf  28'"',  IV  auf  33",  V  auf  35",  VI  auf  38", 
VII  auf  4',  VIII  auf  4-5',  IX  u.  X  auf  circa  5',  XI  auf  55',  XII  auf  6-75',  XIII 
auf  7-5',  XIV  auf  10',  XV  auf  13-5',  XVI  auf  17o',  XVII  auf  24',  XVIII  auf  30', 
XIX  auf  37'  und  XX  auf  44'  Distanz  unter  einem  Winkel  von  5  Minuten  er- 
scheint (Zehender). 

Sehproben  mit  mannigfaltig  gruppirten  Punkten  sowie  mit  parallelen  Strichen 
(Biirchardt)  sind  zur  Ermittelung  der  Sehschärfe  iceniger  tauglich,  da  dieselben 
vermöge  der  Einfachheit  der  Objecte  leicht  unter  einem  viel  geringeren  Gesichts- 
winkel als  5  Minuten  erkannt  werden. 

Die  Bemessung  der  Sehschärfe  soll  immer  mit  freiem  Auge  vorgenommen 
werden.  Ist  das  zu  untersuchende  Auge  mit  einem  Concav-  oder  Convexglase  be- 
icaffnet,    so  muss  der   Vergrösserungs-,  beziehungsweise    der   Verkleinerungscoefficient 

mit  in  Rechnung  gebracht  werden.    Es  ist  der  Letztere   für  Convexgläser  —^ ,     für 

Concavgläser  —j—,  wo  v  die  Vereinigungsweite  bezüglich  des  Glases  und  c  den 
Ahstand  desselben  vom  optischen  Mittelpunkte  des  Auges  bedeutet.  Es  ist  dieser 
Coefficient  bei  starken  Gläsern,  wie  die  Formel  angibt,  von  hoher  Bedeutung  für 
die  Netzhautbildgrösse  und  fällt  darum  auch  bei  der  Ermittlung  der  Sehschärfe 
sehr  in's  Gewicht  (Woinow). 

9.  Es  ist  klar,  dass  nahezu  scharfe  Bilder  auf  der  vorderen  Fläche  der 
Stabschichte  entworfen  werden  müssen,  wenn  die  zugehörigen  Objecte  in 
ihren  Umrissen  und  in  ihrem  Detail  deutlich  wahrgenommen  werden  sollen. 
Fallen  nämlich  Zerstreuungskreise  von  einigem  Durchmesser  auf  jene  Fläche, 
so  wird  das  aus  jeder  einzelnen  Aichung  des  Gesichtsfeldes  zum  Auge  ge- 
langende Licht  auf  eine  grössere  oder  geringere  Anzahl  von  Zapfen  und 
Stabgruppen  vertheilt,  umgekehrt  aber  jeder  Zapfen  und  jede  Stabgruppe 
von  Licht  aus  verschiedenen  Aichungen  des  Gesichtsfeldes  getroffen  und  sonach 
das  Detail  der  Objecte  auch  in  der  Wahrnehmung  vermischt.  Es  werden 
daher  die  wahrgenommenen  Bilder  undeutlich  und  dieses  zwar  im  Verhält- 
nisse zur  Grösse  der  Zerstreuungskreise,  also  im  Verhältnisse  zur  Grösse  der 
Pupille  und  zur  Grösse  des  Abstandes  der  Bilder  von  der  vorderen  Fläche 
der  Stabschichte  oder  zur  Grösse  der  „Differenz  der  hinteren  Vereinigungsweite". 

Immerhin  müssen  die  Zerstreuungskreise  einen  gewissen  Durchmesser  erreichen, 
soll  das  Bild  eip   undeutliches  werden.     Sehr  kleine   Zerstreuungskreise  beeinflussen 


Accoramoclationslinien ;  Verarbeitung  der  Zerstremingslfreise ;  Fern-  u.  Nahepunkt.  763 

die  Deutlichkeit  der  Wahnielunungcn  nur  in  f!elir  geringem,  fast  unmerklichen  Grade, 
da  sie  zu  wenig  Licht  aus  den  einzelnen  Aiclmn<;-en  des  Gesichtsfeldes  auf  die  den 
nachbarlichen  Aichuni;-en  zuf^ehörif^'en  Elemente  der  Netzhaut  werfen,  als  dass  da- 
durch die  Qualität  der  von  den  einzelnen  Zajjfen  und  Htabgruppen  gewonnenen 
Theilwahrnehvmngen  wesentlich  alterirt  werden  könnte.  Es  folgt  daraus,  dass,  wenn 
der  dioptrische  Apparat  für  eine  gewisse  Entfernung  eingestellt  ist  und  bleiht,  das 
Obj(?ct  innerhalb  gewisser  bestimmter  Grenzen  seine  Entfernung  ivechseln  könne, 
ohne  dass  die  Wahrnehmungen  merJdich  an  Deutlichkeit  verlieren;  dass  das  Auge 
sonach  niemals  für  eine  einzige  Distanz  eingestellt  sei,  sondern  für  eine  Distanz- 
differenz, welche  man  Accomviodationslinie  nennt  und  deren  Grösse  im  umgekehrten 
Verhältnisse  zur  jeweiligen  Brennweite  des  dioptrischen  Apparates  und  zum  Durch- 
messer der  Pujnlle  zu-  und  abnimmt  (C^:ermak).  Auch  erklärt  sich  daraus,  dass  die 
ellipsoidische  Gestaltung  der  Haupttreinuingsflächcn  in  der  Kegel  das  Scharfsehen  nicht 
beirrt,  dass  der  Astigmatismus  nur  dann  störend  hervortritt,  wenn  der  Unterschied  in 
den  Refractionszuständen  beider  Hauptschnitte  oder  der  P^i.pillendurchmesser  eine 
gewisse  Grösse  erreicht. 

Andererseits  kann  die  Undeutlichkeit  unter  sonst  normalen  Verhältnissen 
niemals  eine  ganz  absolute  werden,  indem  die  Grösse  der  Zerstreuungskreise  nur 
innerhalb  verhältnissmässig  enger  Grenzen  wandelbar  ist.  Wenn  nämlich  auch 
das  Object  bis  in  die  vordere  Brennweite  der  Cornea,  also  in  eine  Distanz  von 
ivenigen  Linien  ans  Auge  heranrückte,  so  dass  die  ^inxMew  parallel  in  das  Kam- 
merwasser ausführen,  so  würden  die  letzteren  durch  die  Linse  dennoch  in  einer 
Entfernung  von  etwas  mehr  als  einem  Zolle  hinter  der  Netzhaut  zur  Vereinigung 
gebracht.  Der  Durchmesser  der  Zerstreuungskreise  erreicht  unter  gewöhnlichen  Ver- 
hältnissen in  Folge  dessen  kaum  jemals  die  Grösse  des  Pupillendurchmessers.  Daher 
kömmt  es,  dass  trotz  ganz  unrichtigen  Einstellungen  des  lichtbrechenden  Apparates 
grössere  Objecte  immer  noch  nach  ihren  Hauptumrissen  und  in  ihren  gröberen 
Theilen  erkannt  werden  können ,  dass  ihre  Grenzen  nur  mehr  oder  weniger  ver- 
waschen  erscheinen. 

Selbstverständlich  lassen  sich  diese  Fehler  einigerniassen  verbessern  durch  Ver- 
engerimg der  Pupille  oder  der  Lidspalte,  so  vvie  durch  Benützung  eines  Schirmes  mit 
enger  Oeffnung.  Ausserdem  kömmt  noch  ein  anderes  physiologisches  Moment  in  Rech- 
nung, nämlich  die  Fähigkeit,  Zerstreuungskreise  zu  verarheiten,  d.  i.,  aus  verschwommenen 
Bildern  die  ivahre  Gestalt  der  Objecte  durch  Urthcil  zu  construiren.  Es  ist  diese 
Fähigkeit  in  verschiedenen  Augen  verschieden  gross  und  kann  durch  Uebung  bis  zu 
einem  sehr  hohen  Grade  gesteigert  werden  (Graefe).  Immerhin  jedoch  bleiben  dieses 
NothbeheJfe,  welche  nicht  zureichen,  um  in  allen  Fällen  bestimmte  und  deutliche 
Wahrnehmungen  kleiner  Objecte  und  des  feineren  Details  grösserer  Gegenstände  zu 
ermöglichen. 

10.  Die  Fähigkeit  des  Auges,  in  wrsoÄzerZeMe  Entfernungen  scharf  und 
deutlich  zu  sehen,  sezt  das  Vermögen  voraus,  die  Brennweite  des  dioptrischen 
Apparates  innerhalb  gewisser  Grenzen  willkürlich  zu  verkürzen  und  wieder 
auf  das  frühere  Mass  zu  verlängern,  solchermassen  also  die  aus  dem 
Wechsel  der  Objectsdi stanzen  erwachsenden  Differenzen  der  hinteren  Ver- 
einigungsweite auszugleichen.  Man  nennt  dieses  Vermögen  des  Aitges, 
seinen  dioptrischen  Apparat  je  nach  Bedarf  für  verschiedene  Entfernungen 
einzustellen,    das  Accommodations-   oder  Adaptionsvermögen. 

Die  Entfernung,  für  welche  das  Auge  bei  völliger  Entspannung  des 
Accommodationsmuskels  eingestellt  ist,  heisst  der  Fempunktahstand  und  dessen 
reciproker  Werth  bezeichnet  den  natürlichen  oder  minimalen  Brech-  oder 
Refractionszustand.  Die  Entfernung  hingegen,  für  welche  der  lichtbre- 
chende Apparat  durch  das  Maximum  der  möglichen  Accommodationsanstren- 
gung  eingestellt  wird,  ist  der  Nahepimktah stand.  Der  Fernpunkt  und  der 
Nahepunkt  selbst  sind  Punkte  der  verlängerten  Gesichtslinie  und  bilden 
die  Grenze  der  deutlichen  Sehweite.  Die  Differenz  der  reciproken  Werthe 
des  Fern-  und  Nahepunktabstandes  wird  Accommodationshreite  oder  Accommo- 
dationsaequivalent  (Donders^   genannt. 


764  Anomal,  tl.  Ki'tV.  u.  Acuom.;  VorbegritVe  ;  Refractioiiszustiinde  ;  Suhematisches  Auge. 

Mail    wird  sich    das  Verständui.ss    dieser  Verhältnisse    durch  Schematisirung 
des  Auges  erleichtern.  Es  sei  (Fig.  97)  eine  Kugelfläche  11  H  mit  dem  Radius  r  r 

Fig.  97. 


und  der  Axe  A  A  die  Treunungsfläche  zweier  brechender  Medien,  deren  ersteres 
die  Luft  ist,  das  zweite  aber  einen  Brechungsexponenten  besitzt,  welcher  die 
Ablenkung  der  auf  jene  Kugelfläche  auffallenden  Lichtstrahlen  jener  im  gesammten 
dioptrischen  Apparate  gleich  macht.  Es  gilt  für  jeden  beliebigen  auffallenden  Strahl 
xm,  ym,  zm  das  allgemeine  Brechungsgesetz  sin.  ol  =  n.  sin.  ß,  wo  a  den  Einfalls- 
ivinkel  und  ß  den  Brechungswinkel  bedeutet.  Da  zum  Scharfsehen  äusserer  Objecte 
die  Vereinigung  jedes  einzelnen  homocentrischen  Lichtbündels  auf  der  Netzhaut 
R  R  erforderlich  und  die  Länge  der  Bulbusaxe  h  c,  also  auch  die  Grösse  des 
Winkels  ß,  für  jedes  Auge  eine  bestimmte  ist:  so  liegt  es  auf  der  Hand,  dass  in 
obiger  Gleichung  n  im  Verhältnisse  zur  Grösse  des  Sinus  des  Einfallswinkels 
wachsen  und  fallen  müsse,  dass  dieser  Sinus  demnach  einen  Massstab  für  den 
Brechungs-  oder  Refractionszustand  N  :^  n.  sin.  ß,  welcher  zur  Vereinigung  homo- 
centrischer  Lichtbündel  auf  der  Netzhaut  erforderlich  ist,  liefert. 

Geht  man  von  dem  Einfallswinkel  y  =  p  paralleler  Strahlen  y  m  als  dem 
Normale  aus  und  setzt  man  y:=0,  daher -sin.  Y=0,  so  erscheint  in  obiger  Gleichung 
auch  ?i=0.  Fallen  dann  divergente  Stralileii  x  m  auf  die  Kugelfläche ,  wird  also 
der  Einfallswinkel  x  vi  r  grösser  als  0,  so  muss  selbstverständlich  auch  der  Sinus 
dieses  Winkels  und  das  n  jener  Gleicliung  grösser  als  0  werden,  der  erforderliche 
Refractionszustand  N  erscheint  jiositiv  und  um  so  grösser,  je  näher  die  Lichtquelle 
X  an  das  Auge  heranrückt.  Treffen  dagegen  convergente  Strahlen  z  m  auf  die 
Kugelfläche,  sinkt  also  der  Einfallswinkel  z  vi  r  unter  0,  so  wird  sein  Sinus  und 
damit  auch  das  n  der  Gleichung  kleiner  als  0,  der  erforderliche  Refractionszustand 
N  wird  negativ  und  erreicht  einen  um  so  bedeutenderen  negativen  Werth,  je  viehr 
die  Strahlen  convergiren,  je  7i'dher  also  ihr  Zielpunkt  g  an  den  optischen  Mittel- 
punkt des  Systemes  heranrückt. 

Man  sieht  deutlich  aus  dem  Vorhergehenden,  dass  der  erforderliche  Re- 
fractionszustand jV,  so  wie  n,  eigentlich  von  den  beiden  Winkeln  [j.  und  v  bestimmt 
wird  und  dass  N,  wenn  man  y  ^  0  setzt,  auch  durch  sin.  \j.  und  sin.  v  ausgedrückt 
werden  könne.  Es  ist  nun  wegen  dem  Parallelismus  von  yy  und  AA  der  Winkel 
[i.  =  0  und  V  =r  w.  Der  Refractionszustand  N  findet  unter  gleichen  Voraus- 
setzungen daher  auch  seinen  Ausdruck  in  dem  Sinus  des  Centriioinkels,  welchen 
der  betreffende  Strahl  mit  der  optischen  Axe  A  A  einschliesst.  Es  ist  nun,  da  es 
sich  wohl  immer  um  sehr  kleine  Centriwinkel  handelt,  xvi  =  xs  und  gvi  =  gs 
zu  setzen,  ohne  dass  damit  ein  wesentlicher  Fehler  in  die  Rechnung  gebracht 
würde.  Nimmt  man  im  schematischen  Auge  vis  als  Längenmasseinheit  im  Werthe 
einer  Linie,  eines  Zolles,  eines  Centimeters  u.  s.  w.  an,  so  erscheint  der  Sinus 
jenes  Difi'erenzwinkels  und  folglich  auch  iV  gleich  devi  reciproken  Werthe  des  posi- 
tiven oder  negativen  Ab.^fandes  der  Lichtquelle. 

Durch  die  Accommodationsthätigkeit  wird  der  Refractionszustand  des  Auges 
N  vermehrt,    indem   vermöge   der   Convexitätszunahme   der   Linse    der  Brechwerth 


AcfiiiiLmodatiiiiisbreitL' ;  Ai-ctPiiinKHbition.smintini ;  Eiiistellungsweithc.  765 

des  gesamniteu  Systomes  erhölit  wird.  Dies  auf  das  scliematische  Auge  bezof^en 
ergibt  eine  Vergrösserung  von  n  und  damit  aucli  des  sin.  a.  Insofern  das  Accom- 
modationsvermögen  ein  heschrünktes  ist,  wird  selbstverständlich  auch  der  sm.  a.  nur 
innerhalb  gewisser  Grenzen  schwanken  können.  Der  Unterschied  zwischen  dem 
Sinus  des  kleinsten  und  des  grössten  Einfallswinkels  oder,  was  dasselbe  ist,  die 
Differenz  zwischen  dem  minimalen  und  dem  maximaJen  Refractioiuznstande  oder 
zwischen  den  recijjvolcen  Werthen  des  Fern-  und  NalLepunklah Standes  ist  nun  das,  was 
man  Accommodationshreite  nennt. 

Die   Accommodationsbreite   botrüg-t    in   normal  funktionirenden   Augen 

jugendlicher  Individuen  häufig  über  -^,   fast    -^    und  selbst  mehr,   im  frühen 

Mannesalter  etwa   -,-    und  sinkt  im    Greisenalter  tief  unter  diesen    VVerth. 

5 

Ist  in  einem  Falle  der  F er npunldah stand  F  bestimmt,  so  lässt  sich 
mit  Hilfe  der  Accommodationsbreite  der  Nahepunldahstand  P  und  umgekehrt 
schätzen.  Der  minimale  Refractionszustand  mehr  der  Accommodationsbreite 
gibt  den  maximalen  Refractionszustand  und  dieser  iveniger  der  Accommoda- 
tionsbreite  den  minimalen. 

Derselben  Accommodationsbreite  entspricht  selbstverständlich  eine  ver- 
schiedene Länge  und  Lage  der  deutlichen  Sehweite.  Es  wird  die  letztere  um 
so  länger,  je  mehr  sich  der  minimale  Refractionszustand  in  positiver  oder 
negativer  Richtung  der  Null  nähert  und  je  grösser  die  Accommodations- 
breite selbst  ist. 

Im  Folgenden  sind  von  der  Linken  zur  Eechten  wachsende  viinimale  Re- 
fractionszustände  zusammengestellt  und  unter  jedem  derselben  der  zugehörige  maxi- 
viale  Refractionswerth,  welcher  sich  unter  der  Voraussetzung  einer  Accommodations- 
breite  —  ergibt,    gesetzt.     Der  Nenner    des  in  der    oberen  Zeile    stehenden  Bruches 

gibt  den  Fernpunktabstand,  der  Nenner  des  darunter  stehenden  Bruches    den    zuge- 
hörigen Nahepunktabstand. 


1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

2 

T 

4 

5" 

10 

20 

40 

QO 

40 

20 

10 

5 

~  T 

y 

^   2 

1 
1-42 

1 

1-87 

1 
2-2 

1 

2-5 

1 
3-3 

1 

T 

1 

4-4 

1 
5 

1 

1 

6i56 

1 

10 

1 

0^" 

1 

20 

1 

~    7^ 

1 

3-3 

Für  jeden  innerhalb  der  deutlichen  Sehweite  gelegenen  Punkt  vermag 
sich  das  Auge  einzustellen  und  zwar  gibt  der  reciproke  Werth  des  posi- 
tiven oder  negativen  Abstandes  dieses  Punktes  den  erforderlichen  Refrac- 
tionszustand oder  absoluten  Finstellungswerth.  Der  Accommodationswerth  oder 
der  relative  Einstellungswerth  wird  selbstverständlich  in  verschiedenen  Augen 
ein  verschiedener  sein,  je  nach  der  Grösse  des  minimalen  Refractiouszu- 
standes  und  kann  durch  die  Differenz  des  letzteren  und  des  absoluten  Ein- 
stellungswerthes  ausgedrückt  werden. 

Die  folgende  Tabelle  gibt  in  der  ersten  Zeile  eine  Reihe  von  minimalen 
Refractionszuständen  li,  in  der  zweiten  und    dritten  Zeile  die    zugehörigen  relativen 

Einstellungen       für  Distanzen  D  =  20  und   Z)  =  10  Masseinheiten. 


R - 

1 

1 

iö 

1 

20 

1 
^   40 

1 

~  ¥o 

1 

+ 

1 

60 

1 

+    40- 

1 

-^  Yo" 

1 
+    10 

-T 

~  für  D  =  20 

e 

1 

4 

1 

1 

1 
W-33 

1 

T5 

1 

Yo" 

1 

30 

1 

40 

H 

■}•) 

11 

-^  für  D  =  10 

e 

1 
3-33 

1 
5 

1 

6-66 

1 
8 

1 

8-58 

I 

10 

1 
12" 

1 

13-33^ 

1 

20 

0 

V 

Es  ist  übrigens  klar,   dass  eine  gleiche  relative  Einstellung  unter  sonst 
gleichen  Umständen    sehr  verschiedene  Accommodationsanstrengungen  ei'fordern 


766  Anomal,  d.  Refr.  u.  Accom. ;  Vorbegriffe ;  Accommodationsqnoten. 

werde  je  nach  der  Grösse  der  Accommodationshreite ;  dass  also  nicht  sowohl 
die  relative  Einstellung  als  solche,  als  vielmehr  die  für  eine  gewisse  Ob- 
jectsdistanz  nöthige  Äccommodationsquote  das  Mass  der  individuellen  Leistung 
bestimme.  Es  ist  aber  die  für  eine  bestimmte  Objectsdistanz  aufzuwen- 
dende Äccommodationsquote  um  so  grösser,  je  kleiner  die  Accommodations- 
hreite und  je  Meiner  der  minimale  Refractionszustand  des  betreffenden 
Auges  ist. 

Die  für  eine  hestimmte  absolute  Einstellung  erforderliche  Äccommodationsquote 
q  lässt    sich    nämlich    ausdrücken    durch    einen   Bruch,    dessen    Zähler    die  relative 

Einstellung  ,  der  Nenner  die  verfügbare  Accommodationsbreite  ist;  denn  es  ver- 
hält sich  oft'enbar 

—  :  q  =  —    :  1  iind  es  ist  q  =  — . 

e  ^  a  ^  e 

Aus  diesem  Ausdrucke  ergibt  sich  unmittelbar,  dass  die  für  eine  bestimmte 
absolute  Einstellung  nothvvendige  Äccommodationsquote  mit  dem  Nenner  der  Accom- 
modationsbreite in  geradem  und  mit  dem  Nenner  des  relativen  Einstellungswerthes 
in  umgekehrtem  Verhältnisse  wachse  und  falle.  Behufs  einer  Einstellung  für  eine 
Entfernung    von    10    Masseinheiten    würden    Augen,    deren    Accommodationsbreite 

—  oder  —  ist,  bei  einem  minimalen  Refractionszustande  von  —   — ,    — ,    —  eine 

Äccommodationsquote  von  — ,  ^,  -55  oder  beziehungsweise  von  -  ■>  7^>  "5^  ^^^' 
wenden  müssen. 

1 1 .  Der  Wechsel  in  dem  Einstellungswerthe  des  dioptrischen  Apparates 
wird  lediglich  durch  Krümmungsver'dndernngen  der  Linse  bedingt  (Cramer, 
Helmholtz).  Die  bewegenden  Factoren  sind  der  Ciliarmuskel  und  die  dem 
Krystalle  bei  unverletzter  Kapsel  innewohnende  hochgradige  Elasticit'dt. 

Berücksichtigt  man  die  Beschränkungen  des  Accommodationsvermögens,  welche 
sich  bei  ausgebreiteten  hinteren  Synechien  des  Pupillarrandes  und  nach  Iridec- 
tomien  geltend  zu  machen  pflegen,  so  kann  man  der  Regenbogenhaut  eine  beihelfende 
Wiikung  kaum  absprechen.  Vielleicht  lässt  sich  diese  aus  der  spannenden  Wirkung 
ableiten,  welche  das  mit  dem  Corpus  ciliare  zusammenhängende  Ligamentum  pectinatum 
auf  den  vorderen  Theil  der  Zonula  ausübt  (Hensen,  Voelckers,  Heiberg).  Anderer- 
seits steht  jedoch  auch  fest,  dass  die  Iris  nur  in  sehr  untergeordnetem  Masse  be- 
theiligt sein  könne,  da  Fälle  vorliegen,  in  welchen  bei  Gegebensein  einer  künst- 
lichen Pupille  (Graefe,  Traiävetter),  sowie  nach  traumatischem  Verluste  der  ganzen 
Iris  (Graefe)  und  bei  angeborenem  Mangel  der  Regenbogenhaut  (Secondi)  das  Ac- 
commodationsvermögen  erhalten  war. 

Die  Art  und  Weise,  in  welcher  der  Ciliarmuskel  eine  seiner  Kraftaustrengung 
entsprechende  Convexitätsvermehrung  der  Linse  vermittelt ,  ist  nicht  ganz  sicher- 
gestellt. Die  meisten  und  gewichtigsten  Stimmen  sprechen  sich  dahin  aus ,  dass 
der  Linse  vermöge  ihrer  grossen  Elasticität  das  Streben  innewohne,  ihre  Convexi- 
täten  unter  Verkürzung  des  aequatorialen  Durchmessers  zu  verstärken;  dass  sie 
aber  durch  die  Zonula  abgeplattet  erhalten  werde,  so  lange  der  Ciliarmuskel  in 
Unthätigkeit  verharrt.  Sobald  dann  dieser  Muskel  sich  Z2isammensieht ,  soll  die  Ora 
serrata  unter  Zerrung  der  Chorioidea  und  Retina  dem  Linsengleicher  genähert,  das 
Strahlenblättchen  entsprechend  dem  Kraftaufvvande  des  Muskels  entspannt  und 
sohin  der  Linse  die  Möglichkeit  gegeben  werden,  ihrem  Drange  nach  Convexitäts- 
vermehrung zu  folgen  (Helmholtz).  Die  anatomische  Vertheilung  der  weitaus  überwie- 
genden Zalil  von  Muskelbündeln  (S.  308)  ist  dieser  Anschauungsweise  unzweifelhaft 
günstig.  Dazu  kömmt,  dass  der  Krystall  bei  theilweiser  oder  gänzlicher  Trennung 
V071  der  Zonula  und  nach  dem  Tode,  scheinbar  unabhängig  von  der  QueUung,  die 
Convexität  seiner  Oberflächen  in  einem  weit  höheren  Grade  verstärkt ,  als  dieses 
selbst  beim  Maximum  der  Accommodationsanstrengung  im  Leben  geschieht.  Auch 
deuten  gewisse  subjective  Erscheinungen ,  welche  bei  kräftigster  Spannung  des 
Muskels  und  darauf  folgendem  plötzlichen  Nachlassen  seiner  Thätigkeit  im  Dunkeln 
beobachtet  werden  (Accommodation-iphosphene,  Czermak) ,  daraufhin,  dass  bei  der 
Einstellung  des  Auges  für  die  Nähe  die  vordere  Zone  der  Netzhaut  einer  Zerrung 
ausgesetzt  werde.     Endlich  haben    directe  Versuche   an  lebenden  Thieren  (Völckers, 


Accommodationstheorie ;  Accommodationsnerve.  767 

HensenJ  Gründe  für  die  Richtigkeit  der  ervväliutcii  Hypothese  geliefert.  Doch  liegt 
eine  grosse  Schwierigkeit  iu  dem  NacJnceise,  dass  ilie  Linse  während  der  liuhe  des 
Accommodationsinuskels  wirklich  diivdi  die  Zomila  ahgeflacht  werde.  Durch  blosse 
Elasticit'ät  kann  das  Stiahlenljlättchen  kaum  so  Bedeutendes  leisten;  aucli  wäre 
die  rasche  Vernichtung  dieser  phi/nkalischen  Eigenschaft  nach  dem  Tode  nicht 
leicht  zu  erklären.  Contractile  Elemente  aber  von  solcher  Menge  und  Kraft,  dass 
sie  nicht  nur  den  Widerstand  der  Linse  überbieten,  sondern  überdies  noch  eines 
so  massigen  Muskels,  wie  der  Ciliarmuskel  ist,  bedürfen,  um  in  ihrer  Wirksamkeit 
neutralisirt  werden  zu  können,  sind  bisher  noch  niclit  gefunden  worden. 

Eine  andere  Meinung  geht  dahin,  dass  der  Ciliarmuskel  in  Verbindung  mit 
dem  Muskelapparate  der  Iris  einen  Druck  auf  den  Rand  der  Linse  auszuüben  und 
gleichzeitig  das  Strahlenblättchen  zu  erschlaft'en  vermöge  (H.  Müller,  Cocciufi).  Es 
stützt  sich  diese  Hypothese  vornehmlich  auf  das  Zurückweichen  der  Irisperipherie 
bei  der  Anpassung  des  Auges  für  die  Nähe  und  auf  den  Bestand  von  Kreisfasern 
im  Ciliarmuskel.  Eine  unmittelbare  Einwirkung  der  Strahlenfortsätze  auf  den  Krystall 
ist  indessen  unmöglich,  da  sich  beide  Theile  nicht  berühren  (Arlt,  O.  Becker). 
Uebrigens  sind  bei  den  Acconimodationsvorgängen  allerdings  Veränderungen  in 
dem  Umfange  und  folgerecht  auch  in  der  relativen  Stellung  der  Ciliarfortsätze 
zum  Linsenrande  nachgewiesen  worden.  Allein  directe  Beobachtungen  an  den 
Augen  lebender  Kakerlaken  haben  ergeben,  dass  diese  Veränderungen  lediglich 
mit  dem  Wechsel  der  Pujjillenweite  im  Zusammenhange  stehen  und  die  an  den 
Volumsivechsel  der  Iris  geknüpfte  compensatorische  Füllung  und  Entleerung  der 
Gefässe  der  Ciliarfortsätze  zum  Ausdrucke  bringen.  Dem  entsprechend  schicellen 
denn  auch  die  Ciliarfortsätze  an  und  nähern  sich  mit  ihren  Köpfen  dem  Linsen- 
rande, wenn  das  Sehloch  beim  Sehen  in  die  Ferne  oder  wegen  der  Einwirkung 
von  Mydriaticis  sich  eriveitert;  sie  werden  hingegen  kleiner  und  ihre  vorderen 
kolbigen  Enden  treten  weiter  weg  vom  Liusenrande,  wenn  die  Pupille  bei  der 
Accommodation  für  die  Nähe  oder  iu  Folge  der  Einwirkung  von  Calaharpräparaten 
sich  vei'engert  (0.  Becker).  Das  Verhalten  der  Ciliarfortsätze  bei  Aenderungeu  des 
Refractionszustaudes  ist  demnach  ein  den  Voraussetzungen  jener  Theorie  geradezu 
entgegengesetztes.  Der  Widerspruch  wird  schliesslich  noch  dadurch  verstärkt,  dass 
die  Verengerung  der  Pupille  der  Accommodation  für  die  Nähe  nicht  gleichen 
Schritt  hält,  sondern  merklich  nachschleppt;  die  Eriüeiterung  des  Sehloches  hingegen 
der  Accommodation  für  die  Ferne  um  ein  Kleines  vorausgeht  (Donders,  Arlt  jun). 

12.  Der  eigentliche  und  höchst  wahrscheinlich  ausschliessliche  Accom- 
modationsnerve ist  der  Oculomotorius  (Donders,  Trautvetter).  Die  oculopu- 
pillaren  Zweige  des  Sympathicus  (S.  8)  nehmen  kaum  einen  directen  Eintiuss 
auf  die  Accommodationsbewegungen,  wenigstens  sind  die  letzteren  bei  perio- 
discher spastischer  Mj-driasis  (Donders)  und  bei  der  an  Ptosis  sympathica 
gebundenen  paralytischen  Myose  völlig  frei  gefunden  worden.  Der  Tri- 
geminus  verleiht  der  Iris  das  Empfindungsvermögen  und  wirkt  auf  die 
Binnenmuskelu  kaum  anders  als  auf  reflectorischem  Wege,  wobei  die  intra- 
oculären  Ganglien  und  der  Ciliarknoten  (Adamük)  die  Rolle  der  Centra 
spielen.  Auch  der  Ahducens  ist  entgegen  früheren  Behauptungen  (Budge, 
Graefe)  bei  der  Accommodation  für  die  Nähe  nicht  direct  betheiligt. 

Der  Accommodationsnerve  hat  wahrscheinlich  einen  gesonderten  Ge- 
hirnursprung und  verbindet  sich  erst  in  einiger  Entfernung  davon  mit  den 
motorischen  Nerven  des  Sphincter  pupillae  und  der  betreifenden  äusseren 
Augenmuskeln  zu  einem  gemeinsamen  »Stamme.  Abgesehen  von  den  Er- 
gebnissen physiologischer  Experimente  (Adamük)  sprechen  dafür  mehrere 
Fälle,  in  welchen  die  Accommodation  allein  gelähmt  erscliien,  imd  andere, 
wo  dieselbe  bei  completer  Paralyse  der  die  Augen  bewegenden  Muskeln 
und   des  Pupillenschliessers  völlig  unbehindert  war   {Buete,    Graefe). 

Doch  steht  der  Accommodationsnerv  im  innigsten  functionellen  Ver- 
bände mit  den  2;enannteu  übrigen  Zweigen  des  dritten  Paares.  Es  lösen 
nämlich   Accommodatiousanstrengungen  in   der  Regel  eine  Verengerung  der 


768  Anomal,  d.  Eefr.  ti.  Accomin.  Vorbegrifl'e ;  Coordinationsverhältnisse. 

Pupille  aus  und  sind  immer  mit  dem  Drange  nach  vermehrter  Convergenz 
verknüpft.  Umgekehrt  aber  werden  Convergenzsteigerungen  der  Gesichts- 
linien behufs  der  Fixation  von  Gegenständen,  welche  in  der  deutlichen 
Sehweite  des  betreffenden  Individuums  gelegen  sind,  in  der  Regel  von 
einer  Yergrösserung  des  Refractionszustandes  und  einer  Pupillenverengerung 
begleitet.  Diux-h  forcirtes  Convergiren  der  Gesichtslinien  lässt  sich  sogar 
der  Nahepunktabstand  um  ein  ^tCerkliches  über  das  dem  betreffenden  In- 
dividuum zukommende  Mass  verkürzen  und  damit  die  für  eine  bestimmte 
Einstellung  erforderliche  Accommodationsquote  etwas  verntindem  •  während 
willkürliche  (Hering)  oder  durch  Prismen  erzwungene  (Berlin)  Divergenz- 
Stellungen  der  Gesichtslinien  die  ganze  deutliche  Sehweite  um  ein  Kleines 
hinausrücken  und  die  für  eine  bestimmte  Einstellung  erforderliche  Accommo- 
dationsquote vergrösserv.  Nicht  minder  einliussreich  ist  die  Lage  der 
Visirebene.  Senkungen  derselben  sind  mit  dem  Drange  nach  Convergenz  der 
Gesichtslinien  verknüpft  und  vermögen  die  ganze  deutliche  Sehweite  dem 
Auge  um  ein  Gewisses  zu  nähern  (Schii-mer),  folgerecht  also  auch  die  für 
eine  bestimmte  Einstellung  erforderliche  Accommodationsquote  herabzusetzen. 
Hebungen  der  Blickebene  hingegen  entfernen  das  ganze  Accommodations- 
gebiet  etwas  von  dem  Auge  und  erschweren  die  Aufbringung  und  Erhal- 
tung des  für  kurze  Distanzen  erforderlichen  Einstellungs-  und  Convergenz- 
werthes.  Seitenblickrichtungen  sind,  wenn  sie  sich  innerhalb  der  Grenzen 
der  Massigkeit  halten ,  ohne  erheblichen  Einfluss  auf  Convergenz  und 
Accommodation ;  falls  sie  aber  von  der  Medianlinie  stark  abweichen,  engen 
sie  das  Gebiet  der  Accomodation  und  Convergenz  In  sehr  fühlbarem 
Grade  ein. 

Die  Cüordination  dieser  Muskelthätigkeiten  hat  ohne  Zweifel  einen 
anatomischen  Grund  und  ist  auf  die  Existenz  bestimmter  Coordinationscentra 
zurückzufühi-en ,  welche  einerseits  mit  den  Ursprüngen  der  betreffenden 
Nerven,  andererseits  mit  den  Ausgangspunkten  der  Willensimpulse  ,  mit 
mannigfaltigen  Reflexcentris  u.  s.  w.  in  directer  Verbindung  stehen.  Es 
werden  diese  Coordinationsbewegungen  nämlich  immer  und  von  der  Geburt 
an  als  Ganzes  innervirt,  ohne  dass  es  in  dem  Belieben  stände,  die  einzel- 
nen Factoren  zu  gleichem  Zwecke  isolirt  wirken  zu  lassen.  Auch  kommen 
Lähmungen  einzelner  Coordinationsbewegungen,  d.  i.  Fälle  vor,  bei  welchen 
eine  oder  die  andere  Coordinationsbewegung  mit  allen  ihren  Componenten 
völlig  unaufbringbar  ist,  während  andere  Coordinationsbewegungen ,  bei 
welchen  dieselben  Nerven  und  Muskeln  mit  verhältnissmässig  starken  Kraft- 
aufwänden in  Thätigkeit  kommen,  leicht  und  ungehindert  von  Statten 
gehen  (Siehe  relative  Lähmungen).  Nach  neueren  Untersuchungen  an 
Thieren  sind  diese  Coordinationscentra  in  den  Vierhügeln  zu  suchen  und 
zwar  scheint  jeder  einzelnen  Coordinationsbewegung  eine  bestimmte  Stelle 
dieses  Organes  als   Centrum  zu  entsprechen  (Adamük). 

Doch  hat  Uebung  einen  höchst  bedeutenden  Einfluss  und  vermag 
die  Verhältnissscala,  in  welcher  sich  die  Innervationsquoten  und  KJraft- 
aufwände  der  einzelnen  coordinirten  Muskeln  zu  einem  bestimmten  Zwecke 
verbinden,  mannigfaltig  umzugestalten  und  den  Bedürfnissen  anzupassen.  In 
der  That  ist  diese  Verhältnissscala  bei  verscliiedeneu  Individuen  je  nach 
der  Grösse  der  Accommodations-  und  Convergenzquote  ,  welche  die  Ein- 
stellung für  jede  einzelne  bestimmte  Distanz  erfordert,    eine    sehr    verschie- 


Relative  Accommodations-  und  Convergenzbreite. 


769 


dene;  sie  kann  sich  sogar  bei  demselben  Individuum  in  Uebereinstimraung 
mit  der  Zu-  oder  Abnahme  des  minimalen  Refractionszustandes  und  der 
Accommodationsbreite  wesentlich  ändern,  vorausgesetzt,  dass  diese  Zu-  oder 
Abnahme  allmälig  und  langsam  erfolgt,  also  den  Muskeln  Zeit  gönnt,  sich 
den    neuen    Bedürfnissen  zu  adaptiren. 

Während  z.  B.  ein  Myops  die  Gesiclitslinien  von  der  Parallelstellung  bis  zu 
seinem,  oft  sehr  kleinen  Fernpuuktabstande  convergiren  lässt,  ohne  den  Accommo- 
dationsmuskel  zu  bethätigen;  muss  ein  Emnietropischer  schon  bei  massiger  An- 
näherung der  Objecte  die  entsprechenden  Axenconvergenzen  mit  Adaptionsbestre- 
bungen verbinden  iind  mancher  JJehersichtige  wird  schon  den  Parallelstellungen  der 
Axen  das  Maximum  seiner  Accommodationskraft  associiren. 

Im  Grunde  genommen  ist  jedoch  die  angeborne  und  durch  üebung 
den  Bedürfnissen  angepasste  Verhältnissscala,  in  welcher  sich  die  Inner- 
vationsgrössen und  daher  auch  die  effectiven  Kraftaufwände  der  Accom- 
modations- und  Convergenzmuskeln  coordiniren,  keineswegs  eine  sehr 
straffe  Fessel.  Versuche  mit  sphärischen  Gläsern  sowie  mit  ab-  und 
adducirenden  Prismen  lehren  nämlich,  dass  bei  gleichen  Axenconvergenzen 
der  Einstellungsioerlh  des  dioptrischen  Apparates  und  umgekehrt  innerhalb 
gewisser  Grenzen  wechseln  könne.  Man  spricht  darum  von  relativen 
Accommodationsbreiten  und  drückt  sie  durch  den  Unterschied  des,  bei  einer 
gewissen  Axenconvei'genz  aufbringbaren  maximalen  und  minimalen  Einstel- 
lungswerthes  aus.  Andererseits  spricht  man  von  relativen  Convergenzbreiten 
und  pflegt  damit  den  Spielraum  zu  bezeichnen,  welcher  bei  einem  bestimm- 
ten AcQommodalionszustandc  des  dioptrischen  Appai'ates  den  Axenconvergenzen 
gestattet  ist  (Donders).  Immerhin  machen 
sich  auch  liier  die  angeborenen  und  er- 
worbenen Associationsverhältnisse  in 
sehr  fühlbarer  Weise  geltend.  Im  Allge- 
meinen kann  man  sagen,  dass  die  Coor- 
dination  um  so  schwerer  aufzubringen 
und  zu  erhalten  ist,  je  mehr  das  Ver- 
hältniss  der  zu  associirenden  Accom- 
modations- und  Convergenzquoten  von 
dem  durch  Uebung  eingewurzelten  ab- 
weicht. 

Es  seien  (Fig.  98)  l  und  r  die  Dreh- 
punkte der  beiden  Augen,  Ir  demnach  die 
Grimdlinie  und  MM  die  darauf  senkrechte 
Medianlinie;  a,  b,  c  seien  binoculäre  Fixa- 
tionspunkte,  und  ar,  br,  er  die  zugehörigen 
Gesichtslinien  mit  den  halben  Convergenz- 
winkeln  a,  ß,  y.  Durch  dr  und  dl  sei  der 
Parallelismus  der  Gesichtslinien  mit  dem 
Convergenzwinkel  0  und  durch  er,  el  eine 
Divergenzstelhmg  mit  dem  negativen  Con- 
vergenzwinkel 0  augedeutet.  Es  lässt  sich 
nun  der  jeweilige  Vonvergenzwerth  der  Ge- 
sichtslinien durch  den  Sinus  des  halben 
Convergenzwinkels  ausdrücken  und  dieser 
ist  gleich  der  halben  Grundlinie,  also  gr, 
getheilt  durch  den  Abstand  des  Drehpunktes 
vom  Fixationspunkte  oder,  da  es  sich  immer 
um  sehr  kleine  Winkel  handelt,  gleich  der  halben  Grundlinie  getheilt  durch  die  positive 
oder  negative  Distanz  des  binoculären  Fixationspunktes  von  der  Mitte  g  der  Grundlinie. 
St  eil  wag,  Augenheilkunde.  49 


770  Anomal,  tl.  Eefr.  u.  Acc;  Alisohitc  u.  relat.  Convergenzbreite ;  Convergenzquoten. 

Lässt  man  die  halbe  Grundlinie,  etwa  1.25  Zoll,  als  Masseinheit  gelten,  so  kann  der 
Convergenzwerth  auch  durch  den  reciproken  Werth  des  Ohjectahstandes  ausgedrückt 
werden.  Unter  Convergenzhreite  würde  man  dann ,  übereinstimmend  mit  dem  Be- 
griffe der  Accommodationsbreite,  den  Unterschied  zwischen  dem  Sinus  des  minimalen 
und  maximalen  Convergenzwinkels  oder  die  Differenz  der  reciproken  Werthe  der 
kleinsten  und  grössten  Entfernung,  für  welche  binoctdare  Fixation  möglich  ist,  zu 
verstehen  haben.  Insoferne  es  sich  in  der  Wirklichkeit  immer  nur  um  positive 
Objectsdistanzen  handelt  und  Divergenzen  der  Gesichtslinien  nur  durch  grosse 
Uebung  erlernt,  oder  durch  Prismen  erzwungen  werden  können :  so  darf  man  die 
unendliche  Entfernung  als  die  äusserste  Grenze  der  binoculären  Fixationsweite  und 
den  ParaUelismus  der  Gesichtslinien  oder  vielmehr  den  Sinus  des  halben  Conver- 
genzwinkels 0  als  den  minimalen  Convergenzwerth  betrachten.  Der  relative  Con- 
vergenzicertJi  für  eine  bestimmte  Entfernung  wäre  dann  folgerecht  durch  den  reci- 
proken Werth  der  letzteren  zu  bezeichnen,  fiele  also  mit  dem  betreffenden  abso- 
luten Convergenzwerthe  zusammen.  Im  Einklänge  damit  stellt  sich  die  Convergenz- 
quote,  welche  für  eine  bestimmte  Distanz  erforderlich  ist,  ähnlich  dem  für  die  Ac- 
commodationsquoten  gefundenen  Ausdrucke  (S.  766),  als  ein  Bruch  dar,  dessen 
Zähler  der  Nenner  der  Convergenzhreite  und  dessen  Nenner  die  Entfernung  des 
ieweiligen  Fixationspunktes  ist.    Wäre  z.  B.  y  der  grösste  aufbringbare  halbe  Con- 

vergenzwinkel,  so  wäre  sin.  y  =  -^  =  —  zugleich    der   Ausdruck    für    die  ganze 

Convergenzbreite.  Die  Convergenzquoten,  welche  zur  binoculären  Fixation  der  Punkte 

c,  b,  a,    00  und  s  erforderlich  sind,  würden  durch  die  Ausdrücke    -^,     ^,     -^^, 

'       '       '  7  cg    '        bg    '         ag    7 

cg  cg 


,     _       darzustellen  sein.  Man  sieht,  dass  die  Convergenzquote  für  den  minimalen 

Abstand  c  der  Einheit  gleicht,  für  den  Parallelismus  der  Gesichtslinie  0  und  für 
Divergenzstellungen  negativ,  also  kleiner  als  0  wird;  ferner  dass  die  Convergenz- 
quote für  eine  bestimmte  Entfernung  um  so  kleiner  wird ,  je  grösser  diese  und  je 
kleiner  cg  oder  der  miniviale  binoculäre  Fixirpunktabstand  ist. 

Es  sei  b  ein  Punkt  in  der  Medianlinie,  welcher  mit  den  entsprechenden 
Quoten  der  Accommodations-  und  Convergenzbreite  fixirt  wird.  Durch  Vorsetzung 
convexer  oder  concaver  Gläser  vor  beide  Augen  werden  die  virtuellen  Bilder  des 
fixirten  Punktes  b  nach  «i  Oj  oder  beziehungsweise  nach  q  c,  versetzt  und,  da  sie  in  die 
Gesichtslinie  hineinfallen,  in  dem  Punkte  a  oder  beziehungsweise  c  einfach  gesehen 
werden.  Es  erscheint  unter  solchen  Verhältnissen  die  Convergenz  für  den  Abstand 
b  mit  der  Einstellung  des  dioptrischen  Apparates  für  die  Entfernung  a  oder  c  ver- 
knüpft. Wären  nun  a  und  c  die  äussersten  Grenzen,  innerhalb  welchen  die  accom- 
modative  Einstellung  bei  dem  halben  Convergenzwinkel  ß  schwanken  kann ,  so 
wäre  die  Differenz  der  reciproken  Werthe  der  Distanz  a  und  c  die  relative  Accom- 
inodaiionshreite  bezüglich  des  Punktes  b.  Denkt  man  sich  statt  der  sphärischen 
Gläser  Prismen  vor  beide  Augen  gesetzt,  welche  die  vom  Punkte  b  kommenden 
Strahlen  so  brechen,  als  kämen  sie  von  a  oder  c,  oder  vielmehr  von  b^  b^  oder 
6j  b^ ,  und  wären  die  entsprechenden  Convergenzwerthe  die  äussersten,  welche  bei 
Festhaltung  der  Accommodation  für  die  Entfernung  b  noch  aufgebracht  werden 
können,  so  wäre  die  Differenz  der  Sinusse  von  a  und  y  oder,  falls  die  halbe 
Grundlinie  als  Masseinheit  gilt,  der  Unterschied  der  reciproken  Werthe  der  Ent- 
fernungen c  und  a  die  relative  Convergenzhreite,  welche  der  accomodativen  Ein- 
stellung des  Auges  für  den  Punkt  b  entspricht. 

Nosologie.  Einem  allseitigen  Uebereinkommen  gemäss  werden  Augen, 
deren  natürliche  hintere  Brennweite  dem  Abstände  der  vorderen  Stabschicht- 
fläche von  dem  Centrum  des  dioptrischen  Apparates  gleicht,  emmetropische 
genannt,  ihr  Kefractionszustand  der  Null  gleichgesetzt  und  damit  der  Be- 
griff der  Normalität  verbunden.  In  der  Wirklichkeit  gibt  es  allerdings  nur 
sehr  wenige  Augen,  welche  jene  Bedingung  strenge  erfüllen,  doch  ist  der 
Unterschied  in  der  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  ein  unerheblicher,  es  wer- 
den homocentrische  parallele  Strahlenbündel  bei  völliger  Ruhe  des 
Accommodationsmuskels  so  nahe  vor  oder  hinter  der  Grundfläche  der 
lichtempfindenden  Elemente  zur  Vereinigung  gebracht,  dass  die  Schärfe 
der  wahrgenommenen  Bilder  wegen    der  Kleinheit    der    Zerstreuungskreise 


Nosologie ;  Ametropie ;  Myopie ;  Hypermetropie.  771 

nicht  merkbar  leidet.  ^Man  rechnet  derlei  Augen  folgerecht  mit.  unter  die 
emmetropischen  und  stellt  sie  den  ametropischen  gegenüber,  bei  welchen 
die  hintere  Brennweite  und  der  Abstand  des  lichtempfindenden  Netzhaut- 
straturas  so  hedeutevd  von  einander  abweichen,  dass  entfernte  Objecte  bei 
völliger  Accommodationsruhe  nur  in  undeutlichen  Zerstreuungsbildern  gesehen 
werden  können. 

1.  In  vielen  Fällen  ist  die  hintere  Brennweite,  des  dioptrischcn 
Apparates  relativ  zu  kurz,  indem  die  Augenaxe  zu  lang  ist,  oder  einzelne 
Trennungsflächen  zu  stark  gekrümmt  sind,  oder  indem  beide  diese  Momente 
zusammenwirken.  Es  sehen  solche  Augen  demnach  ferne  Objecte  in  ver- 
hältnissraässig  grossen  Zerstreuungskreisen;  die  Gegenstände  müssen,  um  in 
scharfen  Bildern  wahrgenommen  zu  werden,  nahe  an  das  Auge  heranrücken. 
Der  Fernpunkt  liegt  also  dem  Auge  nahe,  die  deutliche  Sehioeite  erscheint 
verkürzt  und  hereingerückt,  das  Auge  sieht  nur  in  kurzen  Distanzen  scharf 
und  deutlich,  es  ist  kurzsichtig,  myopisch.  Der  Nahepunktabstand  hängt  dann 
von  der  Lage  des  Fernpunktes  und  hauptsächlich  von  der  Grösse  des 
Accommodationsvermögens  ab.  Ist  diese  die  normale  geblieben  oder  doch 
nicht  sehr  beschränkt  worden,  so  ist  der  Nahepunktabstand  nothwendig  ein 
kürzerer  als  in  der  Norm. 

2.  In  anderen,  mindestens  eben  so  häufigen  Fällen  ist  die  Brennweite 
des  dioptrischen  Apparates  bei  völliger  Entspannung  des  Accommodations- 
muskels  grösser,  als  der  Abstand  der  Stabschichte  der  Netzhaut,  sei  es 
wegen  Convexitätsverminderung  oder  gänzlichem  Ausfalle  einzelner  Trennungs- 
flächen, sei  es  wegen  normwidi'iger  Kürze  der  optischen  Axe,  oder  aus  beiden 
Ursachen  zugleich.  Es  sehen  solche  Augen  bei  völliger  Entspannung  des 
Accommodationsapparates  ferne  und  nahe  Objecte  in  Zerstreuungskreisen;  es 
müssen  die  Lichtstrahlen  convergent  auf  die  Cornea  auffallen,  um  auf  der 
Stabschichte  zu  scharfen  Bildern  vereinigt  zu  werden;  der  dioptrische 
Apparat  ist  blos  für  virtuelle  Bilder  eingestellt,  welche  über  der  Netzhaut 
drüben,  d.  i.  hinter  der  Netzhaut  liegen,  das  Auge  ist  übersichtig,  hyper- 
presbyopisch,   hypermetropisch,   hyperopisch. 

Ist  die  hintere  Brennweite  des  dioptrischen  Apparates  nur  wenig  länger, 
als  der  Abstand  derNetzhaut,  und  ist  das  Accommodationsvermögen  von  normaler 
Grösse,  so  wird  jene  Differenz  nicht  nur  leicht  ausgeglichen,  sondern  die 
Brennweite  auch  um  ein  Gewisses  unter  das  Mass  des  Netzhautabstandes 
verkürzt  werden  können,  das  Auge  besitzt  die  Fähigkeit,  sich  für  parallele 
und  selbst  für  divergente  Strahlen,  also  für  Objecte  von  positiver  und  sogar 
kurzer  Distanz  zu  accommodiren,  der  FemiJunkt  liegt  hinter,  der  Nahepunkt 
vor  der  Netzhaut  auf  der  verlängerten  optischen  Axe,  die  deutliche  Seh- 
weite ist  eine  discontinuirliche.  Der  Nahepunktabstand  ist  im  Vergleiche  zur 
Norm  vergrössert,  da  ein  gewisser  Quotient  der  aufwendbaren  accommoda- 
tiven  Kraft  schon  aufgeht,  um  das  Auge  für  parallele  Strahlen  einzurichten 
(facultative   UebersichtigkeitJ. 

Ist  die  hintere  Brennweite  des  dioptrischen  Apparates  bedeutend  grösser 
als  der  Abstand  der  Netzhaut,  so  reicht  oft  schon  das  Maximum  der  auf- 
wendbaren Accommodationskraft  nicht  mehr  zu,  um  das  Auge  für  parallele 
Strahlen,  also  für  positive  grosse  Entfernungen  einzustellen  ,  es  liegt  der 
Fernpuukt  imd  der  Nahepunkt  hinter  der  Netzhaut,  die  deutliche  Sehweite 
ist  ihrer  ganzen  Länge  nach  negativ,   das  Auge  ist  absolut  übersichtig. 

49* 


772 


Anomal,  d.  Rpfr.  u.  Acc;  Nosologie;  Etnmetropie ;  Myopie;  Hypermetropie. 


Es    lassen  sich  diese  Verhältnisse  vielleicht  besser  auf  einem  anderen  Wege 
klar    und    übersichtlich  machen.    Es   sei  (Fig.  99)    ein  schematisirtes   emmetropisches 

Fig.  99. 


Auge  mit  der  Axenlänge  CE.  Sein  Refractionszustand  sei  0,  indem  der  Einfallswinkel  y 
des  der  Axe  A  A  parallelen  Strahles  ym  eines  homocenti'ischen  Lichtbündels  gleich 
Null ,  also  sin.  y  =  0  angenommen  wird.  Betrachtet  man  nun  das  allgemeine 
Brechungsgesetz:  sin,  a  ^=  w  .  sin.  ß  (S.  764),  so  findet  man,  dass  der  Refractionszu- 
stand N=n.sin.  ß  von  zivei  Factoren,  n  und  sin.  ß  bestimmt  wird,  von  welchen 
jeder  unabhängig  vom  anderen  innerhalb  weiter  Grenzen  schwanken  kann.  Denkt 
man  sich  nun  das  n  der  Grundgleicliung  constanf,  so  wird  natürlich  jede,  auch  die 
geringste  Verlängerung  von  CE  eine  Vergrösseri;ng  des  sin.  ß  mit  sich  bringen  und 
demnach  ein  proportionirtes  Waehsthum  des  sin.  a  erfordern,  es  wird  der  Refrac- 
tionszustand des  Auges  im  Ganzen  steigen,  es  werden  nicht  mehr  parallele  Strahlen 
ym  mit  dem  sin.  y=0,  sondern  divergente  UtraMen  xm  mit  dem  sin{y-\-^)  auf  der 
Netzhaut  zur  Vereinigung  kommen:  das  Auge  ist  myopisch  geworden  und  sein 
Refractionszustand  findet  seinen  Ausdruck  in  dem  Sinus  des  positiven  Differenz- 
winkels   [JL  =  0. 

Würde  hingegen  die  Bulbusaxe  auf  CH  verkürzt,  so  wäre  damit  der  sin.  ß 
der  Grundgleichung  um  ein  Entsprechendes  verkleinert;  es  kämen  nicht  mehr 
parallele  Strahlen  ym  mit  dem  Einfallswinkel  y,  sondern  convergente  Strahlen  mit 
einem  ^-^eirfere'??  Einfallswinkel  y — v  auf  der  Netzhaut  zur  Vereinigung,  der  Refrac- 
tionszustand des  Auges  N-=n.sin.  ß  erschiene  vermindert,  also  kleiner  als  0, 
nämlich  gleich  dem  Sinus  des  Einfallswinkels  (y  —  v)  und  da  *m.  y=0,  so  wäre  der 
Sinus  des  Difl'erenzwinkels  —  v  der  Ausdruck  für  den  vorhandenen  Grad  der 
Hypermetropie. 

Sowie  sin.  ß  kann  auch  das  n  der  Grundgleichung  sich  verändern,  sei  es 
dass  die  Krümmung  einer  oder  mehrerer  Trennungsflächen  von  der  Norm  abweicht, 
oder  dass  die  gegenseitigen  Abstände  wechseln,  oder  dass  das  Brechungsverhältniss 
einzelner  Binnenmedien  ein  anderes  wird.  Steigt  der  Werth  n,  so  resultirt  offenbar 
eine  Vergrössermig,  füllt  er  hingegen,  eine  Verminderung  des  Refractionszustandes 
N  =n  .  sin.  ß,  mit  anderen  Worten,  es  kommen  nicht  mehr  parallele  Strahlen  mit 
dem  sin,  y=0,  sondern  divergente  ^trah\en  xm  mit  dem  Einfallswinkel  (y-j-jj.)  oder 
convergente  iitraMen  zm  mit  dem  Einfallswinkel  (y  —  v)  zur  Vereinigung.  Das  emme- 
tropische  Auge  ist  kurzsichtig  oder  beziehungsweise  hypermetropisch  geworden  und 
der  Grad,  der  Ametropie  findet  seine  Bezeichnung  in  dem  Sinus  des  Differenz- 
winkels, ist  also  sin,  [a  oder  beziehungsweise  —  sin.  v. 

Nähme  in  einem  hyiiermetropischen  Auge  mit  der  Bulbusaxe  CH  das  n  der 
Grundgleichung  um  ein  Gewisses  2w,  während  sin.  ß  constant  bleibt,  oder  träte  der 
vmgekehrte  Fall  ein,  oder  stiegen  beide  Factoren  an  Werth,  so  würde  offenbar  ent- 
sprechend dem  Wachsthume  des  Refractionszustandes  N  =  7i.  sin,  ß  der  Einfalls- 
winkel (y  —  v)  steigen  müssen,  auf  dass  der  Grundgleichung  Genüge  geschehe.  Es 
kämen  also  Strahlen  auf  der  Netzliaut  zur  Vereinigung,  deren  Einfallswinkel  sich 
dem  angenommenen  Normale  y  =  0  nähert ,  den  Werth  derselben  erreicht  oder 
gar  übersteigt.  Der  Refractionszustand  käme  der  0  näher  oder  gleich,  oder  würde 
gar  positiv,  das  hypermetropische  Auge  würde  minder  liypermetropisch,  emmetrojiisch 
oder  gar  kurzsichtig. 


ReÜK'ii  von  Refractionszustäuden  und  Brillenbreelnverthen  mit  bestiniiiitiiii  Intervalle.        773 

'Stiegen  in  einem  myopischen  Auge  mit  der  Biilbusaxe  CM  der  sin.  ß  oder  «, 
oder  beide  Factoren  zugleich,  so  müsste  nothwendig  auch  der  Differenzwinkcl  u 
ivachsen-^  während  das  Sinken  eines  oder  beider  Factoren  eine  Verkleinerung  v(in  a 
mit  sich  brächte.  Im  ersteren  Falk;  ergäbe  sicli  eine  Vergrösserimy  des  Refractions- 
zustandes  N,  also  auch  des  vorhandenen  Kiu-zsichtigkeitsgrades ;  im  zweiten  Falle 
wäre  eine  Verminderung  der  Myopie  und  nach  Umständen  ein  Uebergang  derselben 
in  Emmetropie  oder  Hypermetropie  das  Resultat. 

Es  kann  in  einem  Auge  aber  auch  der  eine  Factor  steigen,  während  der 
mi^re  fällt.  Es  hängt  dann  selbstverständlich  von  dem  gegenseitigen  Verhältnisse 
ab,  in  welchem  n  und  «i«.  ß  sich  ändern,  ob  der  Refractionszustand  der  frühere 
bleibt,  grösser  oder  kleiner  Avird. 

Die  Emmetropie,  Myopie  und  Hj^permetropie  können  nicht  wohl  als 
essentiel  verschiedene  Zustände  des  Auges  gelten,  da  sie  in  einem  nnd  dem- 
selben Falle  unmittelbar  in  einander  übergehen.  Es  müssen  vielmehr  die 
höchst  mannigfaltigen,  in  der  Praxis  vorkommenden  Refractionszustände 
als  Glieder  einer  einzigen  unendlich  langen  Beihe  betrachtet  werden,  welche 
mit  der  positiven  Einheit  beginnt,  durch  iNTull  hindurchgeht  und  allmähg 
zur  negativen  Einheit  herabsteigt. 

Lässt  man  die  einzelnen  Glieder  je  um  eine  bestimmte  Differenz  fallen,  so 
erhält  man  eine  logarithmische  Reihe,  dei-en  Anwendung  die  Lösung  gewisser  in  der 
Praxis  wiclitiger  Probleme,  insbesondere  die  dem  jeweiligen  Bedarfe  angepasste 
Correction,  ausnehmend  erleichtert.  Wird  nämlich  bei  einem  dioptrischen  Systeme 
der  gegenseitige  Abstand  der  einzelnen  Trennungsflächen  vernachlässigt,  so  summiren 
sich  die  Brechwerthe  derselben.  Ein  mit  einem  positiven  oder  negativen  Glase 
bewafluetes  Auge  hat  also  gleichsam  einen  Refi-actionszustand  N  ^  F  und  ein  mit 
zwei  Gläsern  bewafluetes  Auge  einen  Refractionszustand  N  -^  F  ^  P,  wo  F  \mA  P 
die  Brechwerthe  oder  die  recii:)roken  Wertlie  der  Brennweite  der  gebrauchten 
Brillen  bezeichnen.  Es  wird  demgemäss  jeder  von  der  Null  abweichende  positive 
oder  negative  Refractionszustand  des  Auges  durch  Beifügung  eines  sphärischen 
Glases,  dessen  Brechwerth  F  dem  gegebenen  Refractionszustände  dem  Wei'the  nach 
gleichkömmt,  aber  das  entgegengesetzte  Zeichen  ^^  trägt,  auf  Emvietropie  oder  Null 
corrigirt. 

Es  ist  in  letzterer  Zeit  wirklich  von  mehreren  Seiten  der  Vorschlag  gemacht 
worden,  eine  solche  logarithmische  Reihe  mit  bestimvitem  Intervalle  zum  allgemeinen 
Gebrauche  hei  der  Bezeichnung  der  verschiedenen  Grade  der  Ametropie  durch 
Uebereinkommen  festzustellen  iiud  eine  ihr  genau  entsprechende  Scala  für  die 
Brechwerthe  der  corrigirenden  Brillen  zu  construiren,  eine  Scala  also,  in  welcher 
die  Brechwerthe  sämmtlicher  Nummern  Vielfache  einer  bestivwiten  Grundgrösse  m 
sind  und  der  reciproke  Werth  von  ?n  das  Intervall  je  zweier  auf  einander  folgender 
Nummern  darstellt.  Nähme  man  m  =  100,  so  erschiene  die  Reilie 

100,  99,  98,  ...  50,  ...  3,  2.  1,  e.  -  1.  —  2,  —  3,  ...  -  50,  ...  —  98.  —  99.  —  100 

lüO 

Es  unterscheidet  sich  eine  solche  Scala  in  sehr  günstiger  Weise  von  jener, 
welche  ziu'  Bezeichmmg  der  Brillenbrechwerthe  und  folglich  auch  der  Refractions- 
zustände bisher  üblich  war.  Es  sind  bei  dieser  nämlich  die  Intei'valle  überaus 
ungleich,  bei  den  schwächeren  Gläsern  sehr  klein,  bei  den  starken  unverhältniss- 
mässig  gross.  So  ist  das  Intei-vall  fiü-  Brillenbrennweiten  von  40"  und  36"  gleich 
1  :  360,  fiü-  22"  und  20"  gleich  1  :  220,  für  13"  und  12"  gleich  1  :  156,  für  6"  und 
5"  gleich  1  :  30  u.  s.  w. 

Leider  ist  es  sehr  schwer,  sich  über  jene  Grundgrösse  m  zu  verständigen. 
Man  hat  nacheinander  24  {Benders),  60  und  120  [Burow),  48  und  beziehungs- 
weise 96  (Zehender),  endlich  auch  216  (Giratid-Teulon)  vorgeschlagen.  Allein  die 
Annahme  des  letzten  Werthes  wiüde  432  Brillen-Nummern,  nämhch  216  für  Convex- 
und  eben  so  viele  fiü  Concavgläser  erheischen.  Wird  aber  m  kleiner  gewählt  z.  B.  96, 
so  fällt  eine  Reihe  schwacher  Gläser  aus,  welche  sich  in  der  Praxis  diu'chaus 
nicht  entbehren  lassen,  namentlich  wenn  es  sich  um  die  Con-ection  von  geringen 
Graden  der  Hypermetropie  handelt.  Die  Brennweiten  wären  dann  nämlich  96,  48, 
32,  24,  19y5,  16,  13^7  u.  s.  w.  Es  kommen  aber  alle  Tage  Fälle  von  Hyperme- 
tropie vor,  wo  Brennweiten  von  36,  30,  28,  26,  22  Zoll,  und  Km-zsichtigkeiten,  wo 
22,    20,    18,    17,    15   Zoll   u.    s.   w.    dem  Bedarfe   entsprechen  und  durch  Gläser  der 


774  Anomal,  d.  Keir.  u.  Acc. ;  Nosologie;  Corrigirende  Brillen;  deren  Krümmungen. 

vorerwähnten  Reihe  nicht  genügend  ersetzt  werden  können.  Der  Vortheil,  welchen 
eine  grössere  Auswahl  in  den  starken  Nummern  bietet,  ist  anderseits  ein  sehr 
geringer,  da  eben  hohe  Grade  Ton  Myopie  und  Hyi^ermetropie  selten  völlig  corrigirt 
werden  können.  Es  gehen  dieselben  nämlich  häufig  mit  einer  beträchtlichen  Ab- 
nahme  der  Sehschürfe  einher.  Dann  fällt  bei  scharfen  Gläsern  der  unvermeidliche, 
relativ  bedeutende  Abstand  der  Brille  vom  optischen  Centrum  des  Auges  sehr 
schwer  in's  Gewicht  (S.  7G2)  und  macht  gemeiniglich  eine  blos  theilweise  Neutra- 
lisation des  Eefractionsfehlers  erspriessUcher.  Wo  man  aber  von  diesem  letzteren 
Factor  absehen  darf,  namentlich  bei  starken  Convexgläsern,  welche  eine  Vergrösserunq 
des  Netzhaiitbildes  durch  ihren  Abstand  vom  Auge  ergeben:  da  lassen  sich 
kleine  Unterschiede  in  den  Brechwerthen  der  Brille  sehr  leicht  dmxh  ganz  geringe 
Veränderungen  des  Brillenabstandes  ersetzen.  Dazu  kömmt,  dass  die  in  der  Praxis 
vei-wendbaren  Untersuchungsmethoden  nicht  hinlänglich  genau  sind,  um  ganz  kleine 
Differenzen  im  Refractionszustande  des  Auges  sicher  zu  ermitteln  und  dies  wäre 
nothwendig,  damit  eine  solche  logarithmische  Reihe  ihrer  ganzen  Ausdehnung  nach 
praktisch  verwerthet  werden  könne.  Abgesehen  von  den  Schwierigkeiten  der 
Messung  kleiner  Bruchtheile  eines  Zolles  stellen  sich  der  Ge^\'innung  so  genauer 
Resultate  nämlich  der  Einfluss  wechselnder  Beleuchtungsgrade  und  wechselnder 
Pupillemceite ,  die  durch  Uebung  sehr  steigerbare  Fähigkeit,  in  Zerstremmgskreisen 
zu  lesen  u.  s.  w.  hinderlich  in  den  Weg.  Es  ist  aber  auch  die  Schleifung  von 
Gläsern,  deren  Brechwerthe  durch  sehr  complicirte  Brüche  ausgedrückt  werden, 
sehr  schwierig  und  solcher  Gläser  finden  sich  in  jeder  logarithmischen  Reihe 
sehr  viele. 

Diu'ch  Zurückführung  der  Werthe  auf  metrisches  Mass  (Javal,  Nagel)  wird 
allerdings  die  internationale  Verständigung  sehr  erleichtert  und  es  sind  die  Zeiten 
nicht  fern,  wo  man  als  Masseinheil  nicht  mehr  das  in  verschiedenen  Ländern  sehr 
wechselnde  Zollmass,  sondern  den  Centiraeter  benützen  wird.  Bei  der  Berechnung 
einer  logarithmischen  Reihe  machen  sich  aber  selbstverständlich  dieselben  Unzu- 
kömmlichkeiten geltend,  wie  bei  Zugrundelegung  des  Zollmasses. 

Im  Grossen  und  Ganzen  wird  man  am  besten  allen  Anforderungen  ent- 
sprechen, wenn  man  bei  der  Construction  einer  Brillenscala,  wie  dies  bisher  üblich 
war,  blos  die  Intervalle  der  schwächeren  Nummern  sehr  klein  wählt,  dieselben  aber 
allmälig  steigen  lässt,  je  schärfer  die  Gläser  werden.  In  der  That  genügt  in  der 
Praxis  ganz  vollkommen  eine  Reihe  von  Brillen,  deren  Brennweiten  sowohl  füi- 
positive  als  negative  Gläser  von  48"  bis  32"  um  je  4",  von  32"  bis  20"  um  je 
2",  von  20"  bis  10"  um  je  1",  von  10"  bis  4"  um  je  1/2"  und  von  da  ab  um  je 
1/4  Zoll  fallen. 

Man  kömmt  übrigens  öfters  in  die  Lage,  Gläser  von  einem  bestimmten 
Brechwerthe,  welcher  in  der  Brillenscala  der  Optiker  nicht  enthalten  ist,  schleifen 
zu  lassen,  oder  diesen  Brechwerth  mit  Prismen  zu  comhiniren,  oder  aber  denselben 
auf  einer  einzigen  Fläche  des  Glases  zu  concentriren,  um  der  anderen  Fläche  ein 
gefärbtes  Planglas  anfügen,  oder  behufs  der  Correction  astigmatischer  Differenzen 
eine  cylindrische  Krümmung  geben  zu  können.  Istp  die  gewünschte  Brennweite,  also 

—  der    Brechiuerth,    n  =  l'ö    der  Brechimgsexponent    des  verwendeten    Glases,    sind 

weiter  /  und  g  die  gesuchten  Radien  der  Krümmungsflächen  einer  biconvexen  oder 
biconcaven  Linse,  so  ergäbe  sich  die  Formel: 

±  -;^  =  (n  —  1)  (±  -r  it  ^) ;  und  wenn  f  =  g  so  ist  ±  -    =  ±  -;"  db    -  ^-r= 

d.  i.  in  der  biconvexen  oder  biconcaven  Linse  gibt  die  gewünschte  Brennweite  den 
Krümmungsradius  der  beiden  Oberflächen.  Wäre  der  gewünschte  Brechwertli  auf 
einer  einzigen  Fläche  des  Glases  zu  erzielen,  so  würde  die  Formel  lauten 

±  -^  =  ±  -^  =  ±  4f  und  p  =   2f. 

d.  i.  die  geforderte  Brennweite  gibt  den  DiircJiviesser  der  Krümmung. 

Wäre  z.  B.  eine  biconcave  Linse  von  10"  Brennweite  auf  ein  Prisma  zu 
schleifen,  so  müsste  beiden  Flächen  des  letzteren  eine  Concavität  von  10"  Radius 
gegeben  werden.  Sollte  aber  eine  sphärische  Concavität  von  10"  Brennweite  der 
einen  Fläche  und  eine  cylindrische  Concavität  von  10"  Brennweite  der  anderen 
Fläche  gegeben  werden,  so  müsste  der  Kriimmungsdurchmesser  beider  Flächen  10", 
der  Radius  also  5"  sein. 


Wechsel  der  Kefractionszustände;  Natihlifhci-  u.  äusserst.  Feriipnnkt;   Scheinbare  Myopie.      77.5 

Der  Refractionsznstand  vermag  übrigens  in  demselben  Individuum 
innerhalb  kurzer  Zeit  zu  wechseln.  Abgesehen  von  der  möglichen  Ver- 
längerung der  Augenaxe  durch  Entwickelung  eines  Staphyloma  posiicum 
kömmt  nämlich  in  Betracht,  dass  die  Linse  keineswegs  ein  absolut  elastisches 
Gebilde  ist,  welches  allsogleich  in  seine  frühere  Form  zui'ückspringt,  wenn 
der  Ciliarmuskel  völlig  entspannt  wird.  Durch  länger  dauernde  stärkere 
Accommodationsanstrengungen  wird  der  liefractionszustand  öfters  für  Stunden 
und  wohl  auch  für  Tage  bedeutend  erhöht,  indem  die  Linse  sich  nur 
allmälig  wieder  abflacht.  Umgekehrt  findet  man  in  Augen,  welche  für 
gewöhnlich  zu  starken  und  dauernden  Accomraodationsanstrengungen  verhalten 
werden,  nach  einer  mehrere  Tage  oder  gar  Wochen  dauernden  Accommo- 
dationsruhe  sehr  häufig  eine  merkliche  Verminderung  des  früheren  Refrac- 
tionszustandes.  Dasselbe  leistet  auch,  und  sogar  im  verstärkten  Grade, 
die  Lähmung  des  CiUarmuskels,  sie  sei  die  Folge  kx'ankhafter  Processe  oder 
der  localen  Einwirkung  kräftiger  Mi/driatica.  Man  ist  hierauf  schon  seit 
Langem  aufmerksam  geworden  und  dringt  daher  mehrseitig  auf  die  strenge 
Unterscheidung  des  natürlichen  und  des  loirklichen  äussersten  Fernpunkt- 
abstandes. 

Es  ist  klar,  dass  diese  Differenz  nicht  leicht  bei  höhergradig  myopi- 
schen Individuen  hervortreten  könne,  welche  ihre  Accommodationsbreite 
wenig  oder  gar  nicht  benützen,  sondern  die  Objecte  ihrer  gewöhnlichen 
Beschäftigung  in  den  Fernpunktabstand  zu  stellen  pflegen.  Dagegen  ist 
aber  die  Differenz  oft  eine  sehr  grosse  bei  Hypermetropen,  welche  nicht 
nur  zum  Nahesehen,  sondern  aiieh  zum  Fernesehen  eine  grössere  Accom- 
modationsquote  aufwenden,  den  f'iliarrauskel  also  während  dem  Wachsein 
ununterbrochen  in  einer  starken  Spannung  erhalten  müssen.  Es  werden 
solche  Individuen  nachgewiesener  Massen  (Dobrowolsky)  nicht  selten  sogar 
scheinbar  kurzsichtig.  Längere  Accommodationsruhe  so  wie  krankhafte  oder 
künstliche  Lähmung  des  Ciliarmuskels  machen  dann  den  Refractionszustand 
wieder  um  ein  Gewisses  sinken,  das  Auge  kann  neuerdings  hypermetropisch 
werden. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  dieselben  Momente  unter  geeigneten 
Verhältnissen  auch  eine  bleibende  Erhöhung  des  Refractionszustandes  be- 
gründen können  und  insoferne  bei  der  Erwerbung  der  Kurzsichtigkeit  eine 
nicht  ganz  unwichtige  Rolle  spielen.  Es  wachsen  die  Linse  und  der 
Muskel  nämlich  bei  fortgesetzten  Accommodationsanstrengungen  am  Ende  in 
die  ihnen   aufgezwungene  Form  hinein. 

In  der  That  sind  Convexitätsverviehrungen  der  Linse  als  Grund  bleibender  myopi- 
scher Einstellungen  schon  vor  Jahren  mit  Sicherheit  erwiesen  worden  (Cramer). 
In  neuerer  Zeit  hat  man  gefunden,  dass  aueli  der  Ciliarmuskel,  welcher  unter  nor- 
malen Verhältnissen  im  senkrechten  Durchschnitte  ungefähr  einem  rechtwinkligen 
Dreiecke  gleicht  (Fig.  "2,  o,  Z,  S.  54),  im  hypermetropischen  und  im  höhergradig 
myopischen  Auge  seine  Gestalt  und  seinen  Bau  beträchtlich  ändere.  Es  ist  nämlich 
im  übersichtigen  Auge  jener  Theil  der  Kreisfasern,  welcher  die  innere  vordere  Fläche 
des  Muskelbauches  bildet,  ganz  enorm  verstärkt,  die  Längsfaserportion  aber  merk- 
lich ver schmächtig t.  Die  Hauptmasse  des  Muskels  erscheint  demnach  nach  vorne 
und  innen  gerückt  und  die  kurze  Kathete  des  Dreieckes  in  einem  stark  convexen 
Bogen  gegen  den  Linsenäquator  hin  vorgebaucht,  während  der  hintere  Theil  des 
Muskels  sich  viel  dünner  zeigt.  Im  höhergradig  myopischen  Auge  dagegen  fehlen 
die  circulären  Fasern  an  der  inneren  vorderen  Fläche  des  Muskelbauches  bis  auf 
wenige  Reste;  die  meridional  streichenden  Bündel  jedoch  haben  an  Zahl  und 
Mächtigkeit  gewonnen.     Die   innere   vordere    Fläche    des   Muskels  erscheint  darum 


776  Anomal,  d.  Eefr.  u.  Acc. ;  Nosologie;  Abnorm.  Astigmatismus;  Astigm.  Differenz. 

sehr  schräg  nach  hinten  geneigt,  der  innere  hintere  Winkel  des  Bauches  ist  sehr 
weit  zurückgerückt  und  stumpf,  so  dass  die  grösste  Dicke  des  Muskels  sehr  weit 
nach  hinten  fällt.  Es  ist  klar,  dass  diese  Veränderungen  nicht  ohne  Einfluss  auf 
die  accommodativen  Wirkungen  bleiben  können.  Schon  bei  oberflächlicher  Betrachtung 
ergibt  sich  nämlich,  dass  die  Resultirende  des  Muskelzuges  in  hypermetropischen 
Augen  fast  senkrecht  auf  der  optischen  Axe  steht,  sonach  eine  die  Entspannung  der 
Zoniila  sehr  begünstigende  Richtung  hat;  in  hochgradig  kurzsichtigen  Kw^eix  ]e(\.Oii\\ 
mehr  von  vorne  nach  hinten  der  inneren  Scleralfläche  entlang  streicht  (Iwanoff). 

3.  Mcht  selten  besteht  wegen  ungewöhnlich  stark  asymmetrischem  Baue 
der  Haupttrennungsflächen  ein  relativ  grosser  Unterschied  zwischen  den  Brech- 
zuständen verschiedener  Meridianebenen  des  dioptrischen  Apparates.  Wenn 
dann  die  in  einem  Hauptsclinitte  gebrochenen  Strahlen  auch  scharfe  Bilder 
in  der  Stabschichte  der  Netzhaut  entwerfen,  so  kommen  die  in  den  anderen 
Meridianebenen  streichenden  Strahlen  so  weit  vor  oder  hinter  dem  licht- 
empfindenden Stratum  zur  Vereinigung,  dass  sie  dieses  unter  der  Gestalt 
ausgedehnter  und  verzogener  Zerstreuungsfiguren  treffen  und  sonach  den  Total- 
eindruck in  hohem  Grade  verundeutlichen.  Palls  aber  auch  die  mittlere 
Brenn-  oder  Vereinigungsweite  in  die  Stabschichte  fiele,  ist  doch  die  Con- 
centration  der  Strahlen  daselbst  eine  viel  zu  geringe,  der  kreisförmige  Durch- 
schnitt der  einzelnen  homocentrischen  Strahlenbündel  ein  viel  zu  umfangs- 
reicher,  als  dass  eine  genügende  Schärfe  des  Netzhautbildes  erzielt  werden 
könnte.  Solche  Augen  ermangeln  also  einer  deutlichen  Sehweite,  sie  nehmen 
Objecte  beliebiger  Distanz  blos  in  Zerstreuungsfiguren  wahr,  sie  sehen  in 
gewisse  Distanzen  wohl  besser,  als  in  andere,  in  keiner  aber  scharf.  Man 
nennt  solche  Augen  astigmatisch  und  zwar  bezeichnet  man  den  Zustand  als 
abnormen  regelmässigen  Astigmatismus  oder  als  Astigmatismus  schlechtweg.  Er 
ist  von  dem  normalen  Astigmatismus,  welcher  fast  jedem  Auge  anhängt, 
nur  dem    Grade  nach  verschieden. 

Denkt  man  sich  ein  regulär  astigmatisches  Auge  abgeblendet  durch  ein 
Diaphragma  mit  zwei  sehr  feinen  unter  rechtem  Winkel  gekreuzten  Spalten,  welche 
je  genau  zusammenfallen  mit  dem  Meridiane  der  grössten  und  kleinsten  Krümmung, 
so  erscheint  das  astigmatische  Auge  zerlegt  in  zwei  sphärische,  je  bis  auf  eine  Spalte 
gedeckte  schematisirte  Aiigen  (Fig.  97,  S.  764).  Die  Bulbnslänge,  also  auch  sin.  ß 
der  Grundgleichung  sin.  a.  =  ?i.  sin.  ß,  ist  Beiden  gemeinschaftlich,  das  n  aber  ein 
verschiedenes,  und  daher  auch  der  sin.  a,  welcher  zur  Vereinigung  der  Strahlen  auf 
der  Netzhaut  erforderlich  ist,  ein  anderer.  Der  Sinus  des  Differenzwinkels,  oder 
der  reciproke  Werth  der  positiven  oder  negativen  Distanz,  aus  welcher  die  Strahlen 
divergiren  müssen,  um  auf  der  Netzhaut  zur  Vereinigung  zu  kommen,  gibt  nun 
den  Refractionszustand  des  einen  und  des  anderen  schematisirten  Auges,  also  auch 
den  Brechzustand  der  beiden  Hauptmeridiane  des  astigmatisclien  Auges.  Der  Unter- 
schied beider  ist  das,  was  man  astigmatische  Differenz  nennt.  Der  Refractionszustand 
jedes  anderen  zwischengelegenen  Meridianes  ist  gleich  dem  des  Meridianes  der 
kleinsten  Krümmung  mehr  dem  Producte  aus  der  astigmatischen  Differenz  und  aus  dem 
Sinus  des  Winkels,  welchen  der  betreffende  Meridian  mit  dem  Meridiane  der  klein- 
sten Krümmung  einschliesst.  Es  ist  dieses  Product  eben  im  Meridian  der  klein- 
sten Krümmung  0,  in  jenem  der  grössten  Krümmung  gleich  der  ganzen  astigmatischen 
Differenz. 

Mcht  selten  stösst  man  in  der  Praxis  auf  hohe  Grade  des  unregel- 
mässigen Astigmatismus,  bei  welchem  der  Refractionszustand  nicht  nur  der 
einzelnen  Meridiane,  sondern  verschiedener  Theile  eines  und  desselben  Meri- 
dianes ein  anderer  ist  und  in  ganz  gesetzloser  Weise  steigt  und  fällt.  Es 
hat  dieser  Refractionsfehler  seine  Quelle  bald  in  der  Hornhaut,  bald  in  der 
Linse,   bald   in  beiden   Organen  zugleich   (Knapp,   Donders). 

In  Bezug  auf  die  Cornea  kommen  hauptsächlich  in  Betracht:  Trübungen  und 
oberflächliche     Rauhigkeiten ;     umschriebene     Facettirungen     als    Folge    vorausge- 


Unregelniässiger  abnormer  Astigmatismus;  Accommodationsstörungen.  777 

gangener  Geschwüre ;  die  Keratectasie  mit  dem  Keratoconus ;  Verkrümmungen 
sonst  unveränderter  Hornhauttheile,  wie  sieh  selbe  neben  durchgreifenden  umfang- 
reichen schruinpfenden  Hornhautnarben,  neben  partiellen  narbigen  Corncalstapliy- 
lomen  und  neben  partiellen  Narbenectasien,  so  wie  nach  der  Lappenextraction  in 
Folge  unrichtiger  Anheilung  des  Lappens  oder  nachträglicher  Dehnung  der  Narbe 
finden.  Der  Krystall  wird  Veranlassung  des  abnormen  nnregelmässigen  Astigmatis- 
mus wegen  Volumsverminderung  bei  partiellen  regressiven  Staaren ;  wegen  Decen- 
tralisation  (Dvfour),  Ectopie  und  spontaner  Luxation  und  bisweilen  vielleicht  auch 
wegen  nicht  ganz  gleiclimässiger  Dichtigkeit  seines  Gefüges,  zumal  bei  beginnender 
Cataracta  (Knapp). 

Das  Ergebniss  dieser  Abweichungen  ist  öfters  eine  vollständige  Verwirrung  der 
Netzhauteindrikke,  so  dass  selbst  grössere  Objecte  nur  in  sehr  undeutlichen  ver- 
zogenen Schattenumrissen  wahrgenommen  werden  und  man  leicht  an  eine  Amhlynpie 
denken  könnte,  weini  nicht  das  Farbenunterscheidungsvermögen  vollständig  erhalten 
wäre.  Es  findet  sich  dieser  Zustand  besonders  bei  ausgebreiteten  Trübungen  und 
beträchtlicher  Eauhigkeit  der  Hornhautmitte,  bei  starken  Verkrümmungen  durch- 
sichtiger Cornealtheile  wegen  schrumpfenden  oder  ectatischen  Narben  und  zumal 
beim  Keratoconus. 

In  anderen  Fällen  äussert  sich  der  abnorme  Astigmatismus  durch  sehr  starke 
Verzerrung  der  Netzhautbilder,  und  zwar  wechselt  die  Gestalt  derselben  je  nach  der 
Stellung  der  Objecte  zum  Auge,  je  nachdem  also  die  bezüglichen  Axenstrahlen  durch 
diesen  oder  jenen  Theil  des  dioptrischen  Apparates  gehen.  Gewöhnlich  sind  dabei 
nicht  alle  Bildstellen  gleich  undeutlich,  indem  die  Focalflächen  der  einzelnen 
AicliTingen  des  dioptrischen  Apparates  mit  der  Netzhaut  sehr  verschiedene  Winkel 
einschliessen.  Unter  Umständen  trennen  sich  in  der  Wahrnehmung  wohl  gar  die 
Zerstreuungsfiguren,  welche  die  Netzhaut  treffen,  in  gesonderte  Bilder,  es  macht  sich 
inonoculüre  Diplopie,  Triplopie  (Dufour)  oder  Polyopie  geltend  (S.  759),  und  zwar 
stehen  die  einzelnen  Bilder  gekreuzt  oder  nicht,  je  nachdem  der  Refractionswerth 
der  bezüglichen  Stellen  erhöht  oder  vermindert  ist  (Knapp).  Meistens  machen  sicli 
die  gleichen  Verändjerungen  auch  im  ophthalmoskopischen  Bilde  des  Augengrundes 
bemerklich,  der  Sehnerveneintritt,  die  Netzhautgefässe  erscheinen  verzogen,  wechseln 
je  nach  der  Lage  des  Spiegels  ihre  Form  und  zeigen  sich  wohl  auch  verdoppelt 
und  vervielfältigt  (Graefe,  Knapp).  Ist  die  Hornhaut  die  Ursache,  so  tritt  der 
unregelmässige  Astigmatismus  auch  in  den  Reflexbildern  hervor. 

Bei  umschriebenen  Facettirungen  und  Trübungen  der  Cornea  wird  endlich 
auch  die  Metamorphopsie  mit  ähnlichen  Erscheinungen  wie  bei  der  exsudativen 
Neurodictyitis  (S.  209)  und  bei  der  Netzhautabhebung  (S.  222)  beobachtet.  Gerade 
Linien,  so  weit  sie  in  bestimmten  Aichungen  des  Gesichtsfeldes  liegen,  zeigen  sich 
verkrümmt,  Bogeulinien  buchtig  u.  s.  w.  (Knapp). 

4.  Ausser  den  erwähnten  Refractionsanomalien  machen  sich  im  Auge 
sehr  häufig  Beschränkungen  der  Accommodationshreite  geltend.  Sie  kommen 
eben  sowohl  bei  normaler  Einstellung  des  dioptrischen  Apparates  als  in 
Gesellschaft  von  Myopie,  Hypermetropie  und  Astigmatismus  vor  und  ver- 
ändern die  Länge  und  Lage  der  deutlichen  Sehweite  in  gar  mannigfaltiger 
Weise  je  nach  dem  Wesen  des  Grundleidens. 

Oefters  ist  dieses  ein  mechanisches  Hinderniss  der  Muskelwirkung  oder 
eine  krankhafte  Aßection  des  Accommodationsmuskels  und  seiner  Nerven,  also 
eine  eigentliche  Accommodationsparese.  Die  deutliche  Sehweite  erscheint 
dann  verkürzt  durch  Vergrösserung  des  Nahepunktabstandes ;  der  Fernpunkt 
erleidet  primär  keine   Verrückung. 

Selten  sind  wahre  AcQommodationskrämpfe  das  eigentliche  Grundleiden. 
Der  dioptrische  Apparat  zeigt  sich  dann  während  der  Dauer  des  Krampfes 
für  den  Nahepunktab stand  oder  für  eine  noch  kürzere  Distanz  eingestellt,  es 
ist  der  Fernpunkt  fast  bis  an  den  Nahepunkt  herangerückt,  oder  wohl 
gar  mit  diesem  über  die  frühere  Grenze  der  deutlichen  Sehweite  herein 
gewichen. 


77b  Auomal.  d.  Reft-.  u.  Acc. ;  Nosologie;  Presbyopie  und  Hyperpresbyopie. 

Die  aller  gewöhnlichste  Quelle  von  Accomraociationsbeschränknngen  liegt 
in  den  Veränderungen,  welche  der  Krystall  und  der  Adaptionsmuskel  bei 
fortschreitendem  Lebensalter  normalmässig  eingehen.  Indem  nämlich  einer- 
seits die  Linse  immer  dichter  wird  und  den  accommodativen  Gestaltwechseln 
wachsende  Widerstände  entgegensetzt,  andererseits  aber  im  höheren  Alter 
auch  die  Kraft  abnimmt,  mit  welcher  der  Muskel  auf  den  Krystall  wirkt : 
muss  nothwendig  das  Maximum  der  aufbringbaren  Accommodationswirkung 
sinken.  Insoferne  aber  mit  zunehmender  Dichtigkeit  das  Gefüge  der  Linse 
homogener  wird  und  überdies  der  Krystall  sich  verflacht,  erleidet  auch  die 
Brechkraft  der  Linse  und  folgerecht  der  der  Accomodationsruhe  ent- 
sprechende Refractionszustand  des  ganzen  dioptrischen  Apparates  eine  Ver- 
minderung, es  rückt  nicht  blos  der  Nahepunkt,  sondern  auch  der  Fernpunkt, 
also   die  ganze  deutliche   Sehiueite,   vom  Auge  hinweg. 

Es  sind  diese  Alterationen  rein  physiologischer  Natur  und  nothwendige 
Consequenzen  der  Altersinvolution;  sie  machen  sich  daher  in  jedem  Auge 
ohne  Ausnahme  bald  früher  bald  später  in  mehr  oder  weniger  bedeuten- 
dem Grade  geltend. 

Doch  wird  die  senilo  Beschränkung  der  Accommodation  am  auftalligsten  bei 
Angen,  welche  vordem  sowohl  in  grosse  Entfernungen,  als  auch  in  den  kurzen 
Abstand  der  gewöhnlichen  Beschäftigungen  ausreichend  deutlich  sahen  und  daher 
zu  den  evimetropischen  gezählt  werden,  obwohl  sie  häufig  von  Jugend  auf  in  massigem 
Grade  hupermetrojjisch  sind.  Es  bedürfen  dieselben  jetzt  nämlich  corrigirender 
Brillen,  während  höheryradig  hypermetropische  Individuen  gewöhnlich  schon  längst 
an  Gläser  gewöhnt  sind  und  eine  Verkürzung  der  Brennweite  der  bisher  verwendeten 
Convexbrillen  dem  Zwecke  genügt.  Dieser  Umstand  war  es  denn  auch,  welcher  mach- 
te, dass  man  die  senile  Abnahme  der  Accommodationsbreite  bei  den  für  emmefropiisch 
geltenden  Augen  als  eine  besondere  Anomalie  hervorgehoben  und  unter  einem  eigenen 
Namen,  als  Pi-eshyopie  oder  Fernsichtiykeit,  beschreiben  zu  müssen  glaubte.  Es  kömmt 
hier  aber  in  Betracht,  dass  die  senile  Verdichtung  des  Krystalles  ohne  Vermindertmg 
des  Refractionszustandes  im  ganzen  Auge  nicht  denkbar  ist.  Preshyopisch  im  engeren 
Wortsinne,  d.  i.  mit  unendlichem  Fernpunktahslande,  können  durch  die  senile  Invo- 
lution in  der  That  nur  Augen  werden,  welche  vordem  in  geringerem  Grade  kurz- 
sichtig waren  und  auch  da  ist  der  Zustand  immer  nur  ein  vorübergehender.  Emme- 
tropische  Augen  werden  im  Greisenalter  nothwendig  hypermetropisch  und  hyper- 
metropische Augen  steigern  den  Grad  ihres  Refractionsfehlers.  Allerdings  wird  aus 
optischen  Gründen  die  Hypermetropie  bei  früher  wirklich  emmetropischen  Augen 
nicht  immer  gleich  manifest,  es  muss  anfangs  der  Accomraodationsmuskel  durch  Atropin 
gelähmt  werden,  auf  dass  die  Einstellung  für  negative  Entfernungen  einigermassen 
ersichtlich  werde.  Mit  zunehmender  seniler  Involution  der  Linse  jedoch  wächst  der 
Refractionsfehler  und  spricht  sich  immer  entschiedener  aus,  die  frühere  scheinbar 
7'eine  Adaptiousbeschränkung  hat  sich  mit  manifester  Hypermetropie  gepaart,  die 
Presbyopie  istzur  y,  Hyperpresbyopie^  mitverminderter  Accommodationsbreite  geworden. 
In  Anbetracht  dessen  scheint  es  denn  auch  gerathen,  die  Presbyopie  in  der  Bedeu- 
tung eines  selbständigen  Accommodationsfehlers  fallen  zu  lassen  und  die  Ver- 
änderungen, welche  die  deutliche  Sehweite  nach  Länge  und  Lage  durch  die  senile 
Involution  erleidet,  den  über  Myopie  und  Hypermetropie  handelnden  Abschnitten 
einzufügen. 

5.  Nicht  selten  äussern  sich  Functionsstörungen  im  Accommodations- 
muskel  oder  in  den  Convergenzmuskeln  durch  das  Unvermögen,  die  richtige 
Einstellung  oder  Axenconvergenz  für  kurze  Distanzen  längere  Zeit  zu  erhalten; 
die  Muskeln  ermatten  leicht,  wenn  ein  einigermassen  bedeutender  Kraftauf- 
wand von  ihnen  gefordert  wird ;  bei  fortgesetzter  Arbeit  stellen  sich  das 
Gefühl  der  Uebermüdung,  selbst  heftige  Schmerzen  .und  Congestionser- 
<5cheinungen    ein,    welche    die    fernere    Arbeit  bis    auf  weiteres  unmöglich 


Asthenopie;  Mikropsie;  Megalopsie.  779 

machen  und  cam  Ende  eine  liöchsi  peinliche  IJi/perästhesie  der  Netzhaut  und 
der  Ciliarnerven  im  Gefolge  haben.  Die  Accummodations-  und  Converc/enz- 
breite  sind  dabei  nicht  nothwendlg,  woiil  aber  oft  vermindert.  Mau  nennt 
diesen  Zustand  von  Schwäche  der  Muskeln  Asthenopie,  Kopiopie,  Hebetudo 
Visus  etc. 

(j.  In  nächster  Beziehung-  zu  den  Functionsstörungen  der  beim  gemein- 
schaftlichen Sehacte  betheiligten  Muskeln  steht  die  Mikropsie  und  Megalopsie, 
das  Verkleinert-  und  Vergrössertsehen  der  (3b)ecte.  Das  Urtheil  über  die 
Grösse  eines  in  Sicht  befindlichen  Objectes  wird  nämlich  nicht  blos  aus 
der  Grösse  des  Netzhautbildes  oder  des  Sehwinkels,  sondern  vorwiegend  aus 
dem  abgeschätzten  Distanzwerthe,  mittelbar  also  aus  der  Gi'össe  der  An^ 
strevgimg  geschöpft,  welche  der  Accommodationsmuskel  und  die  inneren  Geraden 
zu  machen  gezwungen  sind,  um  den  Gegenstand  in  scharfen  und  deutlichen 
Bildern  zur  Wahrnehmung  zu  bringen  (Panum).  Von  zwei  Objecten  erscheint 
bei  gleichen  Sehwinkeln  dasjenige  kleiner,  dessen  wirklicher  oder  virtueller 
Abstand  von  den  genannten  Muskeln  eine  grössere  Anstrengung  verlangt. 
Concavgläser  lassen  daher  die  Objecte  kleiner,  Convexgläser  hingegen,  welche 
den  Accommodationsmuskel  zur  Abspannung  zwingen,  grösser  ei'scheinen 
und  dieses  zwar  in  einem  weit  höheren  Grade,  als  es  die  Brechungsverhält- 
nisse dieser  Gläser  und  ihr  nothwendiger  Abstand  vom  Auge  erklären.  Auch 
trüben  ad-  und  abducirende  Prismen  beim  binocularen  Sehen  die  Beurtheilung 
der  Grösse  (Graefe).  Indem  nun  pathologische  Schwächezustände  des  Accommo- 
dationsmuskels  und  der  inneren  Geraden  das  Grössenmass  der  erforderlichen 
Anstrengungen  steigern,  also  stärkere  Nervenimpulse  nothwendig  machen,  werden 
sie  in  ähnlicher  Weise  zur  Quelle  von  Mikropsie,  besonders  wenn  sie  sich 
rasch  ausbilden  und  so  lange  der  Kranke  nicht  durch  fortgesetzte  Erfahrungen 
gelernt  hat,  seine  fehlerhaften  Urtheile  über  die  Objectgrösse  zu  corri- 
giren.  In  der  That  findet  man  die  Mikropsie  nicht  ganz  selten  bei 
Schwächezuständen,  wie  sie  in  der  Asthenopie  zur  Aeusserung  kommen. 
Vornehmlich  aber  kommen  sie  vor  bei  den  eigentlichen  Paresen  des  Accommo- 
dationsmuskels,  es  mögen  dieselben  nun  allein  und  für  sich  dastehen  oder 
mit  Mydriasis  (Graefe),  oder  gar  mit  Lähmungszuständen  des  ganzen  Nerv, 
oculomotorius  verknüpft  sein.  Nicht  minder  sind  künstliche  Schwächungen 
des  Accommodationsmuskels,  wie  selbe  durch  schwache  Atropinwirkungen  be- 
gründet werden,  häufig  mit  Mikropsie  gepaart  und  zwar  haben  unter 
solchen  Verhältnissen  zur  Bestätigung  der  oben  aufgestellten  Theorie  ein- 
gehende Versuche  gelehrt,  dass  die  Mikropsie  eben  so  wie  der  Einfluss  auf 
die  Accommodation  später  eintrete,  als  die  Lähmung  des  Sphineters ;  dass  sie 
sich  nur  bei  der  Betrachtung  von  Objecten  einstelle,  welche  sich  in  der 
Nähe  des  mit  höchster  accommodativer  Anstrengung  zu  erreichenden  Nahe- 
punhtes  befinden ;  dass  die  Verkleinerung  weiter  mit  zunehmendem  Accommo- 
dationsimpulse  wachse,  umgekehrt  aber  bei  Verminderung  des  Impulses  abnehme 
und   daher  durch   Convexgläser  gehoben  werde   {Förster,  Donders). 

Auch  bei  der  recidivir'enden  Retinitis  centralis  und  bei  der  circumscripten  Form 
der  Neurodicfyitis  exsudativa  findet  sich  öfters  Mikropsie.  Dieselbe  ist  nicht  völlig 
aufgeklärt.  Man  glaubt  si-e  auf  den  Ausfall  einer  gewissen  Summe  lichtempfindender 
Elemente  zurückführen  zu  können  (Graefe). 

7.  Endlich  kommen  wegen  ihres  natürlichen  Zusammenhanges  mit 
Accommodationsfehlern  noch  die  Mydriasis  und  Myosis  in  Betracht.  Mit 
ersterem  Namen  bezeichnet  man  eine  Erweiterung,  mit  letzterem  eine  Ver- 


780  Anomal,  d.  Refr.  u.  Acc. ;  Vorbegriffe;  Nosologie;  Quellen. 

engerung  der  Pupille,  wenn  diese  Zustände  entweder  auf  einem  Krampf 
oder  auf  einer  Lähmung  der  die  Iris  bewegenden  Muskeln  beruhen. 

Quellen:  Vo7-hef/riffe :  Helmholf::,  A.  f.  O.  I.  2.  S.  45,  49,  51,  53,  58,  64—74; 
Karsten,  Encyklopaedie."  IX.  S.  11,  37,  64,  69,  70,  72,  75,  103,  104,  110,  118  —  123, 
125,  137,  141,  145,  198,  209,  213  —  218,  222.  —  Knapp,  Verhandlungen  d.  Heidel- 
berger ophth.  Versammlung  1859.  S.  19;  Die  Krümmung  der  Hornhaut  etc.  Heidel- 
berg 1860.  S.  16,  21,  23,  25,  27,  29;  A.  f.  O.  VI.  1.  S.  1,  8,  13,  14,  17,  21,  23,  25, 
34,  37,  40,  44,  51;  VH.  2.  S.  136;  VIII.  2.  S.  185,  187,  188,  201,  203,  204,  209, 
215,  219,  223,  226,  227.  —  Donders,  A.  f.  O.  IV.   1.  S.  301,  305;  VI.  1.  S.  84;  VII. 

I.  S.  176,  182,  184,  188,  192;  IX.  1.  S.  103;  IX.  2.  S.  219,  220;  Astigmatismus  u. 
cyl.  Brillen.  Berlin.  1862.  S.  10,  16,  27,  30;  kl.  Monatbl.  1863.  S.  496;  Vierde  Jaarl. 
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S.  7,  10,  18,25,  34,  93  —  107,  154,  156,  381,383,  393,418,  447,457,  482,  485-492; 
Centralblatt  1866.  S.  360;  Het  tienjarig  bestaan  etc.  Utrecht.  1869,  S.  137.  — 
Middelburg,  Vierde  Jaarl.  Verslatr.  Utrecht.  1863.  S.  148,  156,  164,  171;  kl.  Montbl. 
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nach  Donders  Anomalien  etc.  S.  34,  155.  —  Kaiser,  A.  f.  O.  XI.  3.  S.  186.  — 
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S.  11—24.  —  Welker,  Zeitschrift  f.  rat.  Med.  XX.  S.  173,  176.—  Bergmann,  ibid. 
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Utrecht.  1862.  S.  1-6:  A.  f.  O.  XV.  2.  S.  199,  204.  —  Vroesom  de  Haan,  Derde 
Jaarlijksch  Verslag.  Utrecht.  1862.  S.  229,  240,  278;  kl.  Monatbl.  1863.  S.  327.  — 
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d'ophth.  Paris.  1863.  S.  97,  101.  —  Czermak,  A.  f.  0.  VII.  1.  S.  147;  Sitzgsber.  d. 
Wien.  k.  Akad.  d.   Wissensch.  XV.  S.  425.  —  Stellwag,   ibid.  XVI.  S.  200;  Ophth. 

II.  S.  335,  508.  —  Graefe,  A.  f.  O.  II.  1.  S.  187,  191,  193;  II.  2.  S.  299,  303, 
304,  306;  III.  2.  S.  363,  434;  VII.  2.  S.  150,  152,  156—161.  —  Cramer,  Het 
accommodatievermogen.  Haarlem.  1853.  S.  24,  51,  55,  86,  93,  106,  117,  123,  132, 
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Centralbl.  f.  med.  Wiss.  1866.  Nr.  46;  Experimentaluntersuchungen  etc.  Kiel.  1868. 
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IV.  1.  S.  269,  280—285.  —  Henke,  ibid.  VI.  2.  S.  53,  69.  —  Förster,  kl.  Monatbl. 
1864.  S.  368.  —  V.  Reeken,  Ontleedkundig  Onderzook  etc.  Utrecht.   1855.  S.  7,  46. 

—  Klehs,  Virchow's  Archiv.  21.  Bd.  S.  175.  —  Grünhagen,  ibid.  30.  Bd.  S.  481.  — 
Witter,  A.  f.  O.  IX.  1.  S.  207.  —  Ed.  Jaeger,  Einstellungen  des  dioptr.  Apparat. 
Wien.  1861.  S.  9—24,  105,  114,  149,  155,  163,  184,  212—236.  —  Leber,  Denkschft. 
d.  Wien.  k.  Akad.  d.  Wiss.  24.  Bd.  S.  312;  A.  f.  O.  XI.  1.  S.  26.  —  0.  Becker, 
Wien.  med.  Jahrb.  1863.  S.  159,  170,  175;  1864.  S.  3,  10,  20—24.  —  Tratitvettcr, 
A.  f.  O.  XII.  1.  S.  95,  122,  144—149.  —  Budge,  Die  Bewegung  d.  Iris.  Braun- 
schweig. 1854.  S.  104.  —  Budge,  Waller,  Kuiper,  nach  Donders  Anomalien  etc. 
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A.  f.  O.  V.  1  S.  1,  35.  —  Reuss,  Woinow,  Ophth.  Studien.  Wien.  1869.  S.  10—15, 
37,  51,  55.  —  Woinow,  A.  f.  O.  XV.  2.  S.  144,  155,  166,  167,  171;  kl.  Monatbl. 
1869.  S.  476,  482.  —  Bohrowolsky,  A.  f.  O.  XIV.  3.  S.  51,  91.  —  Arlt,  jun.  ibid. 
XV.  1.  S.  302.  —  Schirmer,  kl.  Monatbl.  1869.  S.  405.  —  Mauthner,  ibid.  S.  481.  — 
Berlin,  ibid.  S.  4.  —  Zehender,  ibid.  1868.  S.  55.  —  Heiberg,  ibid.  1870.  S.  80.  — 
Adamük,  Centralbl.  1870.  S.  65.  —  Mitchel,  Arch.  f.  Psychiatrie.  I.  S.  423.  —  Moser, 
Perimeter.  Breslau,  1869.  S.  10.  —  Heymann,  SiissdorJ  Sitzungsber.  d.  Dresden. 
Gesellschft.  f.  Natur-  u.  Heilkde.  1867.  S.  42.  —  Green,  Transact.  americ.  ophth. 
soc.  1869.  S.  31.   —  Burchardt,  Internationale  Sehproben.  Kassel.  1870.  —  Hering, 


Myopie;  Kranklieitsliild ;  Fcinpunktabstand ;  Optometer.  781 

Lehre  vom  binoc.  Seilen.  Leipzig.  1868.  S.  14L  —  Coccius,  Der  Median,  d.  Accoin. 
Leipzig.  1868.  S.  15,  30,  41,  48  —  Sclmmann,  Ueber  den  Mechan.  d.  Accom. 
Dresden.  1868;  Experimentaluntersuchungen  etc.  Leipzig.  1869.  —  Dufour,  kl. 
Monatbl.  1870.  S.  46. 

Nosologie:  Knapp,  klin.  Monatbl.  1864.  S.  304,  307,  308,  310—316.  — 
Benders,  A.  f.  O.  IV.  1.  S.  337;  VI.  1.  S.  62,  84;  VL  2.  S,  210;  VII.  1.  S.  176 
bis  202;  Anomalien  etc.  S.  69,  93,  145,  173-181,  187,  463—467,  496,  519.  — 
Stelhcag,  Sitzgsber.  der  Wiener  k.  Akad.  der  Wiss.  XVI.  1855.  S.  201,  232,  250; 
Ophth.  II.  S.  336,  360.  —  Förster,  ophth.  Beiträge.  Berlin  1862.  S.  69,  73,  74,  83, 
85,  88,  90,  93,  95.  —  Graefe,  A.  f.  O.  I.  1.  S.  341;  VIIL  2.  S.  360;  IX.  3.  S.  109; 
XIL  2.  S.  215.  -  Bowman,  kl.  Monatbl.  1863.  S.  369.  —  Naqel,  kl.  Monatbl.  1868, 
S.  65;  Congres  ophth.  1868.  S.  143.  —  Javal,  ibid.  S.  142;  A".  f.  O.  XII.  2.  S.  308. 
—  Hasner,  Prag.  Vierteljahrschrift.  101.  Bd.  Annal.  S.  86.  —  Iwanoff,  A.  f.  O. 
XV.  3.  S.  284,  286,  289.  —  Burow,  lieber  die  Reihenfolge  der  Brillenbrennweiten. 
Berlin,  1864;  A.  f.  O.  XII.  2.  S.  308;  kl.  Monatbl.  1866.  S.  203;  1868.  S.  189.  - 
Giraud-TeuJon,  ibid.  1864.  S.  316.  —  Zehender,  ibid.  1866.  S.  1.  —  Dohrowolsky, 
ibid.  1868.  Beil.  S.  3,  9,  39,  87,  141.  —  Gravier,  Het  accommodatievermogen  etc. 
Haarlem.  1853.  S.  146.  —  Adamiih,  Centralbl.  1870.    S.  178. 


1.  Die  Kurzsiclitigkeit. 

Krankheitsbild.  Charakteristisch  ist  die  Erhöhung  des  natürlichen 
Hefractionszustandes  über  den  Nullwerth,  also  die  Verkürzung  des  Fernpunkt- 
abstandes und  das  damit  gesetzte  Unvermögen  des  Auges,  weiter  abstehende 
Objecte  ohne  Zuhilfenahme  von  Zerstreuungsgläsern  in  deutlichen  und  scharfen 
Bildern  zur  Wahrnehnnmg  zu    bringen. 

1.  Der  Fernpunktabstand  kann  in  allen  möglichen  positiven  und  end- 
lichen Werthen  schwanken ;  in  der  Praxis  jedoch  erscheinen  nur  Myopien 
von  Belang,  bei  welchen  derselbe  iceniger  als  .O  Schuh  beträgt.  Je  nach  der 
Grösse  dieses  Werthes  unterscheidet  man  mehrere  Grade  der  Kurzsichtigksit, 
und  zwar  kann  man  Mj-opien  mit  einem  Fernpunktabstande  bis  ungefähr 
12  Zoll  herab  zu  den  nieder  gradigen,  mit  Fernpunktabständen  zwischen 
12"  und  ß"  zu  den  mittleren  Graden  und  mit  Fernpunktabständen  unter 
6"  zu  den  hohen  Graden  rechnen.  Unter  2  Zoll  sinkt  jeuer  Wex'th  nur 
selten ,  ohne  dass  Complicationen  sich  überwiegend  beim  Sehacte  geltend 
machen. 

Zar  ungefähren  Bestimmung  des  Fernpnnktabstandes,  wie  selbe  zu  prak- 
tischen Zwecken  in  der  Regel  ausreicht,  genügt  es,  die  loeileste  Distanz 
mit  dem  Zollstabe  abzumessen,  in  welcher  das  betreffende  Auge  nüLtlere 
und  kleine  Druckschrift  anstandslos  zu  lesen,  oder  ähnliche  Zeichen  zu 
erkennen  vermag.  Die  Anzahl  der  ermittelten  Zolle  ergiebt  die  Grösse  des 
Fernpnnktabstandes.  Man  hat  dabei  nur  die  Vorsicht  zu  gebrauchen,  dass 
man  für  jede  Distanz  jene  Schrift  wählt,  welche  aus  derselben  unter  einem 
Sehwinkel  von   circa   5   Minuten   erscheint  (S.    761). 

Ist  der  Sehvvinkel  nämlich  kleiner,  so  kann  trotz  richtiger  Einstelinng  des 
dioptrischen  Apparates  nicht  mehr  hinlänglich  viel  Detail  der  einzelnen  Buchstaben 
erkannt  werden.  Ist  aber  der  Sehwiiikel  grösser,  so  verhindern  massige  Zerstreuiings- 
kreise  keineswegs  das  Erkennen  der  Schrift,  bes(jnders  wenn  das  zn  untersuchende 
Individuum  im  Lesen  sehr  geübt  ist. 

Optometer  (Buete,  Hasner,  Btirow,  Verschoor)  liefern  im  Ganzen  nicht  viel  ver- 
lässlichere Resultate.  Es  gilt  dies  besonders  von  den  fultnsjörmigen,  welche  das  Probe- 
object  in  der  Röhre  eingeschlossen  entlialten.  Der  zu  Prüfende  ist  nämlich  schwer 
dazu  zu  bringen,  den  Accommodationsmuskel  beim  Versuche  völlig  zu  entspannen. 


782 


Myopie;  Kranlsheitsbild  ;  Bestiiiiimnig  di's  Fenipiinlctes  dureli  den  Augenspiegel. 


Man  musR  dämm  das  Ange  vorerst.  rt/?-q/>?n?'.«)-e/7,  will  man  zu  ganz  sicheren  Werthen 
gelangen  und  dies  hat  wieder  Unzukömmlichkeiten.  Um  dem  zu  entgehen,  hat  man 
auch  binocidare  Optometer  nach  Art  der  Operngucker  construirt,  welche  den 
Geprüften  zu  Parallelstellungen  der  Gesichtslinien  zwingen  und  somit  eine  völlige 
Erschlaft'nng  des  Ciliarmuskels  erzielen  sollen  (Graefe).  Bei  Kurzsichtigen  und 
Emmetropeii  mag  dies  in  derThat  genügen,  hei  Hypermetrojjen  jedoch  ist  die  Parallel- 
stellung der  Gesichtslinien  keineswegs  mit  der  Entspannung  des  Accommodations- 
muskels  assoeiirt,  daher  die  Resultate  nicht  genau  ausfallen. 

Ausserdem  kann  der  Aiigenspiegel  benützt  werden,  um  die  jeweilige  Ein- 
stellung des  dioptrischen  Apparates,  also  auch  den  Fernpunktah stand  eines  Auges 
zu  bestimmen  (HehnhoUz).  Es  setzt  dies  letztere  voraus,  dass  das  untersuchte 
Auge  in  die  Ferne  blickt  und  der  Untersuchende  genau  die  Entfernung  kennt, 
für  welche  er  sein  Auge  beim  Ophthalmoscopiren  jeweilig  einstellt,  was  allerdings 
grosse  Uebung  verlangt  und  darum  nicht  Jedermanns  Sache  ist,  übrigens  auch 
selbst  bei  der  grössten  Fertigkeit  Schwankungen  in  den  erhaltenen  Werthen 
(Woinow)  nicht  ausschliesst.  Es  sei  (Fig.  100)  a  o  die  Einstellung  des  untersuchten 

Fig.  100. 


Auges  .4,  und  h  o  jene  des  mit  einem  einfachen  Beleuchtungsspiegel  SS  bewaffneten 
untersuchenden  Auges  B,  wobei  der  Abstand  des  Spiegels  von  b  gleich  Null  gesetzt 
wird,  um  die  Verhältnisse  nicht  zu  compliciren.  Offenbar  wird  dann  das  in  der 
Entfernung  a  h  =  ao -\- lo  aufgestellte  Auge  B  ein  deutliches  Bild  vom  Augen- 
grunde A  erhalten.  Es  kann  nun  der  Abstand  a  h  der  in  der  Praxis  verwendbaren 
Spiegel  nicht  viel  über  12  Zoll  vergrössert  werden,  soll  nicht  die  Beleuchtung 
des  Augengrundes  A  unzulänglich  und  das  Sehfeld  des  Auges  B  übermässig 
beengt  werden.  Auf  dass  ein  einfacher  Beleuchtungsspiegel  S  S  ein  deutliches  Bild 
vom  Allgengrunde  A  vermittle,  mflssen  also  ao  und  bo  sehr  klein,  A  demnach 
im  höheren  Grade  kurzsichtig  und  B  für  kurze  Distanzen  einstellbar  sein.  Wäre  A 
für  eine  grössere  Distanz  a  g  eingestellt,  so  könnte  offenbar  nur  ein  hyjjermetro- 
2nsc]ies  Auge  ZJ,  dessen  Einstellung  hg,  also  negativ  ist,  ein  deutliches  Bild  vom 
Augengrunde  A  gewinnen  und  aus  dem  Spiegelabstande  o  b  die  Einstellung  des 
Auges  A  ermessen.  Dieselbe  wäre  offenbar  ag  =:  ah  -\-  hg.  Wäre  aber  B  beim  Oph- 
thalmoscopiren   für  negative  Distanzen  nicht  einstellbar  und  ag  die  Einstellung  von 

Fig.  101. 


A,    so  müsste  (Fig.   101)  der  Spiegel  S  S  mit  einer    corrigirenden  Linse  L  L  com- 
biuirt,  die  Untersuchung  also  im  aufrechten  Bilde   bewerkstelligt  werden ,  was  eine 


Vergrösserungscoefiifieiii  des  Aii^enspiegelbildes;  Nalii'iiiiiikf.  783 

stärkere  AnnUherimg  beider  Augen  .'in  eiii.'uuler  gestattet  und  iiberliaupt  manche 
Vortheile  bietet.  Die  Einstellung  a  g  des  Auges  A  lässt  sich  nun  leicht  aus  der 
BrennioeUe  der  Linse,  welche  das  Scharfnelten  des  Augengrundes  A  ermöglicht,  und 
aus  der  bekannten  Einstellung  des  Auges  B  mittelst  der  Grundformel:    „  -| = 

"  "  «       I       a  p 

berechnen.  Es  wäre  hier  nämlich  a  die  Einstellung  des  Auges  B,  also  die  durch 
die  Linse  erzielte  Vereinigungnu-eite,  a  wäre  die  Einstellung  des  Auges  .4  luehr 
oder  weniger  dem  Abstände  des  Spiegels  und  p  die  Brennweite  der  beigefügten 
Linse.  In  der  Regel  wird  die  Einstellung  des  Auges  B  positiv,  a  also  in  Bezug 
auf    die  Linse  negativ  sein;    während  a  bei  myojnscliem   Auge   A    in  Bezug  auf  die 

Linse  stets  neqativ  sein  muss.  Die  Grundformel  stellt  sich  also = 1 . 

•^  a  p  a  7 

d.  i.  es  bedarf  einer  Concavlinse,  deren  Brennweite  p  grösser  als  a  ist.  Wäre  aber 
B  absolut   hypermetropisch ,    so    erschiene    die  Grundformel:     --  =  zt  +  — i  jp 

wird  also  in  der  Regel  2^ositiv  und,  wenn  negativ,  so  grösser  als  a  sein  müssen. 

Der  Augenspiegel  liefert  ausserdem  noch  in  dem  Vergrösserungscopfficienten 
der  zur  Wahrnehmung  gebrachten  virtuellen  Bilder  ein  Mittel  zur  Beurtheiluug  des 
Refractionszustandes  des  untersuchten  Auges.  Doch  ist  die  genaue  Ermittlung 
dieses  Coefficienten  kaum  möglich,  da  es  an  geeigneten  Messapjjarate^i  gebricht  und 
die  Durchmesser  des  Sehnerveneintrittes  bei  verschiedenen  Individuen  sehr  schwanken, 
überdies  aber  der  jeweilige  Abstand  der  Correctionslinse,  beziehungsweise  Loupe, 
vom  untersuchten  Auge  einen  höchst  bedeutenden  Eiufluss  auf  die  scheinfxire  Grösse 
des  Bildes  des  Augengrundes  ausübt  (Schweigger).  Es  sei  hier  darum  nur  im  All- 
gemeinen darauf  hingedeutet,  dass  die  ophthalmoskopische  Untersuchung,  gleich- 
viel ob  im  verkehrten  oder  aufrechten  Bilde,  stets  eine  Vergrösserung  des  Augen- 
grundes ergebe ;  dass  das  umgekehrte  Augenspiegelbild  eines  myopischen  Bulbus, 
verglichen  mit  dem  eines  emmetropischen,  jedoch  verkleinert  erscheine  und  dies  zwar 
am  meisten  (5"3  :  4*6,  Schweigger),  wenn  der  Refractionszirstand  N  =  n.  sin.  ß 
durch  Vergrösserung  des  sin.  ß,  weniger  (5'3:5'2,  Schweigger),  wenn  er  durch 
Wachsthum  des  n  bedeutend  gestiegen  ist;  dass  diese  Vergrösserung  mit  der  Ent- 
fernung der  Loupe  vom  Auge  jedoch  wachse;  dass  das  aufrechte  Spiegel- 
bild im  Gegentheile  die  Vergrösserung  sehr  stark  hervortreten  lasse  und  dies  zwar 
besonders,  wenn  die  Steigerung  des  Refractionszustandes  vornehmlich  durch  eine 
Vergrösserung  des  n,  weniger  wenn  sie  durch  eine  Vergrösserung  des  sm.  ß,  also 
durch  eine  Verlängerung  der  Bulbixsaxe  begründet  wird  (Mauthner,  SchveiggerJ. 

2.  Der  Nahepunkt  rückt  bei  der  Kurzsichtigkeit  im  Verhältnisse  zur 
Verkürzung  des  Fernpunktabstandes  an  das  Äuge  heran,  wenn  die  Accommo- 
daflonsbreife  die  normale  geblieben  ist,  was  die  Regel  bildet  (S.  765).  Man 
kann  daher  aus  einer  autFälligen  Verkürzung  des  Nahepunktabstandes 
mit  sehr  grosser  Wahrscheinlichkeit  auf  das  Gegebensein  einer  Myopie 
schliessen,  und  zwar  auf  einen  um  so  höheren  Grad  der  letzteren,  je  näher 
der  Nahepunkt  dem  Auge  steht  ;  nicht  aber  umgekehrt,  da  Verkleinerungen 
der  Accommodationsbreite,  zumal  bei  den  hochgradigen,  mit  staphylomatöser 
Ausdehnung  der  Lederhaut  eingehenden  Myopien  und  bei  älteren  Individuen 
nicht  selten  vorkommen. 

Um  den  Nahepunkt  für  praktische  Zwecke  zu  bestimmen,  genügt  es, 
die  kleinste  Distanz  mit  dem  Zollstabe  zu  messen,  in  welcher  das  Auge 
unter  dem  Gesichtswinliel  von  5  Minuten  anstandslos  zu  lesen  und 
beziehungsweise  entsprechende  Zeichen  zu  erkennen  im  Stande  ist. 

Handelt  es  sich  um  eine  genauere  Bestimmung  des  Werthes,  so  thut  man 
wohl,  das  myopische  Auge  mit  einem  Zerstreuungsglase  zu  bewaffnen,  dessen  Brenn- 
weite mit  dem  Fernpunktabstande  nahebei  übereinstimmt  und  die  kleinste  Distanz 
zu  messen,  in  welcher  das  Auge  mit  der  Brille  jene  Schriftarten  zu  lesen  vermag. 
Sehr  kleine  Distanzen,  um  welche  es  sich  hier  handelt,  mit  dem  Zollstabe  richtig  zu 
messen,  ist  nämlich  sehr  schwer.  Durch  das  Zerstreuungsglas  werden  aber  jene 
Distanzen  sehr  vergrössert  und  die  Fehlerquellen  um  so  mehr  vermindert,  als  selbst 
ansehnlichen    Distanzdifferenzen    nur    sehr  kleine    Unterschiede  in  der    Vereinigungs- 


784  Myopie;  Krankheitsbild ;  Ursachen. 

weite,    also    in    der    Lage  des  virtuellen  Bildes  entsprechen.   Den  ivii-klichen  Nahe- 
punktabstand  findet  man  dann  mittelst  bekannter    Formeln. 

3.  Der  Myops  sieht  in  der  Regel  die  innerhalb  seiner  deutlichen  Seh- 
weite gelegenen  Gegenstände  eben  so  scharf  und  deutlich,  wie  der  Emme- 
trope,  bei  gleich  kurzer  Distanz  und  gleicher  Accommodationsbreite  sogar 
mit  einer  entsprechend  kleineren  Accommodationsquote,  also  mit  geringerer 
Anstrengung.  Myopen  harren  darum  bei  Beschäftigungen,  welche  ein 
anhaltendes  Sehen  in  ku7-ze  Distanzen  erfordern,  in  der  Regel  längere  Zeit 
ohne  Besclnoerde  aus,  als  dieses  bei  Emmetropen  der  Fall  ist.  Sie  ivühlen 
auch  solche  Beschäftigungen  mit  Vorliebe,  um  so  mehr,  als  der  Blick  in 
die  Ferne  ohne  die  Vielen  lästige  Brille  nur  undeutliche  und  verschwom- 
mene Bilder  zur  Wahrnehmung  bringt. 

Indem  der  Nahepnnkt  hereingerückt  ist  und  die  Objecte  demnach  in  kürzere 
Abstände  vom  Auge  gebracht  werden  können,  pflegen  Myopen  mit  Leichtigkeit  feine 
Arbeiten  bei  viel  schivücherer  Beleuchtung  aiiszuführen,  als  Normalsichtige.  Aus 
demselben  Grunde  entziffern  sie  aiach  viel /emere  ZJetai'Z*  in  den  Objecten,  schreiben 
meistens  eine  sehr  kleine  Handschrift  u.  s.  w. 

Doch  gilt  dies  alles  strenge  nur  von  mittel-  und  niedergradig  Kurz- 
sichtigen. Myopie  über  ^/^  ist  häufig  und  falls  sie  ^/^  übersteigt,  meistens 
mit  materiellen  Veränderungen  am  hinteren  Augenpole  verknüpft,  welche 
die  centrale  Sehschärfe  sehr  herabmindern,  so  dass  die  Unterscheidung  feinster 
Einzelnheiten,  das  Lesen  kleinster  Druckschriften  u.  s.  w.  sehr  mühsam 
oder  unmöglich  wird   {Donders). 

4.  Ausserhalb  der  deutlichen  Sehweite  gelegene  Gegenstände  werden  von 
Myopen  in  Zerstreuungskreisen  gesehen,  ihre  Wahrnehmung  ist  unter 
übrigens  gleichen  Umständen  eine  um  so  undeutlichere,  je  grösser  ihr 
Abstand  von  den  Endpunkten  der  deutlichen  Sehweite  und  je  weiter  die  Pupille 
ist.  Der  letztere  Factor  kann  auf  Kosten  der  Lichtstärke  des  T^etzhaut- 
bildes  durch  Verengerung  der  Lidspalie  abgeschwächt  werden,  und  wirklich 
wird  dieses  Manöver  behufs  deutlicheren  Sehens  von  Kurzsichtigen  so 
häufig  ausgeführt,  dass  der  fragliche  Functionsfehler  vom  Blinzeln  (|j;js'.v) 
seinen  Namen  trägt. 

Bei  schivacher  Erleuchtung  des  Gesichtsfeldes  ist  der  Ausfall,  welchen  die 
Lichtstärke  des  Netzhautbildes  durch  ein  theilweises  Abschneiden  der  Randstrahlen 
erleidet,  zu  gewichtig,  als  dass  der  Myops  Vorfheile  aus  einer  beträchtlichen  Ver- 
engerung der  Lidspalte  zu  ziehen  vermöchte.  Es  macht  sich  daher  unter  solchen 
Umständen  die  unrichtige  Einstellung  des  dioptrischen  Apparates  besonders  fühlbar; 
selbst  niedere  Grade  der  Kurzsichtigkeit  treten  sehr  merklich  beim  Blicke  in  die 
Ferne  heraus  und  bei  hoheii  Graden  geht  es  bisweilen  so  weit,  dass  die  Selbsfführung 
sehr  beschwerlich  wird  und  die  damit  Behafteten  wie  Blinde  hernmtappen,  während 
Normalsichfige  bei  gleicher  Beleuchtung  sich  noch  ganz  gut  zurechtfinden  und  sogar 
noch  verhältnissmässig  kleine  Objecte  erkennen. 

Ursachen.  Die  Kurzsichtigkeit  findet  ihren  Grund  gewöhnlich  in 
einer  normwidrigen  Vergrösserung  des  Längsdurchnessers  des  Bulbus,  wodurch 
die  natürliche  Brennweite  relativ  zu  kurz  wird  {Beer,  Arlt).  In  anderen 
Fällen  liegt  die  Ursache  in  abnorm  grosser  Convexität  einzelner  Trennungs- 
flächev,   also   in   einer  factischen    Verkürzung  der  natürlichen  Brennweite. 

Es  spricht  sich  diese  Alternative  ganz  scharf  in  der  Grundgleichung  i\r=  m.  «in.  ß 
(S.  764)  aiis,  wo  N  den  Refractionszustand  des  Auges,  sin.  ß  die  Bulbuslänge  und 
n  alle  jene  Verhältnisse  repräsentirt,  welche  auf  die  Brechung  der  Lichtstrahlen 
Einfluss  nehmen. 


Bathymorphie ;  Staiihyloina  posticum.  785 

Die  Verlängerung  des  Bulbus  kömiut  häufig  einem  fehlerhaften 
Wachsthume  auf  Rechnung,  der  Augapfel  entwickelt  sich,  so  lange  das 
Körperwachsthum  andauert,  übei-mässig  in  der  Richtung  der  optischen  Axo, 
wälirend  die  aequatorialcn  Durchmesser  zurückbleiben.  Man  nennt  diesen 
Zustand  Langbau,  Bathymorphie  {Ed.  Jaeger).  Er  kann  in  allen  Graden 
schwanken.  Die  Anlage  dazu  ist  selbstverständlich  angeboren  und  wird 
in  der  Regel  ererbt.  Wo  sie  besteht,  kann  sich  die  Myopie  zu  hohen 
und  höchsten  Graden  entwickeln,  ohne  dass  irgend  welche  äussere  Ver- 
hältnisse darauf  Einlluss  genommen  haben.  In  der  That  findet  man  gar 
nicht  selten  auf  reiner  Bathymorphie  beruhende  hohe  und  höchste  Grade 
der  Myopie  bei  Individuen,  welche  die  Schule  kaum  dem  Namen  nach 
kennen  und  sich  ihr  Leben  lang  nie  mit  feinen  Objecten  beschäf- 
tigt haben. 

Viel  öfter  beruht  die  Verlängerung  der  Bulbusaxe  auf  der  Entwicke- 
lung  eines  Staphyloma  posticum  (S.  393,  772).  Es  kömmt  dies  vorzugsweise 
bei  Individuen  in  Rechnung,  deren  Beschäftigung  anhaltendes  Nahesehen 
in  Anspruch  nimmt  (S.  401).  Im  Allgemeinen  kann  man  auch  sagen, 
dass  das  procentarische  Verhältniss  seines  Auftretens  und  der  durch- 
schnittliche Grad  seiner  Ausbildung  mit  dem  Lebensalter  und  namentlich 
mit  der  Länge  der  Zeit  wächst,  welche  im  Schulunterrichte  oder  bei 
einer,  angestrengtes  Nahesehen  fordernden  Beschäftigung  zugebracht  wor- 
den sind  {H.  Cohn).  Doch  steht  der  Entwickelungsgrad  der  Ectasie  im 
Einzelnfalle  durchaus  nicht  im  geraden  Verhältnisse  zur  absoluten  Höhe 
des  Refractionszustandes.  Wirklich  stösst  man  ausnahmsweise  auf  grosse, 
selbst  ringförmige  Staphylomata  postica  in  ausgesprochen  hypermetropischen 
Augen,  während  umgekehrt  die  Ectasie  bei  hoch-  und  höchstgradigen 
Myopien  recht  oft  gänzlich  fehlt.  Es  steigt  mit  der  Grösse  des  Staphy- 
loma posticum  eben  nur  Ein  Factor  des  Refractionszustandes ,  die 
übrigen  bleiben  davon  ganz  unberührt.  Das  Ergebniss  der  Axenverlänge- 
rung  muss  daher  je  nach  dem  Baue  des  Auges  und  nach  dem  Werthe 
der  übrigen  die  Lichtbrechung  beeinflussenden  Verhältnisse  ein  sehr  ver- 
schiedenes sein. 

Um  sich  dies  zu  versinnlichen ,  braucht  man  in  der  Griindgleichung 
N  ^^  n .  sin.  ß  dem  N  nur  verschiedene  Werthe  zu  geben  (S.  764)  und  dann  sin.  ß 
um  eine  geivisse  Differenz  steigen  zu  lassen.  Hatte  N  einen  höheren  negativen 
Werth,  als  jene  Differenz  beträgt,  so  wird  das  Auge  hypermetropisch  bleiben;  im 
gegentheiligen  Falle  aber  emmetropisch  oder  myopisch  werden.  Hatte  N  einen  posi- 
tiven Werth,  so  wird  die  Myopie  durch  die  gleiche  Differenz  entsprechend  steigen. 

Zur  Erläuterung  der  im  Obigen  angeführten  Daten  mögen  die  Ergebnisse 
einer  statistischen  Zusammenstellung  dienen.  Unter  4000  Augenkranken  waren  350, 
d.  i.  8"75%  Myopen  mit  iveniy  differentem  Refractionszustande  beider  Augen. 
In  220  Fällen  erscheint  das  Resultat  der  Augenspiegeluntersuchung  ansdrücMich 
angegeben.  In  130  Fällen  wurde  die  ophthalmoscopische  Untersuchung  theils  aus 
verschiedenen  Gründen  nnterlassen,  theils  lieferte  sie  kein  hemerkenswerthes  Er- 
gebniss. Unter  jenen  220  Fällen  waren  117,  d.  i.  53'18%  mit  mondsichelföiinigem 
schmalen  Staphyloma  posticum  und  es  schwankte  in  53  dieser  Fälle  der  Refrac- 
tionszustand  zwischen  ~—^  und  „,  in  50  zwischen  -■--  und  --r->  in  14  zwischen ---- 
irnd  -— .    In    67 ,    d.    i.    30*45    %    Fällen  wurde  ein  grosses,  die  halbe  Papillenbreite 

im  grössten    Durchmesser  übersteigendes   spitzbogenförmiges,    haubenförmiges    (26mal) 
oder    circnlüres    (31mal)    Staphyloma    posticum    gefunden.    Der    Refractionszustand 

schwankte    hierbei    in    45   Fällen    zwischen  —-  und    --,  in  19  Fällen  zwischen -r, — 

z  G    '  "  ;2 

und    -.- ,  in    3  Fällen  zwischen  --^-  und    ^^  .    In    36,  d.  i.    16'36%  von  jenen  220 
St  eil  wag,  Augenlieilkunde.  50 


786  Myopie;  Ursachen;  Staphyloma  posticnm  ;  Convexitätsvermehrnng  der  Cornea. 

Fällen  ist  das  Fehlen  eines  Staphyloma  posticum  ausdrücklich  angemerkt.  In  21 
dieser  Fälle  schwankte  der  Refractionsznstand  zwischen—-  und  — ,  in  9  zwischen 

2  6     '  6.5 

nnd -j^  ,  in  6  zwischen  --     und    —  . 

Am  klarsten  tritt  der  Einfluss,  welchen  die  Entwickelung  eines  Staphyloma 
posticum  auf  den  Refractionsznstand  nimmt,  in  jenen  Fällen  hervor,  in  welchen 
die  Myopie  hlos  einseitig  oder  in  beiden  Augen  sehr  verschiedengradig  ist  und  diese 
Differenz  auf  die  einseitige  Ausbildung  eines  hinteren  Scleralstaphyloms  bezogen 
werden  darf.  Unter  jenen  4000  Fällen  waren  20,  wo  der  Refractionszustand  beider 

Augen  eine  Differenz  von  —    bis    -—   nachweisen  Hess.    In  4  Fällen,    in    welchen 

die  Differenz  zwischen  -^  und  ~  schwankte,  war  an  dem  kurzsichtigen  Auge 
tili  kleines  mondsiclielf'örmiges  Staphylom  gegeben.  In  2  anderen  Fällen,  wo 
an  dem  einen  Auge  Hypermetropie,  an  dem  anderen  hochgradige  Myopie  bestand 
und  der  Refractionszustand    beider  Augen    eine  Differenz  von  — ;—  und  -^^^—^   ergab, 

wurde  an  dem  kurzsichtigen  Auge  ein  grosses  circidäres  Staphylom  gefunden.  In 
weiteren  11    Fällen    bestand    ein    grosses    Staphyloma  posticum  einseitig  bei  einer 

Differenz  der  Refractionszustände  zwischen    „    und    .  . 

Es  darf  aber  nicht  jede  grössere  Differenz  der  Refractionszustände  beider 
Augen    auf    die  Entwickelung    eines    Staphyloma    posticum    zurückgeführt    werden. 

In  zwei  Fällen    nämlich  ergab    sich  eine  Differenz  von    -—    und   —r   bei    beiderseits 

~  5  4 

gleich  grossem  mondsichelförmigen  Staphyloma  posticum.  In  Einem  Falle  fand  sich 
bei  beiderseitigem  Mangel  eines  Staphyloms    rechts  Myopie  -„-,  links  Hypermetropie 

-j~,  also  eine  Differenz  von  nahe  --,  welche  offenbar  auf  einseitige  Bathymorphie 
zu  beziehen  war. 

Eine  Zunahme  des  natürlichen  Eefractionszustandes  kann  weiters 
begründet  werden  durch  eine  stärkere  Wölbung  der  Hornhaut  und  der  Linse, 
so  wie   durch   ein  Heranrücken   der  letzteren  an  die   ei'stere. 

Krümmungsvermehrungen  der  Hornhaut  wurden  bisher  unter  den  patho- 
genetischen Momenten  der  Myopie  nicht  aufgeführt,  obgleich  genaue  Mes- 
sungen Unterschiede  von  mehr  als  Einem  Millimeter  in  dem  Radius  der 
vorderen  CornealÜäche  ergeben  haben  {Ed.  Jaeger ,  Donders).  Eine  so 
gewaltige  Differenz  muss  aber,  wie  eine  einfache  Rechnung  nachweisen 
lässt,  den  Refractionszustand  des  betreffenden  Auges  wesentlich  alteriren, 
sie  kann  bei  sonst  gleichen  Vei'hältnissen  bedeutende  Gi'ade  von  Hyper- 
metropie in  Myopie  und  umgekehrt  verwandeln. 

Wenn  bei  hochgradig  kurzsichtig  gebauten  Augen  die  Hornhautkrümmung 
geringer  gefunden  worden  ist,  als  bei  anderen  Refractionszuständen  (Donders), 
so  muss  darin  ein  sehr  wirksames  Correctiv  gesehen  werden.  Es  erscheint  dann 
nämlich  n  in  der  Grundgleichung  N  =  n.  sin.  ß  ve7-mindert ,  wodurch  nothwendig 
das  Waclisthum  des  sin.  ß  in  seinem  Effecte  theilweise  neutralisirt  wird.  Was  aber 
bei  Bathymorphie  die  Ahßachung  der  Hornhaut  leistet,  das  muss  die  stärkere  Krüm- 
mung der  Cornea  bei  p]mmetropie  und  Hypermetropie  gleichfalls  zu  beschaffen 
im  Stande  sein. 

Von  viel  geringerer  Wichtigkeit  sind  Annäherungen  des  Krystalles  an  die  Cor- 
nea, Vorfalle  desselben  in  die  Vorderkammer  (Ed.  Meyer,  NoyesJ,  weiters  Ahrundungen 
seiner  Gestalt,  wie  sie  bei  Dehnungen  und  Sprengungen  der  Zonula,  bei  Ektopie 
und  spontaner  Luxation,  bisweilen  auch  bei  partiellen  Staaren  vorkommen.  Es  sind 
diese  Zufälle  ohne  Zweifel  mögliche  Ursachen  von  Steigerungen  des  Refractions- 
zustandes.  Doch  schlägt  unter  solchen  Verhältnissen  wohl  immer  der  unregelmässige 
Astigmatismus  wegen  mangelhafter  Centriruiig  des  dioptrischen  Apparates  und  häutig 
auch  wegen  irregulärer  Krümmung  der  Linse  weitaus  vor,  das  Resultat  ist  also 
eigentlich  keine  wahre  Kurzsichtigkeit. 

Convexitätsvermehrungen  des  Krystallkörpers  sind  ganz  unbestreitbar 
ein     wichtiges     pathogenetisches     Moment      der     Kurzsichtigkeit     (S.     772). 


ronvcxitätvermi'hiunjr  der  hinac  :  Plosiopi«.  787 

Genaue  Untersuchungen  mittelst  geeigneter  Instrumente  haben  in  der  That 
ergeben,  dass  sich  bei  manchen  Myopen  die  Linsenspiegelbilder  nach 
Grösse  und  gegenseitiger  Stellung  genau  so  verhalten,  wie  bei  Krametropen 
während  der  Einstellung  für  kurze  Abstände  {Cramer).  Auch  haben  directe 
Beobachtungen  herausgestellt ,  dass  dauernde  Anstrengung  behufs  des 
Nahesehens  selbst  hypermeti-opische  Augen  zeitweise  und  dauernd  kurzsichtig 
machen  könne.  Die  dagegen  erhobenen  Zweifel  (Donders)  beruhen  auf 
keinen  ausreichenden  positiven  Thatsachen.  Man  hat  diese  Art  der  Myopie 
Plesiopie,  Nahesichtig keit  genannt  (Ed.  JaegerJ.  Sie  bewegt  sich  immer  nur 
in  den  niederen  Graden.  Der  von  der  Arbeit  geforderte  Einstellungswerth 
ist  nämlich  die  äusserste  Grenze,  welche  sie  niemals  überschreiten  kann 
und  auch  wohl  kaum  jemals  erreicht.  Es  gibt  eben  nur  sehr  wenige  Be- 
schäftigungen, welche  eine  Annäherung  der  Objecto  unter  10  Zoll  erhei- 
schen. Auch  bewahrt  der  EJrystall  unter  allen  Umständen  einen  gewissen 
Elasticitätsgrad  und  vermag  darum  bei  eintretender  Accommodationsruhe 
immer  wieder  seine  Convexität  um  ein  Gewisses  zu  vermindern  (S.   7  75). 

Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache  und  eingehende  Untersuchungen 
(Dohroioolsky)  bestätigen  es,  dass  diese  Form  der  Myopie  immer  nur  bei 
Individuen  sich  entwickelt,  welche  sich  viel  und  anhaltend  mit  sehr  feinen 
Objecten  beschäftigen  und  dabei  sehr  grosse  Accommodationsquoten  aufwen- 
den, den  Ciliarmuskel  also  in  einer  verhältnissmässig  starken  Spannung 
erhalten  müssen,  dass  ihr  daher  vorzugsweise  annähernd  emmetropische  Indi- 
viduen und  Hypermetropen  ausgesetzt  sind.  Die  Ueberbürdung  des  Accommo- 
dationsapparates  führt  meistens  bald  zu  einer  stärkeren  Röthung  der  Papille 
und  bei  nervösen  Individuen  öfters  auch  wohl  zu  asthenopischen  Beschwerden. 
Mitunter  kömmt  es  sogar  zu  convergirendem  Schielen.  AUmälig  macht  sich  dann 
der  Refractionsfehler  durch  zunehmendes  Undeutlichsehen  fernerer  Objecte 
bemerklich.  Es  steigert  sich  dieses  Undeutlichsehen  nach  anhaltender 
intensiver  Arbeit,  bessert  sich  aber  wieder  bei  längerer  Accommodations- 
ruhe und  verschwindet  selbst  gänzlich,  um  bei  neuerlicher  Vei'anlassung 
abermals  hervorzutreten.  Bei  fortgesetzter  intensiver  Accommodationsarbeit 
lüCichst  der  Grad  der  Mj'opie  und  die  zum  Rückgänge  erforderliche  Dauer 
der  Muskelabspannung.  Weiterhin  wird  dieser  Rückgang  immer  unvoll- 
ständiger, es  wird  die  energische  Anwendung  der  Mydriatica  nothwendig, 
um  den  Refractionszustand  auf  das  frühere  Mass  herabzusetzen  und  die 
etwa  latente  Hypermetropie  manifest  zu  machen.  Schliesslich  werden 
auch  diese  Mittel  unzulänglich,  die  Mj^opie  ist  ständig  geworden,  indem 
die  Linse  und  nicht  minder  auch  der  Ciliarmuskel  in  die  ihnen  aufge- 
zwungene Form  gleichsam  hineinwachsen. 

Ohne  Zweifel  ist  damit  eine  beträchtliche  Ahnahvie  der  Accomnwdation.shreite 
verknüpft  (Ed.  Jaeger),  indem  ein  Theil  derselben  durch  den  Elasticitätsverlust  der 
Linse  so  zu  sagen  lahm  gelegt  ist.  Folgt  nämlich  der  Krystall  der  Abspannung 
des  Ciliarmuskels  nur  bis  zu  einer  gewissen  Grenze,  so  muss  dessen  neuerliche 
Zusammenziehung  eben  bis  zu  dieser  Grenze  unwirksam  bleiben.  Wenn  die  Ab- 
nahme der  Accommodationsbreite  nicht  in  allen  Fällen  eine  auffällige  ist,  so  darf 
man  nicht  vergessen,  dass  dieselbe  durch  fortgesetzte  Uebung  bei  jugendlichen 
Leuten  weit  über  das  normale  Mass  hinaus  steigerbar  ist  und  dass  die  bleibende 
Convexitätsvermehrung  des  Krystalles  wohl  meistens  nur  einer  geringen  Quote  der- 
selben aequiparirt. 

Im  Ganzen  spielt  nach  dem  Gesagten  die  Ueberbürdung  des  Accommo- 
dationsmuskels,   in  erster  Linie  also   eine  in-    und  extensive    Schulbildung, 

50* 


788         Myopie;  Ursachen;  Einfluss  der  Schulhildung,  zu  scharfe  Gläser;  Verlauf;  Ausgänge. 

die  wichtigste  Rolle  in  der  Aetiologie  des  Staphyloma  posticum  und  der 
Convexitätsvermehrung  der  Linse  als  der  beiden  Hauptfaktoren  der 
erworbenen  Myopie.  Doch  ist  es  nicht  allein  das  Quantum  und  Quäle 
der  Beschäftigung,  was  hier  in  Rechnung  kommt;  es  müssen  vielmehr 
auch  die  Verhältnisse  berücksichtigt  werden,  unter  welchen  diese  Beschäf- 
tigungen ausgeübt  werden,  indem  diese  Verhältnisse  den  Bedarf  an  Accom- 
modationsarbeit  sehr  erhöhen  können.  80  werden  die  Augen  dem  Objecto 
oft  übermässig  genähert  wegen  ungenügender  Beleuchtung  oder  wegen  einer 
unzweckniässigen  Stellung  des  Körpers,  z.  B.  wegen  zu  tiefem  Sitzen 
beim  Schreiben.  Wirklich  ist  das  Percent  der  Myopen  in  verschiedenen 
Schulen  nicht  ein  ganz  gleiches,  sondern  erhöht  sich  um  ein  Ansehnliches, 
wo  in  den  betreffenden  Localen  zureichendes  Tageslicht  fehlt  oder 
gar  während  längerer  Zeit  künstlich  ersetzt  werden  muss,  oder  wo  die 
Einrichtung  der  Tische  und  Bänke  mit  der  Grösse  der  Schüler  in 
keinem  richtigen  Verhältnisse  steht  und  letztere  zu  einer  stark  vorn- 
übergebeugten Körperstellung  zwingt  {H.  Cohn).  Sehr  häufig  kömmt 
bei  Kindei'n  auch  üble  Gewohnheit  ins  Spiel.  Ausserdem  nimmt  nicht  selten 
eine  mangelhafte  Sehschärfe  wegen  abnoi'mem  Astigmatismus  oder  anderen 
Ursachen  Einfluss.  Von  grösstem  Belange  aber  sind  in  dieser  Beziehung 
Trübungen  der  einzelnen  dioptrischen  Medien,  besonders  der  Cornea,  da  die 
durch  sie  bedingten  Sehstörungen  einigermassen  vermindert  werden  durch 
starke  Annäherung  des  Objectes,  indem  dann  nämlich  viel  von  dem  seit- 
lichen diffusen  Lichte  abgeschnitten,  anderseits  aber  die  Grösse  und  Licht- 
stärke der  Netzhautbilder  vermehrt,  die  Erleuchtungsintensität  des  Spectrums 
also  absolut  und  relativ  vermindert  wird.  Endlich  liegt  ein  sehr  wichtiges 
Moment  in  dem  unzweckmässigen  Gebrauche  von  Zerstreuungsgläsern,  insoferne 
durch  diese  virtuelle  Bilder  in  zu  kurzen  Distanzen  vom  Auge  entworfen 
und  daher  ganz  unvei'hältnissraässig  grosse  Accommodationsquoten  nothwen- 
dig  gemacht  werden. 

Verlauf  und  Ausgänge.  1.  Die  Bathymorphie  macht  sich  gemeiniglich 
schon  im  frühen  Kindesalter  geltend.  Mit  Abschluss  des  Körperwachsthuras 
scheint  die  darauf  beruhende  Verlängerung  der  Bulbusaxe  nicht  mehr 
weiter  zuzunehmen  und  wenn  dann  eine  fernere  Steigerung  der  Kurz- 
sichtigkeit bemerkt  wird,  so  ist  dieselbe  wohl  immer  auf  Rechnung  eines 
hinzutretenden  Staphyloma  posticum  zu  bringen.  Es  ist  übrigens  möglich, 
dass  die  Bathymorphie  bisweilen  vor  der  völligen  Reife  des  Individuums 
stationär  wird,  dass  das  Missverhältniss  zwischen  den  einzelnen  Durch- 
messern nicht  weiter  steigt,  sondern  die  A^olumsvergrösserung  des  Bulbus 
fürder  bis  zum  Abschlüsse  des  Körperwachsthumes  mehr  gleichmässig  nach 
allen  Richtungen  erfolgt. 

2.  Das  Staphyloma  posticum  und  die  damit  gesetzte  Axenverlängei'ung 
des  Bulbus  kann  in  jeder  Lebensperiode  hervortreten.  Li  der  Regel  jedoch 
zeigt  sich  die  darauf  beruhende  Myopie  bereits  in  den  Kinderjahren  und 
vornehmlich  während  der  Puhertätsepoche,  in  letzterer  so  gewöhnlich,  dass 
man  einen  pathogenetischen  Zusammenhang  annehmen  zu  dürfen  glaubte. 
Es  unterliegt  jedoch  keinem  Zweifel,  dass  nicht  sowohl  die  Pubertätsperiode 
an  sich,  als  vielmehr  die  in  dieser  Lernperiode  an  das  Auge  gestellten 
Anforderungen  den  nächsten  Grund  abgeben.  Wo  nämlich  der  Accom- 
modationsapparat     während      der      Zeit      der      Geschlechtsreife      luenig     in 


Fortschreitende  Eiitwickeluiig  d.  StapL.  post.  u.  deren  Folgen.  789 

Anspruch  genommen  wird,  da  ist  auc.li  die  Kntwickelung  eines  Stapliyloma 
posticum  eine  selir  seltene  und  fast  durchwegs  nur  bei  entschiedenem 
Langbaue  zu  beobachten. 

Üebrigens  nelimen  fortgesetzte  Beschäftigungen  mit.  kleinen  Objecten 
auch  auf  das  fernere  Verhalten  eines  bereits  vorhandenen  Staphyloma 
posticum  einen  wesentlichen  Einfluss  und  veranlassen  häufig  dessen  weitere 
Progi'cssion.  Es  ist  dieses  Fortschreiten  bisweilen  ein  ganz  successives 
unmerkliches,  häufiger  aber  ein  stossweises.  Der  Fernpunldah stand  sinkt  in 
solchen  Fällen  während  dem  Laufe  weniger  Monate  um  ein  sehr  Beträcht- 
liches, worauf  gewöhnlich  wieder  ein  Stillstand  eintritt  oder  das  Fort- 
schreiten wenigstens  unmerklich  wird.  Am  öftesten  beobachtet  man  eine 
solche  zeitweilige  Progression  während  den  Jünglingsjahren  in  Fällen ,  in 
welchen  schon  lange  vor  der  Pubertätsperiode  bedeutendere  Grade  von 
Kurzsichtigkeit  sich  geltend  gemacht  hatten ;  mitunter  aber  auch  dort,  wo 
während  den  Kinderjahren  die  Myopie  sehr  wenig  entwickelt  war 
und  scheinbar  stille  stand ,  oder  doch  eine  kaum  merkliche  Zunahme 
erlitten  hatte. 

Nicht  selten  entwickelt  sich  das  8taphyloma  posticum  und  damit  die 
Myopie  in  Folge  angestrengter  Accommodationsarbeit  erst  im  späteren  Man- 
nesalter. l]s  ist  dann  häufig  blos  an  einem  Auge  zu  finden,  und  gedeiht 
hier  bisweilen  zu  sehr  bedeutenden  Grössen,  während  das  andere  Auge 
seine  volle  Integrität  und  damit  seinen  früheren  Refractionszustand  be- 
wahrt.  So  kömmt  es,  dass  man  in  manchen  Fällen  höhere  Grade  von 
Myopie,  mitunter  auch  Strabismus  divergens  an  einem,  Hypermetropie  am 
anderen  Auge  findet. 

Das  Staphyloma  posticum  und  die  dadurch  begründete  Kurzsichtig- 
keit kann  in  jedem  Stadium  stationär  werden,  besonders  wenn  die  Accom- 
modationsarbeit wesentlich  eingeschränkt  wird.  Ln  Allgemeinen  kann  man 
jedoch  sagen,  dass  ein  wirkliches  Stationärwerden  des  Uebels,  vorzugs- 
weise unter  minder  günstigen  Verhältnissen,  um  so  weniger  zu  gewärtigen 
ist,  je  stärker  der  Langbau  ausgesprochen  ist  und  je  grössere  Dimensionen 
das  Staphyloma  posticum  bereits  erlangt  hat. 

Üebrigens  gedeihet  das  hintere  Scleralstaphylom  nur  sehr  selten  zu 
extremen  Graden,  ohne  dass  ein  oder  das  andere  Mal  förmliche  Ent- 
zündungen der  hinteren  Binnenorgane  sich  geltend  gemacht  und  zu  wirk- 
lichen Gewebsalterationen  der  letzteren  geführt  hätten.  Es  drohen  diese 
Zufälle  besonders  bei  stossweiser  Zunahme  des  Staphyloma  posticum.  Sie 
kündigen  sich  öfters  schon  lange  vorher  an  durch  das  Erscheinen  des 
Mariotte'schen  Fleckes  im  Gesichtsfelde,  durch  Entwickelung  fixer  und  be- 
weglicher Scotome,  durch  die  Unverträglichkeit  der  Augen  gegen  grelleres 
Licht  und  besonders  gegen  anhaltende  Bethätigung  derselben,  durch  stärkere 
Injection  der  Ciliar-  und  Netzhautgefässe,  durch  lästige  Gefühle  von  Druck 
und  Schwere  im  Bulbus,  später  selbst  durch  wirkliche  Photopsien  und 
Umnebelungen  des  Gesichtsfeldes.  Sie  führen  am  Ende  stets  zu  sehr  auffäl- 
ligen Verbildungen  der  Ader-  und  Netzhaut  (S.  396).  Oft  gesellen 
sich  auch  noch  intraoculare  Blutaustretungen  (S.  402),  Abhebungen  der 
Netzhaut  (S.  222)  oder  wenigstens  des  Glaskörpers  (S.  163),  mitunter 
auch   Cataracta  dazu. 


790  Myopie;   Verlauf;   Ausgänge:   Plesiopie;   Myopische  Presbyopie. 

Auch  bringt  der  Langbau,  zumal  wenn  er  mit  einem  mächtigen 
Staphyloma  posticum  gepaart  ist,  noch  andere  Uebelstände  mit  sich.  Das 
hinoculare  Sehen  in  sehr  kurze  Distanzen  fordert  nämlich  an  sich  grosse 
Convergenzen  der  GesichtsUnien,  also  bedeutenden  Kraftaufwand  von  Seite 
der  inneren  geraden  Augenmuskeln.  Die  Aufgabe  der  letzteren  erscheint 
bei  Bathymorphie  aber  noch  dadurch  um  ein  sehr  Bedeutendes  erhöht,  dass 
zu  gleichen  Convergenzwinkeln  weit  grössere  Seitenbewegungen  der  Augen 
nöthig  sind,  als  bei  Emmetropie.  Es  schliessen  nämlich  die  Gesichtslinien 
langgebauter  Augen  sehr  kleine  Winkel  mit  der  Hornhautaxe  ein  oder 
schneiden  die  Cornea  wohl  gar  nach  aussen  von  deren  Krümmnngsscheitel 
{Knapp,  Donders,  Schuerman),  und  dies  zwar  bisweilen  so  weit  schläfenwärts, 
dass  die  Bulbi  bei  Fixation  ferner  Objecte  nach  in7ien  zu  schielen  scheinen. 
Dazu  kömmt,  dass  der  Drehpunkt  der  Augen  bei  deren  Verlängerung 
relativ  nach  vorne  rückt  {Doyer,  Donders).  Bestimmte  Seitenbewegungen 
des  vorderen  Augenpoles  setzen  daher  weit  grössere  Excursionen  des  hinteren 
voraus.  Damit  wachsen  aber  die  zu  überwindenden  Widerstände  und 
nimmt  folgerecht  die  Excursionsfähigkeit  der  Augäpfel  überhaupt  ab 
(Schuerman).  Den  solchermassen  in  doppelter  Hinsicht  gesteigerten  Anfor- 
derungen vermögen  die  inneren  Geraden  häufig  nicht  mehr  zu  genügen,  es 
stellen  sich  asthenopische  Beschwerden  ein  und  oft  kömmt  es  zu  divergentem 
Schielen  (Beer). 

3.  Die  auf  Convexitätsvermehrung  der  Linse  beruhende  Myopie  ist  in 
jeder  Beziehung  von  viel  geringerer  Bedeutung.  Bei  zweckmässiger  Ver- 
wendung der  Augen  kann  sie  völlig  wieder  zurückgehen  und  erreicht 
überhaupt  niemals  bedeutendere  Grade.  Xach  Abschluss  des  Körperwachs- 
thumes  findet  eine  Steigerung  derselben  kaum  mehr  statt,  da  dann  die 
Dichtigkeit  des  Linsenkernes  weiteren  Formveränderungen  nicht  mehr  gün- 
stig ist.  Es  setzt  dies  selbstverständlich  voraus,  dass  sich  nicht  nebenbei 
ein  Staphyloma  posticum  entwickelt. 

4.  Von  hervorragendem  Einüusse  auf  den  Verlauf  der  Myopie  sind 
ausser  dem  eigentlichen  Grundleiden  noch  die  mit  fortschreitendem  Lebens- 
alter sich  einstellenden  Veränderungen  der  Linse  und  der  beim  Sehacte  thätigen 
Musktln.  Die  zunehmende  Dichtigkeit  der  Linse  führt  vorerst  zur  Ver- 
minderimg der  Accommodationsbreite,  sie  bedingt  ein  Hinausrücken  des  Nahe- 
punktes. 

Es  werden  derartige  Verkürzungen  der  deutlicheu  Sehweite  bei  deu  niederen 
Graden  der  Myopie  öfters  sehr  fühlbar,  wenn  das  Individuum  vermöge  seiner 
Stellung  oder  Neigung  sich  anhaltend  mit  sehr  kleinen  Objecten  zu  beschäftigen 
gedrängt  wird.  Aiiffällig  wird  die  Vergrösserung  des  Nahepunktabstandes  aber  erst 
gewöhnlich  um  die  40er  Jahre  und  dann  kann  es  wohl  geschehen,  dass  der  Myops 
die  früheren  Arbeiten  wegen  Steigerung  der  erforderlichen  Accommodations(ßtoten 
nur  unter  Zuhilfenahme  von  Convexgläsern  zu  verrichten  vermag  und  überhaupt 
auch  weniger  kleine  Objecte  vom  Auge  etwas  entfernter  halten  muss,  um  sie  deut- 
lich zu  sehen. 

Bei  mittleren  und  hohen  Graden  der  Kurzsichtigkeit  bedingt  die  gleiche 
Differenz  eine  viel  geringere,  ja  oft  geradezu  ganz  unerhebliche  Vergrösserung  des 
Nahepunktabstandes  und  diese  fällt  in  der  Regel  schon  darum  wenig  iu's  Gewicht, 
weil  Objecte,  welche  vermöge  ihrer  Kleinheit  nahe  an  den  Nahepunktabstand  eines 
höhergradig  kurzsichtigen  Auges  gebracht  werden  müssen,  gewiss  nur  äusserst  selten 
Substrat  anlialtender  Beschäftigung  sind.  Dafür  macht  sich  ziemlich  häufig  ein 
anderes  störendes  Moment  sehr  fühlbar,  nämlich  die  Kraftahnaltrae  des  Accommo- 
dutionsviuskeU    (S.  775).     Bei  sehr   hochgradigem  Langbaue  kömmt  sie  in  der  Regel 


Behiuidlmi},':    IiuUcatioiH-ii ;    rruiiliyhixis.  791 

vor  und  zwar  öfttn-s  schon  sehr  früIizeUlij,  währenrl  der  Jugendjahre.  Sie  gelit  bis- 
weilen bis  zur  oölUgen  Accoinvwdationsparese.  Die  deutliche  Seliweite  ist  dann 
natürlich  auf  die  dem  Fenipunktabstande  entsprechende,  ohnehin  kurze  Accomnio- 
dationsUnie  beschränkt  und  zwingt  den  Kranken  für  verschiedene  Distauzen  ver- 
schiedene Zerstreuungsgläser  lu  Gebrauch  zu  ziehen,  i'alls  er  stets  deutlich  sehen  will. 

Späterhin,  im  Greisenalter,  wird  neben  zunehmender  Verminderung 
der  Accommodationshreite  auch  nocJi  die  Verflachung  des  sclerosirenden 
Linsenkernes  und  der  Umstand  von  Belang,  dass  mit  wachsender  Verdich- 
tung die  einzehien  Schichten  des  Krystallcs  eine  mehr  gleichrnässige  Festig- 
keit gewinnen,  die  Zahl  der  Trennungstlächen  also  gewissermassen  einen 
Abbruch  erleidet.  Die  Folge  dessen  ist  eine  Verminderimg  des  natürlichen 
Refractionszustandes  und  eine  dieser  entsprechende  Vergrösserung  des  Fern- 
punktabstandes. Es  ist  diese  letztere  bei  einer  gleichen  Differenz 
natürlich  eine  um  so  geringere,  je  grösser  der  Kefractionszustand  früher 
war ,  bei  hohen  Graden  der  Kurzsichtigkeit  also  in  der  Eegel  eine  ganz 
irrelevante,  bei  niederen  Graden  der  Myopie  dagegen,  besonders  bei  der 
auf  Convexitätsvermehrung  der  Linse  berulienden,  oft  genügend  gross,  um 
den  Refractionsfehler  in  Hypermetropie  zu  verkehren.  Indem  gleichzeitig 
der  Nahepunkt  nach  aussen  rückt  und  zwar  um  so  mehr,  als  am  Ende 
auch  der  Accommodationsnmskel  an  der  senilen  Invohition  Theil  nimmt  : 
erscheint  die  ganze  deutliche  Sehweite  in  der  liichtung  vom  Auge  hin- 
weg verschoben. 

Es  versteht  sieh  von  selbst,  dass  die  Abnahme  des  Refractionszustandes, 
welche  aus  den  senilen  Veränderungen  des  Accommodationsapparates  resultirt, 
in  ihrem  Effecte  weitaus  überboten  werde  von  jenem  eines  progressiven  Staphyloma 
posticmn,  dass  demnach  bei  Vorhandensein  eines  solchen  die  Myopie  trotz  der  seni- 
len Involution  fort  und  fort  sich  steigern  müsse  und  die  letztere  nur  in  der  ent- 
sprechenden Abnahme  der  Accommodationsbreite  zur  Geltung  kommen  könne. 

Die  Behandlung  hat  vorerst  darauf  hinzuwirken,  dass  die  Ent- 
wickelung  und  Gradsteigerung  der  Myopie  womöglich  verhütet  werde.  Die 
zweite  Aufgabe  geht  dahin,  durch  Bestimmung  der  entsprechenden  Zer- 
streuungsgläser die  Verkürzung  der  deutlichen  Sehweite  zu  compensiren.  Endlich 
ist  durch  Vorschreibung  eines  gehöi'igen  Verhaltens  den  Gefahren  zu  begegnen, 
welche  aus  fehlerhaftem  Gebrauche  der  Brillen  resultiren  und  überdies  dem 
Grundleiden  an  sich  anhaften. 

1.  Die  Prophylaxis  muss  natürlich  scliou  in  den  ersten  Kinderjahren 
beginnen  und  besonders  strenge  dort  durchgeführt  werden,  wo  die  Annahme 
einer  Disposition  gerechtfertigt  erscheint.  Grundsätzlich  besteht  sie  in  der 
Vermeidung  anhaltender  Adaptionsthätiykeit  für    sehr  kleine  Distanzen. 

Rücksichtlich  dessen  ist  schon  die  Auswahl  passender  Spielzeuge  belangreich. 
Von  hervorragender  Wichtigkeit  aber  ist  die  Beschaffenheit  der  Lehr-  und  Lern- 
hehelfe,  so  wie  die  Art  ihres  Gehrauches.  Im  Allgemeinen  sollten  Kindern  nur 
Bücher  mit  grösseren  und  fetten  Lettern  vorgelegt  werden ;  Kinder  sollten  verhalten 
werden,  eine  grosse  Handschrift  mit  kräftigen  dicken  Zügen  zu  schreiben  ;  das 
Zeichnen  und  bei  Mädchen  das  Erlernen  des  Feinnäheiis,  des  Stickens  und  über- 
haupt aller  der  sogenannten  feinen  vjeiblichen  Ar/jeiten  etc.  würde  besser  jenseits 
der  eigentlichen  Kinderjahre  begonnen  und  bei  Anlage  zur  Kurzsichtigkeit  am  besten 
unterlassen. 

Von  grösster  Bedeutung  ist  auch,  dass  die  Kinder  bei  derlei  Beschäftigungen 
gewöhnt  werden,  den  Objecten  die  volle  Gesichtsfläche  zuzviwenden,  so  dass  beide 
Augen  vom  Fixirpunkte  gleichiveit  abstehen ;  weiters  dass  sie  den  Kopf  nicht  über 
Bedarf  dem  Gegenstande  nähern  und  dass  die  Fläche  des  Gegenstandes  in  einem 
Winkel  von  ungefähr  45  Graden    zu    der  Gesichtsebene    erhalten  werde.    Es  ist  in 


792  Myopie;  Behandlung;  Prophylaxis. 

dieser  Beziehung  besonders  darauf  zvi  achten,  dass  die  Kinder  relativ  zur  Objeets- 
unterlage  nicht  zu  tief  sitzen,  daher  eine  zweckmässigere  Construction  des  Mobiliares 
in  den  Schulen  ein  dringendes  Bedürfniss  ist  (FoJirner). 

Ausserdem  kann  nicht  genug  darauf  gedrungen  werden,  dass  die  Objecte  bei 
solchen,  eine  starke  Accomniodationsthätigkeit  erfordernden  Beschäftigungen  gehörig 
beleuchtet  seien.  Nicht  leicht  etwas  begünstiget  die  Entwickelung  und  Gradsteigerung 
der  Myopie  so  sehr,  als  wenn  Kinder  gezwungen  werden,  in  düsteren  Localen  und 
bei  loeit  entfernter  Kerzeiiflamme  anhaltend  zu  lesen,  zu  schreiben  etc.  Ueberhaupt 
sollten  Kinder  bei  kunstlicher  Beleuchtung  so  tvenig  als  möglich  mit  derlei  Arbeiten 
behelligt  werden. 

Endlich  ist  auch  die  Dauer  solcher  Beschäftigungen  von  hohem  Belange. 
Es  sollten  dieselben  bei  Kindern  niemals  stundenlang  fortgesetzt,  sondern  in  ge- 
messenen Zeiten  7interhrochen  und  durch  Arbeiten  oder  Spiele  ersetzt  werden, 
welche  an  den  Accommodationsapparat  keine,  oder  doch  nur  sehr  massige  Anforde- 
rungen stellen. 

Bei  einem  geeigneten  und  consequent  durchgeführten  Verfahren  kann 
man  zweifelsohne  hoffen,  in  einem  gewissen  Procente  der  Fälle  die  Erwer- 
bung der  Kui'zsichtigkeit  zu  hintertreiben,  und  geringe  Convexitätszunahraen 
des  Krystalles  wieder  rückgängig  zu  machen.  Ist  Bathyrnorphie  gegeben, 
so  wird  man  die  Entwickelung  und  weitere  Gradsteigerungen  der  Kurzsich- 
tigkeit freilich  kaum  ganz  yerliüten  können.  Nichtsdestoweniger  erscheint 
gerade  hier  die  strengste  Beobachtung  der  prophylaktisclien  Regeln  von 
allergrösstem  Belange,  insoferne  Congestivzustände  des  Auges  einen  höchst 
bedeutenden  Einfluss  auf  die  Entwickelung  und  Fortbildung  eines  Staphyloma 
posticum  ausüben  (S.   401). 

Besonders  ist  die  übergeheugte  Körperstellung  mit  der  dadurch  gesetzten 
Compression  der  Baucheingeu-eide  ein  sehr  wichtiges  Moment  sowohl  an  und  für 
sich,  als  auch  desswegen,  weil  es  mit  der  fortschreitenden  Entwickelung  eines 
Staphyloma  posticum  selbstverständlich  an  Wirksamkeit  zunimvit  und  nicht  auf- 
hört, sich  geltend  zu  machen,  wenn  die  Myopie  bereits  so  weit  gediehen  ist,  dass 
das  Sehen  in  die  nächste  Nähe  keinerlei  Kraftaufwand  von  Seite  des  Accommo- 
dationsmuskels  mehr  verlangt  und  auch  die  Convergenzstellung  der  Augenaxen 
wegfällt,  indem  der  Kranke  gelernt  hat,  das  eine  Auge  beim  Nahesehen  abzulenken. 

Es  ergibt  sich  hieraus  unmittelbar ,  dass  bei  stark  hervortretendem 
Langbaue,  noch  mehr  aber  bei  Gegebensein  eines  Staphyloma  posticum,  die 
Prophylaxis  jenseits  der  Pubertätsperiode  fortgesetzt  werden  müsse  und 
insbesondere  bei  der  Wahl  des  Lebensberufes  geioichtig  in  die  Wagschale  zu 
fallen  habe.  Es  ist  Pflicht  des  Arztes,  mit  allen  ihm  zu  Gebote  stehenden 
Mitteln  zu  verhindern,  dass  Individuen  mit  sehr  ausgesprochener  Bathyrnorphie 
oder  mit  einem  bereits  entwickelten  Staphyloma  posticum  sich  Geschäften 
widmen,  welche  ein  anhaltendes  Sehen  in  sehr  kurze  Distanzen  bei  stark  ge- 
bücktem Oberkörper  erfordern,  z.  B.  der  Uhrmacherei ,  Holzschneiderei, 
Lithographie  u.  dgl.,  ja  selbst  der  Schneiderei  und  Schusterei.  Es  kommen 
die  bedauerlichen  Folgen  einer  solchen  verfehlten  Wahl  des  Lebensberufes 
in  der  Praxis  nur  zu  häufig  vor,  um  so  mehr,  als  vun  Jugend  auf  stark 
myopische  Individuen  für  derlei  Beschäftigungen  eine  besondere  Vorliebe 
zeigen  und  sich  für  ganz  vorzüglich  geeignet  hierzu  halten. 

2.  Die  Kurzsichtigkeit  oder  vielmehr  ihr  Grundleiden  durch  directe 
Mittel  bekämpfen  und  heileii  zu  wollen,  ist  und  bleibt  wohl  ein  vergebli- 
ches Beginnen ;  man  muss  sich  darauf  beschränken,  den  Refractionsfehler 
möglichst  zu  neutralisiren.  Dies  geschieht  bekanntlich  durch  Zerstreuungs- 
gläser, welche  von  allen  in  endlicher  positiver  Entfernung  gelegenen  Objecten 
aufrechte  und   verkleinerte  virtuelle  Bilder  innerhalb  ihrer    negativen    Brenn- 


Correctiou  des  Eefractiüuslehlers ;   Brillenwahl.  793 

weite,  also  vor  der  Brille  entwerfen.  Sollen  dieselben  im  concrelen  Falle 
ihrem  Zwecke  theoretisch  entsprechen,  so  müssen  sie  bei  richtiger  Stellung 
zum  Auge  von  den  jenseits  des  Fornpunktabstandes  befindlichen  Gcj;on- 
ständen  aufrechte  virtuelle  liilder  innerhalb  der  verkürzten  deutlichen  Sehweite 
zu  Stande  bringen  und  zwar  muss  die  Lage  und  Grösse  dieser  virtuellen 
Bilder  eine  solche  sein,  dass  sie  das  bewaffnete  kurzsichtige  Auge  nahezu 
mit  denselben  Accommodationsquoten  und  nahezu  unter  demselben  Gesichts- 
winkel zur  deutlichen  Wahrnehmung  bringt,  wie  das  unbewaffnete  emme- 
tropische  Auge  die    Objecte  selber. 

Bei  niederen  und  mittleren  Graden  der  Kurzsichtigkeit  lässt  sich  allen  diesen 
Anforderungen  auch  in  praktisch  vollkommen  ausreichender  Weise  genügen 
durch  eine  Brille,  deren  negative  Brennweite,  vermehrt  tim  den  Abstand  des 
Glases  vom  Auge,  gleich  ist  dem  Fernpunktabstande  des  letzteren  (S.  773).  Um 
diese  Brille  zu  finden,  braucht  man  also  blos  den  Fernpunkt  zu  bestimmen 
(S.  781).  Sein  Abstand,  verminderet  um  den  Abstand  des  Glases  vom  Auge, 
gibt  die  Brenmveite  des    Glases. 

Ist  das  Glas  richfiy  geivähll,  su  muss  das  damit  bewaffnete  Auge  ferne  Objecte 
uuter  einem  Gesichtswinkel  von  wenigstens  fünf  Minuten  scharf  und  deutlich  sehen,  be- 
ziehungsweise entsprechend  grosse  Scliriftprobenmit  der  erlernten  Geläufigkeit  zu  lesen 
im  Stande  sein.  Da  dies  indessen  auch  eine  zu  scharfe  Brille  ermöglicht,  so  thut 
man  behufs  Ae\-  Cont.role  gut,  auch  etwas  schwächere 'i^wwwwem  bei  grossem  Objects- 
abstande  zu  versuchen.  Die  schicüchsfe  Linse,  welche  ein  scharfes  und  deutliches 
Erkennen  entfernter  Gegenstände  gestattet,  wäre  dann  die  zweckniässigste.  Eine 
reiche  Erfahrung  lässt  e.s  übrigens  klug  erscheinen,  die  Winkelgrösse  etwas  zu 
steigern,  d.  i.  Objecte  zu  wählen ,  welche  die  angenommenen  gesetzlichen  Masse 
um  ein  Kleines  ülter schreiten,  da  man  sonst  recht  häufig  auf  Brillen  krunmt,  welche 
sich  als  zu  scharf  erweisen,  den  Kranken  wenigstens  anfänglich  gerne  belästigen 
und  durch  Anforderung  grösserer  Accommodationsquoten  am  Ende  wohl  gar  schäd- 
lich werden  können. 

Liesse  sich  die  genau  corrigirende  Brille  in  dem  optischen  Centrum  des 
lichtbrechenden  Apparates  aufstellen,  so  würde  das  damit  liewaft'nete  Auge  in  jede 
beliebige  Entfernung  mit  denselben  Accommodationsquoten  sehen,  wie  ein  emme- 
tropisches,  und  auch  die  Bildgrösse  wäre  bei  beiden  gleich.  Der  nothwendige  Ab- 
stand des  Glases  vom  optischen  Centrum  des  Auges  ändert  jedoch  etwas  diese 
Verhältnisse  und  macht  sich  bisweilen  recht  unangenehm  fühlbar.  Dazu  kömmt, 
dass  das  durch  Gewohnheit  eingewurzelte  Verhältniss  der  Accommodations-  und 
Convergenzquoten  durch  die  corrigirende  Brille  eine  wesentliche  Störung  erleidet. 
In  der  Tliat  muss  das  brillenhewaffnete  Auge  für  alle  jenseits  des  Fernpunktes  in 
kurzen  Distanzen  gelegene  Objecte  gewisse  Accommodationsquoten  aufwenden, 
während  es  ohne  das  corrigirende  Glas  die  entsprechenden  Convergenzquoten  bei 
völliger  Ruhe  des  Accommodationsmuskels  ins  Werk  setzte.  Es  werden  diese  Coor- 
dinationsstörungen  in  manchen  Fällen  recht  schwer  empfunden  und  können  unter 
Umständen,  bei  schwierigem  Coordinationswechsel  und  sehr  empfindlichen  Augen, 
zur  zeitweiligen  Covihinafion  der  Concavgläser  mit  schwachen  Prismen  auflordern, 
deren  Basis  nach  «Ms.se«  gerichtet  ist  imd  welche  demnach  für  jede  beliebige  Objects- 
distanz  eine  gesteigerte  Conver-genzquote  in  Anspruch  nehmen. 

Hohe  und  höchste  Grade  der  Mgopie  lassen  sich  gleichfalls  neutralisiren 
durch  Zerstreuuugsgläser ,  deren  Brennweite,  vermehrt  um  den  Abstand 
der  Brille  vom  Auge,  dem  Fernpuuktabstande  des  letzteren  gleichkömmt. 
Doch  ist  unter  solchen  Umständen  eine  vollständige  Correction  des  Re- 
fractionsfehlers  nur  selten  vortheilhaft.  Bei  starken  Grläsern  fällt  nämlich 
der  Abstand  der  Brille  vom  Auge  schwer  ins  Gewicht  und  bedingt  eine 
sehr  empfindliche  Verkleinerung  der  Netzhautbilder,  auch  wenn  das  Glas 
sonst  ganz  richtig  gewählt  wäre.  Dazu  kömmt  die  steigende  Ablenkung 
schief  auffallender    Strahlen    und     eine    davon    abhängende    Verzerrung   der 


794  Myopie:   Behandlung;   Brillenwalil :   Theaterperspective;  Perspectivbrillen. 

Bilder  seitwärts  gelegener  Objecte.  Es  sind  diese  Abweichungen  so  störend, 
dass  hochgradig  Kurzsichtige  es  meistens  vorziehen,  relativ  zic  schwache 
Gläser  zu  gebrauchen.  Sie  verzichten  für  gewöhnlich  auf  vollkommen  scharfe 
Wahrnehmungen  weit  entfernter  Objecte,  um  die  ihnen  näher  gelegenen 
Gegenstände  möglichst  fehlerfrei  zur  Anschauung  zu  bringen.  Wollen  sie 
vorübergehend  auf  grosse  Distanzen  deutlich  sehen,  so  dienen  am  besten 
Operngucker. 

Nicht  selten  jeducli  hört  man  von  liocligradhj  Kurzsichtigen  klagen  über  die 
Unzulänglichkeit  der  verkäuflichen  Theaterperspective.  Gemeiniglich  können  sich 
solche  Kranke  dann  damit  helfen,  dass  sie  neljen  dem  Operngucker  ihre  corrigirende 
Brille  benützen,  ihr  Auge  also  gleichsam  emmelroinscli  machen.  Bei  Damen,  über- 
haupt, wo  das  Tragen  von  Brillen  nicht  opportun  erscheint,  lässt  sich  dem  Uebel- 
stande  dadurch  begegnen,  dass  man  dem  Oculare  des  Perspectives  ein  Concavglas 
von  dem  Brechwerthe  der  corrigirenden  Brille  Ijeifügt,  oder  besser  noch  den  Brech- 

werth    des  Oadares   selbst    um  jenen    der  corrigirenden  Brille   erhöht.    Wäre   —    — 

der  Brechwerth    der    corrigirenden  Brille    und    —  —  jener   des   Perspectivociilares, 

so  wäre  —  —   —  =   —  —  der    ue.surhfe  Brechwerth    des  neuen  Oculares    und 

o  zugleich  der  Halbmesser  seiner  beiderseitigen  Krümmung. 

Viel  weniger  entsprechen  die  sogenannten  Steinheil' sditii  Glaskegel,  das  sind 
etwa  einen  Zoll  lange  solide  Glasconi  mit  schwachconvexer  Vorder-  und  starkcon- 
caver  Hinterfläche,  welche  gleich  dem  Galilei'schen  Fernrohre  wirken.  Dieselben  sind 
\mter  dem  Namen  Stöpselperspective  mindestens  schon  Anfangs  dieses  Jahrhundertes 
im  Geljrauche  gewesen,  aber  wieder  verlassen  worden.  Ihr  Vortheil  besteht  haupt- 
sächlich in  ihrer  Cunipendiosität,  welche  erlaubt,  dieselben  in  Stecherform  an  einer 
Halsschnur,  in  einem  Stockknopfe  u.  s.  w.  zu  tragen. 

Ueberaus  werthvoll  sind  in  manchen  Fällen  von  Kurzsichtigkeit,  wo  es  sich 
darum  handelt,  die  Netzhunthilder  etwas  zu  vergrässern  und  zugleich  den  Refractious- 
fehler  voll  zu  corrigiren,  die  Pei-speetichvillen.  Es  sind  dieselben  gleichfalls  eine  alte 
Erfindung,  da  eine  kleine  Sammlung  derselben  unter  altem  Gerumpel  bei  dem 
Wiener  Optiker,  Herrn  Fritsch,  vorgefunden  wurde  und  weder  dieser  noch  sein 
greiser  Vorgänger  von  dem  Erzeuger  oder  Erfinder  etwas  wussten.  Es  sind  die- 
selben gleich  den  Glaskegeln  nach  dem  Principe  des  Galilei'schen  Fernrohres  ge- 
baut, haben  sävimtUch  eine  vordere  convexe  Fläche  von  0'"  Radius  und  eine  hintere 
concave  Fläche  mit  sehr  wechselndem  Halbmesser.  Die  Verschiedenheit  des  letzteren 
und  der  Dicke  gibt  ihnen  die  mannigfaltigsten  positiven  und  negativen  Brenn- 
weiten. Es  lassen  sich  dieselben  für  jeden  beliebigen  Brechwerth  leicht  nach  den 
Stam2}f er' sehen  oder  Gauss'nchen  Formeln  berechnen.  Nach  letzteren  wäre  die 
Brennweite  z.  eines  solchen  Glases 

wobei    f   =r.     — '--  ;      f,     =:;     —      ''■,'■>    6    ^^    V 

U    —    1    '  '  U    —   1  '  11 

ist  und  n  das  BrecliuuynverhüUnisa  beim  Uebergange  aus  Luft  in  Glas,  /•  den 
Radi^ls  A&Y  vorderen  cunvexen  V\'Ac\\%,  — rj  den  Radius  für  die  hintere  concave  YlÄche 
und  d  die  Axenlänge  oder  Dicke  der  Linse  bezeichnet.  Wühlt  man  r^  und  Jj,  so 
lässt  sich  aus  obiger  Formel  die  für  eine  bestimmte  Brennweite  9  erforderliche  Dicke 
und,  falls  man  diese  und  einen  Radius  wählt,  der  für  eine  bestimmte  Brennweite  9 
nothwendige  andere  Radius  berechnen.  Die  Lage  der  beiden  Hauptpmnkte  E  und  E^, 
sowie  der  beiden  Brennpunkte  F  und  F^   ergeben  die  folgenden  Formeln 

Die  Entfernung  des  erb-teu  Hauptpunktes  E  von  der  Vorderfläche  und  jene 
des  zweiten  Hauptpunktes  von  der  Hinterfläche  sind  Imde  nach  vorne  zu  messen, 
da  E  einen  negativen  Werth  besitzt.  Dagegen  ist  die  Entfernung  des  vorderen 
Brennpunktes  F  von  der  Vorderfläche  der  Linse  nach  vorwärts,  die  Entfernung 
des  hinteren  Brennpunktes  jPj    von    der  Hinterfläche  der  Linse  nach   rückwärts  auf- 


Correctiou  ungloiclier  Kefractioiiszustäiido    oUer  iler  Aiiisoim;truijie ;  Stecher.  795 

zutragen,  es  wäre  denn,    dass  sich  ein    negativer  Werth   für    dieselben  ergäbe,  wo 
die  Entfernungen  im  entgegengesetzten  Sinne  zu  nehmen  sind.   Als  Controle  dient,  dass 

F  —  E  :=  F,  -  E,  =  9;  E  —  El  =  ne  -   -^-^^^      sein  muss. 

9              9  — Pi 
Als    Vergrösserungscoeff'icient  m  ergibt  sich  ni  =  — - —  = 

9  ~  P  9 

wo  p  die    Entfernung   dcss    (JJjjecteis  vom    vorderen  Hauptpunkte  E  und  2^1   die  Ent- 
fernung des  virtuellen  Bildes  vom  Jdnteren  Hauptpunkte  E^   bedeutet. 

Im  Falle  beide  Augen  tnyopisch  sind,  aber  einen  verschiedenen  Kefrac- 
tionszustand  besitzen  (Anisometropie),  wii-d  in  der  Regel  fxvr  jeden  Auge  dasjenige 
Glas  zu  wählen  sein,  welches  die  Kurzsichtigkeit  in  Emnietropie  verwandelt  und 
somit  für  dieselbe  Objectsdistanz  beiderseits  gleiche  Accommodationsquoien 
erforderlich  macht.  Wo  jedoch  die  Differenz  der  Ilefractionszustände  eine 
sehr  grosse  ist  und,  wohlgemerkt  binoculärer  Sehaet  besteht,  da  wird  öfters 
beim  Gebrauche  verschiedener,  jeseitig  voll  corrigirender  Gläser  die  Differenz 
der  Bildgrösse  recht  störend  und  dies  zwar  in  dem  Grade,  dass  der  Kranke 
das  frühere  Verhältniss,  die  mindere  Schärfe  und  Deutlichkeit  in  den  Wahr- 
nehmungen des  einen  Auges  weitaus  vorzieht.  Mitunter  stellen  sich  in 
Folge  dieser  Störung  wohl  auch  ähnliche  Erscheinungen  ein,  wie  beim 
Gebrauche  einer  zu  scharfen  Erille,  der  Zustand  wird  dem  Myops  uner- 
träglich, oder  dieser  lernt,  das  betreifende  Auge  etwas  abzulenken  und  in 
seiner  Thätigkeit  beim  Fernsehen  zu  unterdrücken.  Es  lässt  sich  dann 
dem  Uebelstande  einigermassen  dadurcli  begegnen,  dass  man  den  Refrac- 
tionsfehler  des  mehr  kurzsichtigen  oder  überhaupt  des  beim  Fernsehen  viel- 
leicht weniger  verwendeten  Auges  nur  theilweise  corrigirt,  das  heisst,  dem- 
selben ein  schwächeres  Glas  vorsetzt  und  damit  die  Differenz  auf  ein 
minder  störendes  Mass  zurückfuhrt. 

Manche  glauben  dass  V30  der  gröaste  zidäsaige  Unterschied  in  den  Brech- 
werthen  der  zum  binoeulären  Sehacte  verwendeten  beiden  Biillengläser  ist  (DondersJ. 
Im  Allgemeinen  mag  dies  richtig  sein,  doch  kommen  genug  Fälle  vor,  wo  bei 
unziceifelhaftem  binocvilären  Sehen  weit  grössere  Differenzen,  '/jr,,  Yjo  und  selbst 
darüber  nicht  nin-  vertragen  werden,  sondern  sich  sehr  vortheilliaft  und  angenehm 
erweisen.  Es  kann  im  Einzelfalle  daher  über  die  Ziilässigkeit  einer  gewissen 
Differenz  nicht  von  vorneheiein  theoretisch  abgesprochen  werden,  sondern  es  muss 
jedesmal  darüber  der   Versuch  entscljeiden. 

Ganz  unpraktisch  ist  hier  die  Benützung  der  Mittelstrasse,  d.  i.  die  Wahl  von 
Gläsern,  deren  Brennweite  etwa  der  halben  Differenz  der  beiden  Fernpunktabstände 
gleicht.  Es  sind  xiämlich  solche  Gläser  für  das  eine  Auge  zu  schwach,  für  das 
andere  zu  stark. 

Im  Allgemeinen  soll  mau  immer  binoculare  Brillen  verwenden,  selbst 
wenn  das  zweite  Auge  functionsuntüchtig  ist  oder  doch  beim  Sehen  in 
grössere  Entfernungen  nicht  mitwirkt.  Monoculare  Brillen  lassen  sich  näm- 
lich ohne  absonderliche  und  lästige  Apparate  nicht  leicht  in  der  richtigen 
Lage  fixiren  und  dies  ist  ein  Haupterforderniss,  soll  die  Brille  ihrem  Zwecke 
vollkommen  entsprechen.  Selbstverständlich  bedarf  es  hierzu  sehr  gut  con- 
struirter  Fassungen. 

Stecher  oder  Lorgnetten  sind  in  Anbetracht  dessen  weniger  zu  empfehlen.  Sie 
passen  nur  für  mindere  Grade  von  Kurzsichtigkeit,  wo  die  aus  einer  nicht  ganz 
richtigen  Stelhrng  der  Gläser  zum  Auge  quellenden  Fehler  wenig  bemerkbar  sind, 
und  dann,  wenn  der  Myops,  dem  Brillentragen  abhold,  sich  damit  begnügt,  blos 
zeitiveilig  scharf  in  grössere  Fernen  zu  sehen.  Werden  Zerstreuungsgläser  aber 
längere  Zeit  oder  gar  anhaltend  benützt,  so  sollten  sie  immer  in  Brillenform 
gebraucht  werden. 


796  Myopie;    Behaiidluug;    Brillen. 

Am  besten  taugen  Brillen  mit  federnden  Spangen,  welche  sich  allent- 
halben, ihrer  ganzen  Länge  nach,  an  die  Seitentheile  des  Kopfes  anschmiegen 
und  darum  auch  festhaften,  ohne  einen  oder  den  anderen  Punkt  vorwaltend 
zu  drücken.  Es  müssen  diese  Spangen  natürhch  um  so  stärker  sein,  je 
massiger  die  Gläser  sind,  je  höhergradiger  also  die  zu  neutralisirende  Kurz- 
sichtigkeit  ist. 

Es  hat  dieses  jedoch  seine  Grenze,  weil  mit  der  Stärke  der  Spangen  die 
Schwere  der  Brille  und  der  Druck  wächst,  welchen  einzelne  Theile,  besonders  der 
Nasenrücken,  aiiszulialteu  haben.  Dieser  Umstand  macht,  dass  Brillen  überhaupt 
nicht  am  Orte  sind,  wenn  das  Individuum  sehr  rasche  und  exciirsive  Bewegungen 
des  Körpers  auszuführen  gezwungen  ist.  Eine  Brille,  welche  unter  solchen  Ver- 
hältnissen fest  haften  soll,  wird  bald  durch  den  Druck,  welchen  sie  ausübt,  uner- 
träglich. Bewegt  sich  aber  die  Brille,  so  wird  das  Sehen  im  hohen  Grade  verwirrt. 
Stark  Kurzsiclitige  taugen  daher  nicht  zum  Reiten,  Springen  etc. 

Die  Brille  muss  möglichst  nahe  am  Auge  anstehen,  um  die  Abweichung 
(](.'!•  Netzhautbildgrössen  auf  ein  Kleinstes  zu  vei'ringern  (S.  762).  Ganz  besonders 
nothwendig  ist  dieses  bei  höheren  Graden  der  Kurzsichtigkeit ,  wo  starke 
Gläser  verwendet  werden.  Doch  darf  die  Annäherung  niemals  so  weit  gehen, 
dass  die  Cilien  an  der  Hinterwand  der  Brille  anstreifen,  weil  diese  sonst 
bald  verunreinigt  und  zum  Scharfsehen  untauglich  würde.  Bei  sehr  glotzen- 
den Augen  wird  dieser  Uebelstand  oftmals  sehr  peinlich  und  hindert  ge- 
radezu die  Benützung  ganz  entsprechender  Gläser. 

Die  Axen  der  Gläser  und  die  Gesichtslinien  beider  Augen  müssen  der 
Richtung  nach  mit  einander  zusammenfallen,  oder  doch  nur  einen  kleinen 
Winkel  einschliessen,  auf  dass  vornehmlich  Centralstrahlen  durch  die  Pupille 
zur  j^etzhaut  gelangen  und  die  Abweichungen  aus  dem  Spiele  bleiben, 
welche  die  prismatische  Gestalt  der  Brillenrandtheile  mit  sich  bringt.  Es 
fordert  dieses,  dass  die  Gläser  gut  centrirt  seien,  dass  ihre  Mittelpunkte  bei 
Benützung  der  ]h'ille  den  beiden  Pupillen  gegenüber  gestellt  werden  und 
dass  die   Flächen  der  Gläser  immer  senkrecht  auf  den   Sehlinien  stehen. 

Centrirt  ist  ein  Glas ,  wenn  die  Scheitelpunkte  beider  Krümmungsflächen 
einander  gegenüber  und  genau  in  der  Mitte  der  beiden  Krürnmungsflächen  gelegen 
sind,  also  allenthalben  gleichweit  vom  Rande  der  Linse  abstehen.  Es  fordert  die 
Centrirung  genaue  und  kostspielige  Instrumente,  ausserdem  aber  Gewandtheit  und 
grösste  Sorgfalt  von  Seite  der  Verfertiger.  Am  leichtesten  lässt  sich  den  Anforderungen 
bei  runden  Gläsern  entsprechen;  viel  schwerer,  wenn  den  Gläsern  die  beliebte  ovale 
Form  gegeben  werden  soll.  Ovale  Gläser  zeigen  sich  darum  ziemlich  oft  fehlerhaft 
construirt  und  sollten  immer  nur  von  ganz  verlässtichen  Optikern  angekauft  werden. 
Sonst  lässt  sich  ihnen  kein  erheblicher  Vorwurf  machen.  Nur  muss  darauf  gesehen 
werden,  dass  sie  gross  genug  seien,  uin  die  Pupille  auch  bei  beträchtlichen  Seit- 
wärtsbewegungen des  Au*es  zu  decken. 

Stehen  die  Mittelpunkte  der  beiden  Linsen  nicht  den  Pupillen  gegenüber, 
so  können  begreiflicher  Weise  nur  Strahlen  zur  Netzhaut  gelangen,  welche  durch 
einen  Seiteritheil  des  Glases  gegangen  sind ,  da  alle  anderen  Strahlen  von  der  Iris 
abgeblendet  werden.  Ein  durch  die  hinterliegende  Pupille  gleichsam  abgegrenzter 
Seitentheil  des  Glases  wirkt  dann  auf  das  durchgehende  Licht  in  der  Eigenschaft 
eines  Prisma  mit  gekrümmten  Flächen.  Er  lenkt  demgemäss  die  Strahlen  gegen  seine 
Basis,  also  gegen  den  entsprechenden  Randtheil  des  Glases  hin  ab  und  zwar  um 
so  mehr,  je  grösser  der  brechende  Winkel  des  Prisma,  d.  i.  je  schärfer  die  Brille  ist. 
In  Uebereinstimmung  damit  wird  dieser  Fehler  bei  schwachen  Gläsern  weniger 
bemerklich ,  macht  sich  dafür  aber  bei  scharfen  Linsen  um  so  fühlbarer.  Die  auf 
die  Netzhaut  fallenden  Bilder  erscheinen  nämlich  verzerrt  und  da  sie  beiderseits 
auf  disparate  Netzhautstellen  fallen,  beim  binoculären  Sehact  öfters  erhaben  oder 
vertieft.  Der  Fehler  wird  übrigens  wesentlich  gesteigert,  wenn  die  Flächen  der  Gläser 
nicht  senkrecht  auf  deu  Sehlinien  stehen,  da  mit  der  Grösse  des  Einfallswinkels  a.\ich 


Nothwendige  Eigenschafti'ii  der  Brillen.  797 

die  Ablenkung  vväclist,  welche  die  Strahlen  durch  die  prismatische  Gestalt  der  Seitcn- 
theile  der  Gläser  erfahren. 

Es  ergibt  sich  daraus  die  Notliwendigkuit,  dem  Nasenbügel  der  Brille 
eine  dem  coucreten  Falle  entsprechende  Länge  zu  geben.  Es  muss  dai'um 
vor  der  Wahl  der  lirille  immer  erst  ermittelt  werden,  wie  lueit  die  beiden 
optischen  Hornhautscheitel,  durch  welche  die  Gesichtslinicn  hindurchgehen, 
von  einander  abstehen,  wenn  der  Kranke  in  Phitfernungen  blickt,  für 
welche  er  die  Brille  benützen  will. 

Es  handelt  sich  übrigens  in  der  Praxis  gar  nicht  um  ganz  haarscharfe 
Bestimmungen.  Die  Brillen  werden  nämlicli  niemals  für  eine  einzige  Distanz  ver- 
wendet. Mit  dem  Wechsel  der  Distanzen  verändert  sich  aber  der  Convere-enzwinkcl 
der  Gesichtslinien  und  sohin  auch  der  Abstand  der  beiden  optischen  Hornhaut- 
scheitelpunkte. Um  den  Fehler  ganz  zu  vermeiden,  müssten  also  die  Brillencentra 
je  nach  der  Entfernung  der  betrachteten  Objecte  sich  nähern  und  entfernen,  was 
unthunlich  ist.  Es  kommt  eben  nur  darauf  an,  dass  die  Diffeienzen  eine  gewisse 
Grenze  nicht  überschreiten.  Es  ist  diese  Grenze  für  schwache  Gläser  eine  weitere, 
für  scharfe  Gläser  eine  engere,  in  allen  Fällen  aber  enge  genug,  um  den  Gebrauch 
einer  und  derselben  Brille  für  grosse  und  sehr  kleine  Entfernungen  unvortheilhaft  zu 
machen. 

Um  die  lirisrnatische  Ablenkung  auf  ein  Kleines  zu  reduciren,  müssen 
die  Glasflächen  einer  Brille,  welche  zum  Fernesehen  verwendet  wird,  in 
einer  und  derselben  verticalen  Ebene  vor  den  Augen  stehen.  Soll  die  Brille 
aber  für  kurze  Distanzen  dienen,  so  müssen  die  Gläser  entsprechend  dem 
Convergenzwinkel  der  Gesichtslinien  zusammenneigen,  der  Nasenbügel  also 
in   der  horizontalen  Ebene   einen  nach  hinten  convexen  Bogen   beschreiben. 

Die  Brillengläser  müssen  aus  dem  reinsten,  vollkommen  farblosen 
Spiegel-   oder  Krystallglase  geschliffen  werden. 

Blaset!,  Risse,  SjJi-ünge  sind  von  übelstem  Einflüsse  auf  die  Deutlichkeit  der 
wahrgenommenen  Bilder,  ebenso  natürlich  auch  Schmutzflecke.  Das  auf  sie  wirkende 
diffuse  Licht  erzeugt  nämlich  trübe  Spectra,  welche  sich  über  die  Bilder  lagern. 
Die  Brillen  sollen  daher  während  der  Zeit  des  Nichtgebrauches  immer  in  passenden 
Futteralen  verwahrt  werden.  Zu  ihrer  Reinigung  empfiehlt  sich  feines  Linnenzeug. 
Rehleder  hat  den  Vorzug  der  Weichheit,  doch  wird  es  bei  längerem  Gebrauche 
gerne  fettig  und  leistet  dann  nicht  das  Geforderte. 

Man  pflegt  die  Brillengläser  je  nach  ihrer  grösseren  oder  geringeren  Brenn- 
weite mit  Nummern  zu  bezeichnen.  In  der  Regel  drückt  die  Nummer  den  Werth 
der  Brennweite  in  Zollen  ans,  so  dass  ein  Glas  Nr.  40,  20,  10,  6,  5 1/2  e6e?i  so  viele 
Zolle  Bvennrceite  besitzt.  Selbstverständlich  variiren  desshalb  Brillen  gleicher  Nummern 
in  den  verschiedenen  Ländern  je  nach  den  üblichen  Längenmassen.  Manche  Optiker 
nummeriren  ihre  Gläser  jedoch  nach  ganz  abweichenden  und  zum  Theile  sehr  will- 
kürlichen Principien. 

Gewöhnlich  werden  Zerstreuungsgläser  Inconcav  geschlift'en,  seltener  plan- 
concav.  Sehr  beliebt  waren  früher  convexconcave  oder  periskoiyisrhe  Gläser,  da  bei 
ihnen  die  Abweichung  wegen  der  Kugelgestalt  im  Allgemeinen  weniger  fühlbar 
werden  soll. 

Als  Materiale  für  die  Brillenfassung  dient  am  besten  matt  polirtes  Metall. 
Hörn  und  Schildplatt  sind  leichter,  werfen  sich  aber  gerne  und  verändern  so  die 
Stellung  der  Gläser  zum  Auge. 

3.  Der  Gebrauch  von  pussenden  Brillen  ist  an  und  für  sich  durch- 
aus nicht  schädlich.  Doch  müssen  bei  deren  Benützung  gewisse  Vorsichten 
beobachtet  werden.  Zweckwidriger  Gebrauch  der  Brillen,  auch  wenn  diese 
in  jeder  Beziehung  den  gegebenen  Verhältnissen  entsprächen,  ist  ganz  ge- 
eignet, das  Grundleiden  zu  steigern  und  eine  Reihe  verdei-bl icher  Zustände 
hervorzurufen. 


798  Myopie;  Behandlung;  Gebrauchsregeln  für  Brillen. 

Bei  mittleren  und  hohen  Graden  von  Knrzsichtigkeit  wird ,  wenn  der 
Kranke  bisher  keine  oder  viel  zv,  schwache  Brillen  getragen  hat  und  die 
relative  Accommodationsbreite  eine  mangelhafte  ist,  die  plötzliche  Störung 
der  eingewurzelten  Coordinationsverhältnisse  nicht  selten  die  Quelle  von 
asthenopischen  Beschwerden.  Man  thut  dann  gut,  die  Kurzsichtigkeit 
vorerst  nur  theilweise  zu  neutralisiren  und  allmälig,  je  nach  Massgabe  der 
geänderten  Associationsverhältnisse,  zu  den  voll  corrigirenden  Brillen  auf- 
zusteigen. 

Hauptregel  ist,  dass  Brillen  niemals  für  Distanzen  benützt  werden, 
loelche  innerhalb  der  Grenzen  der  deutlichen  Sehweite  fallen ,  da  widrigen- 
falls die  für  kurze  Entfernungen  erforderlichen  Accommodationsquoten 
sehr  gesteigert  und  die  Coordinationsverhältnisse  zwischen  Ciliar-  und 
Convergenzmuskeln  in  unerträglicher  Weise  gestört  werden.  Meistens 
äussern  sich  diese  Unzukömmlichkeiten  alsbald  in  asthenopischen  Be- 
schwerden. Ueberdies  liegt  in  der  relativen  Ueberbürdung  der  genannten 
Muskeln  eine  Quelle  von  Congestivzuständen  der  Augen,  welche  eines  der 
wirksamsten  pathogenetischen  Momente  abgeben  für  die  Ausbildung  und 
die  fortschreitende  Grössezunahme  eines  Staphyloma  posticum  und  mittel- 
bar selbst  für  entzündliche  Processe  in  den  tieferen  Binnenorganen  des 
Auges,  die  ihrerseits  zur  völligen  Functionsuntüchtigkeit  des  Organes  führen 
können.  Ist  dann  noch  vielleicht  gar  die  Brille  zu  scharf,  oder  ihre  Stellung 
zum  Auge  eine  falsche,  so  treten  jene  Uebelstände  um  so  rascher  und 
drohender  hervor,  die  Brille  wird  zu  einer  Schädlichkeit  der  schlimm- 
sten Art. 

Bei  niederen  Graden  von  Myopie  sollen  darum  Zerstreuungsgläser  immer 
nur  zum   Sehen  in  grössere  Entfernungen  verwendet  werden. 

Anders  verhält  sich  die  Sache,  wenn  der  Fernpunktabstand  unter  10  Zoll 
herabsinkt.  Dann  können  Zerstreuungsgläser  auch  beim  Nahesehen,  beim 
Lesen,  Schreiben  und  bei  ähnlichen  Beschäftigungen  nicht  immer  ohne  Nach- 
theil  entbehrt  werden,  indem  die  freien  Augen  behufs  deutlichen  Sehens  den 
Objecten  übermässig  genähert  werden  müssen,  was  nicht  nur  sehr  grosse  Con- 
vergemen  der  optischen  Axen  voraussetzt,  so  lange  gemeinschaftlicher  Sehact 
besteht,  sondern  auch  eine  starke  Beugung  des  Oberkörpers  nothwendig  macht, 
wenn  die  Objecte  nicht  beliebig  ihren  Ort  verändern  lassen.  In  Berück- 
sichtigung dessen  thut  man  bei  Fernpunktabs  fänden  von  loeniger  als  10  und 
mehr  als  6  Zoll  wohl,  für  Beschäftigungen  mit  Objecten,  welche  unbeschadet 
der  erforderlichen  Nclzhaufbildgrösse  über  die  deutliche  Sehweite  des  Myops 
hinaas,  auf  1 2  und  mehr  Zoll  Distanz,  gerückt  werden  können,  Brillen  zu 
empfehlen,  deren  Brenniveite  den  Fernpunktabstand  um  einige  Zolle  übertrifft. 
Besonders  räthlich  erscheint  eine  solche  Massregel,  wenn  die  Accommodations- 
breite  eine  verhältnissraässig  geringe  ist. 

Theoretisch  genommen  ginge  die  Aufgabe  dahin,  Brillen  zu  wählen,  welche 
für  die  betreffenden  Entfernungen  dieselben  Accommodationsquoten  erforderlich 
machen,  wie  im  emnietropischen  Auge.  Dies  wären  aber  gerade  die  voll  corrigirenden 
und  diese  erweisen  sich  Ijei  an  Gläser  nicht  sehr  gewöhnten  Augen  in  der  Regel 
zu,  scharf,  da  sie  die  Coordinationsverhältnisse  übermässig  stören.  Nimmt  man  aber 
auf  letztere  allein  Rücksicht  iind  wählt  man  Brillen,  welche  die  virtuellen  Bilder 
der  fraglichen  Objecte  genau  im  Fernininktabstande  entwerfen,  so  finden  die  Kranken 
dieselben  in  der  Regel  etwas  zu  schwach  und  fühlen  sich  bei  deren  Gebrauche  un- 


Behiindlunpf  hoi  Stapli.  post.  progiodions  n.   bei  mynpisclipr  Prftsbyopio.  799 

befriedigt,    während    eine    kleine    Anfordoriuif;^   an  den  Aecommodationsmiiskcl  ge- 
meiniglicli   sich  als  sehr  zusagend  erweiset. 

Die  Notlivvendigkcit  einer  solchen  BrilUinvvahl  tritt  hcsonders  liäidig  Itei 
Musikern  hervor,  welche  die  Noten  in  einer  hestinimten  Entfernung,  etwa  18  —  30 
Zoll  vom  Auge  entfernt  halten  müssen. 

Bei  höclistgvadigen  Myopien  von  xoeniger  als  0  Zoll  Fornpunktabstancl 
muss  sioli  dor  Kranke  ohnehin  in  der  Reii;el  mit  Gläsern  behelfen,  welche 
relativ  zum  Fernpnnktabstande  zu  schwach  sind  (S.  798).  Kr  kann  darum 
ohne  weiteres  das  ihm  zusagende  Glas  für  die  Nähe  benützen  und  benutzt 
es  auch  meistens  ohne  allen  Schaden,  indem  er  für  vorübergehende  Beschauungen 
ferner  Gegenstände  gewöhnlich  noch  ein  zweites,  in  Stecherform  gefasstes 
Gläserpaar  der  Brille  vorsetzt. 

Der  Brechwertii  eines  solchen  Stechers  lässt  sich  leicht  aus  der  Formel 
berechnen,    wo  f  die  Brennweite    des  Brillenglases,    p  jene 


f  g  P 

der    beiden  Gläser   zusammengenommen    oder    der    voll  corrigirenden  Brille    und  g 
die  gesuchte  Brennweite  des  Stechers  ist.  Es  ergibt  sich  nämlich 

~   's     ~  jT     '       f  • 

4.  Besondere  Aufmerksamkeit  erfordern  die  Perioden  des  fortschreiten- 
den Wachsthumes  eines  Staphyloma  postlcum.  So  lange  dieses  nicht  stationär  ge- 
worden ist,  müssen  die  im  Obigen  auseinander  gesetzten  Regeln  mit  grösster 
Strenge  gehandhabt  und  insonderheit  jede  Ueberbürdung  des  Sehorganes  und 
jede  Gelegenheit  zu  Congestivzuständcn  des  Bulbus  auf  das  Sorgfältigste  ver- 
mieden werden.  Zeigt  sich  das  Grundleiden  in  rascher  Progression  begx'iffen, 
so  genügt  dies  nicht  mehr;  dann  wird  strenge  Augendiät  zur  unerlässlichen 
Bedingung,  will  man  möglicher  Weise  einen  Stillstand  herbeiführen.  Vor 
allem  wird  es  dann  nothwendig,  jede  das  Auge  nur  einigermassen  anstrengende 
Beschäftigung,  das  Lesen,  Schreiben  u.  s.  w.  gänzlich  aufzugeben  und  das 
Sehorgan  vor  dem  Einflüsse  grellen  Lichtes,  namentlich  stiirkerer  Lichtcon- 
traste,   zu  schützen   (S.   403). 

5.  Eine  sehr  grosse  Beachtung  verdienen  die  senilen  Alterationen  des 
Auges  wegen  ihrem  Einflüsse  auf  die  Länge  und  Lage  der  deutlichen  Sehweite. 
Sie  steigex'n  die  Accommodationsquoten,  welche  zum  scharfen  Sehen  in 
kurze,  diesseits  des  Fernpunktabstandes  gelegene  Distanzen  nothwendig 
sind  im  Verhältnisse  zur  Verminderung  der  Accommodationsbreite.  Die 
Folge  davon  ist,  dass  Beschäftigungen,  welchen  der  Myops  früher  mit 
Leichtigkeit  dauernd  oblag,  nun  eine  Quelle  von  Ueberbürdungen  des  Accommo- 
dationsmuskels  werden  und  dem  Auge  geradezu  Gefahr  drohen  können. 
Bis  zu  einem  gewissen  Grade  hilft  sich  dann  der  Mj'ops  selbst  durch  Ver- 
längerung der  Objectsdistanz.  Lst  diese  aber  an  der  Grenze  angelangt,  welche 
ihr  die  Art  der  Beschäftigung  als  solche  oder  die  Grösse  des  erforderlichen 
Sehwinkels  setzt,  so  muss  entweder  die  gewohnte  Beschäftigung  aufgegeben, 
oder  eine  Brille  angewendet  werden,  welche  bei  der  passendsten  Entfernung 
des  Gegenstandes  virtuelle  Bilder  näher  dem.  Fernpnnktabstande  dos  myopischen 
Auges  entwirft. 

Bei  niederen  Graden  der  Mj'opie  wird,  wenn  das  Object  nahe  an  das 
Auge  herangerückt  werden  muss,  manchmal  die  Benützung  einer  schwachen 
Convexbrille  nothwendig,  welche  von  den  innerhalb  ihrer  Brennweite  gelegenen 
Objecten  aufrechte  vergrösserte  virtuelle  Biläor  jenseits  der  Objectsdistanz  ent- 
wii'ft.  Bei  höheren  Graden  von  Kiirzsichtigkeit  aber,  bei  welchen  aus 
erwähnten    Gründen    auch   zum   Nahesehen  Concavgläser  gebraucht  werden, 


800  Myopie;  Behandlung;  Quellen. 

wird  es  nöthig,  statt  der  früher  benützten  Brille  eine  schwächere  zu  wählen, 
um  solchermassen  bei  gleichbleibender  Objectsdistanz  den  Abstand  der  virtuellen 
Bilder  zu  vergrössern.  Rückt  dann  später  auch  der  Fernpunlctabstand  hinaus, 
so  muss  ebenso  die  für  grössere  Distanzen  benützte  Brille  mit  einer  anderen 
vertauscht  werden,  deren  Brennweite  dem  dermaligen  Abstände  des  Fern- 
punktes entspricht.  Bei  höchstgradigen  Myopien,  bei  welchen  ohnehin  in 
der  Regel  zu  schwache  Gläser  verwendet  werden,  wird  ein  Austausch  der 
Gläser  nur  selten  nöthig. 

6.  In  Fällen  von  Myopie,  wo  beim  Nahesehen  gemeinschaftlicher  Seh- 
act  besteht  und  sich  das  Unvermögen  äussert,  für  gewisse  Beschäftigungen 
die  nöthige  Convergenz  der  optischen  Axen  aufzubringen  oder  dauernd  zu 
erhalten ,  können  prismatische  oder  sogenannte  Dissectionsgläser  ver- 
sucht werden.   (Siehe  Therapie  des  Strabismus  divergens). 

Bei  hochgradiger  Kurzsichtigkeit,  wo  die  Anforderungen  an  die  Leistungsfähig- 
keit der  inneren  Geraden  immer  ausnehmend  gross  sind  (S.  790),  will  man  gar 
nicht  mehr  den  Eintritt  asthenopischer  Beschwerden  abwarten,  sondern  empfiehlt  von 
vorneherein  zu  prismatischen  Gläsern  und,  falls  diese  nicht  zureichen,  zur  Rück- 
lagerung der  äusseren  geraden  Augenmuskeln  zu  schreiten,  um  den  üblen  Folgen 
wirksam  vorzubeugen.  Man  ist  übrigens  geneigt,  von  der  Tenotomie  auch  einen 
günstigen  Einfluss  auf  den  weiteren  Verlauf  der  Kurzsichtigkeit  selbst  zu  erwarten 
und  hofft  besonders,  dadurch  dem  weiteren  Fortschreiten  vorhandener  hinterer 
Scleralstaphylome  einen  Damm  setzen  zu  können  (Graefe).  Es  kann  nicht  dringend 
genug  vor  einem  solchen  Unternehmen  gewarnt  werden.  Falls  dadurch  nämlich  auch 
wirklich  dem  Fortschreiten  des  Grundleidens  Halt  geboten  werden  könnte,  so  würde 
dieser  Gewinn  nxir  allzvi  theuer  erkauft  durch  Störungen  des  Projectionsvermögens 
und  durch  die  damit  unvermeidlich  gewordene  Ausschliessung  des  einen  Auges  vom 
gemeinscJiaft liehen  Sehacte. 

Quellen:  Beer,  Lehre  v.  d.  Augenkrankheiten.  II.  S.  653,  654.  —  Stellwag, 
Sitzungsberichte  der  Wiener  k.  Akad.  der  Wiss.  XVI.  Bd.  1855.  S.  201—209,  213, 
217,  218,  219,  220,  221,  224—2.50;  Ophth.  IL  S.  337— 360.  —  Z>onfZers,  A.  f.  O.  IV. 
1.  S.  .301,  304,  307-319;  VI.  1.  S.  67,  83,  101;  VL  2.  S.  219—228,  238— 243;  IX. 
1.  S.  105,  135—154;  Anomal,  der  Ref.  u.  Acc.  Wien.  1866.  S.  74,  77,  78,  83,  89, 
97,  100  —  107,  114—144,  148,  154,  179,  181,  187,  279,  282—296,  .30.3,  306,  308, 
309,  311,  320,  325,  329,  338,  343,  350,  352,  354,  361,  468,  474.  —  Ed.  Jaeger, 
Einstellungen  des  dioptr.  Apparates.  Wien.  1861.  S.  25,  72-^2,  195—211,  237, 
244—256,  277.  —  Hasner,  kl.  Vorträge.  Prag,  1860.  S.  31,  34,  39,  43,  46,  48,  56, 
58.  —  Rnete,  Lehrb.  der  Ophth.  I.  Braunschweig.  1853.  S.  220,  223;  Schmidt's 
Jahrbücher.  1.34.  Bd.  S.  217.  —  Graefe,  A.  f.  O.  II.  1.  S.  160;  IIL  1.308;  kl.  MontbL 
1863.  S.  355—360,  1865.  S.  .392;  1869.  S.  227.  —  Burmc,  Ein  neues  Optometer. 
Berlin.  1863;  A.  f.  O.  IX.  2.  S.  228.  —  HebnhoUz,  Beschreibung  eines  Augenspiegels. 
Berlin.  1851.  S.  38.  —  Schiceigger,  Vorle.sgn.  über  den  Gebrauch  des  Augenspiegels. 
Berlin.  1864.  S.  58;  Göttinger  Nachrichten  1870.  Nro.  9.  —  Schuerman,  Vijfde 
Jaarl.  Verslag.  Utrecht.  1864.  S.  1 ;  .kl.  Monatbl.  1864.  S.  92,  95.  —  Knapp,  A.  f. 
O.  VI.  2.  S.  7.  —  Doyer,  Derde  Jaarlljkscli  Verslag.  Utrecht.  1862.  S.  209;  Don- 
ders  Anomalien  etc.  S.  339.  —  Verschoor,  Zesde  Jaarl.  Versl.  Utrecht.  1865.  S. 
97.  —  Böhm,  der  Nystagmus  etc.  Berlin.  1857.  S.  40.  —  Arlt,  die  Krankheiten  des 
Auges  III.  Prag.  1856.  S.  238.  —  H.  Cohn,  Deutsche  Klinik.  1866.  Nr.  5;  kliu. 
MonatbL  1866.  S.  188,  195;  1867.  S.  357;  1868.  S.  49;  Untersuchung  der  Augen 
von  10.060  Schulkindern.  Leipzig.  1867;  Berlin,  med.  Wochenschrift.  1867.  Nro.  50; 
1868.  Nro.  50.  —  Gramer,  Het  accommodatievermogen.  Haarlem.  1853.  S.  141, 
145,  146.  —  Fahrner,  Wien.  Jahrb.  f.  Kinderheilkunde  VI.  S.  151  —  168;  klin, 
Montl)!.  1866.  S.  189.  —  Giraud-Teidon,  Congres  intern,  d'ophth.  Paris,  1863.  S. 
102.  —  Ainsiaux,  ibid.  1868,  S.  180.  —  Pagenstecher,  kl.  Beob.  III.  S.  102.  — 
Coccius,  Der  Mechanismus  der  Accommodation.  Leipzig.  1868.  S.  67,  71,  78,  109. 
—  Ed.  Meyer,  kl.  Monatbl.  1869.  S.  351.  —  Bohroivolsky,  ibid.  1868.  Beil.  S.  3, 
93,  141,  175,  181,  201.  —  Mauthner,  Lehrb.  d.  Ophthalmoscopie  S.  161,  190.  — 
Kaiser,  A.  f.  O.  XIII.  2,  S.  353.   —  Liehreich,  ibid.  VIII.  1.    S.  261.    —    Zehender, 


Hypcrinetropie ;  KiankheitsbiUl;  Gradbestimmuiig.  801 

kl.  Mouatbl.  1868.  S.  137.  —  Woinow,  Centralbl.  1869.  Nro.  56.  —  Laqueur,  ibid. 
S.  362.  —  Schumann,  Experimentaluntersuchungen  über  die  Baiifehler  etc.  Leipzig. 
1869.  —  Noyes,  Arch.  f.  Angcu-  und  Ohrenheilkde.  1.  S.   154. 


2.  Die  Uebersichtigkeit,  Hypermetropie. 

Krankheitsbild.  Charakteristisch  ist  das  Sinken  des  Refractionszustandes 
unter  den  Nullwerth,  also  die  Verlängerung  des  Fernpunktah Standes  über  die  posi- 
tive Unendlichkeit  hinaus  in  negative  Distanzen  und  das  damit  gesetzte  Vermögen 
des  Auges,  convergent  auffallende  Strahlen  in  deutliche  und  scharfe  Netzhaut- 
bilder zu  vereinigen. 

X.  Der  Fernpunktabstand  kanu  in  allen  möglichen  negativen  Wei'then 
schwanken.  Doch  wird  die  Uebersichtigkeit  in  der  Praxis  nur  dann  von 
Bedeutung,  wenn  der  Refractionszustand  einen  erheblichen  negativen  Werth 
erreicht,  der  Fernpunkt  also  in  der  nach  hinten  verlängerten  optischen 
Axe  auf  wenige  Schuhe  an  den  Bulbus  herangerückt  ist. 

Um  den  Fernpunktabstand  zu  messen  begnügt  man  sich  in  der  Praxis 
zumeist  mit  dem  Aufsuchen  der  stärksten  Sammellinse,  welche  knapp  vor 
das  Auge  gestellt,  noch  das  scharfe  und  deutliche  Sehen  entfernter  Gegen- 
stände unter  einem  Gesichtswinkel  von  5  Minuten  (S.  761)  ermöglicht. 
Die  Brennweite  dieses  Glases  vermindert  um  dessen  Abstand  vom  Auge  gibt 
den  gesuchten  Fernpunktabstand  und  dessen  reciproker  Wei'th  den  Grad  der 
vorhandenen  Hypermetropie   (S.   7  72). 

Es  ist  klar,  dass  bei  einem  solchen  Verfahren  ein  nicht  ganz  zu- 
treffender Werth  des  Refractionszustandes  gefunden  werden  müsse.  Die 
Coordinationsverhältnisse  zwischen  Ciliar-  und  Couvergenzmuskeln  lassen  näm- 
lich eine  völlige  Abspannung  des  Accommodationsmuskels  bei  Parallel- 
stellung der  Gesichtsliuien  nicht  zu.  Ueberdies  springt  die  Linse,  welche 
bei  Hypermetropen  ununterbrochen  in  einer  gewissen  Convexitätssteigerung 
erhalten  wird,  bei  ungenügender  Elasticität  nicht  immer  rasch,  wenn  über- 
haupt in  ihre  natürliche  Form  zurück,  auch  wenn  der  Ciliarmuskel  völlig 
erschlafft  würde;  es  bleibt  also  der  Refractionszustand  etwas  erhöht.  Uni 
den  wahren  Fernpunktabstand  annähernd  richtig  zu  bestimmen,  ist  es  darum 
unerlässlich ,  den  Adaptionsmuskel  durch  wiederholte  Einträufelungen 
starker  Atropinlösungen  einige   Zeit  in  völliger  Abspannung  zu   erhalten. 

Wurde  bei  diesem  Versuche  die  Pupille  stark  erweitert,  so  muss  das  Glas  bis 
auf  einen,  der  gewöhnlichen  Pupillengrösse  entsprechenden,  centralen  Theil  abgeblendet 
werden,  widrigenfalls  sich  die  Asymmetrie  in  der  Krümmung  der  Hornhaut  und  Linse 
geltend  macht  und  das  Urtheil  trübt. 

Optometer  sind  nur  dann  verwendbar,  wenn  sie  mit  Rücksicht  auf  beliebige 
negative  Distanzen  gebaut  sind.  Die  Ergebnisse  sind  noch  weniger  verlässlich,  als 
bei  Emmetropie  und  Myopie.  (S.  781). 

Ganz  gute  Dienste  leistet  der  Auyeiisjnegel ,  vorausgesetzt,  dass  die  Accom- 
modation  des  untersuchten  Auges  durch  Mydriatica  gelähmt  ist  und  der  Unter- 
suchende seine  jeweilige  Einstellung  beim  Ophthalmoskopiren  kennt.  Ist  (Fig.  102) 
das  unters2ichte  Auge  A  hypermetropisch  und  für  o  oder  g  eingestellt,  so  wird  das 
untersuchende  Auge  B  durch  einen  einfachen  Beleuchtungssp>ieyel  S  S  ein  deutliches 
Bild  des  Augengrundes  von  A  gewinnen,  wenn  seine  Einstellung  bo  oder  l>  g  ist. 
Es  ergibt  sich  dann  der  Fernpunktabstand  des  Auges  A  als  bo  —  ba  oder  als 
bg  —  ba.  Ein  myopisches  Auge  B  kann  selbstverständlich  durch  einen  einfachen 
Beleuchtuugsspiegel  ein  deutliches  Bild  von  A  nur  erhalten,  wenn  dieses  in  hohem 
Stellwag,  Augenheilkunde.  51 


802 


Hypermetropie  ;  Krankheitsbild  :  Gradtestimmuiig  durch  d.  Augenspiegel. 


Grade  hypermetropisch  ist.    Wäre  aber  B  in    hohem  Grade  übersichtig ,  so  müsste  A 
im  yerinyen  Grade    hypermetropisch    sein,    auf  dass    der   Augengrund    des   letzteren 

Fig.  102. 


deutlich  gesehen  werden  könnte.  Wird  der  Beleuchtungsspiegel  jedoch  mit  einer 
Correctionslinse  comhinirt,  also  im  aufrechten  Bilde  untersucht,  so  fallen  jene  Be- 
schränkungen weg  und  die  Brennweite  des  zum  Scharfsehen  erforderlichen  Glases 
in  Verbindung  mit  der  bekannten  Einstellung  des  Auges  B  liefern  die  nöthigen 
Factoren    zur  Berechnung    des  Refractionszustandes  von  A.    Es    gilt  hier    nämlich 

wieder    die    Formel    —   —    =    i    —  —  —  ,  wo  a  die   Einstellung    des   Auges  B, 

p  die  Brennweite  der  Linse  und  a  die  Einstellung  des  untersuchten  Auges  A  mehr 
dem  Spiegelabstande  bedeutet  (S.  783).  Wäre  (Fig.  103)  das  Auge  A  iüxg  eingestellt  und 

Fig.  103. 


B  für  o,  so  wäre  a^=gh  und  a  =  oft;  es  wäre  also  eine  Concavlinse  zum  Scharf- 
sehen erforderlich.  Wenn  aber  A  für  o  und  B  für  g  eingestellt  ist,  so  müsste 
offenbar  eine   C'onvexUnse   angewendet  werden.     Falls  B  uhsolut  hypermetropisch  ist, 

stellt  sich  die  Formel    —   =   —  —    — ,  es  ist  unter    aUen  Verhältnissen    eine   Con- 

Ot  p  a    ' 

vexlinse  nothwendig. 

Von  einigem  Werthe  ist  auch  das  Vergrösseriingsverhältniss,  in  welchem  der 
Augengrund  eines  hy2)ermetropischen  Auges  verglichen  mit  dem  eines  emmetropischen 
zur  Wahrnehmung  kömmt  (S.  783).  Im  verkehrten  Bilde  ist  die  relative  Vergrösserung 
eine  hedeutende,  besonders  (5"3:6"1,  iS'cAM'eJ^^e?-),  wenn  die  Hypermetropie  auf  MacÄ- 
ban  beruht.  Sie  nimmt  übrigens  mit  der  Entfernung  des  Glases  vom  Auge  zu.  Im 
aufrechten  Bilde  ist  sie  sehr  gering,  vornehmlich  wenn  in  der  Grundgleichung  das 
n  vermindert  erscheint  (Mauthner,  Schweigyer). 

2.  Der  Nahepunkt  liegt  bald  in  positiver,  bald  in  negativer  p]utfernung 
vom  Auge,  daher  die  deutliche  Sehweite  bald  eine  discontinuirliche ,  bald 
ihrer  ganzen  Länge  nach  negative  ist.  Man  spricht  im  ersten  Falle  von 
einer  facuhativen,  im  letzteren  von  einer  absoluten  Hypermetropie,  ohne 
dass  jedoch  damit  nothwendig  vei'schiedene  Grade  der  Hypermetropie 
bezeichnet    wären,    indem   eben   die  Lage  des  Nahepunktes  nicht  blos  von 


Relative  Hypermetropie ;  Bestimmung  des  Naliepunktes  u.  d.  Acoommodationsbreite.  803 

dem  minimalen  Refractioiiszustande,  sondern  auch  von  der  Grösse  der 
Acoommodationsbreite  abhängt,  folgerecht  eine  gleichiverthige  Hypermetropie 
als  facultative  und  absolute   sich  darstellen  kann. 

Man  wird  sich  dies  am  besten  anschaulich  machen,  wenn  man  sich  eine 
Reihe  negativer  Refractionszustände  neben  einander  stellt  und  zu  jedem  eine  be- 
stimmte Differenz,  1/7,  Yu)  etc.  addirt,  also  den  maximalen  Refractionszustand  bei 
bestimmter  Accommodationsbreite  und  daraus  den  Nahepnnktabstand  ermittelt 
(S.  765). 

Man  sieht  dann  ausserdem  sogleich,  dass  Refractionszustände  von  geringem 
negativen  Werth  bei  normaler  oder  gar  gesteigerter  Accommodationsbreite  Nahe- 
punktabstände  ergeben,  die  von  normalen  sich  nicht  sehr  wesentlich  unterscheiden,  ja 
dass  ein  Hypevmetrope  mit  sehr  gesteigerter  Accommodationsbreite  einen  kürzeren 
Nahepunktabstand  haben  kann,  als  ein  Emmetrope  mit  der  normalen. 

Gewöhnlich  wird  auch  eine  relative  Uebersichtigkeit  unterschieden.  Unter 
letzterer  versteht  man  eine  Hypermetropie,  bei  welcher  der  Nafiepunlct  nur  unter 
der  Bedingung  in  2Jositive  Entfernungen  gerückt  werden  kann,  dass  die  Gesichts- 
linien sich  vor  dem  fixirteri  Punkte  kreuzen  (Donders),  mit  anderen  Worten  unter 
der  Bedingung,  dass  die  Augen  unter  Aufgeben  des  binocularen  Sehens  nach 
inne7i  schielen. 

Um  den  Abstand  des  Nahepunktes  zu  ermitteln,  genügt  bei  facultativer 
Hypermetropie  das  bei  der  Myopie  zu  gleichem  Behufe  vorgeschlagene  Ver- 
fahren (S.  783),  nämlich  ä\e  ^eativaiaung  äer  kleinsten  positiven  Entfernung, 
in  welcher  das  Auge  Objecte  unter  einem  Winkel  von  5  Minuten  (S.  761) 
deutlich  und  scharf  zu  sehen  im  Stande  ist.  Bei  absoluter  Uebersichtigkeit 
rauss  dem  Auge  eine  dem  Fempunktahslande  entsprechend  gewählte  Sam- 
mellinse vorgesetzt  und  dann  die  kürzeste  Distanz  gemessen  werden,  in  wel- 
cher mit  dieser  Brille  noch  deutliche  und  scharfe  Wahrnehmungen  vermittelt 
werden.  Es  lässt  sich  aus  diesem  Wcrthe  und  aus  der  Brenntveite  der  be- 
nützten Brille  leicht  die  Entfernung  des  virtuellen  Bildes  berechnen  und 
durch  Subtraction  des  Brillenab Standes  vom  Auge  kömmt  man  zur  Kenut- 
uiss  der  Lage  des  Nahepunktes. 

3.  Objecte  und  virtuelle  Bilder,  welche  innerhalb  der  deutlichen  Sehweite 
gelegen  sind,  sieht  der  Uebersichtige  unter  sonst  normalen  ^Verhältnissen 
ebenso  scharf  und  deutlich,  wie  der  Emmetrope ;  doch  muss  er  viel  grössere 
Accommodationsquoten  aufwenden  und  ermüdet  daher  leichter,  es  wäre  denn, 
dass  seine  Accommodationsbreite  die  Norm  übersteigt,  was  bei  jugend- 
lichen Individuen,  welche  sich  viel  und  anhaltend  mit  kleinen  Objecten  be- 
schäftigen,    ihre    Accommodation    also     stark     üben,     häufig     der     Fall  ist. 

Die  erforderliche  Accommodationsquote  für  20  und  für  10  Masseinheiten  ist 
bei    Emmetropie    mit    einer   Accommodationsbreite    von  -     (S.    765)  —-  und    bezie- 

•  5  1  .  1 

hungsweise  —  .  Bei  Hypermetropie  —    _    und  einer  Accommodationsbreite         wären 

5  5 

die  Accommodationsquoten  für  20  und  10  Masseinheiten  — -  und   — -— :  beiHyperme- 

■*  10  D'DO  * 

1  13  3 

tropie  —  — r  und  Accommodationsbreite  — -  wären  sie  — -  und  ^r^.     Bei    Huperme- 

t^  20  3  10  6-66  ■'■^ 

tropie   —         und  Accommodationsbreite    „    würden    für   Distanzen   von    20   und    10 

3  3 

Masseinheiten  Accommodationsquoten  von   ~-^  und    —  erforderlich  sein. 

*■  D'DO  5 

Ausserhalb  der  deutlichen  Sehweite  gelegene  Objecte  und  virtuelle 
Bilder  werden  aber  im  Allgemeinen  um  so  undeutlicher  gesehen,  je  grösser 
die  die  Netzhaut  treffenden  Zerstreuungskreise  sind,  je  weiter  also  die 
Pupille  und  je  grösser  der  Abstand  ist,  in  welchem  die  den  dioptrischen 
Apparat  passirenden  Lichtstrahlen  hinter  der  Retina  zur  Vereiuiguiig 
kommen. 

51* 


804-  Hypermetiopii' ;  Kranklieitsbild  :  Tlrsachen :  Plathymorphie. 

Insoferne  der  Einfluss  dieser  letzteren  Differenz  auf  die  Grösse  der  Zer- 
streuungskreise aus  erwähnten  Gründen  weitaus  von  dem  des  Durchmessers  des 
Sehloches  überboten  wird,  besonders  so  lange  der  Krystall  als  lichtsammelndes 
Medium  besteht,  findet  der  Uebersiclitige  in  der  theilweisen  Bedeckung  und  in  mög- 
lichster Ve7-engerung  der  Pupille  ein  sehr  ivirksames  Mittel,  um  von  Objecten,  welche 
weit  innerhalb  seines  Nahepunktes  in  positiver  Entfernung  gelegen  sind,  noch  leid- 
lich deutliche  Wahrnehmungen  zu  gewinnen  und  so  seine  deutliche  Sehweite  schein- 
bar um  ein  Bedeutendes  zu  verlängern.  Er  pflegt  darum  beim  Betrachten  von 
Objecten,  welche  diesseits  seines  Nahepunktes  liegen,  gleich  dem  Myops  stark  zu 
blinzeln,  und  sich  wo  möglich  so  zu  stellen,  dass  das  Object  und  das  Äuge  thuu- 
lichst  stark  beleuchtet  werden.  Durch  Aufwand  des  Maximum  seiner  Accommodations- 
kraft  wird  dann  nicht  nur  die  Differenz  der  hinteren  Vereinigungsweite  verkürzt, 
sondei'n  auch  die  Pupille  um  ein  Ferneres  verengert  und,  was  sich  an  der  Grösse 
der  Zerstreuungskreise  nicht  mehr  ändern  lässt,  sucht  er  dadurch  in  seiner  Wir- 
kung abzuschwächen,  dass  er,  so  weit  es  geht,  die  Objecte  dem  Auge  nähert,  in- 
dem im  umgekehrten  Verhältnisse  zur  Objectsdistanz  der  Sehwinkel  und  somit  auch 
der  lichtstärkere  Ker-n  des  Zerstreuungsbildes  wächst,  letzterer  also  sich  deutlicher 
aus  den  verschwommenen  Umrissen  heraushebt.  Durch  fortgesetzte  Uebung  bildet 
sich  auch  das  Vermögen,  Zerstremingskreise  zu  verarbeiten,  nicht  selten  in  ganz 
wunderbarer  Weise  aus,  so  dass  es  gar  nichts  Ungewöhnliches  ist,  jugendliche 
absolut  Uebersichtige  zu  finden,  welche  mit  freiem  Auge  mittlere  und  selbst  ziemlich 
kleine  Druckschrift  lesen,  nähen  u.  s.  w.,  immer  vorausgesetzt,  dass  sie  in  der  Lage 
sind,  durch  starke  Erletichtung  der  Augen  und  Objecte  die  Pupille  sehr  zu  ver- 
engern. Bei  schwacher  Erleuchtung,  überhaupt  bei  lueiter  Pujnlle,  tritt  aber  der 
Einstellungsfehler  um  so  deutlicher  hervor  und  es  kann  dieses  so  weit  gehen,  dass 
absolut  Hypermetropische  bei  schwachem  Abendlichte  und  überhaupt  in  massig  fin- 
steren Räumen  Schwierigkeiten  finden,  sich  selbst  zu  führen. 

4.  Es  ist  hier  übrigens  von  Wichtigkeit,  zu  bemerken,  dass  bei 
hohen  Graden  der  Hypermetropie  nicht  selten  eine  sehr  beträchtliche  Ver- 
minderung der  Sehschärfe  gegeben  sei,  und  dass  diese  Abnahme  mit  fort- 
schreitendem Alter  sich  in  viel  rascherem  V^erhältnisse  steigere,  als  dies  bei 
Emmetropen  der  Fall  ist.  Man  sucht  den  Grund  dessen  zum  Theile 
darin,  dass  die  Netzhautbildcr  vermöge  der  relativ  tieferen  Lage  des  hin- 
teren Knotenpunktes  kleiner  ausfallen,  zum  Theile  wird  der  Fehler  aus 
einer  mangelhaften  Entwickelung  des  lichtempfindenden  Apparates  abgeleitet. 
Nebenbei  ist  aber  auch  der  Umstand  von  grossem  Belange,  dass  hohen 
Graden  von  Hypermetropie  häufig  ein  sehr  asymmetrischer  Bau  der  Horn- 
haut und   l^inse  parallel  geht   (Donders). 

Ursachen.  Die  Uebersichtigkeit  kann  ebensowohl  resultiren  aus 
einer  Verkürzung  der  Bulbusaxe,  als  aus  einer  Krümmungsabnahme  einzelner 
Trennungsflächen  oder  aus  der  Verminderung  des  Brechungsverhältnisses 
der  Linse. 

Es  ergibt  sich  dies  unmittelbar  aus  der  Grundgleichung  N=7i.sin.^  (S  772), 
wo  die  Länge  der  Bulbusaxe  durch  *iw.  ß,  die  Brechungs-  und  Krümmungsver- 
hältnisse der  einzelnen  dioptrischen  Medien  und  ihrer  Trennungsflächen  durch  den 
Factor  n  repräsentirt  werden. 

1 .  Iii  einer  gewissen  Anzahl  von  Fällen  ist  wirklich  die  Hyper- 
metropie nur  der  symptomatische  Ausdruck  eines  fehlerhaften  Baues  des 
Bulbus  als  Ganzen,  insbesondere  einer  normwidrigen  Kürze  der  optischen 
Axe.  Es  ist  dieser  Fehler,  der  Flachbau,  Plathymorphie,  wenigstens  in  der 
Anlage,  angeboren  und  gewöhnlich  ererbt  {Ed.  Jaeger).  Wo  er  höhere 
Grade  erreicht,  verräth  er  sich  in  sehr  autfälliger  Weise  durch  normwidrig 
tiefe  Lage  und   wirkliche  oder  scheinbare  Kleinheit  des  Bulbus. 

Bei  genauerer  Untersuchung  findet  man  die  Seitentheile  des  Augapfels  stärker 
gewölbt,  der  Bulbus  ist  im  Gegensatze  zur  Bathymorphie  mehr  in  die  Breite  als  in 


Accommodationsbreite  flachgebaiiter  Augen.  805 

die  Länge  gewacliseii ,  er  hat  das  Aussehen,  als  wäre  er  von  hinten  nach  vorne 
zusammengedrückt  und  dadurch  in  seiner  hinteren  und  vorderen  Convexität  ver- 
flacht.  Dabei  zeigt  sich  die  vordere  Kammer  häutig  in  ganz  deutlicher  Weise  ver- 
engt. Es  rührt  dies  von  der  durch  stete  Accommodationsanstrengung  bedingten 
Convexitütsvermehrung  oder  vielleicht  auch  von  einer  mehr  vorgei'ückten  Lage  des 
Krystalles  her  und  macht,  dass  die  Cornea  im  Allgemeinen  etwas  flacher  gewölbt 
scheint.  Eine  wirkliche  Abplattung  der  Hornhaut  ist  indessen  dem  plathymorphischeri 
Auge  nicht  eigen,  vielmehr  wurde  bei  hohen  Graden  angeborener  Uebersichtigkeit, 
wo  die  Hornhaut  öfters  im  Ganzen  verkleinert  ist,  eher  eine  stärkere  Krümmung  ihrer 
Oberfläche  bemerkt  (DondersJ.  Dabei  zeigt  sich  der  optische  Scheitel  der  Cornea  fast 
constant  sehr  nach  innen  gerückt,  die  Gesichtslinien  schliessen  einen  weit  grösseren, 
Winkel  mit  der  langen  Hornhautaxe  ein,  als  dies  bei  Emmetropen  der  Fall  ist,  ja 
schneiden  die  Cornea  nicht  selten  so  weit  nach  innen  vom  Krümmungsmittel- 
punkte, däss  die  Augen  bei  ihrer  Parallelstellung  divergent  zu  schielen  scheinen 
''Donders)  und  die  Beweglichkeit  der  Gesichtslinien  nach  aussen  merklich  beschränkt 
ist  (Schuerman).  Ausgesprochene  Plathymorphie  soll  übrigens  mit  flachem  Baue  der 
Augenhöhlen  einhergehen  und  dadurch  das  ganze  Gesicht  ein  plattes  Aussehen  mit 
wenig  Relief  gewinnen  (Donders). 

Die  Accommodationsbreite  erscheint  bei  dieser  Form  der  Hypermetropie 
iu  jugendlichen  Individuen  sehr  off  auffallend  gesteigert.,  übersteigt  weitaus 
'4  und  erreicht  sogar  ^^3.  Es  darf  dies  nicht  Wunder  nehmen,  da  bei 
der  Uebersichtigkeit  der  Ciliarrauskel  von  Kindheit  auf  stark  geübt  wird 
und  die  bei  der  Accomniodation  vornehmlich  thätigen  Kreisfasern  sich 
ausserordentlich  stark  zu  entwickeln  pflegen  (»S.  7  75).  Immerhin  kommen 
unter  solchen  Verhältnissen  oft  genug  auch  Fälle  vor,  in  welchen  die 
Accommodationsbreite  trotz  jugendlichem  Alter  und  starker  Bethätigung 
des  Ciliarmuskels  kaum  'j^  erreicht  und  selbst  ansehnlich  geringer  ist.  Es 
scheint,  dass  gerade  diese  Fälle  es  sind,  welche  besonders  die  Entwicke- 
lung  eines  Strabismus  convergens  drohen.  Doch  ist  die  Verminderung 
der  Accommodationsbreite  unter  so  bewandten  Umständen  keineswegs 
immer  eine  reelle,  sondern  öfters  gewiss  eine  scheinbare,  indem  man  in  der 
Praxis  gewöhnlich  nicht  den  wirklichen  äussersten ,  sondern  nur  den  bei 
Parallelismus  der  Gesichtslinien  manifesten  minimalen  liefractionszustand  in 
Rechnung  zieht. 

Eine  Folge  dieses  fehlerhaften  \'organges  ist  auch,  dass  die  Accom- 
modationsbreite bei  demselben  Individuum  je  nach  Zeit  und  Umständen 
Schwankungen  zeigt.  Der  manifeste  Fernpunktabstand  ist  nämlich  eben  sowohl 
von  der  relativen  Accommodationsbreite ,  als  auch  von  der  Beschäfti- 
gung des  Individuums  und  von  der  grösseren  oder  geringeren  Elasticität 
der  Linse  abhängig,  er  ist  ein  anderer  nach  längerer  Ruhe,  ein  anderer 
nach  fortgesetzten  grossen  Anstrengungen  des  Ciliai'muskels  zum  Behufe 
des  Nahesehens. 

Eine  weitere  Folge  der  mangelhaften  Bestimmung  des  Fernpuuktabstandes 
ist  die  scheinbare  Seltenheit  der  Hypermetropie  im  jugendlichen  Alter.  Laut  statisti- 
schen Untersuchungen  (H.  Cohn)  zeigt  sich  die  Uebersichtigkeit  bei  Kindern  und 
jugendlichen  Individuen  wirklich  in  einem  viermal  geringeren  procentarischen 
Verhältnisse  als  die  Myopie.  Es  beschränkten  sich  diese  Zählungen  eben  lediglich 
auf  Individuen,  welche  in  der  Lernperiode  begriffen  waren,  also  durch  starke  und 
anhaltende  Accommodationsarbeit  den  Krystall  in  eine  etwas  stärkere  Krümmung 
gebracht  und  zum  Theile  vielleicht  ein  Staphyloma  posticum  erworben  haben 
konnten.  Es  steht  mit  dieser  Auffassung  der  Umstand  im  Einklänge,  dass  die  Zahl 
der  Hypermetropen  und  der  Grad  des  Refractionsfehlers  während  der  Studienzeit 
keine  Zunahme  erweisen  Hessen,  wohl  aber  nach  Ablauf  der  Lernperiode  überaus 
rasch  wuchsen. 


806    Hypermetropie;  Ursachen;  Verflachung  d. Cornea  u.  Linse ;  Aphakie,  senile  Involution  d.  Linse. 

2.  Eine  andere  bisher  wenig  beachtete  Quelle  der  Hypermetropie 
liegt  in  angehorner  abnormer  Flachheit  der  Hornhaut  (S.  772,  786)  und  viel- 
leicht auch  der  Linse   (Donders). 

Es  werden  Convexit'dtsverrtiinderungen  einzelner  Trennungsflächen  des  diop- 
trischen  Apparates  mitunter  auch  erworben.  Indem  dann  aber  die  Krümmung  wohl 
immer  eine  sehr  iinregehnässige  ist,  wird  nicht  sowohl  Hypermetropie,  als  vielmehr 
irregidarer  Astigviadsmus  mit  Uebersichtigkeit  als  Grundlage  das  Resultat  sein. 
Hierher  gehören  die  Verflachuugen  der  Hornhaut  als  Folge  schrumpfender  Narben 
und  die  Volumsverkleinerungen  des  Krystalles ,  welche  aus  der  regressiven  Meta- 
morphose partieUer  Staare  hervorzugehen  pflegen.  Bei  Hypermetropie  der  letzteren 
Art  ist  selbstverständlich  die  Accoimnodationsbreite  immer  auf  Null  reducirt. 

3.  Ein  hochwichtiges  pathogenetisches  Moment  der  Hypermetropie 
sind  Staaroperationen  und  überhaupt  jedes  wie  immer  veranlasste  Heraus- 
treten der  Linse  aus  der  optischen  Axe.  Die  solchennassen  begründete  Hyper- 
metropie ist  immer  eine  absolute  und  sehr  hochgradige,  der  negative  Fern- 
punktabstand ist  ein  sehr  kurzer,  so  dass  Sammellinsen  von  wenigen  Zollen 
Brennweite  zu  ihrer  Ausgleichung  verlangt  werden.  Die  Unterschiede, 
welche  sich  hierbei  in  den  Einzelnfällen  ergeben,  beruhen  zumeist  auf 
den  Schwankungen  des  natürlichen  Baues  der  Augen.  In  hochgradig 
myopischen  Augen  ist  die  durch  Aphakie  erworbene  Hypermetropie  mei- 
stens unter,  sonst  über  ^4-  ^^^  Adaptionsvermögen  ist  unter  solchen  Ver- 
hältnissen immer  völlig  aufgehoben.  Wenn  hier  und  da  Fälle  vorkommen, 
wo  linsenlose  Augen  die  Fälligkeit  erwerben ,  mit  einer  entsprechenden 
Sammellinse,  oder  gar  ohne  diese,  Gegenstände  von  sehr  differenten  Entfer- 
nungen zu  erkennen,  in  die  Ferne  und  Nähe  ziemlich  deutlich  zu  sehen: 
so  rührt  dies  von  einer  ungewöhnlich  stark  entwickelten  Asymmetrie  in 
dem  Baue  der  Cornea,  von  sehr  ausgesprochenem  regulären  Hornhaut- 
astigmatismus her  (Donders).  Uebrigens  können  hierbei  eine  sehr  enge 
Pupille  und  das  durch  Hebung  steigerbare  Vermögen,  Zerstreuungskreise  zu 
verarbeiten  (S.  763,  804)  mitwirken.  Im  Ganzen  sind  Fälle  von  relativ  so 
vortrefflichem  Sehvermögen  überaus  selten;  in  der  Regel  macht  sich  ausser 
dem  gänzlichen  \'erluste  der  Accommodationsfähigkeit  auch  eine  sehr  be- 
trächtliche Abnahme  der  Sehschärfe  geltend,  was  seinen  Grund  in  dem 
häufigen  ^'orkommen  von  Trübungen  an  der  Hinterkapsel  und  im  Glas- 
körper, nach  Extractionen  der  Linse  aber  nebenbei  in  unregelmässigen 
Verkrümmungen  der  Cornea   (Reuss,    Woinoiv)   etc.   findet. 

4.  Am  häufigsten  wird  die  Uebersichtigkeit  begründet  durch  die  senilen 
Alterationen  der  Linse,  d.  i.  durch  die  mit  der  Consistenzvermehrung  ein- 
hergehende Verflachung  des  Krystalles  und  durch  die  daran  geknüpfte  mehr 
gleichmässige  Vertheilung  der  Dichtigkeitsyrade  in  den  einzelnen  Schichten 
desselben.  Es  äussern  sich  diese  ganz  eigentlich  physiologischen  Zustände 
vorerst  immer  durch  eine  Abnahme  der  Aceommodationsbreite,  also  durch  ein 
Hinausrücken  des  Nahepunktes;  die  gleichzeitige  Verminderung  des  natürlichen 
Refrar.tionszastandes  der  Augen,  also  die  Verschiebung  des  Fernpunktes,  wird 
durch  Spannungen  des  Accommodationsmuskels  gedeckt,  es  bedarf  der 
kräftigen  Einwirkung  von  Mydriaticis,  um  sie  offenbar  zu  machen.  Bei 
nahezu  emmetropisch  gewesenen  Augen  hat  es  sonach  den  Anschein,  als 
handle  es  sich  blos  um  eine  Accommodationsanomalie,  um  eine  Vermin- 
derung der  deutlichen  Sehweite  durch  blosse  Zunahme  des  Xahepunkt- 
abstandes,  also  um  einen  Zustand,  welchen  man  früher  als  Femsichtigkeit 
{Presbyopie  im  engeren    Wortsitme)   beschrieben   hat.   Bei   wachsender  Senescenz 


Presbyopie;  Verlauf;  Ausgänge;  Strabismus;  Netzhautanaesthesie ;  Asthenopii».  807 

des  Kiystalles  tritt  jedoch  bald  der  Refractionsfehler  klar  hervor  und  steigert 
sich  mehr  und  mehr,  wälu-end  gleichzeitig,  wegen  zunehmendem  Wider- 
stände des  Krystallkörpers  gegen  accommodative  Formvei'änderungen  und 
am  Ende  wegen  seniler  Kraftabnahme  des  Muskels,  die  Accommodations- 
breite  in  rascher  Progression  fällt;  der  scheinbar  i-eine  Accommodationsfehler, 
die  Fernsichtigkeit,  stellt  sich  immer  deutlicher  als  das  heraus,  was  er 
in  der  That  ist,  als  eine  mit  beträchtlicher  Accommodationsbeschränkung 
gepaarte  Uebersichtigkeit  (Siehe  Verlauf).  Die  überwiegende  Häufigkeit  so 
entstandener  Fälle  lässt  nach  dem  Grundsatze  :  a  potiori  fit  denominatio, 
die  ui-sprüngliche  Bezeichnung  des  Refractionsfehlers  als  Hyperpresbyopie 
genügend  rechtfertigen. 

Der  Verlauf  und  die  Ausgänge  sind  sehr  verschieden  je  nach  dem 
Grundleiden  der  Hypermetropie. 

1.  Die  Plathi/morphie  wird  nur  selten  in  auffälligem  Grade  an  Neu- 
geborenen beobachtet ;  meistens  tritt  sie  erst  in  den  Kinderjahren  hervor  und 
steigert  sich  allraälig,  indem  mit  fortschreitendem  Wachsthume  das  Miss- 
verhältniss  in  den  einzelnen  Durchmessern  des  Augapfels  zunimmt  {Ed. 
Jaeger).  Mit  der  Vollendung  der  Körperentioickelung  scheint  jedoch  die 
Gestalt  des  Bulbus  eine  definitive  zu  werden  und  ein  ferneres  Sinken  des 
Brechzustandes  lediglich  auf  Rechnung  der  Linsenverdichtung  zu  kommen, 
also  mit  Beschränkung  der  Accommodationsbreite  einherzugehen. 

Doch  kömmt  es  nicht  selten  vor,  dass  die  durch  Plathymorphie  begründete 
Uebersichtigkeit  während  der  Jugendperiode  wieder  eine  Gradverminderring  erleidet, 
der  Refractionszustand  sich  demnach  hebt  oder  gar  Myopie  resultirt.  In  einzelnen 
Fällen  mag  bei  weiterem  Wachsthume  des  Bulbus  das  Missverhältniss  zwischen 
dessen  einzelnen  Durchmessern  aufgehoben,  oder  die  Kürze  der  optischen  Axe  durch 
Krümmungsvermehruvg  der  Hornhaut  ausgeglichen  werden.  In  der  Regel  ist  der 
Grund  der  Steigerung  des  Brechzustandes  zweifelsohne  die  durch  fortgesetzte 
Accommodationsanstrengungen  bedingte  Convexitätszunahme  des  Krystalles  in  Ver- 
bindung mit  der  stärkeren  Entwicklung  der  ciliaren  Kreismuskelfasern,  besonders 
aber  die  Erwerbung  eines  Sfaphyloma  posticum. 

Der  Flachbau  führt  im  Beginne  der  Lernperiode  sehr  oft  (bei 
6 1  %  (?)  der  manifest  hypermetropischen  Kinder,  H.  Cohn)  zum  convergirenden 
Schielen,  indem  die  zum  Nahesehen  erforderlichen  Accommodationsquoten 
unter  forcirten    Convergenzimpulsen  leichter  aufgebracht   und  erhalten   werden. 

In  vielen  Fällen  kömmt  es  blos  zum  Aufgeben  des  gemeinschaftlichen 
Sehactes,  das  eine  Auge  wird  mit  dem  binoculären  Theile  seines  Gesichts- 
feldes gleichsam  vernachlässigt,  die  betreffende  Partie  der  Netzhaut  stumpft 
sich  immer  mehr  ab  und  wird  am  Ende  ganz  unfähig,  feinere  Wahrneh- 
mungen zu  vermitteln. 

Nach  Vollendung  des  Körperwachsthumes  sind  derlei  Schäden  kaum 
mehr  zu  befürchten.  Dafür  aber  droht  jetzt  dem  Hypermetropen  eine 
andere  Gefahr ,  nämlich  jene  der  accommodativen  Asthenopie.  Es  kann 
sich  dieses  Leiden  bei  angeborner  Uebersichtigkeit  möglicher  Weise  schon 
frühzeitig  einstellen,  in  der  Regel  geschieht  dies  jedoch  erst  im  Beginne 
des  Mannesalters,  um  das  25.  Lebensjahr  herum,  wenn  die  zunehmende 
Dichtigkeit  des  Linsenkernes  dem  Accommodationsacte  grössere  Widerstände 
entgegenzusetzen   anfängt. 

Mit  fortschreitender  Verdichtung  der  Linse  nimmt  in  jedem  Falle  die 
Accommodationsbreite  gleich  wie  im  normalen  und  kurzsichtigen  Auge  ab. 
Späterhin    kömmt     es     vermöge     der  Abflachung  und    gleichmässigeren    Ver- 


808  Hypermetropie ;  Verlauf;  Ausgänge;  Hyperraetropische  Presbyopie.         , 

theilung  der  Dichtigkeitsgrade  in  den  einzelnen  Schichten  des  Kry  stall  es 
auch  zu  einer  weiteren  Verminderung  des  natürlichen  Refractionszustandes, 
also  zu  einer  ferneren  Verkürzung  des  negativen  Fernpunktabstandes ,  die 
Uebersichtigkeit  nimmt  als  solche  zu. 

2.  In  aphakisclien  Augen  kann  der  Brechzustand  des  dioptrischen 
Apparates  kaum  erheblichen  Wechseln  unterworfen  sein.  Doch  wird  von 
Manchen  eine  neuerliche  Erhöhung  des  Refractionszustandes  bis  zu  gerin- 
gen Graden  von  Myopie  bei  excessiv  Kui'zsichtigen,  welche  einer  Staar- 
operation  unterworfen  wurden,   behauptet  (Mooren). 

3.  Die  senile  Form  der  Uebersichtigkeit,  die  sogenannte  Fernsichtig keit 
oder  Presbyopie,  tritt  selbstverständlich  immer  erst  in  den  späteren  Lebens- 
perioden hervor.  Doch  ist  der  Zeitpunkt,  in  welchem  sich  die  Consistenz- 
zunahme  der  Linse  fühlbar  macht  und  der  Grad,  bis  zu  welchem  sie  in 
einem  gewissen  Alter  vorschreitet,  in  verschiedenen  Individuen  ein  etwas 
verschiedener  und  hauptsächlich  von  dem  früheren  oder  späteren  Beginne 
und  der  mehr  weniger  i-aschen  Zunahme  der  senilen  Involution  abhängiger. 
Jene  Accommodationsbeschränkungen,  welche  sich  auch  in  der  Jugendperiode 
nach  schweren  erschöpfenden  Krankheiten  einstellen  und  ganz  ähnliche 
Erscheinungen,  wie  die  Presbyopie  begründen,  können  füglich  nicht  hierher 
gezählt  werden  ;  es  sind  vorübergehende  Zustände,  welche  sich  mit  der  Re- 
convalescenz  wieder  in  dem  Masse  beheben,  als  die  Muskeln  erstarken. 
Im  Allgemeinen  kann  man  die  zweite  Hälfte  der  40ger  Jahre  als  die 
Epoche  bezeichnen,  in  welcher  Emmetropen  fernsichtig  werden.  Wo  sich 
unter  sonst  normalen  Verhältnissen  die  Verminderung  der  Accommodations- 
breite  um  ein  Beträchtliches  früher  fühlbar  macht,  ist  immer  eine  ange- 
borne,  durch  Accommodationsanstrengung  bisher  gedeckt  gewesene  Hyper- 
metropie gegeben.  Umgekehrt  muss  dort,  wo  die  Erscheinungen  der  Presbyopie 
viel  später  zu  Tage  kommen,  oder  wo  ins  hohe  Alter  hinein  gewöhnliche 
Druckschrift  bei  guter  Tagesbeleuchtung  ohne  sonderliche  Anstrengung 
gelesen  wird,  eine  ursprünglich  myopische  Einstellung  der  Augen  angenommen 
werden   (Donders). 

Der  Beginn  des  Leidens  äussert  sich  blos  durch  die  zunehmende 
Schwierigkeit,  für  sehr  kleine  Objecte,  welche  dem  Auge  sehr  nahe  gebracht 
werden  müssen,  die  richtige  Einstellung  des  dioptrischen  Apparates  auf- 
zubringen oder  zu  erhalten.  Er  wird  bei  Individuen,  welche  nur  selten 
oder  niemals  in  die  Lage  kommen,  sich  mit  derlei  winzigen  Dingen  zu 
beschäftigen,  meistens  völlig  übersehen. 

Steigert  sich  das  Grundleiden,  so  wird  die  Accommodation  für  wenige 
Zolle  Entfernung  und  damit  auch  die  deutliche  Wahrnehmung  sehr  kleiner 
Gegenstände,  z.  B.  die  Entzifferung  sehr  feinen  Druckes,  zur  baren  Un- 
möglichkeit. Der  Presbyops  findet  dann  sogar  schon  Schwierigkeiten  beim 
Lesen  gewöhnlichen  Druckes,  schlechter  Handschriften,  beim  Nähen  und 
überhaupt  bei  Beschäftigungen,  bei  welchen  massige  Annäherungen  der 
Objecte  genügen  und  welchen  der  Normalsichtige  anstandslos  dauernd  ob- 
zuliegen im  Stande  ist.  Namentlich  tritt  das  Uebel  in  sehr  misslicher 
Weise  bei  schwächerer  Beleuchtung  hervor,  wo  die  Objecte  behufs  deutlicher 
Wahrnehmung  verhältnissmässig  näher  an  das  Auge  gerückt  werden  müssen. 
Der  Fernsichtige  bedarf  stärkerer  künstlicher  Beleuchtung,  als  der  Emme- 
trope,   er  muss  die  Objecte  in    möglichst    günstige    Lagen    zur    Lichtquelle 


Presbyopie;  Behandlung;  Prophylaxis;  Corrigirende  Brillen.  809 

bringen,  um  ihre  Abstände  einigermassen  vergrösscrn  zu  können  und 
durch  Verengerung  der  Pupille  den  P^influss  der  Zerstreuungskreise  ab- 
zuschwächen. 

Aber  auch  unter  den  günstigsten  Verhältnissen  übersteigt  der  zu  solchcMi 
Beschäftigungen  erforderliche  Aufwand  von  Aocomraodationskraft  bald  die 
gegebene  Leistungsfähigkeit  der  betreffenden  Organe.  Der  Adaptionsmuskel, 
welcher  vermöge  der  A'erlängerung  des  Nahepunktabstandes  sich  nahezu 
auf  das  Maximum  contrahiren  muss,  um  die  Linse  in  die  nothwendige  Con- 
vexität  zu  bringen,  ermüdet  bald  und  lässl  nach,  während  sich  höchst  un- 
angenehme schmerzhafte  Gefühle  im  Bereiche  der  sensiblen  Ciliarnerven 
entwickeln  (Siehe  Asthenopie). 

Endlich  rückt  bei  fortschreitender  Sclerose  des  Krystalles  und  zu- 
nehmender seniler  Involution  des  Accommodationsmuskels  der  Nahepunkt 
vom  Auge  immer  weiter  weg,    die  Accommodationsbreite     sinkt  tief  unter 

ihren  normalen  Wei'th    auf   ---,    ^^^if  -nr,  ia  auf     -:-   und   darunter,    macht 

10  15  60 

daher  derlei  Beschäftigungen  mit  freiem  Auge  gänzlich  unausführbar.  Es 
werden  eben  nur  mehr  Objecte  deutlich  gesehen ,  welche  bei  Entfer- 
nungen von  mehreren  Füssen  und  darüber  noch  einen  ausreichenden 
Sehwinkel  geben. 

Die  Behandlung  kann  die  Entwiekelung  und  Gradsteigerung  des 
Grundleidens  kaum  wirksam  verhindern.  Eine  desto  lohnendere  Aufgabe 
hat  sie  in  der  Verminderung  und  Beseitigung  der  Gefahren,  welche  der 
Uebersichtigkeit  ankleben.  Die  zweite,  mit  der  ersten  theilweise  zusammen- 
hängende Aufgabe  richtet  sich  auf  die  Correction  des  Refractionsfehlers  und 
der  etwa  mangelhaften  Accommodationsbreite  ,  sowie  auf  Verhütung  der 
aus  fehlerhaftem  Gebrauche  der  erforderlichen  Brillen   erwachsenden  Schäden. 

1.  In  prophylaktischer  Beziehung  haben  ähnliche  Regeln,  wie  bei  aus- 
gesprochenem Z/aji^&awe  der  Augen  in  Anwendung  zu  kommen  (S.  791,  1). 
Vor  allem  Anderen  ist  es  nothwendig,  dass  Kinder  mit  plathymorphischen 
Augen  nicht  frühzeitig  mit  Lesen,  Schreiben  u.  s.  w.  überbürdet  werden, 
widrigenfalls  sich  sehr  bald  die  im  Vorhergehenden  erwähnten  misslichen 
Folgen,    besonders   gerne   Strabismus,   einstellen. 

Von  höchster  Wichtigkeit  ist  ausserdem  die  Anwendung  entsprechender 
und  zweckmässig  construirter  Brillen.  Es  wäre  ein  grosser  Fehler,  wollte 
man  das  zarte  Alter  der  Bedürftigen  als  einen  Grund  gegen  die  Verwend- 
barkeit der  Brillen  geltend  machen;  im  Gegentheile,  wenn  ausser  Schonung 
der  Augen  Etwas  den  genannten  Gefahren  wirksam  vorzubeugen  im  Stande 
ist,  so  ist  es  der  rationelle  Gebrauch  passender  Brillen.  Doch  darf  nicht 
übersehen  werden,  das  Brillen  unter  keiner  Bedingung  den  normalen  Bau 
des  Auges  zu  ersetzen  vermögen,  indem  ihnen  nicht  zu  beseitigende  Fehler 
anhaften;  dass  sonach  ein  mit  der  entsprechenden  Brille  bewaffnetes 
übersichtiges  Auge  unter  allen  Umständen  an  Leistungsfähigkeit  dem  nor- 
malen nachsteht.  Es  muss  dieses  bei  der  Wahl  des  Lebensberufes  sehr  wohl 
berücksichtigt  werden,  will  man  Schäden  verhüten.  Im  Allgemeinen  ist 
als  Grundsatz  festzuhalten,  dass  höhergradig  hypermetropische  Individuen 
nicht  ohne  Gefahr  sich  Beschäftigungen  widmen,  welche  ein  dauerndes 
scharfes   Sehen  in  kleine   Distanzen  erfordern. 

2.  Die  Aufgabe  der  Brille  geht  vom  theoretischen  Standpunkte  aus 
betrachtet  offenbar  dahin,     den  Uebersichtigen  in  jede  beliebige  Entfernung 


810  Hypermetropie ;  Behandlung;  Corrigirende  Brillen. 

mit  derselben  Äccommodation.oquote  scharf  und  deutlich  sehen  zu  machen, 
wie  ein  emmetropisches  Auge,  also  nicht  blos  den  Refractionsfehler  als 
solchen,  sondern  auch  die  etwa  mangelhafte  Accommodaliunsbreite  vollauf  zu 
corrigiren.  Wo  die  Accomniodationsbreite  die  normale  ist,  wird  dies  eine 
Sammellinse  leisten,  deren  positiver  Brechwerth  dem  negativen  Eefrac- 
tionszustande  der  Grösse  nach  gleich  ist,  wobei  der  nothwendige  Abstand 
des  Glases  vom  optischen  Centrum  des  Auges  vernachlässigt  wird.  Im 
Falle  jedoch  die  Accommodationsbi'eite  eine  verminderte  oder  gar  Null 
wäre,  müsste  selbstverständlich  der  Brechwerth  der  Convexlinse  im  Ver- 
hältnisse zur  Verminderung  der  Accommodationsbreite  gesteigert  werden, 
sobald  es  sich  darum  handelt,  von  7iahe  gelegenen  Objecten  ein  schai'fes 
und   deutliches  Bild  zu  gewinnen. 

In  der  Praxis  erweisen  sich  jedoch  die  nach  diesem  Principe  gewähl- 
ten Gläser  immer  um  ein  sehr  beträchtliches  zu  scharf,  der  Uebersichtige 
fühlt  sich  in  ihrem  Gebrauche  höchst  unbehaglich,  ja  bald  stellen  sich 
asthenopische  Beschwerden  ein,  welche  zur  Beseitigung  der  Brille  zwin- 
gen. Es  kommt  hier  nämlich  wieder  der  Umstand  in  Eechnung,  dass  der 
Hypermetrope  früher  mit  sehr  beträchtlichen  Accommodationsquoten  zu 
arbeiten  bemüssigt  war  und  nun.  mit  einer  Brille  bewaffnet,  dieselben 
Beschäftigungen  mit  einer  viel  geringeren  Accommodationsquote  verrichten 
soll.  Es  ist  nun  aber  nach  grossen  und  dauernden  Accommodationsanstren- 
gungen  die  Abflachung  der  JJnse  nicht  immer  eine  der  Entspannung 
des  Ciliarmuskels  proportionale ,  sondern  bleibt  häufig  hinter  derselben 
zurück,  so  dass  die  betreffende  Einstellung  eine  verhältnissmässig  grössere 
Entspannung  des  Ciliarmuskels  nothwendig  macht.  Es  bringt  aber  diese  starke 
Entspannung  des  Accommodationsmuskels  bei  ungeanderter  Objectsdistanz 
eine  ganz  enorme  Störung  der  eingewurzelten  Coordinationsverhältnisse 
mit  sich,  was  durchaus  nicht  vertragen  wird.  Der  Hypermetrope  zieht 
es  daher  immer  vor,  eine  grössere  Accommodationsquote  mit  der  entspre- 
chenden Convergenzquote  zu  combiniren  und  kann  dies  auch  um  so  eher, 
als  die  ciliaren  Kreisfasern  vermöge  ihrer  stärkeren  Entwickelung  die  Accom- 
modationsarbeit  ausnehmend  erleichtern. 

Bei  der  Bestimmung  der  corrigirenden  Brille  ist  darum  auch  nicht 
der  wirkliche  äusserste  Fernpunktabstand,  sondern  der  manifeste  das  Mass- 
gebende, mit  anderen  "Worten :  die  zu  wählende  Sammellinse  muss  im 
Grossen  und  Ganzen  einen  etwas  geringeren  Brechwerth  haben,  als  dem 
Grade  der  Hypermetropie  thatsächlich  eut^spräche. 

a.  Bei  facultativer  Uehersichtigkeit  wird  im  vollen  Einklänge  damit 
der  Gebrauch  comgirender  Brillen  zum  Fernesehen  durchwegs  lästig  ge- 
funden. Selbst  wenn  der  Xahepunkt  sehr  weit  vom  Auge  hinweggerückt 
ist,  also  grosse  Accommodationsquoten  erfordert  werden,  ziehen  die  Kran- 
ken zum  Fernesehen  das  unbewaffnete  Auge  vor.  Corrigirende  Brillen  sind 
also  nur  Bedürfniss,  wenn  es  sich  um  das  deutliche  und  scharfe  Sehen 
in  kurze  Distanzen  handelt.  Dieselben  haben  unter  solchen  Umständen  von 
den  ihrer  Lage  nach  bestimmten  Objecten  aufrechte  und  entsprechend  ver- 
grösserte  virtuelle  Bilder  in  grösserer  positiver  Entfernung  vom  Auge  zu 
entwerfen,  also  in  der  Eigenschaft  von  Loupen  zu  wirken.  Wo  die 
Accommodationsbreite  die  normale  ist,  sagt  in  der  Regel  dasjenige  Glas  am 
meisten   zu,    dessen  positiver  Brechwerth   den  minimalen    munifesten  Refrac- 


Wahl  corrigirender  Brillen  bei  fiuultiitivei-  HyptMinetropie;  Prismen.  811 

tionszustand  auf  Null  erhöht.  Ist  aber  dio  Accommodationsbreite  unter 
das  normale  Mass  gesunken,  so  muss  der  Brechwerth  des  Glases  um  eine 
entsprechende  Differenz  gesteigert  werden.  Die  Grösse  dieser  Differenz  lässt 
sich  nicht  leicht  theoretisch  bestimmen,  da  hier  die  relative  Accommodations- 
breite eine  wichtige  Rolle  spielt  und  bekanntlich  eine  sehr  wandelbare 
ist;  da  ferner  gleichwerthige  Coordinationsstörungen  bei  verschiedenen  In- 
dividuen und  bei  demselben  Individuum  unter  verschiedenen  Verhältnissen 
eine  sehr  differente  Verträglichkeit  finden.  Im  Ganzen  fordern  grosse  Be- 
schränkungen der  Accommodationsbreite  wohl  grosse  und  kleine  Beschrän- 
kungen kleine  Differenzen ;  der  eigentliche  Werth  der  letzteren  kann  aber 
nur    durch   den  praktischen  Versuch   ermittelt  werden. 

Auf  dass  die  gewählte  Sammellinse  für  zweckmässig  erachtet  werden 
könne,  muss  dieselbe  die  Bilder  nahe  gelegener  Objecto  vollkommen  rein 
und  scharf,  Druckschriften  also  tief  schwarz  und  ohne  verschwommene 
Ränder  unter  geringer  Vergrösserung  erscheinen  lassen,  ausserdem  aber 
auch  unbeschadet  der  Schärfe  und  Deutlichkeit  die  Objectsdistanz  innerhalb 
gewisser  Grenzen  zu  wechseln  gestatten. 

Eine  geringe  Vergrösserung  ist,  besonders  bei  etwas  stärkeren  Gläsern,  ohne 
Bedeutung.  Sie  hängt  nämlich  zum  Theile  von  dem  imvermeidlichen  Abstände  der 
Brille  vom  Auge  (S.  762),  zum  Theile  von  der  ungewohnten  Entspannung  des 
Ciliarmuskels  und  der  dadurch  beirrten  Grössenheurtheilung  ab,  pflegt  darum  auch, 
soweit  das  letztere  Moment  im  Spiele  ist,  nach  einiger  Zeit  sich   wieder  zu  verlieren. 

Eine  Brille,  welche  den  Träger  zwingt,  die  Objecte  seiner  Beschäftigung 
üher  die  normale  Distanz  hinauszuvücken  oder  dem  Auge  zu  nähern,  ist  nicht  die 
richtige,  sie    ist    im  ersteren  Falle  zu    schwach,  im  letzteren  zu  stark. 

Oefters  einweisen  sich  Brillen,  welche  jene  Bedingungen  im  ersten 
Augenblicke  zu  erfüllen  scheinen,  beim  Gebrauehe  als  nicht  verwendbar,  in- 
dem sie  an  die  relative  Accommodationsbreite  zu  grosse  Anforderungen 
stellen.  Es  darf  daher  diese  Probe  nicht  eine  zu  flüchtige  sein,  sondern 
der  Kranke  muss  das  Glas  zehn  Minuten,  eine  Viertelstunde  und  länger 
zum  Lesen  u.  dgl.  benützt  haben  und  es  zusagend  finden,  ehe  man  sich 
über  die  Tauglichkeit  desselben  entscheidet.  Dabei  thut  man  wohl,  die 
Beleuchtungsintensität  des  Zimmers  in  verschiedenen  Graden  wechseln  zu 
lassen  und  den  Versuch  allenfalls  auch  bei  künstlichem  Lichte  voi'zunehmen. 
Häufig  erscheint  es  dann  von  Vortheil,  für  die  Arbeit  bei  künsilicher  Be- 
leuchtung  etwas  schärfere   Gläser  zu  wählen. 

Wo  man  auf  grosse  Unverträglichkeit  gegen  jede,  selbst  geringe  Störung 
der  eingeivurzelten  Coordinationsverhältnisse  stösst,  müssen  dieselben  nach  und 
nach  den  Bedürfnissen  gemäss  umgestaltet  werden.  In  der  Regel  genügt 
es,  die  Brille  anfangs  immer  nur  ganz  kurze  Zeit,  mit  vielen  Unterbrechungen, 
gebrauchen  und  sogleich  wieder  weglegen  zu  lassen,  sobald  sich  ein  Ge- 
fühl von  Unbehaglichkeit  einstellt.  Meistens  hat  sich  der  Hypermetrope 
innerhalb  weniger  Tage  an  die  Brille  gewöhnt  und  kann  sie  nun  ohne 
Beschwerde  stetig  benützen,  vorausgesetzt,  dass  sie  lichtig  gewählt  ist. 
Bei  vermöglichen  Leuten,  welchen  der  Ankauf  mehrerer  Brillen  nicht  wehe 
thut,  kann  man  auch  wohl  mit  schwachen  Gläsern,  welche  dem  Kranken 
die  Arbeit  etwas  erleichteim,  beginnen  und  allmälig  zu  den  corrigirenden 
übergehen. 

Manchmal  bleibt  indessen  nichts  anderes  übrig ,  als  das  corri- 
girende  Glas  mit  Prismen,  Basis  nach  innen,  zu  combiniren,  um  die  Herab- 
setzung   der    Accommodationsquote    an    eine    entsprechende    Verminderung 


812  Hypermetropie ;  Behaudlmig :  Wahl  d.  torrig.  Brille  bei  absoluter  Hypermetropie. 

der  erforderlichen  Convei'genzquote  zu  knüpfen  und  so  die  Alternative 
zu  vermeiden,  entweder  die  Correction  der  Hypermetropie  nnd  der  mangel- 
haften Accommodationsbreite  ganz  ungenügend  zu  lassen,  oder  bei  der 
Wahl  des  richtigen  Brechwerthes  durch  Störung  der  Coordinationsverhält- 
nisse  asthenopische  Beschwerden  herauszufordern.  Der  brechende  Winkel 
des  Prisma  braucht  nur  selten  di-ei  Grade  jeseitig  zu  erreichen,  in  der 
Regel  genügen  zivei  Grade  vollkommen.  Es  ist  eben  gar  nicht  die  Aufgabe, 
die  Convei'genzmuskeln  ganz  zu  entlasten,  sondern  die  erforderliche  Con- 
vei'genzquote  bei  der  ungewohnten  Verminderung  der  Accommodations- 
quote  um  ein  Gewisses  zu  verkleinern.  Es  leisten  solche  auf  Prismen 
geschliffene  Convexlinsen  in  geeigneten  Fällen  ganz  vortretfliche  Dienste. 
Gewöhnlich  dauert  es  auch  gar  nicht  lange,  so  sind  die  neuen  Coordiuations- 
verhältnisse  völlig  wieder  eingewurzelt  und  erlauben  einen  weiteren  Schritt 
vorwärts.  Der  üebersichtige  kann  nun  der  Prismen  entbehren  und  die 
einfachen  corrigirenden  Sammellinsen  zur  Arbeit   dauernd   verwenden. 

Der  mit  dem  Gebrauche  der  Brillen  verbundene  Wechsel  der  Coordiuations- 
verhältnisse  bringt  es  mit  sich ,  dass  der  Üebersichtige  bald  unfähig  wird,  die  für 
kürzere  Objectsabstände  erforderlichen  Convergenzen  mit  den  entsprechenden 
accommodativen  Einstellungen  zu  verknüpfen;  er  muss  beim  Sehen  mit  y/'ei'eOT  Auge 
kleine  Gegenstände  viel  weiter  entfernen,  als  dies  früher  der  Fall  war,  findet  dem- 
nach beim  Lesen,  Schreiben  u.  s.  w.  ohne  Brille  viel  grössere  Schwierigkeiten,  als 
vordem,  oder  ist  ganz  ausser  Stande,  solche  Arbeit  zu  leisten.  Es  liegt  dann  für 
den  Laien  nahe  ,  eine  Zunahme  des  Uehels  anzunehmen  und  die  Gläser  eines  ver- 
derblichen  Einflusses  auf  das  Sehvermögen  zu  beschuldigen.  Daher  die  ziemlich 
verbreitete  Scheu,  mit  dem  Gebrauche  der  Brillen  zu  beginnen.  Es  ist  Sache  des 
Arztes,  derlei  Bedenken  diirch  Aufklärung  des  Irrthumes  zu  zerstreuen  und  dem 
Brilleubedürftigen  bei  Verordnung  der  Gläser  die  zu  gewärtigenden  Folgen  von 
vorneher  bekannt  zu  geben. 

b.  Bei  der  absoluten  Hypermetropie  sind  Convexbrillen  auch  zum 
deutlichen  und  scharfen  Sehen  in  grössere  Entfernungen  nothwendig.  Auch 
hier  entsprechen  nicht  neutralisirende,  sondern  iceit  schwächere  Gläser,  welche 
sehr  beträchtliche  Accommodationsquoten  mit  der  Parallelstellung  der  Ge- 
sichtslinien zu  verknüpfen  zwingen.  Zum  Nahesehen  hingegen  dienen  bei 
normaler  Accommodationsbreite  wieder  die  den  manifesten  mi7iimalen  Refrac- 
tionszustand  auf  Xull  setzenden  Gläser,  bei  verminderter  Accommodations- 
breite aber  Sammellinsen,  deren  Brechwerth  den  manifesten  Grad  der  Hyper- 
metropie an  Grösse  etwas  übersteigt.  Für  die  Wahl  dieser  Gläser  gelten 
die   oben  aufgestellten  Regeln. 

Manche  Üebersichtige  dieser  Art  benützen  gerne  zum  Herumgeheyi  eine  Brille. 
Im  Falle  sie  dann  für  kurze  Zeit  in  die  Nähe  schart'  sehen  wollen,  können  sie 
einen  Stecher  beifügen,  welcher  den  Brechwerth  der  Brille  auf  die  zum  Nahesehen 

erforderliche  Höhe  bringt.  Wäre  —  der  Brechwerth  der  zum  Fernesehen  verwen- 
deten  und  —  jener  der  zum  Nahesehen  erforderlichen  Brille ,  so  wäre  der  Brech- 
werth —  des  Stechers         =  —  —  — . 

o  o  n  m 

Wenn  die  Accommodationsbreite  eine  sehr  geringe  oder  gar  Null  ist. 
wie  z.  B.  nach  Staaroperationen,  sollte  eigentlich  für  jede  Entfernung 
eine  andere  Brille  in  Anwendung  kommen.  In  der  Praxis  genügen  jedoch 
in  der  Regel  zwei  verschiedene  Sammellinsen.  Was  diesen  nämlich  an 
Leistungsfähigkeit  abgeht,  wird  in  zureichendem  Masse  durch  die  die  Accommo- 
dation  supplirenden  Verhältnisse  (S.  804)  ersetzt.  Zudem  kann  sich  der 
Kranke    noch    durch     Verschiebungen  der  Brille  helfen.     Insoferne  nämlich 


Fehler  starker  Coiivexgläser;  Perspectivbrillen;  Correction  ungleicher  Refractionszustände.      81»' 


bei  absoluter  Hyperraetropie  immer  GUiRer  von  wenigen  Zollen  Brennweite 
nothwendip;  sind,  hat  der  Abstand  der  Brille  vom  Auge  sclion  einen  sehr 
fühlbaren  Kinliuss  auf  die  Lage  der  virtuellen  Bilder  in  der  deutlichen 
Sehweite.  Eine  Vermehrung  dieses  Abstandes  um  y^,  ^/2  Zoll  genügt  fast 
immer ,     um     (Jläser     mit     zwischenwerthigni     Brennweiten     entbehrlich     xa 

machen. 

Bei  den  starken  Gläsern,  welche  hochgradig  Hypermetropische,  insbesondere 
aphakische  Augen  benötiiigen ,  macht  sich  die  unregelmässige  Brechung  der  Rand- 
stralüen  überaus  fühlbar  und  dies  zwar  im  gesteigerten  Masse,  wenn  die  Fläche 
des  Glases  schräg  zum  Objecte  gestellt  ist.  Es  werden  dann  die  Netzhautbilder 
excemtrisch  im  Gesichtsfelde  gelagerter  Objecte  nicht  nur  verzerrt,  sondern  es  resul- 
tirt  gleichzeitig  auch  ein  concentrischer  Ausfall  im  Gesichtsfelde.  Es  ist  dieser 
Ausfall  bei  sehr  starken  Brillen  nicht  selten  so  bedeutend,  dass  er  die  Selbst- 
führung des  Kranken  einiger  Massen  erschwert,  und  zwar  rückt  die  äussere  Grenze 
desselben  bei  sonst  gleichem  Durchmesser  der  Pupille,  bei  gleichem  Brechwerthe 
des  Glases  und  gleichem  Abstände  des  Letzteren  von  der  Pupillarebene  um  so 
näher  an  den  Fixirpunkt  heran,  je  kleiner  die  Oeffnung  der  Brille  ist  (Berlin).  Es 
ergibt  sich  daraus  die  Nothwendigkeit,  starken  Convexgläsern  eine  thunliehst 
grosse  Oeffnung  zu  geben  und  für  deren  senkrechte  Stellung  zur  Gesichtslinie 
zu  sorgen. 

Manche  glauben,  mittelst  periscopisch  geschliffener  Gläser  jene  Fehler  einiger 
Massen  zu  umgehen  und  das  Gesichtsfeld  wesentlich  zu  vergrössern.  Soviel  steht 
fest,  dass  Perspectivbrillen  (S.  794)  manchen  hochgradig  Uebersichtigen  ganz  vor- 
zügliche Dienste  leisten  und  die  centrale  Sehschärfe  im  Vergleiche  zu  der  durch 
biconvexe  Linsen  erzielbaren  ganz  ansehnlich  steigern.  Wo  es  sich  um  einige 
Vergrösserung  der  Netzhautbilder  handelt,  dürften  dieselben  sich  öfters  sehr  erspriess- 
lich  erweisen. 

Ebenso  wie  bei  hochgradiger  Kurzsichtigkeit  sind  auch  bei  sehr  hohen 
Graden  von  Hypermeti-opie  die  käuflichen  Theaterper-spective  zum  Fernesehen  öftei-s 
unzulänglich.  Zur  Correction  muss  der  Kranke  nebenbei  seine  Brille  benützen 
oder  den  Brechwerth  des  Ocnlares  um  jenen  seiner  zum  Fernesehen  benützten 
Brille  vermindern. 

3.  Wo  beide  Augen  in  verschiedenen  Graden  übersichtig  sind  oder  bei 
gleichem  Grade  von  Hypei'metropie  eine  verschiedene  Aecommodationsbreitehaben, 
muss  jedes  Auge  für  sich  durch  eine  entsprechende  Brille  corrigirt  werden. 
Ist  das  eine  Auge  kurzsichtig  und  seine  Accommodationsbreite  nicht  sehr 
verkleinert,  das  andere  Auge  aber  übersichtig  und  einer  corrigirenden 
Brille  bedürftig,  so  thut  man  öfters  wohl,  blos  in  die  dem  übersichtigen 
Auge  entsprechende  Oeffnung  der  Brillenfassung  das  zusagende  Glas  ein- 
schleifen, die  andere  Oetfnung  aber  leer  zu  lassen.  Grosse  Diff^erenzen  in 
dem  Brechwerthe  der  beiden  Gläser  machen  sich'  auch  hier  durch  ungleiche 
Vergrösserung  der  Netzhautbilder  öfters  unmöglich.  Es  bleibt  in  einem 
solchen  Falle  nichts  Anderes  übrig,  als  sich  mit  der  vollen  Correction  des- 
jenigen Auges  zu  begnügen,  welches  für  die  bestimmte  Entfernung  vornehm- 
lich benützt  wird,  die  Correction  des  zweiten  Auges  aber  nur  soweit  vor- 
zunehmen, als  es  die  ^'erhältnisse  gestatten.  Wo  kein  gemeinschaftlicher 
Sehact  besteht,  fällt  die  Nothwendigkeit  differenter  Gläser  selbstverständ- 
lich weg. 

Die  Unverträglichkeit  erlieldlcher  Differenzen  in  der  Netzhautbildgrösse 
beider  Augen  erlaubt  auch  nicht  die  Neutralisation  des  Refractiousfehlers  bei 
einseitigem  Verluste  der  Linse,  so  lange  das  andere  Auge  zum  Scharfsehen  noch 
tauglich  ist. 

4.  Auch  Convexgläser  werden  am  besten  in  Brillenform  gefasst.  Bei 
niederen  Graden  der  Uebersichtigkeit,  wo  sehr  grosse  Brennweiten  zum 
Zwecke    genügen,    kann    allerdings    ohne   Schaden   ein    Stecher  oder  binocu- 


814  Hypermetropie;  Behandlung;  Zwicker;  Lesegläser;  Quellen. 

larer  Zwicker  benützt  werden,  da  hier  der  Abstand  der  Gläser  vom  Auge 
und  die  prismatische  Ablenkung  nur  wenig  ins  Gewicht  fallen.  Bei  höhereu 
Graden  von  Hypermetropie,  wo  stärkere  Gläser  in  Anwendung  kommen, 
machen  sich  die  beiden  letztgenannten  Momente  jedoch  schon  sehr  fühlbar^ 
daher  es  von  grösstem  Belange  ist,  die  Gläser  in  einer  gewissen  Lage  und 
Stellung  zum  Auge  zu  fixiren.  Dies  vermögen  aber  nur  Brillen  im  engeren 
Wortsiniie. 

Im  Allgemeinen  gilt  hier  wieder  die  Regel,  dass  die  Gläser  möglichst 
nahe  am  Auge  stehen  und  dass  ihre  Axen  mit  den  Sehlinien  zusammenfallen, 
oder  doch  nur  einen  sehr  kleinen  Winkel  einschliessen   (S.   796). 

Besonders  lästig  ist  beim  Gebrauche  von  sehr  starken  Convexgläsern  bis- 
weilen eine  eigene  Sinnestäuschung,  vermöge  welcher  hohle  Gegenstände  convex 
oder  umgekehrt  erscheinen.  Es  ist  dieses  Phaenomen  eine  Folge  der  prismatischen 
Ablenkung  und  tritt  darum  besonders  stark  hervor,  wenn  der  Nasenbügel  der  Brille 
zu  kurz  oder  zu  lang  ist,  so  dass  hauptsächlich  Strahlen  in  die  Pupille  beider 
Augen  gelangen,  welche  durch  die  innei^en  und  äusseren  Hälften  der  beiden  Gläser 
hindurchgegangen  sind  (ZehenderJ.  Die  Vereinigung  je  zweier  homocentrischer 
Lichtbündel  erfolgt  dann  eben  auf  disparaten  Netzhautstellen  und  macht  das 
binoculäre  Bild  des  betreffenden  Objectpunktes  aus  der  Kernfläche  des  Seh- 
raumes hinwegrücken. 

5.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  bei  Gradsteigerungen  der  Ueber- 
sichtigkeit,  wie  sie  z.  B.  in  höherem  Alter  Regel  sind,  von  Zeit  zu  Zeit 
Gläser  mit  entsprechend  verkürzter  Brennweite  gewählt  werden  müssen. 
Nimmt  aber  bei  weit  gediehener  seniler  Involution  auch  die  Sehschärfe  um 
ein  Bedeutendes  ab,  so  werden  Brillen  öfters  ganz  unzureichend,  es  bedarf 
stark  vergrössemder  Lesegläser  (Gräfe).  Sie  sind  meistens  nur  zum 
monocularen  Sehen  verwendbar  (Donders)  und  müssen  bei  hohen  Graden 
absoluter  Hjpermetropie  mit  den  entsprechenden  Brillen  in  Gebrauch  ge- 
zogen werden. 

Quellen:  Janin,  Abhandlgn  u.  Beobachtgn.  Aus  dem  Franz.  von  Seile.  Berlin. 
1788.  S.  373.  —  Stellwag,  Sitzungsberichte  der  Wien.  k.  Akad.  der  Wiss.  XVI. 
1855.  S.  232,  250—253,  258,  259,  260,  263,  264,  266,  267,  268,  269,  271,  272,  273, 
275,  276,  277,  278,  279;  Ophth.  II.  S.  360—379.  —  Donders,  A.  f.  O.  IV.  1.  S.  319, 
323—329;  VI.  1.  S.  73,  74,  92,  95,  101:  VI.  2.  S.  210,  228,  231;  VII.  1.  S.  155, 
162,  167;  IX.  1.  S.  99,  100,  107,  110,  113,  115,  119;  Anomalien  der  Refr.  u.  Acc. 
Wien.  1866.  S.  74,  78,  80,  83,  89,  100,  121  —  144,  154,  173,  174,  176  —  217,  230, 
233,  235,  237,  243,  244,  258,  262,  263,  266,  268,  468,  474,  476.  —  Ed.  Jaeger,  Ein- 
stellungen des  dioptr.  Apparates.   Wien.    1861.  S.  20,  93  —  104,   189-195,  237,  250. 

—  Hasner,  kl.  Vorträge.  Prag  1860.  S.  99  —  104,  226.  —  Graefe,  A.  f.  O.  II.  1. 
S.  160,  169,  172,  179-186;  kl.  Monatbl.  1865.  S.  343,  345,  392.  —  Colsmann, 
Deutsche  Klinik.  1865.  Nr.  23.  —  Schuerman,  Vijfde  Jaarlijksch  Verslag.  Utrecht. 
1864.  S.  1;  kl.  MonatbL  1864.  S.  92,  100.  —  Cramer,  Het  accommodatievermogen. 
Haarlem.  1853.  S.  118—123,  141,  145,  146.  —  Sclnveigger,  Vorlesgn.  über  den 
Gebrauch  des  Augenspiegels.  Berlin.  1864.  S.  58;  Göttinger  Nachrichten.  1870. 
Nr.  9;  kl.  Monatbl.  1867.  S.  30.  —Berlin,  ibid.  1869.  S.  1,361.  —  Haas,  Derde 
Jaarlijksch  Verslag.  Utrecht.  1862.  S.  137.  —  Nagel,  A.  f.  O.  XII.  1.  S.  25.  — 
Giraud  —  Teu.lon,  Congres  intern,  d'ophth.  1863.  S.  104.  —  Gerold,  A.  f.  O.  XII, 
1.  S,  31.  —  0.  Becker,  kl.  Monatbl.  1866.  S.  54—56.  —  Btirow,  Ein  neues  Opto- 
meter. Berlin.  1863.  S.  12,  23,  25,  32,  33.  —  Haase,  Pageustecher  kl.  Beobachtgn. 
III.  Wiesbaden.  1866.  S.  109,  117.  —  Zehender,  kl.  Monatbl.  1868.  S.  137.  — 
Dohroicolsky,  ibid.  Beil.  S.  94,  97,  104,  106,  114—118,  175.  —  Liehreich,  A.  f.  O. 
VIII.  1.  S.  269.    —    Kaiser,  ibid.  XIII.  2.  S.  352.  —  Mooren,  Ophth.  Beob.  S.  327. 

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Augen  von  10060  Schulkindern.  1867.  S.  138  u.  f.  —  Beuss,  Woinow,  Ophth. 
Studien.  Wien.  1869.  S.  1.  —  Mauihner,  Lehrb.  d.  Ophthscop.  Wien.  1868.  S.  160, 
177,   185,  190. 


Astigmatismus  abnunu.  icgul. ;  Kruukheitsbild  ;  Sphstörui%'.  <S  1  5 


3.  Der  abnoriue  reguläre  Astigmatlsimis. 

Krankheitsbild.  CharaJderistisch  ist  ein  beträcJitlicher  Unterschied  in 
dem  Brechungszustande  verschiedener  Meridianehenen  des  dioptrischen  Ajjparates 
und  eine   davon    abhängige  fühlbare    Mangelhaftigkeit   der  Sehschärfe   (8.    776). 

1.  Die  Gesichtstörung  gehört  nothwendig  zum  Begriffe,  denn  durch  sie 
unterscheidet  sich  der  abnorme  Astigmatismus  von  dem  normalen,  welcher 
fast  jedem  Auge  anhängt  (S.  757).  Es  sind  sowohl  beim  Ferne-  als  Nahe- 
sehen viel  grössere  Gesichtswinkel  erforderlich,  sollen  die  Wahrnehmungen 
einen  einigermassen  befriedigenden  Grad  von  Deutlichkeit  gewinnen.  Bis- 
weilen geht  die  Abnahme  der  Sehschärfe  so  weit,  dass  man  an  Amblyopie 
denken  könnte. 

Uebrigens  macht  sich  die  Abnahme  der  Sehschärfe  bei  gleichen  Meridian- 
asymmetrien nicht  immer  in  gleichem  Masse  geltend.  Erweiterung  der  Pupille  steigert 
sie,  während  Verengerung  des  Sehloches  den  Fehler  oft  grossen  Theiles  deckt. 
Individuen,  welche  sich  blos  mit  groben  Gegenständen  beschäftigen,  übersehen  häutig 
beträchtliche  Grade  von  Astigmatismus;  während  beim  Lesen,  Schreiben  und  vor- 
nehmlich bei  sehr  feinen  Arbeiten  schon  geringe  Meridianasymmetrien  überaus 
störend  wirken  und  zur  Correction  auffordern  können. 

Ist  der  natürliche  Brechzustand  der  Augen  nebenbei  ein  myopischer 
oder  hypermetropischer,  so  kann  die  Sehschärfe  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
durch  entsprechende  Convex-  oder  Concavbrillen  gehoben  werden,  bleibt  aber 
immer  hinter  jener  normaler  Augen  um  ein  sehr  Bedeutendes  zurück.  Dabei 
fällt  es  auf,  dass  nicht  ein  einzelnes  bestimmtes  Glas  das  Maximum  der 
Correction  bewirkt,  sondern  vielmehr  die  Brennweite  innerhalb  gewisser 
Grenzen  wechseln  kann,  ohne  dass  die  Deutlichkeit  der  Wahrnehmungen 
merklich  stiege  oder  fiele,  was  sich  aus  der  verhältnissmässig  grossen 
Länge  der  Brennstrecke  (S.  758)  erklärt  (Knapp,  DondersJ.  Manche  Kranke 
sind  auch  wohl  von  selbst  darauf  gekommen,  dass  Schiefstellung  der  ge- 
brauchten  Gläser  deren   Leistungsfähigkeit  bedeutend   erhöht. 

Es  gelangen  unter  so  bewandten  Umständen  nämlich  vorwiegend  nur  jene 
Strahlen  der  einzelnen  liomocentrischen  Lichtbündel  in  die  Pupille,  welche  das 
Glas  längs  seiner  Drehungsaxe  passirt  haben;  die  übrigen  Strahlen  werden  vermöge 
der  Grösse  ihres  Einfallswinkels  theils  reflectirt,  theils  so  stark  abgelenkt,  dass  sie 
die  Bilder  der  ersteren  an  Deutlichkeit  nicht  sonderlich  schädigen.  Die  Correction 
ist  demnach  in  einein  Meridiane  sehr  gross,  während  die  übrigen  Meridiane  halbwegs 
abgeblendet  werden;  das  schief  gestellte  Glas  ersetzt  neben  seiner  Brechwirkung 
theilweise  eine  stenopäische  Spalte. 

Dazu  kömrat  dann  noch,  dass  horizontale  und  ve)tieale  Linien,  sowie 
Objecte,  in  welchen  diese  oder  jene  Dimension  vorwaltet,  bei  aufrechter 
oder  bei  einer  bestimmten  schrägen  Stellung  des  Kopfes  in  verschiedenen 
Distanzen  deutlicher  erkannt  werden   (Knapp,   Donders). 

Nicht  wenige  Astigmatiker  sind  von  selbst  auf  die  letzterwähnte  Differenz 
aufmerksam  geworden  und  lieben  sie  bei  der  Beschreibung  ihres  Znstandes  stark 
hervor.  Andere  haben  ganz  uubewusst  auf  empirischem  Wege  gelernt,  die  Differenz 
durch  bestimmte  Stelltmgen  der  verticalen  Kopfnxe  oder  der  Objecte  befriedigend 
auszugleichen,  sie  wenden  z.  B.  beim  Lesen  und  Schreiben  das  Papier  so, 
dass  die  Zeilen  statt  in  horizontaler  in  verticaler  oder  sehr  schiefer  Richtung 
laufen.  Einzelne  wohl  Geübte  vermögen  durch  solche  Manöver  hohe  Grade  des 
regulären  Astigmatismus  so  weit  unschädlich  zu  machen,  dass  sie  die  _/ei'7i*(^e?i  Arbeiten 
verrichten  (Javal). 


316  Astigmatismus;  Krankheitsbild;  Objectiver  Nachweis. 

Bei  hohen  Graden  von  Astigmatismus  macht  sich  übrigens  auch  die 
Farbenzerstreuung  geltend.  Das  Zerstreuungsbild  eines  Lichtpunktes,  so  wie 
auch  anderer  Objecte,  erscheint  unter  günstigen  Verhältnissen  von  verschieden- 
färbigen  Säumen  umgeben  und  deren  Anordnung  wechselt  je  nach  der  Distanz 
des  Objectes  und  nach  den  Refractionszuständen  des  Auges,  lässt  sich  auch 
durch  Aenderung  der  Entfernung,  so  wie  durch  ^'orsetzung  verschiedener 
positiver  oder  negativer  Gläser  vor  das  Auge  innerhalb  gewisser  Grenzen 
beliebig  modificiren. 

Es  treten  diese  Phänomene  am  schärfsten  heraus,  wenn  man  statt  weissen 
Lichtes  bei  der  Untersuchung  solches  anwendet,  welches  nur  aus  zwei  prismatischen 
Farben  von  möglichst  ve)-schiedener  Brechbarkeit  besteht,  wenn  man  also  Sonnen- 
licht durch  dunkel  violette,  oder  Lampenlicht  durch  dunkle  Kohaltgläser  gehen 
lässt.  Betrachtet  der  Astigmatiker  durch  solche  Gläser  einen  Lichtpunkt,  so  wird 
sich  der  letztere  bei  myopischer  Einstellung  des  Auges  röthlich  mit  blauem 
Saume ,  bei  hj'permetropischer  Einstellung  aber  blau  mit  rothem  Rande  zeigen. 
Sieht  der  Kranke  den  Lichtpunkt  möglichst  scharf  und  rund,  wird  also  die  Mitte 
der  Brennstrecke  auf  die  Netzhaut  geleitet,  so  erscheinen  der  obere  und  untere 
Rand  blau,  die  beiden  seitlichen  roth  eingesäumt,  das  Auge  ist  im  verticalen  Meri- 
diane relativ  myopisch,  im  horizontalen  hypervietropisch.  Sieht  der  Astigmatiker  aber 
den  Lichtpunkt  zu  einer  Linie  verzogen,  fällt  also  eine  Brennlinie  auf  die  Netz- 
haut, so  sind  die  Aussenenden  und  die  Mitte  der  Linie  von  verschiedener  Farbe  und 
bei  Richtungsänderung  der  Lichtlinie  durch  ein  modificirendes  Glas  wechseln  auch 
die  Farben  (Donders). 

2.  Objectiv  lässt  sich  der  regelmässige  Astigmatismus,  doch  nur  soweit 
er  die  Hornhaut  betrifft,  durch  ophthalmometrische  Messungen  bestimmen. 
Da  in  der  Praxis  immer  der  totale  Astigmatismus  massgebend  ist  und  jene 
Messungen  überdies  sehi"  kostspielige  und  complicirte  Instrumente  (Helm- 
holtz)  nothwendig  machen,  sind  die  bezüglichen  Methoden  für  den  allgemeinen 
Gebrauch  weniger  geeignet. 

Dagegen  bietet  der  Augenspiegel  einen  guten  praktischen  Behelf,  um  höhere 
Grade  des  totalen  Astigmatismus  mit  der  Richtung  der  Hauptschnitte  zu  er- 
kennen. Es  zeigt  nämlich  die  Sehnervenpapille  bald  in  dem  einen,  bald 
in  dem  anderen  Hauptschnitte  eine  maximale  Verziehung,  je  nachdem  der 
Augengrund  im  aufrechten  oder  verkehrten  Bilde  untersucht  wird  (Knapp, 
Schweigger).  Deutlicher  noch  tritt  der  ungleiche  Eefractionszustand  ver- 
schiedener Meridianebenen  an  den  Gefässen  des  Augengrundes  hervor.  Man 
sieht  nämlich  blos  einzelne  Adern,  welche  in  bestimmten  Pachtungen  ziehen, 
völlig  scharf  begrenzt.  Um  die  übrigen,  besonders  die  in  einer  darauf 
senkrechten  Richtung  streichenden  Stämme  in  klaren  Bildern  zur  Anschauung 
zu  bringen,  bedarf  es  einer  Aenderung  in  dem  Accommodationszustande 
des  ophthalmoskopirenden  Auges.  Es  kehren  sich  auch  diese  Erscheinungen 
um,  je  nachdem  im  verkehrten  oder  aufrechten  Bilde  untersucht  wird 
(Donders). 

Es  sind  diese  Unterschiede  in  der  Regel  allerdings  nicht  sehr  auflallig.  Doch 
kann  man  dieselben  stärker  hervortreten  machen,  wenn  man  den  Spiegel  mit 
der  Correctionslinse  oder  die  Loupe  möglichst  weit  vom  untersuchten  Auge  ent- 
fernt, indem  solchermassen  die  relativen  Vergrösserungscoefficienten  sehr  gesteigert, 
beziehungsweise  verkleinert  werden  (Mauthner).  Man  thut  dabei  sehr  wohl,  die 
Pupille  maximal  zu  erweitern,  um  ein  möglichst  grosses  Stück  des  Augengrundes 
auf  einmal  zu  übersehen.  Um  sich  vor  Täuschungen  zu  hüten,  ist  es  von  grosser 
Wichtigkeit,  dass  das  Correctionsglas  des  Spiegels  sowie  die  Loupe  immer  parallel 
zur  Pnpillarebene  des  untersuchten  Auges  stehe,  widrigenfalls  künstlich  eine  ganz 
analoge  Verzerrung  des  Bildes  herbeigeführt  wird  (Schweigger).  Bei  grosser 
Uebung    im     Ophthalmoscopiren    lässt    sich     wohl    auch    nach    bereits    erwähnten 


Gradbestimmunpr  (Inroh  Sphversuche ;  Vorsurlip  mit  Spalton.  817 

Gesetzen  (S.  782,  801)  der  Refraetionszustand  der  beiden  Hanptmeridiaiie  mit 
einiger  Genauigkeit  ermitteln.  In  einzelnen  höclisfciradigen  Fällen  hat  man  eine 
Verdoppelung  des  Augengrundes  beobachtet  (Oraefe,  Knapp). 

Uebrigens  verrathen  sich  hohe  Grade  des  Astigmatismus  mitunter 
schon  durch  die  eigenthümliche  Gestaltung  der  Cornea,  es  erscheint  diese  in 
die  Länge  oder  Quere  gezogen,  oval;  oder  man  kann  gar  die  abweichende 
Krümmung  verschiedener  Meridiane  mit  freiem  Auge  direct  wahrnehmen. 
Häufiger  lässt  sich  eine  astigmatische  Krümmung  blos  aus  eigenthümlichen 
Verzerrungeai  der  Spiegelbilder,  vornehmlich  eines  Quadrates  oder  kreisförmi- 
gen  Objectes  erschliessen. 

3.  Leichter  und  sicherer  werden  die  Richtung  und  der  Refractions- 
zustand  der  beiden  Hauptschnitte  und  damit  auch  der  Grad  des  Astig- 
matismus durch  Sehversuche,  also  auf  subjectivem  Wege,  bestimmt.  Ist  wirk- 
lich ein  abnormer  Grad  von  Meridianasymmetrie  gegeben  und  das  Auge  an 
sich  oder  durch  Vermittelung  sphärischer  Gläser  für  positive  Entfernungen 
eingestellt,  so  wird  ein  Lichtpunkt  in  einem  Zerstreuungsbilde  wahrgenommen 
werden,  dessen  Grösse  und  Gestalt  je  nach  dem  Abstände  des  Objectes  und 
je  nach  dem  Masse  der  Ablenkung,  welche  die  auf  die  Netzhaut  gelangen- 
den Strahlen  erlitten  haben,  wechseln.  Es  wird  sich  dann  immer  eine 
gewisse  Distanz  finden  lassen,  in  welcher  der  Lichtpunkt  in  einen  Streifen 
mit  scharfen  Seitenrändern  und  verschwommenen  Enden  verzogen  erscheint. 
Die  Richtung  dieses  Streifens  ergibt,  die  primäre  Augenstellung  voraus- 
gesetzt, die  Direction  des  einen  Hauptschnittes  und  damit  natürlich  auch 
jene  des  zweiten,  da  dieser  beim  regulären  Astigmatismus  immer  senkrecht 
auf  dem  ersten  steht.  Wird  dann  bei  Vermeidung  eines  Accommodations- 
wechsels  die  Entfernung  des  Lichtpunktes  nach  einer  bestimmten  Richtung 
geändert,  in  der  Regel  vermindert,  so  verkürzt  sich  der  Streifen  bei  zu- 
nehmender Dicke,  er  geht  in  eine  Ellipse  mit  fallender  Excentricität,  bei 
fortgesetzter  gleichartiger  Distanzveränderung  aber  in  eine  runde  ver- 
schwommene Scheibe,  wieder  in  eine  Ellipse,  und  endlich  gar  in  einen 
Streifen  über,   dessen  Richtung  zu  der  früheren  senkrecht  ist. 

Es  ändert  selbstverständlich  nichts  an  dem  Effecte,  wenn  statt  des 
wirklichen  Distanzwechsels  ein  scheinbarer  stattfindet.  Versucht  man  bei 
unverändertem  Objectsabstande  und  horizontaler  Blickrichtung  nach  und  nach 
verschiedene,  je  nach  Bedarf  positive  oder  negative  Gläser  mit  auf-  oder 
absteigender  Nummer,  so  gelangt  man  in  der  That  bald  zu  einer  Linse, 
durch  welche  der  Lichtpunkt  sich  als  ein  scharf  begrenzter  Streifen  dar- 
stellt, dessen  Axe  jedoch  senkrecht  auf  der  früheren  Richtung  lagert  (Knajjp, 
D  anders). 

Für  grössere  Distanzen  benützt  man,  um  liinlänglich  starke  Eindrücke  zu  ge- 
winnen, am  besten  ein  V2 — 1 '"  im  Durchmesser  haltendes  rundes  Loch  in  dem 
Fensterladen  eines  verfinsterten  Zimmers,  oder  ein  feines  Loch  in  einem  die  Flamme 
einer  Lampe  umgebenden  metallenen  Cylinder.  Doch  muss  die  Oeffnung  durch 
ein  Milchglas  gedeckt  sein,  damit  nicht  directe  Lichtstrahlen  durchtreten  können. 
Für  sehr  kurze  Distanzen  genügt  ein  auf  Papier  mit  Dinte  gemalter  Punkt. 

Von  Wichtigkeit  sind  Sehversuche  mit  sehr  schmalen  Spalten,  welche 
in  dünne  geschwärzte  Metallplatten  geschnitten  sind.  Sieht  der  Astig- 
matiker  durch  eine  solche,  möglichst  nahe  an  das  Auge  gerückte  Spalte,  so 
wird  er  beim  Drehen  der  Platte  alsbald  eine  Spaltrichtung  finden,  bei  wel- 
cher die  Sehschärfe  ein  gewisses  Maccimum  erreicht,  und  eine  darauf  senk- 
Stellwag,  Augenlieill(\iiulf.  52 


818      Astigmatismus;  Krankheitsbild;  Gradbestimmung  durch  Seh  versuche;  Becker'sche  Tafeln. 

rechte  Spaltrichtung,  bei  welcher  die  Verschwommenheit  oder  Verzerrung 
eine  grösste  wird.  Es  geben  diese  beiden  Spaltrichtungen  bei  aufrechter 
verticaler  Kopfaxe  direct  die  Lage  der  beiden  Hauptschnitte,  also  jener 
Meridianebenen  des  dioptrischen  Apparates  an,  in  welchen  die  Strahlen- 
brechung eine  grösste  und  eine  kleinste  ist.  Hat  man  die  Lage  der  Haupt- 
schnitte ermittelt,  so  ist  es  bei  Ausschluss  eines  complicirenden  unregel- 
mässigen Astigmatismus  ein  Leichtes,  für  jeden  der  beiden  Hauptschnitte 
ein  negatives  oder  positives  sphärisches  Glas  zu  finden,  welches,  unmittelbar 
vor  oder  hinter  die  richtig  gestellte  Spalte  gebracht,  die  Sehschärfe  auf  das 
normale  Mass  hebt,  also  vollkommen  scharfe  Wahrnehmungen  ermöglicht 
(Knapp,  Donders). 

Die  Länge  der  Spalte  ist  eine  beliebige,  die  Breite  aber  soll  nicht  '/g'"  über- 
schreiten. Am  besten  sind  Spalten,  welche  man  durch  Schieber  willkürlich  verengern 
oder  erweitern  kann.  Als  Object  eignen  sich  wieder  am  meisten  römische  Buch- 
staben, vornehmlich  aber  loth-  und  wagrechte  Linien  und  Lichtpunkte, 

Bei  Vorhandensein  des  U7iregelmässigen  Astigmatismus  wird  man  es  durch 
Spalten  und  sphärische  Gläser  niemals  zu  einer  völlig  normalen  Sehschärfe  bringen. 
Diese  können  das  Maximum  der  Sehschärfe  in  solchen  Fällen  nur  um  ein  Gewisses 
erhöhen,  soweit  nämlich  die  Undeutlichkeit  und  Verzerrtheit  der  Netzhautbilder  von 
regulären  Meridianasymmetrien  abhängen. 

Ueberaus  bequem  und  für  die  Praxis  sehr  zu  empfehlen  sind  die 
O.  Becker' sehen  Tafeln.  Es  sind  auf  denselben  Gruppen  von  je  drei  zu 
einander  parallelen,  etwa  2  Zoll  langen  und  2  Linien  breiten,  durch  eben 
so  breite  Zwischenräume  getrennten  schwarzen  Streifen  gezeichnet.  Auf 
einer  der  beiden  Tafeln  lagern  die  Gruppen  strahlenartig  im  Kreise  um  eine 
horizontale  Gruppe  herum;  auf  der  anderen  sind  sie  in  drei  über  einander 
stehende  Zeilen  geordnet.  Jeder  der  Gruppen  ist  der  Winkel  beigefügt,  weichen 
ihre  drei  Streifen  bei  senkrechter  Stellung  der  Tafel  mit  dem  Lothe  ein- 
schliessen.  Sieht  das  astigmatische  Auge  bei  unverrückt  verticaler  Kopf- 
stellung aus  einer  Entfernung  von  10 — 15  Füssen  darauf,  so  treten  in 
der  Regel  sogleich  eine  oder  mehrere  Gruppen  durch  auffallend  grössere 
Schärfe  und  Schwärze  der  Striche  heraus.  Ist  der  dioptrische  Apparat 
jedoch  im  Ganzen  höhergradig  myopisch  oder  absolut  hypermetropisch,  so 
bedarf  es  entsprechender,  theilweise  corrigirender  sphärischer  Linsen,  auf 
dass  sich  ein  solcher  Unterschied  stark  markiren  könne.  Werden  nun  in 
einem  wie  in  dem  anderen  Falle  verschiedene  sphärische  Gläser  vor  das 
Auge  gebracht,  so  wird  mit  steigender  oder  fallender  Brennweite  die 
Deutlichkeit  und  Schärfe  zu-  oder  abnehmen  und  man  wird  bald  zu  einem 
Glase  gelangen,  durch  welches  eine  bestimmte  Gruppe  sich  in  voller  Schwärze 
und  mit  ganz  scharfen  Seitenrändern  zeigt,  welches  aber  nicht  überschritten 
werden  darf,  widrigenfalls  sämmtliche  Gruppen  an  Deutlichkeit  verlieren. 
Der  von  der  Tafel  abzulesende  Neigungswinkel  der  betreffenden  Streifen- 
gruppe gibt  nun  die  Lage  des  einen  Hauptschnittes.  Wird  jetzt  bei  fort- 
gesetztem Versuche  die  Brennweite  der  Linsen  in  der  anderen  Richtung 
gewechselt,  so  zeigt  sich  sogleich  eine  Verminderung  der  Deutlichkeit  in 
der  vorhin  scharf  gesehenen  Strichgruppe,  dagegen  wächst  dieselbe  in  anderen 
Gruppen  und  endlich  kömmt  man  zu  einem  Glase,  durch  welches  ein 
Maximum  von  Schärfe  gerade  an  jener  Gruppe  erzielt  wird,  deren  Striche 
senkrecht  zur  Richtung  der  ersten  verlaufen.  Ein  loeiteres  Steigen  oder 
Fallen  mit  der  Brennweite  veranlasst  wieder  eine  Abnahme  der  Schärfe 
in  sämmtlichen  Gruppen. 


Gradbestimiming  des  Astigmatismus;  Cylindergläser.  819 

Die  Praysche  Astigmatismtistafel  ist  nach  einem  ganz  gleichen  Prinzipe  ge- 
fertigt; doch  setzen  die  Striche  je  einer  Kiclitung  Bucliatahen  zusammen,  deren 
Höhe  und  Breite  die  Snellen'sclie  Schriftprobe  Nro.  40  um  das  dreifache  über- 
trifft und  welclie  so  angeordnet  sind,  dass  je  zwei  und  zwei  mit  senitrecht  auf 
einander  gericliteten  Strichen  neben  einander  zu  stehen  kommen. 

Hochgradige  Myopien  mit  selw  verminderter  Sehschärfe  verlangen  eine  bedeu- 
tende Annäherung  des  Probeobjectes ,  daher  auch  die  Strichgruppen  in  verjüngtem 
Massstabe  zu  zeichnen  sind. 

Bei  allen  diesen  Versuchen  wirken  Veränderungen  des  Accommodalions- 
zustandes  nicht  wenig  störend,  indem  sie,  abgesehen  von  etwaigen  Wechseln 
der  astigmatischen  Differenz  und  der  Meridianlage,  die  Länge  und  Lage  der 
Brennsirecke  und  die  Stellung  ihrer  Haupttheile  zur  lichtempfindenden 
Schichte  der  Netzhaut  alteriren.  Wo  es  sich  um  befriedigende  Untersuchungs- 
resultate handelt,  ist  es  darum  nothwendig,  den  Accommodalionsmuskel 
durch  Atropin  zu  lähmen.  Die  damit  gesetzte  Erweiterung  der  Pupille 
bietet  nebenbei  den  Vortheil,  dass  sie  die  Durchmesser  der  Zerstreuungs- 
ligur  im  Verliältnisse  vergrössert,  die  Erscheinungen  des  Astigmatismus 
also   auffälliger  macht. 

Betrachtet  der  Astigmatiker  bei  »ni^efc/aüäc/iier. Accommodation  mW  freiem 
Auge  einen  Lichtpunkt  aus  einer  gewissen  Distanz ,  so  geschieht  es  in  der  That 
nicht  selten,  dass  der  Lichtpunkt  abwechselnd  nach  einer  bestimmten  Richtung  ver- 
zogen und  dann  wieder  als  rwide  Scheilje  erscheint.  Steht  das  Object  gerade  in 
einer  solchen  Entfernung,  dass  bei  massiger  Accommodationsanstrengung  die  Mitte 
der  Brennstrecke  auf  die  Netzhaut  fällt,  so  kann  es  abwechselnd  woiil  gar  in 
zwei  auf  einander  senkrechten  Richtungen  verzogen  erscheinen.  Eben  solche  Schwan- 
kungen ergeben  sich  natürlich  auch  bei  der  Betrachtung  von  Linien.  Insbesondere 
missiich  aber  werden  diese  Differenzen ,  wenn  die  Entfernungen  oder  die  Gläser 
ermittelt  werden  sollen,  welche  für  jeden  der  beiden  Hauptschnitte  das  Maximum 
der  Sehschärfe  gewähren. 

Man  kann  sich  von  diesem  störenden  Einflüsse  der  Accommodation  bei  Er- 
forschung des  Astigmatismus  übrigens  leicht  seihst  überzeugen ,  wenn  man  sein 
eigenes  Auge  durch  Vorsetzung  eines  Cylinderglases  astigmatisch  macht  imd  die 
vorerwähnten  Versuche  anstellt.  Ueberhaupt  sind  solche  Experimente  zum  genauen 
Studium  des  fraglichen  Refractionszustandes  sehr  zu  empfehlen,  ja  geradezu  noth- 
wendig. 

Sind  in  solcher  Weise  die  Grenzwerthe  für  die  Brennweiten  der  beiden 
sphärischen  Gläser  gefunden,  welche  geeignete  Objecte  aus  einer  grösseren 
Entfernung  in  zwei  auf  einander  senkrechten  Hauptrichtungen  scharf  und 
deutlich  zur  Wahrnehmung  bringen,  so  sind  auch  die  Fernpunktabstände 
der  beiden  Hauptschnitte  des  astigmatischen  Auges  gegeben.  Dieselben 
sind  nämlich  je  gleich  der  Brennweite  des  betreffenden  Glases,  vermehrt 
um  dessen  Abstand  vom  Auge,  wenn  es  eine  Zerstreuungslinse  ist,  ver- 
mindert, wenn  es  eine  Sammellinse  ist.  Die  reciproken  Werthe  der  Fern- 
punktabstände liefern  den  Ausdruck  für  den  Brechzustand  der  zugehörigen 
Meridianebene  und  die  Differenz  dieser  reciproken  Werthe  bezeichnet  den 
Grad  des  vorhandenen  Astigmatismus   (Knapp,   Donders). 

Um  die  Richtigkeit  der  gefundenen  Werthe  zu  controliren,  dienen 
Versuche  mit  Cylindergläsern.  Ist  der  Brechzustand  des  einen,  der  Norm 
näherstehenden  Hauptschnittes  durch  ein  entsprechendes  sphärisches  Glas 
auf  Null  gesetzt,  so  muss  eine  Cyünderbrille,  deren  Brecliwerth  gleich 
ist  dem  Grade  des  Astigmatismus  und  deren  Axe  dem  bereits  corrigirten 
Hauptschnitte  pai*allel  läuft,  den  Refractionsfehler  auch  im  zweiten  Haupt- 
schnitte neutralisiren,  so  dass  die  Objecte  nach  allen  Eichtungen  scharf 
begi'enzt  erscheinen. 


820  Astigmatismus;  Krankheitstild :  Gradbestimmnng;  Stokes'sche  Linse;  Astigmometer. 

Zu  gleichem  Beliufe  empfiehlt  sich  auch  die  Stolces'sclie  astigmatische  Linse. 
Es  besteht  diese  aus  zwei  cylindrischen  Gläsern,  deren  eines  eme  2>ositive,  das  andere 
eine  negative  Brennweite  von  10  Zoll  besitzt.  Es  sind  diese  Gläser  in  Blechringe 
gefasst,  welche  in  einander  passen ,  so  dass  die  Linsen  unmittelbar  an  einander 
geschoben  und  im  Kreise  heriimgedreht  werden  können.  Stehen  ihre  Axen  parallel, 
■was  eine  an  der  Aussenwand  der  Fassung  angebrachte  Gradeintheilnng  angibt,  so  ist  der 

BrechweHhdes  Instrumentes  0.  Es  erreicht  dieser  aber  ein  Maxiimim (  ^-  —- )  =  -^, 

10  \    ■      10  /  5   7 

wenn  die  Axen  der  beiden  Linsen  mit  einander  einen  Winkel  von  90  Grad  ein- 
schliessen.  Für  jeden  a?ir:Ze7'en  Axenwinkel  a  ist  die  astigmatische  Abweichung -v- »i«.  «■ 
Ist  der  Grad  des  Astigmatismus  und  die  Sfelhmg  der  Hauptschnitte  in  einem  Auge 
richtig  bestimmt,  so  darf  die  Brille  nur  entsprechend  eingestellt  und  in  gehöriger 
Lage  vor  das  Auge  gehalten  werden ,  um  den  Refractionsfehler  auf  Eminetropie 
oder  auf  eine  einfache  Myojne  oder  Hyijermetrojne  zu  corrigiren,  weiters  aber  durch 
Zuhilfenahme  eines  passenden  sphärischen  Glases  gänzlich  zu  neidralisiren.  Insoferne 
jedoch  das  Instrument  die  C'orrectur  auf  beide  Hauptschnitte  gleichmässig  vei-theilt, 
darf  hierbei  nicht  etwa  eine  sphärische  Linse  benützt  werden,  welche  den  Brech- 
zustand des  der  Norm  näherstehenden  Meridians  auf  Null  setzt,  sondern  eine  Linse, 
deren  Brechwerth  ungefähr  die  Mitte  hält  zwischen  den  Eefractionszuständen  der 
beiden  Hauptschnitte  (Middelhurg,  Donders).  Man  sieht  daraus  zugleich,  dass  die 
Stokes'sche  Linse  mit  ihren  Modificationen  (JavalJ  kein  bequemes  Mittel  zur  ta'- 
sprünglichen  Bestimmung  der  wahren  Einstellung  beider  Hauptschnitte  abgibt;  sie 
liefert  eben  nur  Werthe,  aus  welchen  sich  die  Brechzustände  durch  ziemlich  um- 
ständliche Rechnung  ermitteln  lassen. 

Nicht  minder  sind  zweckmässig  eingerichtete  Optometer  verwendbar,  um  die 
Brechzustände  der  beiden  Hauptschnitte  astigmatischer  Augen  zu  controliren  oder 
von  vorneherein  zu  ermitteln.  Als  Probeohject  ist  denselben  eine  Figur  aus  gleich 
langen  zarten  Linien  eingefügt,  welche  sternförmig  gegen  einen  gemeinsamen  Mittel- 
punkt convergiren.  Wird  dieses  Object  dem  Auge  durch  Verlängerung  oder  Ver- 
kürzung des  Instrumentes  allmälig  genähert  oder  entfernt,  so  wird  bei  einer  gewissen 
Distanz  zuerst  eine  bestimmte  Linie  deutlich  erscheinen  und  bei  einer  zweiten 
Distanz  der  darauf  senkrechte  Strahl  scharf  zur  Wahrnehmung  kommen.  Die  beiden 
Linien  geben  dann  die  Lage  der  beiden  Hauptschnitte,  während  die  Einstellungen 
der  letzteren  einfach  vom  Instrumente  abgelesen  werden  können  (Buroiv).  Es  lässt 
sich  jedoch  bei  diesen  Versuchen  das  Spiel  der  Äccommodalion  nicht  gut  beseitigen 
und,  wenn  demselben  auch  durch  Ätropin  ein  Ziel  gesetzt  worden  ist,  so  kommen 
doch  die  Mei-idiandrehungen  sehr  misslich  in  den  Weg,  welche  an  die  nicht  zu 
verhindernde  Convergenzstellung  der  Gesichtslinien  geknüpft  sind  und  um  so  störender 
hervortreten  müssen,  wenn  bei  dem  Versuche  nicht  immer  dieselbe  Lage  der  Visir- 
ebene  beibehalten  wird.  Daher  die  Bestimmung  der  Lage  der  Hauptsclinitte  sehr 
schwankend  ausfällt.  Um  die  Convergenzstellimgen  der  Gesichtslinien  zu  verhin- 
dern und  auch  die  Visirebene  zu  fixiren,  hat  man  dojypdte  Optometer  nach 
Art  der  Stereoskope  construirt  (Javal,  Hirschberg).  Das  Ocular  ist  eine  starke 
Convexlinse  von  grossem  Durchmesser,  welche  das  virtuelle  Bild  des  Objectes 
durch  kleine  Verschiebungen  des  letzteren  in  jede  beliebige  positive  oder  negative 
Distanz  vom  Auge  bringen  lässt.  Als  Object  dient  für  jedes  Rohr  ein  Kreis,  in 
welchem  die  oben  beschriebene  Strahlenfigur  eingezeichnet  ist.  Um  die  künstliche 
Beleuchtung  zu  umgehen,  welclie  leicht  zu  irrigen  Versuchsergebnissen  führt,  ist  es 
gut,  die  Probefigur  auf  Milchglas  schwarz  einbrennen  zu  lassen,  da  man  solcher- 
massen  das  Experiment  im  durcligelassenen  Tageslichte  vorzunehmen  im  Stande  ist. 
Werden  die  beiden  Kreise  bei  einer  bestimmten  Stellung  zum  Auge  verschmolzen, 
so  wird  durch  vorgesteckte  Cgiindergläser  dahin  gewirkt,  dass  endlich  alle  Strahlen 
gleich  deutlich  erscheinen.  Aus  der  Brennweite  des  passenden  Cylinderglases  wird 
dann  der  Grad  des  Astigmatismus  und  aus  der  Richtung  des  ohne  Cylinderglas 
scharf  und  deutlich  gesehenen  Strahles  der  Figur  die  Richtung  der  Haxtptschnitte 
bestimmt. 

4.  Die  Ermittelung  des  Nahepunktah Standes  für  beide  Hauptschrdtte  folgt 
ähnlichen  Regeln,  wie  jene  des  natürlichen  Eefractionszustandes.  Doch  hat 
dieselbe    grössere  Schwierigkeiten  und  ergibt  leicht  unsichere  Werthe.     Es 


liestimiiuuig  d.  Naheimiiktüf-;  Arten  d.  A.sUj,'iii. ;  doroii  Dtv.cifliimiij,'.  82^1 

wird  nämlich  bei  maximaler  Accommodationsspannung  die  Pupille,  sehr  enge 
lind  daher  die  Zerstreuiingsfia;iir  viel  kleiner.  Auch  ermüden  wiederliolte 
Experimente  sehr.  Untersucht  man  dabei  auf  verschiedene  Distanzen,  so 
kömmt  der  Unterschied  in  der  Convergenz  der  Gesichtslinien  in's  Spiel, 
man  findet  nicht  den  wahren,  sondern  den  binocularen  Nahepunkt  (Middd- 
burg,  Donders)  und  ausserdem  macht  sich  die  Meridiandrehung  bemerklich. 
Verwendet  man  aber  bei  unverändertem  Objeclsabstande  sphärische  Gläser, 
so  tauchen  andere  Uebelstände  auf.  Nichtsdestoweniger  sind  derlei  Er- 
örterungen icerthvoll.  Sie  ergeben  nämlich  Wechsel  in  der  Lage  der  Haupt- 
schnitte  und  in  dem  Grade  des  Astigmatismus,  welche  bei  der  Correction 
des  ßefractionsfehlers  zum  Behufe  des  Nahesehens  berücksichtigt  werden 
müssen.  Die  Ursache  dessen  liegt  in  dem  Formwechsel  der  Linse,  in  der 
ungleichmässigen  Krümmungszunahme  ihrer  einzelnen  Meridiane  (Middelburg, 
Donders,   Dobrowolsky). 

5.  Die  natürlichen  Brechzustände  der  beiden  Hauptschnitte  wechseln  bei 
verschiedenen  astigmatischen  Augen  in  der  mannigfaltigsten  Weise.  Sehr 
häufig  ist  blos  der  eine  Hauptschnitt  mjopisch  oder  hypermetropisch ;  der 
Brechzustand  des  anderen  ist  ein  normaler.  Man  spricht  in  solchen  Fällen 
von  einfachem  myopischen  oder  hypermetropischen  Astigmatismus.  Noch  häufiger 
sind  beide  Hauptschnitte,  jedoch  in  verschiedenem  Grade,  kurz-  oder  über- 
sichtig, es  ist  ein  zusammengesetzter  myopischer  oder  hypermdropischer  Astig- 
matismus gegeben.  Selten  ist  der  eine  Hauptschnitt  myopisch,  der  andere 
hypermetropisch,  ein  Zustand,  welchen  man  als  gemischten  Astigmatismus  mit 
vorwaltender  Myopie   oder    lieber  sichtigkeit   bezeichnet   (Donders). 

Der  Einfachheit  halber  kann  man  sich  jede  dieser  verschiedenen  Formen 
des  Astigmatismus  zerlegen  in  Eimnetroj/ie,  Kurz-  oder  Uehersiclifiykeit  und  in  eine 
gewisse  astigmatische  Ahiceichuiig ,  welche  durch  den  Unterschied  der  Brechzu- 
stände beider  Hauptsclmitte  ausgedrückt  wird;  mit  anderen  Worten,  man  kann  sich 
vorstellen,  das  Auge  sei  im  Allgemeinen  ennnetropisch,  kurz-  oder  übersichtig, 
in  der  einen  Hauptmeridianebene  jedoch  bestehe  eine  gewisse  maxiviale,  myopische 
oder  hypermetropische  Abweichung  des  Brechzustandes.  Man  gelangt  unter  Zugrunde- 
legung dieser  VorsteUung  zu  gewissen  monoyrammatischen  Ausdrücken,  welclie  die 
specielle  Art  der  Refractionsanomalie  treffend  bezeichnen  und  von  grossem  prakti- 
schen Werthesind,  indem  sie  einerseits  weitläufige  Beschreibungen  entbehrlich 
machen ,  anderseits  aber  direct  den  Brechwertli  der  zur  Correction  des  ganzen  Re- 
fractionsfehlers  erforderlichen  Brille  anzeigen. 

Bei  einfachem  Astigmatismus  ist  der  eine  Hauptschnitt  normal  eingestellt,  sein 

Breclizustand  also  -^;    der  andere  Hauptschnitt   ist  myopisch   oder    hypermetropisch, 

sein  Brechzustand  also  M  —  oder  H        ;    die    Refractionsanomalie    erscheint    also 

zusammengesetzt     aus    Emmetropie     =    E     =    —  =    0    und    einer    astigmatischen 

Abweichung  Am  oder  Ah  =:  ^i  .  =i  ^;  fl^'"  Ausdruck  wäre  also  Am  (Ah)  --. 

Der  zusammengesetzte  Astigmatismus  lässt  sich  zerlegen  in  einfache  Myopie 
oder  Hypermefropie    und    die    astigmatische    Abweichung;     der    Ausdruck    wäre    also 

M 1-  Am        oder  H         4-  Ah      .    Wäre  z.  B.  der  Brechzustand  in  einem  Haupt- 

schnitt  M  — ,  im  anderen  M  -;  so  wäre  der  Ausdruck  M  .,-  -f-  M  (—  —  --]  = 
M    i   +   Am   4-. 

Der  gemischte  Astigmatismus  ersclicint  zusammengesetzt  aus  einer  einfachen 
Myopie  oder  Hypermetropie  und  einer  astigmatischen  Abweichung  der  entgegengesetzten 

Art;  der  Ausdruck  ist  also  M  -  -|-  A  h  — ,  oder  H  ^-  -|-  Am  -  .  Die  astigma- 
tische Abweichung  Ah  oder  Am  wird  hier  durch  Addirung  der  Brechzustände  ge- 


822  Astigmatismus ;  Ursaclien  ;  Verlauf;  Angeborener  Astigmatismus. 

Wonnen,  weil  der  Fernpunktabstand  bei  Hypermetropie  gegenüber  jenem  der  Myo- 
pie einen  negativen  Werth  hat.  Wäre  z.  B.  in  einem  Hauptschnitte  M  — ,  im 
anderen  H  — ,  so  wäre  der  Ausdruck  für  die  astigmatische  Abweichung  Ah  =  ~  — 
( —  ^^J  =  -Y )  die  Refractionsanomalie  würde  also  bezeichnet  werden  müssen 
M   Y^    +  A  h  -—  (Bonders). 

Ursachen  und  Verlauf.  Der  Astigmatismus  ist  keine  ganz  seltene 
Krankheit,  sondern  findet  sich  bei  etwa  0*2%  aller  und  bei  l"3"/o  ametropischer 
Kinder  {H.  Cohn).  Er  wird  in  der  Regel,  wenigstens  in  seiner  Anlage, 
mit  auf  die  Welt  gebracht,  kann  sich  jedoch  auch  in  Folge  mannigfaltiger 
krankhafter  Vorgänge  in  späteren  Lebensperioden  entwickeln. 

1 .  Der  angeborene  Astigmatismus  ist  meistens  auf  Meridianasymmetrien 
der  Cornea  zu  beziehen ;  doch  stösst  man  auch  auf  hochgradige  Fälle, 
welche  vorwiegend  von  Kriimmungsanomalien  des  Krystalles,  ja  förmlichen 
Knickungen  der  Linsenoberfläche  abhängen  {Knapp).  Die  Asymmetrie 
erweiset  sich  öfters  als  ein  erblicher  Zustand,  indem  er  bei  mehreren  Gliedern 
einer  und  derselben  Familie  gefunden  wird.  Es  scheint,  dass  er  bei 
männlichen  Individuen  öfters  als  bei  weiblichen  vorkomme.  Er  ist  gewöhn- 
lich beiderseitig  und  dann  nicht  immer  auf  beiden  Augen  in  gleichem  Grade 
entwickelt;  mitunter  jedoch  beschränkt  er  sich  auch  auf  Ein  Auge  und 
kann  dabei  sehr  hohe  Grade  erreichen,  so  dass  eine  Amblyopie,  vorgespiegelt 
wird.  Merkwürdig  ist,  dass  bei  solchen  Verschiedenheiten  im  Baue  beider 
Augen  nicht  selten  eine  autfällige  Asymmetrie  in  der  Bildung  der  oberen 
Gesichtshälfte,  insonderheit  jener  Knochen  beobachtet  wird,  welche  die  Orbita 
umgrenzen   (Donders). 

Gleich  der  Bathymorphie  und  besonders  der  Plathymorphie,  mit 
welcher  letzteren  der  angeborne  Astigmatismus  am  häufigsten  gepaart  ist 
{Pagenstecher,  Tetzer),  wird  die  SeJistörung  oft  erst  in  den  späteren  Kindes- 
jahren bemerkt.  So  lange  die  Accommodation  noch  eine  sehr  leichte  ist, 
wird  der  Fehler  weniger  fühlbar  und  bei  geringeren  Meridianasymmetrien 
wohl  gar  übersehen.  Wenn  dann  aber  im  reifen  Alter  die  Accommodations- 
breite  mehr  und  mehr  abnimmt,  werden  selbst  niedere  Grade  des  abnormen 
Astigmatismus  in  der  missUchsten  Weise  empfunden  und  führen,  wenn 
sie  binoculär  sind,  gerne  zur  Asthenopie,  da  sie  den  Kranken  behufs  des 
Scharfsehens  zwingen,  die  Objecte  näher  zu  halten,  als  dem  allgemeinen 
Einstellungsverhältnisse  der  Augen  entspricht.  Ist  nur  auf  eijiem  Auge 
ein  höherer  Grad  von  Astigmatismus  gegeben,  so  sind  die  Folgen  nicht 
selten  Vernachlässigung  des  Auges  und  weiterhin  Amblyopia  ex  anopsia  oder 
Strabismus  (Javal),  also  ähnlich  denen,  welche  durch  andere  monoculare 
Sehstörungen  begründet  werden.  Im  höheren  Alter  wird  vermöge  der 
Enge  der  Pupille  der  Astigmatismus  gerne  gedeckt,  sonst  aber  nicht  wesent- 
lich verändert   (Donders). 

2.  Erworben  wird  der  Astigmatismus  durch  krankhafte  Vorgänge  in 
der  Hornhaut  und  Linse,  ist  dann  aber  meistens  ein  in  hohem  Grade  un- 
regelmässiger und  gehört  nicht  hierher  (S.  776).  Auch  ist  Ectopie  und 
spontane  Luxation  der  Linse  manchmal  eine  Quelle  des  irregulären  Astig- 
matismus. 


Astigmatismus  nach  Staarextractioneu ;  Behandlung;  Correction.  823 

Die  geioöhnlichste  Quelle  des  erworbenen  Astigmatismus  ist  die 
Staarextraction.  Die  nach  einer  solchen  Operation  vorfindige  astigmatische  Diffe- 
renz wechselt  in  allen  Grössen  bis  hinauf  zu  Y,;  und  darüber.  Sie  ist  dem  Grade 
nach  vornehmlich  abhängig  von  der  mehr  minder  exacten  Wundheilung,  pflegt 
darum  auch  am  bedeutendsten  zu  sein,  wo  es  zu  einem  Prolapsus  iridis  ge- 
kommen ist.  Mit  der  späteren  Zusammenziehung  der  Narbe  nimmt  in  der 
Regel  die  astigmatische  Differenz  wieder  ab,  ohne  jedoch  jemals  ganz  zu 
verschwinden.  Der  Meridian  der  grössten  Krümmung  ist  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  horizontal,  nicht  selten  schräg,  nur  höchst  ausnahmsweise  nahe 
zu  vertical  gestellt.  Die  Verhältnisse  haben  sich  demnach  durch  die  Ope- 
ration der  Norm  gegenüber  verkehrt.  Im  Uebrigen  ist  die  Methode  der 
Extraction  von  grösstem  Einflüsse  auf  die  Art  und  den  Grad  der  Asymmetrie. 
Nach  der  Lapjpenextraction  scheint  im  Allgemeinen  die  astigmatische  Diffe- 
renz eine  grössere  zu  sein  und  auch  häufiger  ein  irregulärer  Astigmatismus 
vorzukommen,  als  nach  der  Extraction  mit  dem  peripheren  Linearschnitte. 
Irisvorfülle  sind  bei  einer  und  der  anderen  Methode  auch  insoferne  sehr  ver- 
derblich, als  sie  sehr  starke  Unregelmässigkeiten  in  die  Asymmetrie  bringen 
{Reuss,    Woinow^, 

Die  Behandlung  folgt  im  Ganzen  denselben  Grundsätzen  und  ist  zum 
Theile  wohl  auch  auf  ähnliche  Mittel  angewiesen,  wie  jene  der  beiden  früher 
erörterten  Eefractionsanomalien. 

1 .  Es  gilt  dieses  besonders  bezüglich  der  prophylaktischen  Massregeln 
(S.  791,  807),  um  so  mehr,  wenn  der  Astigmatismus  an  Kurz-  oder  Langhau 
des  Auges  geknüpft  ist,  was  bei  höheren  Graden  der  Meridianasymmetrie 
in  der  Regel  der  Fall  ist.  Die  astigmatische  Sehstörung  steigert  dann  die 
der  Kurz-  und  Uebersichtigkeit  anhängenden  Gefahren  und  fordert  darum 
zu  doppelter  Vorsicht  auf. 

2.  Die  Hauptaufgabe  zielt  ofi'enbar  dahin,  die  Refractionszustände 
sämmtlicher  Meridianebenen  des  astigmatischen  Auges  auf  Null  zu  bringen  und 
es  diesem  zu  ermöglichen,  in  jede  beliebige  Entfernung  mit  der  normalen 
Accommodationsquote  scharf  und   deutlich  zu  sehen. 

Um  sich  diese  Aufgabe  recht  klar  zu  machen,  thut  man  gut,  den 
Refractionsfehler  in  zwei  Theile  zu  zerlegen,  nämlich  in  die  astigmatische 
Grundlage  und  in  die  astigmatische  Differenz.  Unter  der  astigmatischen 
Grundlage  sei  der  Refractionszustand  des  Grundmeridianes,  d.  i.  der  der 
Emmetropie  am  nächsten  siehenden  Meridianebene  verstanden.  Der  Refrac- 
tionszustand eines  jeden  beliebigen  Meridianes  lässt  sich  dann  als  die  Summe 
der  astigmatischen  Grundlage  und  des  Productes  aus  der  astigmatischen 
Differenz  und  aus  dem  Sinus  des  Winkels  bezeichnen,  welchen  der 
betreffende  Meridian  mit  dem   Grundmeridiane  einschliesst   (S.    7  76). 

Die  Correction  der  astigmatischen  Grundlage  erfordert,  indem  diese 
Grundlage  ein  Theil  des  Refractionszustandes  eines  jeden  beliebigen  Meri- 
dianes ist,  also  in  jedem  Meridiane  ausgeglichen  werden  muss,  ein  sphäri- 
sches Glas,  dessen  Zeichen  dem  der  astigmatischen  Grundlage  entgegenge- 
setzt ist.  Für  die  Wahl  des  Brechwerihes  dieser  sphärischen  Linse  gelten 
ganz  genau  dieselben  Gesetze ,  welche  bei  der  Correction  einer  einfachen 
Myopie  und  Hypermetropie  mit  und  ohne  Accommodationsbeschränkung  in 
Kraft  stehen.  Wo  die  Correction  eine  volle  sein  darf,  wird  der  Brech- 
werth     des    sphärischen    Glases    der    astigmatischen     Grundlage    an    Grösse 


824  Astigmatismus  :  Behandlung ;  Corrigirende  Brillen  ;  C'ylindergläser. 

gleich,  aber  von  entgegeugesetztem  Zeichen  sein  müssen;  oder  wenn  man 
den  uothweudigen  Abstand  des  Glases  vom  optischen  Centrum  des  Auges 
in  Eechnung  bringt,  wird  die  Correction  eine  sphärische  Linse  erfordern, 
deren  positiver  oder  negativer  Brechwertk  gleich  ist  dem  reciproken  Werthe 
des  Fernpunktabstandes  des  Grundmeridiaues,  vermehrt  oder  beziehungsweise 
vermindert  um  den  Abstand  des  Glases  vom  Auge.  Gleichwie  bei  der 
einfachen  Kurz-  und  Uebersichtigkeit  treten  jedoch  auch  bei  deren  Combi- 
nation  mit  Astigmatismus  der  vollen  Correction  öfters  unübex'windliche 
Hindernisse  entgegen,  mau  muss  sich  damit  begnügen,  den  Eefractions- 
zustand  einfach  der  Null  zu  nähern,  dabei  den  Äccommodationsbeschränkun- 
gen  Rechnung  tragen  und  oft  wohl  auch  für  verschiedene  Distanzen  ver- 
schiedene Gläser  in  Gebrauch  ziehen.  Eine  ausführliche  Schilderung  die- 
ser Gesetze  wäre  nur  eine  Wiederholung  dessen,  was  bei  der  Kurz-  und 
Uebersichtigkeit  bereits  gesagt  wurde. 

Die  Correction  der  astigmatischen  Differenz,  welche  jetzt  noch  übrig 
ist,  soll  unter  allen  Umständen  eine  vollständige  sein.  Sie  fordert  selbst- 
verständlich ein  Glas,  dessen  Brechwerth  in  dem  einen  Meridiane  Null, 
in  dem  darauf  senkrecht  stehenden  Meridiane  jedoch  der  astigmatischen 
Differenz  gleich,  aber  von  entgegengesetztem  Zeichen  ist.  Diesen  Anforde- 
rungen entsprechen  positive  und  negative  Cgiindergläser,  deren  Axe  in  die 
Ebene  des  durch  das  sphärische  Glas  bereits  auf  Emmetropie  corrigirten 
Grundmeridianes  gestellt  wird. 

Wäre  ein  einfacher  Astigmatismus  gegeben,  so  wäre  der  erforderliche 
Brechwerth  der  sphärischen  Linse  selbstverständlich  Null,  es  genügte  also 
ein  einfaches  Cylinderglas,  dessen  Brechwerth  der  astigmatischen  Differenz 
gleich,   aber  von  entgegengesetztem  Zeichen  ist. 

Bei  zusammengesetztem  myopischen  oder  hypermetropischen  Astigmatismus 
bedarf  es  eines  sphärischen  Glases,  welches  die  astigmatische  Grundlage, 
soweit  es  die  Verhältnisse  vortheilhaft  erscheinen  lassen,  corrigirt,  und 
eines   Cylinderglases,  welches  die  astigmatische  Differenz  auf  Null  bringt. 

Die  Brechwerthe  der  beiden  Gläser  summiren  sich,  wenn  man  von  dem 
gegenseitigen  Abstände  ihrer  Centra  absieht.  Da  nun  zioei  Gläser  an  ihren  vier 
Flächen  viel  Licht  reflectiren  und  damit  die  Sehschärfe  beeinträchtigen,  ausserdem 
durch  ihre  Schwere  u.  s.  w.  lästig  werden,  ist  es  nothwendig,  die  cylindi-ische- und 
sphärische  Krümmung  je  auf  eine  Fläche  eines  einzigen  Glases  zu  concentriren.  Es 
ist  nun  der  Brechwerth  je  Einer  Krümmungsfläche  des  Glases,  dessen  Brechungs- 
exponent n  =:  1"5  angenommen  wird, —  =  °^-  =  -— ^,    also    r  =     \,     wo    r    den 

erforderlichen  Radius  der  betreffenden  Trennungsfläche  bedeutet.  Wäre  also  10" 
die  gewünschte  Brennweite  der  sphärischen  und  cylindrischen  Fläche,  so  müsste 
jeder  derselben  eine  Krümmung  von  5"  Radius  oder  10"  Durchmesser  gegeben 
werden.   (S.  774). 

Bei  dem  gemischten  Astigmatismus  ist  die  Combination  einer  sphäri- 
schen und  einer  cylindrischen  Fläche  im  Correctionsglase  nur  dann  von 
Vortheil ,  wenn  der  Refractionszustand  des  einen  Hauptmeridianes  sich 
nicht  gar  iveit  von  der  Null  entfernt  und  dabei  die  astigmatische  Differenz 
eine  verhältnissmässig  geringe  ist.  Wo  beide  Hauptmeridiane  in  ihrem 
Brechzustande  sich  weit  von  der  Emmetropie  entfernen  und  daher  auch 
die  astigmatische  Differenz  eine  sehr  beträchtliche  ist,  würde  die  cylindrische 
Fläche  im  Verhältnisse  zur  sphärischen  und  absolut  eine  sehr  grosse  posi- 
tive oder  negative  Krümmung  erhalten  müssen,  was  gleichwie  bei  sphäri- 
schen Gläsern,  ja  in  höherem   Grade,  vom  Uebel  ist.     Es  erscheint  darum 


Uiivollkommenheiten  der  Correctioii;  Correcliüii  bei  irregul.  Astigm.  u.  Anisometropie.  825 

in  solchen  Fällen  besser,  die  Correction  der  astigmatischen  Differenz  auf 
beide  Glasflächen  zu  vertheilen,  also  jeden  einzelnen  Hauptraevidian  für  sich 
auf  Emmetropie  zu  corrigiren ,  d.  i.  der  einen  und  der  anderen  GlasÜäche 
je  eine  cylindrische  Krümmung  zu  geben,  deren  Brechwerth  dem  Itefrac- 
tionszustande  des  entsprechenden  Hauptmeridianes  an  Grösse  gleich,  aber 
von  entgegengesetztem  Zeichen  ist.  Die  Axen  der  beiden  Cylinderflächen 
haben  dann  selbstverständlich  senkrecht  aufeinander  zu  stehen  und  müssen 
so  vor  das  Auge  gestellt  werden,  dass  die  Axe  der  negativen  Cylinder- 
krümmung  in  den   hi/permetropischen  Hauptmeridian   und   umgekehrt  fällt. 

Die  Correction  des  Astigmatismus  tindet  bedeutende  Schioierigkeiten 
in  dem  Wechsel  der  astigmatischen  Differenz  bei  verschiedenen  Accommoda- 
tionszuständen  und  in  den  Schivankungen,  welche  die  Lage  der  Hauptme- 
ridiane bei  den  verschiedenen  Convergenzstellungen  der  Gesichtslinien  und 
besonders  bei  Lageveränderungen  der  Visirebene  erleidet.  Es  liegt  daher 
auf  der  Hand,  dass  eine  und  dieselbe  astigmatische  Brille  nicht  immer  mit 
gleichem  A^ortheile  für  grosse  Entfernungen  und  zugleich  auch  für  die 
Abstände  der  gewöhnlichen  Beschäftigung  benützt  werden  könne,  zumal, 
wenn  die  Asymmetrie  eine  beträchtliche  ist ;  dass  man  vielmehr  öfters  ge- 
zwungen sein  wird  ,  den  für  die  Ferne  und  für  die  Nähe  bestimmten 
Gläsern  verschiedene  Krümmungen  und  der  Axe  der  Cy linderfläche  eine 
verschiedene  Lage  zu  geben. 

Doch  bei  allen  diesen  Vorsichten  gelingt  es  gar  oft  nicht,  dem  Auge 
die  volle  normale  Sehschärfe  zu  geben.  Abgesehen  von  den  Unvollkommenhei- 
ten  jeder  Brille  und  abgesehen  von  etwaigen  Functionsmängeln  der  Netzhaut^ 
welche  mit  hohen  Graden  der  Asymmetrie  öfters  verknüpft  sein  mögen , 
kommt  der  Umstand  in  Betracht,  dass  starke  astigmatische  Differenzen  nur 
selten  ohne  beträchtliche  Unregelmässigkeiten  in  der  Krümmung  der  Horn- 
haut und  besonders  der  Linse  vorkommen. 

Der  unregelmässige  Astigmatismus  lässt  sich  eben  immer  nur  theil- 
weise,  d.  i.  in  so  weit  corrigiren,  als  er  auf  eine  reguläre  Meridianasym- 
metrie zurückgeführt  werden  kann. 

Allerdings  liegt  in  der  Verlagerung  der  Pupille  (S.  802)  ein  Mittel,  um 
namentlich  bei  pathologischen  Verkrümmungen  der  Cornea  durch  Abbiendung  der 
am  meisten  verkrümmten  Hornhauttheile  den  irregulären  Theil  des  Astigmatismus 
um  ein  sehr  Beträchtliches  zu  vermindern  und  so  die  Cylindergläser  zu  einem 
ausgiebigen  Correctionsbehelfe  zu  gestalten.  Doch  hat  eben  diese  Operation  ihre 
Gefahren  und  lässt  ihre  Ausführung  sehr  bedenklich  erscheinen. 

Die  UnvoUkommenheiten,  welche  den  Brillen  überhaupt  anhängen,  und 
namentlich  die  Differenzen  in  der  Netzhautbildgrösse,  welche  der  nothwen- 
dige  Abstand  des  Glases  vom  optischen  Centrum  mit  sich  bringt  und 
welche  bei  Cgiindergläsern  in  den  verschiedenen  Meridianen  offenbar  ver- 
schieden sind,  lassen  die  Anwendung  astigmatischer  Brillen  nicht  empfeh- 
lenswerth  erscheinen,  wo  das  eine  Auge  emmetropisch  oder  doch  in  einem 
nicht  störenden  Grade  ametropisch  ist  und  Mos  das  andere  an  abnor- 
mem Astigmatismus  leidet.  Wo  hingegen  beide  Augen,  wenn  auch  in 
einem  differenten  Grade ,  astigmatisch  sind,  oder  wo  bei  binocularer,  der 
Correction  bedürftiger  Myopie  oder  Hypermetropie  das  eine  Auge  nebenbei 
astigmatisch  ist :  erscheint  der  Gebrauch  cylindrischer  Gläser  geradezu  ge- 
boten, um  den  aus  der  Sehstörung  resultirenden  Schäden  mit  einiger  Wahr- 
scheinlichkeit vorzubeugen.     Doch  ist  die  Frage,   ob  bei  differentem    Grade 


826  Astigmatismus;  Behandlung;  Gebrauctsregeln  für  Cylindergläser. 

des  Astigmatismus,  besonders  wenn  der  Unterschied  ein  grosser  ist,  jeseitig 
das  entsprechende  corrigirende  Glas  zu  wählen  sei,  nicht  von  vornherein 
zu  entscheiden.  Manche  vertragen  dies  durchaus  nicht,  manche  nur  zu 
bestimmten  Zwecken,  manche  hingegen  befinden  sich  dabei  ausnehmend 
wohl  (Javal). 

Im  Ganzen  sind  beim  Gebrauche  cylindrischer  Gläser  ganz  dieselben 
Vorschriften  zu  befolgen,  wie  beim  Gebrauche  sphärischer  Zerstreuungs-  und 
Sammellinsen  (S.  797,  3  und  S.  813),  ja  es  müssen  die  bei  einfacher  Myopie 
und  Hypermetropie  geltenden  Kegeln  bei  Astigmatismus  um  so  strenger  ge- 
handhabt werden,  als  Cj'ündergläser  ein  bei  weitem  unvollkommeneres  Cor- 
rectionsmittel  abgeben,   als  sphärische  Gläser. 

Eine  wichtige  Regel  bei  dem  Gebrauche  astigmatischer  Brillen  ist, 
dass  dieselben  fest  in  der  richtigen  Stellung  sitzen,  daher  als  Fassung  sich 
immer  nur  eigentliche  Brillengestelle  mit  federnden  Spangen  empfehlen.  Es 
ist  diese  Unverschieblichkeit  der  Brille  übrigens  auch  von  grosser  Wichtig- 
keit in  Bezug  auf  den  Abstand  des  Glases  vom  Auge.  Da  dieser  Abstand, 
namentlich  bei  concaven  Gläsern  und  wohl  auch  bei  starken  convexen, 
einen  sehr  fühlbaren  Einfluss  auf  die  Bildgrösse  nimmt  und  dieser  über- 
dies in  jedem  Meridiane  der  Cylinderfläohen  in  einem  anderen  V'erhältnisse 
wächst  und  fallt,  also  nothwendig  Verzerrungen  der  Bilder  mit  sich  bringt: 
so  ist  es  dringend  nothwendig,  ihn  so  klein  als  möglich  zu  machen,  die 
Gläser  also  thunUchst  nahe  an   das  Auge  gerückt  zu   erhalten. 

Damit  im  Zusammenhange  steht  auch  die  jSTothwendigkeit,  bei  Gläsern, 

deren   beide  Flächen  convex   oder  concav  sind,   immer  die  stärker  gekrümmte 

dem  Auge  näher,   also  nach  hinten,  zu  kehren ;    dort  aber,  wo   eine  Fläche 

convex,  die  andere  concav  ist,    die    letztere    dem  Auge  zuzuwenden.     Nicht 

minder  gilt  die  Kegel,   dass  die  Brille  mit  ihren  Flächen  möglichst  parallel 

zur  Pupillenebene  stehe. 

Quellen:  Gerson,  E.  G.  Fischer,  kl.  Monatbl.  1866.  S.  58;  A.  f.  O.  XII.  1. 
S.  27.  —  Airy,  nach  Mackenzie,  Traite  d.  mal.  d.  yeux.  Traduit  p.  Warlomont  et 
Testelin.  II.  Paris.  1857.  S.  652.  —  Knapp,  A.  f.  O.  VIII.  2.  S.  185,  209,  215,  220, 
223,  225,  228,  232,  234,  235,  236—241 ;  Congres  intern,    d'ophth.  Paris.  1863.  S.  42. 

—  Donders,  A.  f.  O.  VII.  1.  S.  176,  194,  200;  Astigmatismus  und  cyl.  Gläser. 
Berlin.  1862.  S.  30,  45,  62,  71,  89,  129;  Anomalien  der  Refract.  und  Acc.  Wien. 
1866.  S.  379,  381,  396,  403,  412,  413,  416,  424,  430,  432,  434,  447,  449,  451,  453. 

—  Middelhuvg,  Vierde  Jaarl.  Verslag.  Utrecht.  1863.  S.  149,  175,  187;  A.  f.  0.  X. 

2.  S.  96,  105;  kl.  Monatbl.  1863.  S.  496;  1864.  S.  245.  —  Schweigger,  A.  f.  O.  IX. 
1.  S.  178,  181,  182,  185;  Ueber  den  Gebrauch  des  Augenspiegels.  Berlin.  1864. 
S.  60.  —  JavaJ,  kl.  Monatbl.  1865.  S.  336,  339,  343,  344;  1868.  S.  372;  Ann.  d'oc. 
58.  Bd.  S.  50.  —  Hirschmann,  ibid.  S.  341.  —  Graefe,  ibid.  S.  342;  A.  f.  O.  I.  1. 
S.  341.  —  Buroio,  A.  f.  O.  IX.  2.  S.  228,  230;  Ein  neues  Optometer.  Berlin.  1863. 
S.  34.  —  Kugel,  A.  f.  O.  X.  1.  S.  89;  XI.  1.  S.  106.  —  Tetzer,  Wien.  Augenkl. 
Ber.  1867.  S.  155  u.  f.  —  Baase,  Pagenstecher's  kk  Beobachtgn.  III.  Wiesbaden. 
1866.  S.   113.    —    Svellen,  A.  f.  O.  XV.  2.  S.  199,  206.  —  DohrowoUky,  ibid.  XIV. 

3.  S.  51  u  f.;  kl.  MonatbL  1868.  Beil.  S.  146,  153,  157.  —  Reuss-Woinow,  Ophth. 
Studien.  Wien.  1869.  S.  4—6,  12—15,  20.  —  Prag,  Archiv  f.  Augen-  u.  Ohrenhlkd. 
I.  S.  147 ;  Astigmatismustafeln.  Herausgeg.  von  Heymann.  Leipzig.  1870.  — 
Mauthner,  Lehrb.  d.  Ophthscop.  1868.  S.  199.  —  H.  Cohn,  Untersuchg.  v.  10.060 
Schulkindern.  Leipzig.  1867.  S.  151. 


Accommodativo  Asthenopie;   Krankheitsbild;  Actuolle  u.  potentielle  Energie.  827 


4.  Die  accommodative  Asthenopie. 

Krankheitsbild.  Zum  Begriffe,  der  accommodativen  Asthenopie  gehören 
das  Unvermögen,  den  dioptrischen  Apparat  für  kurze  Distanzen  längere  Zeit 
eingestellt  zu  erhalten  und  eine  damit  im  Zusammenhange  stehende  Hyperästhesie 
der  Netzhaut  und  der   Ciliarnerven. 

1.  Das  Grundleiden  liegt  in  absolut  oder  relativ  (d.  i.  im  Ver- 
hältnisse zur  geforderten  Leistung)  mangelhafter  Energie  des  Accommoda- 
tionsmuskels . 

Wenn  von  Energiemangel  gesprochen  wird,  ist  wohl  zu  unterscheiden  zwi- 
schen der  actuellen  Energie,  welche  der  Muskel  entfalten  muss,  um  unter  Ueber- 
windung  von  Widerständen  sich  bis  zu  einem  gewissen  Grade  zu  verkürzen,  und 
zwischen  der  potentiellen  Energie,  welche  zur  Erhaltung  dieses  Zustandes  aufzuwenden 
ist.  Insoferne  nämlich  der  belastete  Muskel  vermöge  seiner  elastischen  Dehnbarkeit 
nachgibt,  muss  sich  seine  Contraction  allmälig  steigern,  um  die  mechanische  Ver- 
längerung wieder  auszugleichen.  Bei  einer  und  der  anderen  Art  der  Leistung  kann 
der  Muskel  bis  zur  Erschöpfung  ermüden  (Donders). 

Charakteristisch  ist  das  rasche  Ermüden  des  Accommodationsmuskels, 
wenn  es  sich  um  scharfe  jSTetzhautbilder  von  Objecten  handelt,  welche  ver- 
möge ihrer  Kleinheit  nahe  an  das  Auge  gerückt  werden  müssen.  Indem  der 
ermüdete  Muskel  nachUisst,  sicli  nach  und  nach  abspannt,  vermindert  sich 
natürlich  in  entsprechendem  Masse  di\Q  Convexität  der  Lzjjse,  die  Objecto  werden 
bei  unverändertem  Absianiie,  in  ivachsenden  Zerstreuungskreisen  und  unter  zuneh- 
mender Anstrengung  erkannt,  öfters  auch  wohl  verkleinert  gesehen  (S.  779). 
Der  Kranke  ist  in  Folge  dessen  gezwungen,  die  Gegenstände  mehr  und 
mehr  vom  Auge  zu  entfernen,  wodurch  wieder  die  'Netzhautbildgrösse  unter 
den  Bedarf  herabgesetzt  und  die  Deutlichkeit  der  Wahrnehmungen  beeinträch- 
tigt, also  auch  die  Arbeit  der  Netzhaut  vermehrt  wird.  Alsbald  macht  sich 
daher  der  Drang  nach  grösseren  Netzhautbildern  geltend,  der  Kranke  fühlt, 
sich  gezwungen,  die  Objectsdistanz  zu  verkürzen.  Es  dauert  indessen  nicht 
lange,  so  lässt  der  Acommodationsmuskel  wieder  nach,  die  Gegenstände 
müssen  abermals  vom  Auge  loeggerückt  werden,  und  so  geht  es  mit  immer 
rascherem  Wechsel  der  Abstände  fort,  bis  endlich  die  Netzhaut  im  steten 
Kampfe  mit  undeutlichen  und  zu  kleinen  Bildern  ermattet  und  gleich  dem 
Muskel  ihren  Dienst  versagt,  die  Objecto  demnach  vor  den  Augen  förmlich 
verschwimmen.  Die  Augen  bedürfen  dann  längerer  Ruhe,  ehe  sie  ihre  Thä- 
tigkeit  für  kurze  Distanzen  wieder  aufzunehmen  im  Stande  sind.  Doch 
hat  die  Functionsdauer  schon  sehr  abgenommen ;  in  sehr  kurzer  Zeit  wieder- 
holen sich  die  oben  erwähnten  Erscheinungen,  während  sich  gleichzeitig 
Symptome  von  Gefäss-  und  Nervenreizungen  einstellen.  Es  beurkunden  die- 
selben sich  anfänglich  durch  das  Gefühl  von  Druck  und  Völle  in  den 
Augen  sowie  durch  ein  eigenthümliches  Sjpannungsgefühl  in  der  Stirngegend. 
Wird  die  Arbeit  fortgesetzt,  so  steigern  sich  die  Gefühle  zu  wahren  Schmer- 
zen in  und  oberhalb  des  Auges  und  vergesellschaften  sich  alsbald  mit  einem 
höchst  peinlichen  Gefühle  von  Blendung.  Am  Ende  stellen  sich  auch'Äbp/- 
schmerz,  Schwindel,  allgemeines  Unbehagen,   selbt  Brechneigung  ein. 

Dabei  fehlen  selten  eine  sehr  starke  Contraction  der  Pupille,  auffäl- 
lige Injection  der   Conjunetiva  und  Episclera,   so   wie  reichlicher  Thränenfluss. 


828  Accom.  Astheuoifie  ;  Kraiikheitsliild  :  Ursaclien. 

Es  sticht  diese  Hyperämie  im  Ki-ankheitsbilde  nicht  selten  sehr  stark  her- 
vor nnd  combinirt  sich  weiterliin  sehr  gewöhnlich  mit  mehr  weniger 
reichlicher  Secretion  schleimig  eitriger  Producte,  einen  einfachen  Katarrh 
vorspiegelnd.  Es  widersteht  dieser  Zustand  häufig  allen  Mitteln,  wenn 
eben  nicht  die  Ueberbürdung  des  Accommodationsapparates  durch  Aufgeben 
der  betreffenden  Arbeit  oder  durch  richtig  corrigirende  Gläser  beseitigt 
wird.  In  Anbetracht  dessen  sollte  bei  längere  Zeit  bestehenden  und 
ohne  äussere  Veranlassung  aufgetretenen  Katarrhen  immer  auf  etwaige 
liefractions-  und  Accommodationsfehler  untersucht  werden.  Man  wird 
dadurch  manchen  Irrthümern  in  der  Diagnose  und  häufig  auch  einem 
missliebigen  Fehlschlagen   der  Therapie  vorbeugen. 

Ursachen.  Die  nächste  Veranlassung  geben  in  der  Regel  Ueherhürdungen 
des  Accommodationsmuskcls.  Doch  stellt  sich  das  üebel  durchaus  nicht  bei 
allen  Menschen  und  gleich  früh  ein,  wenn  auch  die  Anforderungen  dieselben 
sind.  Es  ist  eben  das  Arbeitsvermögen  des  betreffenden  Muskels  bei  ver- 
schiedenen Individuen  ein  sehr  wechselndes  und  sinkt  bei  manchen 
erweisbarer  Massen  tief  unter  den  normalen  Werth  {Graefc).  Sehr  häufig 
sind  solche  Insvfficienzen  schon  angeboren  oder  gar  vererbt,  daher  denn  auch 
die  Asthenopie  bei  sonst  gleichen  Bedingungen  in  manchen  Familien 
eine  ganz  unverhältnissmässig  grosse  Anzahl  von  Gliedern  befällt,  während 
sie  in  anderen  Famihen  gänzlich  fehlt  (Graefe).  Xicht  minder  werden 
Insufficienzen  erworben  und  finden  dann  ihren  Grund  meistens  in  erschöpfen- 
den Krankheiten,  Anaemie  u.  s.  w.  In  der  That  kömmt  es  unter  solchen 
Umständen  fast  regelmässig  zur  Asthenopie,  wenn  der  Kranke  sich  vor- 
zeitig beifallen  lässt,  seinen  Augen  erheblichere  Anstrengungen  zuzumu- 
then ;  doch  behebt  sich  das  üebel  leicht  wieder,  wenn  mit  fortschreitender 
Reconvalescenz  der  Muskel  erstarkt.  Endlich  kommt  als  ein  sehr  wich- 
tiges Moment  in  Betracht,  dass  auch  die  Grösse  der  Arbeit,  welche  gleiche 
Beschäftigungen  von  dem  Muskel  verlangen,  in  den  einzelnen  Fällen 
eine  sehr  verschiedene  ist,  insoferne  hier  die  Eefraciionszustände  der  Augen 
und  die  Widerstände,  welche  der  Muskel  bei  seiner  Verkürzung  findet,  sehr 
einÜussreich  sind.  ♦ 

Der  Accommodationsmuskel  muss  off'enbar  bei  übersichtigen  Augen  die 
grössten  Anstrengungen  machen ,  um  den  dioptrischen  Apparat  für  kurze 
Abstände  einzustellen.  Daher  liefern  denn  auch  Hypermetropen  bei  weitem 
das  üllergrösste  Contingent  der  vorkommenden  Fälle  von  accommodativer 
Asthenopie,  ja  Manche  behaupten,  dass  diese  Ki-ankheit,  wo  sie  rein  auftritt, 
fast  immer  an  Uebersichtigkeit  gebunden  sei  (Donders).  Es  entwickelt  sich 
hier  das  Uebel  am  häufigsten  nach  Ablauf  des  25.  Lebensjahres,  indem 
mit  zunehmender  Dichtigkeit  der  Linse  die  Resistenz  derselben  gegen 
accommodative  Formveränderungen ,  also  auch  die  für  eine  bestimmte 
Beschäftigung  erforderliche  Accommodationsquote  wächst.  Bei  höheren  Graden 
des  Refractionsfehlers  tritt  die  Asthenopie  indessen  auch  wohl  viel  zeitlicher, 
selbst  vor  der  Pubertätsperiode  auf. 

Im  Allgemeinen  kann  man  sagen,  dass  es  meistens  um  so  früher  zur  Asthe- 
nopie komme,  je  höher  der  Grad  der  Hypermetropie  ist.  Wenn  aber  als  Regel 
hingestellt  wird,  dass  das  Lebensjahr,  in  welchem  Asthenopie  sich  geltend  macht, 
ziemlich  dem  Nenner  des  Bruches  entspricht,  durch  welchen  die  bedingende  Hyper- 
metropie bezeichnet  wird  (Donders) .-  so  muss  dies  mit  grossem  Rückhalte  aufge- 
nommen werden,  indem  die  Ausnahmen  zu  zahlreich  und  schlagend  sind.  In  der 
That  stösst  man  gar  nicht  selten  auf  Fälle,    wo  Hypermetropen  von  1/24»    V20)   Vis» 


Begünstigende  Verhältnisse;  Verlauf;  Ausgänge.  829 

ja  von  '/'g,  erst  mit  50  Jahren  und  spjiter  wegen  beginnender  Angenniüdigkeit  zu 
Brillen  greifen,  naelidem  sie  sich  schon  früher  viel  mit  Lesen,  Schreiben  u.  s.  w. 
beschäftigt  haben.  Es  wirken  bei  der  Begründung  der  Asthenopie  eben  gar  mannig- 
faltige andere  Umstände  mit. 

Bei  Emmetroprn  und  Kurzsichtigen  kömmt  dio  accommodafwe  Asthenopie 
im  Ganzen  sehr  selten  vor,  da  oben  nur  jvenige  Boseliäftigungen  so  grosso 
Accommodatiousquoten  fordern,  dass  die  J^eistungsfähigkeit  des  Adaptions- 
muskels "leicht  überboten  würde.  Sichergestellt  sind  jedoch  derlei  Augen 
auch  nicht,  es  bedarf  bei  ^^orhandousein  von  I\[uskt']insufficienz  nur  ungün- 
stiger Verhältnisse,  um  die  Krankheit  hervorzurufen.  A'ornehmlicli  belang- 
reich erscheint  in  dieser  Beziehung  bei  Kurzsichtigen  das  Tragen  zu  scharfer 
Zerstreuungsgläser  und  die  Benützung  von  Brillen  für  Phitfei'nungen,  welche 
xceit  in  die   deutliche  Sehweite  hineinragen   (S.    798). 

Zu  den  Verhältnissen,  welche  bei  gegebenem  Energiemangel  des  Ciliarmnskels 
gerne  zur  Asthenopie  führen,  gehören  unter  anderen:  die  Bearbeitung  sehr  kleiner 
Gegenstände,  zarte  Stickereien,  Nähtereien,  Malereien,  das  Lesen  sehr  kleiner  oder 
schlechter  Druck-  und  Handschriften,  besonders  wenn  die  Entzifterung  des  wahren 
Sinnes  die  genaue  Wahrnehmung  gewisser  feiner  Zeichen,  durch  welche  sich  die 
einzelnen  Buchstaben  von  einander  unterscheiden,  nothwendig  und  das  durch  Uebung 
erreichbare  Vermögen ,  in  Zerstretiungskreisen  zu  lesen ,  luizulänglich  machen.  Un- 
bestimmte Contouren,  matte  Färbung,  geringe  Contrastirung  von  der  Unterlage, 
mangelhafte  Beleuchtung,  überhaupt  alles,  was  die  Deutlichkeit  der  Netzhaulhilder 
beeinträchtigt  und  eine  loeitere  Verkth-zung  der  Objectsdistanz  erforderlich  macht, 
also  ganz  besonders  abnormer  Astigmatismus  f Pagenstecher ,  Dobroioolski/J ,  steigert 
natürlich  die  Anstrengung  der  genannten  Muskeln  und  beschleunigt  deren  Ermüdung^ 
begünstigt  also  das  Auftreten  der  Asthenopie.  Ausserdem  ist  ein  fortgesetzter  rascher 
Wechsel  in  den  Entfernungen,  für  welche  das  Auge  sich  einzustellen  hat,  z.  B.  beim 
Excerpiren  von  Folianten,  beim  Vergleichen  von  langen  Zift'erreihen  mit  ihrer  Ab- 
schrift u.  s.  w.  ein  belangreiches  ätiologisches  Moment  und  zwar  kömmt  hier  vor- 
zugsweise die  actuelle  Energie  des  Ciliarmnskels  ins  Spiel. 

Mcht  immer  jedoch  ist  es  ein  absolutes  Uebermass  von  Arbeit,  was 
die  asthenopischen  Beschwerden  hervorruft,  sondern  häufig  geben  plötzliche 
und  gewaltsame  Störungen  der  eingewurzelten  Coordinationsverhaltnisse  die 
hauptsächlichste  oder  einzige  Veranlassung  dazu  ab.  T-']ine  solche  Stöi'ung 
findet  ,  statt,  wenn  bei  den  gewöhnlichen  Beschäftigungen  plötzlich  die 
bisher  gewohnten  Brillen  abgelegt,  oder  aber  das  bisher  unbewaffnet  ge- 
bliebene Auge  mit  Gläsern  versehen  wird,  welche  den  Refractionsfehler 
und  die  etwaige  Accommodationsbeschränkung  voll  oder  gar  im  Uebermasse 
corrigiren.  In  anderen  Fällen  wird  die  Veranlassung  zu  den  Beschwerden 
gegeben :  durch  den  Umtausch  der  gewohnten  Brillen  gegen  bedeutend 
stärkere  oder  schtvächere,  gleichviel  ob  die  ersteren  oder  die  letzteren  die 
für  den  speciellen  Fall  entsprechenden  sind ;  durch  unrichtige  Stellung  der 
Gläser  zum  Auge ;  durch  fehlerhafte  Benützung  der  Brillen  u.  s.  w.  Wenig- 
stens bedarf  es  unter  solchen  Umständen  nur  des  Hinzutretens  äusserer 
imgünstiger  Verhältnisse,  um  Beschäftigungen,  welche  ein  anhaltendes  Sehen 
in  kurze  Distanzen  erfordern,  zu  einer  Quelle  der  Asthenopie  zu  machen. 

Verlauf  und  Ausgänge.  Im  Beginne  der  Krankheit  tritt  der 
ganze  Symptomencomplex  nur  hervor,  wenn  der  Accommodatiousmuskel 
zu  ungewohnten  oder  überhaupt  beträchtlichen  Anstrengungen  gezwungen 
wird,  oder  die  Coordinationsverhaltnisse  desselben  eine  erhebliche  Stöx'ung 
erleiden  und  die  Intensität  der  einzelnen  Ei'scheinungen  steht  im  Verhält- 
nisse zur  Grösse  und  Dauer  der  den  Theilen  auferlegten  ungewohnten  Ar- 
beit.  Bei  fortgesetzter  forcirter  Arbeit  jedoch  werden  sehr  bald  die  Nerven- 


830  Acc.  Asthenopie;  Verlauf;  Ausgänge;  Behandlung;  Prophylaxis;  Prismen. 

Symptome  dauernd,  es  verfolgt  den  Kranken  unaufhörlich  das  Gefühl  der 
Blendung  und  schon  eine  geringe  Bethätigung  des  Sehorganes,  selbst  beim 
Fixiren  ferner  Gegenstände,  genügt,  um  heftige  Schmerzen  im  Auge  und 
seinen  Umgebungen  hervorzurufen,  die  Asthenopie  gewinnt  mehr  und  mehr 
den   Charakter   einer  retinocüiaren  Hyperästhesie. 

Die  accommodative  Asthenopie  ist  der  Heilung  fähig.  Es  lässt  sich 
diese  mit  der  verhältnissmässig  grössten  Sicherheit  anhoffen  in  jenen  Fällen, 
in  welchen  nicht  sowohl  ein  wirklicher  Energiemangel  die  Ursache  des 
Leidens  abgibt,  als  vielmehr  ein  absolutes  oder  relatives  Uebermass  geforderter 
Leistungen.  Eben  so  ungünstig  ist  die  Vorhersage  dort,  wo  Krankheiten 
und  darin  begründete  allgemeine  oder  locale  Schwächezustände  das  Arbeits- 
vermögen der  betreffenden  Muskeln  herabgesetzt  und  im  Vereine  mit  Ueber- 
bürdungen  den  Grund  zur  Asthenopie  gelegt  haben.  Unter  ausreichender 
Schonung  pflegen  sich  die  Theile  in  nicht  langer  Zeit  so  weit  zu  erholen, 
dass  das  Sehorgan  gemässigten  Anforderungen  ganz  gut  zu  entsprechen 
vermag.  Immerhin  geschieht  es  jedoch  in  derartigen  Fällen  nicht  gerade 
selten,  dass  ein  gewisser  Grad  von  Insufficienz  zurückbleibt,  und  dann  weiter- 
hin jedwede  Ausschreitung  mit  der  Rückkehr  asthenopischer  Beschwerden 
bestraft.  Wo  der  Entwickelung  der  Asthenopie  von  vorneherein  ein  gewisser 
Energiemangel  zu  Grunde  lag,  kehrt  das  Auge  nimmer  zur  normalen  Func- 
tionsdauer  zurück,  es  bedarf  zeitlebens  gewisser  Behelfe,  welche  das  Mass 
der  Arbeit  bei  den  gewohnten  Beschäftigungen  je  nach  Erforderlichkeit 
herabsetzen,   dem  gegebenen  Kräftezustande  anpassen. 

Behandlung.  Die  erste  und  wichtigste  Aufgabe  zielt  darauf  hin, 
die  Ausbildung  des  Leidens  zu  verhüten.  }iei  richtiger  Erkenntniss  der  nächsten 
Ursachen  der  Muskelüberbürdung  ist  dies  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  nicht 
sehr  schwierig,  vorausgesetzt,  dass  der  Kranke  sich  dem  Arzte  stellt,  so- 
bald sich  die  Erscheinungen  der  verminderten  Functionsdauer  geltend  zu 
machen  beginnen  und  dass  er  auch  in  der  Lage  ist,  den  von  den  Umständen 
gestellten  Forderungen  nachzukommen. 

Oefters  genügt  es,  die  äusseren    Verhältnisse,   unter  welchen  eine  Arbeit 

durchgeführt  wird,  zu  verbessern,  um  die  Functionsdauer  der  Muskeln  auf 

das  Normale  zu  heben. 

Insoferne  wird  es  nicht  selten  nothwendig,  die  Stellung  des  Kranken  zur  Licht- 
quelle zu  bericlitigen,  7ai  geringe  Beleuchtungsinlensitäten  durch  Verstcärkung  der  künst- 
lichen Lichtquelle  oder  durch  Wahl  günstigerer  Arbeitslocalitäten  auf  das  noth- 
wendige  Mass  zu  erhöhen  u.  s.  w.  In  anderen  Fällen  ist  die  Stellung  des  Objectes 
zum  Auge  eine  falsche,  eine  zu  hohe,  oder  zu  tiefe,  oder  eine  seifliche,  z.  B.  beim 
Lesen  im  Bette,  und  muss  darum  geändert  werden  etc.  etc. 

Liegt  der  Grund  der  Ueberbürdung  aber,  und  dies  ist  die  Regel,  in 
einem  ungenügenden  Arbeitsvermögen  des  Accommodationsmuskels,  in  dessen 
Unfähigkeit  die  jeweiligen  Accommodationsquoten  aufzubringen  und  zu  er- 
halten, sei  es,  dass  eine  wirkliche  Muskelschwäche  oder  die  Widerstände, 
welche  der  ^luskel  findet,  oder  endlich  die  Refractionszustände  des  Auges 
die  Schuld  tragen :  so  ist  Anordnung  x^assender  Gläser  dringendes  Gebot. 
Die  Regeln  für  die  Wahl  derselben  sind  bereits  in  den  früheren  Abschnitten 
genau  erörtert  worden. 

Wo  Störungen  der  natürlichen  Coordinationsverhälfnisse  die  nächste  Ver- 
anlassung zur  Asthenopie  sind,  wird  es  häufiger  nothwendig  sein,  die  nach 
Bedarf    corrigirenden     Gläser  mit  Prismen  zu  combiniren,  um  so    mehr,    als 


Verfahren  bei  retinaler  Hyperästhesie;  Accommodationsparesen.  831 

bei  bereits  entwickelter  Hyperästhesie  der  Tlieile  jede,  auch  die  geringste 
Beirrung  der  Coordinationsverhältnisse  absolut  unverträglich  zu  sein  pflegt 
(S.   811). 

Wo  die  Asthenopie  mit  einer  sehr  starken  ciliaren  und  retinalen  Hyper- 
ästhesie einhergeht,  hat  man  gerathen,  den  corrigirenden  sphäi'ischen  und 
beziehungsweise  prismatischen  Gläsern  eine  bläuliche  Färbung  zu  geben 
(Böhm,  Graefe).  Doch  ist  der  Nutzen  dieses  Verfahrens  in  der  Kegel  ein 
sehr  zweifelhafter.  Meistens  verbietet  sich  vorerst  jeder  Versuch,  die  Augen 
auch  nur  einigermassen  zum  anhaltenden  Nahesehen  verwendbar  zu  machen 
und  straft  sich  jedesmal  mit  unerträglicher  Steigerung  des  ohnehin  höchst 
peinlichen  Leidens ;  der  Kranke  ist  absolut,  auch  unter  den  sonst  günstig- 
sten Verhältnissen,  ausser  Stande  etwas  zu  leisten,  was  das  Sehen  in  kurze 
Distanzen  erfordert.  Es  zielt  dann  die  Hauptaufgabe  auf  vorläufige  Be- 
schwichtigung des  nervösen  Erregungszustandes.  Das  Mittel  dazu  liegt 
in  der  Beobachtung  einer  strengen  Augendiät,  in  der  Vermeidung  jeder  stärkeren 
Bethätigung  des  Sehorganes.  Auch  wird  der  methodischen  Anwendung  des 
Atropins  und  der  damit  gesetzten  völligen  Entspannung  des  Accommodations- 
muskels  eine  überaus  heilsame  Wirkung  zugeschrieben  (Donders,  Dobro- 
lüolsky).  Ist  dann  die  Empfindlichkeit  der  Netzhaut  und  Ciliarnerven  ge- 
sunken, so  ist  es  Zeit,  die  Sehversuche  mit  richtig  corrigirenden  Gläsern 
aufzunehmen.  Anfänglich  müssen  diese  Versuche  nur  ganz  kurze  Zeit 
dauern  und  in  grossen  Zwischenpausen  vorgenommen  werden.  In  dem 
Masse  aber,  als  die  Verträglichkeit  der  Augen  gegen  solche  Bethätigungen 
wächst,  wird  durch  zunehmende  Häufigkeit  und  Dauer  der  Versuche  die 
Aufgabe   gesteigert,   bis  mau  zum   Ziele   gelangt  ist. 

Quellen:  Stelhuag,  Sitzungsber.  d.  Wien.  k.  Akad.  d.  Wiss.  XVI.  S.  245,  264, 
265.  —  Graefe,  A.  f.  O.  II.  1.  S.  169.  —  Donders,  ibid  IV.  1.  S.  329,  332,  334; 
VI.  1.  S.  78,  81,  83,  95,  97-,  Anommal.  der  Ref.  u.  Ace.  Wien.  1866.  S.  217.  — 
Pagenstecher,  kl.  Beob.  II.  S.  36;  III.  S.  90,  120.  —  Dobrowolskij,  A.  f.  O.  XIV. 
3.  S.  53,  61,  75,  80;  kl.  iMonatbl.  Beit.  1868.  S.  114—118.  —  Mannhardt,  ibid. 
XV.  1.  S.  288.  —  Tetzer,  Wien,  Augenklinik,  ßer.  S.  157.  —  Böhm,  Die  Therapie 
d.  Auges  mittelst  farbigen  Lichtes.  Berlin.  1862.  S.  203—236.  —  Schirmer,  kl. 
Monatbk  1867.  S.  114. 


5.  Accommodationsparesen. 

Krankheitsbild.  Charakteristisch  ist  das  Hinausrücken  des  Nahe- 
punktes, dessen  Annäherung  an  den  Fernpunkt,  also  die  Verminderung  oder 
gänzliche   Aufhebung  der  Accommodationsbreite. 

Schon  bei  niederen  Graden  der  Parese  macht  sich  die  Schwierigkeit, 
ausgiebige  accommodative  Wirkungen  aufzubringen,  oder  gar  eine  Zeit  lang 
zu  erhalten,  in  sehr  autfälligem  Masse  geltend ;  das  Auge  fühlt  sich  bei 
derlei  Versuchen  alsbald  beirrt,  seine  Einstellung  beginnt  zu  schwanken 
und  in  Kurzem  lässt  der  Muskel  nach.  Nicht  selten  wird  nebenher  auch 
Mikropsie  (S.  7  79)  beobachtet.  Bei  höheren  und  höchsten  Graden  der  Parese 
ist  das  Einstellungsvermögeu  fast  oder  ganz  vernichtet ,  die  deutliche  Seh- 
weite ist  auf  die  längste  Accommodationslinie  beschränkt,  deren  Länge  und 
Lage  selbstverständlich  je  nach  dem  natürlichen  Refractionszustande  des  Auges 
wechselt.     Dieser    selbst    erweiset    sich    häufig    um    ein  sehr  Beträchtliches 


332  Acconunodationsparesen ;  Krantheitsbild :  Ursachen. 

vermindert,  viele  Augen  werden  geradezu  hypermefropisck,  welche  es  früher 
nicht  waren,  und  ihr  natüi-licher  Brechzustand  hebt  sich  wieder,  nachdem 
die  Lähmung  zur  Heilung  gekommen  ist  (Jacobson,  Höring,  Pagenstecher, 
DondersJ. 

Bisweilen  steht  die  Accommodationsparese  völlig  rein  da,  die  Pupille 
liat  ihre  normale  Weite  behalten  und  reagirt  lebhaft  auf  reflectonsche  Reize, 
ihre  Bewegungen  sind  nur  bei  den  accomrnodativen  Innervationen  sehr  träge 
oder  XuU.  Myopen,  welche  bei  ihren  gewöhnlichen  Beschäftigungen  nur 
einen  kleinen  Theil  oder  nichts  von  ihrem  Einstellungsvermögen  aufzuwenden 
haben  und  auch  keine  corrigirenden  Gläser  benützen,  pHegen  dann  nur 
eine  sehr  geringe  oder  keine  Sehstörung  zu  erleiden.  Emmetropen  hin- 
gegen und  noch  mehr  Uebersichtige  trifft  die  Beschränkung  oder  der  Weg- 
fall der  Adaption  beim  Xahesehen  sehr  hart,  ihre  Sehschärfe  ist  für 
kurze  oder  beziehungsweise  selbst  weite  Abstände  um  ein  Bedeutendes 
herabgesetzt  und  das  Bestreben,  diesen  Ausfall  durch  forcirte  Accommo- 
dationsarbeit  zu  decken,  führt   immer  rasch  zu   asthenopischen   Beschwerden. 

In  der  Regel  sind  nebenbei  auch  die  reflectorischen  Ii-isbewegungen 
gehindert,  die  Pupille  reagirt  auf  Lichtreize  u.  s.  w.  wenig  oder  gar  nicht 
und  beharrt  in  einem  Zustande  mittlerer  Erweiterung,  die  Accommodations- 
parese geht  mit  Mydriasis  (siehe  diese)  einher.  Die  Sehstörung  ist  dann 
unter  allen  Umständen  eine  sehr  autfällige.  Dazu  kommen  sehr  häufig 
noch  Lähmungen  der  äusseren,  vom  Oculomotorius  beherrschten  Augen- 
muskeln, ja  nicht  selten  erstreckt  sich  die  Paralyse  über  den  Ausstrahlungs- 
bezirk mehrerer  Gehirn-  und  Rückenmarksnerven,  das  Krankheitsbild  wird 
ein  sehr  complicirtes. 

Ursachen,  ilan  unterscheidet  eigentliche  Paresen,  welche  ihren  Grund 
in  Functionsstörungen  der  betreffenden  motorischen  Nerven  finden  und  andere, 
welche  auf  pathologischen  Veränderungen  des  Mxiskels  selbst  und  seiner 
Hüllen  fussen. 

1 .  Wo  eine  wahre  Accommodationslähmung  ganz  allein  dasteht,  kann 
die  Ursache  offenbar  nur  eine  centrale  sein  und  muss  auf  die  entsprechenden 
Nerven  an  einem  Punkte  wirken,  an  welchem  sich  dieselben  mit  den  mo- 
torischen Zweigen  des  Sphincter  pupillae  noch  nicht  zu  einem  gemein- 
samen Stämmchen  vereinigt  haben.  Im  Falle  die  Accommodationslähmung 
mit  Mydriasis  gepaart  auftritt,  kann  die  Leitungshemmung  eben  so  wohl 
eine  centrale  sein,  als  auf  das  Ganglion  ciliare  und  die  kurze  Wurzel  des- 
selben, oder  auf  die  intraoculären  Ganglien  einwirken.  Wo  hingegen  die 
Accommodationsparese  und  Mydriasis  blos  Theilerscheinungen  einer  über 
grössere  Muskelbezirke  sich  erstreckenden  Functionsstörung  sind,  müssen 
krankhafte  Vorgänge  in  den  Stämmen,  beziehungsweise  in  den  Scheiden 
einzelner  oder  mehrerer  Nerven,  häufiger  aber  noch  pathologische  Zustände 
in  den  Centralorganen,  untergestellt  werden.  Es  kommen  hierbei  indessen 
nicht  blos  auffällige  materielle  ^'eränderungen  gewisser  Gehirn-  und  Rücken- 
markstheile  in  Betracht,  sondern  auch  weniger  manifeste  Alterationen,  wie 
selbe  unter  anderen  bei  der  Säufer- Dyscrasie,  in  den  späteren  Stadien  der 
ZuckeiTuhr  (Graefe,  Nagel),  bei  der  Uraemie,  bei  hochgradiger  Bleiintoxica- 
tion,  bei  Wurstvergiftung  (Höring)  und  Wechselfieber  (Mannhardt)  vermuthet 
werden. 


Accoinmodatioiisparoscn  bei  KiH'liiMicriiuii,  Ziiliiih'iilcii ;  l'iii'i-liU'  I;ähmungen.  83b 

Von  hervorragender  Wichtigkeit  ist  in  dieser  licziehung  der  epidemisch 
auftretende  Rachencroup  (Angina  diphtherica) ,  indem  sich  derselbe  in  man- 
chen Epidemien  ganz  imverhältnissmässig  häufig  mit  Accommodationslähmimg 
vergesellschaftet   (Donders^   Fagenatecker,   Benedikt,    Nagel ^   Siammeshaufi). 

Es  zeigen  sich  die  Lähmungserscheinungen  meistens  oder  immer  erst,  nach- 
dem der  Croup  sicli  der  Heilung  genähert  hat,  oder  vollständig  gewichen  ist, 
gewöhnlich  zwischen  der  3.-6.  Woche.  Sie  fehlen  in  i'cisch  verlaufendcsn  Fällen, 
so  wie  dort,  wo  bei  mehr  langsamem  Vorschreiten  der  Angina  der  Tod  in  Folge 
von  Nierenstörungen  eintritt  (Pagenstecher).  Am  meisten  ausgesetzt  sind  der  Accom- 
inodationsmu)skel  und  die  Bewegungsorgane  des  Gaumens  und  Schlundes.  Die  Acconi- 
modalionsparese  ist  in  manclien  Epidemien  mit  sehr  beträchtlicher  Verminderung 
des  natürlichen  Refractionszustandes  gepaart  (Jacobson,  Pagenstecher) ,  lässt  die 
Blendungsnerven  aber  gemeiniglich  unberührt,  so  dass  die  reßectorischen  Bewegungen 
der  Iris  regelmässig  von  Statten  gehen.  Die  Lähmung  des  Gaumensegels  bedingt 
die  Unfähigkeit,  den  Kachen  von  der  Nasenhöhle  abzuschliessen  und  behindert 
das  Sprechen ,  Schlingen  etc.  um  so  mehr,  als  häufig  Anästhesie  der  Gaumen-  und 
Schlundgegend  nebenbei  gegeben  ist  (Pagenstecher).  Reciit  oft  gesellen  sich  zur 
Accommodationsparese  auch  Lähmungen  einzelner  vom  Oculomoiorius  beherrschter 
Augenmuskeln.  Seltener  sind  die  Extremitäten  und  zwar  vorzugsweise  die  Strecker 
gelähmt,  bisweilen  mit  gleichzeitiger  Anästhesie.  Ausnahmsweise  finden  sich  auch 
Paresen  der  die  forcirten  Exspirationsheioegungen  leitenden  Nerven  (Pagenstecher). 
Die  diphtheritischen  Lähmungen  haben  bisher  immer  mit  Heilung  geendet ,  wenn 
das  Allgemeinleiden  nicht  den  Kranken  tödtet.  Doch  lässt  die  Accommodations- 
parese oft  lange  Zeit  asthenopische  Beschwerden  zurück.  Auch  hat  man  bisweilen 
Strabismus  convergens  in  Folge  der  Accommodationslälimung  auftreten  gesehen  (Don- 
ders,  Pagenstecher). 

Man  glaubt  eine  Allgemeinkranklieit  als  eigentlichen  Grund  der  localen 
Aftectionen  annehmen  und  die  Paralyse  aus  dem  Einflüsse  der  veränderten  Blut- 
mischung auf  die  Centralorgane  ableiten  zu  dürfen  (Donders).  Manche  halten 
dafür,  dass  es  sich  um  eine  Blutvergiftting  von  Seite  der  diphtlieritischen  Herde 
handle  und  machen  dafür  den  Umstand  geltend ,  dass  kräftige  Aetzungen  der 
letzteren  das  Mortalitätsverhältniss  günstig  gestaltet  und  die  Paralysen  seltener 
gemacht  haben  (Bretoneau).  Man  hat  jedoch  die  Accommodationsparesis  auch  ohne 
alle  diphtheritische  Erkrankung  bei  acuter  Anschuiellung  der  Snbmaxillar-  und  Cer- 
vicaldrüsen,  ja  bei  tiefen  Halsnarben  nach  Verschwärungen  scrophulöser  Drüsen- 
geschwülste beobachtet  (Graefe,  Remak).  Es  liegt  darum  sehr  nahe,  die  Parese 
der  verschiedenen  Nervengebiete  ähnlich  wie  bei  Morbus  Basedowi  auch  bei 
Diphtheritis  faucium  auf  Erkrankungen  des  Halssympathicus  und  davon  abhängige 
iimschriebene  paralytische  Gefässeriveiterungen  der  C'entralfheile  des  Gehirnes,  insbe- 
sondere der  Medulla  oblongata  (Steffan),  zurückzuführen.  Es  spräche  dafür  der 
Umstand,  dass  beim  Rachencroup  sich  gewöhnlich  Anschwellungen  an  den  beiden 
Unterkieferwinkeln  zeigen,  welche  Infiltrationen  des  Bindegewebes  zu  sein  scheinen 
und  ohne  Zweifel  auf  den  obersten  Halsknoten  rückwirken  können  (Remak).  Auch 
lässt  sich  dafür  die  öfter  nachweisbare  Empfindlichkeit  des  cervicalen  Grenz - 
Stranges  und  die  Heilwirkung  der  auf  letzteren  geleiteten  elektrischen  Ströme  ver- 
werthen  (Remak,  Benedikt). 

In  mehreren  Fällen  wurde  auch  eine  sehr  auftallige  Accommodationsbe- 
schräukung  bei  Zahnleiden  beobachtet  und  durch  die  Reflexwirkung  des  Trigeminus 
auf  die  vasomotorischen  Nerven  des  Gehirnes  erklärt.  Es  soll  dabei  der  Grad  des 
Schmerzes  für  das  leichtere  oder  schwerere  Zustandekommen  der  Paresis  von 
geringerer  Bedeutung  sein  und  das  Uebel  vorzüglich  bei  Individuen  zwischen  dem 
10.  bis  15.  Lebensjahre,  höchst  ausnahmsweise  jedoch  oder  gar  nicht  nach  dem 
30.  Lebensjahre  gefunden  werden  (H.  Schmidt).  Es  ist  hierbei  fraglich ,  ob  diese 
Accommodationsbeschränkungen  nicht  öfters  dadurch  zu  erklären  seien ,  dass 
energische  und  dauernde  Muskelanstrengungen  bei  Schmerzen  au  einem  beliebigen 
Körpertheile  überhaupt  sehr  erschwert  zu  sein  pflegen. 

2.   Der  Accommodationsmuskel  seihst  wird  unfähig ,   auf  entsprechende 
Nervenimpulse  mit  proportionaler  Kraft,   oder  überhaupt,  zu  reagiren :  durch 
entzündliche  Processe  und  deren  Ausgänge  in    Verbildung  und  Atrophie,  durch 
S  t  e  1 1  w  a  g ,  Augenlieilknmle.  53 


834  Accommodationspareseu ;  Behandlnng;  Mydriasis;  Krankheitstild. 

weit  gediehene  st7iile  Involution  (ß.  313)  und  in  Folge  dauernder  Unthütiy- 
keit  bei  Veruachlässiguug  des  Auges,  wie  dieses  z.  B.  bei  Strabismus  und 
überhaupt  bei  bedeutenderen  Functionsstörungen  des  einen  Auges  beobachtet 
wird.  Ausserdem  kommen  vom  praktischen  Standpunkte  aus  als  häufige 
Ursache  hochgradiger,  an  Paresen  streifender  Schivächezustände  des  Accom- 
modationsmuskels  schwere  und  tief  in  die  Yegetationsverhältnisse  des  ge- 
sammten    Organismus   eingreifende  Krankheiten  in  Betracht. 

Behandlung.  Im  Interesse  der  Causalindication  muss  dort,  wo  das 
Grundleiden  der  Therapie  zugänglich  ist,  natürlich  vor  allem  auf  dessen 
Heilung  oder  Besserung  hingewirkt  und  mittlerweile  eine  entsprechende 
Atigendiät  gehandhabt  werden.  Ist  der  krankhafte  Frocess  getilgt  und  bleibt 
der  Muskel  einigei'massen  geschwächt,  so  verspricht  die  Electricität  ohne 
Zweifel  den  meisten  Erfolg  [Benedikt,  Coccius).  Es  soll  der  Kupferpol 
auf  das  geschlossene  Lid  gesetzt  und  der  Zinkpol  am  Orbitalrande  herumgeführt 
werden.  Bei  der  diphtheritischen  Lähmung  ist  die  Galvanisation  des  Hals- 
sympathicus  vorzuziehen  (Benedikt,  Remak).  Ausserdem  können  vorsichtig 
geleitete  und  niemals  bis  zur  Ermüdung  getriebene  Uebungen  des  Accom- 
modationsapparates  Günstiges  leisten.  Das  Mittel  dazu  geben  Convexgläser, 
welche  nicht  völlig  corrigiren,  das  Auge  also  der  adaptiven  Muskelanstreu- 
gung  nicht  ganz  entheben.  Stellen  sich  dabei  aber  asthenopische  Beschwer- 
den ein,  so  soll  man  lieber  gleich  zu  völlig  neutralisirenden  Brillen  über- 
gehen (Donders).  Nebenbei  erweisen  sich  bisweilen  Kaltwasserkuren,  See- 
bäder, kalte  Douchen,  Aufenthalt  in  frischer  freier  Luft,  überhaupt  ein 
auf  Kräftigung  der  Muskeln  gerichtetes  Regimen  erspriesslich.  Bei  diph- 
theritischer  Lähmung  empfiehlt  man  ausser  reborirender  Diät  den  inner- 
lichen Gebrauch  des  Chinins,  der  Schwefelsäure,  der  Eisenpräparate  (Don- 
ders). Das  Mutterkorn  (Willebrand)  gewährt  kaum  einen  erheblichen,  das 
Calabarextract   (Coccius)   einen   sehr  geringen  Nutzen. 

Quellen:  Stellwag ,  Sitzungsber.  der  Wien.  k.  Akad.  d.  Wiss.  XVI.  S.  244, 
266;  Ophth.  II.  S.  325,  674.  —  Donders,  Anomalien  der  Eefr.  u.  Ace.  Wien  1866. 
S.  500,  503,  505,  506,  512—514;  Ceutralbl.  1867.  S.  526.  —  Graefe,  A.  f.  O.  II. 
1.  S.  173,  191,  192;  II.  2.  S.  299,  301.  303,  307;  III.  2.  S.  363;  "iV.  2.  S.  230, 
234;  Deutsche  Klinik.  1865.  S.  115.  —  Xagel,  A.  f.  O.  VI.  1.  S.  231.  ~  Höring,  kl. 
Mouatbl.  1864.  S.  235.  —  Hugldings  Jackson,  ibid.  S.  143,  145 — 147.  —  Mannkardt, 
ibid.  1865.  S.  18.  —  Pagenstecher  aus  Eberfeld,  ibid.  S.  358.  —  Jacobson,  A.  f.  O. 
X.  2.  S.  47.  —  Bretoneau,  nach  Donders  1.  c.  S.  513.  —  H.  Gerold,  Zur  ther. 
Würdigung  farbiger  Diopter.  Bonn  1S67.  S.  36,  42.  —  Willehrand,  A.  f.  O.  IV.  1. 
S.  341,  344.  —  Remak,  Deutsche  Klinik.  1865.  S.  115.  —  Coccius,  Der  Mechanis- 
mus der  Accommodation.  S.  61,  99.  —  Benedikt,  Elektrotherapie.  Wien  1868.  S. 
457,  461.  —  Schmidt,  A.  f.  O.  XIV.  1.  S.  107.  —  Stefan,  kl.  Erfahrungen  und 
Studien.  Erlangen.  1869.  S.  47,  54.   —  Stanimeshaus,  Diss.  Bonn.  1870. 


6.  Die  Mydriasis. 

Krankheitsbild.  Charakteristisch  ist  eine,  von  mateiiellen  Verände- 
rungen im  Inneren  des  Auges  unabhängige ,  höhergradige  Erweiterung  der 
gleichzeitig  völlig  starren,  oder  doch  nur  innerhalb  sehr  enger  Grenzen  beweg- 
lichen Pupille. 

Die  Erweiterung  des  Sehloches  ist  immer  eine  sehr  beträchtliche ;  doch 
selten   eine  maximale.   Bisweilen  ist  sie  eine  ungleichmässige,   indem  einzelne 


AcCuiiimiHl:itii)iislM'si-liränkiiiig;  llisachcii ;  spastiscli«  Form.  83o 

Bogenabschnitte  des  Pupillarraudes  mehr  ausgedehnt  werden  und  so  der 
Seile  die  Gestalt  eines  senkrecht  oder  ([uer  gelagerten  Ovales,  eines  Poly- 
gons mit  abgerundeten  Winkeln  u.  s.  w.  geben.  Die  erweiterte  Pupille 
ist  dabei  starr,  sie  bewegt  sich  beim  Kintlusse  starker  Lichtcontraste,  bei 
Convergenzstellungen  der  Augenaxen  und  bei  Anstrengungen  des  Accom- 
modationsapparates  nur  sehr  loenig  oder  gar  nicht.  Indem  mit  der  Erweite- 
rung der  Pupille  die  Erleuchtungsintensität  des  Augengrundes  und  damit 
auch  die  Quantität  des  reÜeetirteu  Lichtes  steigt,  verliert  das  Sehloch 
seine  normale  Schwärze,  es  erscheint  mehr  grau  mit  einem  Stiche  ins 
Blaue  oder  Grünliche  imd  zeigt  sich  bei  günstigem  Lichteinfalle  wohl 
auch  leuchtend. 

Das  Accoiniiiodationsvermögen  ist  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  sehr  be- 
schränkt, häutig  sogar  völlig  aw/</eÄo6en.  Es  besteht  jedoch  kein  constantes  Ver- 
hältniss  zwischen  dem  Grade  der  Pupillenerweiterang  und  der  Abnahme 
der  Accommodationsbreite ;  diese  kann  auf  Null  gesetzt  sein  bei  relativ 
geringer  Dilatation  des  Sehloches,  und  umgekehrt  erhalten  bleiben  bei  höchst- 
gradiger  Mydriase. 

Es  macheu  sich  diese  Beschränkungeu  der  Accommodationsbreite  bei  Vor- 
liaudeiiseiu  einer  Mydriase  in  höchst  missliebiger  Weise  dadurcli  g-elteud,  dass  die 
Durchmesser  und  der  scheinbare  Glanz  der  die  Netzhaut  treffenden  Zerstreuungs- 
kreise mit  der  Grösse  der  Pupille  wachsen.  Uebrigens  sieht  das  mydriatische  Auge 
in  der  Kegel  in  keiner  Distanz  vollkommen  deutlich  und  scharf,  da  die  asymme- 
trische Krünnnung  der  Hornhaut  und  Linse  wegen  mangelhafter  Abbiendung  schwer 
ins  Gewicht  fällt.  Damit  im  Zusammenhange  steht  das  höchst  unbehagliche  Gefühl 
von  Blendling ,  welches  die  Mydriasis  häufig  begleitet  und  in  grellem  Lichte  öfters 
jede  stärkere   Bethätigung  der  Augen  geradezu  unerträglich  macht. 

Die  Mydriase  ist  seltener  hinocular ;  meistens  beschränkt  sie  sich  auf 
FAn  Auge.  Sie  stört  auch  in  letzterem  Falle  den  gemeinschaftlichen  Sehact 
sehr  bedeutend,  bis  der  Kranke  gelernt  hat,  von  den  undeutlichen  Wahr- 
nehmungen  des   ergriffenen   Auges  abzusehen,   sie  zu  unterdrücken. 

Ursactieii.  Man  darf  sich  die  Mydriase  nicJit  als  Symptom  einer  völli- 
gen Erlahmung  der  Irismuskelfasern  denken.  Diese  charakterisirt  sich  nicht 
durch  Erweitei'uug  der  Pupille,  sondern  durch  Erschlaffung  der  Iris  und 
durch  excursives  Schlottern  derselben  bei  raschen  Bewegungen  des  Auges. 
Bei  der  Mgdriase  bleibt  die  Regenbogenhaut  im  GegeutheiLe  immer  gespannt, 
auch  wenn  die  Reaction  auf  Lichtreize  und  die  Accommodationsthätigkeit 
völlig  aufgehoben  wären.  Uebrigens  lässt  sich  durch  starke,  auf  die  Quintus- 
faseru  des  Auges  wirkende  Reize  fast  immer  eine  vorübergehende  Confraction 
der  Pupille,  durch  Atropineinträufelungen  hingegen  eine  maximale  Erweiterung 
des  Sehloches  erzielen  {Ruete). 

Man  unterscheidet  ziemlich  allgemein  eine  spastische  und  eine  paraly- 
tische Form.  Die  erstere  beruht  auf  Reizzuständen  der  oculopupillarcn  Zweige 
dis  Sympathicus  ,  wird  also  durch  krampfhafte  Zusammenziehung  des 
Dilatator  pupillae  und  der  Gefässmuskulatur  der  Iris  begründet  und  ist  in 
reinen  Fällen  an  keine  Beschränkung  der  Accommodationsbreite  geknüpft. 

Es  gehört  hierher  die  Mj'driasis ,  welche  bisweilen  während  den  Anfällen 
von  Hemicranie  (Du  Bois-Reymond)  das  der  ergriffenen  Kopfhälfte  entsprechende 
Auge  befällt,  in  den  meisten  Fällen  jedoch  rasch  vorüberzugehen  scheint,  indem 
der  Krampf  alsbald  in  Paralyse  der  Gefässmusculatur  umsetzt.  Weiters  gehört  hier- 
her die  ephemere  Mydriasis  (Graefe),  welche  sich  blos  zeitweise,  zu  gewissen 
Tagesstunden ,  ohne  besondere  oder  unter  den  verschiedensten  äusseren  Veran- 
lassungen entwickelt.  In  einem  Falle  wechselten  die  Mydriasis  und,  Myasis  periodisch 

53* 


836  Mydriasis;  Ursachen;  Paralytisclie  Form;   Verlauf;  Ausgänge. 

miteinander,  ohne  dass  irgend  welche  Beschränkung  der  Accommodation  nachge- 
wiesen werden  konnte  (Donders).  Wahrscheinlich  ist  auch  die  Erweiterung  der 
Pupille  hierher  zu  rechnen,  welche  man  bisweilen  neben  Hehninthiasis  und  gewissen 
Unterleibsleiden  beobachtet,  obgleich  der  Bauchsympathicus  keinen  directen  Einfluss 
auf  die  oculopupillaren  Nervenzweige  nehmen  kann  fBudgeJ.  Eine  wichtige  Ursache 
sind  direct  avf  den  Cervicalstrang  einwirkende  reizende  Schädlichkeiten.  In  der 
That  hat  man  hochgradige  Mydriasis  in  Folge  eines  Aneiirtjsma  aortae,  eines  Cer- 
vicaldrüsenkrehses  (Ogle),  während  des  Ueberganges  einer  Phlegmone  colli  in  Eite- 
rung (Kidd),  ja  in  Verbindung  mit  stärkerer  Hebung  des  oberen  Lides  sogar 
wiederholt  bei  gewö/mlichem  Kröpfe  (Demme)  beobachtet.  Leider  sind  dabei  die 
Accommodationsverhältnisse  nicht  gehörig  gewürdigt  worden,  daher  manche  dieser 
Fälle  möglicher  Weise  mit  jenen  zusammenzustellen  sein  dürften,  welche  bei 
RacJiencroup  und  Zahnleiden  (S.  833)  gesehen  wurden.  Endlich  sind  in  die  Cathegorie 
der  spastischen  Mydriasis  die  Pupillenerweiterungen  zu  rechnen,  welche  bei  sehr 
verminderter  oder  gänzlich  sistirter  Respiration,  bei  Gehirnerschütterung,  bei  Ver- 
stopfung der  Luftröhre,  überhaujjt  beim  Erstickung stpde  constant  zum  Vorscheine 
kommen  und  laut  physiologischen  Experimenten  (Thiry,  Ludwig,  Bezold)  aus  der 
reizenden  Einwirkung  des  kohlensäurereichen  und  sauerstoffarmen  Blutes  auf  die 
Centralorgane  des  Sympathicus  zu  erklären  sind. 

Gewöhnlich  ist  die  Mydriasis  eine  Lähmungserscheinung  und  aus  der 
Leitungshemmung  der  oculopupillaren  Zweige  des  dritten  Gehirnnervenpaares 
zu  erklären.  Nur  selten  beschränkt  sich  die  Paralysis  auf  die  motorischen  Nerven 
des  Sphincter  pupillae  und  ist  dann  immer  auf  eine  centrale  Ursache  zurück- 
zuführen. In  der  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  ist  sie  mit  Accommodations- 
l'dhmung  gepaart  (S.  832)  und  kann  dann  eben  sowohl  ihre  Quelle  in 
pathologischen  Veränderungen  gewisser,  abseits  des  Urspruugskernes  des 
Oculomotoriusstammes  gelegener  Hirntheile,  als  in  Leitungshemraungen  des 
Ciliarknotens  und  seiner  kurzen  Wurzel  oder  gar  blos  der  intraoculären 
Ganglien  finden.  Häufig  sind  die  Mydriasis  und  Accommodationsparesis  nur 
die  Theilerscheinung  einer  Lähmung,  welche  sich  über  grössere  Theile  oder 
das  gesammte  Verzweigungsgebiet  des  dritten  und  selbst  mehrerer  Gehirnnerven 
ausbreitet.  Die  Ursache  der  Leitungshemmung  ist  dann  sehr  oft  eine 
Erkrankung  der  Nervenstammscheide  und  wird  in  der  Regel  auf  rheumatische 
Basis  zurückgeführt.  Eben  so  oft  jedoch  liegt  der  Krankheitsherd  tiefer, 
in  den    Umhüllungen  des    Gehirnes  oder  in   diesem   selber. 

Hierher  zählt  die  Mydriasis,  welche  neben  mannigfaltigen  anderen  Lähmungs- 
erscheinungen bei  Meningitis  basilaris,  bei  chronischem  Hydrocephalus,  bei  apoplec- 
tischen  Ergüssen  am  Schädelgrunde,  ferner  sehr  häufig  bei  Krankheiten  des  Klein- 
hirns (Duchek) ,  überdiess  bei  der  Kriebelkrankbeit  (J.  MeyrJ,  bei  Vergiftung  durch 
Steinkohlengas,  durch  Blei,  gewisse  Narcotica  u.  s.  w.  beobachtet  wird. 

Die  durch  Mydriatica  bedingte ,  an  Accommodationslähmung  gebundene 
Pupillenerweiterung  bringt  eben  sowohl  eine  spastische  Contraction  der  vom  Sym- 
pathicus versorgten  Irismuskeln ,  als  eine  Paralysis  des  Sphincter  pupillae  und 
des  Ciliarmuskels  zum  Ausdrucke  und  ist  aus  einer  Einwirkung  jener  Gifte  auf  die 
intraoculären  Ganglien  zu  erklären  (S.  36). 

Verlauf  und  Ausgänge.  Wo  sich  das  Grundleidcn  vollständig  beheben 
lässt  oder  spontan  der  Heilung  zuschreitet,  weicht  häufig  auch  die  Mydriasis 
mit  allen  ihren  Attributen.  Doch  bleibt  nicht  gar  selten  einige  Erweiterung 
und  Trägheit  der  Pupille  mit  oder  ohne  Beschränkung  der  Accommodations- 
breite,  mitunter  wohl  auch  diese  allein  zurück.  Einmal  veraltet  trotzt  die 
Mydriasis  gewöhnlich  allen  Heilungsversuchen  und  wird  ständig,  wahr- 
scheinlich weil  die  Muskeln  oder  die  betreffenden  Nerven  mit  der  Zeit 
atrophiren. 

Die  Behandlung  muss,  wo  sich  das  Grundleiden  nachweisen  lässt, 
immer  zuerst  gegen  dieses  gerichtet  werden.    Sie  wird  je  nach  Umständen 


Beliiunlhiiij,';   CaUüiar  ;  KliTtiJcit:it;  lu'izi'iicU^  Mittt^l;   Ueljimgi;ii.  837 

also  bald  eine  i'eiii  antipMogistische,  bald  antirheumatische,  antihehnintldsche 
u.  s.  w.  sein.  Ist  das  Grundloideu  getilgt,  oder  hat  die  erwähnte  Therapie 
wenigstens  das  Mögliche  geleistet  inid  besteht  dann  die  Mydriasis  gleichsam 
als  ein  selbstständiges  Leiden  fort,  oder  ist  sie  gleich  von  vorneherein  als 
ein  solches  ohne  ergründbares  pathogenetisches  Moment  aufgetreten:  so  ist 
OS  wohl  das  Klügste,  die  gelähmten  Theile  in  möglichst  directer  Weise  zu 
beeinflussen,  um  den  Spinnet  er  pupillae  zu  kräftigen  Contractioneii  zu 
bestimmen. 

Uie  Hoffnungen,  welche  man  in  dieser  Beziehung  auf  die  Calabar- 
präparate  (S.  41)  gesetzt  hat,  sind  im  Grossen  und  Ganzen  iiieht  erfüllt 
worden ;  das  Mittel  hat  in  der  Regel  nur  kurz  vorübergehende  Wirkungen. 
Bei  ephemeren  Krankheitsursachen  kann  das  Calabar  indessen  die  Heilung 
beschleunigen  und  selbst  anbahnen.  In  frischen  Fällen  thut  man  daher 
gut,  es  wiederholt  zu  versuchen.  Man  glaubt  um  so  eher  etwas  davon 
erwarten  zu  dürfen,  je  umfangreicher  und  dauernder  die  Pupillenverengerung 
ist,  und  je  mehr  der  Refractionszustand  und  die  Accoramodationsbreite 
nach  den  einzelnen  Applicationen  zunehmen   (Graefe). 

In  manchen  Fällen  hat  man  nach  fruchtloser  Anwendung  der  übrigen 
gebräuchlichen  Mittel  mit  der  Electricität  gute  Erfolge  erzielt  {Benedikt, 
Fieber).  Es  soll  hierbei  der  Kupferpol  auf  die  geschlossenen  Lider,  der 
Zinkpol  auf  die  Jochgegend  gestellt  werden.  Bei  der  spastischen  Form 
werden  jedoch  die  galvanischen  Ströme  besser  auf  den  Halssympathicus 
geleitet. 

Mcht  ganz  selten  erweisen  sich  stärkere  Reize  nützlich,  welche  man 
auf  die  Augenäste  des  Quintus  wirken  lässt,  da  dieselben  bekannter  Massen 
auf  den  Sphincter  reflectirt  werden.  Zu  diesem  Behufe  werden  täglich  einmal, 
höchstens  zweimal,  Opiumtinctur  mittelst  eines  Pinsels  in  den  Bindehautsack 
gestrichen.  Stellt  sich  in  Folge  dessen  eine  beträchtliche  Gefässreizung  ein, 
welche  ein  therapeutisches  Einschreiten  nothwendig  macht,  so  kann  man 
nach  Bedarf  kalte  Umschläge  appliciren,  ohne  Furcht,  den  Effect  des  ersten 
Mittels  zu  schwächen,  da  die  Kälte  ebenfalls  bethätigend  auf  den  Pupillen- 
schliesser  wirkt. 

Nebenbei  werden  oftmals  des  Tages  wiederholte  kräftige  Zusammenziehungen 
des  Orhicularmnskeh  für  wichtig  gehalten,  indem  sie  auf  consens^iellem  Wege  Con- 
tractionen  des  Sphincter  pupillae  hervorrufen.  Der  Kranke  soll  also  angewiesen 
werden,  die  Lider  recht  oft  gewaltsam  zusammenzulvneifen  (Graefe).  Ausserdem 
empfehlen  sich  methodische  Uebungen  des  Accommodationsmuskels  (S.  834). 

Otj  diese  Mittel  überhaupt  Erfolg  versprechen,  kann  mau  alsbald  mit  ziem- 
licher Wahrscheinlichkeit  aus  der  Grösse  und  insbesondere  auch  aus  der  Dauer  der 
Pupillenreaction  ermessen.  Wo  sich  das  Sehloch  bei  einem  und  dem  anderen  Ver- 
fahren nur  loenig  in  seinem  Durchmesser  verändert ,  oder  rasch  wieder  in  seinen 
früheren  Zustand  zurückkehrt,  da  sind  die  Aussichten  ziemlich  gering.  Gelangt 
man  nach  ivochenlangen  Bemühungen  nicht  zum  Ziele,  so  ist  wohl  meistens  alles 
vergebens. 

Statt  der  Einstreichungen  von  Opiumtinctur  kann  man  selbstverständlich  auch 
andere  Reizmittel  versuchen.  So  hat  man  die  Bindehaut  oder  die  Hornhautgrenze 
mit  Höllenstein  angeätzt,  Schmqjfpulver  verordnet,  den  Kranken  zu  Salmiak  riechen 
lassen  u.  s.  w.  Heftige  Reize  von  der  Netzhaut  aus  auf  den  Sphincter  wirken  zu 
lassen,  ist  gefährlich  und  überdies  von  geringem  Vortlieile.  Dasselbe  gilt  auch  von 
wiederholten  Paracentesen  der  Cornea.  Die  Anwendung  des  Strgchnin  und  Veratrin 
in  Salben,  welche  an  die  Stirngegend  eingerieben  werden,  sowie  der  innerliche 
Gebrauch   des  Mutterkorns  (ArU)  leisten  wenig  oder  niclits, 


838  Accommodationskrämpfe ;  Krankheitsbild ;  Ursachen ;  M3'opie  in  Distanz. 

Quellen:  SteUwag ,  Ophth.  II.  S.  329,  331;  Wien.  med.  Wochenschrift.  1864. 
Nro.  10—12;  Wien.  med.  Jahrb.  1869.  2.  S.  50;  Der  intraociiläre  Druck.  Wien. 
1868.  S.  74  u.  f.  —  Thiry,  Ludioig,  Bezold,  ibid.  S.  76  u.  f.  —  Ruete,  Lehrb.  der 
Ophth.  I.  Braunschweig.  1853.  S.  101,  328;  II.  S.  568.  —  Bonders,  Anom.  der 
Eefr.  u.  Acc.  Wien.  1866.  S.  493,  504,  505,  506,  524;  Het  tienjarig  bestaan  v.  h. 
nederl.  gasthuis  etc.  Utrecht.  1869.  S.  137.  —  Graefe,  A.  f.  O.  I.  1.  S.  315;  II.  1. 
S.  191,  194;  II.  2.  S.  299;  III.  2.  S.  359;  VII.  2.  S.  31;  IX.  3.  S.  124—128.  — 
Zehender,  ibid.  II.  2.  S.  95,  101.  —  Duchek,  Wien.  med.  Jalirb.  1864.  4.  Fach- 
bericht. S.  54.  —  J.  Meyr,  A.  f.  O.  VIII.  2.  S.  121.  —  Soelherg  Wells,  Workmann, 
kl.  Monatbl.  1863.  S.  370,  374,  375.  —  A.  Weher,  Schelske,  Burow,  ibid.  S.  378, 
380,  528.  —  Benedikt,  A.  f.  O.  X.  1.  S.  103.  b.  109;  Electrotherapie.  S.  291,  303.  — 
Fieber,  Wien.  med.  Wochenschrift.  1864.  Nro.  22.  —  Arlt,  Krankheiten  d.  Auges. 
II.  Prag.  1853.  S.  112,  117.  —  Btidge,  Die  Bewegung  der  Iris.  Braunschweig. 
1855.  S.  176.  —  Oqle,  Kidd,  Nach  Eulenburg  und  Guttmanu  Arch.  f.  Psych.  I. 
S.  422.  —  Bemme,  Würzburg.  med.  Zeitschrift.  III.  S.  269,  273,  297.  —  Bu  Bois- 
Reymond,  Arch.  f.  Aoat.  u.  Phys.  1860.  S.  461  u.  f. 


7.  Accommodationskrämpfe. 

Krankheitsbild  und  Ursachen.  Charakteristisch  sirid  plötzliche  Steige- 
rungen des  Eefractionszustandes  hei  sehr  verminderter  oder  gänzlich  aufgehobe- 
ner Fähigkeit   ivillkürlichen  Adaptionswechsels. 

Es  ist  dies  eines  der  dunkelsten  Capitel  in  der  ganzen  Ophthalmologie, 
da  es  noch  sehr  an  genaxi  beobachteten  Fällen  gebricht.  Man  glaubt,  dass 
Accommodationskrämpfe  sowohl  auf  reflectorischem ,  als  auf  consensuellen 
Wege,  dass  heisst  von  Seite  der  Convergenzmuskeln  aus  angeregt  wer- 
den können. 

1.  Der  reflectorische  Spasmus  des  Ciliarmuskels  findet  sich  neben  hefti- 
gen Reizzuständen  der  sensiblen  Ciliarnerven,  wie  selbe  besondei's  Entzün- 
dungen begleiten.  Er  geht  danu  mit  starker  Netzhauthyperästhesie  und  mei- 
stens auch  mit  Krampf  des  Schliessmuskels  der  Pupille  und  des  Orbicularis 
palpebrarum  einher. 

In  anderen  Fällen  vermuthet  man  die  Quelle  des  Reflexkrampfes  in  einer 
besonderen  Art  von  Hyperästhesie  des  lichtempfindenden  Apimrates,  welche  sich 
speciel  durch  Unverträglichkeit  gegen  kleine  Zerstreuungskreise  geltend  macht.  Es 
werden  nämlich  Fälle  beschrieben,  wo  im  Augenblicke,  als  solche  Zerstreuungs- 
kreise die  Retina  treffen,  der  Accommodationsmuskel  sich  kräftig  zusammenzieht, 
den  Brechzustand  des  Auges  und  sonach  auch  die  Undeutlichkeit  der  Wahr- 
nehmungen steigert,  also  statt  den  relativ  günstigsten  Adaptionszustaud  zu  erhalten, 
gerade  einen  entgegengesetzten  einleitet.  Es  wurde  diese  eigenthümliche  Functions- 
störung  bisher  immer  neben  Myopie  niederen  oder  mittleren  Grades  beobachtet. 
Sie  macht  sich  dem  Kranken  besonders  dadurch  auffällig,  dass  bei  der  Verschiebung 
eines  fixirten  Objectes  über  den  Fernjjunkt  hinaus  die  Undeutlichkeit  der  Wahr- 
nehmungen nicht  gleichmässig  fortwächst ,  sondern  plötzlich  unter  dem  Gefühle  einer 
veränderten  Accommodationsspannung  um  ein  Bedeutendes  steigt,  wenn  die  Objects- 
distanz  um  ein  Gewisses  vermehrt  worden  ist.  Während  ein  solches  Individuum 
z.  B.  in  1,  11/2  und  2  Schuh  Entfernung  noch  scharf  sieht,  zeigen  sich  ihm  Objecte 
von  3 — 5  Schritt  Distanz  schon  viel  undeutlicher,  als  anderen  in  gleichem  oder 
gar  höherem  Grade  Kurzsichtigen.  Man  meint  behaupten  zu  dürfen ,  dass  dieser 
plötzlichen  Steigerung  der  Undeutlichkeit  in  der  That  eine  excessive  Accommodations- 
spannung zu  Grunde  liege  und  dass  letztere,  den  erworbeneu  Associationsverhältnissen 
entsprechend,  auch  mit  einer  vermehrten  Axenconvergenz  gepaart  sei.  Starke,  vor 
das  Auge  gehaltene  Concavgläser  corrigiren  nicht  nur  den  diojitrischen  Fehler, 
sondern  lösen  auch  die  falsche  Axenconvergenz.  Man  nennt  diesen  im  Ganzen 
höchst  seltenen  Zustand  y^Myopie  in  Bistanz"".   Er  fordert  die  Neutralisation  der  -ge- 


Verschiedene  Formen  vermeiiitüchor  Acuümuiodationsliriuiiijle.  839 

gebenen  Refractionsanomalie,  also  den  Cicl)iaucli  entsprechender  Concavgläser  heim 
Fernesehen  (Graefe). 

Ganz  im  Gegensatze  zu  diesen  FälUui  sollen  andere  vorkommen,  wo  der 
Accommodationskrampf  sieh  einstellt,  wenn  das  Ohjeet  innerlialh  der  deutlichen  Seh- 
weite auf  eine  geivis,s-c  kurze  Distanz  an  den  BuUms  herauj-ücJct ,  somit  ein  geimsses 
höheres  Mass  von  Accommodationsavfwand  verlangt.  Statt  diesem  wird  dann  ein 
beträehtlieli  grösseres  Mass  geliefert,  der  Aceomniodationsmuskid  zieht  sieh  weit 
kräftiger  zusanniien,  als  es  die  Objeetsdistanz  erfordert,  während  gleiehzeitig  auch 
die  Axenconvergenz  über  Gebühr  gesteigert  und  sonach  eine  stra/jotische  Ablenktmg 
des  einen  Auges  bemerkbar  wird.  In  manchen  Fällen  steigt  und  fällt  die  Spannung 
des  Accommodationsmuskels  und  der  inneren  Graden  im,  Verhältnisse  zur  Annähe- 
rung und  Entfernung  der  Objecte,  jedoch  so,  dass  sie  innerludh  geunsser  Grenzen 
den  Bedarf  innner  Uni  ein  Ansehnliches  üljerfrift.  In  anderen  Fällen  jedoch  stellt 
sich  im  Augenblicke,  als  der  Gegenstand  über  ein  gewisses  Mass  hereinrückt, 
plötzlich  ein  Maximum  der  Accommodationsspannung  und  der  Axenconvergenz  ein 
und  bleibt  dann  eine  Zeit  lang  unverändert,  auch  wenn  die  Objeetsdistanz  wieder 
ahnimmt,  ja  mitunter  löst  sich  der  Krampf,  einmal  angeregt,  erst  nach  einiger  Zeit, 
auch  wenn  seine  Ursache  völlig  beseitigt  wird,  der  Kranke  gedankenlos  in  die 
Ferne  blickt  (Graefe).  Es  werden  solche  Fälle  gerne  für  hohe  Grade  von  Myopie 
gehalten;  doch  führt  der  Umstand,  dass  die  Kranken  unter  geioöhnlichen  Ver- 
hältnissen wenigstens  zeitweise,  in  beträchtlich  grössere  Entfernungen  ausreichend 
oder  vollkommen  scharf  sehen ,  so  wie  die  Unerträglichkeit  starker  Concavgläser 
bald  zur  Erkenntniss,  dass  es  sich  blos  um  eine  temporäre  Steigerung  des  Refrac- 
tionszustandes  handle.  In  der  That  ergeben  eingehende  Untersuchungen,  dass  die 
natürliche  Einstellung  des  Auges  bald  eine  verhältnissmässig  geringgradig  mgojnsche, 
bald  normale  oder  gar  schwach  hypermetropische  sei.  Die  therapexitisclie  Aufgahe 
geht  offenbar  dahin,  das  zum  Krämpfe  führende  Mass  von  Accommodationsanstren- 
gung  dauernd  überflüssig  zu  machen.  Am  besten  würde  natürlich  die  Vermeidung 
aller,  das  Nahesehen  erfordernden  Beschäftigungen  entsprechen.  Wo  dies  jedoch  nicht 
angeht,  scheint  die  Verwendung  schwacher  Convexgläser  beim  Nahesehen  empfehlens- 
w-erth,  da  hierdurch  das  Object  scheinbar  um  ein  Gewisses  hinausgerückt  und  der 
Accommodationsöec?«»/  sonach  herabgesetzt  wird.  Bei  einem  Kurzsichtigen,  dessen 
Fernpunktabstand  14  Zolle  beträgt,  wurde  der  Krampf  durch  Convexgläser  von 
'J6  Zoll  Brennweite  in  der  That  seit  Jahren  hintangehalten.  Während  früher  der 
Kranke  beim  Lesen  und  Schreiben  die  Objecte  auf  3  —  4  Zoll  annäherte  und  dabei 
das  linke  Auge  stark  nach  innen  ablenkte,  lag  er  nun  denselben  Beschäftigungen 
stundenlange  bei  normaler  Fixation  und  Objeetsdistanz  ob.  Die  Beseitigung  des 
Convexglases  hatte  aber  alsbald  die  Eiickkehr  des  Krampfes  zur  Folge.  In  anderen 
Fällen  (Graefe)  sollen  wiederholte  Einträufelungen  von  Atropinlostmg  den  Krampf 
beseitigt  haben. 

2.  Der  consensuelle,  von  den  Convergenzmuskeln  des  Auges  ausgehende  Accom- 
modationskrampf soll  sich  dadurch  auszeichnen,  dass  in  dem  Augenblicke,  als  die 
Annäherung  eines  Objectes  auf  eine  gewisse  Grenze  vorschreitet,  sogleich  eine 
starke  Contraction  des  Accommodationsmuskels  und  der  inneren  Geraden  erfolgt, 
so  dass  trotz  einem  grossen  Fernpunktabstande  der  Kranke  nur  auf  3 — 4  Zoll  zu 
lesen,  zu  schreiben  u.  s.  w.  vermag.  Die  Benützung  einer  prismatischen  abduci- 
renden  Brille  von  2  oder  3  Grad  brechendem  Winkel  soll  die  Functionsstörung 
völlig  beseitigt  haben  (Liebreich).  Im  Ganzen  sind  die  unter  1  und  2  geschilderten 
Krankheitsformen  sehr  unklar  und  z\veifelhaft. 

3.  Die  Erhöhimgen  und  Schwankungen  des  Refractionszustandes,  welche  nach 
anhaltenden  starken  Accommodationsanstrentiuns'en  häutig:  vorkommen  und  durch 
forcirte  Application  mydriatischer  Mittel  manifest  gemacht  werden  können,  sind 
abgesehen  von  den  bereits  erörterten  Gründen  vermöge  der  Langsamkeit  ihres 
Zustandekommens  und  Zurückgehens  kaum  auf  spastische  Cowirsictionen  (Dobrowolsky) , 
sondern  auf  hypertrophische  Entwickelung  der  MüUer'schen  Kreisfasern  und  auf 
Elasticitätsverlust  der  Linse  zurückzuführen  (S.  775). 

Quellen:  Graefe,  A.  f.  O.  II.  1.  S.  158,  163,  165,  168,  177;  IL  2.  S.  307,  313, 
316.  --  Liebreich,  ibid.  VIII.  1.  S.  259,  265,  266.  —  Dondexs,  Anomalien  der  Refr. 
u.  Acc.  Wien.  1866.  S.  526.  —  Dobrowolsky,  kl.  Monatbl.  1868.  Beil.  S.  3,  141,  175, 
179,  180,  244.  —  Berlin,  ibid.  1869.  S.  1. 


840  Myosis  ;  Krankheitsbild ;  Ursachen. 


8.  Die  Myosis. 


Krankheitsbild.  Man  bezeichnet  mit  diesem  Namen  eine  von  materiellen 
Veränderungen  im  Inneren  des  Auges  unabhängige  hochgradige  dauernde  Ver- 
engerung der  gleichzeitig  völlig  starren,  oder  doch  nur  innerhalb  sehr  enger 
Grenzen  beweglichen  Pupille. 

Das  Sehloeh  ist  bis  auf  den  Umtaug  eines  Stecknadelkopfes  oder  gar 
eines  Nadelstiches  verengt,  vollkommen  kreisrund  und  tief  schwarz.  Es 
reagirt  nur  sehr  wenig  oder  gar  nicht  auf  Liclitcontraste,  ja  selbst  auf  die 
Einwirkung  von  Atropin,  Sein  geringer  Durchmesser  beschränkt  in  sehr 
fühlbarer  Weise  die  Grösse  des  Gesichtsfeldes,  bisweilen  so,  dass  der  Kranke 
von  grösseren  Objecten  nur  einzelne  Theile  überblicken  kann,  obwohl  die- 
selben in  genügender  Entfernung  gelegen  sind.  Ausserdem  wird  auch  der 
scheinbare  Glanz  der  Netzhautbilder  wesentlich  vermindert  und  dadurch  das 
deutliche  Sehen  bei  massigen  oder  geringen  Erleuchtungsintensitäten  sehr  er- 
schwert oder  gar  unmöglich  gemacht.  Die  Accommodation  ist  in  der  Mehr- 
zahl   der  Fälle  gar  nicht  oder  doch  nicht  erheblich  beeinträchtigt. 

Bei  greisen  Individuen  findet  man  fast  constant  eine  sehr  auffällige  Enge 
der  Pupille  neben  unvollständiger  und  langsamer  Reaction  derselben  gegen  Atropin. 
Es  scheint  sich  dadurch  nicht  sowohl  eine  Leitungshemmung  in  den  betreffenden 
Nerven,  als  vielmehr  der  Widerstand  zur  Geltung  zu  bringen,  welchen  die  rigiden 
oder  vielleicht  gar  schon  atheromatös  entarteten  Wandungen  der  Irisgefässe  den 
vom  Sympathicus  beherrschten  organischen  Muskeln  entgegenstellen. 

Ursachen.  Man  unterscheidet  eine  spastische  und  eine  paralytische 
Form  der  Myose.  Die  erstere  ist  auf  directe  oder  vom  Opticus  und 
Trigemimis  auf  die  oculopupillaren  Zweige  des  dritten  Gehirnnerven  über- 
tragene ßeizzustände  zu  beziehen.  Sie  ist  bei  Entzündungen,  welche  mit 
starker  Reizung  des  Ciliarnervensystems  einhergehen,  überaus  auffällig  und 
macht  dann  gemeiniglich  selbst  die  energische  Anwendung  starker  Atropin- 
lösungen  völlig  wirkungslos. 

Möglicher  Weise  kann  auch  die  fortgesetzte  Bethätigung  des  Sphincter  pu- 
pillae behufs  deutlichen  Sehens  in  sehr  kurze  Distanzen  diesem  ein  gewisses 
Uebergewicht  verschaffen.  Wenigstens  findet  sich  die  Myosis  bei  Uhrmachern, 
Goldarbeitern,  Kupferstechern  u.  dergl.  in  einem  gesteigerten  procentarischen  Ver- 
hältnisse (Arlt). 

Die  paralytische  Form  kömmt  nicht  ganz  selten  neben  leichter  Ptosis 
des  oberen  Lides  vor  (Homer)  und  beruht  auf  Leitungshemmungen  in  den 
zum  Auge  und  zu  den  organischen  Muskeln  des  oberen  Lides  gehenden 
sympathischen  Nervenzweigen.  Man  hat  diese  Form  bisher  immer  nur  bei 
erwachsenen  Individuen  beobachtet.  Mehrmals  sprach  sich  dabei  das  Sym- 
patMcusleiden  auch  durch  periodische  halbseitige  Röthung  und  Hitzeent- 
wickelung im  Gesichte  und  Kopfe  aus  (Homer).  Auch  wurde  einmal  Empfind- 
lichkeit der  entsprechenden  Halsgegend  beobachtet.  Die  Myosis  ist  dabei, 
soweit  die  bisherigen  Erfahrungen  reichen,  nicht  leicht  eine  maximale  und 
lässt  noch  kleine  Schwankungen  des  Pupillendurchmessers  bei  reflectorischen 
und  accommodativen  Impulsen  zu.  Es  offenbart  sich  der  paralytische  Zu- 
stand der  Irisgefässe  und  des  Dilatator  pupillae  übrigens  sehr  deutlich 
durch  die  überaus  rasche  und  ausgiebige  Verkleinerung  des  Sehloches  bei 


Myosis  mit  Ptosis  syiiiijalliica;  IJeliamlluiiy  ;  <.iUL'lli.-ri.  841 

CalabareiniüirlcuDy,  aiideroi'seits  durch  dic3  sehr  zögernde  und  ganz  unvoll- 
ständige Pupillenerwciterung  bei  Atroplnisirany  des  Auges.  Die  willlcüvUchen 
Bewegungen  des  oberen  Lides  sind  bis  auf  den  kleinen  Ausfall  in  der 
Hubhöhe  durchaus  nicht  beirrt  und  erweisen  sich  einem  äusseren  mechani- 
schen Widerstände  gegenüber  sehr  kräfticj,  so  dass  wohl  kein  Zweifel  ob- 
walten kann,  es  sei  nicht  sowohl  der  Levatoi-  palpebrae,  als  vielmehr  der 
organische  Muskel  des  oberen  Lides  das  Substrat  der  Functionsstöruug. 
Ueber  die  Ursachen  liegen  nur  wenige  bestimmte  Beobachtungen  vor.  In 
der  Mehrzahl  der  Fälle  schien  sich  das  Leiden  ohne  erhebliche  äussere 
A'eranlassung  entwickelt  zu  haben.  Manchmal  Hess  es  sich  durch  den 
Druck  einer  Geschwulst  auf  den  cervicalen  Grenzstrang  erklären  (Willebrand, 
Gairdner,  Ogle,  Heineke,  Mitchel,  More.house,  Keen).  Einmal  schien  eine 
Parotisgeschwulst   den   Grund   abzugeben   (Verneuil). 

Ausserdem  findet  sich  die  Myosis  öfters  bei  Tabes  dorsnalis  mid  aiidereti 
Formen  der  Rückeiimarkslähmuno;  (Robertson) ,  bei  hartnäckiger  Stulilverstoi)fung, 
in  Folge  von  Torpor  des  Unterleibes  u.  s.  w.  Die  Pathogenese  dieser  Myosen 
ist  so  wenig  klar  wie  jener,  welche  sich  als  Symptom  mancher  Ge/aj-wZeifZen,  nament- 
lich 1)6]  Krankheiten  der  Varoh-brücke  (Duchek) ,  als  Symptom  der  Apoiilexie 
im  Reactionsstadimn ,  im  Beginne  der  Meningitis,  neben  den  Erscheinungen  des 
Tetanus,  der  Wasserscheu  u.  s.  w.  finden;  oder  welche  als  Begleiter  hijsterischer 
Krampfanfälle  auftreten;  oder  welche  bei  Intoxicationen  mit  gewissen  narkotischen 
Substanzen  z.  B.  Opium,  Morphium  etc.  beobachtet  werden. 

Die  Behandlung  der  Myose  setzt  vor  allem  die  Beseitigung  des 
Grundleidens  voraus.  Gelingt  es,  dieses  zu  beheben,  so  weicht  auch  die 
Myosis  gewöhnlich  von  selbst.  Im  cjegentheiligen  Falle,  so  wie  dort,  wo  die 
Myose  scheinbar  selbstständig  zur  Entwickelung  kömmt,  ist  die  directe  Be- 
handlung in  der  Regel  ohne  allen  Erfolg.  Die  Mydriatica  sind  ganz  ver- 
geblich versucht  worden.  In  einzelnen  Fällen  (Benedikt),  besonders  wo  die 
Paralyse  des  Halssympathicus  eine  Holle  spielt,  mag  die  Electricität  Günsti- 
ges leisten.  Wo  auch  diese  fruchtlos  angewendet  wird  und  die  Myosis  das 
Sehverm'ögen  sehr  beeinträchtigt,  bleibt  wohl  nichts  anderes  übrig,  als  die 
künstliche   Pupillenbildung. 

Quellen:  Ruefe,  Lehrb.  der  Ophth.  I,  Braunschweig.  1853.  S.  328;  II.  S.  568. 
—  Steihvay,  Ophth.  II.  S.  327;  Der  intraoculäre  Druck.  S.  76.  —  Willebrand,  A. 
f.  0.  I.  1.  S.  319.  —  Simrock,  kl.  Monatbl.  1863.  S.  122.  —  Duchek,  Wien.  med. 
Jahrb.  1864.  4.  Jahresbericht.  S.  54.  —  Arlt ,  Krankheiten  des  Auges.  II.  Prag. 
1853.  S.  181.  —  Donders,  Anomalien  der  Refr.  und  Acc.  Wien.  1866.  S.  530.  — 
Gairdner,  ibid.  —  Ogle,  Heineke,  Verneuil,  Mitchel,  Morehouse,  Keen  nach  Eulen- 
burg und  Guttniann,  Arch.  f.  Psych.  I.  S.  420.  —  Homer,  kUn.  Monatbl.  1869. 
S.  193.  —  Robertson,  Edinburgh,  med.  Journal.  1869.  Febr.  —  Benedikt,  Electro- 
therapie.  S.  291,  304. 


842  Scotome;  Krankheitsbild;  Ursachen;  Mönches  volantes. 


ZWEITER  ABSCHNITT. 

Entoptische  Erscheinungen,  Scotome. 


Krankheitsbild    und    Ursachen.      Charakteristisch   ist    die  subjective 
Wahrnehijinng     umschriebener     Schatten,    icelche   von  trilben     Theilchen   der  dio- 
2>trischen  Medien   auf  die  Netzhaut  geworfen   werden. 

Es  lassen  sich  diese  Schatten  in  scharfen  Bildern  zur  Anschauung  brin- 
gen, wenn  man  durch  ein  feines  Schirmloch  auf  das  Himmelsgewölbe  blickt, 
oder  wenn  man  im  verdunkelten  Zimmer  durch  eine  starke  Conveslinse 
auf  eine  Lampenflamme  sieht  und  allenfalls  noch  ein  Diaphragma  mit  enger 
Oeffnung  zwischen   Glas  und   Auge   schiebt   (Zehender). 

Die  äussere  Form  und  das  ganze  Verhalten  der  Schattenfiguren  oder 
Scotome  ist,  entsprechend  der  grossen  Mannigfaltigkeit  schattenwerfender 
,,entoptischer  Köiyer",  in  verschiedenen  Fällen  und  selbst  in  einem  und  dem- 
selben Falle  je  nach  Zeit  und  Umständen  ausserordentlich  wandelbar.  Man 
unterscheidet  mehrere  Arten  : 

1 .  In  praktischer  Beziehung  am  wichtigsten  sind  die  unter  dem  Xamen 
der  fliegenden  Mücken,  Miiscac  volitantes,  Mouches  volantes,  Myodes  bekannten 
Scotome.  Sie  zeigen  sich  im  Gesichtsfelde  gewöhnlich  als  dunkle  Flecke 
mit  rundlicher  oder  ganz  unregelmässiger  Begrenzung,  oft  auch  mit  einem 
oder  mehreren  schwavzförmigen  Anhängen.  Ihr  Umfang  ist  bald  kleiner,  bald 
grösser,  er  gleicht  dem  eines  Hirse-  oder  Hanfliornes,  übersteigt  aber  nur 
selten  den  einer  Erbse.  Die  Farbe  wechselt  je  nach  der  Dichtigkeit  der 
entoptischen  Körper,  je  nach  der  Qualität  und  Quantität  des  einfallenden 
Lichtes  sehr  bedeutend  vom  Grauen  ins  schmutzig  Bräunliche,  ins  Roth- 
braune  und  selbst  ins  Schwarze.  Sie  ist  übrigens  oft  an  verschiedenen 
Stellen   des  Schattenbildes   eine  verschiedene. 

Die  fliegenden  Mücken  treten  am  lästigsten  hervor,  wenn  das  Auge 
auf  eine  stark  beleuchtete  Fläche,  auf  das  Himmelsgewölbe,  ein  Schneefeld, 
eine  weisse  Wand  gerichtet  ist,  besonders  wenn  der  dioptrische  Apparat 
hierbei  durch  willkürliche  Accommodation  für  kurze  Distanzen  eingestellt 
wii'd.  Man  ei'kennt  dann,  gleichwie  beim  Sehen  durch  ein  feines  Schirm- 
loch, dass  dieselben  aus  kleinen  Schattenfiguren  zusammengesetzt  sind,  deren 
jede  einzelne  einen  äusseren,  bald  dunkleren,  bald  helleren,  von  einer  lich- 
ten Zone  umgebenen  Umriss  besitzt,  während  die  Mitte  gemeinigüch  ganz 
hell  erscheint,  öfters  aber  auch  einen  etwas  unregelmässigen  granulirten 
Kern  unterscheiden  lässt. 

Im  Centruvi  der  Flecke  pflegen  sich  diese  Tlieilfiguren  in  eiueu  verworrenen 
Klumpen  über  einander  zu  häufen ,  dessen  Farbe  immer  eine  dunkle  ist.  An  der 
Peripherie  der  Flecke  aber  decken  sich  die  Schattengestalteu  nur  theilweise,  daher 
man  jede  einzelne  derselben  deutlich  zu  erkennen  vermag.  In  den  schwanzförmigen 
Anhängen  der  Flecke  erscheinen  sie  reihemceise  an  einander  gelagert  und  bilden 
so  gleichsam  Kelten. 


Mouches  volaiites ;  Kraiikheitsbild :  Ursaclien.  843 

Daneben  gewahrt  man  in  der  Regel  zahlreiche,  ganz  ähnliche  kleine 
Kreise,  theils  einzeln  und  zerstreut,  theils  in  Form  von  Ferlschnüren  an  ein- 
ander gereiht,  welche  sich  in  der  mannigfaltigsten  Weise  unter  einander 
verschlingen.  Auch  tauchen  häufig  band-  oder  flächenartig  ausgebreitete 
Trübungen  auf,  welche  sich  besonders  in  senkrechter  Richtung  verschieben 
und  durch  wechselnde  Schatten  den  Eindruck  von  Faltungen  machen.  Sie 
werden  besonders  dann  bemerklich,  wenn  die  (lesichtslinie  zur  Seite  bewegt, 
oder  in  verticaler  Richtung  abgelenkt  und  die  Excursionen  rasch  unter- 
brochen werden    (Donders). 

Bei  minder  hell  erleuchtetem  Gesichtsfelde  xierschwinden  die  Scotome  häu- 
fig ganz,  oder  vermindern  sich  doch  sehr  bedeutend  an  Zahl.  Die  zurück- 
bleibenden fliegenden  Mücken  erscheinen  gewöhnlich  als  ganz  undeutlich 
begrenzte,  schmutzig  bräunliche  Schatten  von  geringerem  Umfange.  Diese 
verfolgen  den  Kranken  fast  unaufhörlich,  sie  werden  selbst  noch  wahrge- 
nommen, wenn  auf  die  geschlossenen  Lider  einigermassen  helleres  Licht 
auffällt  und  verlieren  sich  nur  bei  entschieden  geringer  Erleuchtung  des 
Gesichtsfeldes.  Doch  kommen  auch  Fälle  vor,  wo  die  Scotome  sich  nur 
bemerklich  machen,  wenn  das  Auge  bei  künstlicher  Beleuchtung  auf  eine 
nahe  gelegene  helle  Fläche,  auf  ein  Buch  u.  s.  w.  gerichtet  wird,  ja  bis- 
weilen nur,  wenn  unter  solchen  äusseren  Verhältnissen  der  Blick  nach 
einer  gewissen  Seite  hin  gewendet  wird. 

Der  scheinbare  Ahstand  der  fliegenden  Mücken  beträgt  iu  der  Regel  nur 
wenige  Zolle,  1  bis  2  Schnh,  selten  mehr.  Sie  sind  sehr  beweglich  unA  folgen  den 
Excursionen  der  GesichtsHnien,  gleichviel,  ob  dieselben  durch  Zusammenziehungen 
der  Augenmuskeln  oder  durch  Bewegungen  des  Kopfes  bedingt  werden.  Werden 
diese  Bewegungen  schnell  ausgeführt  und  das  Auge  plötzlich  angehalten,  so  schiessen 
die  fliegenden  Mücken  in  gleicher  Richtung  im  Gesichtsfelde  eine  Strecke  weit  fort, 
worauf  sie  ebenfalls  stille  stehen.  Bleibt  dann  das  Auge  ruhig,  so  beginnen  sie  zu 
xinken,  einzelne  verschwinden  an  der  Hinteren  Grenze  des  Gesichtsfeldes,  andere 
unterbrechen  schon  früher  ihren  Lauf  und  bleiben  an  einer  gewissen  Stelle  des 
Sehfeldes  stehen ,  bis  eine  neue  Locomotion  des  Auges  sie  wieder  in  Bewegung 
bringt.  Die  Grosse  der  Excursionen  ist  bei  verschiedenen  Scotomen  eine  sehr  ver- 
schiedene. Manche  rücken  bei  gleich  intensiven  und  extensiven  Wendungen  der 
Augen  nur  ivenig  vom  Platze;  andere  machen  sehr  grosse  Excursionen  und  wirbeln, 
wenn  sie  in  reichlicher  Zahl  vorhanden  sind,  gleichsam  imter  einander.  Immer 
aber  tauchen  sie  ivieder  nahezu  an  derselben  Stelle  des  Gesichtsfeldes  auf  und  streben 
ihr,  wenn  das  Auge  zur  Ruhe  kömmt,  neuerdings  zu.  Die  Kranken  pflegen  darum 
die  einzelnen  Scotome  ihrer  Augen  sehr  gut  zu  kennen  und  nach  Sitz  und  Gestalt 
genau  zu  beschreiben. 

Die  diesen  Scotomen  zu  Grunde  liegenden  entoptischen  Körperchen  haben 
ihren  Sitz  durchwegs  im  Glaskörper  und  sind  auch  hier  mit  dem  Mikro- 
skope  nachgewiesen   worden   (Donders,   Doncan). 

Man  fand  daselbst  blasse  Zellen  und  Zellenreste  im  Zustande  von  Schleim- 
metamorphose, welche  den  zerstreuten  kleinen  Kreisen  entsprechen;  mit  Körnern 
besetzte  Fasern,  welche  mit  den  Perlschnüren  und  Ketten  übereinstimmen;  Körner- 
gi-uppen  mit  daran  hängenden  gekörnten  Fasern ,  welche  die  gröberen  Mouches 
volantes  erklären;  %nA\\c\\  Memtjranen,  vorzugsweise  seitlich  dicht  hinter  der  Linse 
gelegen,  zahllos  im  Glasliörper  alter  Leute,  welche  die  band-  und  fl'dchenartigen 
faltenwerfenden  Scotome  begründen. 

Die  Mgiodesopsie  ist  ein  normaler  Zustand.  Wirklich  fehlen  die  Mouches 
volantes  kaum  in  einem  Auge.  Es  gehören  in  den  einzelnen  Fällen  nur  mehr 
weniger  günstige  äussere  Verhältnisse  dazu,  um  selbe  zur  Anschauung  zu 
bringen. 


0-J;4:  Sfotome  ;  Kranklifitatiild  ;  Ursiiclii'ii;  Belianliclie  Skotome. 

Immerhin  nehmen  krankhafte  Zustände  einen  sehr  wesentlichen  Ein- 
fluss  auf  die  ganze  Erscheinung.  Es  ist  eine  Thatsache,  dass  Reizzustände 
in  den  gefässhältigen  Organen  des  Augapfels  die  Zahl,  Grösse  und  Dichtig- 
keit der  fliegenden  Mücken  heträchtlich  steigern  und  so  die  Myiodesopsie 
zu  einem  höchst  peinliehen  Leiden  gestalten  können,  wahrscheinlich  indem 
sie  mittelbar  zu  Wucherungen  und  znv  Massenvermehrung  der  Glaskörper- 
zellen führen.  80  tritt  das  Mückensehen  oft  in  einem  beunruhigenden 
Grade  nach  übermässigen  Anstrengungen  der  Augen,  namentlich  aber  unter 
den  Vorläufern  der  Asthenopie  hervor.  Nicht  minder  findet  es  sich  fast 
regelmässig  als  ein  höchst  lästiges  Nebensymptom  bei  rasch  vorsehreiten- 
der Vergrösserung  eines  Staphyloma  posticum  (S.  400).  Die  entoptischen 
Körper  sitzen  dann  am  häufigsten  in  der  Nähe  der  Papille  und  hängen 
mit  derselben  oft  zusammen.  Selten  werden  sie  so  massig,  dass  man  sie 
mit  dem  Augenspiegel  als  trübliche  schwankende  Flöckchen  wahrnehmen 
kann.  Ausserdem  lassen  sich  auch  Entzündungen  mannigfaltiger  Art  als 
pathogenetische  Momente  erweisen.  Oefters  datirt  das  Auftreten  einer 
peinlichen  Myiodesopsie  seit  dem  Ablaufe  einer  heftigen  Bindehautentzündung, 
einer  Keratitis,  oder  einer  Iritis.  Besonders  wird  die  syphilitische  Regen- 
bogenhautentzündung von  manchen  Seiten  verdächtiget  und  die  dem 
Mückensehen  zu  Grunde  liegende  Zellenwucherung  im  Glaskörper  auf 
eine  von  der  Dyscrasie  beeintiusste  entzündliche  Mitleidenschaft  des  Organes 
basirt. 

Selbstverständlich  sollten  Entzündungen  der  Netzhaut  und  der  Aderhaut  unter 
den  pathogenetischen  Verhältnissen  obenan  stehen.  Sie  haben  aber  zu  beträcht- 
liche F%inctionsstörungen  des  lichtempfindenden  Apparates  im  Gefolge ,  als  (^ss  die 
von  Glaskörpervvucherungen  ausgehenden  zarten  Schatten  deutlich  ivahr genommen 
werden  könnten. 

2.  Ganz  anders  verhalten  sich  die  sogenannten  beharrlichen  Scotome, 
welche,  einmal  entwickelt,  in  der  Regel  Jahre  lang  ganz  unverändert  fort- 
bestehen und,  unabhängig  von  den  Bewegungen  des  Auges,  eine  fixe  Stelle  im 
Gesichtsfelde  behaupten,  so  lange  das  Licht  in  einer  bestimmten  Richtung 
durch  die  dioptrischen  Medien  geleitet  wird.  Unter  gewöhnlichen  Verhält- 
nissen kommen  sie  nur  selten  zur  Wahrnehmung,  beiirren  dann  aber  das 
Gesicht  sehr  stark,  indem  sie  sich  scheinbar  vor  die  Objecte  lagern  und 
Theile  derselben  decken.  In  der  lieget  bedarf  es  vollkommen  homocentrischen 
Lichtes,  also  sehr  feiner  Schirmlöcher,  auf  dass  sie  bei  Betrachtung  einer 
hellerleuchteten  Fläche  bemerkbar  werden. 

Es  erscheint  dann  das  Gesichtsfeld  als  eine  helle  Scheibe,  deren  Umriss 
etwaige  Unregelmässigkeiten  der  Pupille  ganz  deutlich  wiedergibt  und  deren  Grund 
in  einer  zarten,  wenig  dunkleren  Nuance  flor-  oder  netzähulich  gezeichnet,  mit- 
unter fein  molekulirt  oder  gröber  getüpfelt,  selten  gestrichelt  oder  radiär  gestreift, 
oder  nach  Art  moirirter  Stoffe  wellig  gemustert  ist.  Auf  diesem  Grunde  heben  sich 
die  eigentlichen  Scotome  mit  grösserer  oder  geringerer  Schärfe  ab.  Sie  sind  ihrer 
Gestalt  nach  ausnehmend  verschieden.  Oft  sind  es  dentritische  Figuren,  deren  ein- 
zelne Zacken  in  der  Regel  krumm  verlaufen  nnd  sich  in  verschiedener  Anzahl  um 
einen  gemeinsamen  Mittelpunkt  anordnen.  Sie  haben  meistens  eine  sehr  helle  Fär- 
bung nnd  bald  verschwommene,  bald  aber  sehr  scharfe  und  schwarzgesäumte 
Ränder.  Mitunter  scheint  es,  als  wären  diese  Figuren  aus  den  Schattenbildern  von 
Kernzellen  zvisammengesetzt.  Minder  häutig  kommen  schmale  dunkle  gerade  Linien 
vor,  welche  entweder  von  einem  gemeinsamen  Centrum  gegen  die  Peripherie  hin 
ausstrahlen  und  so  eine  Art  Stern  bilden,  oder  aber  radienähnlich  von  der  Peripherie 
des  Gesichtsfeldes  gegen  dessen  Mitte  streben,  gewöhnlich  ohne  dasselbe  zu  er- 
reichen.    Am  häufigsten  sind  indessen   fieckenartige  Scotome    dieser  Art.     Sie  stehen 


üi'haiTliclif  luiil  i'iilunin-Tc  Sci)toinc.  84o 

bald  rinzrbi  im  Gesiclitsfeldc; ,  l)ald  ist  oiiio  grössere  Anzalil  dcrscllK'-ii  über  dus 
letztere  zerstreut  oder  in  GriipiJcn  au  eiuauder  gehäuft.  Ihr  Uvifunq  wechselt  von 
dem  eines  Mohnkornes  bis  zu  jenem  eines  Hanf-  und  Pfefl'erkornes ,  selten  über- 
steigt er  Erbseniyrösse,  wo  dann  das  Scotoni  natürlich  einen  zicnnlich  beträcht- 
lichen Theil  des  Gesichtsfeldes  deckt.  Ihrer  GcslaU  nach  sind  sie  bald  (junz  dunkle 
rundliche  oder  unreo^elinässio;  gestaltete  Flecke  mit  scharfer  und  oft  auch  hell  ein- 
gesäumter Grenze;  bald  sind  sie  mehr  rlvg/iirmig ,  indem  ein  ganz  heller  oder 
dunkel  granulirter  rundlicher  oder  eckiger  Kern  von  einem  dunkleren  Gürtel  und 
darülier  hinaus  öfters  auch  noch  von  einer  licllen  Zone  umgeben  erscheint.  Merl<- 
würdiger  Weise  zeigen  sich  gewöhnlich  in  den  Gesichtsfeldern  hciilcr  Augen  yanz 
analoge  Scotome,  sowohl  was  Form  als  Zahl  und  Anordnung  betrifft  (lÄntivg). 

Die  hierher  gehöi'igen  entoptischen  Körper  haben  ihren  Sitz  zum  aller- 

grössten  Tlieile  in  der  Linse  und  erweisen  sich  bei  eingehender  Untersuchung 

begründet  durch  die  nicht  volllioramene  optische  Gleichartigkeit  der  Kryslaü- 

substanz  und   durch   Einlagerung  gewisser  Producte. 

Die  dentritisclien  Figuren  und  die  zarte  Zeichnung  des  gesammten  Spectrums 
kommen  den  eigenthümlichen  Structurverhältnissen  des  Organes,  der  Zusammen- 
setzung aus  Fasern  und  deren  Anordnung  um  die  sogenannte  Stcmßgnr  auf  Rech- 
nung. Die  scharf  begrenzten  rundlichen  ringförmigen  Scotome  rühren  wahrsclieinlich 
von  choloiden  Kugeln  her.  Sie  lagern  meistens  nahe  der  Oberfläche  und  excen- 
trisch,  können  sich  binnen  wenigen  Tagen  entwickeln  und  dann  lange  fortbestehen, 
aber  auch  wieder  verschwinden,  während  andere  auftauchen.  Ihre  Zahl  nimmt  mit 
den  Jahren  zu.  Die  unregehnässigen  dunklen  Flecke  wurden  als  Schatten  von  ober- 
flächlichen weissen  körnigen  »indurchsiclitigen  Körperchen  erkannt,  welche  fast 
immer  an  den  Grenzen  der  Linsensectoren  sitzen  und  nicld  durch  Fettmetamor- 
phose begründet  zu  sein  scheinen  (Dunders,  Doncan). 

Ausserdem  sind  manche  der  unregelmässig  begrenzten  dunklen  Flecke 
durch  Ungleichmässigkeiten  und  trübe  Einlagerungen  im  Gefüge  der  Horn- 
haut und  im  Bereiche  der  tellerförmigen  Grube,  weiters  durch  getrübte  und 
theilweise  vielleicht  abgelöste  Epithelzdlen  an  den  beiden  Oberflächen  der 
Cornea  u.   s.   w.   zu  erklären   (Listing). 

Dass  die  fraglichen  entoptischen  Körperchen  wirklich  bald  an  diesem,  bald 
an  jenem  der  genannten  Orte  sitzen,  ergibt  sich  klar  aus  deren  eigenthümlichem 
Verhalten  bei  Verse hiehungen  eines  engen  Schirmloches  vor  der  Pupille.  Indem  mit 
der  Ortsbewegung  des  Scliirmloclies  die  Richtung  des  auf  die  entoptischen  Körper- 
chen fallenden  homocentrischcn  Lichtes  verändert  wird,  treffen  die  Schatten  auch 
auf  andere  und  andere  Stellen  der  Netzhaut,  es  werden  somit  die  Scotome  scheinbar 
selbst  bewegt.  Da  nun  aber  die  Netzhautelemenle  ihre  Eindrücke  immer  in  einer 
bestimmten  Richtung  nach  Aussen  versetzen,  so  ist  es  klar,  dass  die  Bewegungen 
der  Scotome  mit  denen  des  Schirmloches  -nicht  nothwendig  übereinstimmen;  dass 
dieses  vielmehr  in  Bezug  auf  die  Richtung  nur  datin  der  Fall  sein  könne,  wenn 
die  entoptischen  Körperchen  idnter  der  Pupille  lagern;  dass  das  Oegentheil  statt- 
finden müsse,  wenn  die  schattenwerfenden  Körper  vor  der  Pupille  sitzen;  ferner 
dass  die  Grösse  der  Abiveichung  bei  gleichen  Excursionen  des  Schirmloches  lun  so 
beträchtlicher  ausfallen  müsse,  je  tceiter  das  entoptische  Körperchen  von  der  Ebene 
der  Pupille  absteht  (Listing).  Noch  klarer  indessen  lässt  sich  die  Lagerung  der 
entoptischen  Körper  in  verschiedenen  Entfernungen  von  der  Pupillarebene  erweisen 
und  sogar  mit  grosser  Genauigkeit  messen  durch  die  Methode  a  double  vue  (Lan- 
ders). Man  sieht  hierbei  durch  einen  Schirm  mit  zwei  sehr  feinen,  etwa  1'"  weit 
von  einander  abstehenden  Löchelchen,  so  dass  sich  zwei  Spectra  auf  der  Netzhaut 
entwerfen,  welche  einander  zur  Hälfte  decken.  In  diesen  erscheinen  nun  die 
Scotome  doppielt  unter  einer  gegenseitigen  Entfernung,  welche  gleich  ist  dem 
Abstände  der  Kreismittelpunkte,  wenn  das  entoptische  Körperchen  in  der  Pupillar- 
ehene  lagert,  näher  aneinander,  wenn  es  hinler,  iveiter  von  einander,  wenn  es  vor 
der  Pupillarebene  sitzt,  und  zwar  ist  die  Distanz  der  gesehenen  Schatten  propor- 
tional dem  Abstände  von  der  Pupillarebene  (Londers). 

.3.  Lie  Scotome  der  dritten  Art  sind  einzeln  genommen  ganz  epihemerer  Natur, 
Auch  sie  zeigen  sich  nur  unter  ganz  besonderen  Umständen,  wenn  der  Kranke 
z.  B.  durch  ein  feines  Schii-mloch  eine  erleuchtete  helle  Fläche  tixirt.  Sonst  werden 


346  Scotome;  Kranklieitsbild;  Behandlung. 

sie  nicld  walirgenoninien  und  beirren  ilarum  auch  das  Sehen  in  keiner  Weise.  Sie 
erscheinen  zumeist  unter  der  Gestalt  rundlicher,  raohn-  bis  hirsekorngrosser,  heller 
kernloser  Flecke  mit  mehr  weniger  scharfen,  massig  dunklen  Rändern  und  haben 
einige  Aehnlichkeit  mit  zarten  Bläschen.  Sie  stellen  theils  einzeln  in  dem  grau- 
gemusteiten  Gesichtsfelde,  theils  aggregiren  sie  sich  zu  Gruppen,  am  häufigsten 
aber  zu  Ketten,  welche  das  Aussehen  von  Perlschniiren  haben.  Ausserdem  finden 
sich  öfters  dunklere,  theils  bräunliche,  theils  schwärzliche,  unregelmüssig  gentaltete, 
bald  scharf  begrenzte,  bald  verwaschene  Flecke  verschiedenen  Calibers,  zarte 
wellige  oder  gerade  Streifen  u.  s.  w.  Bei  Beivegungen  des  Auges  werden  alle  diese 
Scotome  gleich  den  fliegenden  Mücken  in  entsprechender  Richtung  aus  ihrer 
relativen  Stellung  gebracht  und,  waren  diese  Bewegungen  rasch,  so  setzen  die 
Scotome  ihren  Lauf  eine  Strecke  fort,  wenn  der  Bulhus  bereits  fixirt  ist.  Bleibt 
der  Augapfel  ruhig,  so  beginnen  sie  in  steigender  Schnelligkeit  zu  fallen,  wobei 
sie  oft  Bögen  beschreiben,  indem  sie  nach  einer  oder  der  anderen  Seite  ausweichen. 
Am  Ende  verschwinden  sie  an  der  unteren  Grenze  des  Gesichtsfeldes,  während 
andere  von  der  oberen  Gienze  her  im  Sehfelde  erscheinen.  Die  Ketten  verschlingen 
sich  dabei  mannigfaltig,  theilen  sich  u.  s.  w. ,  Indern  nicht  alle  Theile  derselben 
gleich  schnell  nach  abwärts  sinken.  Durch  den  Lidschlag ,  noch  mehr  aber  durch 
sanftes  Reiben  der  geschlossenen  Lider,  wird  die  jeweilige  Anordnung  der  Scotome 
im  Gesichtsfelde  geändert,  es  tauchen  immer  sogleich  ganz  andere  Gruppen  und 
Ketten  auf,  welche  rasch  wieder  nach  abwärts  sinken.  Die  ejjhe^neren  Scotome 
haben  ihren  Giund  sicherlich  in  optischen  Ungleichartigkeiten  des  die  vordere  Horn- 
havtßäche  continuirlich  überziehenden  Flüssigkeitsstratums.  Abgesehen  von  der  Eigen- 
thümliclikeit  ihier  Bewegungen  ergibt  sich  dieses  aus  dem  Einflüsse ,  welchen  der 
Lidschlag  und  sanfte  Reihungen  der  geschlossenen  Lider  auf  die  gegenseitige  Anord- 
nung derselben  im  Gesichtsfelde  nehmen.  Die  dunkleren  fleckenartigen  Scotome 
dürften  auf  abgestossene  Epithelzellen,  Grumen  von  Meibomischem  Fette  u.  s.  w. 
zu  beziehen  sein,  die  hellen  ringförmigen  aber  axxi  Luftbläschen,  welche  den  Thränen 
beigemischt  sind. 

Die  Vereinigung  dieser  ringförmigen  Scotome  zu  Schnüren  erklärt  sich  aus 
der  meniscoiden  Gestaltung  des  Thränenhaches.  Die  specifisch  leichteren  Luft- 
bläschen steigen  nämlich  in  dem  ThräTienmeniscus  empor  und  sammeln  sich  an 
dessen  oberer  Kante  in  einer  Reihe,  welche  beim  Lidschlage  durch  den  oberen 
Lidrand  über  die  Cornea  weggezogen  wird  und  dann  mit  den  Thränen  wieder 
herabsinkt. 

Behandlung.  Die  Hcotome  sind  nach  dem  Mitgetheilten  zum  aller- 
grössten  Theile  nnr  der  symptomatische  Ausdruck  für  innerhalb  der  Norm 
gelegene  Unvollkommenheiten  in  dem  Baue  der  einzahlen  dioptrischen  Medien 
und  darum  olme  aller  tiefer  Bedeutung.  Üelhst  jene  fliegenden  Mücken,  -welche 
mit  grosser  Wahrscheinhchkeit  auf  ZeUenwuche.runycn  im  Glaskörper  zu- 
rückgeführt werden  müssen,  sind  an  und  für  sich  ganz  unhedenkliche  Er- 
scheinungen, indem  sie  erfahrungsmässig  in  einer  Unzahl  von  Augen  zeit- 
lehens  bestehen,  ohne  dass  die  letzteren  in  irgend  einer  Weise  gefährdet 
würden.  Wo  dieses  doch  geschieht,  ist  es  nicht  sowohl  die  Zellenwuche- 
rung des  Glaskörpers,  als  vielmehr  das  Grundleiden,  welches  das  Corpus 
vitreum  in  Mitleidenschoft  gezogen  hat.  Dem  entsprechend  wird  denn 
auch  eine  Behandlung  nur  dort  einzuleiten  sein,  wo  mit  Grund  auf  das 
Vorhandensein  eines  derartigen  primären  Leidens  geschlossen  werden  darf, 
und  die  Therapie  wird  je  nach  der  Art  dieses  krankhaften  Zustandes  ge- 
regelt werden  müssen. 

Tritt  die  Myiodesopsie  primär  in  sehr  lästigem  Grade  hervor,  so  em- 
pfiehlt sich  am  meisten  Schonung  und  Ruhe  des  Auges,  also  eine  entspre- 
chende Augendiü't,  da  unter  deren  Einfluss  das  Mückensehen  thatsächlich 
sich  zu  vermindern  pflegt. 

Quellen.  Listing,  Beitrag  zur  phys.  Optik.  Göttingen.  1845.  S.  7,  26,  33,  40, 
42,  43,  46,  51,  55,  59.  —  Belmholtz,  Karsten's  Encyclopädie.  IX.  S.  148  —  164.  — 
Donders,  Anomal,  der  Refr.  u.  Acc.   Wien.   1866.  S.  167 — 172,  331.  —  Doncan,  ibid. 


Miosyiici-asii'u  ;  Mikropsie;  Mi'j,MlMiisif  ;  Mi'taiiini-pli.ipsii' ;   (."arbciililiiullif  i(.  847 

Ö.   168     —    Zehender,    Seit/,    Haii(1biu:li    der    <;^es.    Aiigenliellkuinle.    Erlangen.   1S55. 
S.  538]  542  —  547.    —    Stelhcag,    Oplitli.   II.  S.   :-587— 8H8.  araefe,    A.   f.   O.   I.   1. 

S.  351^  358;     II.  '2.  S.   293.    —    Corcin.f,   Ueber  Glaiu-oin  ,    Kiit/.iiiitlung  etc     Leipzig 
1859.  Ö.  6,  7. 


DTUTTER  ABSCHNITT. 

Functionsstörungen  des    lichtempfindenden   Apparates. 


Nosologie.  Es  sind  diese  Functionsstörungen  überaus  mannigfaltig 
und  zum  Theile  noch  sehr  ungenügend  studirt.  Man  pflegt  qualitative 
Verstimmungen  (Idiosyncrasien  und  quantitative  Abweichungen  (fft/^seraes^Äesien, 
Anaesfhesien   i;ud    schwarzen    Staar)   zu   unterscheiden. 

1.  Zu  den  Tdiosyncra)iie7i  werden,  nur  theilweise  mit  Recht,  gezählt: 
die  Mikropsle  und  Megalopsie,  die  Metamorphopde,  die  Farhenblindheil  und 
das   Farbigsehen. 

Die  ersteren  beiden  Zustände  finden  ihre  Quelle  gewöhnlich  in  veränderten 
Accommodations-  und  Convergenzverhältnissen  (S.  779).  Hier  und  da  erscheinen 
sie  indessen  nach  Gehirnverleizungen  (H.  Gerold),  neben  entzündlichen  Processen 
in  der  Netzhaut  oder  dem  .Sehnerven  und  können  dann,  wenn  nicht  Verschiebun- 
gen der  Zapfen  durch  Exsudat  die  nächste  Ursache  abgeben  (M.  Tetzer),  möglicher 
Weise  auf  eine  Vemtimmung  der  betreffenden  Nerven  bezogen  werden.  Die  Meta- 
morpltopsie  beruhet  theils  auf  Schiefstellung  einzelner  Zapfen  und  Stabgruppen, 
wie  sie  bei  exsudativer  Netzhautentzündung  (S.  209) ,  bei  der  Amotio  retinae 
(S.  222),  bei  progressivem  Staphyloma  posticum  (S.  400)  vorkömmt,  theils  ist  sie 
eine  Folge  sehr  stark  asymmetrischen  Baues  der  dioptrischen  Medien  (S.  777). 

Die  Farbenblindheit  ist  in  einzelnen  seltenen  Fällen  eine  vollständige  ; 
die  der  Netzhautperipherie  normal  zukommende  Unempfindlichkeit  für  Farben- 
eindrücke [Aubert)  erscheint  auch  über  den  gelben  Fleck  ausgebreitet 
[Achromatopsie,  Achrupsie);  der  Kranke  unterscheidet  sehr  gut  Licht  und 
Dunkel,  ja  die  feinsten  Abstufungen  der  scheinbaren  Helligkeit  in  den 
Netzhautbildern,  erkennt  aber  keine  der  Farben  als  solche,  entbelirt  über- 
haupt des  Begriffes  einer  Farbe  (Wartiaatin).  In  der  Regel  aber  ist  blos 
die  Wahrnehmung  bestimmter  Farben  sehr  beschränkt  oder  aufgehoben  und 
damit  eine  Q,uelle  für  mannigfaltige  Venvechslungen  einzelner  Farben  und 
Farbentöne  gegeben   (^Chromatodysopsie). 

Man  nimmt,  allerdings  nicht  ohne  gewichtigen  Widerspruch  (Rose),  an,  dass 
das  Auge  für  Aetherschwingungen  dreier  verschiedener  Wellenlängen  empfindlich 
sei  und  dass  die  Empfindung  jeder  derselben  einen  eigenthümlichen  Vorgang  oder, 
wenn  mau  will,  das  Resultat  der  Reizung  einer  besonderen  Nervenart  darstelle, 
deren  eine  durch  rothe,  die  andere  durch  grüne,  die  dritte  durch  hlaue  (Maxwell, 
Preyer)  Strahlen  stark,  durch  die  beiden  anderen  Strahlensorten  aber  je  nur  sehr 
schwach  angeregt  wird  (YounqJ.  Weiss  wird  dann  durch  starke  Erregung  aller 
drei  Arten  von  Nervenfasern  zu  Stande  gebracht,  es  möge  nun  mehrfarbiges,  oder 
ein  einfarbiges  aber  sehr  intensives  Licht,  ein  kräftiger  elektrischer  Strom  (Remak)  u.  s.  w. 
auf  die  Netzhaut  wirken.  Die  Empfindung  von  Schwarz  ist  der  Aiisdruck  für  die 
mangelnde  Erregung  aller  drei  Nervenarten.  Die  Empfindung  von  Roth  entsteht, 
wenn  die  rothempfindendeu  Nerven  stark,  die  grün-  und  blauempfindendeu  schwach 


848  Fnnctionsstörungen  d.  lichtempf.  Apparates;  Chromatodysopsie ;  Rothblindheit. 

getroft'en  werden.  Gelh  wird  wahrgenommen,  wenn  die  rotli-  und  grünemptindenden 
Nerven  massig  stark,  die  blauempfindenden  schwach  getroffen  werden.  Grün  zeigt 
sich  bei  starker  Reizung  der  grünempfindenden ,  schwacher  Irritation  der  roth- 
und  blauenipfiiidenden  Nerven.  Blau  resultirt  aus  starker  Reizung  der  blauempfin- 
denden ,  schwacher  der  roth-  und  grünempfindenden  Nerven.  Violett  ergibt  sich 
aus  starker  Reizung  der  roth-  und  blauenipfindenden  Nerven.  Aus  Roth,  Gelb, 
Grün,  Blau,  Violett  sowie  Weiss  und  Schwarz  lassen  sich  aber  alle  möglichen  anderen 
Farben  mischen  und  das  Mischungsverhältniss  in  Form  einer  Gleichung  ausdrücken 
(Helmlioltz). 

Neuere  Untersuchiingen  haben  ergeben,  dass  die  Empfindlichkeit  für  Farhen- 
tonweclisel  am  grössten  im  Gelb,  dann  im  Cyanblau  und  Blaugrün,  am  geringsten  im 
Roth  sei  und  dass  Farbentöne  überhaupt  am  schwierigsten  unterschieden  werden, 
je  näher  dieselben   einer  Grundfarbe  liegen  (Mandelstamm). 

Man  glaubte  das  Farbenunterscheidungsvermögen  mit  einer  JJreitheilung  der 
Zapfenfasern  in  Zusammenhang  bringen  ,  und  jeder  dieser  drei  aus  der  Theilung 
hervorgehenden  Fasern  die  Empfindlichkeit  für  eine  der  drei  Gründfarben  zu- 
schreiben zu  dürfen  (Henle,  Hasse).  Doch  fällt  diese  Hypothese  mit  der  Nach- 
weisung einer  mehj-fachen  Theilung,  eines  pinselförmigen  Auseinanderfahrens  der 
Zapfenfasern  (S.  179)  (M.  SchuÜzeJ.  Andere  meinen  in  der  hlätlchenförmigen  Structur 
der  misseren  Zapfenglieder  die  physicalischen  Bedingungen  für  die  gesonderte 
Wahrnehmung  verschiedener  Farbentöne  suchen  und  ein  Analogon  jener  Vorrich- 
tungen sehen  zu  dürfen,  welche  in  der  Schnecke  des  Gehörorganes  die  Unter- 
scheidung der  Tonhöhe  ermöglichen. 

Bei  der  Chromatodysopsie  fehlt  die  Empfindlichkeit  für  Wellen  einer 
der  drei  Längen,  es  fällt  also  eine  der  drei  Grundfarben  aus  und  dem 
entsprechend  können  alle  von  dem  Kranken  wahrgenommenen  Farben  auf 
dem  Maxwell'schen  Kreisel  durch  zwei,  statt  durch  drei  Grundfarben  mit 
Weiss  und  Schwarz  zusammengesetzt  werden.  Zweifelsohne  erscheinen 
dem  Kranken  die  Farben  anders,  als  dem  Normalsichtigen,  die  Qualität 
des  Eindruckes  ist  geändert ;  verschiedene  Farben  aber  zeigen  sich  gleich 
und  werden  darum  mit  einander  verwechselt.  Man  unterscheidet  drei 
Formen  (Seebeck).  Bei  der  einen  lassen  sich  alle  Täuschungen  durch  man- 
gelhafte oder  fehlende  Wahrnehmung  des  Grün  erklären  {Grünhlindheit). 
Bei  der  anderen  beruhen  die  Täuschungen  auf  dem  Ausfalle  des  Roth 
(liothblindheit,  Anerythropsie,  Daltonismus),  und  bei  der  dritten  auf  dem 
Ausfalle   des   Blau  (Blaublindheit). 

Die  Rothblindheit  kömmt  ziemlich  häufig  vor,  sie  ist  in  der  Kegel 
angeboren  und  oft  auch  ererbt,  findet  sich  häufiger  bei  Männern,  als  bei 
Weibern,  und  wird  hauptsächlich  bei  Individuen  des  germanischen  Stammes 
beobachtet.  In  England  ist  das  procentarische  Verhältniss  der  Rothblinden 
ein  sehr  hohes  {Wilson).  Erworben  wird  die  Anerythropsie  bisweilen  durch 
übermässige  Anstrengungen  der  Augen  und  in  Folge  schwerer  Kopf- 
verletzungen {Wilson,  Tyndal).  Am  öftesten  entwickelt  sie  sich  neben 
progressivem  Sehnervenschwunde  (S.    236). 

Bei  der  Bothblindheit  wird  das  objective  rothe  Licht,  welches  die  grün  em- 
pfindenden Nerven  nur  schwach  und  die  blau  empfindenden  noch  schwächer  anregt, 
nicht  roth ,  sondern  grünlich  und  bei  geringer  Intensität  graulicli  wahrgenommen. 
Das  objectiv  gelbe  Licht  reizt  stark  die  grün  empfindenden,  schwächer  die  blau 
empfindenden  Nerven,  daher  es  die  Empfindung  gesättigten  lichtstarken  Grüns 
hervorruft.  Das  objective  Grün,  besonders  wenn  es  sich  dem  Blau  des  Spectrum 
nähert,  reizt  die  grün  und  blau  empfindenden  Nerven  stark,  muss  also  weisslich 
gesehen  werden.  Die  bkme  Farbe  wird  annähernd  richtig  empfunden,  da  hier  auch 
in  der  Norm  der  Einfluss  der  roth  empfindenden  Nerven  fast  Null  ist.  Im  Sonnen- 
S2iectrum  sehen  die  Anerythropen  nur  zwei  Farben,  welche  sie  Gelb  und  Blau 
nennen.  Zum  Gelb  rechnen  sie  das  ganze  Roth,  Orange,  Gelb  und  Grün.  Die 
grünblauen  Töne    nennen  sie   grau ,    den  Rest  blau.    Das   äusserste  Roth    sehen   sie 


Grün-,  Blau-,  Violottblindheit;  Farbigselien.  849 

gar  nicht,  es  wäre  denn  sehr  intensiv,  Sie  zeigen  daher  die  Grenze  des  Spectrums 
und  Kegenbogens  verkürzt.  Unter  den  Kih  per  färben  verwechseln  sie  Roth  mit 
Braun  und  Grün,  und  sehen  deren  Nuancen  dunkler,  als  Normalsichtige.  Goldgelb 
unterscheiden  sie  nicht  von  Gelb  ,  Kosa  nicht  von  Blau.  Eine  gc^wisse  Mischung 
von  Gelb  und  Schwarz  erscheint  ihnen  am  MaxweH'schen  Kreisel  gleich  mit  Rotli, 
eine  gewisse  Mischung  von  Gelb  und  I51au  gleich  mit  Grün,  eine  andere  mit 
Grau.  Aus  Roth,  Gelb,  Grün  und  Blau  lassen  sich  aber  mit  Zuhilfenahme  von 
Weiss  »uid  Schwarz  alle  anderen  Farben  herstellen.  Violett  unterscheidet  der  Roth- 
blinde, nennt  es  aber  blau  (Hehnholtz,  Schelske). 

Die  Grilnhlinden  unterscheiden  im  Sonnenspectruin  auch  nur  zwei  Farben, 
welche  sie,  wahrscheinlich  ziemlich  richtig,  Roth  und  Blau,  oder  wenn  weisses 
Licht  zugeniischt  ist,  Gelb  und  Blau  nennen.  Es  sind  diese  beiden  Farben  getrennt 
durch  einen  Streifen  von  unbestimmter  graulicher  Färbung  und  zwar  nimmt  dieser 
Streifen  gerade  jene  Stelle  im  Spectrum  ein,  welche  im  normalen  Auge  die  reinste 
Empfindung  von  Grün  gibt,  also  die  grünemijßndenden  Nervenfasern  am  meisten 
anregt.  Dabeiist  die  Empfindlichkeit  für  Blau  sehr  verstärkt;  so  dass  das  Spectrum 
am  violetten  Ende  erheblich  verlängert  erscheint.  Auch  für  RoÜl  ist  die  Empfind- 
lichkeit etwas  erhöht  (Preyer).  Die  Grünblinden  erkennen  leicht  und  sicher  Ueber- 
gänge  zwischen  Violett  und  Roth,  welche  dem  Anerythropen  gleichmässig  als  Blau 
erscheinen.  Dagegen  machen  sie  auch  Verwechselungen  zwischen  Grün,  Gelb,  Blau 
und  Roth,  wählen  aber,  falls  sie  denselben  Farbenton  mit  Grün  verwechseln,  ein 
gelberes  Grün,  als  die  Rothblinden  (Seeheck,  Helmholtz). 

Bei  Blauhlinden  wird  Blau  und  Grün  oder  Blau  und  Gelb  für  gleich  gehal- 
ten, Roth  vmd  Grün  jedoch  nicht  verwechselt.  Das  violette  Ende  des  Spectrums 
soll  nicht  verkürzt  sein  (Preyer) ,  wahrscheinlich  indem  Violett  wie  Roth  empfun- 
den wird. 

Es  kömmt  auch  Violetthlindheü  vor.  Man  erklärt  dieselbe  durch  abnorm 
starke  Anhäufung  des  gelben,  in's  Grünliche  spielenden  Pigmentes,  welches  die 
Gegend  der  Macula  kitea  auszeichnet,  inid  glaubt,  dass  dieses  Pigment  das 
durchgehende  blaue  und  violette  Licht  beträchtlich,  das  rothe  jedoch  nur  in 
geringem  Grade  abschwäche  (M.  Schnitze).  In'  Uebereinstimmung  damit  leitet  man 
die  sehr  wechselnde  Empfindlichkeit  verschiedener  Augen  für  blaues  und  violettes 
Licht,  das  Vorkommen  Ultraviolett-,  also  Lavendelblausehender  (Masoart)  und  das 
Vorkommen  Violetthlinder  (Rose)  aus  einer  verschiedenen  Intensität  der  Färbung 
des  gelben  Fleckes  ab.  Man  ist  sogar  noch  weiter  gegangen  und  hat  die  Roth- 
Lliudheit  auf  Rechnung  einer  stärkeren  Entwickelung  der  grünlichen  Nuance  des 
Pigmentes  am  gelben  Flecke  bringen  zu  dürfen  vermeint  (M.  Schnitze) ,  ist  dabei 
aber  auf  mehrfachen  Widerspruch  gestossen  (Dar). 

Das  Farhigsehen  ist  ein  im  Ganzen  sehr  wenig  erforschter  runctions- 
fehler,  welcher  sich  dadurch  charakterisirt,  dass  eine  gewisse  Farbe,  Gelb, 
Koth,  Blau,  Grün  n.  s.  w.  über  das  Gesiclitsfeld  ergossen  ersclieint  und 
die  objcctiven  Farben  der  Objecte  entsprechend  ihrer  eigenen  Qualität 
verändert. 

Es  ist  das  Farbigsehen  in  der  allergrössten  Mehrzahl  der  P"'älle  begründet 
durch  Färbungen  und  Trülmngen  der  dioptrischen  Medien  und  der  vorderen  Netz- 
hautschicJiten.  Das  Gelbstelien  beim  Ikterus  (Rose)  ist  ohne  Zweifel  zumeist  auf  den 
Uebertritt  von  Gallenfarbstoft'  in  den  Lichtbrechungsapparat  und  in  die  Netzhaut 
zu  beziehen.  Das  Nebenhergehen  von  Violetthlindheit  erklärt  sich  ganz  einfach 
aus  der  Undurchlässigkeit  der  gelb  gefärbten  Medien  für  blaues  Licht.  Das  Gelh- 
sehen  im  Sanfoninrausche  ist  wahrscheinlich  der  symptomatische  Ausdruck  für  eine 
stärkere  Erregting  der  hlau-  und  rotliempfindenden  Nervenfasern,  welche  sich  jedoch 
im  hellen  Lichte  alsbald  erschöpft,  so  dass  Gelbsehen  erübrigt,  also  Violettblind- 
heit eintritt ,  im  Schatten  hingegen  sich  alsbald  wieder  retablirt  und  Violeltsehen 
begründet.  Jedenfalls  kann  das  Gelbsehen  im  Sanfoninrausche  nicht  von  einer 
stärkeren  Anhäufung  des  gelben  Pigmentes  in  der  Macula  lutea  (M.  Schnitze)  abhän- 
gen oder  in  einer  gelben  Färbung  des  Blutserums  (Nagel)  seine  Quelle  finden ,  da 
die  Haidinger'schen  Lichtbüschel  im  Sanfoninrausche  sehr  deutlich  wahrgenommen 
werden ,  das  blaue  Licht  also  bei  seinem  Vordringen  bis  zur  Stabschichte  kein 
Hinderniss  findet.  Das  Violettsehen  darf  übrigens  auch  nicht  auf  coniplementär 
St  eil  wag,  Augenheilkunde.  öi 


850  Functionsstöinn^'.  d.  lichti^mpt  App.:  Hvperaesthesia  optica;  Lichtscheu. 

gefärbte  Nachbilder   (M.  SchuUzeJ   zurückgeführt  werden,    indem  es  schon  vo7-  dem 
Gelbsehen  zur  Wahrnehmung  kömmt  (HüfnerJ. 

Ob  das  Farbigsehen  nach  örtlicher  Anwendung  des  Digitalin  u.  s.  w. 
(A.  Weher)  analoge  Ursachen  habe,  steht  dahin.  Mit  Sicherheit  ist  das  Farbigsehen 
nach  intraoculüren  Blutungen  (S.  159),  in  manchen  Fällen  von  Nefzhaiite7itzUndnng 
(S.  197)  und  von  Glaucom  durch  Trübungen  der  dioptrischen  Medien  und  der 
Netzhaut  zu  erklären.  Das  Blausehen  nach  Staarextractionen  (GuepinJ  beruht  auf 
dem  Zurückbleiben  von  Rindeutrümmern ,  da  es  durch  einen  künstlichen  Glaskör- 
pervorfall (S.  719)  beseitigt  wird  (Hasner).  Die  farbigen  Säume,  welche  sich  bei 
Asügmatismvs  (S.  816)  etc.  um  die  Objectbilder  herum  zeigen,  sind  auf  die  Licht- 
zerstreuung im  dioptrischen  Apparate  und  auf  ungenügende  Accommodation  zurück- 
zuführen. Sieht  man  von  diesen  Fällen  und  von  dem  complementären  Farhigsehen 
ab,  welches  sich  ausnahmsweise  nach  dem  Gebrauche  stark  gefärbter  Augengläser 
geltend  macht  (Böhm),  so  bleiben  nur  wenige  Fälle  übrig,  in  welchen  das  Leiden 
materieller  Grundlagen  gänzlich  zu  entbehren  scheint  und  sich  als  eine  wahre  Ver- 
stimmung des  lichte mptindenden  Apparates  auffassen  lässt.  Man  hat  solche  Zustände 
unter  verschiedenen  äusseren  Verhältnissen  beobachtet.  Mitunter  wechselte  die  sub- 
jective  Färbung  des  Gesichtsfeldes,  remittirte  oder  intermittirte  gar  fSzokalski).  Sie 
lässt  sich  nicht  durch  Vorsetzung  complementär  gefärbter  Gläser  neutralisiren, 
sondern  bedarf  behufs  dessen  öfters  ganz  absonderlicher  und  physikalisch  nicht 
erklärbarer  Farbenconibinationen  fH.   Gerold). 

2.  Die  optische  Eypcraesthesie  charakterisirt  sich  einerseits  durch 
abnorm  gesteigerte  Erregbarkeit,  d.i.  durch  unverhältnissmässige  Intensität  uud 
Dauer  der  Kmpfindungeu,  welche  von  Beizen  beliebiger  Art  im  Bereiche 
des  lichtempfindenden  Apparates  angeregt  werden;  andererseits  aber  durch 
einen  Zustand  abnorm  hoher  Erregung,  welcher  sich  durch,  von  äusseren 
Einflüssen  unabhängige  Functionsthätigkeiten  bekundet. 

a.  Symptomatisch  kömmt  sie  am  häufigsten  zum  Ausdrucke  durch  ein 
höchst  peinliches  Gefühl  von  Blendung,  welches  sich  schon  bei  der  Einwir- 
kung ganz  unverhältnissiuässig  kleiner  Lichtmengen,  oder  gar  bei  völligem 
Abschlüsse  objectiven  Lichtes  geltend  macht.  Es  combinirt  sich  dieses  Blen- 
dungsgefuhl  in  der  Regel  mit  den  Erscheinungen  der  Ciliarhyperaesthesie, 
d.  i.  mit  mehr  weniger  heftigen,  über  einen  oder  den  anderen  Quintusast 
ausstrahlenden  Schmerzen  im  Bulbus,  mit  profuser  Thränensecretion,  reflecto- 
rischen  Krämpfen  des  Lidschliessmuskels  u.  s.  w.,  und  steUt  dann  in  dieser 
Combination  jenen  Zustand  dar,  welchen  man  allgemein  unter  dem  Xamen 
der  Lichtscheu,  Photophobie,  beschreibt.  Die  Lichtscheu  ist  also  ein  sehr 
zusammengesetztes  Phänomen,  das  Spiegelbild  hyperä.sthetischer  Aftectioueu  in 
verschiedenen  ]Servenbezirken,  welche  jedoch  in  innigem  functionellen  Ver- 
bände mit  einander  stehen  und  darum  die  EiTegungen  sich  wechselweise 
leicht  mittheilen  können. 

In  höchst  seltenen  Fällen  findet  sich  neben  intensiver  Lichtscheu  Xycfalopie, 
d.  i.  die  Fähigkeit,  bei  sehr  geringen  Erleuchtungsintensitäten  annähernd  deutlich 
zu  sehen,  zu  lesen  u.  s,  w.  In  einem  Falle  war  Nyctalopie  mit  bedeutender  con- 
centrischer  Gesichtsfeldeinschränkung  und  intensiver  Lichtscheu  nach  einer  Kopf- 
verletzung aufgetreten.  Später  hatte  sich  Nystagmus  und  Epilepsie  hinzugesellt 
Der  Ausgang  war  Heilung  (Mooren). 

b.  Eine  andere  Aeusserungsweise  der  optischen  Hyperästhesie  sind  die 
sogenannten  Phosphene.  Sie  kommen  sowohl  lyiit  als  ohne  dem  Blendungs- 
gefühle und  wahrer  Lichtscheu  vor  und  sind  gleich  diesen  nicht  nothwendig 
an  die  Einwirkung  objectiven  Lichtes  gebunden,  sondern  zeigen  sich  charak- 
teristischer Weise  eben  so  gut  bei  völliger  Finsterniss,  ja  bei  completer 
Amaurose.  Sie  bringen  meistens  nui*  den  krankhaften  Erregungszustand  der 
einzelnen    Xervenelemente    als     solchen    zum  symptomatischen  Ausdrucke  ; 


i 


Phosphene;  Chromopsio  ;  Kaibcnsoheii ;  l'hfitoi>sie;  riiininurscotom.  851 

werden  indessen  in  Zahl,  Grösse  und  Intensität  mächtig  gesteigert  oder 
auch  dircct  hervorgerufen  durcli  absolut  und  relativ  äussere  Reize ,  wie  da 
sind  :  kleine  vorlibergchende  Wallungen  oder  Stauungen  des  Blutes,  ja  die 
normale  Circulation  und  Pulsation  der  (lelasse,  ein  leiser  Druck  auf  das 
Auge,  kleine  Erschütterungen,  selbst  rasche  Seitenbewegungen  desselben, 
gleichzeitige  plötzliche  Contractionen  der  vier  geraden  Augenmuskeln, 
elektrische  Ströme,  welche  auf  den  Bulbus  einwirken  (HelmhoUz,  Schelske) 
u.   s.    w.   (S.   236). 

Es  präsentiren  sich  diese  subjectiven  Gesichtserscheinungen  öfters  in 
der  Gestalt  hellleuchtender  weisser  oder  farbiger  Wolken,  Ringe  u.  s.  w., 
welche  einen  grossen  Theil  des  Gesichtsfeldes  ausfüllen  und  sich  unter 
mannigfaltigem  Formwechsel  in  diesem  herumzubewegen  pflegen.  Mitunter 
scheint  das  Sehfeld  wälu'eud  den  Anfallen  seiner  ganzen  Ausdehnung  nach 
von  einem  gleichmässigen  oder  gewölkten,  öfters  wogenden  oder  vibrirenden 
Nebel  erfüllt,  dessen  Farbe  gemeiniglich  bläulich  weiss,  nicht  selten  aber 
auch  gelb,  grün,  roth  u.  s.  w.  ist.  Die  (^bjecte  leuchten  dann  nur 
undeutlich  und  bisweilen  von  Regenbogenfarben  umsäumt  durch  den  Nebel 
durch.  Man  beschreibt  dieses  riiänomen  unter  dem  Namen  der  Chromopsie 
oder   Chrupsie,   des   Farhensehens. 

Am  geiüöhnlichsten  zeigen  sich  die  fraglichen  Phosphene  unter  der 
Form  heller  weisser  oder  farbiger  Blitze,  Fimken ,  Flammen,  Räder, 
Kugeln  u.  s.  w.,  welche  au  verschiedenen  Punkten  des  Gesichtsfeldes  auf- 
tauchen und  dasselbe  rasch  in  mannigfaltigen  Richtungen  durchkreuzen, 
seltener  an  einem  Punkte  zu  haften  scheinen  und  allmälig  erblassen,  ohne 
ihren  Ort  verändert  zu  haben.  Bisweilen  häufen  sie  sich  derart,  dass  sie 
das  Gesichtsfeld  nahezu  ausfüllen  und  es  solchermassen  dem  Kranken 
däucht,  als  sähe  er  in  einen  dichten  Regen  von  flimmernden  goldenen, 
silbernen  oder  feurigen  Tropfen,  oder  als  wogte  vor  seinen  Augen  ein 
Meer  von  Flammen  oder  geschmolzenen  Metallen.  Der  gebräuchliche 
Name  für  diese  Art  subjectiver  Gesichtserscheiuungen  ist  Photopsie  oder 
Spintherismus. 

cj  In  neuester  Zeit  hat  ein  schon  seit  Langem  beschriebenes  (Heinicke,  Ruete) 
höchst  eigentln'imliches  Symptom  von  Hyperästhesie  des  lichtenipfindenden  Appa- 
rates, das  sogenannte  Flimmeyscotoin ,  die  Aufmerksamkeit  wieder  auf  sich  gelenkt 
(Foe.r-ster).  Es  scheint  dasselbe  nicht  ganz  selten  vorzukommen,  tritt  anfallsweise 
mit  oder  ohne  äussere  Veranlassung  in  längeren  oder  kürzeren,  ganz  unregel- 
mässigen Intervallen  auf,  wird  von  migränartigen  Zufällen  bald  vorbereitet,  bald 
gefolgt  und  ist  mit  seltenen  Ausnahmen  (Schirvier)  einseitig.  Es  charakterisirt  sich 
durch  das  plötzliche  Auftreten  eines  leeren  Fleckes  im  Gesichtsfelde,  welcher  sich 
rasch  vergrössert  und  von  einer  höchst  auffälligen  hellen  Zone  eingesäumt  ist, 
welche  letztere  entweder  einfach  flimmert,  oder  in  grell  gefärbten  Zickzacklinien 
schillert.  Soweit  das  Scotom  reicht,  ist  die  Wahrnehnuing  von  Objecten  des  Ge- 
sichtsfeldes völlig  annullirt.  Der  Ausfall  im  Gesichtsfelde  präsentlrt  sich  bald  als 
eine  Vergrösserung  des  blinden  Fleckes  (Ruete) ;  bald  stellt  er  eine  nahezu  central 
gelegene  Unterbrechung  dar,  welche  sich  rasch  über  grössere  Partien  des  Gesichts- 
feldes ausdehnt  (Förster);  bald  erstreckt  er  sich  auf  eiuen  ganzen  Quadranten  des 
Sehfeldes  (Mannhardt) ;  bald  endlich  ist  die  eiue  Hälfte  des  Sehfeldes  erblindet, 
das  Leiden  stellt  sich  in  der  Form  einer  Hemiopie  dar  (WoUaston,  Airy,  Breioster, 
Listing,  Testelin).  Die  Anfälle  dauern  in  der  Kegel  nur  mehrere  Minuten ,  können 
sich  jedoch  bis  zu  einer  Stunde  und  darüber  ausdehnen,  worauf  sich  das  frühere 
Sehvermögen  wieder  herstellt.  Man  liat  demnach  auch  den  Namen  Amaurosis  par- 
tialis  fugax  vorgeschlagen  (FoersterJ.  Das  pathogenetisclie  Moment  sind  wahrschein- 
lich vasomotorische  Störungen  in  gewissen  Centraltheilen  des  lichtempfindenden 
Apparates. 

54* 


852  Functiüiisstörung.  d.  licLtempf.  App.;  Hyi)eraestliesia  optica ;  Asthenopia  retinalis. 

d.  Die  krankhafte  Steigerung  der  Erregbarkeit  macht  endlich  auch 
die  Dauer  der  Reaction  gegen  objective  Reize  öfters  zu  einer  unverhält- 
nissmässig  langen.  Es  treten  Nachbilder  leichter  auf,  erreichen  sehr 
namhafte    Erleuchtungsintensitäten    und    klingen    viel    schwerer     ab    als  in 

der  Norm. 

Bei  raschem  Wechsel  geschieht  es  daher  leicht,  dass,  während  schon  ein  anderer 
Gegenstand  zur  Betrachtung  gelangt,  noch  ein  Nachbild  des  früher  beschauten 
Objectes  vorhanden  ist,  dass  also  die  Nachbilder  sich  mit  den  Eindrücken  der  in 
Sicht  befindlichen  Objecte  mischen,  die  ^Yahrnehmungen  sich  gegenseitig  confundiren 
und  dass,  indem  die  Nachbilder  mit  den  Bewegungen  des  Auges  ihren  Platz  ändern, 
den  ruhenden  Objecten  der  Betrachtung  eine  scheinbare  Bewegung  mitgetheilt  wird. 
Die  Objecte  scheinen  so  hin  und  her  zu  schwanken,  zu  tanzen  und  der  Kranke 
wird  schwindlig,  wenn  die  beschauten  Gegenstände  nur  einigermassen  rascher 
ihren  Ort  wechseln  {Ruete). 

Besonders  starke  und  dauernde  Eindrücke  pflanzen  sich  gleichsam  fest  in  den 
lichtempfindenden  Apparat  ein,  so  dass  ihre  Nachbilder  Tage  und  Wochen  lang  im 
Gesichtsfelde  haften  oder  wenigstens  sogleich  hervortreten,  wenn  der  Kranke  nur 
daran  denkt.  Waren  diese  Eindrücke  der  Form  nach  sehr  mannigfaltig  und  icech- 
selnd,  so  kömrat  es  wohl  auch  zu  einem  förmlichen  Jagen  von  siihjectiven  Gesichts- 
erscheiniingen ,  deren  eine  die  andere  im  Gesichtsfelde  zu  verdrängen  sucht  und 
■welche  bald  das  Gesehene  einfach  reproduciren ,  bald  mehrere  Eindrücke  in  Form 
von  Nachbildern  unter  einander  combiniren ,  bald  aber  ganz  ungestaltete,  mannig- 
faltig gefärbte  P^iguren  dem  Sensorium  vorspiegeln  und  so  die  Veranlassung  zu 
den  abenteuerlichsten    Visionen  geben  (Ruete). 

Die  optische  Hyperaesthesie  zeigt  sich  gelegentlich  als  Symptom  con- 
gestiver  und  entzündlicher  Gehimleiden,  des  Säuferwahnsiunes,  der  Vergiftung 
mit  gewissen  narkotischen  Substanzen  (Mackenzie,  Ruete),  neben  Trige- 
minusneuralgien  (Alexander)  u.  s.  w.  Sie  begleitet  manchmal  die  mehr 
acuten  Formen  der  Neurodictyitis  (S.  197),  und  spielt  auch  unter  den 
Vorläufern  (S.  222)  und  Ausgängen  (S.  225)  der  Netzhautabhebung  eine 
E.olle.  Am  gewöhnlichsten  wird  sie  auf  consensuellem  Wege  vom  Ciliar- 
systeme  aus  angeregt  und  unterhalten.  Sie  lässt  sich  dann  meistens  auf 
entzündliche  Processe  zurückführen  und  gewinnt  bisweilen  die  Bedeutung 
eines  sympathischen  Leidens  (S.  333).  Sie  ist  im  letzteren  Falle  meistens 
mit  concentrischer  Einschränkung  des  Gesichtsfeldes,  mit  iutensirer  Licht- 
scheu und  Accommodationsbeschränkung  gepaart.  Oft  genug  jedoch  fehlt 
jedes  Zwischenglied,  die  Hyperaesthesie  ist  eine  unmittelbare  Folge  hefti- 
ger, auf  das  Ciliarsystem  wirkender  Reize.  Ueberbürduugen  des  Accom- 
modations-  und  der  Convergenzmuskeln  (S.  830)  stehen  hierbei  in  erster 
Linie. 

In  anderen  Fällen  entwickelt  sich  das  Leiden  primär  im  lichtempfin- 
denden Apparate  und  pflanzt  sich  von  da  alsbald  auf  das  Ciliarsj'stem 
fort.  Die  häufigste  Veranlassung  geben  angestrengte  Bethätigungen  des 
Sehorganes  bei  intensiver  Erleuchtung  des  Gesichtsfeldes,  bei  directem 
Sonnen-  oder  starkem  flackernden  Gaslichte,  die  Bearbeitung  sehr  glänzender 
oder  grell  gefärbter  oder  im  Gegentheile  ungenügend  beleuchteter  kleiner 
Objecte,  besonders  wenn  letztere  in  steter  rascher  Bewegung  begriffen 
sind,  weiters  ein  häufiger  Wechsel  grosser  Lichtcontraste  u.  s.  w.  Die 
Beschwerden,  welche  solchermassen  hervorgerufen  werden,  haben  sympto- 
matisch viel  Aehnlichkeit  mit  den  asthenopischen,  daher  der  Zustand  als 
Asthenopia  retinalis  beschrieben  worden  ist  (Gräfe). 

Es  charakterisirt  sich  derselbe  in  negativer  Richtung  durch  das  Abhandensein 
irgend  welcher  erheblicher  Abweichungen  im  Bereiche  der  Accoramodation  und  der 
Augenmuskeln;    in  x^ositiver    Richtung  aber    durch  die   Unverträglichkeit  der  Augen 


Anaesthesia  oijtioii;  Heiiit'i:i,l<>iiif  ;  iMoiid-  ii.  Sclciici'liliiuUuüt;  l';ul.  Aii;u',bthesie.  853 

gegen  jrdp  rrhchlichc  Beth;itii;'mig,  iiulcin  dicselho  alsl);ilfl  zu  einein  liTichst  pein- 
lichen Gefühle  von  Bleudmuj  und  einem  d;iniit  verbundenen  Undeullichwcrden  der 
Objeete  führt,  gleichviel  welches  die  Distanz  des  fixirten  Gegenstandes,  also  der  erforder- 
liehe Spannungsgrad  des  Aeeunnnodationsnniskcls  und  der  Geraden  sei.  Es  ist  die 
retinale  Asthenopie,  einmal  zu  höheren  (iradeii  entwickelt,  meistens  seiir  hart- 
näckig; trotz  all(!r  Schonunji;  und  dem  so  gerühmten  Gebrauehe  blauer  Gläser 
(Böhm)  besteht  sie  oft  Monate  lang  und  macht  den  Kranken  zu  jeder  ernsten  Be- 
schäftigung untauglich. 

3.  Die  Anaesthesia  optica  ist  eine  von  wahrnehmbai'en  materiellen 
Veränderungen  unabhängige  Verminderung  der  Erregbarkeit  des  lichtempfin- 
denden Apparates.  Ihr  Hauptmerkmal  ist  die  unverhältnissmässige  Schwächung 
des  sinnlichen  Eindruckes,  welchen  Erlcuchtungsintensitäten  von  sinkender 
Stärke  auf  das  Sehorgan  ausüben.  Es  zeigt  sich  die  optische  Anaesthesie 
unter  mancherlei  Formen  je  nach  dem  zu  Gi'unde  liegenden  ätiologischen 
Momente. 

a.  In  der  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  sind  es  Ueberreizungen 
des  lichterapfindenden  Apparates,  welche  zur  Anaesthesie  führen.  Es 
scheint,  als  ob  solchermassen  eine  Art  Erschöpfung  oder  Abstumpfung  be- 
gründet würde,  welche  die  betreffenden  Nervenelemente  unfähig  macht, 
auf  minder  starke  und  überhaupt  massige  Lichteindrücke  im  normalen  Grade 
zu  reagiren. 

Unter  den  Irritamenteu,  welche  hier  in  Betracht  kommen,  steht  selbst- 
verständlich das  Licht  obenan.  In  der  That  ist  der  so  überaus  häufig  und 
selbst  endemisch  vorkommende  Nachtnebel,  die  Hemeralopie,  dem  Wesen  nach 
nichts  Anderes,  als  optische  Anaesthesie,  welche  ihren  Grund  in  länger 
dauernden  Einwirkungen  starker  Lichtgrade  auf  das  Sehorgan,  weiterhin 
aber  in  mangelhafter  Ernährung  und  darin  wurzelnder  Functionsschwäche 
des  gesammten  Nervensystems  findet.  Ihr  innig  verwandt  ist  die  Schnee- 
blindheit und  Mondblindheit. 

Die  Schneeblindheit  ist  ein  sehr  gewöhnliches  Vorkommniss  sowohl  bei 
Menschen  als  bei  Hausthieren,  welche  weite  Schnee-  und  Gletscherfelder  hoher 
Gebirge  bei  hellem  Sonnenscheine  durchwandern,  ohne  die  Augen  vor  dem  grellen 
Reflexe  des  Bodens  zu  schützen.  Sie  charakterisirt  sich  durch  eine  bald  rasche, 
bald  sehr  allmälige  Verdüsterung  des  Gesichtsfeldes  und  durch  endliche  völlige 
Verfinsterung  desselben,  welche  so  lange  dauert,  als  der  Betroffene  in  jenen  unwirth- 
baren  Gefilden  mit  unbedeckten  Augen  weilt;  alsbald  aber  schwindet,  wenn  er  in 
die  xchneelosen  Alpentriften  niedersteigt,  oder  die  Augen  längere  Zeit  hindurch 
mittelst  eines  vorgebundenen  dunklen ,  wenig  Licht  durchlassenden  Gewebes,  z.  B. 
schwarzen  Krepps,  oder  mittelst  dunkler  Gläser  vor  übermässigen  Lichtreizen  be- 
bewahrt fTschudi,  Förster). 

Die  MondhUndheit  tritt  öfters  bei  Matrosen  auf,  wenn  dieselben,  ziunal  unter 
den  Tropen,  in  hellem  Mondscheine  auf  dem  Decke  schlafen.  Sie  soll  bisweilen 
so  stark  werden ,  dass  die  Leute  beim  Erwachen  kaum  das  Tageslicht  erkennen 
und  geführt  werden  müssen  (Rohinson). 

Intensives  directes  oder  reflectirtes  Sonnenlicht,  welches  plötzlich  das 
Auge  trifft  oder  längere  Zeit  auf  die  Netzhaut  wirkt,  veranlasst  übrigens 
mitunter  auch  partielle  Anaesthesien,  besonders  der  am  meisten  ausgesetzten 
Netzhautmitte.  Es  äussert  sich  dieser  Zustand  durch  eine  dunkle  Wolke, 
welche  beständig  in  der  Mitte  des  Sehfeldes  schwebt  und  völlig  undurch- 
dringlich ist,  oder  bei  geringerer  Dichtigkeit  die  Objeete  in  mehr  weniger 
bestimmten  Umrissen  und  Farben   durchscheinen  lässt. 

Die  Wolke  ist  im  Allgemeinen  um  so  dunkler,  je  weniger  hell  erleuchtet  das 
Gesichtsfeld  ist.  Bei  grosser  Helligkeit  des  letzteren  erscheint  sie  öfters  gefärbt. 
Bei  geschlossenen  Augen  verschwindet  sie  nicht    ganz,    zeigt  sich  vielmehr  in  ein- 


8o4  Fiinctionsstömng.  d.  lichtempfind.  App. :    Anaesthesia  optica :  Amaurosis  traumat. 

zelneu  Fällen  lieller,  als  die  normale  Umojebniig.  Oefters  ephemer,  blos  einige 
Stunden  andauernd  und  nach  dem  nächtlichen  Schlafe  verwischt,  ist  sie  unter 
anderen  Umständen  eine  höchst  qualvolle  Erscheinung,  welche  den  Kranken  Wochen 
und  Monate  lang  nnablässig  verfolgt,  bis  sie  nnter  gehöriger  Angendiät  allmälig 
dünner  wird,  die  Gegenstände  klarer  und  klarer  hervortreten  lässt,  oder  stückweise 
sich  auflöst  nnd  aus  dem  Sehfelde  verschwindet.  Bisweilen  bleibt  lange  eine  ge- 
wisse Schwäche  der  Netzhautmitte  zurück,  welche  sich  besonders  beim  Uebergange 
aus  einem  liellen  in  einen  dunkleren  Raum  im  directen  Sehen  fühlbar  macht  (Ed. 
Jaeger,   Schirmer,  Mackenzie). 

h.  In  zweiter  Reihe  sind  Blitzschläge  und  mechanische  Erschütterungen 
des  Auges  oder  seiner  Centralorgane  als  mögliche  Veranlassungen  der  Anae- 
sthesia optica  aufzuführen.  Auch  können  Reizzustände  im  Bereiche  des 
einen  oder  des  anderen  Quintusastes  auf  reflectorischem  Wege  ähnliche 
Wirkungen  nach  sich  ziehen  (S.    12). 

Leider  sind  die  bezüglichen  Fälle  nur  zum  kleinen  Theile  genügend  unter- 
sucht und  es  liegt  die  Vermuthnng  nahe,  dass  hier  ganz  verschiedene  Krankheiten 
zusammengefasst  wurden,  welche  in  dem  avffiilUgsten  Symptome,  in  der  plötzlichen 
oder  doch  sehr  raschen  Verminderung  oder  völligen  Vernichtung  des  Lichtempfin- 
dnngsverviögens,  übereinkommen.  Für  deren  theihveise  Einstellung  in  die  Gruppe 
der  Anaesthesien  spi-icht  der  Umstand,  dass  die  Sehstörung  oft  lange  besteht,  ohne 
dass  sich  irgend  welche  viaterielle  Veränderungen  in  den  dem  Augenspiegel  zugäng- 
lichen Theilen  nachweisen  lassen,  ja  dass  nach  geraumer  Zeit  die  Functions- 
tüchtigkeit  des  lichtempfindenden  Apparates  sich  wieder  zur  Norm  hebt  oder 
doch  nur  eine  concentrisclie  Einengung  des  Gesichtsfeldes  ohne  objectiven  Befund 
zurücklässt. 

Das  nächste  pathogenetische  Moment  dieser  Anaesthesien  liegt  noch  im 
Unklaren.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  ist  es  indessen  unzweifelhaft  auf 
vasomotorische  Einflüsse  zu  beziehen.  Dieselben  sind  häufig  auch  kräftig 
genug,  um  über  kurz  oder  lang  materielle  Veränderungen  im  lichtempfin- 
denden Apparate  einzuleiten,  welche  dann  unter  der  Form  manifester  Ent- 
zündungen oder  des  progressiven  Sehnervenschwnndes  (S.  241)  in  die  Er- 
scheinung treten  und  den  betreffenden  Fall  in  die  Categorie  der  eigentlichen 
schwarzen  Staare   einzureihen  nöthigen. 

Im  Uebrigen  steht  es  fest,  dass  schon  die  Art  der  directen  Schädlichkeifs- 
icirkung  eine  sehr  verschiedene  sein  könne.  Was  den  Blitz  betrift't,  sind  Fälle 
bekannt,  wo  die  Sehstörung  nur  aus  dem  directen  Einflüsse  des  elektrischen  Stromes 
auf  das  Nervensystem  abgeleitet  werden  kann  (Petrequin,  Sckirmer),  und  andere, 
wo  der  Blitz  in  einiger  Enfferniing  niederfulir  (Laicrencej,  die  optische  Anaesthesie 
also  nur  eine  andere  Ursache,  vielleicht  Ueherblendung  oder,  beim  Zusammenwirken 
von  disponirenden  Momenten ,  auch  die  heftige  Gemüthserregung  (Graefe)  anzu- 
erkennen gestattet. 

Die  zweite  Art,  die  sogenannte  traumatische  Amaurose  ohne  objectiven  Befund, 
wurde  bald  durch  einen  ziemlich  unbedeutenden  Schlag  oder  Stoss  auf  das  Auge 
(Te^telin),  bald  durch  einen  auf  den  Bulbus  ausgeübten  Druck  {Beer),  bald  durch 
einen  an  das  Auge  anspringenden  und  in  der  Cornea  steckenbleibenden  fremden 
Körper  (Schröter,  Talko)  ,  bald  durch  einen  Fall  auf  die  Stirne  oder  einen  Sprung 
von  einiger  Höhe  (Secondi)  begründet.  In  gar  vielen  Fällen  mögen  dann  materielle 
Veränderungen  in  den  tieferen  Theilen  des  lichtempfindenden  Apparates,  Bint- 
extravasate  in  der  Schädelhöhle,  in  der  Chorioidea  u.  s.  w.  das  pathogenetische 
Moment  der  Sehstörung  abgegeben  und  den  Fall  zu  einer  Amaurosi9  im  engeren 
Wortsinne  qualificirt  haben. 

Bei  der  dritten  Art,  welche  ziemlich  allgemein  als  Avianrosis  trifacialis  be- 
schrieben wird,  ist  das  pathogenetische  Moment  mitunter  eine  Trigeminusneuralgie 
in  der  gewöhnlichen  Bedeutung  des  Wortes  (Hippel,  Alexander) ,  seltener  eine  tief- 
greifende schrumpfende  Narhe  oder  eine  Geschtvulst  in  der  Stii-ngegend  etc.,  durch 
welche  ein  einzelner  Ast  des  Quintus,  insbesondere  des  Frontalnerven,  gedehnt 
wird.     Gewöhnlich    sind   im    letzteren    Falle    auch    sehr    heftige    Reflexkrämpfe  im 


Anaesthesia  optica  gemiina  hysterica.  855 

Bereiclie  des  Kreismuskels  der  Lider  Regeben  (Beer,  MackemleJ.  Ziemlicli  liäufip; 
scheint  das  Irrit.'iment  von  cariösen  Zü/dipu,  welche  melir  weniger  schmerzen,  aus- 
zugehen (Beer,  llvtchinson,  Tloy-i,  Wecker,  DeUjado,  Alexander,  Delestre,  Will, 
Geissler).  Auch  hei  der  Amaurosis  trit'acialis  werden  ohne  Zweifel  manche  Fälle 
als  nicht  streng  hierher  gehörig  auszuscheiden  und  eine  Quote  derselben  vorzugs- 
weise auf  Mydriasis  (S.  835)  zu  beziehen  sein  (Mackenzie,  H.  Schmidt).  In  der 
Regel  jedoch  handelt  es  sich  sicherlich  um  eine  wahre  Anaesthesia  optica,  deren 
Zustandekommen  auf  reßectoi-ischrm  Wege  auch  dadurch  sehr  wahrscheinlich  wird, 
dass  nach  Beseitigung  der  Trigemiinisneuralgie  sowie  durch  operative  üurchtrenining 
des  iStirnnervenstammes  oder  beziehungsweise  durch  Entfernung  des  schadhaften 
Zahnes  Heilung  der  Sehstörung  erzielt  wurde. 

c.  Ausnahmsweise  bildet,  die  optische  Aaesthesie  ein  Glied  in  der 
lang-en  Kette  höchst  mannigfaltiger  und  sehr  wandelbarer  Symptome, 
welche  allgemeine  Verstimmungen  des  Neruensystemes  kennzeichnen.  Sie  ist 
dann  meistens  partiel,  auf  die  Peripherie  der  Netzhaut  beschränkt  und 
offenbart  sich  durch  eine  mehr  weniger  erhebliche  unregelmässige  oder 
concentrische  Einengung  des  Gesichtsfeldes,  während  die  centrale  Selischärfe 
in  der  Regel  nur  wenig  herabgesetzt  erscheint,  seltener  eine  beträchtliche 
EinbuRse  erleidet  oder  gar  bis  zum  Verlöschen  der  Lichtempfindung  sinkt. 
Dabei  zeigt  sich,  wenn  man  von  den  letzteren  Fällen  absieht,  häufig  eine 
grosse  Emj)findlichkeit  gegen  objeciives  Licht,  wodurch  dem  Leiden  ein 
sehr  auffallender  erethischer  Charakter  aufgedrückt  wird.  Die  starke 
Erregbarkeit  macht,  dass  die  centrale  Sehschärfe  im  DunJden  und  besonders 
durch  Voi'setzung  tiefgefärbter  Gläser  eher  zu-  als  abnimmt,  dass  solche 
Augen  öfters  bei  Erleuchtungsintensitäten  noch  ziemlich  scharf  sehen, 
welche  normalen  Augen  kaum  mehr  genügen.  Weitere  Merkmale  liegen 
in  der  constanten  Beiderseitigkeit,  in  dem  plötzlichen  Auftreten  oder  in 
der  sehr  raschen,  innerhalb  weniger  Stunden  oder  Tage  vollendeten  Höhen- 
entwickelung  der  Sehstörung;  in  der  durch  die  Druckphosphene  (S.  23(i) 
erweisbaren  Erhaltung  der  Leitungsfähigkeit  der  anaesthetisch  gewor- 
denen Netzhantpartien ,  in  der  Integrität  des  Farbenunterscheidungsver- 
mögens (Leber)  und  in  dem  häufigen  Nebenhergehen  von  anderweitigen 
Nervensymptomen.  So  stösst  maii  öfters  auf  cutane  Anodynien  und  Zuckun- 
gen in  verschiedenen  Muskelgebieten,  ja  auf  förmlichen  Veitstanz,  hyste- 
rische Anfälle,  heftige  Kopfschmerzen  etc.  In  einzelnen  Fällen  scheint 
auch  Accommodationski'ampf  ein  Begleiter  zu  sein  (Mandelstamm).  End- 
lich kömmt  der  Diagnose  der  Umstand  zu  Hilfe,  dass  sich  das  fi-agliche 
Leiden  fast  durchwegs  nur  bei  Weibern  ujid  Kindern,  höchst  selten  aber 
bei  Männern  und  zwar  nur  bei  solchen  findet,  welche  durch  Temperament 
und  Körporconstitution  sich  dem  weibischen  oder  kindlichen  Tj-pus  nähern; 
weiters,  dass  die  ergriffenen  Kinder  gewöhnlich  sehr  reizbai'e  nervöse 
Individuen,  die  Fi'auen  häufig  entschieden  hysterisch  sind,  iind  dass  die 
Gelegenheitsursache  fast  immer  eine  heftige  Gemüthsaufregung,  ein  Schreck 
u.  s.  w.  ist.  Am  häufigsten  sollen  Kinder  zwischen  G  — 14  .lahi-en  leiden 
und  dabei  die  Netzhauthyperästhesie  öfters  eine  geringe  sein,  während 
sie  bei  hysterischen  Weibern  meistens  ganz  eminent  hervortritt.  Die 
Prognose  ist  günstig,  indem  die  Anaesthesie  fast  immer  völlig  zurückgeht 
und  nur  selten  Einschränkungen  der  Gesichtsfeldperipherie  übrig  bleiben, 
auch  wenn  die  Krankheit  sich  durch  völlige  ICrblindung  geäussert  hatte 
(Graefe,   Haase). 

Als  therapeutisclie  Behelfe  gelten  der  mehrtägige  Aufenthalt  im  dunklen 
Zimmer    und    weiterhin    das    Tragen    blauer  Gläser    bei    völliger    Vermeidung    der 


856  Functionsstör.  d.  lichteinpfind.  App.;  Anaesthesia  optica;  A.  anoptica;  A.  senilis. 

Accommodatiousthätigkeit.'  Iiinerlich  soll  das  niilchsaure  Zink  gute  Dien.ste  lei.sten 
uud  bei  eingetretener  Besserung  wird  ein  stärkendes  Verfahren  bei  reichlichem 
Genüsse  frischer  Luft  empfohlen ;  dagegen  aber  vor  Blutentleerungen  gewarnt 
(Graefe). 

d.  Eine  besondere  Erwähnung  verdienen  auch  die  Amblyopien,  welche 
ausnahmsweise  mit  oder  ohne  Accommodationsbescln-änkung  bei  Diphtherilis 
(S.  833)  vorkommen  (Benedikt).  Auch  möge  hier  an  die  nicht  ganz 
seltenen  intermittirenden  Amaurosen  (Zehender)  erinnert  werden,  welche  gleich 
der  Ophthalmia  intermitteus  (S.  8)  mit  Malariainfection  zusammenzu- 
hängen scheinen. 

e.  Unstreitig  am  häutigsten  werden  optische  Anaesthesien  durch  länger 
dauernde  Ausschliessung  eines  Auges  vom  gemeinschaftlichen  Sehacte  verursacht. 
Sie  scheinen  öfters  mit  Accommodationsparesen  gepaart  zu  sein,  was  sich 
dann  durch  Mikropsie  (S.  7  79)  offenbart.  Man  pflegt  sie  unter  dem  iS'ameu 
Amhlyopia  ex  anopsia  zu  beschreiben.  Sie  unterscheiden  sich  von  den 
anderen  pathogenetischen  Formen  der  Anaesthesie  wesentlich  durch  die 
meistens  nachweisbare  functiouelle  Integrität  der  peripheren  Netzhautzonen, 
also  durch  die  Beschränkung  des  Defectes  auf  eine  mehr  weniger  ausge- 
dehnte umschriebene  Portion  des  dem  gemeinschaftlichen  Sehfelde  zugehöri- 
gen Theiles  der  retinalen  Mitte  (siehe  Strabismus  convergens).  Im  üebrigen 
äussert  sich  die  Functionsstörung  gemeiniglich  mehr  durch  den  Bedarf  an 
grossen  Sehwinkeln  zum  deutlichen  Sehen,  weniger  durch  das  Erforderniss 
starker  Erleuchtungsintensitäten.  Sie  trägt  daher  mehr  den  Charakter  einer 
einfachen    Stumpfheit. 

Die  anoptischen  Amblyopien  sind  selbstverständlich  immer  einseitig 
und  stellen  sich  besonders  gerne  dort  ein,  wo  die  undeutlichen  Wahr- 
nehmungen des  einen  Auges  die  deutlicheren  des  anderen  in  dem  gemein- 
schaftlichen Sehacte  trüben,  so  dass  eine  förmliche  Unterdrückung  der 
Wahrnehmungen  des  ersten  Auges  behufs  deutlichen  Sehens  zur  Nothwen- 
digkeit  wird.  Sie  finden  sich  darum  sehr  häufig  beim  einseitigen  Strabis- 
mus, so  wie  überhaupt  in  Augen,  welche  bei  Normalität  oder  doch  beträcht- 
lich grösserer  Functionstiichtigkeit  des  anderen  mit  partiellen  Trübungen  der 
Cornea  oder  Linse,  mit  Mydriasis,,  mit  Accommodationsfehlern  u.  s.  w.  be- 
haftet sind.  Wo  keine  nur  einigermassen  deutlichen  Bilder  auf  der  Netz- 
haut mehr  zu  Stande  gebracht  werden  können,  also  eine  Beirrung  der 
Functionen  des  anderen  Auges  wegfällt,  bei  ausgebildeten  Staaren,  totalem 
Verschlusse  der  Pupille,  dichten  ausgebreiteten  Cornealtrübungen  etc.  pflegt 
die  Anaesthesia  ex  anopsia  nicht  so  leicht  höhere  Grade  zu  erreichen  und 
leichter  zu  weichen.  Uebrigens  ist  das  Kindesalter,  da  in  diesem  es  viel 
leichter  und  rascher  zur  förmlichen  Unterdrückung  der  Wahrnehmungen 
kömmt,  als  im  Mannesalter,  die  eigentliche  Periode  für  das  Entstehen 
solcher  Anaesthesien.  In  den  späteren  Lebensjahren  führen  dieselben 
pathogenetischen  Momente  weniger  leicht  zur  Functionsschwäche  der 
Netzhaut. 

Schliesslich  ist  der  Verminderung  der  Sehschärfe  im  höheren  Alter  zu  gedenken. 
Es  ist  die  Sehschärfe  schon  nach  dem  25.  Lebensjahre  eine  merklich  geringere, 
als  in  der  ersten  Jugend  und  geht  nach  neuereu  Untersuchungen  (Vroesom  de  Haan) 
bei  hochbetagten  Greisen  auf  die  Hälfte  ihres  ursprünglichen  Werthes  herab. 
Wie  viel  hierbei  auf  eine  essentielle  Functionsschwäche  der  Nervenelemente,  auf 
eigentlichen  Torpor  zu  rechnen  ist ,  steht  sehr  dahin.  Jedenfalls  spielen  die 
materiellen  Veränderungen,  welche  die  einzelnen  dioptrischen  Medien  sowie  die  Netz- 


Methodische  Uebimg;  Convexgläserkur.  857 

haut  und  Aderhaut  durch  die  senile  Involution  erleiden,  eine  wesentliche  Rolle, 
indem  sie  auf  die  scheinbare  Helli(>keit  und  Schärfe  der  Bilder  einen  höclist  un- 
günstigen Einfluss   nelunen  müssen. 

4.  Der  schwarze  Staar,  die  Amblyopie  und  Amaurose^  welche  vielfach 
mit  der  Anaesthesie  zusaramengeworfeu  werden,  beruhen  nicht  sowohl  auf 
einer  verminderten  Erregbarkeit  des  lichtempfindenden  Apparates,  denn 
diese  kann  sogar  erhöht  sein,  als  sie  vielmehr  den  symptomatischen  Aus- 
druck für  eine  Functionsbehinderuny  materieller  Art  abgeben,  welche  sich 
entweder  gleich  von  vorneherein  objectiv  nachweisen  lässt,  oder  erst  im 
weiteren  Verlaufe  durch  allmäliges  Hervortreten  der  Sehnervenatrophie 
off"enbar  wird   (8.   234). 

Die  Behandlung  der  im  Vorhergehenden  gescliilderten  Functions- 
störungen  ist  selbstverständlich  vor  Allem  auf  das  Grundleiden  zu  richten. 
Ist  dieses  getilgt  oder  wenigstens  zum  dauernden  Stillstande  gebracht,  so 
hebt  sich  die  etwa  zurückgebliebene  Anästhesie,  so  weit  sie  eben  von 
materiellen  Veränderungen  unabhängig  ist,  oftmals  von  selbst.  Ob  hierzu 
das  Tragen  farbiger  Diopter  (Böhm,  H.  Gerold)  förderlich  beitragen  könne, 
müssen  weitere  Erfahrungen  herausstellen.  Methodische  Uebungen,  wie  sie 
neuerlich  empfohlen  worden  sind  [Fronmüller),  haben  wohl  nur  bei  den 
aus  Nichtgebrauch  eines  Auges  resultirenden  Stumpfheiten  des  lichtempfin- 
denden Apparates  einen  Zweck. 

Als  G esichfsobjecte  eignen  sich  bei  diesen  Exercitien  am  meisten  Druckschriften, 
da  hier  Buchstabe  um  Buchstabe  wechselt,  die  Aufmerksamkeit  also  unausgesetzt 
auf  das  Gesehene  gerichtet  werden  muss  und  Fehler,  welche  sich  in  der  Beur- 
theilung  des  Wahrgenommenen  eingeschlichen  haben ,  durch  den  Context  sogleich 
hervortreten,  also  zur  Correction  autfordern.  Es  müssen  diese  Druckschriften 
natürlich  giä  erleuchtet  sein  und  überdies  auch  sich  unter  grossem  Sekwinkel  auf 
der  Netzhaut  projiciren,  widrigenfalls  sie  bei  nur  einigem  Torpor  des  lichtempfin- 
denden Apparates  in  keinen  enträthselbaren  Bildern  zur  Wahrnehmung  kämen. 
Sie  müssen  also  gross  gewählt  und  dem  Auge  nahe  gebracht  werden.  Um  aber 
in  kurze  Distanzen  möglichst  scharf  zu  sehen,  bedarf  es  gewöhnlich  convexer  Gläser, 
da  die  Amblyopia  ex  anopsia  in  der  Regel  mit  Schwäche  des  Accoinmodationsapparates 
gepaai-t  ist.  Es  sind  übrigens  Convexgläser  unter  allen  Umständen  sehr  erspviessUch, 
da  sie  durch  scheinbare  Vergrösserung  der  Objecte  und  durch  Vermehrung  der 
scheinbaren  Helligkeit  der  Netzhautbilder  die  Deutlichkeif  der  Wahrnehmungen  erhöhen 
und  die  Auswahl  der  Schriftproben  erleichtern.  Man  pflegt  sie  darum  in  allen  Fällen, 
wenigstens  anfänglich,  zu  benützen  und  jene  Uebungen  insgemein  mit  dem  Namen 
der  Convexgläserkur  zu  bezeichnen.  Es  muss  hierbei  vorerst  das  schwächste  Convex- 
glas  ermittelt  werden,  welches  das  kranke  Auge  bei  Verschluss  des  anderen  befähigt, 
grössere  Druckschriften  (Jaeger  Nr.  12 — 20)  in  Abständen  von  8 — 12  Zoll  noth- 
dürftig  zu  entziffern.  Mit  diesem  Glase  hat  nun  der  Kranke  täglich  2  bis  3  Mal, 
anfänglich  5  Minuten,  nach  und  nach  aber  immer  länger,  Leseübungen  vorzunehmen, 
dabei  aber  niemals  die  Anstrengung  so  weit  zu  treibeu,  dass  auffällige  Symptome 
der  Ermüdung,  Schmerz,  Congestionen  oder  gar  Entzündungen  angeregt  werden. 
Im  Ganzen  fordert  diese  Kur,  besonders  bei  höheren  Graden  der  Amblyopie,  in 
vielen  Fällen  sehr  viel  Geduld  und  Ausdauer,  da  sehr  auffällige  Effecte  oft  lange  auf 
sich  warten  lassen.  Am  Ende  jedoch  steigert  sich  das  Sehvermögen  in  günstigen  Fäl- 
len öfters  in  ziemlich  rascher  Progression.  Es  ist  dann  Zeit  zu  scJnvächeren  Gläsern 
überzugehen  und  unter  Verlängerung  der  einzelnen  Uebungen  zu  kleineren  und 
kleineren  Schriftproben  aufzusteigen.  Mitunter  wird  der  Fortschritt  auf  einmal  ge- 
hemmt, das  Sehvermögen  bessert  sich  trotz  allen  Uebungen  nicht  weiter.  Man  darf 
dann  den  Muth  nicht  verlieren;  auf  einmal  geht  es  ivieder  vorwärts  und  man 
gelangt  endlich  dahin,  dass  um  viele  Nummern  schwächere  Gläser  in  Anwendung 
gezogen  werden  können,  oder  wohl  gar  Brillen  sich  als  überflüssig  erweisen.  Ist 
das  Auge  in  der  Heilung  so  weit  vorgeschritten ,  dass  ohne  oder  7nit  scinvachen 
Convexgläsern  gewöhnliche  Druckschxüft  fertig  gelesen  werden  kann,  so  müssen  die 


858  Functionsstörungen  rt.  lichtempfiiifl.  App.:  Quellen. 

Uebiuig^en  noch  eine  Zeit  fortgesetzt  werden,  um  die  Heilung  zu  hefe>itigen,  Recidiven 
zu  verhindern   (FronmüUer). 

Quellen:  IlehnJwUz,  Karsten's  Encyklopädie.    IX.  S.  200,  202—208,  272,  282, 
283,  291,  21»4,  297,  309,  317.  —  Young,  ibid.  S.  291.  —  Wilson,   Tyadal,  ibid.  S.  299, 
300.  —  Seeheck,  ibid.  S.  294,   299.    —    E.  Rose,  Virehow's  Archiv.   16.  Bd.  S.  233; 
18.  Bd.  S.  15.    24,  28;    19.  Bd.    S.  522,    532,  534;    20.    Bd.  S.  245—290;    28.  Bd. 
S.  30,  61,  63,  67,   71—82;  .30.  Bd.  S.  442;  A.  f.    O.  VII.  2.  S.  72,   78,  88,  91,  9.S, 
103,    107;    Poggendorf's    Annalen.    126.    Bd.  S.  68—86.    —  Anhert,  A.  f.   O.   III.  2. 
S.  38,  42,  51,  55,  60.  —   Schelske,   ibid.  IX.  3.  S.  39,  49;    XI.   1.  S.   171;  Deutsche 
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II.  S.  629,      649.      —  Benedikt,     A.      f.     O.  X.  2.    S.  185;     Electrotherapie.  Wien. 
1868.   S.  415,    422,    462.    —    H.    Gerold,     Zur    ther.   Würdigung    farbiger    Diopter. 
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Henvotay,    nach  Mackenzie,  I.  c.  II.  S.  857,  858.    —    Lawrence,    nach  Himly,  1.  c. 
S.   427.   —  Hutchinson,    Wecker,  Delgado.  kl.  Monatbl.   1866.   S.   269.   —   Hays,  nach 
Mackenzie,  1.    c.    II.     S.    846.     —    ' Haase,    klin.    Monatbl.    1866.    S.    251,    254.   — 
Mandelstamm,  Pagenstecher's    kl.  Beobachtungen.    III.  Wiesbaden.  1866.   S.  84;  A. 
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S.   159,    162.     —     Vroesom    de  Haan,  Derde    Jaarl.   Verslag.    Utrecht.   1862.   S.  229, 
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Pveyet;  Pflüger's  Arch.  f.  Pliys.  I.  S.  229.    —  Masoart,  Centralbl.  1869.  S.  382.  — 
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ibid.  1867.  S.   331.    —    Mannhardt ,    Heinicke,    ibid.    1869.  S. '427,  428.    —     Talko, 
ibid.   1868.  S.   79.     —     Zehender,    ibid.    1867.    S.  233,    331.    —    Niemetschek,  Prag. 
Vierteljahrschft.   1868.  IV.  S.  224.   —   Dor,    Zeitschrift  f.   rat.  Med.  32.  Bd.  S.  599. 
-  -  Henle,  Hasse,  ibid.  29.    Bd.  S.  250,  272.     —     Nagel,  Sammlung  gemeinverständ- 
licher wiss.  Vorträge.    Berlin.    IV.    73.    Heft.     —     Reniak,    Deutsche    Klinik.    1865. 
S.  116.  —  Hüfner,  A.  f.  O.  XIII.  2.  S.  309.  —   J.  J.  Müller,  ibid.  XV.  2.  S.  208.  — 
//.   Schmidt,    ibid.    XIV.    1.  S.  107.    —     Hijjpel,    ibid.    XIII.    1.    S.  49,  55  u.  f.  — 
Leber,  ibid.  XV.  3.  S.  57.    —  Mooren,  Ophth.  Beob.  S.  270,  272,  291;  Ueber  symp. 
Ophth.   S.   119.     —     Geissler,  Schmidt's   Jahrbücher.   138.  Bd.  S.  354.     —     Delestre, 
Gaz.  med.  de  Paris.  1869.  S.   105.  —  Witt,  Centralbl.   1868.  S.  447.   —   Fronmüller, 
Die  Convexgläsercur.  Nürnberg.    1857.   —    Berlin,    A.   f.   O.  XIII.  2.   S.   305,  306.   — 
Knapp,  Arch.  f.  Augen-  u.  Olirenheilkd.  I.  S.  7. 


1.  Der  Naclitnebel,  Hemeralopie. 

Krankheitsbild.       Charakteristisch     ist    der     Bedarf    normwidrig    hoher 
Lichtgrade    zum     deutlichen    Sehen   und  eine   unverhältnissmässige    Ahnahme   des 


lUMiieralopie :  Kiaiikheitsbild.  850 

Sehvermögens,  wenn  die  Erleuchtungsintensität  des  Gesichtsfeldes  unter  ein 
gewisses  Mass  herabsinkt   (Förster). 

In  der  That  zeigt  sich  bei  minder  hochgradig  entwickelter  Hemeralopie 
das  volle  Licht  eines  hellen  und  selbst  eines  trüben  Tages  voUkonamen  aus- 
reichend, um  bei  entsprechender  Einstellung  des  dioptrischen  Apparates 
Objecte  unter  kleinen  Sehwinkeln  deutlich  zu  erkennen,  z.  B.  feinere 
Druckschrift  anstandslos  und  selbst  anhaltend  zu  lesen  u.  s.  w.  Bei 
höhergradigem  Nachtnebel  bedarf  es  schon  des  vollen  Lichtes  eines  sehr 
hellen  Tages,  auf  dass  das  Auge  mit  einem  normalen  in  der  Deutlichkeit 
seiner  Wahi'nehmungen  concurriren  könne.  Das  Licht  eines  trüben  Tages, 
ungünstige  Stellung  des  Objectes  zur  Lichtquelle,  leichte  Beschattung  des- 
selben u.  s.  w.  steigern  dann  beträchtlich  die  Grösse  des  erforderlichen 
Gesichtswinkels,  schwächen  in  sehr  fühlbarer  Weise  die  Feinheit  des 
Farbenunterscheidungsvermögens  und  vermindern  die  Functionsdauer.  Oefters 
machen  sich  unter  solchen  Verhältnissen  wohl  aucli  schon  seitliche  Be- 
schränkungen oder  Unterbrechungen  des  Gesichtsfeldes  bemerklich.  Bei  den 
höchsten  Entwickelungsgraden  der  Hemeralopie  endlich  genügen  auch  die 
günstigsten  Beleuchtungsverhältnisse  nicht  mehr,  um  (objecte  unter  kleinen 
Gesichtswinkeln  deutlich  zu  erkennen,  es  werden  behufs  deutlicherer  Wahr- 
nehmungen grosse  Beleuchtungsintensitäten  und  grosse  Sehwinkel  erfordert, 
das  Farbenunterscheidungsv&rmögen  ist  meistens  auffällig  vermindert  und 
ausserdem  lassen  sich  sehr  häufig  auch  Unterbrechungen  oder  seitliche  Ein- 
schränkungen des   Gesichtsfeldes  nachweisen   (Förster). 

Wird  der  zum  Deutlichsehen  nothwendige  Erleuchtungsgrad  plötzlich 
um  ein  Gewisses  herabgesetzt,  so  ist  die  Abnahme  des  Sehvermögens  eine 
viel  beträchtlichere,  als  bei  gesunden  Augen,  auch  bedarf  der  Hemeralops 
längere  Zeit,  um  sich  einigermassen  an  die  geringere  Helligkeit  zu  gewöhnen 
und  stets  bleibt  die  Deutlichkeit  der  Wahrnehmungen  hinter  jener  normaler 
Augen  zurück.  Sinkt  die  Erleuchtungsintensität  von  jenem  Grade  ga^iz 
allmälig  herab,  so  vermindert  sich  anfänglich  auch  die  Deutlichkeit  der 
Wahrnehmungen  successive,  aber  in  einer  um  so  rascheren  Progression,  je 
höher  der  Entwickelungsgrad  der  Hemeralopie  ist.  Ist  die  Helligkeit  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  abgeschwächt,  so  erfolgt  die  loeitere  Abnahme 
des  Sehvermögens  nicht  mehr  proportional,  das  Missverhältniss  wächst  viel- 
mehr sprungweise,  so  zwar,  dass  oftmals  schon  eine  kaum  merkliche  fernere 
^"erminderung  der  Erleuchtungsintensität  genügt,  um  auf  einmal  das  Er- 
kennen von  Objecten  unmöglich  zu  machen,  oder  wohl  gar  die  Lichtempfin- 
dung aufzuheben   (Förster). 

Das  Mass  der  Helligkeit,  bei  welchem  das  Erkennen  von  Objecten 
aufhört,  wechselt  bei  verschiedenen  Individuen  ausserordentlich,  ist  im 
Allgemeinen  aber  um  so  grösser,  je  höher  der  Grad  der  Hemeralopie  und 
je  länger  ihre  Dauer  ist.  Bei  frischen  und  minder  entwickelten  Fällen  bedarf 
es  oft  schon  ziemlich  dimkler  Räume  oder  weit  vorgeschrittener  Abend- 
dämmerung, auf  dass  das  Auge  gleichsam  erlösche.  Bei  veralteten  und 
überhaupt  höhergradigen  Fällen  vertinstei't  sich  im  Gegentheile  das  Gesichts- 
feld oft  schon  bei  Erleuchtungsintensitäten,  welche  gesunden  Augen  noch 
erlauben,  feine  Druckschrift  zu  lesen,  ja  es  kömmt  vor,  dass  derlei  Nacht- 
blinde schon  während  der  späten  Nachmittagsstunden,  wenn  die  Sonne 
dem  Horizonte  sich  zu  nähern  beginnt,  die  Fähigkeit  der  Selbstführung 
verlieren. 


360  Hemeralopie  :  Kiiinkheitsbild. 

Dieser  letztere  Umstand  war  Veranlassung,  dass  man  die  Hemeralopie  lange 
Zeit  für  ein  a7i  gewisse  Tagesstunden  gebundenes  intermittirendes  Leiden,  für  eine 
Art  lavvirten  Wechselfiehers  gehalten  hat.  Es  ist  dieses  sicherlich  eine  unrichtige 
Ansicht,  denn  directe  Beobachtungen  ergeben  mit  voller  Bestimmtheit,  dass  bei 
Nachtblinden  gleich  geringe  Erleuchtungsintensitäten  zu  jeder  Tageszeit  einen  ziem- 
lich gleichen  Grad  von  Sehstörung  mit  sich  bringen.  Nur  während  der  Morgen- 
stunden, nach  einem  mehrstündigen  tiefen  Schlafe,  ist  das  zum  Deutlichseheu  erfor- 
derliche Lichtquantum  in  der  Regel  geringer ;  die  Emptindlichkeit  der  Netzhaut 
wird  durch  die  nächtliche  Ruhe  et;was  gehohen  und  sinkt  im  Laufe  des  Tages  um 
ein  Gewisses  herab. 

Die    charakteristische    Sehstöruug     äussert    sich     dem     Krauken    unter 

der  Form  eines  gleichmässigen,   selten  fleckigen,  dunkelgrauen  bis  schwarzen, 

ausnahmsweise    farbigen,    purpurnen,    rothen,    grünlichen    u.    s.    w.    Nebels 

oder    Rauches,    welcher  das  ganze  Gesichtsfeld  überdeckt    und     die   (^bjecte 

verhüllt.      Sehr    hellfarbige,    glänzende    und  von  der  Umgebung    stark   con- 

trastirende    Gegenstände    und    Objecttheile,   der  Mond,    eine  Kerzenflamme, 

eine     weisse     Wand    u.    s.    w.,     schimmern     nur     undeutlich     durch     diesen 

Nebel   durch  und   erscheinen  oft  in   einer  abnormen  Farbe,   der  Mond  z.  B. 

purpurroth. 

Merkwürdig  ist  dabei,  dass  wie  bei  der  wahren  Amblyopie  untersetztes  weisses, 
so  wie  gelbes  und  grünes  Licht  bei  derselben  Intensität  viel  leichter  die  Netzhaut 
anregt,  als  blaues,  violettes  und  rothes  (Förster).  Bei  hohen  Graden  der  Hemeralopie 
kann  die  Stumpfheit  des  lichtempfindenden  Apparates  so  bedeutend  werden ,  dass 
selbst  der  Mond  und  noch  mehr  das  Licht  einer  Flamme  der  Wahrnehmung  entgeht. 

Die  Pupille  zeigt  sich  unter  dem  Einflüsse  einer  zum  deutlichen  Sehen 
genügenden  Erleuchtungsintensität  in  der  Regel  völlig  normal,  sowohl  in 
Bezug  auf  Durchmesser  als  Beweglichkeit.  Sinkt  die  Helligkeit  aber  unter 
jenes  Mass,  so  erweitert  sich  das  Sehloch  sehr  beträchtlich  und  reagirt  nur 
wenig  oder  gar  nicht  auf  Beleuchtungsdifferenzen.  Bei  sehr  hohen  und  ver- 
alteten Fällen  von  Nachtnebel  findet  man  indessen  die  Pupille  wohl  auch 
stetig  erweitert  und  träge,  es  bedarf  sehr  starker  Lichtreize,  des  Einfalles 
directen  Sonnen-  oder  concentrirten  Lampenlichtes,  um  die  Pupille  zu  sehr 
ausgiebigen  Contractionen  anzuregen  (Förster,   Alf.    Graefe). 

Meistens  erweiset  sich  dann  auch  das  Accommodationsvermögen  wesentlich 
beschränkt  und  nach  neueren  Untersuchungen  soll  sogar  eine  leichte  Insufficienz 
der  inneren  geraden  Augenmuskeln,  also  eine  Unfähigkeit,  starke  Axenconvergenzen 
aufzubringen  und  zu  erhalten,  sich  geltend  machen  (Alf.  Graefe).  In  welchem 
Grade  dieses  auf  den  Bedarf  grösserer  Sehioinkel  zum  Deutlichsehen  bei  heller  Er- 
leuchtung  Einfluss  nehme,  ist  bisher  nicht  genugsam   dargethan  worden. 

Die  Avgenspiegeluntersuckimg  ergibt  in  der  Regel  nur  negative  Resultate. 
Oefters  findet  man  allerdings  eine  stärkere  Injection  der  Netzhautvenen  bei  nor- 
malem oder  vermindertem  (Poncet,  Coitidet)  Kaliber  der  arteriellen  Stämme.  Allein 
diese  dürfte  wohl ,  ebenso  wie  die  in  einem  Falle  nachgewiesene  Hyperä^nie  des 
Ganglion  oplUhalmicum  (Guemar)  und  die  ziemlich  häufig  neben  Hemeralopie  ein- 
hergehende Bindehautcongestion ,  mit  Recht  als  eine  Nehentvirkung  der  den  Nacht- 
nebel begründenden  Lichtreize  angesehen  werden  dürfen.  Einzelne  wollen  dabei 
eine  auÖallende  Trockenheit  der  Conjunctiva  mit  Verfettigung  der  Epithelialzellen 
beobachtet  haben  (Huebhenet).  Ist  dies  für  einzelne  Fälle  oder  Epidemien  richtig, 
so  Hesse  sich  auch  das  Erscheinen  silberglänzender  Flecken  an  der  Scleralbinde- 
haut,  welchen  man  eine  besondere  diagnostische  Wichtigkeit  beimessen  wollte, 
(Bitot),  erklären.  Docli  sind  dieselben  (S.  480)  gewiss  nur  ein  höchst  seltener  Be- 
fund (Netter). 

Zu  erwähnen  ist  noch,  dass  der  Nachtnebel  wohl  häufig,  durchaus 
aber  nicht  immer  in  beiden  Augen  gleich  hohe  Grade  erreicht,  dass  bei  ge- 
wissen   Erleuchtungsintensitäten    das  eine  Auge   öfters  noch  halbwegs  deut- 


Ursachen;  En-  und  Epidemien.  861 

liehe  Wahrnehmungen  vermittelt,  während  das  andere  schon  ganz  ver- 
finstert ersclieint ;  oder  dass  an  einem  Auge  noch  einzelne  Partien  des  Seh- 
feldes sich  erhellt  zeigen  und  ein  incUrectes  Sehen  erlauben,  während  am 
anderen  Auge  schon  das  ganze  Gesichtsfeld  von  einem  undurchdringlichen 
dunklen  Nebel  verhüllt  wird   (Förster). 

Ursachen.  Die  nächste  Veranlassung  der  Hemeralopie  ist  stets 
Ueberblendung,  in  der  Eegel  also  Einwirkung  intensiven  directen  oder  reflec- 
tirten  Sonnenlichtes.  Besonders  wenn  diese  Einwirkung  eine  ungewohnte  ist, 
sich  oft  wiederholt  und  jedes  Mal  längere  Zeit  anhält,  ist  die  Hemeralopie 
eine  häufige  Folge.  Wird  eine  sehr  grosse  Anzahl  von  Individuen  gleich- 
zeitig denselben  Schädlichkeiten  ausgesetzt,  so  gewinnt  der  iSTachtnebel  bis- 
weilen auch  vermöge  seiner  Ausbreitung  einen  epidemischen  oder  endemischen 
Anstrich. 

So  werden  in  manchen  Gegenden  alljährlich  viele  Landleute  nachtblind, 
wenn  sie  der  Frühling  aus  ihren  düsteren  Stuben  auf  das  Eeld  ruft  und 
sie  dort  den  ganzen  Tag  hindurch  dem  ungewohnten  Sonnenlichte  ausgesetzt 
bleiben.  Ebenso  erkranken  auch  gerne  Soldaten,  wenn  sie  zur  Frühjahrs- 
oder Sommerszeit  viel  im  Sonnenlichte  exerciren,  oder  Tage  lang  bei  hellem 
Wetter  im  Freien  bivouakiren ;  weiters  Matrosen,  welche  innerhalb  der 
Wendekreise  schiffen  und  auf  dem  Verdecke  viele  Stunden  des  Tages  den 
directen  oder  vom  Schiffe  und  Meere  zurückgeworfenen  Sonnenstrahlen 
exponirt  sind  (Eitner,  Lacerda).  Ausserdem  zeigt  sich  die  Hemeralopie 
sehr  häufig  in  Strafanstalten,  Versorgungshäusern  u.  s.  w.,  wenn  die  In- 
wohner ungeschützt  vor  directem  Sonnenscheine  im  Freien  arbeiten,  oder 
auch  nur  in  sehr  hellen  sonnigen  Gelassen  untergebracht  sind. 

An  und  für  sich  genügt  indessen  der  Einiiuss  sehr  hellen  Lichtes  kaum, 
um  die  Entwickelung  der  Nachtblindheit  zu  erklären.  In  der  Regel  wird 
nämlich  nur  ein  gewisser  Theil  der  denselben  Schädlichkeiten  ausgesetzten 
Individuen  befallen ;  andererseits  sind  die  Erleuchtungsintensitäten,  welche 
als  ätiologische  Momente  des  Nachtnebels  wirken,  keineswegs  nothwendig 
übermässige,  sondern  oftmals  viel  geringere,  als  dass  sie  ein  normales  Auge 
auch  nur  im  mindesten  zu  belästigen  vermöchten.  Auf  dass  es  zur  Ueber- 
blendung, zum  Nachtnebel  komme,  bedarf  es  noch  einer  Art  Disposition  und 
diese  dürfte  in  einer  gewissen  Herabstimmung  des  Nervensystemes,  in  weiterer 
Instanz  aber  in  mangelhaften  Ernährungszuständen  des  ganzen  Körpers  zu 
suchen  sein. 

In  der  That  begünstigen  Krankheiten,  welche  mit  auffälliger  Depression 
des  Nervensystemes  einhergehen,  besonders  aber  der  Scorbut  {Guemar), 
Wechselfiebercachexie  und  Leberleiden,  in  einem  ganz  auffälligen  Grade  das 
Auftreten  der  Hemeralopie.  Abgesehen  hiervon  sind  es  vornehmlich  sehr 
arme,  schlecht  genährte,  schwächliche,  leiblich  sehr  herabgekommene  Individuen, 
welche  unter  dem  Einflüsse  der  oben  erwähnten  Schädlichkeiten  nacht- 
blind werden.  Officiere,  Beamte,  Geistliche  etc.,  wohlhabende  Landleute, 
welche  unter  denselben  äusseren  Verhältnissen  leben,  werden  selten  oder  nie 
ei'griffen.  In  wohlhabenden  Gegenden,  wo  sich  die  Leute  gut  nähren,  ist 
der  Nachtnebel  auch  unter  dem  Landvolke  eine  sehr  seltene  Erscheinung; 
umgekehrt  aber  in  sehr  armen  ungesunden  fieberschwangeren  Land- 
strichen, besonders  unter  den  Anhängern  der  orthodoxen  griecloischen  Kirche 
nach  Ablauf  der  strengen  40tägigen  Fasten,  ein  sehr  häufiges  Vorkommniss ; 


862  Hemeralopie;    Verlauf;  Behandlung. 

ja  hier  zeigt  es  sich  sogar  oft   als   eine   alljährlich  unter  epidemischer  Form 
auftretende   Frühlingsplage  (Huebbenet,   MackenzieJ. 

Verlauf.  Die  Hemeralopie  entsteht  meistens  plötzlich  im  Frühjahre 
oder  Sommer  nach  einem  oder  mehreren,  im  hellen  Sonnenlichte  zugebrachten 
Tagen.  Anfangs  ist  nicht  selten  blos  das  Centrum  der  Netzhaut,  welches 
den  stärksten  Lichteiudrücken  ausgesetzt  ist,  überblendet;  es  erscheint  dem 
Kranken  bei  Eintritt  der  Abenddämmerung  eine  mehr  weniger  scharf  um- 
grenzte dunkle  oder  gefärbte  Wolke  in  der  Mitte  des  Gesichtsfeldes,  welche 
ihn  zwingt,  an  den  Objecten  vorbei  zu  sehen,  um  sie  einigermassen  deutlich 
zu  erkennen.  Häufiger  indessen  verfinstert  sich  das  Sehfeld  gleich  von 
vorneherein  seiner  ganzen  Ausdehnung  nach,  oder  bis  auf  einen  umschi'ie- 
benen  peripheren   Theil,   welcher  ein  indirectes  Sehen  gestattet. 

Bleibt  das  Auge  den  betreffenden  Schädlichkeiten  ausgesetzt,  so  stellt 
sich  fortan  die  charakteristische  Verfinsterung  des  Sehfeldes  allabendlich 
ein,  ja  der  Zustand  steigert  sich,  insoferne  nämlich  bisher  frei  gebliebene 
Theile  des  Gesichtsfeldes  sich  überziehen,  die  Dichtigkeit  und  Dunkelheit 
des  Nebels  zunehmen,  ausserdem  aber  auch  die  zum  Deutlichsehen  erforder- 
lichen Erleuchtung sintensitäten  ivachsen,  so  zwar,  dass  sich  die  Erblindung 
früher  am  Tage  geltend  macht.  Besonders  auffallend  pflegen  solche  Ver- 
schlimmerungen zu  werden,  wenn  längere  Zeit  hindurch  das  Wetter  sehr 
hell  und  der  Kranke  anhaltend  dem  Uebermasse  von  Licht  ausgesetzt  war ; 
während  unter  den  entgegengesetzten  Verhältnissen  eine  merkliche  Besserung 
des  Zustandes  die  Eegel  bildet.  Anhaltend  trübes  Wetter  macht  wohl  auch 
die  Krankheit  gänzlich  erlöschen  und  tilgt  weit  verbreitete  Epidemien.  Immer 
bleibt  jedoch  eine  sehr  starke  Neigung  zu  Becidiven  zurück.  Sind  die  Ver- 
hältnisse dauernd  ungünstig,  so  zieht  sich  die  Krankheit  Wochen  und  Monate 
laug  hin  und  kömmt  gemeiniglich  erst  im  Spätherbste  oder  Winter  zur 
Heilung,  oder  gar  nur  zu  einiger  Besserung.  Sie  pflegt  dann  mit  wieder- 
kehrendem Erühlinge  in  verstärkter  Intensität  und  Hartnäckigkeit  hervor- 
zutreten. 

Die  Behandlung  ist  vorwaltend  eine  causale.  Schutz  der  Augen  vor 
der  Einwirkung  grellen  Lichtes  durch  Schirme  und  dunkle  Gläser,  noch 
mehr  aber  gänzliche  Vermeidung  hell  erleuchteter  Orte,  also  Aufenthalt  des 
Kranken  in  düsteren  Zimmern  und  schattigen  Höfen,  Gärten,  Wäldern  u.  s.  w., 
ausserdem  entsprechende  Behandlung  gegebener  Allgemeinleiden  und  kräftige 
Nahrung  reichen  vollkommen  atis,  um  die  Krankheit  in  verhältnissmässig 
kurzer  Zeit  der  Heilung  zuzuführen,  besonders  wenn  der  Zustand  nicht 
sehr  veraltet  und  weniger  hochgradig  ist. 

Ungleich  rascher  und  sicherer  gelangt  man  jedoch  zum  Ziele,  wenn 
man  die  Augen  eine  Zeit  lang  völlig  im  Finsteren  hält,  also  einen  Schutz- 
verband anlegt  und  dafür  Sorge  trägt,  dass  derselbe  nicht  am  Tage  gelüftet 
werde ;  oder  wenn  man,  falls  keine  Garantien  für  ein  entsprechendes  Ver- 
halten des  Ki'auken  vorliegen,  diesen  lieber  gleich  in  ein  ganz  dunkles  Zimmer 
sperrt  und  dabei^mit  kräftigen  und  leicht  verdaulichen  Speisen,  Wein  u.  s.  w. 
bestens  nährt.  Bei  consequenter  Durchführung  des  Verfahrens  genügen  oft 
24 — 48  Stunden,  höchstens  5  oder  G  Tage,  um  den  Nachtnebel  schwinden 
zu  machen   {Förster,   Eitner). 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  durch  das  erwähnte  Verfahren  wohl 
der  Nachtnebel,  nicht  aber  die   Neigung  zu  Recidivcn  behoben  werde.    Um 


Augenimiskclii ;    Aniitiiiiiic  iiuil   Vnil)i'f,'iifl'o.  863 

eine  daumulc  Heilung-  zu  erzielen,  ist  es  unbeding-t  notliwendig,  tlen  Kranken 

nach    Vollendung  der   erwähnten   Kur  noch   eine  längere  Zeit  \ov  dem    Kin- 

tlusse  grellen  Lichtes  zu   bewahren,    ilim  also   die   Meidung    hellerleuohteter, 

besonders  sonniger  Orte  strenge  aufzutragen  und    durch  Schirme   uud    dunkle 

(jrläser  etwa  unausweichliche  Schädlichkeitcm  in  ihrer  Wirkung  abzuschwächen. 

Zudem  müssen  durch   kräftige   Nahrung  und   entsprech(>ndes  Regimen   dit^  Nu- 

tritionsverhältnisse     des     Kranken     überhaupt    gehoben     werden.      Innerliclte 

Mittel  finden   eine  gerechtfertigte   Anwendung  nur   in   dem    Falle,   als  ivirk- 

liche    Krankheiten     bestehen,    welche     solche     fordern,     z.    H.    Wechselfieber, 

Scorbut   u.   s.   w. 

Schon  seit  langtir  Zeit  wird  als  tipecificum  gegen  Hemeralopie  der  Dünnt  ge- 
kochter Leher  gerühmt,  (iJ'Entrecol/e).  Es  soll  dieser  Dunst  mittelst  einer  über  die 
Schüssel  gehaltenen  Papierdüte  täglich  1 — 2  Mal  durch  '/j — ^/.^  Stunde  an  die 
Augen  geleitet  und  die  Ijcber  dann  von  dem  Kranken  verspeist  werden.  Neiu?rcr 
Zeit  wird  aucli  der  Leierthran  (Desponts,  Spengler,  Lacerda),  die  Electricität  (Poncet), 
so  wie  die  C auter isatiou  des  Limbns  conjunctivalis  mit  dem  spitzem  p]iide  eines 
Höllensteiustiftes  (Coindet)  empfohlen. 

Quellen:  Mackenzle,  Traitc  d.  mal  yeux.  Trad.  p.  Warlomont  et  Testelin. 
II.  Paris  18Ö7.  S.  733.  —  Stelhcacj,  Ophtli.  II.  S.  644.  —  Förster,  lieber  Hemera- 
lopie. Breslau  1857.  S.  16,  20,  2.3,  26,  30,  34-4-2.  -  Alf.  Graefe,  A.  f.  O.  V.  1. 
S.  112  —  127.  —  Guemur,  Canstatt's  Jahresbericht.  18ö7.  III.  S.  101.  —  Huel>henet, 
Prag.  Vierteljahrsschrit't.  76.  Ud.  Mise.  S.  20.  —  Bitot,  Netter,  Gaz.  med.  de  Paris. 
1863.  Nr.  31.  —  Eitner,  Deutsche  Klinik.  1803.  Nr.  2.5.  —  D'Entrecoüe,  nach 
Wecker's  Etudes  ophth.  II.  Paris  1867.  S.  429.  —  Desmorets,  Schmidt's  Jahrbücher. 
121.  Bd.  S.  218.  —  Desponts,  Spengler,  kl.  Monatbl.  1863.  S.  136.  —  Lacerda, 
ibid.   1867.  S.  232,  238.  —  Ponett,   Coindet,  Schmidt's  Jahrbücher.   145.  Bd.  S.  190. 


VIERTER  ABSCIHNITT. 

Punctionsstörungen  der  Augenmuskeln. 

Anatomie  und  Vorbegriffe.  Der  Augapfel  wird  von  sechs  Muskeln 
bewegt,  den  vier  geraden  uud  den  beiden  schiefen.  Der  siebente,  in  der  Tiefe 
der  Orbita  streichende  Muskel  hat  auf  die  Locomotionen  des  Bulbus  keinen 
Eiuliuss,  sondern  wirkt  als  Aufheber  des  oberen  Lides  dem  Musculus  orbi- 
cularis  palpebrarum  (S.  482)  entgegen.  Die  vier  geraden  Augenmuskeln  ent- 
springen mit  dem  Levator  palpebrae  superioris  flechsig  im  umfange  des 
Sehloches.  Ihre  gestreckten  uud  platten  Bäuche  treten  in  ihrem  Zuge  nach 
vorne  aus  einander,  so  dass  vier  durch  ihre  Breite  gelegenen  Ebenen, 
indem  sie  sich  schneiden,  eine  etwas  schiefe  und  nicht  ganz  gleichseitige 
Pyramide  darstellen  würden.  Während  nämlich  der  innere  gerade  Augen- 
muskel nahezu  parallel  mit  der  Halbirungsebene  des  Schädels  nach  vorne 
läuft,  weicht  der  äussere  Gerade  in  einem  starken,  der  obere  und  untere 
Gerade  in  einem  kleinen  Winkel  nach  aussen  ab.  Es  treften  diese  Mus- 
keln auf  ihrem  Wege  nach  vorne  den  Bulbus,  tangiren  denselben  bei  gerade 
nach    vorne    gerichteter    (jesichtslinie  nahe  Junter  dem    Gleicher,  umgreifen 


864  Augenmuskeln:  Anatomie  der  Geraden  und  Schiefen;  Trochlea. 

hierauf  den  Aequator  und  setzen  sich,  in  Sehnen  auslaufend,  an  der  vor- 
deren Hälfte  der  Sclerotica  fest.  Die  Sehnen  sind  flach,  bandartig,  3'" — 4'" 
breit  und  inseriren  sich  in  einer,  gegen  die  Cornea  hin  gewölbten  Üach- 
bogigen  Linie.  Der  Mittelpunkt  dieser  convexen  Anheftungslinien  steht  beim 
oberen  und  unteren  Geraden  ^"',  beim  inneren  Geraden  höchstens  ^^j^i", 
beim  äusseren  Geraden  aber  gewöhnlich  mehr  als  3'"  von  der  Hornhaut- 
grenze ab. 

Die  geraden  Augenmuskeln  werden  ihrem  ganzen  Verlaufe  nach  von 
einer  sehnigen  Scheide  eingehüllt,  welche  eigentlich  nur  eine  Verdichtung 
des  fettreichen  Orhitalhindegewebes  ist  und  durch  mehrere  dichtere  Balken 
mit  der  Periorbita  in  ^^erbindung  steht.  An  der  Stelle,  wo  die  Muskeln 
an  den  Bulbus  herantreten,  verschmilzt  das  Perimysium  mit  der  Scheidenhaut 
des  Augapfels,  die  Bäuche  laufen  dann  gleichsam  in  der  Scheidenhaut  nach 
vorne  und  durchbohren  diese  kurz  hinter  der  Insertionsstelle  in  schiefer  Rich- 
tung, um  sich  endlich  mit  der  Sclera  zu  vereinigen. 

Die  Ränder  der  breiten  Sehnen  hängen  7iicht  mit  einander  zusammen; 
wohl  aber  besteht  eine  mittelbare  Verbindung  durch  die  l'enon'sche  Kapsel, 
mit  welcher  die  Scheiden  der  Muskeln  und  ihrer  Sehnen  ein  einheitliches 
Ganzes  bilden.  Dieser  Zusammenhang  der  Muskeln  und  ihrer  Sehnen  mit 
dem  vorderen  Theile  der  Scheidenhaut  ist  es,  welcher  nach  Durchschneidung 
einer  Sehne  den  betreifenden  Muskel  noch  an  den  Bulbus  kettet  und  seine 
völlige  Zurückziehung  hindert,  ihm  sohin  noch  einen  gewissen  Einfluss  auf 
die  Bewegungen   des  Augapfels  gestattet. 

Ueberdies  geht  ein  derber  massiger  Strang  von  der  Durchbohrungsstelle 
der  Sehne  des  Rectus  internus  zu  dem  die  Carunkel  umgebenden  Bindegewebe  und 
verbindet  das  letztere  solehermassen  mit  der  Tenon'schen  Kapsel  so  wie  mit 
der  genannten  Muskelselme,  aus  welcher  zudem  einige  Sehnenfasern  in  jenen  Strang 
ausstrahlen.  Es  erklärt  dieses  anatomische  Verhältniss  das  starke  Einsinken 
der  Carunkel  bei  excursiven  Rücklagerungen  der  inneren  Geraden  (Luschka, 
Liehreich). 

Der  obere  schiefe  Augenmuskel  entspringt  gleichfalls  flechsig  am  Um- 
fange des  Sehloches;  sein  dünner  Bauch  zieht  zwischen  dem  Rectus  superior 
und  internus  am  oberen  Theile  der  inneren  Augenwand  Irin,  um  zur  Trochlea 
zu  gelangen.  Schon  bevor  er  diese  trifft,  geht  er  in  eine  lange  und  dünne 
Sehne  über,  welche  über  die  Rolle  hinüber  läuft,  sich  sogleich  nach  hinten 
und  aussen  wendet,  allmälig  breiter  wird,  unter  dem  oberen  Geraden  hin- 
wegläuft und,  facherartig  ausstrahlend,  sich  zwischen  dem  oberen  und  äus- 
seren Rectus  in  einer  bei  3'"  langen,  nach  hinten  und  aussen  convexen 
Bogenlinie,  deren  inneres  Ende  S'" — 4'"  vom  Sehnerven  absteht,  an  die 
Sclera  heftet,   nachdem  sie   die  Scheidenhaut  durchbohrt  hat. 

Die  Rolle  ist  ein  sehnigknorpeliger  Ring,  welcher  durch  zwei  kurze 
Bändchen  an  die  Spina  oder  Fovea  trochlearis  des  Stirnbeines  geheftet  ist 
und  knapp  hinter  dem  oberen  inneren  Winkel  des   Orbitalrandes  liegt. 

Der  Bauch  des  Muskels  ist  von  einer  zarten  Scheide  umgeben.  An 
der  Stelle,  wo  der  Muskel  sehnig  wird,  verdichtet  sich  das  Perimysium, 
hüllt  röhrenartig  die  Sehne  ein,  hängt  einerseits  mit  der  Trochlea,  an- 
dererseits mit  der  Tunica  vaginalis  bulbi  und  der  Muskelscheide  des 
oberen  Geraden  zusammen  und  stellt  so  eine  Art  Aufhängeband  für  den 
Bulbus  dar. 


Gefässe;  Nerven  der  Augoninuskeln;  Nervenursprünge;  Drehpnnkt.  865 

Der  untere  schiefe  Augenmuskel  entppi'iugt  vom  inneren  unleren  Theile 
des  hnöchernen  Orhitalrandes .  l<]r  läuft  erstlich  nach  aus-  und  rüclcw'drts  und 
gelangt  zwischen  den  Bulbus  und  Rectus  inferior,  wo  seine  Scheide  mit 
der  des  unteren  Geraden  durch  zellig  fibröses  Gefüge  zusammenhängt.  Gleich 
hinter  dieser  Stelle  ändert  er  seine  Richtung,  indem  er  sich  stark  nach  auf- 
und  rückwärts  krümmt,  um  dann  an  der  Schläfenseite  des  Bulbus,  unmittel- 
bar an  dessen  Scheidenhaut  anhängend,  zwischen  diesem  und  dem  äusseren 
Geraden  zum  hinteren  und  oberen  Umfange  des  Bulbus  zu  gelangen.  Hier 
setzt  er  sich,  nachdem  er  merklich  breiter  geworden  ist  und  die  Scheidenhaut 
durchbrochen  hat,  in  einer  nach  oben  und  vorne  convexen,  wenigstens 
5"'  laugen  Linie  an,  deren  vorderes  Ende  etwa  1"\  das  hintere  2'" — 3'" 
vom    Opticus   absteht. 

Die  Arterien  dieser  Muskeln  sind  sämmtlich  feine  Zweigchen  der  Ar- 
teria ophthalmica.  Die  Venen  vereinigen  sich  theils  mit  Aesten  der  beiden 
Venae   ophthahnicae,   theils  mit  Aesten  der    Vena  facialis. 

Die  Nerven,  welche  die  sechs  Augenmuskeln  mit  den  Centralorganen 
in  Verbindung  setzen,  sind  das  3.,  4.  tind  6.  Gchirnnervenpaar  nebst  Zweig- 
chen des  Nerv,  trigeminus  und  des  Sympathicus.  Der  Nervus  oculomotorius 
ist  bekanntlich  für  den  oberen,  inneren  und  unteren  Geraden,  den  Aufhebe- 
muskel  des  oberen  Lides  und  den  3Iusc.  obliquus  inferior  bestimmt ;  während 
das  vierte  Paar  den  oberen  Schiefen  und  das  sechste  Paar  den  äusseren  Ge- 
raden beherrscht.  Das  Centrum  der  motorischen  Kraft  des  Auges  ist  in  der 
Brücke  und   dem  verlängerten  Marke  zu  suchen. 

Der  Nervus  oculomotorius  entspiiiigt  aus  auffallend  grossen  Nervenzellen 
(Oculomotoriuskern)  an  dem  Boden  des  Aquaeductus  Si/lvii  und  zwar  liegen  die  bei- 
derseitigen Kerne  in  der  Mittellinie  sein-  nahe  aneinander.  Die  9  bis  12  aus  jedem 
Kerne  liervorgehenden  Faserbiindel  ziehen  nach  abwärts  und  kreuzen  sich  mit 
den  Längsfasern  der  Grosshirnschenkel,  nachdem  sie  sich  mit  den  motorischen 
Nerven  des  Accommodationsmuskels  und  des  Sphincter  puijillae,  welche  je  einen 
anderen,  wenn  auch  vielleicht  sehr  nahe  gelegenen  Ursprungskern  besitzen  müssen, 
vereinigt  haben  (S.  767).  Der  Nervus  trochlearis  entspringt  hinter  den  Vierhügeln 
aus  der  Valvula  cerehelli,  der  Nervus  ahducens  am  Boden  der  Rautengnibe  (Stilling, 
Rüdinger) .  Der  Nervus  facialis,  welcher  den  Orbicuiarmuskel  der  Lider  beherrscht, 
entspringt  an  der  äusseren  Peripherie  der  Medulla  oblongata  aus  den  Ganglien 
der  Formatio  reticularis.  Von  hier  ziehen  die  Urspruugstasern  im  Inneren  des  ver- 
längerten Markes  gegen  die  Mitte  des  Bodens  der  Kautengrube,  wo  sie  eine  Er- 
liöhung  bilden ,  welche  man  früher  als  Ursprungskern  betrachtete  (Deuters, 
Rüdinger). 

Sämmtliche  im  Normalzustande  durch  die  Muskeln  ausgeführte  Beioe- 
gungen  des  Augapfels  sind  Drehungen  um  einen  Punkt,  welcher  auf  der  Augen- 
axe,  d.  i.  auf  der  den  Scheitel  des  Horuhautellipsoides  mit  dem  hinteren 
Scleralpole  verbindenden  Geraden  liegt,  dieselbe  jedoch  nicht,  wie  man 
früher  annahm,  halbirt,  sondern  durchwegs  ein  Beträchtliches  nach  hinten 
abweicht   (Doyer,   Donders,    Volkmann). 

Die  relative  Stellung  des  Drehpunktes  ist  von  der  Länge  der  Bulbusaxe 
abhängig.  Bei  emmeiroplsch  gebauten  Augen  wurde  das  Bewegungscentrum  im 
Mittel  1'77  Millim.  hinter  der  Mitte  der  Augenaxe  gefunden.  In  den  verlängerten 
Bulbis  der  Myopen  liegt  es  etwas  tiefer  hinter  dem  Scheitel  des  Hornhautellipsoi- 
des,  zugleich  aber  auch  weiter  von  dem  Lederhautpole,  so  dass  das  Vcrhältniss 
des  vorderen  und  hinteien  Stückes  der  Augenaxe  annähernd  das  gleiche  bleibt. 
Bei  den  kürzeren  hypeinietropischen  Bulbis  liegt  der  Drehpunkt  absolut  weniger 
tief,  aber  trotzdem  der  hinteren  Wand  des  Bulbus  bedeutend  näher  (Doyer, 
Donders). 

Der  Drehpunkt  scheint  übrigens  je  nach  Umständen  seine  Lage  innerhalb 
gewisser  Grenzen  zu  wechseln.  Die  Fixation  des  Bulbus  wird  nämlich  einerseits 
St  eil  w  ag,  AugeuheilknnJc.  .55 


366  Augenmuskeln:  Physiologie:  Piehpunkt :  Bewegungsmass  d.  Augen. 

durch  das  Fettpolster  der  Orbita,  andererseits  aber  tlieilweise  auch  durcli  die  Span- 
nung der  zwei  schiefen  Muskeln  vermittelt,  welche  letztere  dem  Zuge  der  vier 
Geraden  in  gewisser  Beziehung  entgegengesetzt  wirken,  diesen  aber  das  Gleich- 
gewicht zu  halten  nicht  vermögen,  insoferne  abgesehen  von  ihrer  geringeren  Masse 
die  Zugrichtuvg  beider  Gruppen  einen  Winkel  einschliesst;  daher  denn  auch  die 
Resultirende  sämmtlicher  sechs  Augenmuskeln  nach  innen  und  hinten  geht.  In  Ueber- 
einstimmung  damit  sieht  man  während  Operationen  bei  unruhigen  Kranken  nicht 
selten,  dass  der  Bulbus  in  Folge  krampfhafter  Muskelcontractionen  etwas  nach  hin- 
ten weicht  und  die  Bindehaut  von  Seite  des  ausweichenden  Fettpolsters  wulstför- 
mig  nach  vorne  getrieben  wird,  vornehmlich  in  der  Gegend  des  inneren  Winkels. 
Auch  sollen  neuere  Untersuchungen  mittelst  zweckdienliclier  Instrumente  heraus- 
gestellt haben,  dass  die  Augäpfel  bei  forcirter  Innervation  des  LidheheinuskeJs  bis  zu  einem 
Millm.  aus  der  Orbita  hervortreten,  am  meisten,  wenn  die  Gesichtslinien  horizontal 
und  parallel  zu  einander  stehen;  dass  diese  Lageveränderung  des  Auges  jedoch 
ausbleibt,  wenn  die  Lidhebung  durch  eine  «wwere  Gewalt  bewerkstelligt  wird.  Fer- 
ner glaubt  man,  dass  der  Drehpunkt  nur  bei  horizontalen  Bewegungen  der  Gesichts- 
linien ein  ziemlich  fixer  bleibt ,  dass  derselbe  bei  Helmngen  der  Visirebene  aber 
etwas  zurücktrete  und  bei  Senkungen  des  Blickes  sich  dem  Scheitel  der  Hornhaut 
nähere  (J.  J.  MüVer).  Manche  wollen  Verrückungen  des  Drehpunktes  sogar  beim 
Nahe-  und  Fernsehen,  sowie  bei  Erregungs-  und  Lähmungszuständen  des  dritten 
Nerven  gefunden  haben  (Coccius). 

Es  ist  klar,  dass  Veränderungen  der  Drehpunktslage  im  Vereine  mit  dem 
Wechsel  des  Winkels,  welchen  die  Augenaxe  mit  der  Gesichtslinie  bei  verschiede- 
nen Accommodationszuständen  einschliesst  (S.  756),  die  jeweilige  Stellung  der  ein- 
zelnen Netzhauttheile  zu  den  beschauten  Objecten  beeinflussen  müssen.  Doch  ist 
dieser  Einfluss  auf  die  Orientirung  der  Netzhaut  unter  gewönlichen  Umständen 
ein  so  geringer  und  so  leicht  zvr  corrigirender,  dass  er  nur  unter  gewissen  Verhält- 
nissen ins   Gewicht  fällt  und  berücksichtigt  werden  muss. 

Der  Augapfel  kann  vermittelst  seiner  seclis  Muskeln  um  jede  belie- 
bige, das  Bewegungscentrum  schneidende  Axe  gedreht  werden.  Das  Mass  der 
Drehungsfähigkeit  ist  nicht  nach  allen  Richtungen  ein  gleiches.  Es  beträgt 
in  wagrechter  Richtung  im  Mittel  ungefähr  87",  schwankt  in  lothrechter 
zwischen  86"  und  100";  ist  grösser  nach  innen,  als  nach  aussen,  und 
grösser  nach  unten  als  nach  oben.  Es  wechselt  übrigens  der  den  Bewe- 
gungen der  Gesichtslinien  gegebene  Spielraum  je  nach  der  Gestalt  des 
Bulbus  und  der  damit  zusammenhängenden  Lage  des  Drehpunktes,  ist  am 
grössten  bei  emmetropischen  Augen,  wenig  kleiner  bei  hypermetropischen 
und  am  kleinsten  bei  hochgradig  kurzsichtigen  (S.  790,  SchuermanJ.  Auch 
ist  das  Alter  des  Individuums  und  besonders  die  Uebung  von  wesentlichem 
Einflüsse. 

Bei  einem  Kinde,  dessen  Pupille  durch  dichte  ausgebreitete  Hornhautflecke 
vollständig  gedeckt  war,  wurden  die  Augen  behufs  der  Fixation  von  äusseren 
Objecten  immer  so  weit  gesenkt,  dass  kaum  ein  1'"  breites  Segment  der  oberen, 
durchsichtig  gebliebenen  Hornhautperipherie  über  den  unteren  Lidrand  hervorragte. 
Auch  bei  convergirendem  Strabismus  kommen  Einwärtsdrehungen  der  Augen  vor,  bei 
welchen    die  Cornea  grossentheils  oder  ganz  hinter  der  Carunkel  verschwindet. 

Im  Ganzen  wird  die  Excursionsfähigkeit  des  Augapfels  nur  zum  kleinen 
Theile  ausgenützt,  indem  grössere  Augendrehungen  zumeist  durch  entspre- 
chende Kopfbewegungen    bis   auf  ein   Geringes  umgangen  werden. 

Jede  Augenbewegung  erfolgt  auf  ganz  gesetzmässige  Weise  durch  Zu- 
sammenwirkung bestimmter  Miiskeln  und  im  Einzelnfalle  auch  vermittelst 
ganz  bestimmter  relativer  Kraftaufwände,  welche  theilweise  von  der  Lage 
des  Drehpunktes,  von  den  jeweiligen  "Widerständen  u.  s.  w.  abhängen,  inner- 
halb gewisser  Grenzen  also  auch  wechseln  können.  Doch  ist  eine  und 
dieselbe  Drehtmg  der  GesichtsUnie  durchaus  nicht  immer  als  eine  gleiche 
Augenbewegung  aufzufassen,   sondern  wird   durch  das  Zusammenwirken   ver- 


Primiir-  u.  Seciindärstellungen ;  Median-  u.  Fixirebene  ;  Grundlinie;  Listing's  Gesetz.  867 

schiedener  Muskelu  in's  Werk  gesetzt  und  bedingt  eine  ganz  differente 
Orientirung  der  Netzhaut,  je  nachdem  sie  eine  Veränderung  der  Blick- 
richtung bei  parallelen  Gesichtslinien  oder  eine  Conver genzstellung  der  letzte- 
ren zum  Zwecke  hat.  In  Anbetracht  dessen  sind  bei  der  Analyse  der 
einzelnen  Augenbewegungen  die  Blickrichtung  hei  parallelen  Gesichtslinien 
und   die     Convergenzbeiocgungen  strenge  auseinander  zu  halten. 

Es  muss  weitei's  wohl  im  Auge  behalten  werden,  dass  gar  niemals 
ein  oder  der  andere  der  sechs  Muskeln  völlig  wirkungslos  ist,  sondern  durch 
seine  lebendige  und  elastische  Spannung  steuern  hilft,  wenn  er  sich  nicht 
direct  an  einer  bestimmten  Bewegung  betheiligt.  Wirklich  macht  die 
Lähmung  eines  einzelnen  Muskels  alle  Excursionen  des  Bulbus  minder 
sicher  und  lässt  gar  viele  derselben  nur  unter  unregelmässigen  Schwankungen, 
also  nicht  geraden  Weges,  durchführen.  Auch  ist  bei  den  Bewegungen 
der  Augen  nicht  blos  die  Kraft,  mit  welcher  ein  Muskel  zieht,  sondern 
auch  der  Winkel,  in  welchem  die  Ansatzlinie  desselben  jeweilig  zur  Axe 
seines  Bauches  steht,  von  Belang.  Ist  dieser  Winkel  kein  rechter,  so  wird 
der  betreffende  Muskel  im  Falle  seiner  Innervation  den  Bulbus,  so  weit 
es  die  Widerstände  erlauben,  in  eine  Lage  zu  rollen  suchen,  in  welcher 
seine  sämmtlichen  Easei'bündel   eine  gleichmässige  Spannung   erhalten. 

Wird  bei  totaler  Liihimiug  des  Oculomotorius  eine  Senkung  der  Gesiclitsliiiie 
inuervirt,  so  dreht  sich  das  Centrum  der  Cornea  unter  der  alleinigjen  Wirkung  des 
oberen  Schiefen  nach  unten  aussen;  mit  dem  Nachlasse  dieser  Innervation  rollt 
jedoch  das  Auge  in  die  frühere  Stellung  zurück  ,  indem  einerseits  die  elastische 
Spaunung  der  gelähmten  Muskehr  und  der  verschiedenen  Scheiden  zur  Geltung 
kömmt,  andererseits  der  äussere  Gerade  die  ungleiche  Dehnung  seiner  Faserbündel 
auszugleichen  strebt. 

Es  ist  nach  allem  dem  klar,  dass  die  Stellung,  aus  ivelcher  das  Auge 
in  eine  andere  übergehen  soll,  in  Bezug  auf  die  erforderlichen  relativen 
Kraftaufwände  sowohl  der  activ  betheiligten  als  der  blos  steuernden  Muskeln 
massgebend  sei ;  daher  es  nothwendig  ist,  sich  vorerst  über  eine  gewisse 
Primärstellung  zu  verständigen.  Als  solche  wird  jetzt  fast  allgemein  die 
zur  Medianebene  parallele  Horizoutalrichtung  der  Gesichtslinien  bei  senk- 
recht gelagei'ter  verticaler  Kopfaxe   angenommen. 

Die  Medianebene  ist  eine  Ebene,  welche  durch  die  verticale  Kopfaxe  und 
die  Mitte  der  Grundlinie  gelegt  gedacht  wird.  Die  Grundlinie  aber  ist  die  die  Dreh- 
punkte beider  Augen  verbindende  Gerade.  Eine  durch  die  Grundlinie  und  den 
binocularen  Fixirpunkt,  also  auch  durch  beide  Gesichtslinien  gelegte  Ebene  heisst 
Visirehene,  und  die  Schnittlinie  derselben  mit  der  Medianebene  wird  Medianlinie 
genannt. 

Wird  der  Blick  hei  stets  parallel  gedaghten  Gesichtslinien  aus  der  Primär- 
stellung geraden  Weges  in  eine  beliebige  andere  „secundäre''  gewendet,  so 
geschieht  dies  vermittelst  einer  Drehung  um  eine  einzige  Axe,  welche  senk- 
recht auf  der  ersten  und  zweiten  SteUung  der  Gesichtslinie,  also  auch 
senkrecht  auf  der  von  ihren  Endpunkten  zurückgelegten,  geradehnig  ge- 
dachten Bahn  steht ;  mit  anderen  Worten,  es  verändert  die  Netzhaut  ihre 
Lage  nach  einer  einzigen  Hichtung,  erleidet  also  nebenbei  nicht  etwa  eine 
sogenannte  Raddrehung,  d.  i.  eine  EoUung  um  die  GesichtsUnie.  Dasselbe 
geschieht,  wenn  das  Auge  aus  der  Secundärstellung  geradenwegs  in  die 
primäre  oder  in  eine  andere  secundäre  übergeht,  welche  letztere  jedoch  in 
der  Richtung  der  primären  gelegen  ist,  wenn  z.  B.  das  Auge  von  aussen 
oben  nach  innen  unten  gewendet  wird.  Anders  verhält  sich  aber  die  Sache, 
wenn  das  Auge  eine  secundäre    Stellung  in  gerader  Linie  mit  einer  anderen 

55* 


868  Aiigeinnuskeln;  Physiologie ;  Listing's  Gesetz;  Projeofionsverhältnisse. 

vertauscht,  welche  nicht  in  der  Richtung  der  primären  liegt,  wenn  der 
Blick  z.  B.  von  aussen  oben  nach  aussen  unten  wechselt.  Eine  solche 
Bewegung  erfolgt  nicht  um  eine  einzige  Axe,  sondern  um  eine  Unzahl  augenblick- 
licher Axen,  die  Netzhaut  neigt  sich  nicht  in  einer  einzigen  Richtung  dem  neuen 
Fixirpunkte  zu,  sondern  erleidet  auf  dem  Wege  nebenbei  eine  Raddrehung, 
d.  i.  eine  Rollung  um  die  Gesichtslinie,  um  schliesslich  jedoch  wieder  die- 
selbe Stellung  zu  nehmen,  welche  sie  genommen  hätte,  wenn  sie  aus  der 
Primärstellung  in  die  dermalige  secundäre  gelangt  wäre   (Listing). 

Um  Irrungen  vorzubeugen,  ist  es  dringend  nothwendig,  die  Stellungen  der 
Netzhaut  und  die  Projeclionsvei-hältnisse  objectiver  Bilder  oder  künstlich  erzeugter 
Nachbilder  strenge  auseinander  zu  halten.  Denkt  mau  sich  das  Auge  iu  der  Primär- 
stellung auf  eine  lothrecht  zur  Gesichtslinie  stehende  ebene  Wand  gerichtet  und 
auf  letzterer  einen  kleinen  Strahlenstern  verzeichnet,  durch  dessen  Centrum  die 
Gesichtslinie  hindurchgeht,  so  wird  jeder  Strahl  auf  einem  bestimmten  Netzhaut- 
raeridiane  abgebildet  werden.  Erzeugt  man  sich  nun  von  diesem  Sterne  ein  Nach- 
bild und  bewegt  man  dann  das  Auge  aus  seiner  Primärstellung  in  eine  beliebige 
secundäre  Lage,  so  wird  nur  der  in  der  Bahn  des  Blickes  und  der  senkrecht  darauf 
stehende  Strahl  des  Nachbildes  seine  ursprünglichen  Relationen  bewahren,  alle  an- 
deren Strahlen  erscheinen  verschoben,  unter  geänderten  gegenseitigen  Winkelab- 
ständen. Damit  der  Stern  sich  genau  so  präsentire,  wie  in  der  Primärstellung  des 
Auges,  müsste  die  Projectioiisehene  wieder  normal  auf  die  Gesichtslinie  gestellt  sein. 
In  Uebereinstimmung  damit  kann  das  in  der  Primärstellung  des  Auges  erzeugte 
Nachbild  einer  zum  Horizonte  lofhrechten  Linie  beim  Uebergange  in  Secundärstellun- 
gen  nur  dann  lothrecht  auf  einer  senkrechten  ebenen  Wand  erscheinen,  wenn  der 
Blick  gerade  nach  oben  oder  unten,  oder  wagrecht  nach  den  Seiten  gewendet  wird ; 
in  allen  schrägen  Bahnen  muss  es  schief  erscheinen,  ohne  dass  damit  eine  Rollung 
der  Netzhaut  ura  die  Gesichtslinie  angedeutet  würde,  sondern  einfach  wegen  der 
veränderten  Projectionsverhältnisse.  Was  aber  von  Nachbildern  gilt,  hat  auch  für 
objective  Bilder  Geltung. 

Es  genügt  für  Drehungen  der  unverändert  parallel  bleibenden  beiden 
Gesichtslinien  aus  der  Primärstellung  gerade  nach  innen  oder  aussen  und 
zurück  die  Zusammenziehung  Eines  seitlichen  Geraden,  da  die  Bahn  dieser 
Muskeln  während   dieser  Bewegung  in  der  wagrechten  Ebene  bleibt. 

Soll  das  Auge  aus  der  Primärstellung  gerade  nach  oben  oder  unten 
und  zurück  bewegt  werden,  so  bedarf  es  schon  der  Zusammenziehung  Eines 
Geraden  und  des  gegenüberliegenden  Schiefen,  es  muss  der  Rectus  superior 
und  der  Obliquus  inferior,  oder  beziehungsweise  der  Rectus  inferior  wid 
Obliquus  superior  bethätigt  werden.  Es  weicht  nämlich  die  Bahn  des 
oberen  und  unteren  Geraden  von  der  verticalen  Meridianebene  des  in  der 
Primärstellung  befindlichen  Auges  in  einem  nach  hinten  offenen  Winkel 
nasenwärts  ab;  daher  ihre  Zugwirkung  von  der  lothrechten  Ebene  hinweg 
nach  innen  gerichtet  ist  und  ausserdem  eine  Raddrehung,  d.  i.  eine  Rollung 
um  die  Gesichtsliuie,  in  sich  schliesst.  Die  Innen-  und  Raddrehuug  nun 
kann  nur  durch  den  combinirten  Zug  je  eines  schiefen  Muskels  ausgeglichen 
werden,  und  wird  es  in  der  Wirklichkeit  mit  einem  kleinen  XJebermasse, 
iusoferne  die  verticalen  Meridiane  der  Augen  bei  Blicl-hebungen  nach  oben 
hin   divergiren,   bei   Bliclcsenkungen   nach   oben  hin   convergiren. 

Wird  das  Auge  aus  der  Primärstellung  in  eine  schräge  Secundärstel- 
lung  und  zurück  gedreht,  so  müssen  zwei  nebeneinander  liegende  Gerade  und 
ein  Schiefer  wirken,  welcher  letztere  die  Raddrehuug  und  theilweise  auch 
die  Innenwirkung  des  in  Thätigkeit  gesetzten  oberen  oder  unteren  Rectus 
neutralisirt.  Dabei  macht  sich  das  Uebergewicht  des  betreffenden  Schiefen 
in  verstärktem  Masse   geltend,   die  Neigung  der  verticalen  Meridiane  wächst 


Boweguiigsgi'sctzu ;   Werhstd  viiii  Secuiidar.sti'lluii^^fU.  860 

mit   der  Abweichung  (]vy   Hlickrichtung  von   der  Mediaiicbcne  und    mit    dem 
Hcbung-swinkcl  der  Blickcbeue. 

Um  das  Augu  aus  einer  Secundävstellung  in  eine  andere  überzuführen, 
welche  nicht  in  d(>r  Kichtung  der  primären  liegt,  reichen  yanz  ähnliche 
Innervationen  hin,  wie  w(ain  es  sich  dai'um  liandeltc;,  die  Primär  Stellung 
mit  einer  secundären  zu  vertauschen.  Es  genügt,  einen  Impuls  auf  Einen 
seitlichen  Geraden  zu  werfen  und  dessen  Antagonisten  abzuspannen,  wenn 
die  beabsichtigte  Drehung  in  der  wagrechten  Kichtung  liegt.  Es  muss  ein 
oberer  oder  unterer  Gerader  mit  dem  entsjjr eckenden  Obliquus  contrahirt  und 
das  Gegnerpaar  derselben  erschlafft  werden,  wenn  die  Bahn  eine  verticale 
ist.  Endlich  bedai'f  es  der  Bethätigung  zweier  nebeneinander  liegender  Ge- 
rader tmd  des  associirten  Schiefen  bei  Abspannung  der  drei  bezüglichen 
Antagonisten,  wenn  die  Bahn  eine  schräge  ist.  Die  mit  diesen  Excui'sio- 
nen  der  Gesichtslinie  verbundenen  liaddrehungen  sind  nothwendige  Folgen 
der  veränderten  Bedingungen,  unter  welchen  die  betreffenden  Muskeln  wir- 
ken, wenn  sie  die  Gesichtslinie,  statt  aus  der  Primärstellung,  aus  einer 
secundären  in  eine  andere  und  zurückzuführen  haben,  und  bringen  die 
sämmtlichen  Muskeln  des  Auges  genau  wieder  in  dasselbe  relative  Spannungs- 
verhältniss,  in  welchem  sie  sich  befänden,  wenn  das  Auge  aus  der  Pri- 
märstellung in  die  bezügliche  Secundärstellung  auf  geradem  Wege  gebracht 
worden  wäre,  geben  folgerecht  also  auch  den  einzelnen  Meridianen  der 
Netzhaut  genau  dieselbe  relative  Lage  zur  Medianebene,  welche  sie  einnäh- 
men, wenn  die  Drehung  direct  aus  der  primären  in  jene  Secundärstellung 
geschehen  wäre   {Hering). 

Würde  z.  B.  die  Gesichtsliuie  ans  der  Pnmärstellung  in  der  Diagonale  nach 
oben  und  innen  oder  nach  unten  und  aussen  bewegt,  so  geschähe  dies  um  eine 
senkrecht  auf  diese  Bahn,  also  von  aussen  oben  nach  innen  unten  streichende  Axe. 
Der  verticale  Meridian  der  Netzhaut  würde  dann  nach  oben  mit  der  Medianebene 
divergiren  und  der  horizontale  Netzhautmeridian  mit  seiner  äusseren  Hälfte  tiefer 
als  mit  seiner  inneren  Hälfte  stehen.  Sollte  nun  dieselbe  Bewegung  dadurch  zu 
Stande  gebracht  werden,  dass  die  Gesichtslinie  vorerst  um  eine  horizontale  Axe 
geradeaus  in  dieselbe  Höhe  gehoben  und  dann  um  eine  verticale  Axe  in  dieselbe 
Breite  abgelenkt  wird,  so  würde  otl'enbar  der  verticale  Netzhautmeridian  parallel 
der  Medianebene  bleiben,  das  Auge  also  eine  ganz  andere  Stellung  einnehmen,  als 
wenn  es  aus  der  primären  Stellung  in  dieselbe  secundäre  Stellung  geraden  Weges 
gelangt  wäre.  Es  ist  also  nebenbei  eine  Raddrehung  um  die  Gesichtslinie  noth- 
wendig,  um  dem  verticalen  Meridiane  die  Neigung  nach  oben  aussen  zu  geben  und 
die  gleiche  Orientirung  der  Netzhaut  zu  bewerkstelligen. 

Diese  Raddrehung  nun  bedarf  nicht  einer  eigenen  Innervation,  sie  ist  schon 
in  den  veränderten  Zugbahnen  der  einzelnen  bethätigten  Muskeln  enthalten.  Wurde 
die  Gesichtslinie  zuerst  durch  Zusammenwirken  des  oberen  Geraden  und  des  steuernden 
Obliquus  inferior  gehoben  und  wird  nun  der  Internus  innervirt,  so  zieht  derselbe  nicht 
mehr  blos  in  horizontaler  Richtung ;  sein  Ansatzpunkt  ist  auch  gehoben  und  sein 
Bauch  bildet  mit  der  Gesichtslinie  einen  anderen  Winkel,  seine  Spannung  muss 
darum  eine  loeitere  Hebung  der  inneren,  also  Senkung  der  äusseren  Hälfte  des  hori- 
zontalen Netzhautmeridianes  und  damit  eine  Rollung  um  die  Gesichtslinie  veranlas- 
sen, kann  also  die  Netzhaut  genau  so  orientiren,  wie  dies  bei  der  Drehung  aus 
der  Primärstellung  in  die  bezügliche  secundäre  der  Fall  ist.  Was  nun  aber  vom 
Internus  bei  gehobener  Gesichtslinie  gilt,  gilt  auch  vom  Externus  bei  gesenkter  Ge- 
sichtslinie und  von  den  hebenden  und  senkenden  Muskelpaaren  bei  seitwärts  gewen- 
deter Gesichtslinie.  In  Bezug  auf  die  letzteren  muss  man  sich  aber  vor  Augen 
halten,  dass,  wenn  die  Gesichtslinie  aus  der  durch  ihre  Primärstellung  gelegten 
lothrechten  Ebene  nach  innen  abweicht,  der  Winkel  ivächst,  welchen  sie  mit  der 
Zugbahn  des  oberen  und  unteren  Geraden  einschliesst,  während  sie  sich  der  Bahn 
der  beiden  Schiefen  nähert.  Es  muss  daher  die  Rollwirkung  der  ersteren  verhält- 
nissmässig  zu,  jene  der  Obliqui  abnehmen  ;    dagegen    die  Hebewirkung  der  ersteren 


370  Augenmuskeln;  Physiologie;  Convergenzstellungen ;  Inuervationsvorhältnisse. 

kleiner,  jene  der  Obliqni  grösser  werden.  Rückt  aber  die  Gesichtslinie  nach  aussen 
von  jener  Verticalebene,  so  muss,  da  sie  sich  der  Bahn  des  oberen  und  unteren 
Geraden  nähert  und  von  der  Bahn  der  Obliqui  entfernt,  gerade  umgekehrt  die  EoU- 
wirkung  der  beiden  genannten  Recti  sieh  verkleinern  und  jene  der  Obliqui  sich 
vergrössern,  die  Hebeioirkunff  der  ersteren  im  Gegentheile  steigen  und  jene  der 
Obliqui  fallen.  Bleibt  dann  das  Kraftverhültniss,  mit  welchem  je  ein  oberer  oder 
unterer  Gerader  und  der  ihm  associirte  Schiefe  bei  der  primären  und  bei  den  loth- 
und  wagrecht  davon  abweichenden  Secundärstellungen  sich  gegenseitig  steuern,  das 
gleiche,  auch  wenn  die  Gesichtslinie  aus  einer  Secundär Stellung  in  eine  andere  über- 
geht, welche  nicht  in  der  Richtung  der  primären  liegt:  so  müssen  Raddrehungen 
eintreten.  Umgekehrt  ist  die  Nachweisbarkeit  derselben  aber  auch  wieder  ein  Beweis- 
grund für  die  Unveränderlichkeit  der  Steuerungsverhältnisse,  also  für  die  Gleichheit 
der  bezüglichen  Innervationen  und  damit  für  die  grosse  Einfachheit  der  die  Augen- 
bewegungen als  Ganzes  beherrschenden  Impulscombinationen  (Hering). 

Es  ist  wichtig  zu  bemerken,  dass  die  meisten  Bewegungen  der  Augen  bei 
parallelen  Gesichtslinien  als  ein  Wechsel  zwischen  Sectindä7-stellungen  aufzufassen 
sind,  also  Itaddrehungen  und  folgerecht  den  Bestand  der  schiefen  Muskeln  noth- 
wendig  machen.  In  der  That  genügten  die  vier  Geraden  vollkommen,  um  die  Ge- 
sichtslinien beider  Augen  auf  jeden  beliebigen  Punkt  des  Blickraumes  hinzulenken, 
keineswegs  aber  um  beiden  Netzhäuten  in  jeder  beliebigen  Stellung  der  Augen  eine 
bestimmte  gesetzmässige   Orientirung  zu  geben. 

Bei  Convergenzstellungen  ist  die  Orientirung  der  Netzhäute  eine  an- 
dere, als  bei  gleicher  Blickrichtung  mit  parallelen  Gesichtslinien ;  dieselben 
fordern  darum  auch  das  Zusammenwirken  theilweise  verschiedener  Muskeln. 
Im  Allgemeinen  erleiden  die  verticalen  Meridiane  der  Bulbi  bei  symme- 
trischen Convergenzstellungen  der  Gesichtslinien  eine  Raddrehung  in  der 
Bahn  des  unteren  Schiefen,  so  zwar,  dass  ihre  oberen  Enden  bei  gehobener 
Visirebene  mehr  divergiren  und  bei  gesenkter  Blickebene  weniger  convergi- 
ren,  als  dies  bei  parallelen  Gesichtslinien  und  gleicher  Lage  der  Blickebene 
der  Fall  ist.  Der  sich  ergebende  Differenzwinkel  wächst  mit  der  Abwei- 
chung der  Blickebene  von  der  horizontalen  Lage  und  mit  der  Abweichung 
der  Blickrichtung  von  der  Medianebene   (Hering). 

Dass  diese  Desorientirung  der  Netzhäute  nicht  zu  Störungen  des  binoculären 
Einfachsehens  führt,  findet  seinen  Grund  darin,  dass  Hebungen  und  Senkungen  der 
Blickebene  und  Veränderungen  der  Blickrichtung  nur  innerhalb  sehr  enger  Gren- 
zen durch  die  augenbewegeuden  Muskeln  ausgeführt,  zumeist  aber  durch  Bewe- 
gungen des  Kopfes  überflüssig  gemacht  werden ,  und  dass  kleine  Abweichungen 
in  der  Netzhautorientirung  durch  ivillkürliche  corrective  Rollbewegungen  leicht  aus- 
geglichen werden  können. 

Die  Innervationen,  welche  die  einzelnen  Augenbewegungen  anregen, 
sind  stets  und  unwandelbar  doppelseitig,  jeder  Impuls,  welcher  auf  den  Be- 
wegungsapparat des  einen  Auges  geworfen  wird,  löst  in  der  Norm  ent- 
sprechende Muskelthätigkeiten  am  anderen  Avige  aus,  und  dies  zwar  in  der 
Weise ,  dass  beide  Netzhäute  in  einem  gewissen  Sinne  beim  binoculären 
Sehacte  zusammenwirken  können.  Insoferne  lassen  sich  auch  beide  Bulbi 
als  ein  einheitliches  Organ  in  der  Bedeutung  eines  Doppelauges  betrachten. 

In  Uebereinstimmung  damit  können  die  zwölf  Augenmuskeln  in 
Rechts-  und  Linkswender,  in  Heber  und  Senker,  in  Ab-  und  Adductoren  un- 
terschieden werden,  wobei  selbstverständlich  jeder  einzelne  Muskel  in 
verschiedenen  Gruppen  eine  Rolle  zu  spielen  bex'ufen  ist.  Als  Rechts-  und 
Linkswender  wirken  je  ein  innerer  und  äusserer  Gerader  zusammen.  Bei 
der  Senkung  der  Blickebene  concurriren  beide  Recti  inferiores  und  mit 
einem  kleinen  Uebergewichte  die  beiden  oberen  Schiefen.  Dabei  macht 
sich  stets  eine  Neigung  zur  Convergenz  der  Gesichtsünien  und  bei  Nicht- 
kurzsichtigen   wahrscheinlich    auch    eine     accommodative  Erhöhung    des  Re- 


Willkürliche  Coorilinaliimsbewe^tiiigen ;  Bliikrichtuiigeti ;    liiimciil.  lilickraiiiii.  871 


fractionszustandes  geltend.  Cxleichzeitig  senkt  sicli  uuter  der  Wirkung  der 
oberen  Hälfte  des  Orbicularis  palpebrarum  der  obere  Liddcckel  in  entspre- 
chendem Masse  herab.  Als  Heber  der  IJlickebene  functioniren  beiderseits 
der  ßectus  superior  mit  dem  Obliquns  inferior,  welchen  sich  der  Levator 
palpebrae  superioris  eoordinirt,  während  gleichzeitig  etwaige  Convergenz- 
bestrebungen  und  Accommodationsthätigkeiten  vermindert  werden.  Behufs 
der  Convergenzbewegungen  wirken  beide  Interni  zusammen,  wobei  gleichzeitig 
die  unteren  Schiefen  in  Thätigkeit  gerathen  und  ausserdem  der  Accommo- 
dationsmuskel  mit  dem  Sphincter  pupillae  in  Thätigkeit  gesetzt  wird.  Bei 
den  Divergeuzhev;egungen,  d.  i.  bei  den  die  Zurückführung  der  Gesichts- 
linien aus  der  Convergenz  in  den  Parallelismus  bezweckenden  Augen- 
bewegungen coordiniren  sich  beide  Externi  und  vielleicht  auch  die  oberen 
Schiefen,  während  der  Accommodationsmuskel  und  Pupillenschliesser  sich 
entspannen. 

Jede  dieser  Coordinationsbewegungen  wird  durch  einen  besonderen 
einheitlichen  Nervenimpids  ausgelöst  und  erfolgt  unter  allen  Umständen  in 
derselben  gesetzmässigen  Weise,  ohne  dass  jedoch  willkürliche  Veränderun- 
gen in  dem  relativen  Kraftaufwande  der  einzelnen  betheiligten  Muskeln 
ganz  ausgeschlossen  sind.  Durch  fortgesetzte  Uebung  lassen  sich  die  Gren- 
zen für  solche  Correctionen  ansehnlich  erweitern  (relative  Accommoda- 
tions-  und  Convergenzbreite  S.  768);  ja  es  wird  sogar  möglich,  kleine 
Divergenzen  der  Gesichtslinien  und  selbst  Raddrehungen  (Hering^  Nagel, 
Williams)  beziehungsweise  ohne  Zuhilfenahme  zwingender  Prismen  aufzu- 
bringen, während  sonst  die  ganze  Thätigkeit  des  augenbewegenden  Apparates 
auf  Convergenz-  und  Parallelstellungen  der  Gesichtslinien  gerichtet  und 
die   isolirte  Innervation   der  beiden  Schiefen  ausgeschlossen  ist. 

In  Uebereinstimmung  mit  den  oben  erörterten  Drehungsgesetzen  ist 
die  Zahl  der  möglichen  Bewegungsimpulse  eine  ausnehmend  beschränkte, 
dieselben  sind  auf  Eechts-  und  Linkswendung,  auf  Hebung  und  Senkung 
der  Blickebene,  so  wie  auf  Ad-  und  Abduction  der  Gesichtslinien  gerich- 
tet. Durch  Combination  von  zwei  oder  höchstens  von  drei  solchen  Impulsen, 
welche  möglicher  Weise  zum  Theile  einen  und  denselben  Muskel  treffen 
können,  ist  jede  beliebige  Blickrichtung,  Blickhöhe  und  Convergenzstelluug 
zu  erzielen.  So  z.  B.  würde  die  Betrachtung  eines  nach  unten  und  seit- 
wärts in  kurzer  Distanz  gelegenen  Objectes  die  Innervation  der  Blicksen- 
ker,   der  Rechts-   oder   Linkswender  und   der  Convergenzmuskeln   erfordern. 

Im  Ganzen  sind  comftwir'^e  Coordinationsbewegungen  schwieriger  aus- 
zuführen und  innerhalb  engere  Grenzen  gebannt.  So  ist  der  Blickraum, 
für  das  binoculäre  Einfachsehen  viel  kleiner,  als  der  Spielraum  für  die  Be- 
wegungen der  einzelnen  Gesichtslinien,  mit  anderen  Worten,  die  Gesichts- 
linicn  jedes  einzelnen  Auges  können  auf  Punkte  gelenkt  werden ,  auf 
welche  die  andere  Gesichtslinie  nicht  zu  folgen  vermag,  daher  wegen  fal- 
scher (3rientirung  beider  Netzhäute  Dojypelsehen  resultirt.  Noch  enger 
werden  die  Grenzen  des  binociilären  Blickraumes,  wenn  es  sich  gleichzeitig 
auch  um  das  Einfachsehen  nahe  gelegener  Objecte,  also  um  Convergenzstel- 
lungen  handelt.  In  der  That  kömmt  es  rasch  zur  Desorientirung  der 
Netzhaut,  wenn  bei  Fixation  naher  Objecte  die  Visirebene  nur  einiger- 
massen  höher  gehoben  oder  der  Blick  stärker  zur  Seite  gerückt,  oder  wenn 
gar    eine    Hebung    und    Seitwärtswendung    der    Blicklinie    mit    Convergenz- 


372  Augenmuskeln;  Physiologie;  Willküi-liche  Coordinationsbewegungen. 

Stellungen  verknüpft  werden  soll.  Es  sind  dies  Verhältnisse,  welche  sich 
in  der  Symptomatologie  der  Motilitätsstörungen  überaus  fühlbar  machen 
und  bei  der  Beurtheilung  der  letzteren  in  Rechnung  gebracht  werden 
müssen. 

Die  Convergenzbewegungen  fehlen  dem  neugebornen  Kinde,  die  Thätig- 
keit  der  Augenmuskeln  beschränkt  sich  bei  diesem  auf  einen  lebhaften 
Wechsel  der  Blickrichtungen.  Die  Fixation  von  Objecten  ist  nämlich  ein 
sehr  zusammengesetzter  Act,  bei  welchem  neben  der  Convergenz  die 
Accoramodation  und  Blickrichtung  concurriren.  Sie  erfolgt  immer  nur 
behufs  eines  bewussten  Zweckes,  nämlich  um  von  Gegenständen  der  Auf- 
merksamkeit möglichst  scharfe  und  deutliche  Wahrnehmungen  und  damit 
die  Prämissen  für  weitere  Schlüsse  auf  die  Beziehungen  der  Objecte  zum 
Subjecte  zu  gewinnen.  Sie  setzt  also  einerseits  ein  gewisses  Interesse  an 
dem  Gegenstande,  andererseits  aber  auch  ein  Urtheil  über  das  Quäle  der 
bisher  vom  Objecte  erhaltenen  Eindrücke  voraus;  denn  nur  unter  der 
Bedingung ,  dass  das  Ungenügende  des  Eindruckes  bei  falscher  Fixation 
erkannt  und  richtig  beurtheilt  wird,  lässt  sich  das  Mangelnde  durch  ent- 
sprechende willkürliche  Muskelthätigkeiten  ergänzen.  Der  Corrections- 
massstab  für  die  Blickrichtung  und  die  Convergenz  liegt  in  der  von  der 
Peripherie  gegen  das  Centrum  der  Netzhaut  hin  wachsenden  Sehschärfe 
und  in  der  relativen  Lage  der  Doppelbilder,  welche  bei  falscher  Fixation 
nothwendig  hervortreten  müssen.  Für  die  damit  coordinirte  Accommodation 
aber  liegt  der  Correctionsmassstab  in  der  mangelhaften  Schärfe  der  wahr- 
genommenen Bilder.  Es  fordert  dieser  ein  viel  feineres  Urtheil  als  jener, 
da  mangelhafte  Schärfe  die  Deutlichkeit  der  Bilder  weit  weniger  stört, 
als    deren  Verdoppelung. 

Die  auf  Veränderung  der  Blickrichtung  zielenden  Coordinationsbewe- 
gungen gehen  schon  am  neugeborenen,  ja  am  blindgeborenen  Kinde  sym- 
metrisch und  gesetzmässig  von  Statten.  Diese  Gesetzmässigkeit  dauert 
auch  zeitlebens  an,  selbst  wenn  die  Blindheit  fortbesteht.  Sie  wird  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  sogar  im  Nystagmus  festgehalten,  indem  die  den 
letzteren  charakterisirenden  Bewegungen  stets  in  der  Bahn  der  Rechts- 
und Linkswender,  oder  abwechselnd  in  der  Bahn  der  beiden  oberen  und 
unteren  Schiefen  ausgeführt  werden. 

In  Anbetracht  dessen  können  die  Blickricktungen  und,  wenn  Analogie- 
schlüsse erlaubt  sind,  auch  die  übrigen  Coordinationsbewegungen  der  Augen 
nicht  wohl  etwas  Angelerntes  sein,  sondern  müssen  in  den  Organisations- 
verhältnissen des  Gehirnes  wurzeln.  Man  ist  also  zur  Annahme  gewisser 
Coordinationscentra  gedrängt,  welche  irgendwie  angeregt,  ihren  Reizzustand 
auf  eine  bestimmte  Summe  von  Nervenursprüngen  übertragen  und  im  Aus- 
strahlungsgebiete der  davon  abgehenden  motorischen  Nerven  Muskelcontrac- 
tionen  auslösen,  deren  Summe  eine  bestimmte  einheitliche  Bewegung  liefert. 
Diese  Bewegung  ist  dann  selbstverständlich  die  Resultirende  der  relativen 
Kraftaufwände  der  einzelnen  Muskeln  und  die  absolute  Kraft,  mit  welcher 
sie  erfolgt,  von  der  Intensität  des  Erregungszustandes  abhängig,  in  welchen 
das  Coordinationscentrum  durch  den  betreffenden  Nervenreiz  versetzt  wor- 
den ist. 

Die  Nothwendigkeit  der  Existenz  solcher  Coordinationscentra  ergibt  sich  mit 
besonderer  Klarheit  aus  der  wunderbaren  Fertigkeit,  mit  welcher  kaum  geborene 
Junge  bestimmter  Thierklassen  gewisse,    im  Kampfe  um  das  Dasein  unerlässliche, 


Coordiiialionscentra;   deren  Lage.  873 

oft  sehr  complicirte  Bewegungen  ohne  vorausgängige  Uebungen  und  in  jeder  Tliier- 
art  nach  einem  bestimmten  Typus  vollführen.  Man  erinnere  sieh  nur  der  über- 
raschenden Gelenkigkeit,  welche  die  sich  selbst  überlassenen  Jungen  der  Wirbel- 
losen und  der  kaltblütigen  Wirbclthiere  in  dem  Augenblicke  zeigen ,  als  sie  das 
Ei  verlassen.  Man  erinnere  sich  weiter  an  die  Fähigkeit  der  Nestflüchter  unter 
den  Vögeln,  der  Wiederkäuer,  Einhufer  etc.  unter  den  Säugethiereu,  alsbald  nach 
der  Geburt  sich  zu  erheben,  zu  gehen,  zu  laufen,  zu  schwimmen  u.  s.  w. 

Für  die  Existenz  bestimmter  Coordinationscentva  spricht  ferner  das 
Vorkommen  relativer  Lähmungen,  bei  welchen  einzelne  willkürliche  oder 
reflectorische  Coordinationsbewegungen  ihrer  Totalität  nach  völlig  nnaus- 
führbar  geworden  sind,  während  andere  Coordinationsbewegungen,  bei  welchen 
zum  Theile  dieselben  Muskeln  und  daher  auch  dieselben  motorischen  Nerven 
activ  betheiligt  sind,  mit  ganz  normaler  absoluter  Energie,  also  auch  mii 
normalen  relativen  Kraftaufwänden  der  einzelnen  Muskeln  von  Statten  gehen. 

Es  liegen  diese  Coordinationscentra  für  die  Augenbeweyungen  laut  den 
Ergebnissen  physiologischer  Experimente  vorzugsv/eise  in  der  Vier  hügelreg  ion 
des  Gehirnes  und  für  den  Blendungs-  und  Accommodationsapparat  des  Auges 
im  Ciliarlcnoten  und  in  den  intraocularen  Ganglien  (ß.  9,  7(i7).  Die  Erregungen 
der  ersteren  lösen  immer  symmetrische  Bewegungen  beider  Augen  aus  und 
zwar  regirt  im  Allgemeinen  die  rechte  Hälfte  der  Viei'hügel  die  Bewe- 
gungen beider  Augen  nach  links  und  die  Unke  Hälfte  die  Bewegungen 
beider  Augen  nach  rechts.  Durch  die  Reizung  verschiedener  Punkte  jeder 
Hälfte  kann  man  mannigfache  Bewegungen  hervorrufen,  aber  immer  mit 
beiden  Augen  zu  gleicher  Zeit  und  in  derselben  Richtung.  Wird  länger  ge- 
reizt, so  dreht  sich  auch  der  Kopf  nach  derselben  8eite  wie  die  Augen. 
Wird  durch  eine  tiefe  Incision  eine  Trennung  beider  Hälften  der  Corpora 
quadrigemina  in  der  Mittellinie  herbeigeführt,  so  beschränkt  sich  die  Be- 
wegung nur  auf  die   Seite  der  Reizung  (Adamük). 

Stehen  die  Augen  vor  der  Reizung  divergirend  etwas  nach  unten,  Avie  dies 
bei  Thieren  im  Ruhezustande  zu  sein  pflegt,  und  wird  die  Mitte  des  Vordertheiles 
der  genannten  Hügel,  d.  i.  bei  der  Commissura  posterior  gereizt,  so  stellen  sich 
die  Augenaxeu  sogleich  parallel.  Wird  die  Reizung  in  der  Mitte  zwischen  den 
vorderen  Hügeln  mehr  nach  hinten  gemacht,  so  erfolgt  Bewegung  heider  Augen 
nach  oben  mit  Erweiterung  der  Pupille.  Diese  Bewegung  nach  oben  geht  um  so 
mehr  in  eine  convergente  über,  je  mehr  nach  hinten  die  Reizung  stattfindet.  Wird 
der  hintere  untere  Theil  der  vorderen  Hügel  gereizt,  oder  erstreckt  sich  gar  die 
Reizung  auf  den  Boden  des  Aqaeductua  Sylvii,  so  bekömmt  man  starke  Convergenz 
mit  Neigung  nach  unten  und  mit  Verengerung  der  Pupille.  Die  Reizung  der  freien 
Oberfläche  eines  jeden  Vorderhügels  gibt  die  Bewegung  beider  Augen  nach  der 
entgegengesetzten  Seite  und  nebenbei ,  es  möge  links  oder  rechts  gereizt  werden, 
um  so  mehr  nach  oben.,  je  näher  der  Mittellinie,  nach  unten  dagegen,  je  mehr  nach 
aussen  von  der  Mittellinie  das  Irritament  wirkt.  Bei  allen  diesen  Bewegungen 
bleibt  die  Pupille  unverändert.  Die  Blicksenkung  mit  parallelen  Axen  hat  wahr- 
scheinlich ihr  Centrum  auf  der  Basis  der  Hügel.  Die  gleichzeitige  Reizung  der  beiden 
vorderen  Hügel  ruft  Bewegungen  hervor,  wie  sie  beim  Nystagmus  beobachtet 
werden.  Eine  Divergenz  der  Augenaxen,  oder  eine  isolirte  Bewegung  eines  einzelnen 
Auges  durch  Reizung  der  unverletzten  Hügel  hervorzurufen,  gelingt  nur  nach 
Trennung  der  Hügel  durch  eine  tiefe  Incision  in  der  Richtung  der  Mittellinie,  oder 
nach  Durchschneidung  eines  motorischen  Augennerven.  Nach  Trennung  des  Ocidomo- 
torius  zeigt  sich  immer  starke  Mydriasis,  welche  weder  durch  Reizung  der  Vier- 
hügel, noch  des  Trigeminusstammes  aufgehoben  werden  kann.  Die  Reizung  der 
hinteren  Hügel,  besonders  in  der  Mitte,  gibt  sehr  starke  Bewegungen  des  narko- 
tisirten  Thieres  mit  grosser  Erweiterung  der  Pupille  und  schreckhaftem  Ausdrucke 
der  Physiognomie  (Adamük).  Praktischen  Erfahrungen  am  Krankenbette  folgend 
(S.  257)  dürften  auch  im  Streifenhügel  Coordinationscentra  für  seitliche  Blickrichtungen 
gelegen  sein. 


874       Augen imiskelu;  Physiologie;  Ortssinn  des  Doppelauges;  Beurtheilung  d.  ObjectricMung. 

Es  sind  die  Ooordinationscentra  zum  Theile  reflectorischer  Art  und 
werden  von  dem  optischen  Nerven  oder  von  den  sensiblen  Fasern  des  Tri- 
geminus,  mit  welchem  sie  durch  centrale  Fäden  in  Verbindung  stehen, 
angeregt.  Diese  Innervationen  und  die  durch  sie  vermittelten  Bewegungen 
erfolgen  unwillkürlich,  ohne  Bewusstsein,  geben  darum  auch  keine  Praemissen 
für  die  Beurtheilung  der  jeweiligen  Stellung  der  Augen  ab.  Man  hat 
solche  Reflexcentra  in  der  inneren  Hälfte  des  vorderen  Vierhüyelpaares 
nachgewiesen  (Flourens,  Budge).  Ausserdem  gehören  hierher  der  Ciliar- 
knoten   mit   den   intraocularen    Ganglien    (S.    9). 

Die  Centra  der  willkürlichen  Coordinationsbewegungen  stehen  zweifeis- 
ohne  mit  der  Gehirnrinde  als  dem  Sitze  der  geistigen  Thätigkeiten  und  dem 
Ausgangspunkte  der  Willensimpulse  durch  centrale  Nervenfasern  in  Verbindung. 
Ihre  Erregung  ist  eine  willkürliche,  hewusste  und  dieses  Bewusstsein  involvirt 
jenes  der  eingeleiteten  Bewegung,  also  auch  der  durch  letztere  herbeigeführten 
relativen  Stellung  der  Augen  zum  Körper  und  mittelbar  zur  Aussenwelt.  Es 
bedarf  liierzu  keineswegs  einer  Kette  von  Verstandesoperationeu,  sondern 
das  Bewusstsein  der  durch  einen  Willküract  herbeigeführten  Bewegung 
haftet  an  dem  Begriffe  der  Willkür  selber,  welche  letztere  ein  allgemeines 
Attribut  des  Thierleibes  ist  und  dem  entsprechend  als  eine  Geistesthätig- 
keit  der  primitivsten  Art  aufgefasst  werden  muss.  Es  hat  eben  das  Be- 
wusstsein mit  den  einzelnen  Muskeln  und  deren  Sonderwirkungen  gar 
nichts  zu  schaffen,  sondern  betrifft  lediglich  nur  die  Art  und  die  Grösse 
der  willkürlich  aufgewendeten  Innervation.  Das  Urtheil  über  die  durch 
eine  bestimmte  willkürliche  Innervation  herbeigeführte  Bewegung  und  neue 
Stellung  kann  im  Einklänge  damit  nur  dann  ein  richtiges  sein,  wenn 
die  Leistung  der  betreffenden  Muskeln  der  Art  und  Grösse  der  willkür- 
lichen Innervation  entspricht;  es  wird  dagegen  ein  falsches,  die  hewusste 
Stellung  weicht  in  dem  Masse  von  der  wirklichen  ab,  in  welchem  die 
Leistung  der  Muskeln  qualitativ  und  quantitativ  von  der  durch  willkür- 
liche Innervation   beabsichtigten  Wirkung  differirt. 

Dieses  Bewusstsein  der  jeweilig  aufgewendeten  willkürlichen  Inner- 
vationen ist  nun  die  eine  der  Grundbedingungen  des  Ortsinnes  des  Doppel- 
auges, in  so  ferne  es  das  Bewusstsein  der  Gesammtlage  der  Netzhäute  und 
des  Äccommodationszustandes  in  sich  schliesst.  Die  andere  Grundbedingung 
Liegt  in  den  Organisationsverhältnissen  der  Eetina  und  in  dem  relativen 
Localisationsvermögen  der  lichtempfindenden  Elemente.  Die  letzteren  ver- 
setzen ihre  Eindrücke  nämlich  vermöge  einer  ihnen  von  Natur  aus  inne- 
wohnenden functionellen  Energie  stets  in  eine  Kichtung,  welche  durch  die 
Verlängerung  ihrer  eigenen  Axe  gegeben  ist,  unter  normalen  Verhältnissen, 
d.  i.  bei  der  natürlichen  Lage  der  Stäbe  und  Zapfen,  durch  den  Kreu- 
zungspunkt der  Richtungslinien  geht  und  ausserdem  durch  die  Lage  und  den 
Winkelweith  des  Bogens  bestimmt  wird,  welcher  das  betreffende  Element 
mit  dem  Centrum  der  Netzhaut  vei'bindet.  Das  relative  Localisationsver- 
mögen der  Netzhautelemente  bezieht  sich  darum  lediglich  auf  Punkte  im 
Auge  selbst  und  wird  im  Allgemeinen  durch  die  Richtungslinien  präsentirt. 
Die  richtige  Projection  dieser  Eindrücke  in  den  absoluten  Raum  nach  Aussen 
setzt  das  Bewusstsein  der  jeweiligen  Lage  dieser  Punkte  und  der  relativen 
Stellung  der  einzelnen  i^7eme«<e  der  Netzhaut  zwm  Centrum  derselben,  also  das 
Bewusstsein  der  Blickrichtung  und  der  Meridianlage  der  Netzhaut,  ferner  das 
Bewusstsein   der  Convergenzstellung  und   des  Äccommodationszustandes  voraus. 


Sehrichtungen;  Ijocalisatiousvermögeii  lel.  il.  Netzhaut ;  Ideut.  Punkte  ü.  Deckstellen.        875 


Die  bewusste  Richtung  des  gemeinsamen  Blickes,  oder  die  Blickrichtung, 
ist  die  Richtung,  in  welcher  der  fixirte  Ohjectpunkt  gesehen  wird.  Man 
nennt  sie  darum  auch  die  directe  oder  die  Hauptsehrichtang.  Sic  wird 
durch  eine  Linie  repriisentirt,  welche  vom  Scheitel  des  Convergenzwinkels 
oder  vom  fixirten  Objectpunkte  zur  Mitte  der  Grundlinie  gezogen  gedacht 
wird.  Diese  Linie  ist  es,  welche  bei  willkürlichen  Blickrichtungen  unmittel- 
bar zum  Bewusstsein  kömmt,  nicht  die  Richtung  der  Gesichtslinie  jedes  ein- 
zelnen Auges  für  sich,  da  die  Innervation  des  Bewegungsapparates  beider 
Augen  von  ei7iem  und   demselben   Coordinationscentrum  ausgeht. 

Wäre  (Fig.  104)  l  v  die   Orundlinie ,   m  n  die  Medianlinie  und  wäreu  o,  e,  h 
Objectpunkte  im   Räume ,    so  würden    o  n,  e  n,  h  n  die   Blicklinieii  sein.     Für  ein    in 
der    Verlängerung    von    2^2^    i"   unend- 
licher    Entfernung      gelegenes     Object  •*"'&•  ^O"*^- 
wäre  offenbar  m  n  die   Blicklinie.  Mau 
sieht,  dass  die  Blickliuie    den  Conver- 
genzwinkel    nur    in    dem  Falle  halbivt, 
als  das    tixirte  Object   in    der  Median- 
ebene liegt. 

Das  Bewusstsein  der  Meridian- 
lage der  Netzhaut  im  A^ereine  mit 
dem  relativen  Localisationsvermögen 
der  lichtempfindenden  Elemente  be- 
stimmt die  Richtung,  in  welcher 
die  excentrischen  Eindrücke  nach 
aussen  projicirt  werden,  mit  anderen 
Worten  die  Richtung,  in  welcher 
die  Bilder  excentrisch  gelagerter  Ob- 
jecte  um  den  Fixirpunkt  herum  ange- 
ordnet erscheinen.  Insonderheit  er- 
scheint alles,   was  auf  den  verticaleri 

Trennungslinien  oder  den  Längsmittelschnitten  der  beiden  Netzhäute  abgebildet 
wird,  in  einer  durch  die  Blicklinie  gelegten,  zur  Visirebene  senkrechten  Ebene ; 
alles  was  auf  den  horizontalen  Trennungslinien  oder  Quermittelschnitten  der  beiden 
Netzhäute  abgebildet  wird,  in  der  Visirebene  selbst.  Die  Bilder  jedes 
anderen  beliebigen  Meridianpaares  liegen  auf  einer  durch  die  Blicklinie  ge- 
legten Schnittebene  des  Sehraumes,  deren  Neigung  zur  Visirebene  abhängt 
von  dem  Winkel,  welchen  die  bezüglichen  Netzhautmeridiane  je  mit  der 
zugehörigen  horizontalen  Trennungslinie  einschliessen.  Man  kann  dem- 
nach sagen,  dass  jeder  durch  die  Blicklinie  gelegten  Schnittebene  des  sub- 
jectiven  Sehraumes  ein  bestimmtes  „identisches  Meridianpaar"  und  umge- 
kehrt entspricht.  Was  nun  von  den  einzelnen  Meridianpaaren  gilt,  gilt 
auch  von  je  zwei  correspondirenden  oder  identischen  Punkten  derselben,  den 
sogenannten  Deckstellen  der  beiden  Netzhäute.  Es  kömmt  diesen  ebenfalls 
eine  gemeinsame  indirecte  oder  Nebensehrichtung  zu  und  zwar  wird  deren  Lage 
zur  Hauptsehrichtung  ganz  analog  durch  den  Bogen  bestimmt,  unter  welchem 
die  beiden  Deckstellen  je  von  der  bezüglichen  NetzhautmiYie  abweichen. 
Man  kann  das  „Gesetz  der  identischen  SehricJitungen"  also  dahin  formuliren, 
dass  alles,  was  auf  correspondirenden  Stellen  beider  Netzhäute  abgebildet 
wird,    auch  in  gleicher  Richtung  gesehen  wird   (Hering). 

Die  vei-ticalen  und  horizontalen  Trennungslinien  der  beiden  Netzhäute  fallen 
im  Allgemeinen  nahe  mit  Schnitten  zusammen,    welche  bei  der  P»'imä?-stellung  des 


376      Augenmuskeln;    Physiologie;  Wettstreit;  Localisationsverhältn.  bei  unbewussten  Beweggn. 


Auges  in  loth-  und  wa(jrechtev  Richtung  durch  die  Mittelpunkte  der  Netzhäute  geführt 
zu  denken  sind.  Doch  ist  dies  eben  nicht  ganz  genau,  indem  fast  durchwegs  kleine 
Abweichungen  nachzuweisen  sind  (EeckUnghausen,  Hering,  Volkmann).  Man  thut  daher 
gut,  die  Definition  gleichsam  umzukehren  und  als  Längs-  oder  Quermittelschnitte  ]en& 
Meridiane  zu  bezeichnen,  welche  ihre  gevieinsame  Sehrichtung  in  der  Visirebene  und 
beziehungsweise  in  einer  darauf  senkrechten  Ebene  haben. 

Ueberhaupt  muss  man  wohl  im  Auge  behalten,  dass  diese  Projectionen, 
soweit  sie  mit  dem  Innervationsbeicusstsein  zusammenhängen  und  nicht  aus  dem 
relativen  Localisationsvermögen  der  Netzhautelemente  fliessen ,  eigentlich  blos 
facultative  seien  und  das  Bewusstsein  der  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  nur 
innerhalb  enger  Grenzen  variablen  Meridianlage  der  Retina  zum  Ausdrucke  bringen; 
dass  unter  gewissen  Umständen  auch  excentrische  Punkte  der  Netzhaut  und  von  den 
Längsmittelschnitten  beträchtlich  abweichende  Meridiane  ihre  Eindrücke  in  die 
Haviitsehrichtung  imd  beziehungsweise  in  die  Medianebene  projiciren  können, 
vorausgesetzt,  dass  die  Lage  dieser  Punkte  und  Meridiane  eine  bewusste  ist.  Die 
Belege  dafür  liefert  das  Localisationsvermögen  des  abgelenkten  Auges  bei  reinem 
convergirenden  Schielen  (S.  dieses).  Doch  geht  unt^r  solchen  Verhältnissen  der 
binoculare  Sehact  vmd   die  directe  Tiefenwahrnehmung  verloren. 

Täuscht  mau  sich  übei"  die  Lage  der  Netzhaut  uus  irgend  welchem 
Grunde,  so  werden  dennoch  die  Eindrücke  je  zweier  correspondirender  Punkte 
beider  Netzhäute  in  derselben  Richtung  nach  aussen  versetzt,  obgleich  sie 
von  ganz  verschiedenen  Objecten  herrühren.  Wenn  dann  in  einer  und  der- 
selben Richtung  nicht  gleichzeitig  beide  Bilder  des  betreffenden  Deckstel- 
lenpaares gesehen  werden,  so  hat  dieses  seinen  Grund  in  dem  Wettstreite 
der  Netzhäute  im  Ganzen  und  der  einzelnen  coi'respondirenden  Punkte  im 
Besonderen,  wodurch  es  geschieht,  dass  immer  nur  dasjenige  Bild  zum 
Bewusstsein  kömmt,  welches  durch  Farbe,  scharfe  Umrisse,  grelle  Contra- 
stirung  gegen  die  Umgebung  etc.  oder  vermöge  der  darauf  gelenkten  Auf- 
merksamkeit mehr  hervorsticht.  Wo  diese  Momente  für  beide  in  ihrer 
Lage  correspondirenden  Netzhautbildchen  gleich  iviegen,  kann  in  der  That 
bald  das  eine,  bald  das  andere  in  der  gemeinsamen  Sehrichtung  auftau- 
chen,  oder  ein   Mischbild  derselben   gesehen  werden   (Hering), 

Ein  specielles  Beispiel  wird 
^'^'  ^*'^"  das  Verständniss    erleichtern.    Es 

fixire  das  eine  Auge  bei  aufrechter 
Kopfstellung  und  horizontal  ge- 
lagerter Gesichtslinie  einen  in  der 
Medianebene  m  n  (Fig.  105)  gele- 
genen Objectpunkt  o.  Die  Gesichts- 
linie des  rechten  Auges  sei  unbe- 
wusst  aus  irgend  einem  Grunde 
um  den  Winkel  a  oder  o  in  hori- 
zontaler Richtung  nach  links  ab- 
gelenkt, also  auf  die  Objectpunkte 
c  oder  b  gerichtet.  Es  werden 
dann  die  unter  sich  verschiedenen 
Bilder  der  beiden  Netzhautmitten  in 
die  bewusste  gemeinsame  Sehrich- 
tung o  n  versetzt,  obgleich  daselbst 
nur  der  mit  Bewusstsein  fixirte 
Objectpunkt  o  gesehen  zu  werden 
pflegt.  Damit  ist  selbstverständlich 
das  ganze  monocul'dre  Gesichtsfeld 
des  abgelenkten  Auges  um  die 
Winkel  a  oder  o  nach  rechts- ge- 
dreht.  Kömmt  nun  das  Bild  von 
o,  welches  jetzt  auf  einer  excenlrischen  Stelle  der  rechten  Netzhaut  entworfen  wird, 
unter    der  Form    eines  Trugbildes    zur  Wahrnehmung,    indem  es    den  Gesichtsein- 


Lage  der  Trugbilder;  Messung  der  Alilciikniig  eines  Auges. 


877 


druck  der  eiitsprechendeu  Deckstelle  der  anderen  Netzhaut  üljcrtönt,  so  niuss  es, 
wenn  a  ^  ß  und  o  =  w  ist,  im  Punkte  d,  beziehungsweise  im  Punkte  e  erscheinen. 
Wäre  die  rechte  Gesichtslinie  bei  heimisster  Fixation  von  o  um  den  Winkel  ß  oder 
ti)  nach  rechts  abgelenkt,  also  auf  d,  beziehungsweise  e  gerichtet,  so  müsste  das  inono- 
culare  Gesichtsfeld  des  rechten  Auges  um  die  gleichen  Winkel  a  oder  o  nach  links 
gedreht,  das  Trugbild  von  o  also  in  c,  respective  in  b  erscheinen. 

Was  nun  von  loagrechten  Ablenkungen  der  einen  Gesichtslinie  gilt,  gilt  auch 
von  Ablenkungen  in  jeder  beliebigen  anderen  Richtung  und  eben  so  auch  von  Ab- 
weichungen der  einzelnen  Meridiane,  z.  B.  in  Folge  von  pathologischen  Kaddrchun- 
geu.  Es  wäre  z.  B.  das  rechte  Auge  A  in  der  Primärstellung  auf  ein  iceit  ent- 
ferntes Object  gerichtet.  Die  verticale  Trennungslinie  a  b  (Fig.  100)  der  Netzhaut 
stände  also  senkreclU  auf  der  Grund- 
linie. Im  linken  Auge  B  sei  die  *'S-  '^*'- 
verticale  Trennungslinie  in  der 
Bahn  des  unteren  Schiefen  um 
den  Winkel  a  nach  links  und 
aussen  gedreht  worden ,  stände 
also  in  der  Richtung  c  d.  Es  wird 
jetzt  offenbar  der  Längsmittel- 
schnitt der  linken  Netzhaut  von 
einer  zu  cd  parallelen,  oder  besser 
von  dem  Bilde  einer  Linie  im 
Sehraume  getroifen  werden,  welche  man  erhält,  wenn  man  durch  c  d  eine  Ebene 
legt.  Diese  schräge  Linie  wird  nun  im  Doppelauge  C  gemeinsam  mit  der  von  dem 
linken  Auge  fixirten  lothrechteu  Objectlinie  in  die  Medianebene  inn  versetzt  und 
das  Trugbild  der  in  der  Wirklichkeit  verticalen  Objectlinie  erscheint  um  den 
Winkel  ß  =  a  nach  rechts  von  der  Medianlinie  nach  gh  gedreht. 

Die  gegenseitige  Lage  der  Doppelbilder,  welciie  von  einem  blos  monocidär 
richtig  fixirten  punktförmigen  Objecte  stammen,  gibt  ein  treffliches  Mittel  an  die 
Hand,  um  die  Ablenkung  der  anderen  Gesicbtslinie  nach  Graden  zu  bestimmen,  so 
lange  nicht  erliebliche  Meridiaudrehungen  ins  Spiel  kommen.  Die  //o)-J7.'o?i<a/stellung 
der  Gesichtslinie  des  gesunden  Auges  und  ein  verticales  Gesichtsfeld  vorausgesetzt, 
erhält  man  nämlich  die  Höhenabweiclmng,  wenn  man  den  Höhenabstand  der  Doppel- 
bilder durch  die  Entfernung  des  Objectes  von  der  allenfalls  verlängerten  Grundlinie 
theilt.  Der  Quotient  gibt  die  Tangente  des  gesuchten  Winkels.  Um  die  Breiten- 
abtveichung  der  Gesichtslinie  zu  finden,  muss  vorerst  der  Winkel  festgestellt  werden, 
welchen  die  Gesichtslinie  bei  richtiger  Einstellung  mit  der  Grundlinie  einschliessen 
würde  und  dann  der  Winkel,  welchen  sie  mit  letzterer  factisch  bildet.  Die  Differenz 
beider  ist  der  gesuchte  Winkel.  Behufs  der  Ermittelung  der  Tangente  des  Grund- 
winkels bei  lichtiger  Fixation  ist  die  Objectsdistanz  durch  die  Summe  oder  be- 
ziehungsweise Differenz  der  halben  Grundlinie  und  des  horizontalen  Abstandes  des 
Objectmittelpimktes  von  der  Medianebene  zu  dividiren.  So  wären  z.  B.  die  Tangenten 
der  Grundwinkel  [j,   |J. -f  v,  [j. -|- v -f  o  (Fig.   104.  S.  875). 


tang.  [Ji 


In  "1-  ob 


;  taug  ([i.  +  v)   =  ^;  tang.  ([;.4-v  +  o)  =  -^. 


Um  die  Tangente  des  Grundvviukels  der  abgelenkten  Gesichtslinie  zu  finden,  gelten 
selbstverständlich  ganz  dieselben  Formeln,  doch  ist  statt  dem  horizontalen  Ab- 
stände des  Objectes  von  der  Medianebene  jener  des  Trugbildes  zu  nehmen,  also 
in  (Fig.  105.  S.  876)  von  6,  c,  f?,  e  je  die  Senkrechte  nach  g,  h,  k,  i  auf  die  ver- 
längerte Grundlinie  zu  fällen. 

Mau  erleichtert  sich  die  Arbeit  bei  den  Messungen  der  Horizontalabstände 
von  Doppelbildern  sehr,  wenn  man  als  Object  einen  schwarzen  kreuzergrossen 
runden  Fleck  benützt,  welcher  im  Centrum  eines  grossen  Blattes  steifen  weissen 
Pappendeckels  lagert,  während  darunter  eine  it-agrechte,  nach  beiden  Seiten  hin  in 
Zolle  und  Linien  getheilte,  zarte  iS'caZo  gezeichnet  ist.  Die  Kranken  sehen  darauf  meistens 
auch  das  Doppelbild  sehr  deutlich  und  wissen  es  gut  zu  localisiren  oder  wenigstens 
anzugeben,  wenn  ein  darauf  verschieblicher  senkrechter  Faden  das  Doppelbild 
schneidet.  Man  braucht  dann  den  Al:)stand  des  letzteren  blos  abzulesen.  Handelt  es 
sich  um  Höhemverthe,  so  braucht  die  Tafel  blos  um  einen  rechten  Winkel  gestürzt 
zu  werden.  Aus  den  o-ewonnenen  Höhen-  und  Breitenwerthen  lässt  sich  aber  auch 
jede  schräge  Ablenkung  der  Gesichtslinie  berechnen. 


878 


Augenmuskeln;  Physiologie:  Messung  äer  Ablenkung  eines  Auges. 


Erhehliche  Meridiandrehungen  müssen,  wo  sie  g:eg'eben  sind,  eingerechnet 
werden.  Sie  sind  unter  Voraussetziino^  der  Horizontalstellung  der  Gesichtslinie  des 
gesunden  Anges  nnd  eines  verticalen  Gesichtsfeldes  (S.  868)  nicht  gar  schwer  zu 
bestimmen.  Es  bedarf  dann  nnr  einer  verticalen  Linie  als  Object,  welche  in  die  Median- 
ehene  gestellt  wird.  Das  schräg  erseheinende  i'o2:'peZZ)?"Mprojicirt  sich  auf  der  Tafel  und 
gibt,  daselbst  markirt  nnd  bis  zur  Schneidung  mit  der  Objectlinie  verlängert,  durch 
eine  höchst  einfache  Operation  den  Drelumgsii-inkel .  Wird  nämlich  von  einem  Punkte 
des  Doppelbildes  auf  die  Objectlinie  eine  Senkrechte  gezogen,  so  ist  deren  Länge, 
getheilt  durch  die  Höhe  des  solchermassen  geschlossenen  rechtwinkeligen  Dreieckes, 
die  Tangente. 

}Jin  Höhen-  und  Breitenahsfände  der  Doppelbilder,  sowie  eiw  A\geyeigungen  der- 
selben direct  ablesen  zu  können,  dient  ganz  vortrefflich  der  Hering^sche  Apparat.  Es 
ist  dies  eine  ungefähr  eine  Quadratklafter  messende  schwarze  Tafel,  welche  mittelst 
Ringen  vertical  auf  einer  Wand  aufgehängt  wird.  Am  oberen  und  unteren  Rande 
derselben  sind  zwei  in  Centimeter  oder  halbe  Zolle  getheilte  Stäbe  in  genau  hori- 
zontaler  Riclitung  befestigt.  An  diesen  zwei  Stäben  laufen  zwei  andere  ebenfalls 
in  Centimeter  oder  halbe  Zolle  getheilte  senkrechte  Stäbe,  welche  sich  leicht  von 
einer  Seite  zur  anderen  bewegen  lassen.  Jeder  dieser  beiden  senkrechten 
Stäbe  trägt  eine  in  verticaler  Richtung  verschiebliche  Hülse ,  an  deren 
Vorderseite  als  Gesichtsobject  ein  etwa  6"  langer  und  0*5"  breiter  Strei- 
fen befestigt  ist,  dessen  Mitte  sich  zu  einer  Scheibe  von  1"  Durchmesser  aus- 
weitet. Das  eine  dieser  Objecte  ist  von  weisser,  das  andere  von  rother  Farbe  und 
beide  sind  um  den  Mittelpunkt  ihrer  Scheibe  drehbar.  Eine  zweite  mit  der  Hülse 
fix  verbiindene,  in  Grade  abgetheilte,  geschwärzte  unbetregliche  Scheibe,  welche 
einen  etwas  grösseren  Durchmesser  hat  und  von  der  gefärbten  nur  theilweise 
gedeckt  wird,  lässt  den  Drehung swinkel  der  letzteren  unmittelbar  ablesen.  Beim 
Gebrauche  ist  nur  darauf  zu  sehen,  dass  die  Visirebene  und  die  Medianlinie  des 
etwa  1  bis  2  Klafter  entfernten  Kranken  genau  senkrecht  auf  die  Ebene  der  Tafel 
zu  stehen  komme,  während  derselbe  den  Scheibenmittelpunkt  des  einen  Objectes 
fixirt.  Das  dem  anderen  Auge  zugehörige  Trugbild  dieses  Objectes  wird  nun  an 
irgend  einem  anderen  Punkte  der  Tafel  heraustreten.  Gegen  diesen  Punkt  nun  ist 
das  eireite  Object  hin  zu  schieben,  und  so  zu  stellen,  dass  es  von  dem  Trugbilde 
nach  allen  Richtungen  genau  gedeckt  wird.  Die  Höhen-,  Breiten-  iind  Neigungs- 
diflerenz,  welche  sich  in  der  Stellung  dieses  zweiten  Objectes  gegenüber  der  des 
fixirten  zeigt,  gibt  nun  genaia  die  Abweichung  des  abgelenkten  Auges  nach  Höhe, 
Breite  und  Meridianneigung,  jedoch  im  entgegengesetzten  Sinne. 

Bei  allen  diesen  Versuchen  werden  mit  freiem  Auge  sehr  schwer  zu  con- 
trolirende  Drehtingen  des  Kopfes  um  die  horizontale  und  verticale  Axe  überaus 
störend,  so  zwar,  dass  ein  und  dasselbe  Experiment  bei  seinen  Wiederholungen 
immer  wieder  andere  und    zwar  sehr  ins  Gewicht   fallende  Ergebnisse  liefert.    Um 

diesen  Unzukömmlichkeiten    zu  steuern, 
^^'      '■  würde  allerdings  der  von  Helmholtz  an- 

gegebene Apparat  am  besten  taugen. 
Doch  in  der  Praxis  ist  dieses  Instrument 
nicht  gut  anwendbar,  da  man  abgesehen 
von  allem  Anderen  dem  Kranken  niiht 
gut  zumuthen  kann,  in  das  Mundstück 
zu  beissen.  Man  muss  sich  daher  mit 
einem,  allerdings  etwas  weniger  ent- 
sprechenden ,  doch  für  gröbere  Unter- 
suchungen vollkommen  ausreichenden 
Instrumente  begnügen.  Es  ist  dies 
(Fig.  107)  eine  Art  Diadem  aus  zartem 
Messingbleche,  welches  sich  nach  hin- 
ten mittelst  einer  Schnalle  am  Kopfe 
befestigen  lässt  und  wohl  gefüttert  ist. 
In  der  Mitte  läuft  es  nach  unten^  in 
einen  kleinen  Spitz  aus,  welcher  genau 
auf  die  Mitte  der  Nasenwurzel  gestellt 
wird.  Gerade  darüber  ist  eine  verticale  Stange  befestigt,  die  eine  in  sagittaler 
Richtung  horizontal  streichende  Hülse  trägt,  in  welcher  ein  steif a-  gerader  Stab 
verschieblich  ist.    Am  vorderen  Ende    der  Hülse  ist  als  Loth    ein  Faden  befestigt, 


Bf^uitlicilmiff  (1.  Distanz;  Directe  TictViiwalirnpliiiuiiii^ ;  K'cinfliiche  d.  Schraumps.  <S7v 

welcher  ein  bis  zur  Höhe  der  Nasenspitze  lierabhängeiides  kleines  Gewichtchen 
trjip^t.  Dieses  Loth  lässt  durch  seine  La<^e  zum  Gesichte  sogleich  jede  Neigimg  des 
Kopfes  erkennen  nnd  corrigiren.  Der  Stab  aber  dient  dazu ,  um  sich  über  die 
Lage  der  Medianebene  zur  Tafel  zu  vergewissern  nnd  diese  nach  Hedarf  zu 
reguliren.  Zu  diesem  liehufe  hat  sich  einer  der  Untersuchenden  liinter  den  Kranken 
zu  stellen  und  mit  einem  Auge  längs  des  Stabes  gegen  das  fixirte  Object  hin  zu 
visiren. 

Die  dritte  Grundbedingung  zur  Localisation  der  Netzhautbilder  ist 
das  Bewusstsein  der  zur  Fixation  aufgewendeten  ConvergenzsteUung.  Mit 
der  DlicJcrichtung  ist  eben  noch  nicht  der  eigentliche  Erscheinungsort,  des 
Fixationspunktes  bestimmt,  sondern  es  gehört  dazu  noch  die  richtige  Ab- 
schätzung der  Entferming  und  für  diese  gibt  eben  das  Bewusstseiu  der 
zur  Fixation  erfordei'lichen  willkürlichen  Convergenzinnervation  und  der 
damit  Terknüpften  Accommodationsfhätigkeü  die  Prämissen.  Doch  ist  dieses 
Bewusstsein  der  Convergenz-  und  Accommodationsiiinervation  ein  minder 
genauer  Werthmesser,  lässt  leichter  geinnge  Täuschungen  zu,  wahrschein- 
lich weil  gleichen  Differenzen  in  den  Grundwinkeln  der  Gesichtslinien  und 
in  den  durch  die  Accommodation  herbeigeführten  Refractionszuständen  um 
so  grössere  Unterschiede  in  den  Objectsdistanzen  entsprechen,  je  grösser  die 
absolute  Entfernung  des  Objectes  vom  Auge  ist.  Zur  genauen  Eeurthei- 
lung  der  Objectsdistanz  sind  darum  auch  gewisse  äussere  Behelfe  schwer 
entbehrlich.  Hieher  gehören  das  Verhältniss  der  bekannten  wirklichen 
Objectsgrösse  zur  wahrgenommenen  scheinbaren ,  die  Luft-  und  Lieht- 
perspective  u.   s.  w. 

Ist  der  Erscheinungsort  des  fixirten  Objectspunktes  festgestellt,  so  sind 
es  auch  die  Erscheinungsorte  aller  anderen,  im  gemeinschaftlichen  Sehraume 
beider  Netzhäute  gelegenen  und  auf  diesen  abgebildeten  Dinge.  Jener 
bildet  dann  gleichsam  den  Mittel-punkt,  uro.  welchen  sich  die  übrigen  Er- 
scheinungsorte im  Räume  nach  unwandelbaren  Gesetzen  gi'uppireu.  Es 
haben  nämlich  correspondirende  Stellen  beider  Netzhäute  nicht  nur  eine 
gemeinsame  Sehrichtung,  d.  h.  einen  gemeinsamen  Höhen-  und  B reiten w er th, 
sondern  auch  einen  ganz  bestimmten  Tiefenwerth.  Nennt  man  den  Erschei- 
nungsort des  Fixationspunktes  den  Kernpwild  des  Sehraumes  und  eine 
durch  denselben  normal  auf  die  Hauptsehrichtung  gefällte  Ebene  die  Kernfläche 
des  Sehraumes,  so  kann  man  sagen,  dass  allen  nasenwärts  von  dem  Längs- 
mittelschnitte gelegenen  Stellen  beider  Netzhäute  eine  positive,  allen 
schläfenivärts  gelegenen  eine  negative  Tiefenwahrnehraung  zukomme,  insoferne 
erstere  ihre  Eindrücke  jenseits,  diese  diesseits  der  Kernfläche  in  eine  Ent- 
fernung verlegen,  welche  proportional  ist  ihrem  Breitenahstande,  von  der 
verticalen  Trennungslinie  gerechnet,  und  der  geschätzten  Distanz  des  Kern- 
punktes. Der  Höhenahstand  eines  Netzhautbildchens  ist  ohne  Einfluss  auf 
die    T'/e/ejiwahrnehmung  (Hering). 

Es  offenbart  sich  dieses  Gesetz  ganz  rein  in  der  scheinbaren  Lage 
von  Trughildern,  d.  i.  von  Doppelbildern,  welche  beim  gleichzeitigen 
Sehen  beider  Augen  nur  von  Einer  Netzhaut  ausgehen.  Es  erscheinen 
nämlich  gekreuzte  Trugbilder  stets  vor,  gleichseitige  hinter  der  Kernfläche 
des  Sehraumes, 

Bei  hinocular  einfach  gesehenen  Netzhautbildern  ist  die  scheinbare 
Entfernung  von  der  Kernfläche  proportional  der  Differenz  ihrer  Breitenabstände. 
Demgemäss  erscheint  alles  in  der  Kernfläche  des  Sehraumes,  was  auf  cor- 
respondirenden  Stellen  der  beiden  Netzhäute    oder    auch  auf  ungleich  hohen, 


880  Augenmuskeln;  Physiologie;  Gesetze  d.  Tiefenwalirnehmung ;  Fallversuch. 

aber  nach  dersdben  Seite  hin  gleich  weit  von  den  Längsmittelschnitten  ab- 
gebildet und  einfach  gesehen  wird.  Dagegen  erscheint  alles  ausserhalb  der 
Kemflächc  des  Sehraumes,  was  sich  auf  beiden  Netzhäuten  in  ungleichem 
Abstände  oder  auf  entgegengesetzten  Seiten  von  den  Längsmittelschnitten 
abbildet  und  in  einem  einfachen  Bilde  zur  Wahrnehmung  kömmt.  Der 
scheinbare  Abstand  des  binocular  einfach  gesehenen  Bildes  von  der  Kernfläche 
ist  um  so  grösser,  je  grösser  deren  geschätzte  Entfernung  selbst  und  je  grösser 
der  Breitenunterschied  der  Längsschnitte  ist,  auf  welchen  die  beiden  Netzhaut- 
bilder liegen,  und  zwar  erscheint  das  Bild  vor  der  Kernfläche,  wenn  der 
Breitenwerth  des  schläfenwärts  gelegenen  Längsschnittes  der  einen  Netzhaut 
überwiegt,  hinter  der  Kernfläche,  wenn  das  Gegentheil  statt  findet.  Was  auf 
Längsschnittpaareu  gleicher,  d.  i.  nasaler  oder  temporaler  Netzhauthälften 
in  gleicher  Breite  abgebildet  und  einfach  gesehen  wird,  erscheint  in  derselben 
Entfernung  von  der  Kernfläche  des  Sehraumes,  vor  der  letzteren,  wenn 
gleichwerthige  Längsschnitte  der  beiden  äusseren,  hinter  derselben,  wenn 
gleichwerthige  Längsschnitte  der  beiden  inneren  Netzhauthälften  getroffen  wor- 
den  sind   (Hering.) 

Es  bedarf  nur  eines  augenblicklichen.  Eindruckes  auf  die  beiden  Netz- 
häute, um  den  Tiifenwerth  des  betreffenden  Objectes  zur  Wahrnehmung 
zu  bringen.  Es  gibt  darum  die  richtige  2'iefenschätzung  momentaner  Ein- 
drücke, bei  welchen  durch  die  Schnelligkeit  ihres  Vorübergehens  alle  an- 
deren Behelfe  der  Tiefenschätzung  ausgeschlossen  sind,  eine  vortreffliche 
Prämisse  für  das  Urtheil  über  das  Vorhandensein  oder  das  Fehlen  des 
binocularen   Sehactes.     Das  Mittel  dazu  ist  der  Fallversuch  (Hering). 

Der  Krauke  sielit  behufs  dessen  durch  eine  1— 1 '/2  Fuss  lange  Röhre,  welche 
mit  dem  einen  Ende  an  das  Gesicht  gelegt  wird  und  weit  gfuug  ist,  um  beide 
Augen  in  ihre  Lichtung  aufzunehmen,  gegen  eine  kahle  Wand  imd  lixirt  einen  in 
geringem  Abstände  von  dem  zweiten  Eöhrenende  vertical  gestellten  feinen  dunklen 
Faden.  Während  dies  geschieht,  werden  etwas  zur  Seite  des  Fadens,  bald  vor 
bald  hinter  demselben,  Kügelchen  von  verschiedener  Grösse  nach  einander  aus  der 
Höhe  fallen  gelassen ,  so  dass  sie  das  von  der  Röhre  eingeengte  Gesichtsfeld  des 
Kranken  passiren.  Wo  gemeinschaftlicher  Sehact  bestellt,  kömmt  eine  Täuschung  über 
die  Lage  der  Fallbahn  zum  Faden  gai-  niemals  vor.  Im  gegentheiligen  Falle  irren 
die  Krauken  bei  wiederliolten  Versuchen  häufig ,  sie  setzen  die  Fallbahn  bald  vor 
bald  hinter  den  Faden ,  wenn  sie  thatsächlich  vor  dem  Faden  gelogen  war.  Sie 
irren  nicht  jedes  Mal,  weil  eben  die  Wahrscheinlichkeit  des  Errathens  1:2  ist. 
Manche  derselben  tauschen  sich  sogar  schon  über  die  Stellung  des  Fadens  selbst, 
sie  halten  ihn  für  schief,  wenn  er  senkrecht  steht,  für  vertical,  wenn  er  von  vorne 
nach  hinten  zum  Horizonte  geneigt  ist.  Doch  kann  dies  wohl  als  Bestätigung  des 
Abganges  gemeinschaftlichen  Sehactes  gelten,  keineswegs  aber  umgekehrt  aus  einer 
richtigen  Ueurtheilung  der  Fadenlage  auf  den  Bestand  gemeinschaftlichen  Sehactes 
geschlossen  werden.  P^s  genügt  nämlich  Vielen  das  Bewusstsein  der  veränderten 
Accovimodation,  wenn  der  Blick  an  dem  Faden  auf-  und  abläuft,  um  sich  über  die 
walire  Stellung  des  Fadens  zu  vergewissern.  Ueberhaupt  ist  es  bei  dem  Fallver- 
suche von  der  allergrössten  Wichtigkeit,  dem  Kranken  alle  äusseren  Behelfe  zur 
Beurtheilung  der  Tiefe  gänzlich  abzuschneiden,  er  darf  ausser  dem  Faden  und 
dem  fallenden  Kügelchen  kein  anderes  Object  sehen,  da  dieses  Anhaltspunkte  für 
die  Beurtheilunfir  der  relativen  Lage  der  Fallbahn  liefert.  Es  darf  darum  auch  die 
Wand,  welche  nach  hinten  hin  das  Sehfeld  abschliesst,  nicht  gemustert,  gefleckt, 
gestreift  sein,  überhaupt  gar  keine  hervortretenden  Objectpunkte  bieten.  Aus 
gleichem  Grunde  müssen  die  fallenden  Kügelchen  auch  von  verschiedener  Grösse 
sein,  weil  bei  gleicher  Grösse  derselben  die  mit  der  Entfernung  der  Fallbahn  vom  Auge 
im  Verhältnisse  stehende  Veränderung  der  Netzhautbilddurchmesser  schon  zur  Tiefen- 
schätzung verwerthet  werden  kann.  Unter  aolchen  Vorsichten  durchgeführt  versagt  der 
Fallversuch  nur  sehr  selten  und  die  gegen  ihn,  sowie  überhaupt  gegen  die  directe 
Tiefenwahrnehmung  erhobenen  Einwürfe  (Donders),  sind  nicht  stichhältig  (Hering). 


Uebereinstimmung  der  wahrgpiiommenou  Tiefe  mit  d.  geometr.    Projectionsverhältnissoii.       §3 1 


Es  stehen  die  physiologischen  Gesetze,  nach  welchen  die  einzelnen 
Netzhanl stellen  empfang-ene  Eindrücke  um  den  KcrnpuTikt  des  Selirtiumes 
herum  localisiren,  annähernd  in  Uebereinstimmung  mit  den  rein  physikaiischen 
Gesetzen,  nach  welchen  die  von  Aussendingen  ausstrahlenden  homocentrischen 
Lichtbündel  auf  beiden  Netzhäuten  in  Bildfoi'm  projicirt  werden.  Inson- 
derheit ist  die  Uebereinstimmung  in  Bezug  auf  ferne  Gegenstände  eine  fast 
vollständige;  doch  entsprechen  sich  auch  der  subjer.tive  Erscheinungsort  und 
der  wirkliche  Ort  nahe  gelegener  Dinge  ziemlich  genau,  und  zwar  gilt  dies 
hauptsächlich  von  den  im  Mitteltheile  des  gemeinschaftlichen  Sehfeldes  befind- 
lichen Objecten,  welchen  fast  ausschliesslich  die  Aufmerksamkeit  zugewen- 
det wird.  Je  weiter  sich  aber  ein  Gegenstand  gegen  die  Peripherie  hin 
entfernt,  um  so  grdsser  wird  das  fragliche  Missverhältniss,  um  so  geringer 
aber  auch  die  Deutlichkeit  seiner  Wahrnehmung  und  folgerecht  die  durch 
die  Disharmonie  des  scheinbaren  und  wirklichen  Ortes  verursachte  Störung. 
Strenge  genommen  kann  eigentlich  nur  der  Fixationspunkt  an  seinem  wahren 
Orte   gesehen  werden   (Hering). 

Es  soll  z.  B.  bei  aufrechter  Kopfstelliing-  und  wagrechter  Visirebene  der  in 
der  Medianlinie  gelegene  Punkt  o  (Fig.  107)  eines  zum  Hoi'izonte  lothrechten,  sehr 
nahe  gelegenen  Blattes  Pa- 
pier xy  fixirt  werden.  Es  liegt  Fig-  lö7. 
das  Blatt  unter  Voraussetzung 
richtiger  Beurtheilung  seiner 
Distanz  offenbar  in  der  Kevn- 
fläche  des  subjectiven  Sehrau- 
mes. Ein  in  horizontaler  Rich- 
tung nach  links  vom  Fixir- 
punkte  befindlicher  ziueiter 
Blattpunkt  g  wird  sein  Bild 
nun  in  beiden  Netzhäuten  je 
auf  einer  vom  Mittelpunkte  c 
nach  rechts  abweichenden 
Stelle,  nämlich  in  /  und  d 
entwerfen,  und  zwar  werden 
diese  Stellen  nicht  correspon- 
dirende  sein,  iusoferne  der 
Breitenwerth  der  i-echtsseitigen 
kleiner,  als  jener  der  linkssei- 
tigen ist,  weiH  0  :=  ro  und  daher 
sin.  V :  sin.  [j.  =:=  sin.  o :  sin.  (y  -}-  o). 
Im  Einklänge  damit  kann  der 
indirect    gesehene    Wandpunkt 

nicht  in  der  Kernfläche  des  Sehraumes,  also  nicht  an  seinem  tcahren  Orte  er- 
scheinen, sondern  muss  sich  davon  um  so  weiter  von  der  Antlitzfläche,  etwa  nach  h 
entfernen,  je  weiter  er  in  Wirklichkeit  nach  links  vom  Fixii'punkte  absteht,  indem 
damit  die  Disparation ,  d  i.  der  Breitenunterschied  seiner  beiden  Netzhautbilder 
wächst.  Was  aber  von  einem  Punkte  gilt,  gilt  von  allen  Punkten  einer  an  jener 
Wand  verzeichneten  horizontalen  Punktreihe.  Eine  solche  muss  sich  also  als  eine 
durch  den  Fixirpunkt  geheqde  Curve  ss  präsentiren,  welche  ihre  Convexität  gegen 
die  Augen  hinkehrt.  Gerade  umgekehrt  würden  aber  die  einzelnen  Punkte  einer 
solchen  Curve  auf  lauter  Deckstellen  beider  Netzhäute  abgebildet  werden  und 
sonach  sämmtlich  in  der  Kernfläche  des  subjectiven  Sehraumes,  also  als  ivagrechte 
gerade  Linie,  auf  jener  Wand  ex'scheinen.  Dem  entsprechen  nun  in  der  That  die 
Ergebnisse  sorglich  angestellter  physiologischer  Experimente  (Hering). 

Die  physikalischen  Gesetze,  nach  welchen  sich  die  Bilder  excentrisch 
gelagerter  Dinge  auf  beiden  Netzhäuten  entwerfen,  schliessen  schon  die 
Nothweudigkeit  in  sich,    dass  das   hinoculare  Einfachsehen  nicht  an  identische 


Stell  wag,  Augenheilkunde. 


56 


882  Allgenmuskeln;  Physiologie:  Einfachsehen  mit  dispar.  Netzhantstellen;  Horopter. 

Eindrücke  correspondirender  Punkte  heider  Netzhäute  gebunden  sein  kann.  Wäre 
es  demso,  so  könnten  von  den  im  Gesichtsfelde  befindlichen  Objecten  immer 
nur  Punkte  einfach  gesehen  werden,  welche  in  gewissen,  durch  den  Fixa- 
tionspunkt  gelegten  Linien  oder  Flächen  gelegen  sind.  Dies  widerstreitet 
aber  der  gemeinen  Erfahrung  und  den  Resultaten  genauer  physiologischer 
Untersuchungen  ;  insbesondere  wird  es  durch  die  optischen  Wirkungen  des 
Stercoskopes  mit  voller  Sicherheit  widerlegt.  Man  kann  also  nur  sagen, 
dass  das  binoculare  Einfachsehen  den  correspondirenden  Stelleu  beider  Netz- 
häute thatsächlich  zukomme,  ja  insoferne  obligatorisch  sei,  als  keinerlei 
Uebung  und  keinerlei  Kunstgriff  es  möglich  machen,  zwei  gleichzeitige 
verschiedene  Reize  solcher  Stellen  gleichzeitig  gesondert  neben  oder  hinter 
einander  zu  sehen ;  dass  die  Fähigkeit  des  Einfachempfindens  sich  aber 
auch  auf  disparate  Stellen  beider  Netzhäute  erstrecke  und  hier  insoferne 
facultativ  genannt  werden  könne,  als  Uebung  und  allerlei  Kunstgriffe 
dahin  führen,  das  ursprünglich  einfach  Gesehene  in  zwei  gesondert  erschei- 
nende Trugbilder  aufzulösen.  Mehr  noch,  das  Einfachsehen  mit  dispara- 
ten Netzhautstellen  ist  geradezu  eine  Bedingung  des  Körperliehsehens  der 
Objecte   (Hering). 

Eine  durch  den  Fixationspunkt  gelegte  Linie  oder  Fläche,  deren  sämmtliche 
Punkte  auf  corresijondirenden  Stellen  beider  Netzhäute  abgebildet  werden ,  heisst 
Horopter.  Eine  durch  den  Fixationspunkt  gehende  Fläche ,  deren  sämmtliche 
Punkte  auf  correspondirenden  Längsschnitten  beider  Netzhäute  abgebildet  werden, 
nennt  man  den  Längshoropter.  Er  ist  für  kvrze  Objectabstände  stets  eine  Fläche 
des  zweiten  Grades.  Liegen  z.  B.  die  verticalen  Trennungslinien  vertical  ziir  Visir- 
ebene,  so  ist  der  Längshoropter  eine  durch  den  MüUer'scheu  Horopterkreis  gehende 
senkrecht  zur  Visirebene  stehende  Cylinderfläche.  Convergiren  die  verticalen  Tren- 
nungslinien nach  oben,  so  ist  bei  symmetrischen  Convergenzstellungen  der  Gesichts- 
linien der  Längshoropter  eine  mit  der  Sjjitze  nach  oben  gekehrte  Kegelflüche  u.  s.  w. 
In  ähnlicher  Weise  wird  die  Gesammtheit  der  Aussenpiinkte,  welche  auf  corre- 
spondirenden Querschnitten  beider  Netzhäute,  aber  im  Allgemeinen  auf  disparaten 
Längsschnitten  ihre  Bilder  entwerfen,  als  Querhoropter  bezeichnet.  Er  bildet  für 
kurze  Objectabstände  stets  eine  Fläche  zweiten  Grades,  welche  im  einfachsten  Falle 
in  zwei  sich  schneidende  Ebenen  übergeht.  Ausserdem  gibt  es  im  Aussenraume 
zahllos«  geradelinige  Flächen  zweiten  Grades,  welche  so  gelegen  sind,  dass  jede 
in  ihnen  enthaltene  gerade  Linie  sich  auf  correspondirenden  Punkten  beider  Netz- 
häute abbildet.  Dies  sind  die  sogenannten  Partiallioroiitern.  Unter  Totulhoropter 
versteht  man  den  Durchschnitt  zwischen  Längs-  und  Querhoropter.  Er  ist  für  kurze 
Abstände,  also  unter  Voraussetzung  einer  stärkeren  Convergenz  der  Gesichtslinien, 
immer  eine  Linie,  deren  Gestalt  und  Lage  je  nach  den  gegebenen  Verhältnissen 
ausnehmend  wechselt.  Beim  Sehen  in  grössere  Entfernung  verschwinden  mehr  und 
mehr  die  Breiten-  und  Höhenunterschiede  der  von  homocentrischen  Lichtbündeln 
getroffenen  Stellen  beider  Netzhäute,  es  wird  das  Gesichtsfeld  als  Ganzes  zum 
Horopter,  d.  h.  es  erscheint  Alles  in  der  Kernfläche  des  Sehraumes  und  die  Ver- 
setzung der  einzelnen  Objecte  in  verschiedene  Tiefen  ist  Folge  eines  Urtheiles, 
welches  durch  die  Perspective  u.  s.  w.  geleitet  wird  und  auch  bei  der  monocularen 
Tiefenwahrnehmung  das  Massgebende  ist  (Hering). 

Es  erübrigt  noch  zu  bemerken,  dass  nur  ivillkürliche  Bewegungen 
der  Augen  zum  Bewusstsein  kommen.  Bei  passiven  und  unwillkürlichen 
Bewegungen  ist  dies  nicht  der  Fall,  daher  die  unter  ihrem  Einflüsse  ge- 
sehenen Objecte  in  Bewegung  erscheinen,  sie  mögen  nun  ruhen  oder  sich 
wirklieh  bewegen.  Hierin  liegt  der  wesentliche  Grund  des  Schwindels, 
welcher  sich  bei  raschen  Drehungen  und  bei  ungewohnten  passiven  Be- 
wegungen des  Körpers,  z.  B.  auf  einem  Schiffe,  in  einer  Schaukel  etc. 
einzustellen  pflegt. 


Schwindel :  Nosologie ;  Ooordinationsstörungen  ;  Strabismus.  883 

Indem  nämlich  die  ximvillkürUchen  und  passiven  Bewegungen  des  Auges  nicht 
zur  directen  Wahrnehmung  kommen,  wird  das  Urtheil  über  die  jeweilige  Lage  des 
Gesichtsfeldes ,  über  die  Ruhe  und  Beioegunq  der  Objeete  verwirrt,  es  erscheinen 
alle  Objeete  im  Gesichtsfelde  und  dieses  selbst  in  Bewegung,  und  das  ist  eben  der 
Schwindel.  In  ähnlicher  Weise  erklärt  sich  der  Schwindel,  welcher  bei  Lähmungen, 
bei  kram2}f haften  C'ontractionen  oder  nach  Dnrchschneiduvg  einzelner  Augenmuskeln 
aufzutreten  pflegt.  Indem  nämlich  unter  solchen  Umständen  die  Wirimngen  be- 
stimmter Muskelanstrengungen  ganz  andere  werden,  als  sie  es  früher  waren,  wird 
die  Beurtheilung  der  relativen  Lage  des  Gesichtsfeldes,  die  Ruhe  und  Bewegung 
der  Objeete  wesentlich  gestört. 

Doch  ist  wohl  zu  bemerken,  dass  unter  solchen  Verhältnissen  der  Schwindel 
in  der  Regel  sich  nur  dann  zeigt,  wenn  eine  grössere  Anzahl  von  Muskeln  oder 
Nerven  ausser  Stand  gesetzt  ist,  willkürlichen  Innervationen  mit  der  entsprechenden 
Kraftäusserung  zu  antworten  oder  beziehungsweise  diese  Innervationen  unge- 
schwächt zu  den  Muskeln  zu  leiten.  Darum  findet  sich  der  Schwindel  denn  auch 
zumeist  bei  Lähmungen  des  Oculomotorizis ,  dessen  Ausstrahlungsgebiet  verhält- 
nissmässig  ein  sehr  beträchtliches  ist.  Doch  darf  nicht  verschwiegen  werden,  dass 
complele  Lähmungen  des  Oculomotorius  der  einen  Seite  durchaus  nicht  immer  zum 
Schwindel  führen,  auch  wenn  das  betreffende  Auge  das  alleinig  gebrauchsfähige 
ist.  Es  kommen  in  der  That  Fälle  vor,  wo  bei  vollständiger  Blindheit  des  einen 
Auges  Lähmungen  der  motorischen  Nerven  des  anderen  Auges,  Paralysen  des 
ganzen  dritten  Gehirnnerven,  ja  sämmtlicher  motorischer  Augennerven  zu  keiner 
Zeit  ihres  Bestandes  zum  Schwindel  geführt  haben,  auch  wenn  sie  plötzlich  ent- 
standen sind.  Es  fehlt  solchen  Kranken  allerdings  die  Tiefendimension  und  die 
allermeisten  derselben  projiciren  auch  die  Blicklinie  falsch ;  doch  bildet  sich 
bei  ihnen  rasch  das  Vermögen  aus,  die  Differenzen  zwischen  den  willkürlich 
innervirten  und  thatsächlich  erfolgenden  Augenbewegungen  annähernd  richtig  zu 
schätzen,  also  auch  sich  zu  führen  und  ihren  Beschäftigungen  obzuliegen.  Es 
scheint,  dass  der  Zwang  bei  alleiniger  Functionstüchtigkeit  des  gelähmten  Auges 
diese  Urtheilsfähigkeit  beschleunige  und  schärfe,  da  bei  Functionstüchtigkeit  beider 
Augen  die  Störung  des  gemeinschaftlichen  Sehactes  durch  Doppelbilder  und 
Schwindel  sehr  lange  anzuhalten  und  nur  ganz  allmälig  mit  Unterdrückung  der 
Trugbilder  und  mit  Ausbildung  eines  neuen  Orientirungsvermögens  in  den  dem 
monocularen  Gesichtsfelde  angehörigen  peripheren  Theilen  der  abgelenkten  Netz- 
haut zu  verschwinden   pflegt. 

Nosologie.  Die  Fuüctionsfeliler  der  Augenmuskeln  sind  bald  der 
Ausdruck  gestörter  Coordinationsverhältnisse,  bald  sind  sie  als  Krämpfe  im 
engeren  Wortsinne   oder  als  wahre  Lähmungen  aufzufassen. 

1.  Unter  den  Coordinationsstörungen  steht  in  Bezug  auf  praktische 
Wichtigkeit  obenan  das  Schielen.  Es  werden  unter  diesem  Namen  zwei 
essentiel  von  einander  verschiedene  Zustände  zusammengefasst.  Bei  dem 
einen  ist  die  Convergenzbreite  in  der  Regel  vergrössert  und  derselbe  charakte- 
risirt  sich  durch  ein  Uthermass  von  Convergenz,  welches  willkürlich  und 
bewusst  bei  der  Innervation  einer  bestimmten  oder  jeder  Accommodations- 
quote  zu  dem  Zwecke  coordinirt  wird,  um  diese  leichter  aufzubi'ingen 
und  zu  ei'halten  (Strabismus  convergens).  Bei  der  anderen  Form  erscheint 
die  Convergenzbreite  sehr  vermindert  oder  auf  Null  reducirt,  es  ist  die  Auf- 
bringung und  Erhaltung  bestimmter  Convergenzquoten  sehr  erschwert,  führt 
leicht  zu  asthenoi^ischen  Beschwerden  (Asthenopia  muscularis)  und  schliess- 
lich zur  activen  Ablenkung  der  einen  Gesichtslinie  in  horizontaler  oder 
diagonaler  Richtung  nach  aussen.  Die  Convergenzbewegiingen  sind  zudem 
bei  beiden  Arten  des  Schielens  innerhalb  gewisser  Grenzen  minder  regel- 
mässig;  die  Blickrichtung  hingegen  erscheint  in  keiner  Weise  beirrt,  so  lange 
sich  keine  secundäre  Veränderungen  in  den  augenbewegenden  Muskeln  ein- 
gestellt und  so  lange  die  Muskeln  nicht  mit  vermehrten  Widerständen  zu 
kämpfen  haben. 

56* 


884  Augenmuskeln;  Nosologie;  Luscitas;  Nystagmus;  Belative  Lähmutigeii. 

2.  Die  völlige  Freiheit  der  Blickrichtungen  unterscheidet  den  Strabis- 
mus von  der  Luscitas  oder  dem  Schiefstehen  der  Augen.  Bei  diesem  letzte- 
ren Fehler  ist  eben  die  Excursionsfähigkeit  des  Bulbus  nach  einer  oder 
nach  mehreren  Richtungen  hin  mehr  weniger  eingeschränkt,  wobei  es  gleich- 
giltig  ist,  ob  die  Innervationen  auf  Veränderungen  der  Blickrichtung  oder 
der  Convergenz  zielen.  Bei  den  höchsten  Graden  steht  der  Bulbus  wohl 
auch  völlig  starr.  Das  kranke  Auge  folgt  demnach  den  Excursionen  des 
anderen  nicht  in  entsprechender  Weise,  sondern  bleibt  bei  gewissen  oder 
bei  allen  Axenrichtungen  des  letzteren  zurück.  Es  ist  die  Luscitas  je 
nach  Umständen  der  symptomatische  Ausdruck  höchst  mannigfaltiger 
Zustände.  Dahin  gehören :  normwidrige  Verkleinerungen  und  staphylo- 
matöse  Ausdehnungen  des  Bulbus,  Auflagerungen  auf  die  äussere  Wand  des 
Augapfels,  Geschivulstbildungen  in  der  Orbita,  Verengerungen  derselben,  ver- 
schiedene Muskelkrankheiten,   insbesondere   der  Krampf  und   die    Lähmung. 

3.  Es  darf  hierbei  nicht  übersehen  werden,  dass  der  Bau  der  Augen 
unter  gewissen  Verhältnissen  auch  ein  scheinbares  Schiefstehen  der  Axeu 
oder  einen  scheinbaren  Strabismus  mit  sich  bringen  könne.  Ist  nämlich 
der  Winkel,  welchen  die  Gesichtslinien  mit  den  Hornhautaxen  einschliessen 
(S.  75(3)  einigermassen  bedeutender,  so  werden  bei  Fixation /er7ier  Objecto, 
also  bei  Parallelstellung  der  Gesichtslinien,  die  Hornhautcentra  offenbar  beider- 
seits nach  aussen  oder  innen  abweichen,  je  nachdem  der  Winkel  a  selbst 
ein  positiver  oder  negativer  ist. 

4.  In  einer  anderen  Reihe  von  Fällen  ist  sowohl  die  Blickrichtung 
als  die  Convergenz  vollkommen  frei,  aber  die  ruhige  Fixation  der  Objecte 
bei  den  meisten  oder  allen  relativen  Stellungen  derselben  unmöglich;  der 
Kranke  vermag  die  Gesichtslinien  nicht  auf  einen  Punkt  des  Gesichtsfeldes 
zu  fesseln ;  es  schwanken  vielmehr  beide  Augen  bei  der  Fixation  und 
beim  gedankenlosen  Blicke  in  ganz  concinner  Weise  abwechselnd  in  der 
Bahn  der  Rechts-  und  Linkswender  oder  in  der  Bahn  der  beiden  oberen 
und  unteren  Schiefen,  oder  in  einer  aus  beiden  gemischten  Bahn  vermöge 
unwillkürlicher,  überaus  rascher  und  fast  rhj^thmischer,  altei-nirender  Inner- 
vationen der  betreffenden  Muskelgruppen  hin  und  her    (Nystagmus). 

5.  Endlich  kommen  Fälle  vor,  wo  bestimmte  Coordinationsbewegungen 
theilweise  oder  ganz  unausführbar  geworden  sind,  während  die  anderen 
Coordinationsbewegungen,  selbst  jene,  bei  welchen  sich  dieselben  Nerven 
und  Muskeln  activ  betheiligen,  mit  vollkommen  normaler  Kraft  und  Aus- 
dauer durchgeführt  werden  (relative  Lähmungen).  Ihr  pathogenetisches 
Moment  kann  unmöglich  in  Functionshemmungen  der  betreffenden  Nerven 
und  ihrer  centralen  Ursprungskerne  gesucht  werden,  sondern  muss  in  krank- 
haften Verhältnissen  gewisser,  der  Willkür  unterworfener  oder  beziehungs- 
weise reflectorischer  Coordinationscentra,  wie  selbe  neuere  physiologische 
Untersuchungen  (S.  873)  nachgewiesen  haben,  liegen.  Wäre  nämlich  der 
Stamm  oder  der  Ursprungskern  der  betreffenden  Nerven  in  seiner  Leitung 
gehindert,  so  müsste  offenbar  die  Leistung  der  zugehörigen  Muskelgruppe  unter 
allen  Umständen,  bei  jedweder  Art  von  Innervation,  hinter  dem  innervirten 
Masse  zurückbleiben,  was  eben  nur  bei  absoluten  Lähmungen  der  Fall  ist. 

Es  finden  sicli  derlei  relative  Lähmungen  der  mannigfaltigsten  Art  bei 
Morbus  Basedowi  (S.  586)  und  werden  hier  auf  circumscripte  paralytische  Gefäss- 
erweiterungen  in  den  Centralorganen  zurückgeführt.  Auch  scheinen  manche  der 
bei    Diphtheritis  faucium  vorkommenden    Motilitätsstörungen    der    Augen    in    diese 


Krämpfe ;  Ophthalmospasmus  ;  Blepharospasmus.  885 

Categorie  zu  gehören.  Ausnahmsweise  werden  übrigens  Hehungs-  und  Convergenz- 
parahjsen  auch  scheinbar  primär  beobachtet.  Streng  genommen  ist  auch  die  durch 
locale  Ajiplication  der  Mi/driatica  bedingte  Motilitätsstörung  der  Iris  hierher  zu 
zählen,  indem  die  von  den  oculoj)upiIlaren  Zweigen  des  dritten  Gehirnnerven 
beherrschten  Binnenmuskeln  allen  vom  Gehirne  kommenden  Innervationen  gegen- 
über gelähmt  erscheinen,  auf  Reflexe  jedoch,  welche  unter  Vermittelung  des  Ciliar- 
knotens  und  der  intraoculären  Ganglien  auf  sie  geworfen  werden,  sehr  kräftig 
und  anhaltend  reagiren. 

6.  Eigentliche  Krämpfe  kommen  im  Bereiche  der  sechs  Augapfelmus- 
keln  überhaupt   nur  selten  vor. 

Cionische  Krämpfe  werden  bisweilen  unter  der  Form  excursiver  Bewegungen 
beobachtet:  als  Symptom  der  Bleidyscrasie,  bei  Gehirn-  und  Meningealleiden,  beson- 
ders bei  Kindern  als  Begleiter  der  Meningitis  basilaris,  bei  der   Chorea  etc. 

Der  Spasmus  tonicris  der  Augenmuskeln  kömmt  vor  als  Theilerscheinung  des 
allgemeinen  Starrkrampfes,  der  Epilepsie,  der  Edampsie,  höchst  ausnahmsweise  als 
rein  locales  Leiden  in  Folge  traumatischer  Verletzungen  der  Augengegend  oder  des 
Auges  selbst.  Gewöhnlich  erscheinen  dann  sämmtliche  Augenmuskeln  krampfhaft 
contrahirt,  oder  doch  wenigstens  die  meisten  (Ophthalmospasmus,  Tetanus  ocidij.  Der 
Bulbus  steht  in  letzterem  Falle  starr,  gerade  nach  vorne  oder  etwas  schief,  er  ist 
meistens  in  die  Augenhöhle  7:ur'ückgeiretQn  und  dieses  zwar  bisweilen  so  stark,  dass 
die  Bindehatd  sich  über  der  Cornea  in  Falten  legt  (Enophthabmis  sjjasticusj.  Die 
Lider  stehen  dabei  gewöhnlich  weit  offen,  seltener  sind  sie  krampfhaft  geschlossen, 
jedenfalls  aber  unheiveglich.  Es  kömmt  in  dieser  letzteren  Erscheinung  die  spasti- 
sche Mitaffection  der  Lidmuskeln  zum  Ausdrucke,  und  zwar  einmal  der  Krampf  des 
M.  levator  palpehrae  siqjerioris,  das  andere  Mal  der  Krampf  des  Kreismuskels. 

An    dem    Kreismuskel    der    Lider    sind    Krämpfe     nichts     weniger     als 

selten.      Sie  treten  sowohl  in  clonischer,   als   tonischer  Eorm  auf. 

Cionische  Spasmen  beschränken  sich  oft  auf  einzelne  Fleischhündel  des  Kreis- 
muskels uud  verursachen  ein  eigenthümliches,  mit  dem  Gefühle  des  Ziehens  ver- 
bundenes Erzittern  einzelner  Theile  der  Lider.  In  anderen  Fällen  wird  der  ganze 
Kreismuskel  von  clonischen  Krämpfen  befallen ;  das  Resultat  ist  die  sogenannte 
Nictitatio ,  das  krampfhafte  Flinken,  ein  rasches  Wechseln  zwischen  Oeffnen  und 
Schliessen  der  Lidspalte,  wobei  aber  immer  das  letztere  vorwiegt,  indem  es  mit 
übermässiger  Kraft  bewerkstelligt  wird  und  sehr  rasch  erfolgt,  während  das  Oeffnen 
nur  langsam  und  unvollständig  geschieht.  Es  ist  häufig  blos  die  Folge  einer  Ange- 
wöhnung. 

Der  tonische  Krampf  des  Kreismuskels,  Blepharospasmus,  ist  bald  ein 
continuirlicher ,  während  dem  Wachsein  des  Kranken  Tage  oder  Wochen, 
ja  Monate  anhaltender ;  bald  tritt  er  unter  der  Gestalt  von  Anfällen  auf, 
welche  sich  gemeiniglich  spontan  einstellen,  häufig  aber  auch  durch  be- 
stimmte äussere  EinHüsse  hervorgerufen  und  durch  andere  manchmal  unter- 
brochen werden  können.  Er  ist  in  der  Regel  so  kräftig,  dass  es  einer 
bedeutenden  Gewalt  bedarf,  um  die  zusammengepressten  Lider  zu  öffnen, 
wobei  gerne  intensive  Schmerzen  angeregt  werden.  Nur  selten  kömmt  er 
auf  Rechnung  intracranieller  Leiden  ,  meistens  ist  er  peripheren  Ur- 
sprunges und  auf  normwidrige  Reflexe  von  Seite  des  einen  oder  anderen  Quin- 
tusastes  zurückzuführen.  Der  Ausgangspunkt  ist  dann  oft  ein  manifester 
Krankheitsherd  im  Verzweigungsgebiete  des  Trigeminus  und  der  Krampf  an 
dessen  Bestand  gebunden,  insoferne  er  schwindet,  wenn  das  Gi'undleiden 
zum  Ausgleiche  kömmt  oder  wenn  wenigstens  der  mit  ihm  einhergehende 
Erregungszustand  der  Gefühlsnerven  beschwichtigt  wird.  Bisweilen  jedoch 
besteht  der  Krampf  nach  Tilgung  des  primären  Krankheitsprocesses  fort,  ja 
steigert  sich  vielleicht  oder  pflanzt  sich  wohl  gar  auch  auf  andere  ausge- 
breitete Kervenbahiien  fort  und  gipfelt  schliesslich  in  epilepsieähnlichen 
Anfällen    (Graefe).     Kicht   selten  endlich  bildet  sich  der   Blepharospasmus 


ggg  Augenmuskeln;  Nosologie;  Blepharospasmus. 

aus,  ohne  dass  jemals  ein  manifester  Krankheitsherd  als  Ausgangspunkt  zu 
ermitteln  gewesen  wäre,  er  trägt  von  vorneherein  den  Charakter  eines 
selbständio-en  Leidens  (B.  Idiopathicus,  Arlt).  Manche  glauben,  dass  in 
den  Fällen  der  letzteren  beiden  Arten  das  nächste  pathogenetische  Moment 
des  Krampfes  in  einer  Art  Muskelhyperästhesie  zu  suchen  sei,  d.  h.  in 
einem  krankhaften  Erregungszustande  jener  zarten  sensitiven  Nervenreiser- 
chen,  welche  von  den  Uuintusästen  rückläufig  zum  Orbicularis  palpebrarum 
hinstrahlen  und  sich  in  ihm  verzweigen  (Graefe).  Man  findet  nämhch 
sehr  häufig  einzelne  Stellen  im  Verzweigungsgebiete  des  Trigeminus,  an 
der  Stirne,  Wange  u.  s.  w.,  welche  blos  gedrückt  zu  werden  brauchen, 
um  den  Krampf  augenblicklich  und  so  lange  zu  lösen,  als  der  Druck 
dauert.  Wo  aber  solche  Druckpunkte  nicht  zu  finden  sind,  ist  die  Ver- 
muthung  nicht  ganz  ungerechtfertigt,  dass  dieselben  an  weniger  zugäng- 
lichen Orten  ihren  Sitz  haben  und  sich  daher  dem  Nachweise  entziehen. 
Sonderbar  ist  es,  dass  manchmal  die  Bethätigung  gewisser  Muskelgruppen 
den  Blepharospasmus  unterbricht,  z.  B.  das  Pfeifen  (Arlt),  die  Inspiration 
(Benedikt). 

Am  gewöhnlichsten  reflectiren  die  sensitiven  Nerven  der  Hörn-  und  Binde- 
haut ihre  pathologischen  Erregungszustände  auf  den  Kreismuskel,  daher  denn  auch 
der  Blepharospasmus  eine  fast  regelrechte  Erscheinung  ist,  wenn  eine  Keratitis  mit 
starker  Ciliarreizung  einhergeht,  wenn  die  Hornhaut  verletzt  wurde  oder  ein  frem- 
der Körper  in  dem  ßindehautsacke  stecken  geblieben  ist.  Er  findet  sich  dann 
meistens  in  Gesellschaft  von  Lichtscheu  (S.  850)  und  gibt  nicht  selten  den  Anstoss 
zur  Entwicklung  eines  Entropiums  (S.  528);  loeicht  übrigens  in  der  Regel  mit  der 
Beseitigung  des  Irritamentes  und  lässt  nur  selten  die  Muskelhyperästhesie  als  ein 
überaus  hartnäckiges  Leiden  zurück.  In  anderen  Fällen  geht  der  Krampfreiz  selbst 
oder  die  den  Blepharospasmus  zunächst  begründende  Muskelhyperästhesie  vom 
Stirnnerven  aus,  derselbe  zeigt  sich  gegen  Druck  äusserst  empfindlich  (Secondi), 
oder  es  besteht  eine  wahre  Neuralgia  sujvaoi-hitalis,  deren  einzelne  Anfälle  mit  Lid- 
krämpfen enden  und  im  späteren  Verlaufe  der  Krankheit  mehr  und  mehr  an  Schmerz- 
haftigkeit  verlieren  können,  während  die  spasmodischen  Beschwerden  an  Intensität 
und  Dauer  zunehmen.  Einmal  wurzelte  das  Uebel  im  Nervus  lingualis ,  es  war 
ein  ausgebreitetes  Zungengeschwür  gegeben,  welches  gedrückt  sogleich  den  Krampf 
löste.  Ein  anderes  Mal  war  der  Zungen-  und  Unterkiefernerv  zugleich  der  Ausgangs- 
punkt des  Blepharospasmus  (Graefe). 

Die  Behandlung  ist  selbstverständlich  zunächst  und  hauptsächlich  auf  Tilgung 
des  (Tivm(iZei(^e?i«  und  auf  Beschwichtigung  des  nervösen  Erregungszustandes  zu  richten. 
In  letzterer  Bezieluing  empfehlen  sich  ganz  besonders  hypodermatische  Einspritzun- 
gen von  Morphiumlösungen  in  die  Gegend  Aea  Frontalnerven  oA-Qt  etwaiger  Dritcjfc- 
punkte  (Graefe).  Ihr  Nutzen  ist  nicht  blos  ein  palliativer,  insoferne  die  Vermin- 
derung der  nervösen  Irritation  den  Ausgleich  des  vorhandenen  Krankheitsprocesses 
günstig  zu  beeinflussen  vermag.  Am  meisten  dürften  sie  leisten,  wenn  der  Krampf 
auf  einfacher  Muskelhyperästhesie  beruht,  welche  sich  spontan  ausgebildet  hat  oder 
nach  Ablauf  eines  manifesten  Grundleidens  zurückgeblieben  ist.  Der  Erfolg  ist 
unter  solchen  Umständen  thatsäclilich  nicht  selten  eine  wahre  Heilung.  Auch  be- 
währt sich  das  Mittel  öfters  bei  Bestand  einer  Neuralgia  supraorbitalis  und  eines 
davon  abhängigen  Blepharospasmus.  Wo  es  versagt,  darf  man  in  einzelnen  Fällen 
von  dem  constanten  Strome  Günstiges  erwarten;  es  sind  damit  wiederholt  die  hart- 
näckigsten Krampfzustände  beseitigt  worden,  besonders  solche,  welche  mit  Neu- 
ralgien im  Zusammenhange  standen  (Remak).  Im  Grossen  und  Ganzen  scheint 
jedoch  die  Elektricität  bei  Blepharospasmus  nur  wernry  zu  versprechen  (Benedikt).  Als 
letztes  Mittel  mag  in  verzweifelten  Fällen  die  Durchschneidung  des  betreffenden 
Quintumstes  versucht  werden.  Sie  bringt  öfters  gründliche  Heilung,  ohne  dass  die 
Empfindlichkeit  der  bezüglichen  Theile  dauernd  vernichtet  würde.  Leider  ist  sie 
auch  nicht  zuverlässig,  indem  sich  mit  der  Wiederkehr  des  Gefühls  manchmal  die 
Krämpfe  abermals  einstellen.  Die  Ausschneidung  eines  Nervenstückes  sichert  das 
Heilergebniss  nicht  mehr,  als  die  blosse  Durchschpeidung  (Graefe). 


Lagophthalmus  spasticus;  Wahre  Liilinuiiij^eii ;  Iiisuffiuienz  ;  Ptosis;  Epicanthus.  887 

Auf  den  Levator  palpcbrae  superioris  beschränkte  Krämpfe  werden 
nur  sehr  ausnalimsweise  beobachtet.  8io  äussern  sich  unter  der  Form  des 
Lagophthalmua  spasticus,  des  kramjjfhaften  Hasenauyes,  d.  i.  durch  Kmpor- 
ziehung  des  oberen  Lides  und  darin  begründete  weite  Oeffnung  der  Lid- 
spalte, wobei  der  starke  Widerstand,  welchen  das  J^id  einer  dem  Muskel 
entgegenwirkenden  äusseren  Gewalt  bietet,   charakteristisch  ist. 

(3.  Im  (iregensatze  zu  den  Krämpfen  sind  loahre  und  absolute  Läh- 
mungen der  Augapfelmuskeln  ziemlich  häufig  Gegenstand  der  Beobachtung. 
Es  erscheint  bei  ihnen  nicht  nur  die  Kraft,  mit  welcher  sich  der  Muskel 
zusammenzieht,  sonderii  auch  das  Mass  der  Retraction  beschränkt  und 
demnach  die  Excursionsfähigkeit  des  Bulbus  in  der  Bahn  des  betreffenden 
Muskels  oder  der  bezüglichen  Muskelgruppe  vermindert.  Es  äussert  sich 
diese  Störung  bei  allen  Innervationen  ohne  Ausnahme,  gleichviel  woher 
sie  kommen  und  dem  entsprechend  muss  das  pathogenetische  Moment  der 
Leitungsheramung  in  dem  Stamme  oder  den  Zweigen  oder  endlich  in  den 
Ursprungskernen   der  Nerven   gesucht  werden. 

Mau  unterscheidet  davon  die  sogenannten  Insufficienzen  und  versteht  darunter 
eine  Art  Schwäche,  ein  Mindermass  von  Leistungsfähigkeit,  vermöge  welchem 
einzelne  Muskeln  oder  Muskelgruppen  ausser  Staude  sind,  grösseren  Anforderungen 
zu  genügen ,  insonderheit  hestiramte  Stellungen  der  Gesichtslinie  zu  erkalten.  Es 
handelt  sich  dabei  jedoch  lediglich  um  Innervationsstärungen ,  nicht  um  Muskel- 
erkrankungen. Man  spricht  sehr  viel  von  Insufficienzen  der  inneren  Geraden  (Siehe 
Strabismus  divergens) ,  will  jedoch  auch  Insufficienzen  der  äusseren  geraden  Augen- 
muskeln in  Verbindung  mit  asthenopischen  Bescliwerden  (Knapp),  ja  gleichzeitig 
die  Insufficienz  der  inneren  und  äusseren   Geraden  (Kugel)  beobachtet  haben. 

Der  Grad  der  Lähmung  ist  selbstverständlich  ein  sehr  wandelbarer, 
so  wie  auch  die  Ausdehnung  des  Lähmung shezirkes  ausserordentlich  variirt. 
Zweifelsohne  können  Theile  eines  einzelnen  Muskels  der  Paralyse  verfallen; 
andererseits  findet  man  aber  auch  häufig  ganze  Grtippen,  bisweilen  sogar 
sämmtliche  Augenmuskeln  mehr  weniger  vollständig  gelähmt ;  ja  gar  nicht 
selten   erstreckt  sich   der  Lähmungsbezirk   iveit  über  die    Orbita  hinaus. 

Am  öftesten  findet  man  die  Paralyse  der  Augapfelmuskeln  combinirt 
mit  Lähmung  des  Aufhebers  des  oberen  Augendeckels.  Das  Resultat  ist  die 
sogenannte  Ptosis,  das  Herabsinken  des  oberen  Augenlides,  die  Unfähigkeit, 
dasselbe  in  genügendem  Masse  zu  heben  und  so  die  Lidspalte  weit  zu 
öffnen;  ein  Zustand,  welcher  übrigens  mitunter  auch  als  ein  mehr  selbst- 
ständiges Leiden  vorkömmt  und  dann  nicht  immer  auf  Leitungshindernisse 
des  zugehörigen  Nervenastes  als  letzten  Grund  zu  schieben  ist,  sondern 
hier  und  da  auf  angeborenem  Mangel  oder  auf  mannigfaltig  begründeten 
Ernährungsstörungen   des  Muskels   selber   beruht. 

Es  ist  die  paralytische  Ptosis  übrigens  wohl  zu  unterscheiden  von  Lidsenkun- 
gen als  Folge  vermehrter  Widerstände.  Es  sind  solche  Lidsenkungen  eine  constante 
Erscheinung  bei  entzündlicher  oder  hypertrophischer  SchioeUung  der  Bindehaut,  der 
äusseren  Lidhaut  und  des  zugehörigen  subcutanen  oder  submucösen  lockeren  Binde- 
gewebes. Nicht  minder  finden  sie  sich  stets  beim  Epicanthus  und  EpiUepharon, 
d.  i.  einer  angeborenen  übermässigen  Entwickelung  der  Haut  im  inneren  Lidwinkel, 
welche  bisweilen  so  weit  geht,  dass  der  Canthus,  ja  selbst  ein  Theil  der  inneren 
Lidspaltenhälfte  förmlich  überdeckt  wird  (Amnion,    GraefeJ. 

Auch  ist  hier  an  die  mit  Myasis  einhergehende  Ptosis  zu  erinnern,  welche 
ihren  Grund  in  Leitungshemmungen  der  zum  organischen  Muskel  des  oberen  Lides 
und  zu  der  Irismuskulatur  gehörigen  sympathischen  Zweige  ihren  Grund  hat  (S.  840) 
und  darum  als  Ptosis  sympathica  beschrieben  werden  mag. 


888  Augenmuskeln;  Nosologie;  Blepliaroplegie ;  Quellen. 

Seltener  sind  Complicationen  mit  Lähmung  des  vom  7.  Gehirnnerven- 
paare  versorgten  Kreismuskels  der  Lider.  Dafür  kömmt  eine  Lähmung 
dieses  Muskels  öfters  als  selbständiges  Muskelleiden  so  wie  als  Folge  von 
Leitungshindernissen  in  dem  Nervus  facialis  vor.  Niedere  Grade  der  Parese 
verrathen  sich  oft  blos  durch  die  Unfähigkeit,  die  Lidspalte  kräftig  zu 
schliessen  und  die  äussere  Lidhaut  in  zahlreiche  Falten  zu  werfen,  so  wie 
durch  sehr  auffällige  Störungen  der  Thränenleitang,  welche  man  öfters  durch 
Schlitzuug  der  Thränenröhrchen  noch  beseitigen  kann.  Bei  hohen  Graden 
ist  der  Lidschluss  ganz  unmöglich;  bei  Unthätigkeit  des  Aufhebers,  z.  B. 
während  dem  Schlafe,  bleibt  die  Lidspalte  halb  geöffnet;  der  obere  Augen- 
deckel liegt  schlaff  am  Bulbus  an,  während  das  untere  Lid  gewöhnlich  vom 
Augapfel  absteht  oder  gar  nach  aussen  umgestülpt  ist;  daher  in  der  Regel 
ein  grösserer  Theil  der  Bulbusoberiläche  entblösst  erscheint  (Lagophthalmus 
paralyticus  oder  atonicus). 

Es  wh-d  diese  Entblössung  des  Bulbus  Läufig  sehr  lange  vertragen,  ohne 
dass  sich  erhebliche  Reizzustände  im  Bulbus  oder  seinen  Umgebungen  einstellen. 
Mitunter  jedoch  kömmt  es  auch  bald  zu  heftigen  Entzündungen  der  Bindehaut 
und  der  Hornliaut  (0.  Weber),  ja  zu  Verschif'drungen  der  letzteren,  wobei  es  öfters 
schwer  zu  entscheiden  ist,  ob  der  Lagophthalmus  an  sich  oder  combinirte  Leitungs- 
hemmiiugen  der  die  Nutritionsverhältnisse  des  Auges  regulirenden  Nerven  als  die 
eigentliche  Quelle  angesehen  werden  müssen. 

Das  pathogenetische  Moment  der  Facialislähmungen  ist  unzweifelhaft  am 
häufigsten  eine  rheumatische  AÖ'ection  der  Nervenscheiden.  In  anderen  Fällen  ist 
eine  Otitis  oder  Parotitis,  ein  Krankheitsherd  im  Bereiche  des  Fallopi'schen  Kanales, 
ein  Tumor  an  der  Schädelbasis,  ein  Krankheitsherd  in  der  Varolshriicke  oder  in 
den  Centralganglien,  ja  selbst  in  der  Gehirnrinde,  selten  aber  Hysterie  als  die  nächste 
Ursache  nachgewiesen  worden  (Benedikt).  Von  grosser  Wichtigkeit  ist,  dass  bei 
centralen  Leiden  die  Lähmung  des  Orbicularmuskels  und  jene  der  Respirations- 
muskeln des  Gesichtes  häufig  isolirt  vorkommen,  was  sich  aus  dem  anatomisch 
nachgewiesenen  Bestände  zweier  getrennter  Ursprungskei-ne  und  aus  der  erst 
späteren  Vereinigung  der  daraus  entspringenden  Fasern  zu  einem  gemeinsamen 
Stamme  erklärt.  Nicht  minder  erwähnenswerth  ist  die  Beobachtung  relativer  Paralysen 
in  diesem  Bereiche.  Es  erscheinen  nämlich  die  loillkürlichen  und  die  mimischen 
Contractionen  der  vom  Facialnerven  abhängigen  Muskeln  öfters  in  sehr  verschiedenem 
Grade  oder  auch  wohl  isolirt  gelähmt  (Benedikt). 

Eine  Lähmung  beider  Lidmuskeln,  die  Blepharoplegia,  ist  wohl  immer 
die  Theilerscheinung  eines  weit  ausgebreiteten  pathologischen  Processes  im 
Inneren  der  Schädelhöhle  und  im   Ganzen  selten. 

Quellen:  Anatomie  und  Vorhegriff'e:  Listing,  Ruete's  Lehrbuch  der  Ophth.  I. 
Braunschweig.  1853.  S.  37;  kl.  Monatbl.  1870.  S.  29.  —  Hering,  Beiträge  zur 
Physiologie.  I— V.  Leipzig.  1861  —  1864;  Archiv  f.  Anat.  u.  Physiol.  1864.  S.  27— 
51,278—285,  303—319;  1865.  S.  79—97,  152—165;  Die  Lehre  vom  binocularen 
Sehen.  Leipzig.  1868;  A.  f.  O.  XIV.  1.  S.  1;  XV.  1.  S.  1.  —  Helmholtz,  A.  f.  O. 
IX.  2.  S.  153—214;  X.  1.  S.  1-60;  Karsten's  Encyklopädie.  IX.  S.  457—856.  — 
Ruete,  Lehrb.  d.  Ojihth.  I.  S.  25 — 49;  Ein  neues  Ophthalmotrop.  Leipzig,  1857; 
Festrede  ad  memor.  E.  G.  Bosii.  Leipzig.  1857;  kl.  Monatbl.  1864.  S.  386;  Congr. 
intern,  de  Paris.  1863.  S.  74.  —  Donders,  Holland.  Beiträge  zu  den  anat.  u.  phys. 
Wiss.  I.  1848;  nach  Graefe,  A.  f.  O.  I.  1.  S.  26,  34—41;  Derde  Jaarl.  Verslag. 
Utrecht.  1862.  S.  209;  Anom.  d.  Acc.  u.  Refr.  Wien.  1866.  S.  152;  A.  f.  O.  IX.  1. 
S.  103  —  110:  XIIL  1.  S.  1;  Het  tienjarig  bestaan  etc.  Utrecht.  1869.  S.  111.  — 
Fick,  Zeitschft.  f.  rat.  Medicin.  IV.  S.  101;  V.  S.  331.  —  G.  Meissner,  Beitr.  z. 
Phys.  d.  Sehorganes.  Leipzig.  1854;  A.  f.  0.  IL  1.  S.  1—123.  —  H.  Meyer,  A.  f. 
0.  IL  2.  S.  77—94.  —  Panum,  Ueber  das  Sehen  mit  zwei  Augen.  Kiel.  1858.  — 
Hasner,  Ueber  das  Binocularsehen.  Prag.  1859.  —  Wundt,  Zeitschrift  f.  rat.  Med. 
VIL  S.  321—396;  A.  f.  O.  VIIL  2.  S.  1-114;  Beiträge  z.  Theorie  d.  Sinneswahr- 
nehmung. Leipzig  u.  Heidelberg.  1862,  —  Fechner,  Ueber  einige  Verhältnisse  des 
Binocularsehens.  Leipzig.   1860.  —  Cornelius,  Zur  Theorie  des  Sehens.  Halle.   1864. 


Strahismus  coiivergens;  Kraiikheitsbilil ;  Formen.  889 

—  Nagel,  Das  Sehen  mit  zwei  Augen.  Leipzio;  u.  Hnidelbergf.  18G1 ;  kl.  Monatbl. 
1864.  S.  888;  A.  f.  O.  XIV.  2.  S.  '228.  —  Volkmann,  Pliy.s."  Untersitclign.  im  Ge- 
biete d.  Optik.  Leipzig.  I.  18().3;  II.  1864;  Voiliandhuigen  der  Leipziger  Ge.s.  d. 
Wis.q.  186'.).  S.  28.  —  Rccknmjhansen,  A.  f.  0.  V.  2.  S.  127-179.  —  Oraefe,  A.  f. 
O.  I.  1.  S.  1,  4,  7,  10,  19,  23,  .'32—35,  38,  41;  I.  2.  S.  290.  —  Bahr,  ibid.  VJH. 
2.  S.  179—184.  —  Ihnke,  ibid.  X.  2.  S.  18L  —  Böttcher,  ibid.  XII.  2.  S.  23—99; 
Berlin,   kl.   Wochenselirift.    1866.    Nro.  4.     —     Doyer,    Derde    Jaarl.  Versl.   Utrecht. 

1862.  S.  209,  217,  219,  221,  223,  227.  —  Schuerman,  Vijfde  Jaarl.  Ver.sl.  Utrecht. 
1864.  S.  1,  13,  27,  31,  .50;  kl.  Monatbl.  1864.  S.  92,  9.'i,  100.  —  Kna^jp,  Dritt. 
Jahresber.  Heidelberg.  186.5.  S.  17.  —  Stilling,  Deiters,  nach  liüdinffcr,  Die  Anat. 
d.  menschl.  Gehirnnerven.  München.  1868.  S.  12,  15,  17,  39.  —  Luschka,  nach 
Nagel,  A,  f.  O.  XIII.  2.  S.  408.  —  J.  J.  Müller,  ibid.  XIV.  3.  S.  183;  Centralbl. 
1868.  S.  803.  —  lAehreicJi,  Arch.  f.  Augen-  und  Ohrenbeilkd.  I.  S.  63.  —  Coccins, 
Der  Mechan.  d.  Acc.  Leipzig.  1868.  S.  26,  53,  54,  85.  —  Floyren.i,  Bndge,  Ueber 
die  Bewegung  d.  Iris.  Brarinsehweig.  1854.  S.  130.  —  Stellwag,  Der  intraoc. 
Druck.   1868.   S.   88.    —    Maqni,  Rivista  ciinica.   1868.     —     Schiveigger,  kl.   Monatbl. 

1867.  S.  28.  —  Alf.  Graefe,  A.  f.  O.  XI.  2.  S.  1  u.  f.  —  WiÜiams,  Schmidt's 
Jahrb.  134.  Bd.  S.  216. 

Nosologie:  Graefe,  A.  f.  O.  L  1.  S.  82,  95,  97,  105,  107,  109,  113,  116,  435, 
440,  445,  447,  449;  I."  2.  S.  294;  IV.  2.  S.  184,  190,  192,  194,  197,  199;  IX.  2.  S. 
57,  73;  Deutsche  Klinik.  1S65.  Nro.  22.  S.  216,  217.  —  Remak,  Deutsche  Klinik, 
ibid.  —  Alf.  Graefe,  Klin.  Analyse  d.  Motilitätsstöiungen  des  Auges.  Berlin.  1858. 
S.  228.  —  Donders,  Anomalien  etc.  8.  210.  —  Arlt,  Krankhtn.  d.  Auges.  III.  Prag. 
1856.  S.  363,  364;  Zeitschr.  der  Wien.  Aerzte.  1861.  Wochenbl.  Nr.  25.  S.  202.  — 
Secondi,  Ciinica  oe.  di  Genova,  Torino.  1865.  S.  127.  —  Rydel.  Wien.  med.  Jahrb. 
1866.  4.  S.  74.  —  Ammov,  Der  Epicanthus  und  das  Epiblepharon.  Erlangen.   1860. 

—  Schiess-G emuseil s,  kl.  Monatbl.  1867.  S.  79.  —  Schirmer,  ibid.  1869.  S.  409.  — 
Stilling,  A.  f.  O.  XIV.  1.  S.  97.  —  O.  Weher,  Deutsche  Klinik.  1867.  Nr.  25.  — 
Slellwag,     Wiener    med.    Jahrb.    1869.    2.    S.    25,    46.    —     Knajyi),    klin.    Monatbl. 

1863.  S.  478.  —  Kugel,  A.  f.  O.  XII.   1.  S.  66.   —   Benedikt,  Elektrotherapie.  Wien. 

1868.  S.  138,  274,  279,  414. 


1.  Das  convergirende  Schielen. 

Krankheitsbild.  Charakteristisch  ist  die  ühermässige  Convergenz  der 
Gesichtslinien   hei  sonstiger  Freiheit   der  Blickrichtung. 

1.  Die  fehlerhafte  Stellung  der  einen  Gesichtslinie,  auf  das  fixirte 
Object  bezogen,  zeigt  sich  in  vielen  Fällen  constant  auf  dem  einen  Auge, 
der  Strabismus  ist  ein  einseitiger,  monocularer.  In  anderen  Fällen  weicht 
bald  dieses,  bald  jenes  Auge  ab,  während  das  andere  fixirt,  der  Strabismus 
ist  ein  beiderseitiger,   binocularer,   alternirender. 

Die  strabotische  Ablenkung  ist  in  reinen  und  namentlich  nicht  veral- 
teten Fällen  nach  dem  Tode,  während  dem  tiefen  Schlafe  oder  während  der 
tiefen  Narkose  nicht  zu  bemerken.  Im  wachen  Zustande  des  Kranken  macht 
sie  sich  entweder  unter  allen  Umständen  oder  nur  bei  scharfer  Fixation 
eines  Objectes,  überhaupt  dann  bemerkbar,  wenn  eine  ein  bestimmtes  Mass 
überschreitende  Accommodationsquote  aufgewendet  werden  soll ;  der  Stra- 
bismus ist  demnach  bald  ein  ständiger,  continuirlicher,  bald  ein  intercurren- 
ter,  periodischer. 

Beim  alternirenden  Strahismtis  geschieht  es  oft,  dass  während  der  Fixation 
naher  Objecto  immer  das  eine,  während  der  Fixation  ferner  Objecte  das  andere 
Auge  schielt;  oder  dass  bei  der  Betrachtung  von,  nach  einer  geicissen  Richtung 
seitwärts  im  Gesichtsfelde  gelegenen  Gegenständen  immer  ein  geivisses  Auge  ab- 
gelenkt wird. 


890  Strabismus  convergens  ;  Ki'ankheitsbild ;  Schielwinkel. 

2.  Der  Schielwinkel  ist  seiner  Grösse  nach  in  verschiedenen  Fällen 
ein  sehr  verschiedener  und  wechselt  auch  in  einem  und  demselben  Falle 
je  nach  deu  obwaltenden  Verhältnissen  innerhalb  ziemlich  weiter  Gren- 
zen, wie  genauere  Untersuchungen  entgegen  den  bisher  geltenden  Ansich- 
ten herausgestellt  haben. 

Unter  dem  Schielwhikel  versteht  man  nicht,  wie  Manche  glauben,  den  Winkel, 
welchen  die  beiden  Gesichtslinien  mit  einander  einschliessen ,  also  nicht  den  über- 
aus wandelbaren  Conve)'genzwinkel ;  sondern  die  Differenz  der  beiden  Grundwinke!, 
d.  i.  jener  Winkel,  welcheu  die  Gesichtslinie  des  tixirenden  und  des  abgelenkten 
Auges  bei  Fixation  eines  in  der  Medianebene  gelegenen  Objectes  je  mit  der  Grund- 
linie einschliesst. 

Die  Grösse  des  Schielwinkels  ist  sowohl  von  der  zur  Fixation  eines 
Objectes  erforderlichen  Convergenzquote ,  als  von  der  Blickrichtung  ab- 
hängig. 

Wird  ein  geeignetes  Object  innerhalb  der  Medianebeue  den  Augen  des 
Kranken  allmälig  genähert,  so  bemerkt  man  in  der  That  sehr  häufig,  dass 
nur  das  gesunde  Auge  innerhalb  der  normalen  Convergenzweite  ■proportio- 
nirte  Adductionsbewegungen  macht,  nicht  aber  das  Schielauge;  dessen  Be- 
wegungen werden  bald  ganz  unregelmässig  und  hören  endlich  ganz  auf\  so 
dass  die  beiden  Gesichtslinien  in  eine  ganz  veränderte  gegenseitige  Lage 
kommen. 

Bei  mindergradigem  Strabismus  folgt  das  Schielauge  dem  tixirenden  aller- 
dings bis  zu  einer  bestimmten  Grenze,  so  dass  der  Schielwinkel  nicht  wesentlich 
verändert  erscheint.  Wird  jedoch  das  Object  noch  mehr  angenähert,  so  geräth 
das  Schielauge  in  unregelmässige  zuckende  Bewegungen,  dreht  sich  ruckweise  nach 
einwärts,  springt  aber  wieder  um  ein  gewisses  zurück,  bis  es  sich  endlich  in  einer 
bestimmten  Lage  tixirt,  wiederholt  also  ganz  das  Verhalten  normaler  Augen  bei 
Annäherung  der  Fixationsobjecte  über  die  Grenze  der  natürlichen  Convergenz- 
weite. Die  Untersuchung  ergibt  dann  immer  eine  bedeutende  Verminderung  der 
Ablenkung.  Häufig  ist  dieselbe  sogar  Nidl  und  bei  sehr  kurzen  Objectsdistanzen  wohl 
gar  negativ  geworden,  die  Gesichtslinie  des  Schielauges  schiesst  hinter  dem  Fixir- 
punkte  vorbei.  In  anderen  Fällen  folgt  das  Schielauge  dem  in  der  Medianebene 
heranrückenden  Objecte  gleich  von  vorne  herein  in  ganz  unregelmässiger  ruckweiser 
Adduction  und  stellt  sich  dann  in  einer  bestimmten  Lage  fest.  Nicht  selten,  ja 
bei  hochgradigen  Strabismen  in  der  Regel,  ist  die  Convergenzfähigkeit  des  Schiel- 
auges fast  ganz  aufgehoben,  dasselbe  verharrt  unverrückt  in  seiner  Lage,  während 
das  andere  Auge  dem  in  der  Medianebene  heranrückenden  Objecte  mit  entspre- 
chender Schnelligkeit  und  Kegelmässigkeit  folgt.  Ist  dann  die  Ablenkung  eine 
nicht  zu  bedeutende ,  so  scheint  der  Kranke  blos  zu  schielen  ,  wenn  er  entfernte 
Gegenstände  betrachtet.  In  dem  Masse  jedoch,  als  das  Object  seine  Distanz  ver- 
küriit,  nimmt  der  Schielwinkel  an  Grösse  ab,  wird  schliesslich  Null  oder  gar 
negativ,  ja  in  einzelnen  Fällen  weicht  das  Auge  bei  einem  gewissen  Objectabstande 
mit  einem  Rucke  plötzlich  um  ein  Bedeutendes  nach  aussen. 

In  ähnlicher  Weise  nimmt  die  jeweilige  Blickrichtung  Einfluss  auf 
die  Grösse  des  Schielwinkels.  Im  Allgemeinen  kann  mag  sagen,  dass  Sen- 
kungen  der  Visirebene  so  wie  Blickrichtungen  nach  Seiten  des  strabotischen 
Auges  den  Schielwinkel  vergrössern,  Hebungen  der  Visirebene  dagegen  und 
Seitenblickrichtungen  in  der  Bahn  des  Schielmuskels  den  Schielwinkel  verklei- 
nern. Bei  Anwendung  genauerer  Hilfsmittel  ergibt  sich  in  der  Regel  auch 
hier  eine  erhebliche  Unregelmässigkeit  in  den  Bewegungen  des  Schielauges, 
ein  disproportionirtes  Schwanken  der  abgelenkten  Gesichtslinie,  namentlich 
bei   excursiveren   Drehungen   derselben. 

Die  Blickrichtung  nach  Seiten  des  fixirenden  Auges  genügt  bei 
kleineren  Schielwinkeln  bisweilen,  um  den  cosmetischen  Fehler  gänzlich 
zu  maskiren.     Dabei  erleichtert,   wie    später   sich  ergeben  wird,     die    rieh- 


Kopfhaltung  tl.  Kraiikeii;  C'oncomitireiidos  Schielen;  Unteisuchungsniethodc.  891 

tigere  Stellung;  des  Schielauges  zum  Fixationsobjectc  die  Orientirung.  Die 
Kranken  werden  sich  dieser  Vortheile  in  der  Regel  auch  bald  hewusst 
und  gewöhnen  sich  durcli  fortgesetzte  Uebung  endlich  eine  ganz  eigen- 
thümliche,  der  Richtung  und  Grösse  der  strabotischen  Ablenkung  ent- 
sprechende Haltung  des  Kopfes  an,  welche  öfters  den  Ilindruck  einer  Ver- 
minderung des  Strabismus  macht.  Sie  drehen  nämlich  das  Gesicht  nach 
Seiten  des  Schielauges,  so  dass  das  fixirende  Auge  nach  vorne ,  das  schie- 
lende dagegen  etwas  nach  hinten  weicht.  Die  Halsmuskeln  treten  dann 
mit  den  Augapfelmuskeln  in  neue  Associationsverhältnisse  ,  welche  oft  so 
fest  einwurzeln,  dass  auch  nach  operativer  Beseitigung  der  strabotischen 
Ablenkung  die  normale  Haltung  des  Kopfes  nicht  wiederkehrt  (Graefe). 

Im  Grossen  und  Ganzen  sticht  die  Veränderlichkeit  des  Schielwinkels 
nur  dann  auffällig  hervor,  wenn  das  zu  fixirende  Object  vermöge  seiner 
Lage  starke  Convergenzen  und  excursive  Drehungen  der  Blicklinie  erheischt. 
Unzweifelhaft  spiegeln  sich  darin  grossen  Theiles  normale  Verhältnisse  ab, 
insoferne  auch  bei  functioneller  Integrität  der  Augenmuskulatur  der  Con- 
vergenzwinkel  der  Gesichtslinieu  eine  gewisse  Grösse  zu  überschreiten 
nicht  vermag  und  in  um  so  engere  Grenzen  gebannt  erscheint,  je  weiter 
sich  die  Blickrichtung  von  der  Mitte  des  binocularen  Blickraumes  entfernt. 
Gleichwie  nun  in  der  Norm  die  die  leichte  Fixation  eines  Objectes 
erschwerenden  und  beschi'änkenden  excursiveren  Blickrichtungen  durch 
entsprechende  Bewegungen  des  Kopfes  überflüssig  gemacht  werden,  so  nützt 
auch  der  Schieler  nur  einen  kleinen  Theil  der  Bewegungsfähigkeit  seiner 
Augen  ans,  er  hält  unter  einer  zusagenden  Kopfstellung  eine  gewisse 
Blickrichtung  inne,  welche  der  möglichst  besten  Orientirung  seines  Schiel- 
auges zuträglich  und  vermöge  allmälig  gewonnener  Uebung  auch  leicht  zu 
erhalten  ist.  Es  bildet  sich  so  gewissermassen  ein  neuer  Blickraum,  in- 
nerhalb welchem  der  Schielwinkel  nur  wenig  wechselt.  Wird  daher  bei 
Aufstellung  eines  Uixationsobjectes  in  diesem  neuen  Blickraume  das 
gesunde  Auge  gedeckt  und  das  schielende  gezwungen,  seine  Gesichtslinie 
auf  den  Gegenstand  zu  richten,  so  wird  sogleich  das  erstere  abgelenkt 
und  zwar  ist  diese  secundäre  Ablenkung  in  der  Regel  jener  gleich,  welche 
das  strabotische  Auge  bei  der  Fixation  des  Objectes  mit  dem  gesunden 
Auge  zeigt. 

Man  glaubt,  das  diess  besonders  beim  einseitigen  Strabismus  der  Fall  sei 
und  hat  diesen  darum  speciel  mit  dem  Namen  des  „concomitirenden"^  belegt ;  doch 
tindeu  sich  auch  ähnliche  Verhältnisse  bei  dem  alternirenden  oder  binocidären 
Strabismus. 

Die  eigenthümliche  gegenseitige  Verkettung  der  beiden  Gesichtslinien 
gibt  wichtige  Behelfe  an  die  Hand,  um  den  Bestand  einer  strabotischen 
Ablenkung,  die  Einseitigkeit  und  Beiderseitigkeit,  die  Beständigkeit  und  Pe- 
riodicität  des  Schielens,  so  wie  den  Einfluss  zu  ermitteln,  welchen  die 
Distanz  der  fixirten  Objecte  und  deren  relative  Lage  auf  das  Eintreten  des 
Strabismus  ausüben.  Man  stellt  sich  zu  diesem  Behufe  dem  Schieler  ge- 
rade gegenüber  Imd  lässt  von  demselben  ein  kleines  Object  fixiren,  welches 
man  in  seiner  Mediauebene  abwechselnd  nähert  und  entfernt,  oder  senk- 
recht darauf  im  Kreise  herumfülu-t.  Es  treten  dann  die  Ablenkungen 
des  einen  Auges  ziemlicli  deutlich  heraus.  Weit  sicherer  fährt  man 
jedoch,  wenn  man  bei  einer  und  der  anderen  Lage  des  fixirten  Objectes 
bald  dieses  bald    jenes    Auge     des    Schielers     mit    der    Hand    oder    einem 


892  Strabismns  convergens ;  Erankheitsbild ;  Strabometer;  Beweglichkeit  d.  Augen. 

Schirme  deckt.  Wird  das  fstrahotiscli  abgelenkte  Auge  gedeckt,  so  behält  so- 
wohl dieses  als  das  gesunde  fixirende  Auge  seine  Stellung  unverändert  bei. 
Wird  dann  das  fixirende.  Auge  gedockt,  so  verkehren  sicli  meistens  augen- 
blicklicli  die  Verhältnisse  und  hleihen  verkelirt,  so  lange  das  unier  den 
gegebenen  Umständen  nicht  schielende  Auge  am  Fixiren  gehindert  wird; 
in  dem  Augenblicke  jedoch,  wo  die  Hand  oder  der  Schirm  beseitigt  wird, 
springt  das  strahnfische  Auge  sogleich  in  seine  falsche  Stellung  zurück, 
während  das  andere  die  Fixation  wieder  übernimmt. 

Doch  finden  sich  auch  Ausnahmen.  Schon  beim  einseitigen  Strabismus 
kömmt  es  bisweilen  vor,  dass  das  schielende  Auge,  wenn  es  wegen  Deckung  des 
gesunden  die  Fixation  übernommen  hat,  diese  nach  Oeft'nung  des  letzteren  auch 
heihehält ,  eitie  Zeit  lang  wenigstens.  Beim  altemirenden  Strabismus  geschieht  dies 
sogar  regelmässig.  Endlich  wird  das  Schielauge  durch  Degeneration  des  Schiel- 
muskels oder  durch  Schwäclie  des  Gegners  in  manchen  Fällen  uiecJianisch  gehin- 
dert, die  Fi.xation  des  Objectes  zu  übernehmen,  oder  vermag  dies  nicht  wegen 
hochgradiger  Amhlijopie. 

Das  geschilderte  Verhalten  der  beiden  Augen  ist  ein  werthvoUes 
Mittel,  um  einen  wirklichen  Strabismus  von  einem  scheinbaren  (S.  884.  3)  zu 
unterscheiden.  Bei  letzterem  ist  die  Ablenkung  beider  Augen  meistens  eine 
gleiche,  sj'mmetrische ;  die  Stellung  der  Augen  zum  Fixationsobject  ändert 
sich  niclit,  es  möge  dieses  oder  jenes  yerdeckt  wetden,  indem  eben  beide 
fixiren,  und  endlich  besteht  in  Folge  dessen  nachweisbar  binoculares  Sehen 
mit  richtiger    Tiefenschätznng  (S.    880). 

Selbstverständlich  lässt  sich  aus  der  Grösse  der  Excursion,  welche 
ein  und  das  andere  Auge  bei  dem  erwähnten  Versuche  unter  dem  Wech- 
sel der  Verhältnisse  macht,  auch  der  ungefähre  Werth  des  Schielwinkels 
ermessen,  was  von  praktisch  hoher  Wichtigkeit  ist,  indem  die  Grösse  der 
Ablenkung  sowohl  in  prognostischer  als  therapeutischer  Hinsicht  schwer  in 
die  Wagschale  fällt. 

Dagegen  gibt  die  gegenseitige  Stellung  der  Scheitelpunkte  beider  Hornhäute 
kein  verlässliches  Mittel  zu  einer  solchen  Schätzung,  es  wäre  denn,  dass  die  Lage 
der  (yptischen  Mittelpunkte,  also  der  Winkel,  welchen  die  Gesichtslinie  mit  der 
langen  Corneala.xe  einschliesst,  vorläufig  genau  festgestellt  worden  ist. 

Dieser  Umstand  erlaubt  auch  den  zur  Messung  des  Schielgrades  empfohlenen 
Tlodometern  oder  Strahometern  (Ed.  Meyer)  nur  einen  geringen  praktischen  Werth 
beizumessen ,  selbst  wenn  die  Ermittelung  der  Scheitelpunkte  beider  Hornhäute 
ohne  genaue  und    complicirte  Instrumente    eine  verlässlichere  wäre,    als  sie  es  ist. 

3.  Die  Beweglichkeil  der  Augen  ist  beim  reinen  und  nicht  veralteten 
Strabismus  nur  wenig  geschmälert,  sowohl  in  der  Bahn  des  Schielmuskels 
und  seines  Antagonisten,  als  in  jeder  beliebigen  anderen  Richtung.  Ganz 
unbedingt  gilt  dieser  Satz  von  dem  altemirenden  Strabismus.  Beim  mono- 
crdaren  Schielen,  besonders  bei  hochgradigem,  erleidet  das  Gesetz  einige  Be- 
schränkung, insoferne  die  Summe  der  Bewegliclikeit  in  der  Bahn  des  Schiel- 
muskels und  seines  Antagonisten  allerdings  der  Norm  nahe  oder  gleichkömmt, 
allein  das  ganze  Gebiet  der  Bewegungen  um  ein  (xcringes  nach  Seiten  des 
Schiel muskels  verschoben  ist,  so  dass  nach  dieser  Seite  hin  die  Excursions- 
fähigkeit  relativ  zur  Xorm  um  ein  Kleines  gesteigert,  nach  der  entgegenge- 
setzten Seite  hin  aber  um  ein  Gleiches  vermindert  erscheint  (Graefe).  Der 
Gi-und  dessen  liegt  eben  in  der  verstärkten  Innervation  der  Convergenz- 
muskeln. 

4.  Eine  nothwendige  Folge  der  strabotischen  Ablenkung  ist  die  Ab- 
bildung des  Fixationsobject  es  auf  nicht  eorrespondirenden  und  in  ihrem  Brei- 


Binociililie  Diplopie;  Breitenatstaml  der  Doppelbilder.  893 

tenwerthe  meistens  scOir  verschiedenen  Stellen  der  beiden  Netzhäute.  Nichts 
destowenigei'  tritt  beim  reinen  Strabismus  converyens  das  binoculäre  Dop- 
peltselion  nur  sehr  ausnahmsweise  und  zwar  während  den  EntwickeluiKjs- 
stadien  spontan  hei'vor,  indem  die  Krauken  im  Momente  der  Ablenkung 
eine  gewisse  Verschiebung  und  gleich  darauf  eine  Spaltung  der  Object- 
bilder  bemerken.  Ks  ist  diese  Erscheinung  übrigens  immer  eine  sehr 
vorübergehende  und  lässt  sich  wegen  dem  zarten  Alter,  in  welchem  das  conver- 
girende  Schielen  zu  beginnen  pÜegt,  nur  sehr  selten  nachweisen.  Wo 
sich  der  Strabismus,  wenn  auch  nur  in  periodischer  Form,  bereits  fest- 
gesetzt hat,  ist  spontane  Diplopie  niemals  zu  beobachten,  es  bedarf  künst- 
licher Manöver,  um  dieselbe  hervorzurufen.  Mitunter  genügt  es,  die  Auf- 
merksamkeit auf  ein  in  der  Richtung  der  abgelenkten  Gesichtslinie  gele- 
genes Object  zu  concentriren,  um  das  dem  Schielauge  zugehörige  Trugbild  des 
fixirten  Gegenstandes  zur  Wahrnehmung  zu  bringen.  Meistens  muss  das 
fixirende  Auge  durch  farbige  Gläser ,  am  besten  durch  dunkelrothe,  abge- 
blendet werden,  auf  dass  die  binoculäre  Diplopie  sich  manifestire.  Es  ver- 
fangen aber  auch  diese  Manöver  nur  bei  einer  bestimmten  Categorie  von 
Fällen,  nämlich  wo  ein  ständiger  monocularer  Strabismus  bereits  seit  län- 
gerer Zeit  besteht,  vornehmlich  wenn  die  functionelle  Energie  der  mittleren 
Theile  der  abgelenkten  Netzhaut  bereits  erheblich  gelitten  hat,  ohne  jedoch 
zur  Perception  qualitativer  Eindrücke  unfähig  geworden  zu  sein.  Wo  die 
Energie  der  mittleren  Netzhautzone  sich  nahezu  auf  der  normalen  Höhe 
erhalten  hat,  sind  durch  diese  Behelfe  auch  bei  ständigem  einseitigen 
Schielen  Doppelbilder  in  der  Regel  nicht  zu  gewinnen  und  noch  weniger 
gelingt  dies  beim  periodischen  und  beim  alternirenden  (Alf.  Graefe) 
Strabismus. 

Die  relative  Lage  der  Doppelbilder  ist  unter  solchen  Umständen, 
der  übermässigen  Convergenz  der  beiden  Gesichtslinien  entsprechend,  eine 
gleichseitige  ;  bei  Verdeckung  des  linken  Auges  verschwindet  das  linke,  bei 
Verdeckung  des  rechten  Auges  das  rechte   Trugbild. 

Bei  ungenügender  Vor.sicht  können  in  dieser  Beziehung,  selbst  von  Seite 
intelligenter  Kranken,  leicht  Täuschuncjen  ixnterlaufen.  Wird  nämlich  während  der 
Fixation  eines  geeigneten  Objectes  das  tixirende  Auge  rasch  gedeckt,  so  stellt  sich 
augenblicklich  das  Schielauge  auf  den  Gegenstand  ein  und  der  Kranke  glaubt  das 
Trugbild  des  letzteren  sei  verschwunden.  Um  diesen  Irrungen  zu  begegnen,  muss 
darum  das  Schielauge  sehr  langsam,  durch  einen  allmälig  von  unten  her  auf- 
steigenden Schirm  und  nur  halb  gedeckt  werden,  so  dass  das  Bild  des  Fixations- 
objectes,  am  besten  eines  verticalen  Striches,  zur  Hälfte  in  Sicht  des  Auges  bleibt. 
Dann  verlässt  auch  das  abgelenkte  Auge  und  dessen  Trugbild  seine  Stelle  nicht, 
Irrungen  sind  unmöglich. 

Der  Breitenabstand  der  Doppelbilder  entspricht  niemals  dem  Grade 
der  Ablenkung  und  der  Objectsdistanz,  sondern  ist  sowohl  in  Bezug  auf 
diese  Verhältnisse,  als  absolut  unter  allen  Umständen  ein  kleiner  (Alf. 
Graefe,  Schweigger).  Seine  Erörterung  bietet  in  der  Regel  viele  Schwie- 
rigkeiten, besonders  bei  ungeübten  Kranken,  wegen  der  ganz  enormen 
Schwankungen,  welche  abgesehen  von  etwaigen  Beobachtungsfehlern  einer- 
seits durch  den  Wechsel  der  Objectlage,  andererseits  durch  willkürliche 
Innervationaver ander ungen  bedingt  werden  können. 

Sehr  ausgiebige  Beohachtungs fehler  fliessen  aus  einer  unrichtigen  und  über- 
dies vielleicht  gar  wechselnden  Stellung  des  Kopfes  zum  Fixationsobjecte  (S.  868) 
Sie  müssen    durch    genaue  Controle  der  letzteren    hintangehalten  werden  (S.  878), 


894  Strabismus  convergens;  Krankheitsbild;  Schwankungen  d.  Trngbildabstandes. 

widrigenfalls    bei    demselben    Individuum    und    derselben  Objectlage  jeder  Versuch 
andere  Resultate  liefert. 

In  den  von  der  Objectlage  abhängigen  Schwankungen  der  Breitenabstände 
der  Doppelbilder  spiegelt  sich  getreu  die  Ver'ünderlklikeU  des  Schiehvinkels.  Wird 
das  Object  in  der  Medianlinie  allmälig  genähert,  so  treten  die  Trugbilder  mehr 
und  mehr  an  einander,  beginnen  häufig  unregelmässig  liin  und  her  zu  schwanken 
und  springen  dann  oft  plötzlich  mit  einem  Rucke  zusammen ,  lange  bevor  sie  sich 
bis  zur  Berülnung  ihrer  Ränder  genähert  haben.  Bei  weiterer  Verkürzung  der 
Objectsdistanz  geschieht  es  da  nicht  selten,  dass  sie  sich  wieder  von  einander  ent- 
fernen und  als  gekretizte  erweisen. 

Aehnliche  Schwankungen  zeigen  sich  bei  excursiven  Veränderungen  der  Blick- 
richtung. Der  Breitenabstand  der  Doppelbilder  und  oft  auch  die  gegenseitige  Nei- 
gung derselben  werden  andere,  wenn  die  Blicklinie  in  verticaler,  horizontaler  oder 
in  schräger  Richtung  von  der  Medianlinie  abweicht.  Die  Doppelbilder  nähern  sich, 
wenn  der  Blick  gehohen,  oder  nach  Seiten  des  fixirenden  Auges  horizontal  von  der 
Medianebene  hinweggelenkt  wird.  Im  letzteren  Falle  bemerkt  man  dann  oft  auch 
ein  plötzliches  Zusammenspringen  derselben  und,  wenn  die  Blickrichtung  nocli  weiter 
in  demselben  Sinne  geändert  wird,  bisweilen  ein  neuerliches  Auseinandertreten, 
wobei  es  jedoch  meistens  überaus  schwer  wird,  sich  zu  überzeugen,  ob  die  Doppel- 
bilder nun  gekreuzte  seien  oder  nicht.  Die  Doppelbilder  entfernen  sich  im  Gegen- 
theile  von  einander,  wenn  die  Visirebene  nach  unten  oder  die  Blicklinie  nach 
Seiten  des  Schielauges  gelenkt  wird.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich ,  dass  diese  Ver- 
änderungen der  Breitenabstände  des  Trugbildes  von  normalen  Verhältnissen  ab- 
hängen, nämlich  von  der,  mit  der  Ablenkung  der  Blicklinie  von  der  Medianlinie 
zunehmenden  Schwierigkeit,  starke  Convergenzen  aufzubringen  (S.  871). 

Am  auffälligsten  macht  sich  die  dritte  Categorie  von  Schwankungen.  Die- 
selben spotten  scheinbar  jedem  Gesetze  und  durchkreuzen  jede  Versuchsreihe  in 
der  störendsten  Weise.  Sie  treten  besonders  bei  Indiviuen  hervor,  welche  zum 
ersten  Male  auf  Doppelbilder  untersucht  werden,  oder  überhaupt  noch  wenig 
Uebung  im  Doppeltsehen  gewonnen  haben.  Es  manifestiren  sich  diese  Schwankungen 
in  einzelnen  Fällen  durch  ein  überaus  zähes  Festhalten  an  einem  bestimmten  Breiten- 
abstande, wenn  das  Object  seine  Distanz  und  relative  Lage  zur  Medianebene 
ändeit.  Wird  aber  eine  gewisse  Grenze  nach  dieser  oder  jener  Richtung  hin  über- 
schritten, so  geschieht  es  nicht  selten,  dass  das  Trugbild  plötzlich  und  mit  einem 
Rucke  eine  unverhältnissmässig  grosse  Ortsveränderuug  macht.  Aehnliches  zeigt 
sich  bei  der  Anwendung  von  Frismen.  Es  scheint  mitunter,  als  hätten  dieselben 
allen  Einfluss  auf  den  Breitenabstand  der  Doppelbilder  eingebüsst,  indem  der 
letztere  sich  nicht  ändert ,  wenn  man  allmälig  stärkere  und  stärkere  Prismen 
mit  der  Basis  nach  innen  oder  aussen  vor  das  eine  Auge  setzt.  Ueberschreitet 
aber  der  Brechungswinkel  ein  gewisses  Mass,  so  verschwindet  entweder  das  Trug- 
bild, oder  erscheint  jjZöte/ic/;  um  ein  bedeutendes  dislocirt,  ist  möglicherweise  wohl 
gar  aus  einem  gleichseitigen  ein  gekreuztes  und  umgekehrt  geworden.  In  den 
meisten  Fällen  jedoch  findet  man  bei  derlei  Versuchen  ein  ganz  unregelmässiges 
Hin-  und  Herspringen  des  Trugbildes.  Dessen  Breitenabstand  wechselt  oft  während 
demselben  Versuche,  wächst  mitunter  bei  allmäliger  Aenderung  der  Objectlage 
eine  Zeitlang  proportional,  fällt  dann  plötzlich,  um  wieder  zu  steigen  u.  s.  w. 
Es  ist  kein  Zweifel,  dass  Veränderungen  der  Kopflage  (S.  878)  bei  unvorsichtigem 
Experimentiren  hierauf  sehr  bedeutenden  Einfluss  nehmen.  Die  Haiqjlquelle  sind 
jedoch  bestimmt  die  bis  zu  einer  gewissen  Grenze  ausführbaren  willkiirlichen  cor- 
rectiven  Innervationen.  In  der  That  werden  bei  fortgesetzter  Uehung  im  Doppelt- 
sehen jene  Schwankungen  allmälig  geringer  und  weniger  unregelmässig,  ja  die 
Kranken  gewinnen  schliesslich  eine  gewisse  Gewalt  über  den  Breitenabstand,  so 
dass  sie  die  ohnehin  wenig  distanten  Doppelbilder  nach  Belieben  einander  zu 
nähern  oder  gar  über  einander  fallen  zu  lassen  im  Stande  sind.  Hat  man  doch 
auf  diese  Beobachtung  eine  eigene  Methode  der  unblutigen  Schiel heilmig  gegründet 
(Javal),  welche  darin  besteht,  dass  man  jedem  der  beiden  Augen  ein  Object  bietet, 
deren  Doppelbilder  durch  Uebung  allmälig  zum  Verschmelzen  zu  bringen  sind. 
Es  hat  sicli  jedoch  ergeben,  dass  dieses  Verschmelzen,  wo  es  wirklich  dazu  kömmt, 
nur  ein  scheinbares  sei,  dass  die  Doppelbilder  nicht  zusammen,  sondern  einfach 
über  einander  fallen  und  dass  dies  gewöhnlich  trotz  einer  noch  sehr  beträchtlichen 
Ablenkung  des  Schielauges  stattfindet  (Alf.    Oraefe,  Schweigger). 


Erklärung  <li'r  liiplopio;  Doppeltselipn  iiacli  Stratotomien.  895 

5.  Entspricht  der  Breitenabstand  der  Doppelbilder  nicht  dem  (Jrrade 
der  strabotischen  Ablenkung,  so  kann  diese  nicht  als  solche  die  nächste 
Ursache  der  Diplopie  sein.  Es  deutet  in  der  Thal,  alles  darauf  hin,  dass 
die  Uesorientirungen  des  Schielauges,  welche  sich  bei  einfacher  Abbien- 
dung des  fixirenden  Auges  zeigen,  ihre  Uuelle  lediglich  m  den  anatomisch 
nachgewiesenen  Veränderungen  tinden,  welche  der  Schiehnuskel  und  sein 
Antagonist  in  veralteten  Fällen  von  Strabismus  convergens  zu  erleiden  ptlegen, 
also  durch  das  Missverhältniss  begründet  werden,  welches  zwischen  der 
beumssten  Innervationsgrösse  und  der  effectiven  Leistung  des  hypertrophirten 
oder  degenerirten  Schielmuskels,  sowie  seines  allmälig  atropidrenden  An- 
tagonisten sich  entwickelt.  Damit  fällt  denn  auch  jeder  essentielle  Unter- 
schied zwischen  den  Projectiousabweichungen,  welche  durch  Strabismus, 
Paralysen,  Krämpfe,  mechanische  Bewegungshindernisse  u.  s.  w.  hervor- 
gerufen werden,  es  müssen  diese  Diplopien  sammt  und  sonders  ihrem 
Wesen  nach  in   eine  und   dieselbe  Categorie   eingereihet  werden. 

Es  spricht  sich  dieses  fehlerhafte  Bewusstsein  der  Lage  des  Schielauges 
in  Fällen,  wo  Diplopie  bei  einfacher  Abbiendung  des  fixirenden  Auges  leicht  her- 
vorzurufen ist,  constant  auch  beim  monocidaren  Sehen  sehr  deutlich  aus,  indem 
die  Kranken  bei  Verdeckung  des  gewöhnlich  fixirenden  Auges  ein  vorgehaltenes 
Objekt  in  der  Regel  verfehlen,  nacli  Seiten  des  Antagonisten  vorbeischiessen,  wenn 
sie  dasselbe  im  raschen  Stosse  mit  dem  Finger  treffen  sollen. 

6.  Der  Hauptbeweis  für  die  Abhängigkeit  der  Desorientirung  der  abge- 
lenkten ISTetzhaut  von  dem  Missverhältnisse  zwischen  der  bewussten  Inner- 
vation und  der  etfectiven  J^eistung  der  betreffenden  Muskeln  liegt  in  dem 
Umstände,  dass  beim  Strabismus  ganz  ähnliche  Projectiousabweichun- 
gen sowohl  durch  Krankhafte  A'eränderungen ,  als  künstlich  durch 
operative  Rücklagerung  der  Muskeln  herbeigeführt  werden.  T'Firklich 
erweist  sich  der  Breitenabstand  der  Doppelbilder,  welche  nach  Straboto- 
mien  sich  so  häutig  bald  vorübergehend  ,  bald  durch  längere  Zeit  mit 
äusserster  Hartnäckigkeit  geltend  zu  machen  pllegen,  ganz  ausser  Verhält- 
niss  zu  der  dui'ch  die  Operation  erzielten  factischen  Lage  des  Schielauges. 
Er  entspricht  vielmehr  unter  allen  Umständen  blos  der  Grösse  der  Rück- 
lagerung selber  und  ist  in  Fällen,  in  welchen  schon  vor  der  Operation 
eine  durch  das  mechanische  Uebergewicht  des  Schielmuskels  begründete 
Diplopie  bestand,  der  Dißerenz  proportionii-t,  welche  sich  aus  dem  frülieren 
Plus  und  dem  jetzigen  Minus  der  mechanischen  Leistungsfähigkeit  des 
tenotomirten   Muskels  ergibt. 

Untersucht  man  die  Kranken  nach  einer  Strahotomie ,  so  findet  man,  dass 
die  Doppelbilder,  auch  wenn  spontane  Diplopie  bereits  fehlt,  durch  Abbiendung 
des  fixirenden  Auges  viel  leichfer  als  vor  der  Operation  manifest  werden  und  oft 
sogar  beliebig  ohne  alle  äussere  Behelfe  zur  Wahrnehmung  gebracht  werden  können. 
Sie  zeigen  anfänglich  dieselben  Schivanlcungen,  wie  voi'  der  Operation,  doch  engen 
sich  die  Schwankungen  hei  fortgesetzter  Uebung  mehr  und  mehr  ein,  während  zu- 
gleich der  Wille  einen  sehr  auffälligen  Einfluss  auf  die  Lage  des  Trugbildes  g-e- 
winnt.  Stets  ist  der  Breitenabstand  der  Doppelbilder  durch  die  Strabotomie  völlig  ge- 
ändert worden,  es  ist  das  Trugbild  des  Schielauges  in  der  Bahn  des  rückgelagerten 
Muskels  aus  seiner  früheren  Lage  hinweggerückt,  es  hat  sich  dem  Bilde  des 
fixirenden  Auges  genähert  oder,  was  gewöhnlich  der  Fall  ist,  es  hat  das  letztere 
beträchtlich  ■überschi-ilten,  so  dass  die  Doppelbilder  nun  aus  gleichseitigen  gekreuzte 
geworden  sind.  Eine  blosse  Verminderung  der  früheren  Projectionsabweichung,  wobei 
die  Doppelbilder  gleichseitig  bleiben,  findet  man  nur  dort,  wo  der  Breitenabstand 
der  letzteren  schon  vor  der  Operation  ein  verhältnissmässig  grosser  war  und  wo 
die  Rücklagerung  des  Muskels  viel  zti  gering  ausfiel,  insbesondere  also  bei  ver- 
alteten  hochgradigen    Strabismen,    wenn  die    operative   Correction    sehr    weit,  hinter 


896  Strabismus  diveigeiis  ;  Krankheitsbild ;  Orientirung  d.  Schielauges. 

dem  Bedarfe  zurttckblieb.  In  allen  anderen  Fällen  verkehren  die  Doppelbilder  ihre 
relative  Stellung  zu  einander  und  ihr  Breitenabstand  erscheint  nach  der  Operation 
um  so  grösser,  je  kleiner  er  vor  der  Tenotomie  und  je  grösser  der  Bogen  war,  um 
welchen  der  Muskelansatz  zurüclcgelagert  wurde.  Die  neue  factische  Lage  des 
Schielauges  ist  dabei  ohne  auffälligen  Einfluss.  In  der  That  findet  man  nach  der 
Strabotomie  gar  oft  gekreuzte  Doppelbilder,  trotzdem  noch  eine  sehr  bedeutende 
strabotische  Ablenkung  nach  innen  fortbesteht.  Um  so  gewisser  aber  macht  sich 
die  binoculäre  Diplopie  mit  relativ  verkehrter  Lage  und  beträchtlichem  Breiten- 
abstande der  Doppelbilder  geltend,  wenn  die  Rücklagerung  den  Bedarf  deckte  oder 
gar  eine  U  eher  cor  reclion  stattgefunden  hat,  während  vordem  entweder  gar  keine 
oder  docli  nur  eine  Diplopie  mit  sehr  geringem  Abstände  der  Doppelbilder  ge- 
geben v/ar. 

7.  Wenn  nun  die  Projectionsabweichuiig  des  Schielauges  in  veralte- 
ten Fällen  lediglich  nur  auf  Rechnung  eines  jVIissverhältnisses  zwischen 
der  aufgewendeten  heiuussten  Innervationsgrösse  und  der  factische»  Leistung 
der  betreffenden  Afuskeln  gebracht  werden  kann:  so  muss  das  abgelenkte 
Auge,  so  lange  der  Strabismus  rein  dasteht,  über  seine  Lage  vollkommen 
orientlrt  sein.  Und  so  ist  es.  Es  lässt  sich  hierfür  wiederum  der  Umstand 
geltend  machen,  dass  in  frischeren  Fällen  von  ständigem,  besonders  aber 
bei  periodischem  und  alternirendem  Strabismus  durch  einfache  Abbiendung 
des  fixirenden  Auges  mittelst  dunkler  Gläser  Doppelbilder  niemals  zu  erzie- 
len sind,  wohl  aber  bisweilen  durch  excursive  Blickdrehungen  und  durch 
Prismen,  voi'zugsweise  mit  vertical  gestellter  Basis;  dass  dann  aber  die  im 
Abstände  und  in  der  Stellung  des  Trugbildes  sich  ergebenden  Veränderun- 
gen mit  jenen  übereinkommen,  welche  sich  bei  functioneller  Integrität  der 
augenbewegenden  Muskeln  zeigen,  wenn  das  Object  dieselbe  Lage  innehält 
oder  beziehungsweise  Prismen  von  gleichem  Brechwerthe  und  gleicher 
Stellung  angewendet  werden  (Alf.    Graefe). 

Dagegen  liefert  das  stete  Gelingen  des  Stossversuehes  bei  Deckung  des 
fixirenden  Auges  nur  einen  schwachen  Beleg.  Auch  fällt  es  nur  sehr 
leicht  ins  Gewicht,  dass  die  strabotisch  abgelenkte  I^etzhaut  beim  Sehacte 
nicht  unthätig  bleibt,  sondern  das  Sehfeld  des  Kranken  nach  Seiten  des 
Schielauges  bedeutend  vergrössert,  indem  sie  wenigstens  von  den  im  zuge- 
hörigen monocularen  Theile  des  Gesichtsfeldes  gelegenen  Gegenständen  Wahr- 
nehmungen vermittelt  und  diese,  wo  nicht  materielle  Veränderungen  der 
Muskulatur  angenommen  werden  können,  auch  in  die  entsprechende  Richtung 
nach  Aussen  projicirt.  Am  wenigsten  aber  darf  man  auf  den  Umstand 
bauen,  dass  durch  Aufrichtung  einer  verticalen  Scheidewand  zwischen 
beiden  geöffneten  Augen,  also  durch  völlige  Trennung  der  beiderseitigen 
Gesichtsfelder,  die  abgelenkte  Netzhaut  ihrer  Totalität  nach  zur  Betheili- 
gung am  Sehacte  gezwungen  werden  kann  und  dann  ihrer  ganzen  Aus- 
dehnung  nach  eine  richtige  Orientirung  bekundet ,  indem  sie  von  allen  in 
ihrem  Bereiche  gelegenen  Objecten  Wahrnehmungen  vermittelt  und  diese, 
so  weit  es  sich  um  die  Richtung  handelt,  richtig  nach  Aussen  projicirt.  Man 
stösst  auf  gleiche  Fähigkeiten  nämlich  in  Fällen,  in  welchen  das  Orientirungs- 
vermögen  der  abgelenkten  Netzhaut  ganz  unzweifelhaft  in  hohem  Grade 
gelitten  hat,  bei  Strabismus  divergens,  nach  Strabotomien,  selbst  bei  längere 
Zeit  bestehenden  Paralysen.  Es  stellt  sich  eben  immer  klarer  heraus,  dass 
Uebung  den  Kranken  bald  in  den  Stand  setzt,  falsche  Projectionen  durch 
Urlheil  zu  corrigiren.  Besonders  auffällig  tritt  dies  nach  beiderseitigen  Stra- 
botomien und  in  Fällen  hervor,  in  welchen  eine  Muskelparalyse  in  einem 
allein  sehtüchtigen  Auge  besteht. 


Unterdiiickiiii}^  il.  W'aln uiliiiiiiiiH.  i\.  .SclüeUuig. ;   ijiosse  u.  l'unii  d.  Unterdruckungsgebietes.       897 

S.  Kill  hinoculares  Sehen  findet  beim  Sh-abismus  nicht  statt,  die  J^in- 
drücke  des  abgelenkten  Ang-es  werden,  so  weit  sie  von  Objecten  kommen, 
welche  innerhalb  des  Gesichtsfeldes  beider  Augen  liegen,  vermöge  dem 
Wettstreite  beider  Netzhäute  nicht  zur  Walirnehmung  gebraclit,  sondern  unter- 
drückt und  dies  zwar  um  so  sicherer  und  um  so  vollständiger,  je  weniger 
die  Energie  der  abgelenkten  Netzhaut  gelitten  hat.  Der  Beweis  für  das 
blos  monoctdäre  Sehen  der  Htraboten  liegt  in  dem  ausnahmslosen  Fehlen  rich- 
tiger Tiefenschätzung  bei  dem  mit  Vorsicht  geleiteten  Fallversuche  (S.  880). 
Der  Schieler  beurtheilt  die  Tiefe,  in  weicher  der  centrale  Eindruck  des 
fixirenden  Auges  erscheint,  lediglich  nach  der  aufgewendeten  Accommo- 
datinnsquote  und  nach  relativ  äusseren  Momenten,  nach  der  Perspective, 
nach  dem  Verhältnisse  der  wahrgenommenen  Bildgrösse  zur  bekannten 
Grösse  des  Objectes  u.  s.  w.  Wo  diese  Hilfen  in  ausreichendem  Masse  ge- 
boten sind,  ist  auch  das  Urtheil  über  den  Abstand  des  fixirten  Objectes 
ein  annähernd  richtiges,  so  dass  Straboteu  sich  ganz  gut  zu  den  feinsten 
Arbeiten  eignen.  Wo  aber  solche  Hilfen  nicht  zu  Gebote  stehen,  wie  beim 
Fallversuche,  da  ist  das  Urtheil  über  die  Raumtiefe  ein  sehr  schwankendes, 
der  Kranke  ist  nur  über  die  absolute  und  relative  Richtung  der  Object- 
punkte  im   Sehfelde   orientirt. 

Es  wurde  neuerer  Zeit  im  Widerspruche  damit  mehrfach  behauptet,  dass 
die  Eindrücke  des  Schielauges  jene  des  fixirenden  an  Intensität  steigern,  ja  dass 
bei  Schielern  stereoscopisches  Selien  bestehen  könne.  Man  war  daher  zur  Annahme 
gezwungen,  es  bilde  sich  bei  Straboten  ein  neues  Identitätsverhältniss  beider  Netz- 
häute aus,  vermöge  welchem  der  Kranke  befähigt  wird,  binoculär  einfach  zu  sehen 
und  die  Objecte  des  gemeinschaftlichen  Gesichtsfeldes  nach  Richtung,  Entfernung 
und  gegenseitiger  Lage  den  geometrischen  Verhältnissen  entsprechend  richtig  zu 
projiciren  (Alf.  Graefe,  Scluoeigger).  Es  liegt  jedoch  auf  der  Hand ,  dass  bei  der 
Wandelbarkeit  des  Schielwinkels  unmöglich  Ein  neues  Identitätsverhältniss  diesen 
Anforderungen  genügen  könne,  dass  vielmehr  für  jede  Stellung  der  Augen  ein 
anderes  Identitätsverhältniss  nothwendig  wäre,  was  absurd  ist.  Es  lässt  sich  eben 
auf  der  Basis  des  hinocidaren  Einfachsehens  gar  kein  Identitätsverhältniss  construiren, 
zumal  das  binoculare  Einfachsehen  mit  disparaten  Netzhautbildern  längst  erwiesen 
ist  und  jeder  einzelnen  Stelle  der  einen  Netzhaut  eine  grosse  AnzaJil  Stellen  der 
anderen  Retina  so  wie  umgekehrt  zu  identificiren   wäre. 

Dazu  kömmt,  dass  jene  Beobachtungen  von  einer  Verstärkung  der  centralen 
Eindrücke  des  fixirenden  Auges  durch  das  Schielauge,  ebenso  wie  die  Beobach- 
tungen vom  stereoscopischen  Sehen  bestimmt  auf  Täuschung  beruhen.  In  der  That 
finden  intelligente  Kranke,  soviel  man  deren  untersuchen  mag,  keinen  Unterschied 
in  der  Deutlichkeit  der  von  einem  fixirten  Objecte  gewonnenen  Wahrnehmungen, 
wenn  man  ihnen  unbewusst  einen  Schirm  vor  das  abgelenkte  Aiige  schiebt.  Ganz 
Gleiches  gilt  auch  von  den  Versuchen  mit  Stereoscopen.  Es  kann  nicht  geläugnet 
werden,  dass  Schieler  bei  grosser  Aufmerksamkeit  die  Objecte  des  Gesichtsfeldes 
körperlich  sehen.  Versetzen  doch  ^ogar  Einäugige  nicht  alle  ihre  gleichzeitigen 
Gesichtseindrücke  in  eine  und  dieselbe  Fläche,  sondern  wissen  die  Tiefenabstände 
aus  der  Vertheilung  des  Lichtes  und  Schattens,  aus  der  Perspective  u.  s.  w.  inner- 
halb gewisser  Grenzen  ganz  wohl  zu  beurtheilen  und  nicht  minder  eine  gut  ge- 
zeichnete stereoscopische  FläcJienßgur  unter  Beihilfe  geistiger  Functionen  körper- 
lich zu  gestalten.  Es  zeigt  sich  aber  auch  hier,  dass  Deckung  des  dem  abgelenkten 
Auge  entsprechenden  Stereoscopoculares  die  körperliche  Wahrnehmung  durchaus 
nicht  aüerirt,  zum  sicheren  Beweise,  dass  dabei  nur  vionoculares  Sehen  das 
Substrat  liefert. 

9.  Die  Unter  drückung  sthätigkeit  beschränkt  sich  auf  die  centralen  Theile 
der  abgelenkten  Netzhaut,  also  auf  jenes  Gebiet,  welches  die  kräftigsten 
Eindrücke  liefert  und  die  Aufmerksamkeit  vorwiegend  fesselt.  Bei  alt.er- 
nirendem  Strabismus  fällt  es  bald  auf  die  eine  bald  auf  die  andere  Seite, 
je  nachdem  dieses   oder  jenes  Auge  zur  Fixation   verwendet  wird. 

st  eil  wag,  Augenheilkunde.  57 


898    Strabismus  convergens;  Krankheitsbild  ;  Anaestliesia  centralis;  Schielablenkung  als  Willküract. 

Es  lässt  sich  dieses  Unterdriickungsgebiet  durch  Bewaffnung  des  strabotischen 
Auges  mit  Prismen  deutlich  nachweisen.  Es  zeigen  sich  nämlich  nur  dann 
Doppelbilder,  wenn  das  Netzhautbild  des  fixirten  Objectes  durch  das  Prisma  über 
eine  gewisse  Grenze  hinaus  dislocirt  wird.  Es  bedarf  gewöhnlich  nur  schwacher 
Prismen,  wenn  deren  Basis  nach  Oben  oder  Unten  gekehrt  wird,  hingegen  sehr 
starker,  wenn  die  Basis  nach  Ein-  oder  Auswärts  sieht. 

Das  Unterdrückungsgebiet  nach  Lage  und  Grösse  zu  umschreiben 
und  Gesetze  für  seine  Ausdehnung  in  den  einzelnen  Fällen  zu  formuliren, 
war  bisher  nicht  möglich.  Jedenfalls  erstreckt  sich  dasselbe  nicht  über 
das  gemeinschaftliche  Sehfeld  beider  Augen,  welches  vermöge  der  straboti- 
schen Ablenkung  selbstverständlich  ein  von  der  Norm  verschiedenes  gewor- 
den ist,  hinaus. 

10.  ^'iell eicht  fällt  das  Unterdrückungsgebiet  zusammen  mit  dem  Be- 
reiche der  centralen  Anaesthesie,  welche  in  veralteten  Fällen  von  Strabis- 
mus sehr  gewöhnüch  nachzuweisen  und  unzweifelhaft  auf  Anopsie,  d.  h. 
auf  eine  durch  dauernde  Functionsunthätigkeit  herbeigeführte  Stumpfheit 
der  Netzhautelemente  zurückzuführen  ist,  indem  materielle  Veränderungen 
in  der  Regel  fehlen  und  systematische  Sehübungen  des  strabotischen  Auges 
die  functionelle  Energie  der  anoptischen  Elemente  wieder  bedeutend  hebe7i 
oder  gar  zur  Norm  zurückführen  können.  Es  loechselt  dieses  anaesthetische 
Gebiet  bei  verschiedenen  Kranken  ausnehmend  nach  Umfang  und  Gestalt. 
Seine  Grenzen  sind  oft  sehr  verschwommen,  doch  stösst  man  bisweilen  auch 
auf  Fälle,  wo  dasselbe  scharfe  Contouren  zeigt  und  z.  B.  eine  Sternfigur 
als  ein  Kranz  von  radiären  Strichen  gesehen  wird,  indem  ihre  Mitteltheile 
unsichtbar  bleiben.  Die  Sehschärfe  nimmt  innerhalb  des  anoptischen 
Gebietes  ziemlich  gleichmässig  vom   Centrum   gegen  die  Peripherie    hin  zu. 

Ausnahmsweise  finden  sich  wirkliche  Amhlyopien  und  auch  wohl  centrale 
Unterbrechungen,  welche  die  Kranken  beim  monocularen  Sehen  zwingen,  excentrisch 
zu  fixiren. 

Die  Behauptung,  es  gehe  die  centrale  Anaesthesie  strabotischer  Augen  der 
Entwicklung  des  Schielens  in  der  Kegel  voraus,  widerlegt  sich  auf  das  Schlagendste 
durch  den  Umstand,  dass  anoptische  Gebiete  nur  in  Fällen  veralteten  Schielens 
ein  regelmässiges  A^orkommniss  sind  und  in  den  Anfangssfadien  des  Leidens, 
insbesondere  beim  periodischen  und  alternirenden  Schielen  fast  constant  fehlen. 

1 1 .  Die  richtige  Orientirung  des  Schielauges  setzt  das  volle  Bewusst- 
sein  der  Lage  der  abgelenkten  Netzhaut  im  Baume  nothwendig  voraus. 
Folgerecht  kann  die  strabotische  Ablenkung  nur  das  Resultat  einer  will- 
kürlichen Innervation  sein. 

Diese  Behauptung  wird  im  ersten  Augenblicke  befremden ;  doch  darf 
man  nicht  aus  dem  Auge  verlieren,  dass  die  strabotische  Ablenkung,  so- 
weit dabei  nicht  materielle  Veränderungen  der  Muskulatur  concurriren,  im 
Tode,  im  tiefen  Schlafe  und  in  voller  Narcose  verschivindet.  Im  Uebrigen 
lässt  sich  der  Einfluss  tvillkürlicher  Innervationen  ebenso  wie  auf  die  Blick- 
richtung, so  auch  auf  die  Convergenz  der  Straboten  mit  voller  Sicherheit 
nachweisen.  Im  Beginne  des  Leidens  genügt  es  meistens,  den  Kranken 
auf  sein  Schielen  aufmerksam  zu  machen,  auf  dass  derselbe  die  Ablenkung 
sogleich  corrigirt.  Unterwirft  man  Fälle  von  periodischem  Strabismus  der 
Untersuchung,  so  findet  man  der  Regel  nach  in  jedem  einzelneu  Falle 
eine  bestimmte  Distanz,  bis  auf  welche  ein  in  der  Medianebene  gelegenes 
Object  den  Augen  genähert  werden  kann,  ohne  dass  es  zur  strabotischen 
Ablenkung    kömmt.      Bis   auf  diesen   Abstand   hin   ist  die   Convergenz    eine 


V'tM'liallinss  il.  8cliiol;ililtMil(ung  zur  i^cf'cirdprtcu   Ari-(iminiiiliitiims(|uuf,c.  899 

völlig  proportionirte  und  fitidet  binoculares  Einfachseheu  mit  directer  Tiefen- 
wahrnehmung statt,  daher  auch  keine  Irrungen  beim  Fallversuche  vorkommen. 
Wird  diese  Distanz  aber  um  ein  Weiteres  verkürzt,  so  stellt  sich  sogleich 
das  Schielen  ein,  indem  das  eine  Auge  plötzlich,  mit  einem  ]lucke,  um  ein 
Bestimmtes  nach  Innen  weicht.  Das  binocuUive  Sehen  hat  nun  ein  Ende 
und  die  Tiefen  Schätzung  basirt  nur  mehr  auf  dem  Bcwusstsein  der  aufge- 
wendeten Accommodationsquote  und  auf  äusseren  Behelfen.  Im  Uebrigen 
verhält  sich  dann  die  Convergcnz  bei  weiterem  Heranrücken  des  fixirten 
Gegenstandes  ähnlich,  wie  beim  ständigen  convergenten  Strabismus.  Bis 
auf  eine  gewisse  Grenze  hin  fällt  der  Grundwinkel,  d.  i.  der  Winkel, 
welchen  die  Gesichtslinie  des  abgelenkten  und  des  flxirenden  Auges  mit 
der  Grundlinie  einschliesst,  proportianal  der  Distanzverkürzung.  Ueber- 
schreitet  das  Object  aber  die  Grenze,  so  beginnt  die  Ablenkung  eine  um-egel- 
mässige  zu  werden  und  der  Schielwinkel  sich  allmälig  zu  verkleinern  (S.  890), 
indem  die  Leistimg  des  Schielmuskels   eine  unzureichende   wird. 

Es  steht  die  strabotische  Ablenkung,  welche  sich  in  Fällen  periodi- 
schen Schieleus  bei  Annäherung  des  Objectes  an  die  Grundlinie  einstellt, 
ohne  Zweifel  im  Zusammenhange  mit  der  zur  Fixation  des  Objectes  erfor- 
derlichen Accommodationsquote.  Wäre  nämlich  der  steigende  Convergenz- 
hedarf  das  Ursächliche,  so  müssten  Prismen  einen  merklichen  Einfiuss  auf 
die  Schielbeweguug  nehmen,  was  nicht  der  Fall  ist,  insoferno  nämlich  bei 
ihrer  Application  der  Abstand  des  Fixationsobjectes,  welcher  die  strabotische 
Ablenkung  auslöst,  ganz  derselbe  bleibt,  d.  i.  durch  Prismen  mit  der  Basis 
nach  Innen  nicht  hinaus-  und  durch  Prismen  mit  der  Basis  nach  Aussen 
nicht  herein  gerückt  wird.  Wohl  aber  zeigt  sich  im  Gegentheile  eine 
höchst  bedeutende  BeeinÜussung  dieser  Grenze  des  binoculären  Sehens 
von  Seite  sphärischer  Gläser,  welche  den  Accommodationsbedarf  steigern 
oder  herabsetzen.  Concavgläser,  welche  bei  unveränderter  Objectsdistanz 
die  zum  Scharfsehen  erforderliche  Accommodationsquote  erhöhen,  schieben 
die  Grenze  des  binoculären  Sehens  im  Verhältnisse  zu  ihrem  Brechwerthe 
hinaus  und  lassen  unter  Umständen  die  strabotische  Ablenkung  wohl  auch 
schon  bei  der  Betrachtung  sehr  ferner  Gegenstände  hervortreten.  Convcx- 
gläser  dagegen,  welche  den  Accommodationsbedarf  vermindern  und  wohl 
auch  annuUiren,  rücken  die  Grenze  des  binoculären  Sehens  herein  oder 
lassen  sie  beziehungsweise  mit  der  normalen  Grenze  zusammenfallen,  so  dass 
allenthalben,  so  weit  im  Normalzustände  dies  möglich  ist,  binoculares  Ein- 
fachsehen stattfindet. 

Diese  Leistung  der  den  Accommodationsbedarf  vermindernden  Con- 
vexgläser  beschränkt  sich  übrigens  nicht  blos  auf  Fälle  periodischen 
Schielens,  sondern  erstreckt  sich  im  Allgemeinen  auch  auf  ständig  gewor- 
dene convergente  Strabismen,  zum  Beweise,  dass  auch  bei  diesen  die  stra- 
botische Ablenkung  lediglich  durch  den  ununterbrochenen  Bedarf  gewisser 
Accommodationsquoten  unterhalten  wird.  So  weit  selbstverständlich  nicht 
materielle  Veränderungen  der  Muskulatur  dabei  concurriren,  die  strabotische 
Ablenkung  also  blos  auf  der  Schielinnervation  beruht,  lassen  sich  derlei 
ständige  Strabismen  in  der  That  fast  durchwegs  durch  (^onvexgläser  von 
bestimmtem  Brechwerthe  corrigiren  und  gewissermassen  in  die  periodische 
Form  umsetzen.  Nimmt  man  nämlich  von  mehreren  Convexgläsern,  welche 
den  Strabismus  corrigiren,  das  schwächste,  so  findet  man  in  der  Regel,  dass 
richtige    binoculäre    Fixation   mit  directer  Tiefenwahrnehmung    nur  bis  zu 

57* 


900      Strabismus  convergens ;  Krankheitsbild ;  Verliält.  d.  Seliielablenkimg  z.  Accoimiiodatioiisquote. 

einer  gewissen  Grenze  ermöglicht  wird ,  dass  diese  Grenze  jedoch  mit 
der  Steigerung  des  Brechwei'thes  sich  dem  A.uge  nähert  und  schliesslich  mit 
der  normalen  zusammenfällt. 

Im  Grossen  und  Ganzen  kann  man  sagen,  dass  die  Aeeommodations- 
quote,  welche  die  strabotische  Ablenkung  des  Schielauges  auslöst,  bei  ver- 
schiedenen  Kranken  eine  ausserordentlich  verschiedene,  bald  sehr  hohe,  bald 
sehr  geringe,  ja  fast  verschwindende  ist,  so  dass  die  Kranken  während  ihrem 
Wachsein  das  Schielen  stetig  unterhalten  müssen.  Im  speciellen  Falle  je- 
doch ist  sie  jeweilig  eine  ziemlich  bestimmte,  insoferne  die  strabotische  Ab- 
lenkung immer  nur  eintritt  und  so  lange  dauert,  als  jene  eine  gewisse 
Grenze  überschreitet. 

Insoferne  nun  die  Aufbringung  einer  gewissen  Accommodationsquote 
eine  willkürliche  Thätigkeit  ist,  erscheint  auch  die  sti'abotische  Ablenkung 
als  das  Resultat  eines  Willküractes.  Um  sich  nicht  zu  verwirren,  muss 
man  eben  sehr  wohl  zwischen  willkürlichen  und  ganz  freiwilligen  Bewe- 
gungen unterscheiden.  Freiwillig  ist  nur  die  die  strabotische  Ablenkung 
in  sich  schliessende  gesammte  Coordinationsbewegimg,  d.  i.  die  zum  Scharf- 
sehen des  fixirten  Objectes  erforderliche  Innervation  des  Accommodations- 
muskels  und  der  Convergenzmuskeln  in  ihrer  Verquickung,  nicht  aber  jede 
dieser  Innervationen  für  sich;  wird  ein  Willensimpuls  von  bestimmter  Stärke 
auf  den  Accommodationsmuskel  geworfen,  so  trifft  auch  die  Convergenzmus- 
ktdatur  unausbleiblich  eine  Innervation  von  bestimmter  Grösse,  ohne  dass 
jedoch  willkürliche  Correctionen  innerhalb  gewisser  Grenzen  ausgeschlossen 
sind,  wie  im  Normalzustände  die  relative  Accommodations-  und  Convergenz- 
breite,  bei  Straboten  aber  die  Schivankungen  bezeugen,  welche  bei  den 
ersten    V'ersuchen   die  Breitenabstände   der  Doppelbilder  ergeben. 

Dass  bei  Schielern  Accommodatiousquoten  von  bestimmter  Grösse 
sich  nicht  mit  entsprechenden,  sondern  übermässigen  Convergenzquoten  coor- 
dinireu,  findet  seine  Erklärung  in  dem  Umstände,  dass /o?'c?rfe  Convergenzen  mit 
Aufgeben  des  binoculären  Sehactes  eine  bedeutende  Erhöhung  des  maxi- 
malen Refractionszustandes,  also  eine  Verminderung  der  für  eine  bestimmte 
Distanz  erforderlichen  Accommodationsquote  mit  sich  bringen. 

Als  Nahepunkt  wird  eben  immer  die  kürzeste  Distanz  betrachtet,  in 
welcher  ein  scharfes  und  deutliches  binoculare.s  Sehen  möglich  ist,  bis  zu 
welcher  der  Refractionszustand  und  der  Convei'genzwinkel  proportional 
wachsen.  Doch  hat  daselbst  die  Convergenz  und  der  Accomraodations- 
zustaud  keineswegs  das  Maximum  erreicht,  vielmehr  gestatten  forcirte 
Innervationen  noch  ein  stärkeres  Zusammenueigeu  der  Gesichtslinien  und 
eine  weitei'e  Steigerung  des  Refractionszustandes.  Es  ist  aber  die  Ver- 
grösserung  des  Convergenzwinkels  und  die  ihr  coordinirte  Erhöhung  des 
Accommodationszustandes  diesseits  des  Nahepunktes  nicht  mehr  eine  verhält- 
nissmässige,  sondern  letztere  schleppt  hinter  der  ersteren  merklich  nach,  es 
bedarf  unverhältnissmässig  grosser  Convergenzsteigerungen,  um  den  Refrac- 
tionszustand um  ein  Gewisses  zu  heben.  Das  Scharfsehen  eines  diesseits 
des  binoculären  Nahepunktes  gelegenen  Objectes  setzt  demnach  das  -4m/- 
geben  des  binoculären  Sehactes  voraus.  Wird  unter  solchen  Umständen  der 
Nahepunkt  genähert,  die  Accnmmodationsbreite  demnach  vergrössert,  so  resul- 
tirt  offenbar  eine  Verminderung  der  Accommodalioiisquote,  welche  für  jede 
beliebige,   innerhalb    der  deutlichen  Sehweite  gelegene  Objectsdistanz  erfor- 


Ursachen  uiitl  Vorlauf.  901 

derlieh  ist;  die  übermässige  Convorgenz,  H.  i.  die  strabolische  Ablenkung, 
erscheint  als  ein  Mittel,  die  Accommodationsarbeit  unter  Aufopferung  des 
hinoculären  Sehactes  zu   erleichtern. 

Ein  Beispiel  wird  dies  erläutern.  Es  soll  eine  bestimmte  Beschäftigung 
einen   Objectsabstand    von    10   Zoll   erheischen.     Ein  Emmctrope   mit    der  Accommo- 

dationsbreite      =  wird  dazu  eine  Accommodationso'Mote  q  =    —  =   -.t-    be- 

nöthigen,  da  die  relative  Einstellung  —  =  ^  —  -^  für  jenen  Objectsabstand  ist. 
Bei  Hypermetropie  —  -  und  einer  Accommodationsbreite  -  wäre  q  =  — ,  indem 
hier       =     -„    —  I —  ^^  )  =     r     ist.    Würde    dieser    Hypermetrope     durch    üher- 

e  10  \  10  /  5  ■'  '  l 

»lÖÄÄij'e  Convergenz  seinen  Nahepunkt  von  10"  auf  6'66"  zu  bringen  vermögen,  so  er- 
schiene seine  Acconimodationsl)reite  —  =  und    folgerecht    würde    eine    Accom- 

moAa.i\onsqtiote  q  =:  -—  hinreichen,  um  sich  auf  10"  einzustellen. 

Ursachen  und  Verlauf.  Die  nächste  Veranlassung  zum  conver- 
girenden  Schielen  geben  immer  Beschäftigungen,  welche  die  Aufwendung 
und  Erlialtung  einer  grösseren  Accommodaüonsquote  ei'heischen.  Daher 
entwickelt  sich  das  convergente  Schielen  häufig  schon  sehr  frühzeitig  bei 
Kindern,  deren  Aufmerksamkeit  oft  und  dauernd  auf  kleine,  nahe  gelegene 
Gegenstände  gelenkt  wird,  welchen  Bilderbücher  und  ähnliche  Spielzeuge, 
die  ein  scharfes  und  deutliches  Sehen  in  kurze  Distanzen  erfordern,  zur 
Unterhaltung  geboten  werden.  In  der  Regel  stellt  sich  das  convergirende 
Schielen  jedoch  erst  beim  Beginne  der  Lernzeit  ein,  wenn  die  Kinder  stun- 
denlange zum  Lesen ,  Schreiben  und  ähnlichen  Beschäftigungen  ange- 
halten werden. 

In  Uebereinstimmung  damit  ist  der  Strabismus  convergens  bei  Stadtkindern 
in  einem  viel  höheren  pi-ocentarischen  Verhältnisse  vertreten,  als  bei  den  Spröss- 
lingen  der  Dorfbeicohner,  zumal  jener  Länder,  welche  auf  die  Schulbildung  wenig 
oder  kein   Gewicht  legen. 

Alles,  was  den  Accommodationsbedarf  erhöht,  steigert  auch  die  Neigung 
zum  Schielen.  Insoferne  können  unzureichende  Beleuchtung ,  finstere 
Locale,  schlechte  Haltung  des  Kindes  bei  der  Beschäftigung  etc.  einen 
empfindlichen  Einiluss  auf  das  leichtere  Zustandekommen  der  strabotischen 
Ablenkung  nehmen.  Nicht  ganz  selten  wird  aus  gleichem  Grunde  auch 
das  Tragen  zu  scharfer  Concavgläser,  oder  die  Benützung  der  für  die  Ferne 
passenden  Zerstreuungsbrillen  zum  Nahesehen  die  Quelle  von  Strabismus 
convergens  bei   Myopen. 

Aehnliches  gilt  von  Trübungen  der  dioptrischen  Medien,  besonders  der 
Hornhaut  beider  Augen,  insoferne  sie  die  Sehschärfe  beträchtlich  herab- 
setzen und  die  Kranken  zwingen,  die  Objecte  näher  an  die  Augen  heran- 
zurücken,  um   einigermassen   deutliche   Wahrnehmungen  zu  gewinnen. 

j^icht  minder  haben  directe  Beobachtungen  herausgestellt  ,  dass 
Paresen  im  Verzweigungsgebiete  der  oculopupillai'en  Portion  des  dritten 
Gehirnnervenpaares,  wie  selbe  theils  selbständig,  theils  an  Lähmung  der 
augenbewegenden  Muskeln  gebunden  vorkommen  und  bisweilen  im  Gefolge 
von  Diphtheritis  faucium  (Donders)  auftreten,  nicht  ganz  selten  zum  conver- 
girenden  Schielen  führen.  Es  entwickelt  sich  unter  so  bewandten  Um- 
ständen nämlich  der  Strabismus  immer  während  dem  Bestände  der  Läh- 
mung. Ist  die  Schielinnervation  aber  einmal  erlernt  und  durch  Uebung 
eingewurzelt,     so  wird     dieselbe    nicht    mehr  aufgegeben,     auch    wenn    die 


902  Strabismus  convergeiis;  Ursachen  und  Verlanf;  Hypermetropie. 

ursprüngliche   Paresis  zur  Heilung     gelangt  und    die  Aufbringung     grosser 
Accommodationsquoten  nicht  mehr  Bedürfniss  ist. 

Ausserdem  ist  es  eine  alte  Erfahrung,  dass  das  convergente  Schielen 
bei  Kindern  gerne  nach  schweren  Allgcmeinkrankheiten  sich  entwickelt, 
welche  die  Accoramodationsbreite  sehr  beträchtlich,  wenn  auch  nur  vor- 
übergehend,  vermindern  (Arll). 

Obenan  steht  unter  den,  den  Accommodationsbedarf  erhöhenden  und 
darum  zum  convergirenden  Schielen  disponirenden  Verhältnissen  selbst- 
verständlich die  Hypermetropie.  In  der  That  ist  die  grösste  Anzahl  der 
mit  convergentem  Schielen  Behafteten  hjpermetropisch.  Es  ist  dabei  sehr 
wahrscheinlich,  dass  nicht  sowohl  die  Hj^permetropie  allein,  als  vielmehr 
in  Verbindung  mit  relativ  geringerer  Accommodationsbreite  das  eigentlich 
Massgebende  sei.  Während  nämlich  bei  jugendlichen,  nicht  schielenden 
Hypermetropen  sehr  häufig  die  Accommodationsbreite  ganz  ausseror- 
dentlich erhöht  erscheint,  so  dass  selbst  die  feinsten  Ai'beiten  ohne  sonder- 
liche Anstrengung  geleistet  werden  können  ;  stösst  man  bei  slrahotischen 
Hypermetropen,  auch  wenn  sich  der  Refractionsfehler  als  ein  sehr  massi- 
ger erweiset,  ungemein  häufig  auf  das  Unvermögen,  die  feinsten  Num- 
mern Jaeger  zu  entzifi'ern,  die  Accommodationsbreite  ist  wenig  oder  gar 
nicht  gesteigert,  ja  mitunter  gar  unter  dem  mittleren  Masse. 

Unter  4000  Kranken  fand  sich  der  Strabismus  internus  in  etwas  mehr  als 
'2%  und  bei  sämmtlichen  Uehersichtigen  in  etwas  mehr  als  16%.  Unter  den  84 
convergent  Schielenden  waren  Hypermetropen  80-24%,  Myopen  4-94%,  Emmetvopen 
2*47%,  mit  Trülmngen  der  dioptrischen  Medien  Behaftete,  4*94  %.  Der  Refractions- 
zustand  wurde  nicht  untersucht  in  7"40"/o.    Unter  den  64  Hypermetropen  waren  49, 

also    über    ^4   Individuen,    deren    Eefractionszustand    zwischen    —  -—    und  —     -^ 
schwankte,  bei  9  war  der  Eefractionszustand  —      „    und    darüber,    bei    6    war    er 


28 


—  —  und  darunter.  Der  höchste  Grad  war  —  — .  Unter  den  mit  Myopie  behaf- 
teten Straboten  war  Einer,  dessen  Eefractionszustand  ^^  ,  ein  anderer  mit  circu- 
lärem  Staphyloma  posticinn  und  Hornhautflecken  behafteter,  wo  der  Eefractionszu- 
stand —  betrug.  —  Nach  einer  anderen  Zählung  (H.  Cohn)  waren  unter  239  hyper- 
metropischen  Kindern  158,  also  mehr  als  56%  schielend  und  zwar  waren  darunter 
9-5%  bei  Hypermetropie   --   —    l--^  80%  bei  Hypermetropie   ~ ^-;   10-5% 

bei  Hypermetropie    —  —  — .    Eine  Zunahme    des  Procentes  nach    dem  Alter   und 

nach  den  bisher  in  der  Schulzeit  zugebrachten  Jahren  wurde  dabei  nur  in  den 
Elementar-  und  Dorfschulen,  nicht  mehr  aber  in  den  Mittel-,  Töchter-,  Eealschulen 
lind  Gymnasien  beobachtet. 

Im  allgemeinen  sind  es  die  mittleren  Grade  der  Hypermetropie,  welche  das 
grösste  Contingent  der  Straboten  liefern.  Es  könnte  demnach  scheinen,  als  ob  bei 
hohen  Graden  der  Hypermetropie,  bei  welchen  der  Accommodationsl)edarf  doch 
ein  im  Verhältnisse  gesteigerter  ist,  die  Neigung  zum  Schielen  im  directeu  Wider- 
spruche mit  der  aufgestellten  Behauptung  eine  gerirtge^-e  sei.  Man  darf  hiebei  jedoch 
nicht  übersehen,  dass  hohe  Grade  von  Hypermetropie  im  Kindesalter,  wo  die 
senile  Involution  noch  nicht  mit  dem  Flachbaue  concurrirt,  nicht  häufig  vor- 
kommen und  darum  nur  einen  geringen  Percentsatz  liefern  können.  Würde 
man  das  procentarische  Verhältniss  der  schielenden  und  nicht  schielenden  hochgra- 
digen Hypermetropen  für  sich  herausheben,  so  würde  sich  das  Resultat  wahr- 
scheinlich ganz  anders  gestalten.  Im  Uebrigen  muss  im  Auge  behalten  werden,  dass 
bei  den  Gradbestimmungen  der  Hypermetropie  meistens  nicht  der  wirkliche  äusserste, 
sondern  der  manifeste  Fernpunktabstand  gemessen  wird  und  dass  während  der 
Schulzeit,  wo  die  Kinder  viel  und  dauernd  accommodiren  müssen,  sehr  bedeutende 
Diiferenzen  des  Eefractionszustandes  durch  die  Convexitätsvermehrung  der  Linse 
gedeckt    werden.     Man    darf    daher    unbesorgt    annehmen,    dass    manche     der    mit 


Begünstigentlo  Moiiinito;  SUiiuiij^oii  il.  f^cmoiiiscliiiftl.  Sehactes  ;  Uebungeii  im  Convergireii.      903 

Str<al)ismns  combinirten  mittleren  Grade  der  Hypcrmetropie  eigentlich  zu  den 
hohen  zu  rechnen  seien  und  «/.v  solche  das  frühzeitige  Auftreten  des  convergirendeii 
Schiolens  begründet  haben.  Indem  nämlich  die  strabotische  Ablenkung  häufig 
schon  lange  vor  und  der  Regel  nach  im  Beginne  der  Lernzeit  zu  Stande 
kömmt,  kann  eine  nachträgliche  Erhöhung  des  Refractionsrcv Standes  \\w\  selbst 
eine  bedeutende  Sfeigentng  der  Acconnnodationsbreite  wegen  erlangter  Uebung 
und  damit  herbeigeführter  Hypertrophie  der  ciliaren  Kreismuskelfasern  nicht  mehr 
sich  geltend  machen. 

Immerhin  lässt  sich  nicht  Uiugnen,  dass  eine  grosse  Anzahl  hoch- 
gradig Hypermetropischer  trotz  angestrengter  Accommodationsarbeif-  den 
hinocuVdren  Sehact  erhält  und  dass  umgekehrt  das  convergirende  Schielen 
sich  oft  genug  bei  Individuen  entwickelt ,  welche  unter  den  günstigsten 
Bedingungen  sich  mit  kleinen  imd  nahe  an  das  Auge  hei'anzurückenden 
Objecten  beschäftigen.  Es  müssen  daher  noch  andere  Umstände  in  der 
Pathogenese  des  convergenten  Schielens  mitwirken  und  machen,  dass  bei 
verschiedenen  Individuen  sehr  verschiedene  Accommodationsquoten  die  Schiel- 
innervation  auslösen. 

Es  sind  in  dieser  Beziehung  vorerst  gewisse  abnorme  Verhältnisse 
zu  berücksichtigen,  welche  den  gemeinschaftlichen  Sehact  minder  tverthvoll 
machen  oder  gar  stören,  indem  sie  nur  verschwommene,  verzerrte  oder 
durch  Spectra  getrübte  Bilder  auf  der  einen  Netzhaut  zu  Stande  kommen 
lassen.  Hierher  gehören  grössere  Unterschiede  in  dem  Refractionszustande 
beider  Augen,  einseitiger  abnoi'mer  Astigmatismus  und  besondei's  Trübungen 
der  einen  Hornhaut.  Der  Einfluss,  welchen  derlei  Zustände  auf  die  Ent- 
wickelung  des  Schielens  nehmen,  zeigt  sich  in  der  That  nicht  blos  in  der 
relativen  Häufigkeit  derselben,  sondern  auch  in  dem  Umstände,  dass  in 
der  Regel  das  zum  scharfen  Sehen  minder  taugliche  Auge  dasjenige  ist, 
welches  strabotisch  abgelenkt   wird. 

Von  hervorragender  Wichtigkeit  ist-  die  grössere  oder  geringere 
Leichtigkeit,  mit  welcher  verschiedene  Individuen  auch  unter  normalen  Ver- 
hältnissen die  Innervation  für  überm,ässige  Convergenzen  aufbringen  und 
incongruente  Bilder  der  einen  Netzhaut  unterdrücken.  Es  liegt  nämlich  auf 
der  Hand,  dass  eine  starke  Entwickelung  dieser  Fähigkeit  das  Auftreten 
des  Strabismus  sehr  begünstigen,  deren  Mangel  aber  die  Ausbildung  des 
Schielens  erschweren  oder  gar  unmöglich  machen  müsse.  Dazu  kömmt  dann, 
dass  diese  Fertigkeiten  durch  fortgesetzte  Uebungen  sich  allmälig  steigern 
lassen  und  damit  die  Bedingungen  für  die  strabotische  Ablenkung  günsti- 
ger und  günstiger  gestalten.  Im  Einklänge  damit  ist  denn  auch  der  Sti'a- 
bismus  anfänglich  immer  ein  intercurrenter,  periodischer,  er  tritt  nur  hervor, 
wenn  grössere  Accommodationsquoten  gefordert  werden.  Allmälig  aber 
schielt  der  Kranke  häufiger,  die  Ablenkung  erfolgt  leichter  und  leichter, 
bis  sie  schliesslich  eine  ständige  wird,  indem  selbst  ganz  kleine  Accommo- 
dationsquoten nur  mehr  imter  der  Beihilfe  der  Schielinnervation  aufge- 
bracht und   erhalten  werden. 

Es  ist  nicht  unwahrscheinlich ,  dass  häufiges  forcirtes  Conver- 
giren,  wie  es  von  Kindern  nicht  selten  muthwilliger  Weise  geübt  wird, 
durch  allmälige  Steigerung  der  Convergenzfähigkeit.  den  Strabismus  vor- 
bereitet, und  wo  andere  Verhältnisse  der  Entwickehing  desselben  günstig 
sind,  ihn  auch  wirklich  ins  Leben  ruft.  Man  will  in  der  That  das  con- 
vergente  Schielen  in  Schulen,  in  welchen  solche  Spiele  getrieben  werden, 
förmlich  grassiren  gesehen   haben   (H.    CohnJ, 


904  Strabismus  convergens;  Ursachen  uiifl  Verlauf:  Strah.  converg.  bei  Myopie. 

Es  ist  auch  ganz  gut  denkbar,  dass  kleine  Kinder,  welche  oft  und 
lange  in  einer  Stellung  erhalten  werden,  die  sie  zwingt,  bei  starker  Sei- 
tenhlickricTitnng  nahe  Gegenstände  zu  fixiren,  leichter  den  Strabismus  er- 
lernen (Arlt),  indem  starke  Seitenblickrichtungen  die  Accommodation  und 
Convergenz  erschweren,  die  zum  Scharf-  und  Deutlichsehen  naher  Gegen- 
stände erforderlichen  Quoten  demnach  ei'höhen,  also  die  Augenmuskeln 
stärker  zu  innerviren  nöthigen. 

Endlich  drängen  bestimmte  Erfahrungen  zur  Annahme ,  dass  die 
starken  Convergenzen,  welche  Kurzsichtige  bei  der  Beschäftigung  mit  klei- 
nen Objecten  aufzubringen  haben,  in  Folge  der  fortgesetzten  Uebung  der 
betreffenden  Muskeln  das  Zustandekommen  des  convergenten  Schielens 
fördern.  Man  findet  nämlich  mitunter  bei  Myopen  ein  convergentes 
Schielen,  welches  sich  nicht,  wie  gewöhnlich,  mit  dem  Bedarfe  grösserer 
Accommodationsquoten  in  pathogenetischen  Zusammenhang  bringen  lässt. 
Es  weicht  dasselbe  überhaupt  in  einzelnen  Beziehungen  wesentlich  von 
der  allgemeinen  Regel  ab,  und  dürfte  möglicher  Weise  eine  pathogene- 
tisch ganz  differente  Form  der  Ablenkung  repräsentiren.  Es  kömmt  diese 
Form  hauptsächlich  bei  mittleren  Graden  der  Myopie  vor.  Ihre  Entwicke- 
lung  fällt  meistens  in  die  späteren  Schuljahre  ,  öfters  sogar  in  das  reife 
Mannesalter.  Durch  frühzeitigen  Gebrauch  von  Concavgläsern,  welche  die 
Objecte  der  gewöhnlichen  Beschäftigung  in  einen  grösseren  Abstand  zu 
bringen  gestatten,  wird  ihr  in  der  Regel  wirksam  vorgebeugt,  daher  sie  denn 
auch  vornehmlich  bei  Frauen  beobachtet  wird ,  welche  das  Brillen- 
tragen gerne  vermeiden.  Anfänglich  zeigt  sich  das  Schielen  nur  beim 
Fernesehen  und  lässt  sich  dann  öfters  noch  durch  entsprechende  Concav- 
gläser  corrigiren ;  späterhin  aber  rückt  die  Grenze  für  die  Ablenkung  immer 
weiter  herein  und  lässt  sich  dtirch  passende  Brillen  nur  um  ein  Kleines 
hinausschieben.  Die  Ablenkung  pflegt  eine  sehr  excui'sive  zu  sein,  doch 
fixiren  die  Kranken  nahe  Objecte,  welche  in  ihrer  deutlichen  Sehweite 
liegen,  ganz  gut  binoculär,  indem  sie  das  vorhandene  Uebergev^icht  der 
inneren  Geraden  durch  eine  entsprechende  Abductionsinnervation  neutrali- 
siren  (Graefe).  Steigern  sich  im  weiteren  Verlaufe  durch  rasche  Zunahme 
eines  Staphyloma  posticum  plötzlich  die  Widerstände,  gegen  welche  die 
inneren  Geraden  zu  kämpfen  haben,  oder  sinkt  aus  irgend  einer  Veran- 
lassung ihre  Energie,  so  kann  es  geschehen,  dass  die  eine  Gesichtslinie 
beim  Nahesehen  nach  aussen,  beim  Feimesehen  nach  innen  abweicht,  sich 
also  der  convergirende  mit  dem  divergirenden  Strabismus  combinirt 
(Donders). 

Ausgänge.  Der  Strabismus  kann  vollständig,  d.  h.  mit  Wiederher- 
stellung des  gemeinschaftlichen  Sehaetes  zurückgehen.  Häutiger  jedoch  ver- 
schwindet blos  die  strabotische  Ablenkung  oder  vermindert  sich  so  weit, 
dass  sie  durch  leichte  Seitwärtsbewegungen  des  Gesichtes  maskirt  werden 
kann,  während  der  gemeinschaftliche  Sehact  aufgehoben  bleibt.  Indem  diese 
Veränderung  meistens  ganz  allmälig  und  unmerklich  unter  dem  fort- 
schi-eitenden  Wachsthume  des  Körpers  zu  Stande  kömmt,  pflegt  man  dann 
zu   sagen,    das   Schielen  habe   sich  ausgewachsen. 

In  einzelnen  Fällen  geht  der  Strabismus  zurück,  ohne  dass  von 
Seite  des  Kranken  durch  Regelung  oder  völliges  Aufgeben  der  bisherigen 
Beschäftigung  etwas  dazu  beigetragen  worden  wäre,  ja  trotzdem   der  Schieler 


Ausgänge;  Spontane   Heilung;   lliiiwuiv.i'luiiij;  Anaesthesio;  Mnskeldegeneration.  90.5 

sich  ununterbrocheTi  mit  Studien  odi-r  iiberluiupf  mil  Bingen  beschaftigei 
hat,  welche  ein  anhaltendes  und  starkes  Accommodiren  für  die  Nähe 
erheischen. 

Hier  und  da  dürfte  laut  vereinzelten  Beobaclitunf^en  der  Erklärungsgrund 
dessen  in  einer  Verkleinerung  der  erforderlichen  Accominodationsquolen  wegen  Ver- 
minderung oder  Umsetzung  der  Hypermetropie  in  Myopie  zu  suchen  sein;  öfter 
jedoch  besteht  die  Hypermetropie  fort  und  es  müssen  andere,  bisher  nicht  er- 
mittelte Umstände  den  günstigen  Umschwung  veranlasst  haben. 

Viel  leichter  wächst  sich  der  Strabismus  aus,  wenn  durch  Verände- 
rung der  Beschäftigungsiveise  oder  durch  entsprechende  Corredion  eines  ver- 
anlassenden Refractionsfehlers  die  häufige  und  anhaltende  Verwciulung 
grosser  Accommodationsquoten  überflüssig  gemacht  worden  ist,  indem  dann 
der  Kranke  die  Schielinnervation  wieder  verlernt  und  sich  gewöhnt,  mil 
grösseren  und  grössei'en  Accommodationsquoten  die  entsprechenden  Conver- 
genzquoten  zu  verbinden. 

In  der  Regel  jedoch  wurzelt  der  Strabismus^  wo  nicht  bei  Zeiten  eine 
völlige  Beseitigung  der  pathogenetischen  Momente  angebahnt  und  mit 
äusserster  Consequenz  erhalten  wird,  mehr  imd  mehr  ein,  ohne  dass  jedoch 
ein  fernerer  Wechsel  des  Schielwinkds  in  auf-  oder  absteigender  Richtung 
ausgeschlossen  wäre.  Es  nimmt  dann  die  functionelle  Energie  der  dem 
neuen  binoculären  Gesichtsfelde  zugehörigen  Netzhauttheile  mehr  und  mehr 
ab  und  schliesslich  kann  sich  diese  centrale  Anaesthesie  (S.  898)  bis  zur 
vollständigen  uiid  unheilbaren  partiellen  Amaurose  gestalten,  indem  wahr- 
scheinlich die  retinalen   Elemente   dem   Schwunde  verfallen. 

Früher  oder  später  pflegen  dann  auch  die  beim  Strabismus  betheilig- 
ten Muskeln  materielle  Veränderungen  einzugehen.  Es  wird  dadurch  noth- 
wendig  die  Orientirung  der  abgelenkten  Netzhaut  geschädigel,  was  sich 
durch  die  Möglichkeit  der  Hervorrufung  von  Doppelbildern  bekiindei. 
Weiterhin  kömmt  es  auch  zur  Beschränkung  der  Excursionsfühigkeit  des 
Bulbus,  bisweilen  in  dem  Grade,  dass  der  Strabismus  sich  allmälig  zur 
Luscitas  qualificirt.  Vorerst  wird  immer  nur  der  eigentliche  Schielmuskel 
alterirt.  Mitunter  führt  nämlich  die  excessive  Thätigkeit  desselben  zu  Hyper- 
ämien und  capillaren  Blutungen  in  seinem  Gefüge  oder  gar  zu  wahren 
Entzündungen,  welche  am  Ende  mannigfaltige  Verbildwigen,  am  gewöhn- 
lichsten sehnige  Degeneration  mit  Schrumpfung,  begi'ünden.  Viel  häufiger 
aber,  ja  in  der  Regel,  wird  der  Schielmuskel  übernährf,  er  hgpertrophirt  im 
engeren  Wortsinne,  nimmt  an  Dicke  und  Breite  zu  und  gewinnt  so  factisch 
ein  Uebergewicht  über  seinen  Gegner,  der  allmälig  ausgedehnt,  verlängert 
wird,  dabei  aber  an  Dicke  und  Breite  verliert  und  am  Ende  förmlich  atro- 
phirt.  Gleiches  Schicksal  trifft  weiterhin  den  hypertrophirten  SiMelmuskel, 
auch  dieser  wird  nach  und  nach  verbildet  und  schrumpft  zu  einem  dünnen 
schmalen,  äusserst  derben  und  blutarmen  sehnigen  Strange,  der  der  mtiscii- 
laren  Contraction  natürlich  ganz  unfähig  ist  und  vermöge  seiner  allmäligen 
Verkürzung  mitunter  Ablenkungen  vermittelt,  wie  selbe  früher  selbst  unter 
maximalen  Kraftanstrengungen  nimmer  möglich  waren.  Zuletzt  nimmt  wohl 
auch  der  Partner  des  Schielmuskels  am  anderen  Auge  Theil  an  der  Degene- 
ration, wird  gleichfalls  hgpertrophirt,  um  später  gleich  seinem  ausgedehnten 
Antagonisten  der  degenerativen  Atrophie  zu  verfallen;  daher  denn  auch  die 
Beweglichkeit    des    fixirenden    Auges   beschränkt  zu   werden   pflegt    und   der 


906  Strabismus  convergens  :  Behandlung;  Prophylaxis. 

Ki'anke    durch    Drehunc/en    seines  Kopfes   die  Augen    in  die  richtige  Stellung 
zu   deu   Übjecten   zu  bringen  gezwungen  wird   (Graefe). 

Die  Behandlung  hat  der  Entioichelung  und  Consolidirung  des  Schielens 
vorzuheugev ,  einen  bereits  vorhandenen  Strabismus  mit  Herstellung  des  gemein- 
schaftliehen Sehactes  zu  beseitigen  und,  wo  dieses  nicht  geht,  den  Schielwinkel 
so  weit,  zu  verkleinern,  dass  die  Entstellung  des  Kranken  auf  ein  Minimum 
reducirt  werde. 

1.  Die  prophylaktischen  Massregeln  fliessen  unmittelbar  aus  der  Aetio- 
logie  des  Schielens.  Sie  müssen  selbstverständlich  schon  sehr  frühzeitig,  in 
der  Regel  während  der  ersten  Kinderjahre,  ergriffen  werden,  sollen  sie  Er- 
folg haben. 

Wo  die  Verhältnisse  den  Bedarf  grösserer  Accommodationsquoten  ver- 
muthen  oder  erweisen  lassen,  zielt  die  Prophylaxis  hauptsäclilich  auf  Ver- 
meidung grösserer  Anstrengungen  behufs  deutlichen  und  scharfen  Sehens,  be- 
sonders in  kurze  Distanzen,  um  solchermassen  die  Veranlassungen  der  stra- 
botischen  Ablenkung  möglichst  ferne  zu  halten.  Es  ist  daher  in  solchen 
Fällen  schon  die  Wahl  der  Spielzeuge  in  zweckdienlicher  Weise  zu  beein- 
flussen und  das  Kind  viel  später,  als  es  sonst  zu  geschehen  pflegt,  zum 
Erlernen  des  Lesens,  Schreibens,  weiblicher  Arbeiten  u.  s.  w.  anzuhalten 
(S.   791,    1.   S.   809). 

Nach  Ablauf  der  ersten  Kinderjahre  lassen  sich  die  pathogenetischen 
Momente  nach  Art  und  Grad  viel  leichter  ermitteln  und  oft  auch  wohl  die 
Wege  finden,  um  die  vorhandenen  Störungen  des  gemeinschaftlichen  Seh- 
actes um  ein  Beträchtliches  zu  vermindern  oder  ganz  aufzuheben.  Am  leich- 
testen gelingt  dieses,  wo  Hypermetropie  mit  Strabismus  droht.  Hier  ist 
denn  auch  die  theilweise  oder  gänzliche  Neutralisation  des  Refractionsfehlers 
durch  entsprechende  Convexbrillen  dringendes  Gebot.  In  jedem  Falle  müssen 
durch  thunlichste  Schonung  der  Aitgen,  durch  entsprechende  Wahl  der  Lern- 
behejfe,  durch  Beschiiinkung  der  Dauer  der  unausweichlichen  Anstren- 
gungen, durch  öfteres  Wechseln  der  Objecte  und  ihrer  Entfernungen  etc. 
alle  Anlässe  zur  Sehielinnervation   möglichst  abgeschwächt  werden. 

2.  Macht  sich  bereits  der  Strabismus  in  periodischer  oder  ständiger 
Form  geltend,  so  kömmt  es  darauf  an,  den  Kranken  der  Sehielinnervation 
wieder  zu  entwöhnen.  Es  muss  daher  mit  doppelter  Strenge  auf  consequente 
Durchführung  der  Vorbauungsmassregeln  hingewirkt  werden.  Bei  kleinen 
Kindern,  welchen  ohne  Gefahr  von  Verletzungen  u.  s.  w.  der  Gebrauch 
von  Brillen  nicht  zugemuthet  werden  kann,  lässt  sich  auf  directem  Wege 
allerdings  nur  wenig  leisten,  indem  man  sich  darauf  beschränken  muss, 
alle  Spielzeuge  zu  entfernen,  welche  ein  starkes  Accommodiren  erfordern. 
Ist  das  Kind  aber  so  weit  herangewachsen,  dass  ihm  die  Benützung  von 
Brillen  gestattet  werden  kann  und  lässt  sich  der  Beginn  des  Unterrichtes 
nicht  mehr  länger  hinausschieben,  so  ist  zur  Correction  des  Refractions- 
fehlers, soweit  er  in  die  Pathogenese  des  Schielens  eingeht,  zu  schreiten. 
Der  Brechwerth  des  zu  verwendenden  Glases  wird  hierbei  nicht  sowohl 
von  dem  Grade  des  Refractionsfehlers  selbst,  als  vielmehr  von  der  Accom- 
modationsquote  bestimmt,  welche  sich  mit  der  strabotischen  Ablenkung  zu 
coordiniren  pflegt.  Oftmals  genügen  Gläser,  deren  Brechwerth  hinter  dem 
gegebenen    Grade  von  Hypermetropie  zurücksteht,  indem   die  Schielinner- 


Correction  durch  Gläser;  Schielhrillcii.  907 

vation,  namentlich  im  Bep,'inno  des  Leidens,  häufig  nur  an  grosse  Accom- 
modalionsquotcn  geknüpft  ist.  In  anderen  Fällen  muss  der  etwaige  lle- 
fract ionsfehler  übercorric/irt  und  bisweilen  ein  Convexglas  angewendet  wer- 
den, wo  Emmetropie  oder  gar  ein  gei'inger  Grad  von  Myopie  besteht,  in- 
dem die  die  strabotische  Ablenkung  auslösende  Accommodationsquote  eine 
sehr  Jcleinc  ist.  Die  Wahl  des  Glases  wird  im  speciellen  Falle  durch  den 
Versuch  bestimmt.  Im  Allgemeinen  wird  man  mit  jenem  Glase  am  besten 
fahren,  welches  die  vorhandene  Hypermetropie  auf  Emmetropie  corrigirt. 
Wo  dieses  Glas  jedoch  die  Schielinnervation  nicht  beseitigt,  muss  zu  einem 
stärkeren  gegi'iffen  werden  und  man  wählt  dann  am  besten  das  schväcliste 
unter  jenen,  welche  die  strabotische  Ablenkung  unter  den  gegebeneu  Um- 
ständen  hintanzuhalten  vermögen. 

Beim  periodischen  Schielen  braucht  man  das  corrigirende  Glas  selbst- 
verständlich nur  zum  Nahesehen  verwenden  zu  lassen.  Ist  der  Strabismus 
aber  bereits  ständig  geworden,  die  Schielinnervation  also  ganz  kleinen  Accom- 
raodations([uoten  coordinirt,  so  müssen  corrigirende  Gläser  ununterbrochen 
während  dem  Wachsein  des  Kranken  im  Gebrauche  erhalten  werden.  Man 
wird  dann  zum  Herumgehen,  überhaupt  so  lange  der  Kranke  sich  nicht 
mit  nahen  Objecten  beschäftigt,  in  der  Regel  schwächere  Gläser  benützen 
lassen,  zum  Lesen,  Schreiben  u.  dgl.  aber  schärfere  veroi'dnen  müssen, 
soll  die  Schielinnervation  mit  Sicherheit  vermieden  werden.  Man  kömmt 
hierbei  nicht  selten  in  eine  missliche  Lage,  indem  die  einfache  Correction 
des  Refractiov sfehlers  auf  Emmetropie  oder  die  Zurückführung  der  zu  einer 
bestimmten  Beschäftigung  erforderlichen  Accommodationsquote  auf  das 
normale  Mass  sich  ungenügend  erweiset  und  üb  er  corrigirende  Brillen  wegen 
Veranlassung  asthenopischer  Beschwerden  nicht  vertragen  werdeia.  Man  kann 
sich  dann  bisweilen  damit  helfen,  dass  man  vorerst  schivächere  Gläser  in 
Gebrauch  zieht  und  allmälig  zu  stärkeren  aufsteigt,  welche  jener  Aufgabe 
entsprechen. 

Nebenbei  ist  thunlichste  Schonung  der  Augen ,  überhaupt  Be- 
schränkung der  Accommodationsarbeit  auf  das  zulässige  Minimum  dringend 
geboten.  Auch  darf  die  gesonderte  Uebung  des  SchieUniges  niemals  ver- 
nachlässigt werden,  um  im  Falle,  als  die  Heilung  des  Schielens  nicht  bald 
gelänge,  der  Entwickelung  einer  centralen  Anaesthesie  wirksam  vorzubeugen. 
Zu  diesem  Ende  ist  es  nothwendig,  das  gewöhnlich  fixirende  Auge  mehr- 
mals des  Tages  durch  eine  oder  die  andere  Viertelstunde  mittelst  eines 
zweckentsprechenden  Verbandes  vom  Sehacte  auszuschliessen. 

Der  Versuch,  das  Schielen  auf  orthopädischem  Wege  zu  heilen,  indem  mau 
dem  abgelenkten  Auge  ein  zweites  Object  bietet  und  dieses  mehr  imd  mehr  dem 
Fixirpunkte  des  gesunden  Auges  nähert,  um  die  Doppelbilder  allmälig  zu  ver- 
schmelzen, beruht  auf  falschen  Voraussetzungen  (S.  894).  Noch  weniger  kann  die 
Verwendung  sogenannter  SchieAhrillen,  d.  i.  die  Deckung  beider  Augen  durch  cen- 
tral durchbohrte  Diaphragmen,  Nussschalen  u.  s.  w.  einen  erheblichen  Nutzen 
stiften,  im  Gegentlieile  ist  die  damit  gesetzte  bedeutende  Erschwerung  des  bino- 
culären  Sehactes  eher  ein  Mittel,  das  Schielen  einwurzeln  zu  lassen. 

Im  Grossen  und  Ganzen  darf  man  von  der  Verminderung  der  in 
Gebrauch  kommenden  Accommodationsquoten  um  so  eher  eine  Heilung 
des  Strabismus  erwarten,  je  früher  die  entsprechende  Correction  vorge- 
nommen und  je  consequenter  sie  durchgeführt  wird.  Oefters  wird  schon 
im  Laufe  weniger   Wochen  insoferne   eine   Besserung   erzielt,   als   die  Kran- 


908  Strabismus  coiivergen? ;   Behandlung:    Correction  diivch  (üäser;  deren  Leistung. 

ken  sfvindenlange  mit  freiem  Auge  herumgehen  können,  ohne  dass  sich 
die  strabotische  Ablenkung  einstellt.  Allmälig  verlängern  sich  diese  Inter- 
missionen  und  nehmen  auch  wohl  die  Accommodationsgwo/en  zu,  welche 
die  Schielinnervation  auslösen,  so  dass  zuletzt  der  Strabismus  nur  bei 
starken  und  dauernden  Accommodationsanstrengungen  wieder  zum  Vor- 
scheine kömmt.  In  der  Regel  jedoch  bedarf  es  mehrerer  Jahre,  um  einen 
solchen  Erfolg  zu  erzielen  und,  will  man  das  Erreichte  in  seinem  Be- 
stände sichern,  so  ist  es  dringend  nothwendig,  das  Verfahren  noch  lange, 
nachdem  das  Schielen  beseitigt  scheint,  jedenfalls  über  die  Pubertätsperiode 
hinaus   mit  un geschwächter  Sorgfalt  fortzusetzen. 

Wo  beiderseits  Hornhautflecke  das  deutliche  Sehen  verhindern,  ist  von 
der  Methode  nicht  viel  zu  erwarten,  während  bei  einseitigen  Cornealtrübungen 
die  strabotische  Ablenkung  öfters  beseitigt  wird.  Auch  ist  die  Vorhersage 
keine  günstige,  wo  durch  geeignete  Gläser  eine  Correction  der  Abweichung 
ntir  schwer  zu  erreichen  ist,  oder  wo  dazu  Brillen  benöthiget  werden, 
welche  den  Kranken,  sei  es  beim  Herumgehen  oder  bei  der  Arbeit,  belästi- 
gen, oder  die  Schielinnervation  nur  innerhalb  enger  Grenzen  beheben,  so 
dass  je  für  kleine  Distanzditferenzen  verschiedene  Gläser  erfordert  werden. 
Endlich  müssen  die  Hoffnungen  sehr  herabgestimmt  werden,  wo  der  Stra- 
bismus seit  Langem  eingewurzelt  ist  und  in  den  betreffenden  Muskeln 
vielleicht  gar  materielle  Veränderungen  anzunehmen  sind.  Immerhin  bleibt 
das  Verfahren  auch  hier  nicht  ohne  allen  Is^utzen,  indem  es  öfters  gelingt, 
wenigstens  jener  Theil  der  strabotischen  Ablenkung  zu  beseitigen,  welcher 
lediglich  auf  der  Schielinnervation  beruht.  Eine  dauernde  Verkleinerung 
des  Schielwinkels  erleichtert  aber  sehr  die  operative  Tilgung  des  cosmeti- 
schen  Fehlers  und  vermindert  wesentlich  die  nicht  unbedeutenden  Nach- 
theile derselben. 

In  der  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  scheitert  die  Methode  an  der  In- 
consequenz  und  Nachlässigkeit  der  Kranken.  Der  Zweck  des  Verfahrens  ist 
nämlich  die  Abgewöhnnng  der  Schielinnervation ;  zu  dieser  kann  es  aber 
niemals  kommen,  wenn  fort  und  fort  wieder  Gelegenheiten  zur  üebung 
der  strabotischen  Ablenkung  geboten  werden.  In  der  That  verdirbt  oft 
eine  einzige  Stunde,  was  im  Laufe  von  Wochen  gewonnen  worden  ist. 
Wo  man  daher  nur  einigen  Grund  hat,  an  der  consequenten  und  jahrelangen 
Durchführung  zu  zweifeln,  ist  es  dringend  gerathen,  das  unbestreitbar 
höchst  lästige  Verfahren  gänzlich  zu  meiden,  um  sich  später  Vorwürfe  zu 
ersparen.  Diese  Vorwürfe  werden  bei  Misserfolgen  um  so  weniger  ausbleiben, 
als  sich  Laien  und  Aerzte  ganz  falsche  Vorstellungen  von  der  Leistungsfähig- 
keit der  Schieloperation  machen  und  weder  deren  Nachtheile  gehörig  wür- 
digen, noch  sich  klar  geworden  sind  über  den  hohen  Werth  der  Erhaltung 
und    beziehungsweise    Wiederherstellung  des  gemeinschaftlichen  Sehactes. 

3.  Die  Nachtheile  der  Strabotomie  anbelangend,  ist  zu  bemerken, 
dass  durch  die  Rücklagerung  der  Muskelansatzlinie  nothwendig  der  Bogen 
verkürzt  wird,  mit  welchem  der  Muskel  den  Bulbus  umspannt.  Damit  wird 
eine  Verminderung  der  Excursionsfähigkeit  des  operirten  Auges  gesetzt,  und 
zwar  ist  die  Beschränkung  unter  Voraussetzung  normaler  Functionstüchtigkeit 
der  betreffenden  Muskeln  ^?-o2JOJ-^jo)wV^  der  Verkleinerung  des  Bogens,  mit  wel- 
chem der  Muskel  den  Bulbus  umspannt,  also  der  Grösse  der  Rücklagerung; 
die   Beweglichkeit    wird    ein    Minimum,  der  Muskel  kann    die   Gesichtslinie 


Strabfitonru" ;  deren  Nachtlirile :  I'ieweglichkeitsbeschriuikiing  ;  SlüniiiH:  il.  (iiiontiiim^^-.         909 

mir  mehr  um  ein  sehr  Kleines  aus  der  Parallelstellung  mit  der  Median - 
ebene  dos  Gesichtes  nach  seiner  Seite  hin  drehen,  wenn  die  neue  Insertionslinie 
mit   der  normalen    Tangirungslinie    zusammen  fällt. 

Grössere  strabotische  Ablenkungen  fordern  selbstverständlich  grössere 
Muskelrücklagerungen.  Wollte  man  dies  durch  die  Tenotomie  des  Schiel- 
muskols  allein  bewerkstelligen,  so  müsste  man  offenbar  die  Beiveglichkeit 
nach  Seiten  des  letzteren  auf  ein  Kleines  beschränken  und  unter  Umstän- 
den gar  völlig  aufheben.  Um  den  damit  verknüpften  Uebelständen  aus- 
zuweichen, ist  es  daher  bei  Strabismen  von  nur  eivigermassen  beträchtli- 
cherem Grade  dringend  nothwcndig,  nicht  nur  den  Schielmuskel,  sondern 
auch  seinen  Partner  der  anderen  Seite  rückzulagern,  und  zwar  erstcren  etwas 
mehr,  als  letzteren,  beide  zusammen  aber  um  so  viel,  dass  die  Summe  beider 
Rücklagerungsbögen  der  Anzahl  der  Grade  nach  dem  Schielwinkel  gleich  werde. 
Es  vertheilt  sich  dann  nämlich  das  Bewegungsgebiet  beider  Augäpfel  gleich- 
massig  auf  beide  Seiten  der  Medianebene,  während  der  Mesoropter,  d.  i. 
die  gemeinsame  Blickrichtung  bei  gedankenlosem  Blicke,  aus  der  Median- 
ebene hinweg  nach  Seiten  des  fixirenden  Auges  rückt,  was  jedoch  rasch 
wieder  durch  eine  wenig  auffällige  Seitwärtsdrehung  der  Antlitzfläche  mas- 
kirt  zu  werden  pÜegt. 

4.  Der  Hauptnachtheil  der  Strabotomie  liegt  indessen  in  der  gründ- 
lichen Störung  des  Orientirungvermögens  und  in  der  damit  nothwendig  ver- 
bundenen unheilbaren  Vernichtung  des  gemeinschaftlichen  Sehactes,  folgerecht 
also  auch  in  dem  Verluste  der  directen  J'iefenwahrnehmung.  Es  ist  näm- 
lich nach  dem  Mitgetheilteu  vor  der  Operation  sowohl  das  schielende  als 
auch  das  fixirende  Auge  in  Bezug  auf  seine  eigene  Lage  richtig  orientirt. 
Nach  der  Tenotomie  dauert  mit  der  Schielinnervation  das  Bewusstsein 
dieser  Lage  foi't  und  geht  in  die  Projectionsverhältnisse  ein,  während  die 
Leistungsfähigkeit  der  durchschnittenen  Muskeln  proportional  dem  Rück- 
lagerungsbögen der  Ansatzlinie  abgenommen  hat,  daher  nun  das  aus  den  ivill- 
kürlichen  Innervationen  fiiessende  Bewusstsein  der  Netzhautlage  unmöglich 
den   thatsächlichen  Verhältnissen  entsprechen    kann. 

Es  macht  sich  diese  Störung  der  Oi'ientirung  häufig,  besoiiders  in 
der  ersten  Zeit  nach  der  Operation,  in  sehr  misslicher  Weise  durch  spion- 
tanes  Doppeltsehen  geltend  und  ist  dann  um  so  autfälliger,  wenn  durch  die 
Strabotomie  der  Schielwinkel  fast  annullirt,  die  abgelenkte  Gesichtslinie 
also  wieder  für  gewöhnliche  Objectslagen  richtig  einstellbar  geworden 
ist.  Die  gegenseitige  Lage  der  Doppelbilder  entspricht  eben  vor  wie  nach 
der  Operation  nicht  der  faciischen  Stellung  der  beiden  Augen  zum  Objecto, 
sondern  wird  nach  durchgeführter  Tenotomie  von  der  Grösse  der  andauern- 
den Schielinnervation,  von  den  etwa  voi'handenen  materiellen  Veränderungen 
der  Muskulatur  und  von  dem  Rücklagerungsbögen  der  Ansatzlinie  der  Mus- 
keln bestimmt   (S.   895). 

Es  wäre  (Fig.  108)  mn  die  Medianlinie,  Ir  die  Grundlinie  und  a  ein  fixirter 
Objectpunkt,  welcher  von  der  Gesichtslinie  la  des  linken  Auges  gesclinitten  wird, 
während  die  rechte  Gesichtslinie  hr  um  den  Winkel  v+p-  strabotisch  abgelenkt, 
also  auf  h  gerichtet  ist.  Beruht  die  strabotische  Ablenkung  blos  auf  der  Schiet- 
innervation ,  so  wird  b  und  a  von  beiden  Augen  in  der  gehörigen  Richtung,  also  in 
den  Linien  hn  und  an  nach  aussen  projicirt  werden.  Wäre  aber  der  Schielmuskel 
in  mechanischem  Uebergewichte,  so  würde  der  Punkt  h  von  dem  Schielauge  unge- 
fähr in  der  Richtung  fn  und  der  Punkt  a  in  der  Richtung  hn  nach  aussen  ver- 
setzt werden ,  also  ein   gleichseitiges  Trugbild    zur    Wahrnehmung  kommen.     Es  sei 


910  Strabism.  coiiverg. ;  Beliandlg. ;  Nachtheile  J.  Strabotomie  ;  InLongiuenz  d.  Netzhäute. 


Fig.  108. 


nun   die   Gesiclitslinie  hr  durch  eine  Tenotomie  um   dem  Winkel  v  nacli  er  gelenkt 
worden.     Offenbar  wird  jetzt  c  in  der  Richtung  hn,   eventuel  in  /n,  a  aber  in  der 

Richtung  cn,  beziehungsweise  in 
der  Richtung  gn  erscheinen,  wo- 
bei [j:=rv  angenommen  wird.  Es 
sind  nun  schon  gekrenzte  Doppel- 
bilder gegeben.  Wird  jetzt  der 
Schielvvinkel  dadurcli  auf  Null 
gebracht,  dass  durch  Rücklage- 
rung des  linken  Internus  die  Ge- 
sichtslinie la  nach  Ic  verlegt 
wird,  so  muss  c  vom  Unken  Auge 
in  der  Richtung  von  an  und  a 
in  der  Richtung  von  en  wahr- 
genommen werden,  wobei  y=8 
vorausgesetzt  wird.  Die  Richtun- 
gen, in  welchen  nun  c  in  Doppel- 
bildern erscheint,  wären  demnach 
bei  reinem  Strabismus  in  a  w  und 
hn,  bei  materiellen  Veränderungen 
des  Schielmuskels  aber  in  an  und 
fn  gegeben,  während  a  bei  dar- 
auf gerichtetem  Blicke  in  en  und 
cn,  beziehungsweise  in  gn,  ge- 
sehen werden  müsste.  Die  Doppelbilder  wären  also  wieder  gekreuzt,  ihr  Breitenab- 
stand  aber  rergrössert. 

5.  Es  vermindert  sich  mit  dex"  Zeit  diese  Desorientirung  um  ein 
Merkliches,  ohne  dass  sie  jedoch  jemals  ganz  aufgehoben  würde.  Vorerst 
nimmt  die  falsche  Projection  des  gesunden  Auges  nach  einer  beiderseits 
vorgenommenen  Tenotomie  ab,  indem  das  Urtheil  allmälig  durch  Erfahrung 
corrigirt  wird ;  das  fixirende  Auge  versetzt  seine  centralen  Eindrücke  nicht 
mehr  wie  früher  in  die  innervirte  Blickrichtung,  sondern  in  eine  Linie,  welche 
zwischen  diese  und  die  neite  thatsächliche  Blickrichtung  fällt  und  sieh  allmälig 
der  letzteren  mehr  und  mehr  nähert.  Wirklich  werden  die  Abweichungen 
des  Fingers  vom  Objecte  beim  Stossversuche  immer  geringer  und  schliesslich 
gelingt  der  Versuch  wohl  auch  eben  so  sicher  als  im  Normalzustande  und  be- 
ziehungsweise for  der  Schieloperation.  Dazu  kömmt,  dass  auch  der  Breiten- 
abstand des  dem  Schielauge  zugehörigen  Trugbildes  abnimmt,  indem  der 
unmittelbare  Erfolg  der  Operation  durch  die  nachträgliche  Zusammen- 
ziehung des  Narbengewebes  im  Operationsfelde  verkleinert  wird. 

Es  wird  nun  mit  dem  fixirenden  Auge  der  Objectpunkt  c  (Fig.  108)  nicht 
mehr  in  der  Richtung  an,  sondern  nahezu  in  der  Richtung  cn  gesehen,  in- 
dem das  Bewusstsein  der  zur  Fixation  aufgewendeten  Innervationen  der  Augen-, 
der  Halsmuskeln  u.  s.  w.  und  die  gewonnenen  Erfahrungen  in  die  Beurtheilung 
eingehen  und  damit  den  Fehler  elimiiiiren.  Da  gleichzeitig  die  Gesichtslinie  des 
Schielauges  nicht  mehr  in  er,  sondern  etwa  in  fr  gelegen  ist,  so  wird  auch  der 
Objectpunkt  c  nicht  mehr  in  bn,  sondern  vielleicht  in  fn  erscheinen,  und  wurde 
früher  b  wegen  einem  mechanischen  Uebergewichte  des  Muskels  in  fn  gesehen, 
so  kann  jetzt  /' in  cn  oder  wohl  gar  nahe  an  gn  erscheinen,  so  dass  bei  unvoll- 
ständiger Correctur  wieder  gleichseitige  Doppelbilder  auftreten. 

Das  gänzliche  Verkennen  der  strabotischen  Grundluge  und  vielleicht  auch 
das  öftere  Unterlaufen  von  Fällen,  in  welchen  ein  scheinbares  Schielen  für  ein 
wahres  gehalten  und  operirt  worden  ist,  hat  im  Vereine  mit  den  scheinbar  ganz 
unerklärlichen  Stellungen  des  Trugbildes  nach  Schieloperationeu  die  Veranlassung 
gegeben  zur  Annahme  von  angeborenen,  in  den  Organisationsverhältnissen  der 
Netzhaut  begründeten  Incongrvenzen  oder  zur  Annahme  eines  eigenthümlichen 
Wider IV illens  gegen  binoculaves  Einfachsehen.  Man  hat  an  dieser  Idee  auch  lange 
festgehalten,  bis  sie  durch   die  rasch  zunehmende  Zahl  einschlägiger  Beobachtungen 


Loistungsfähigkeit  d.   StialiotoTiiio ;  Zeit  zur  Uperatioii.  1)1  1 

als  widersinnig  erkannt  wurde.  Nimmt  man  sich  die  Mühe ,  recht  viele  Fälle  vor 
und  nach  der  Tenotomie  auf  die  Doppelbilder  zu  untersuchen,  so  zeigt  sich  in 
der  That  gar  bald,  dass  jenes  anscheinend  so  sonderbare  Verhalten  die  Regel 
bildet. 

6.  Die  Strabotoraie  ist  nach  allem  dem  eine  rein  cnsmetische  Operation, 
deren  Ausführung  erst  dann  drängt,  wenn  die  mit  dem  Schielen  verbundene 
Entstellung  auf  das  bessere  Fortkommen  des  Kranken  einen  misslichen  Ein- 
fluss  zu  nehmen  droht  und  wenn  eine  Herstellung  des  gemeinschaftlichen 
Sehactes  auf  anderem  Wege,  so  wie  überhaupt  ein  Auswachsen  des  Stra- 
bismus nicht  mehr  zu  gewärtigen  ist.  Im  Allgemeinen  ei'scheint  daher  die 
Pubertätsperiode  als  die  zur  Vornahme  der  Operation  geeignetste.  Die  Teno- 
tomie schon  in  den  Kinderjahren  durchzuführen,  ist  übrigens  um  so  weniger 
zu  rathen,  als  dadurch  die  Schielinnervation  nicht  beseitiget  wird  und  als 
bei  fortgesetzter  Aufwendung  höherer  Accommodationsquotcn  häufig  noch 
der  Schielwinl'el  wächst ,  so  dass  die  Correctur  unzureichend  und  eine 
weitere  Rücklagerung  nothwendig  wird ,  was  am  Ende  eine  den  cosmeti- 
schen  Interessen  sehr  abträgliche  Beweglichkeitsbesehränkung,  wenn  nicht 
gar  auch  ein  starkes  Einsinken  der  Carunkel,  ein  hässliches  Hervortreten 
des  Bulbus  u.  s.  w.  mit  sich  bringen  kann.  Um  diesen  Becidiven  wirksam 
vorzubeugen,  bleibt  dann  selbstverständlich  kein  anderes  Mittel,  als  die 
zur  Arbeit  erforderlichen  Accommodationsquoten  durch  zusagende  Gläser 
in  entsprechendem  Masse  zu  verkleinern.  Es  ist  nun  aber  offenbar  klüger, 
diese  Correctur  vor  der  Operation  einzuleiten  und  durch  consequeute 
Durchführung  derselben  die  Möglichkeit  der  Wiederherstellung  des  gemein- 
schaftliehen Sehactes  zu  erkaufen,  als  dem  Kranken  dieselbe  Pein  aufzu- 
laden, nachdem  man  ihm  durch  die  Tenotomie  jede  Aussicht  auf  binoculares 
Sehen  für  immer  abgeschnitten  hat. 

Die  von  Vielen  urgirte  Durchführung  der  Strabotomie  während  den 
Kinderjahren  lässt  sich  nur  durch  die  hartnäckig  festgehaltene  Irrmeinung 
entschuldigen,  als  könne  durch  die  Muskelrücklagerung  eine  tvirkliche  Ver- 
schmelzung binoculärer  Eindrücke  zu  einfachen  und  ihrer  Intensität  nach 
verstärkten  Wahrnehmungen  erzielt  werden,  wozu  das  bisweilige  Utberein- 
anderfallen  der  Doppelbilder  und  in  manchen  Fällen  vielleicht  auch  schein- 
bares stereoskopisches  Sehen  (S.  89  7)  beigetragen  haben  mag.  Wer  sich 
jedoch  die  Mühe  nicht  verdriessen  lässt,  eine  längere  Reihe  operirter  Fälle 
mit  den  gehörigen  V^orsichten  auf  binoculares  Sehen  und  directe  Tiefen- 
wahrnehmung zu  pi'üfen,  wird  sich  bald  überzeugen,  dass  fast  immer 
gesonderte  Doppelbilder  nachzuweisen  sind  und  die  directe  Tiefenwahr- 
nehmung, also  auch  binoculares  Einfachsehen ,  constant  vollständig  fehlt. 
Es  ist  gewiss  die  Zeit  nicht  ferne,  wo,  einzelne  Ausnahmsfälle  abgerech- 
net, die  Verschiebung  der  Operation  in  die  Pubertätsperiode  allgemein 
als  den   Interessen   des  Kranken  förderlich  erkannt  werden  wird. 

Es  ist  aber  auch  nicht  klug,  mit  der  Operation  nach  Ablauf  der 
Pubertätsperiode  lange  zu  zögern.  Wenn  die  bisherigen  Erfahrungen 
nicht  trügen,  ist  ein  Verlernen  der  Schielinnervation  nach  dieser  Epoche 
nämlich  nur  schwer  zu  gewärtigen.  Dazu  kömmt,  dass  eine  weitere  Ab- 
nahme der  die  Schielinnervation  auslösenden  Accommodationsquoten  und 
eine  fernere  Vergrösserung  des  Schielwinkels  weniger  zu  drohen  scheinen, 
die  durch  eine  Operation  erzielte  Correctur  demnach  leichter  in  zureichen- 
dem   Masse     erhalten    bleibt.      Wenigstens    gewinnt    man  so  viel,     dass  der 


912  Stiabisuius  conveigeiis  :  Behandhnig ;  Dosinmg-  d.  Rüeklagerung. 

Kranke  ohne  Gefahr  einer  Recidive  die  corrigirenden  Brillen  beim  Herum- 
gehen u.  s.  w.  entbehren  kann.  Müssen  dann  auch  die  Brillen  zum  Nahe- 
sehen im  Gebrauche  bleiben,  so  verliert  der  Kranke  nicht  viel,  indem  der 
meistens  vorhandene  Refractionsfehler  ganz  abgesehen  vom  Schielen  bei 
der  Arbeit  neutralisirt  werden  muss,  weil  die  im  Jugendalter  häufig  ver- 
grösserte  Accommodatiousbreite  auf  oder  sogar  unter  das  normale  Mass 
sinJd  und  folgerecht  die  zu  den  gewöhnlichen  Beschäftigungen  erfordei'lichen 
Accommodationsquoten  ziemlich  rasch   wachsen. 

7.  Wird  die  Operation  in  oder  nach  der  Pubertätsperiode  vorge- 
nommen, so  ist  es  klug,  die  sfrabofische  Ablenkung  ganz  durch  Rücklage- 
rung der  Ausatzlinie  des  Muskels  zu  beseitigen.  Würde  nämlich  blos  die 
auf  einem  mechanischen  Uebergewichte  des  Schielmuskels  beruhende  Quote 
des  Schielwinkels  corrigirt  und  der  durch  die  Schielinnervation  begründete 
Theil  der  Ablenkung  zurückgelassen  werden,  so  würde  in  der  grössten 
Mehrzahl  der  Fälle  die  ^othwendigkeit  fortbestehen,  den  gegebenen  Re- 
fractionsfehler ununterbrochen,  also  auch  beim  Herumgehen  u.  s.  w.  zu 
corrigiren,  der  Kranke  fände  in  der  Operation  nur  eine  geringe  Erleich- 
terung, trotzdem  sein  gemeinschaftlicher  Sehact  bereits  aufgeopfert  worden 
ist.  Im  Ganzen  thut  man  sogar  gut,  eine  kleine  Uebercorrection  anzu- 
bahnen, indem  die  spätere  Contractur  der  Narbe  eine  Verminderung  des 
unmittelbaren  operativen  Effectes  erwarten  lässt. 

8.  Eine    richtige  Dosirung  ist    nur  möglich,   wenn  bei  der  Operation 

die     Scliidinnervation  fortbesteht.      Insoferne    erscheint    die   tiefe   Narkose  bei 

der  Strabotomie  im  hohen   Grade   störend.   Es  wird  durch  die  Rücklagerung 

der    Muskelansatzlinien    allein    nämlich  nur  selten  die  Stellung  der  Augen 

gleich    von    vorneherein     eine    völlig  entsprechende,   meistens    müssen   durch 

entsprechende    Trennung    der    Scheiden    Correcturen    vorgenommen   werden 

und    für   diese  fehlt  der  Massstab,   wenn   die    Schielinnei'vation  ruht.      Man 

ist  also   gezwungen,   den   Kranken  wiederholt  aus     der  Narkose  zu   wecken 

und   wieder  einzuschläfern,   um   das  Fehlende  zu   ergänzen. 

Bei  sehr  ängstlichen  und  messerscheuen  Kranken  ist  übrigens  die  Narkose 
trotz  ilirer  Uebelstände  schwer  zu  entbehren.  Diese  spannen  ncämlich  häufig  die 
Muskehl  in  so  bedeutendem  Grade,  dass  die  Conjunctiva  wulstförmig  nach  vorne 
gestaut  wird;  die  Hervorhebung  der  Sehne  ist  aber  bei  krampfhaft  gespanntem 
Muskel  sehr  schmerzhaft  und  steigert  die  Abwehr;  während  bei  ruhigen  Individuen, 
welche  geringe  Widerstände  setzen  ,  die  einzelnen  Hantirungen  mit  grösster 
Leichtigkeit  und  Schnelligkeit  bei  verhältnissmässig  geringen  Schmerzen  ausge- 
führt werden  können. 

9.  Die  Operation  als  solche  verlangt  keine  Vorbereitung  und  wird 
in  der  Regel  an  ambulanten  Schielern  vorgenommen.  Man  benöthigt  hierzu 
eine  mittelgrosse  Hakenpincette,  eine  nach  der  Fläche  gebogene,  kleine  Schere, 
einen  zarten  Muskelhaken  mit  stumpfer  Spitze  und  kleine  Schwämmchen  zum 
Auftupfen  des  sich  etwa  ergiessendeu  Blutes.  Der  Kranke  ist  dabei  in 
die  horizontale  Bückenlage  zu  bringen  und,  falls  die  Narkose  nicht  beliebt 
wird,  das  andere  Auge  durch  eine  Binde  zu  schliessen,  auf  dass  der  Schieler 
das  zu  operirende  Auge  mehr  in  die  Gewalt  bekomme  und  je  nach  Bedarf 
wenden  könne.  Ein  Assistent  hat  die  beiden  Lider  möglichst  weit  abzu- 
ziehen  und  sicher  zu  fixiren,  während  er  gleichzeitig  den  Kopf  des  Kranken 
an  Bewegungen  hindert.  Ein  anderer  Assistent  übernimmt  die  Reinhaltung 
des  Operationsfeldes  von  austretendem  Blute.  Der  Operateur  fasst,  während 
das  zu  operirende  Auge  stark  nach  der  Seite  des  Antagonisten  des  Schiel- 


filrabotoiiiic ;  Opeiatioiisveilahicii. 


913 


muskels  abgelenkt  oder  mit  einer  Fixirpincette  abgezogen  wird,  mittelst  der 
P'mr.e.tte  die  Bindehaut  sammt  der  Scheide  gerade  über  der  InsertionsUnie  der 
zu  treunendeu  Sehne,  also  2 '/.,"'  oder  höchstens  3'"  von  der  Corneal- 
grenze  entfernt,  hebt  sie  in  eine  Falte  auf  und  durchsehneidet  diese  Falte 
)nit  der  Schere  in  senkrechter  Richtung.  Hierauf  wird  die  Wunde  von 
ihren  Winkeln  aus  nach  oben  und  unten  auf  circa  4'"  erweitert.  Ist 
dieses  geschehen,  so  wird  die  Piucette  senkrecht  auf  die  ÜberÜäche  des  Bulbus 
in  die  Wunde  eingesetzt,  geöffnet  und  mit  ihren  beiden  Spitzen  knapp  an 
der  Sclerotica  ein  wenig  nach  hinten  geschoben,  um  so  den  Muskel  zwischen 
die  Branchen  zu  bekommen  und  ihn  nach  Schliessung  der  Piucette  in  einem 
scharfen  A¥inkel  aus  der  Wunde  hervorziehen  zu  können.  Mele  ziehen  es 
vor;  die  Sehne  mit  dem  stumpfen  Schielhaken  hervorzuholen.  Es  wird  so- 
dann mit  der  anderen  Hand  die  Schere  an  die  Wunde  gebracht,  das  eine 
Blatt  derselben  unter  den  empor- 
gehobenen Muskel  gesteckt  (Fig. 
109)  und  die  Sehne  knapp  von 
der  Sclerotica  abgetrennt. 

Nach  der  Operation  wird 
die  gegenseitige  Stellung  der  bei- 
den Bulbi  bei  Fixation  ferner  und 
naher  Objecte  möglichst  genau 
ermittelt. 

Ist  die  Ablenkung  des  Schiel- 
auges nur  wenig  oder  gar  nicht  ver- 
mindert, so  hat  man  Grund  zu 
vermuthen ,  es  sei  die  Sehne 
nicht  ihrer  ganzen  Breite  nach 
durchschnitten  worden.  Mit  Sicher- 
heit kann  man  dieses  annehmen, 
wenn  bei  der  Wendung  des  Auges 
nach  der  Seite  des  Antagonisten 
die  Wunde    gar    nicht    klafft  und 

in  deren  Mitte  die  Lederhaut  mit  der  ihr  eigenthümlichen  sehnigweissen 
Farbe  nicht  hervorschimmert.  Man  muss  dann  den  Muskelhaken  in  die  Wunde 
einführen  und  unter  die  noch  ungetrennten  Sehnenfäden  zu  bringen 
suchen,  indem  man  seine  stumpfe  Spitze  fest  an  die  Sclerotica  andrückt 
und  an  derselben  auf-  und  abwärts  streift.  Hat  man  die  Fäden  gefasst, 
so  wird  er  in  der  vorerwähnten  Weise  durchschnitten,  worauf  der  Bulbus 
sogleich  nach  der  anderen   Seite  weicht. 

Zeigt  sich  jetzt  die  Ablenkung  auf  ein  Kleines  reducirt,  so  muss 
die  Scheidenwunde  nach  oben  und  unten  verlängert  werden.  Erübi'igt  aber 
noch  eine  beträchtlichere  strabotische  Ablenkung,  so  ist  die  Sehne  des  Part- 
ners am  anderen  Auge  nach  denselben  Eegeln  zu  durchschneiden.  Genügt 
auch  das  nicht  völlig,  so  ist  die  Tenon'sche  Kapsel  am  Schielauge  oder  an 
beiden  Augen  von  der  Wunde  aus  noch  eine  Strecke  weit  nach  oben  und  unten 
zu  spalten,  um  die  Widerstände  zu  vermindern,  welche  das  mit  dem  gelösten 
Scheidentheile  zusammenhängende  vordere  Muskelende  bei  seiner  Zurück- 
ziehung findet,  und  so  das  Mass  der  letzteren  zu  steigern.  Doch  soll  mau 
mit    dieser    Spaltung  vorsichtig  sein  und   sich  namentlich    hüten,   bei  etwa 

st  all  wag,  Augeulieilkiiiide.  öS 


914  Strabismus  converg.;  Behandlung;  Strabotnmie ;  Modiflcatioiien  derselben. 

noch  immer  beträchtlicher  Grösse  der  Ablenkung  deren  Beseitigung  durch 
fortgesetzte  Spaltung  der  Scheide  erzwingen  zu  wollen.  Dadurch  gewinnt 
der  Kranke  gar  nichts,  im  Gegentheile  droht  ihm  eine  um  so  hässlichere 
Entstellung.  Zu  der  Beivegllchlceitsheschränkung  kömmt  dann  nämlich  noch 
ein  starkes  Hervortreten  der  Bulbi,  dieselben  erhalten  ein  glotzendes  Aus- 
sehen, welches  um  so  avff alliger  und  widerlicher  wird,  als  mit  dem  excessiv 
retrahirten  Muskelende  und  dem  dasselbe  umhüllenden  Scheidentheile  auch  die 
nachbarliche  Portion  der  Bindehaut  sammt  Adnexis  nach  hinten  gezogen  wird, 
im  Bereiche  des  Operationsfeldes  also  eine  iveit  nach  hinten  ragende  Lücke 
im  ConjunctivalsacJce  entsteht,  welche  durch  die  Tiefe  ihres  Schattens  deut- 
lich von  der  Umgebung  absticht.  Ist  man  mit  der  Trennung  gar  zu  weit 
gegangen  und  hat  man  namentlich  den  Muskel  in  grösserer  Länge  aus  seiner 
Scheide  herauspräparirt ,  so  weicht  der  Bulbus  auch  wohl  nach  der  anderen 
Seite  ab,  man  hat  einen  secandären  Strabismus  erzeugt;  oder  das  vordere  Ende 
des  durchschnittenen  Muskels  zieht  sich  gar  aus  der  Scheidenhaut  heraus, 
hängt  dann  nur  mehr  durch  sein  Perimysium  mit  der  letzteren  zusammen, 
kann  somit  keine  neue  Verbindung  mit  der  Bulbusoberfläche  selber  ein- 
gehen, es  verliert  der  Muskel  seinen  Einfluss  auf  den  Augapfel,  dieser  wird 
Yon  dem  Antagonisten  nach  der  entgegengesetzten  Seite  hin  gezogen  und 
bleibt  in  dieser  schiefen  Stellung  starr. 

Man  hat  sich  diesen  Gefahren  bisher  dadurch  zu  entziehen  gesucht, 
dass  man  sich  in  schwierigen  Fällen  vorerst  mit  einer  theilweisen  Correc- 
tur  begnügte  und  das  Fehlende  durch  spätere,  zwei  und  mehrmal  ivieder- 
holte  Operationen  zu  ersetzen  strebte.  Doch  muss  das,  was  durch  eine 
wiederholte  Operation  schliesslich  ohne  Gefahren  zu  erreichen  ist,  wohl  auch 
durch  eine  ricldig  dosirte  eiste  beiderseitige  Muskelrücklagerung  schadenlos 
zu  erzielen  sein,  um  so  mehr,  als  sich  nach  jeder  Operation  ziemlich  aus- 
gebreitete narbige  Verwachsungen  bilden,  deren  spätere  Lösung  viel  weit- 
läufigere Präparationen  erfordert  und  am  Ende  trotzdem  einen  geringeren 
Effect  gibt,  als  minder  ausgedehnte  Trennungen  bei  einer  ersten  Tenoto- 
mie.  Man  hat  in  Anbetracht  dessen  neuester  Zeit  auch  auf  Mittel  ge- 
dacht, welche  den  Rücklagerun gsbogen  bei  Vermeidung  der  oben  genannten 
Gefahren  möglichst  zu  vergrössern  gestatten,  und  glaubt  selbe  in  gewissen 
Modificationen   des  operativen  Verfahrens  gefunden  zu  haben. 

So  wird  empfohlen,  den  Bulbus  im  Falle  des  Bedarfes  nach  einer  ausgiebi- 
gen Strabotomie  mitteht  Fäden  in  der  Bahn  des  Antagonisten  durch  1 — 2  Tage  ab- 
gelenkt zu  erhalten,  damit  der  durchschnittene  MuskiJ  sicli  thuulichst  iceit  nach  hin- 
ten anzusetzen  ffezwunii-en  werde.  Es  soll  zu  diesem  Behüte  beim  Strabismus  inter- 
nus  ein  Faden  in  verticaler  Richtung  durch  die  Bindehaut  nahe  der  äusseren  Horn- 
hautgrenze ,  sodann  durch  die  äussere  Lidcommissur  gezogen  und ,  nachdem  der 
Augapfel  durch  Anziehen  in  die  erforderliche  Ahductionsstellung  gebracht  ist, 
geknüpft  werden.  Beim  Strabisnuis  extermis,  wo  eine  grössere  Kraft  zur  Adduction 
nothwendig  ist,  soll  der  Faden,  um  das  Durchreisseu  zu  verhindern,  mit  zwei 
Nadeln  armirt  werden,  deren  eine  IV2'"  üb&r,  die  andere  l'/o'"  unter  dem  hori- 
zontalen Meridiane  knapp  au  der  Hornliautgienze  ein-  und  im  Meridiane  ausge- 
stochen wird,  tun  dann  dicht  über  der  Carunkel  durch  die  innere  Commissur  ge- 
führt und  unter  entsprechendem  Anziehen  geknüpft  zu  werden.  Die  Erfolge  wer- 
den sehr  gelobt  (Knapp). 

Von  anderer  Seite  wird  gerathen,  bei  der  Operation  eines  convergirenden 
Strabismus  die  Conjunctiva  vorerst  von  der  Tenon'schen  Kapsel  bis  zur  halbmond- 
förmigen Falte  sorgfältig  zu  trennen  und  letztere  sammt  der  Carunkel  von  den 
hintenliegendeu  Theilen  loszulösen.  Zu  diesem  Ende  soll  die  Bindehaut  am  unteren 
Ende   des  Muskelansatzes  in    eine  Falte  aufgehoben,   eingeschnitten  und   die  Schere 


Oorrectui-pn  der  Muskclrik'kla^'t'rutif?;  Conjimctivalsutur.  915 

durch  die  Wunde  zvvisclieu  Conjunctiva  uud  Tenon'sche  Kapsel  präparirend  ein- 
geführt werden.  Ist  sodann  die  Trennung  in  dem  angedeuteten  Umfange  erzielt 
und  der  ganze,  für  die  Eücklagerung  wichtige  Kapseltheil  von  der  Bindehaut  völlig 
unabhängig  geworden,  so  soll  die  Sehne  in  der  gebräuchlichen  Weise  durchschnitten 
luid  die  mit  der  Tenotomie  gleichzeitig  gemachte  senkrechte  Kapselölfnung  nach 
oben  und  unten  um  so  ausgiebiger  verlängert  werden,  je  grösser  die  Rücklagerung 
ausfallen  soll,  worauf  die  Coiijunctivalvvundo  durch  eine  Naht  zu  schliessen  ist. 
Für  den  äusseren  Geraden  gilt  dasselbe  Verfahren ;  es  muss  die  Trennung  der  Binde- 
haut hier  bis  zu  demjenigen  Theile  des  äusseren  Winkels  ausgedehnt  werden,  wel- 
cher sich  bei  der  Aussenwendung  des  Blickes  scharf  nach  hinten  zieht.  Man  rühmt 
als  Vortheüe  dieser  Melhode:  eine  grössere  Freiheit  und  einen  viel  grösseren  Spiel- 
raum in  der  Dosirung  und  Vertlieilung  der  Rücklagerung;  die  Vermeidung  des 
Einsinkens  der  Carunkel  und  jeder  Spur  von  Narbenbildung,  wie  die  bisher  ge- 
bräuchliche Tenotomie  sie  bisweilen  hinterlässt;  die  Vermeidung  von  mehr  als  zwei 
Operationen  an  demselben  Individuum  und  von  mehr  als  einer  au  demselben 
Auge  (Liehreich).  Controlversuche  sind  nicht  durchwegs  zu  Gunsten  dieser  Neuerung- 
ausgefallen,  indem  maxi  ein  sehr  starkes  Einsinken  der  Carunkel  fjavalj,  Vereite- 
rungen wegen  weitläufiger  Entblössung  des  Muskels  (Knax)p)  und  ganz  enorme 
Blutungen  in  die  geöfi'nete  Tenon'sche  Kapsel  mit  Vortreibung  des  Bulbus  (Hahertsma) 
beobachtet  hat. 

Manche  halten  es  für  besser,  die  Conjunctiva  statt  in  querer  in  meridionaler 
Richtung ,  lätigs  des  Muskelbauches  nämlich ,  zu  eröffnen,  um  die  Wundklaffung 
auf  ein  Minimum  zu  reduciren ;  hierauf  die  Bindehaut  von  den  Wundrändern  aus 
eine  Strecke  weit  nach  oben  und  unten  von  der  Kapsel  loszupräparireu  und  auch 
die  Carunkel  von  ihrer  Unterlage  zu  trennen,  um  sodann  den  Muskel  zu  durch- 
schneiden und  die  Scheide  nach  Erforderniss  zu  spalten  (Snellen). 

Bei  übergrossen  Schielwinkeln  ist  die  operative  Beseitigung  der  Ablen- 
kung trotz  allen  diesen  Modificationen  nicht  leicht  möglich,  ohne  eine  sehr 
fühlbare  Motilitätsbeschränkung  des  Bulbus,  ein  starkes  Einsinken  der 
Carunkel  und  eine  beträchtliche  Vortreibung  des  Augapfels  zu  setzen.  Man 
empfiehlt  darum,  sich  in  den  betreffenden  Fällen  mit  massiger  beidersei- 
tiger Muskelrücklagerung  zu  begnügen,  und,  was  dann  noch  an  der  ge- 
wünschten Stellung  der  Augen  abgeht,  dadurch  zu  ersetzen,  dass  man  die 
Muskelsehne  des  Gegners  des  Schielmuskels  vornäht  (Graefe).  Oefters 
dürfte  es  sogar  gelingen,  durch  eine  einseitige  Vornühung  eine  volle  Cor- 
rection  zu  erzielen,  was  selbstverständlich  in  mehrfacher  Beziehung  als  ein 
wesentlicher  Vortheil  und  für  den  Kranken,  welcher  bei  Amblyopie  des 
Schielauges  auf  das  fixirende  Auge  allein  angewiesen  ist,  im  hohen  Grade  beru- 
higend erscheint  (Schweigger).  Zeigt  sich  in  Folge  einer  zu  weiten  Oeff- 
nung  der  Kapsel  oder  einer  zu  ausgedehnten  Trennung  des  Muskels  von 
seinen  Nachbartheilen  gleich  nach  der  Operation  eine  beträchtliche  secundäre 
Ablenkung,  so  ist  es  klug,  den  Fehler  sogleich  durch  die  Conjunclivalsutur 
zu  verbessern.  Ganz  kleine  secundäre  Abweichungen  bedürfen  dessen  wohl 
niemals,  sondei'n  sind  vielmehr  vortheilhaft  uud  darum  anzustreben,  da  sie 
unter  der  allmäligen  Contractur  der  Narbe  sich  gewöhnlich  bald  wieder 
vollständig  ausgleichen  und  so  ein  InsufFicientwerden  des  Erfolges  verhü- 
ten. Bei  grösseren  secundären  Ablenkungen  geschieht  dies  zwar  auch  nicht 
ganz  selten  und,  wenn  bei  Kindern  operirt  wird ,  sogar  ziemlich  oft ,  ja 
mitunter  reeidivirt  gar  der  Strabismus  convergens  ,  indem  unter  der  Fort- 
dauer der  Schiehnnervation  der  übercorrigirte  Ablenkungswinkel  plötzlich 
wieder  um  ein  Bedeutendes  wächst.  Rechnen  darf  man  liierauf  jedoch 
nicht,  besonders  wenn  die  Tenotomie  erst  nach  der  Pubertätsperiode  oder 
an  Erwachsenen  vorgenommen  wird.  Um  für  edle  Fälle  vor  dem  Zurück- 
bleiben  eines  secundären  Sclaielens  gesichert  zu  sein     und    die   complicirte, 

58* 


91  G  Strabismus  converg. ;  BelianJluni^:  Sti-abotomie;  deren  nnniittelbarp  Folgen. 

in  ihrem  Erfolge  viel  schwieriger  zu  dosirende  Vornähuug  des  Muskels  zu 
umgehen,  bleibt  also  nichts  anderes  übrig,  als  das  Uehennass  der  erzielten 
Correctnr  dadurch  zu  vermindern,  dass  man  die  Wundränder  der  Scheiden- 
und  Bindehaut  mittelst  einer  zarten  Knopfnaht  nach  Bedarf  einander 
wieder  nähert.  Um  den  Effect  einigermassen  zu  steigern,  kann  man  auch 
wohl  ein  halbmondförmiges  Stück  aus  der  dem  Uebergangstheile  näheren 
Portion  der  Bindehaut  und  Scheide  ausschneiden  und  dann  die  Wundränder 
durch  die  Naht  vereinigen. 

Wo  jedoch  die  secundäre  Ablenkung  eine  sehr  bedeutende  ist,  reicht 
man  mit  dieser  Methode  nicht  aus,  man  muss  das  rückgelagerte  Musicelende 
vornähen,  oder  die  Vorlagerung  desselben  durch  die  sogenannte  Fadenopei-a- 
tion  anstreben. 

Man  darf  nicht  glauben,  sicli  die  Durchführung  der  Strahotomie  dadurch  er- 
leiclitern  zu  können,  dass  man  die  Bindehaut  und  die  Scheidenhaut  in  grösserer 
Entfernung  von  der  Cornealgrenze  öffnet.  Man  stösst  dann  nämlich  auf  Je?ie  Portion 
des  Muskels,  welche  in  oder  gar  noch  ausserhalb  der  Scheidenhaut  streicht  und  mit 
dieser  durch  zahbeiche  bindegewebige  Fäden  ziisammenhängt.  Es  lässt  sich  dann 
der  Muskel  natürlich  nicht  rein  aus  seinem  Bette  hervorziehen ,  er  folgt  vielmehr 
sammt  der  Scheiden-  und  Bindehaut  der  Pincette.  Es  wird  in  Folge  dessen  schwer, 
sich  zu  Orientiren;  öfters  bleiben  einzelne  Sehnenfäden  stehen,  oder  man  trennt  zu 
viel  von  der  Scheide  und  der  Operations6^ec<  wird  ein  misslicher. 

Eine  ähnliche  Gefahr  läuft  man,  wenn  man  den  Muskel  in  grösserer  Entfer- 
nung von  der  Ansatzlinie  durchschneidet.  Jedenfalls  wird  dann  die  Rücklageriing 
eine  viel  bedeutendere,  als  liei  regelrechtem  Vorgange,  da  der  Muskel  um  die  Länge 
des  stehen  getriebenen  Stumpfes  verkürzt  wird  und  ein  Theil  der  Widerstände  weg- 
fällt, welche  die  Verbindungen  des  Muskels  mit  seinen  Hüllen  der  Retraction  ent- 
gegenstellen. Dazu  kömmt,  dass  der  Sehnenstimivpf  nicht  immer  einfach  schruvmft, 
sondern  vielmehr  häufig  sich  in  üppiger  Granulationsbildung  ergeht  und  dadurch 
der  Therapie  viele  Schwierigkeiten  bereitet,  jedenfalls  die  Heilung  über  Gebühr 
verlangsamt. 

12.  Unmittelbar  nach  der  Durchschneidung  zieht  sich  der  Muskel  so  weit 
zurück,  als  es  die  noch  bestehenden  Verbindungen  desselben  erlauben.  Es 
ist  diese  Contraction  öfters  eine  krampfhafte,  daher  der  Operationseffect  im 
ersten  Augenblicke  geringer  erscheint,  als  er  sich  nach  Ablauf  einer  oder 
mehrerer  Stunden  erweiset.  Binnen  kurzem  kömmt  es  zur  Entzündung, 
es  entwickelt  sich  neoplastisches  Bindegewehe,  welches  sich  bald  verdichtet 
und  am  Ende  straffe  sehnige  Faserzüge  darstellt,  welche  theils  von  der 
inneren  Fläche,  theils  vom  Schnittrande  und  von  den  Seitenrändern  des 
Muskelendes  zur  Scleraloberfläche  ziehen.  Dadurch  werden  die  zurückge- 
bliebenen ursprünglichen  Verbindungen  wesentlich  verstärkt,  ausserdem  aber 
auch   ein  neuer  directer  Zusammenhang,   eine  neue  Insertion,  hergestellt. 

Insoferne  die  neoplastischen  Hefte  bei  ihrer  Höhergestaltuiig  sich  etwas 
verkürzen  und  im  Ganzen  weniger  dehnbar  sind,  als  die  früheren  Vermittler  des 
Zusammenhangs,  nämlich  die  Umhüllungen  des  Muskels,  erfährt  der  Ojjerationseffect 
eine  kleine  Verminderung ,  welche  sich  gemeiniglich  erhält,  mitunter  jedoch  nach 
einiger  Zeit  sich  wieder  ausgleicht,  wahrscheinlich  wegen  steigender  Wirkungsfähig- 
keit des  Antagonisten  (Graefe). 

Waren  die  Widerstände,  welche  der  durchschnittene  Muskel  bei  seiner  Zu- 
rückziehung fand,  in  der  Breite  des  Schnittrandes  nicht  ganz  gleich,  indem  z.  B.  die 
Scheidenhaut  nach  oben  oder  unten  in  grösserem  Umfange  getrennt  worden  ist:  so 
ist  auch  die  Retraction  der  einzelnen  Fleischbündel  keine  ganz  gleichniässige,  die 
neue  Insertionslinie  stellt  sich  schief  zu  der  früheren.  Uadurch  wird  offenbar  die 
Bahn,  in  welcher  der  betreffende  Muskel  den  Augapfel  fürder  dreht,  nach  dem 
vordersten  Insertionspuukte  hin  verrückt,  d.  i.  die  Gesichtslinie  etwas  nach  ohen 
oder  unten  abgelenkt,  wenn  der  innere   oder  äussere  Gerade    durchschnitten  wurde. 


N;ic-lil"'li,ni.lluiig.  917 

Mail  hat  difsp,  Erfalirmij;  belmt's  kleiner  Corvecliiren  in  Fällen  beuiitzl,  in  welchen 
die  .stiahotisehe   Abweiehiing  nicltl  ganz  in   der  Bahn   eines  einzelnen  Muskels  lag. 

Der  Zuischenraum  zwischen  den  Leiden  Schniltmudevn  der  Muskelsehne  bleibt 
liHutiii'  yanz  leer,  oder  es  wird  eine  Art  Inlercalarsiück  durch  lockeres  Bindegewebe 
angedeutet.  Mitunter  jedoch  kömmt  es  auch  zur  Entwickeluiig  eines  ziemlich  mäch- 
tigen neuplastisehen  Sfrdiir/e.i,  welcher  die  aus  einander  gewichenen  Muskelschnitt- 
räudcr  gegenseitig  verhiiidel.  Es  kann  ein  solches  Zwischenstück  aber  nur  sehr 
ausnahmsweise  auf  die  Grösse  der  Beweylichkeil  des  Bulbus  in  der  Bahn  des  betref- 
fenden Muskels  Einfluss  nehmen,  da  dasselbe  seiner  ganzen  Lämje  nach  der  Leder- 
haiit  anzuhaften  pflegt  und  immer  nur  der  Idnlerste  Insertionsjinnkt  als  der  eigent- 
liche Änijriff'spimkf  des  Muskels  zu  gelten  hat  (Graefe). 

Zieht  sich  der  Muskel  ganz  aus  der  ScheidenhaiU  zurück,  so  entwickeln  sich 
gleichfalls  sehnige  Verhindungsfüden  vom  Muskelende  aus ;  diese  verlaufen  sich  aber 
in  dem   Orhitnlbindegen^ehe,  der  Muskel  bleibt  von  der  Lederhaut  getrennt. 

13.  Es  sind  diese  Vorgänge  nur  selten  mit  irgendwie  erheblichen  Rei- 
zum/serscheinungen  verknüpft.  Plöchst  ausnahmsweise  hat  man  Scleraloer- 
eiternngen  (Graefe,  Mooren)  u.  s.  w.  beobachtet.  In  der  Regel  erfolgt  die 
Verlölhung  der  Wundränder  per  primam  intentionem.  Die  durch  die  Opera- 
tion bedingte  Verletzung  als  solche  macht  darum  auch  nur  selten  Anspruch 
auf  eine  directe  Behandlung.  Doch  ist  es  dringend  zu  rathen,  das  Auge 
und  die  Lider  während  dem  ersten  Tage  nach  der  Operation  durch  einen 
Schutzverband  zu  immobilisiren.  Hat  man  wegen  einer  üebercorrectur 
Bindehautnähte  anbringen  müssen,  so  darf  man  nicht  verabsäumen,  nach 
Ablauf  mehrerer  Stunden  wiederholt  nachzusehen  und  den  Stand  des 
Auges  zu  prüfen,  da  die  Spannungszustände  der  Muskeln  gewöhnlich 
andere  wie  unmittelbar  nach  der  Operation  geworden  sind  i;nd  öfters  ein 
Nachlassen  oder  Anziehen  der  Nähte  nothwendig  machen,  soll  die  Correc- 
tur  eine  vollständige  bleiben. 

War  die  Operation  etwas  schwieriger  ausgefallen  und  war  man  zu  loeitläufi- 
geren  Trennungen  der  Scheidenliaut,  zu  öfterem  Eingehen  mit  dem  Haken  genöthigt 
gewesen  etc.,  so  kann  man  eine  Zeit  lang  kalte  Umschläge  appliciren,  um  stärkere 
Reactionen  zu  verhüten.  Wo  leträchfliche  Bhdaustretungen  stattgefunden  haben,  ist 
es  rathsani,  vom  zweiten  Tage  nach  der  0]ieration  beginnend,  Ueberschläge  mit  in 
verdünnten  Franzbranntwein  getauchten  Leinwandbäuschen  zu  appliciren,  um  die 
Reso)'ption  etwas  zu  beschleunigen.  Granulationen  werden  durch  Betupfung  mit 
Opiumtinctur  niedergehalten  und,  falls  sie  von  grösserem  Umfange  sind,  mit  der 
Schere  abgetragen.  Doch  thut  man  gut,  die  Exstirpafion  zu  verschieben,  bis  sich 
die  Wundränder  der  Conjunctiva  um  die  Granulationen  bis  auf  ein  Kleines  zusammen- 
gezogen haben,  diese  also  an  ihrer  Basis  gleichsam  abgeschnürt  erscheinen. 

14.  Von  grösster  Wichtigkeit  ist  nach  der  Operation  die  Handha- 
bung der  auf  Correction  des  Grundleidens  zielenden  Massregeln  (S.  906), 
also  vornehmlich  die  Vermeidung  starker  Accommodationsarbeit,  da  unter  der 
Aufwendung  grosser  Accommodationsquoten  die  Schielinnervation  steigen 
und  damit  neuerdings  eine  strabotische  Ablenkung  erfolgen  könnte.  Bei 
Kindern  ist  besonders  eine  sehr  ausgiebige  Correction  des  Refractionsfehlers 
geboten;  während  bei  Erwachsenen  es  meistens  genügt,  die  Brillen  blos 
beim  angestrengten  Nahesehen  verwenden  zu  lassen ;  ja  öfters  werden 
hier  sogar  grössere  Accommodationsquoten  disponibel  bleiben  dürfen. 

15.  In  manchen  Fällen  stellt  sich  nach  der  Operation  ein  höchst 
lästiges  Doppeltsehen  mit  oder  ohne  Schwindel  ein,  indem  die  Orientirung 
der  beiden  Netzhäute  gestört  worden  ist  fS.  909).  Oft  verschwindet  die 
Diplopie  innerhalb  weniger  Tage  ,  indem  das  Unterdrückungsgebiet  im 
strabotischen  Auge  sich  allmälig  verschiebt-  nicht  selten  jedoch  hält  sie 
auch  wochenlang  an,  ja  bisweilen  peinigt  sie    den  Kranken    viele  Monate, 


918  StrabisniTis  converg. ;  Behandlung ;  Seeundärschielen ;  Vornälrang  des  Muskels. 

Man  kann  sich  dann  öfters  durch  Prismen  helfen,  welche  die  Eindrücke 
des  fixirten  Objectes  im  ehemaligen  Schielauge  auf  das  alte  Unterdrückungs- 
gebiet  lenken.  Wo  sich  dieses  Mittel  jedoch  als  ungenügend  erweist,  muss 
die  Therapie  auf  Ausschliessung  des  Schielauges  vom  Sehacte  gerichtet 
werden.  Zu  diesem  Ende  ist  dem  Schielauge  ein  dunkles  Glas  vorzusetzen 
oder  es  muss  ein    Verband  angelegt  werden,   bis  der  Zweck   erreicht  ist. 

16.  Beim  Seeundärschielen,  wenn  der  Schielwinkel  ein  sehr  beträcht- 
licher, aber  nicht  excessiver  ist  und  die  Beweglichkeitsbeschränkung  in  der 
Bahn  des  rückgelagerten  Muskels  nicht  2 — '^^/i'"  übersteigt,  ist  die  Vor- 
nähung  der  Muskelsehne  angezeigt,  eine  Operation,  welche  ausserdem  noch 
bei  manchen  paralytischen  Beweglichkeitsbeschränkungeu  geringeren  Grades, 
PO  wie  auch  bei  hochgradigen  primären  Strabismen,  besonders  divergirenden 
empfohlen  wird,  wenn  die  Beweglichkeit  in  der  Bahn  des  Antagonisten  des 
Schielmuskels  etwas  gelitten  hat.  Beim  Seeundärschielen  wird  selbstver- 
ständlich die  Sehne  des  verkürzten  Muskels,  bei  Paresen  und  excessiven 
primären  Strabismen  aber  der  verlängerte  Muskel  vorgenäht.  Es  muss  damit 
immer  die  Durchschneidung  des  Gegners  verbunden  werden,  um  den  Effect 
zu  steigern  und   die   starke   Zerrung  der  Nähte  zu  vermindern. 

Die  Vornähung  wird  am  besten  während  der  Narkose,  jedenfalls  bei 
wohl  fixirtem  Bulbus,  durchgeführt.  Vorerst  wird  die  Conjunctiva  mittelst 
einer  feinen,  an  den  Spitzen  abgerundeten  Schere  gerade  auf  der  Insertion 
des  vorzulagernden  Muskels  und  in  der  ganzen  Ausdehnung  derselben 
eingeschnitten,  dann  nach  der  Peripherie,  hauptsächlich  aber  nach  der 
Coimea  hin  und  zwar  bis  zum  Hornhautrande  in  einem  Umfange  gelockert, 
welcher  der  Breite  der  Sehncniusertion  (10 — 12  Millm.)  entspricht,  wo- 
bei die  Bindehaut  jedoch  nicht  gefenstert  werden  soll.  Jetzt  muss  an  dem 
einen  Ende  des  Muskclansatzes  die  Tenon'sche  Kapsel  durch  einen  kleinen 
Einschnitt  geöifnet  werden,  um  einen  flach  gekrümmten  stumpfen  Haken 
zwischen  Muskel  und  Sclera  durchschieben  zu  können,  worauf  die  Tenon'sche 
Kapsel  am  anderen  Ende  der  Insertion  auf  dem  Haken  so  weit  einge- 
schnitten wird,  dass  derselbe  hier  frei  zu  Tage  tritt.  Nun  werden  so- 
gleich zwei  feine  gewachste  Seidenfäden  in  den  Muskel  eingelegt.  Jeder 
derselben  ist  mit  zwei  Nadeln  versehen,  welche  längs  des  Hakens  von 
der  Scleralfläche  des  Muskels  aus  durch  denselben  hindurchgestochen  wer- 
den, so  dass  jede  der  beiden  Fadenschlingen  ein  2-— 3  Millm.  breites 
Stück  des  Muskels  vimfasst.  Nun  erst  wird  die  Insertion  vor  dem  Haken 
hart  an  der  Sclera  abgelöst.  Ist  dies  geschehen,  so  werden  die  Nadeln 
von  der  Scleralgrenze  des  Conjunctivallappens  aus  durch  diesen  nahe  am 
Hornhautrande  durchgestochen  und  festgeknüpft.  Ton  jeder  Naht  wird 
das  eine  Fadenende  kurz  abgeschnitten,  das  andere  aber  hinreichend  lang 
gelassen,  um  das  Herausnehmen  der  Suturen  am  2.-3.  Tage  zu  erleich- 
tern. Jetzt  ist  die  Bindehautwunde  durch  eine  feine  Knopfnaht  zu  schlies- 
sen  und  endlich  der  die  Schielablenkung  verursachende  Muskel  nach  den 
oben  geschilderten  Kegeln  zu  durchschneiden   (Schiüeigger). 

Erfahruugsmässig  thut  man  gut,  eine  kleine  Uebercorrcction  anzu- 
bahnen, da  der  unmittelbare  Effect  der  Operation  hinterher  sich  immer 
um  Einiges  vermindert.  Die  Naht  muss  2 — 3  Tage  liegen  bleiben,  wäh- 
rend welcher  Zeit  die  Verlöthung  immer  eine  genügende  Festigkeit  erlangt 
hat.     Um  das  Reiben   des  Fadenknotens  zu  verhindern  und  auch  die  Aus- 


Mndificatioiien  der  Vmiiäliunn:;  Fadeiioporation.  919 

breitung  von  IMutoxtravasaton  zu  beschränkcu,  empfiehlt  sicli  i^ehr  der 
Druckverband,  nur  bei  stärkerer  entzündlicher  Reizung  die  vipplication  von 
Ivalteu   üeberschlägen. 

Die  Nullte  erst  nach  der  Durch^chneidmir/  des  Muskels  in  diesen  cinzufüliren, 
wie  es  bislier  üblicli  \v;ir  (C'ritchett,  Graefe)  ist  minder  vortheiihaft,  indem  der 
Muskel  sich  stark  zuriickzielit  und  man  dann  mit  der  Pincette  in  eine  dunkle 
Tiefe  tauchen  muss,  um  ihn  wieder  hervorzulieben,  wobei  gewöhnlich  nicht  viel 
nieiir  als  die;  gerade  mit  der  Pincette  get'assten  Faserbündel  zu  Tage  gefördert 
werden,  daher  man  dieses  schwierige  und  verletzende  Manöver  für  jede  Sutur 
wiederholen  nniss. 

Manche  glauben  den  Etfect  der  Operation  zu  sichern  und  zu  steigern,  indem 
sie  die  Bindehaut  länys  der  Axe  des  Muskels,  also  in  querer  Richtung  von  der 
Hornhaut  bis  zur  halbmondförmigen  Falte  iiiu  spalten,  sodann  die  Muskelsehne 
durch  einen  an  der  Spitze  durchbohrten  Strabismusliaken  umfassen  und  mittelst 
des  am  Haken  eingefülu'ten  Seidenfadens  dicht  an  der  Sclera  zusammenschnüren, 
um  dann  die  Operation  in  der  gewöhnlichen  Weise  zu  vollenden  (Agnew). 

Aiulere  ziehen  es  vor,  die  Pindeliaut  in  der  Gegend  der  neuen  Muskel- 
insertion  diu-ch  einen  verticulen  Einschnitt  zu  spalten  und  sowohl  gegen  die  Cornea 
als  gegen  die  Uebergangsfalte  hin  von  der  darunterliegenden  Tenon'schen  Kapsel 
loszupräpariren,  um  hierauf  sogleich  den  Muskel  von  der  Sclerotica  zu  trennen 
imd  die  Kapsei  nach  oben  und  unten  so  weit  einzusclnieiden ,  dass  der  Muskel 
nrul  der  ihm  aufliegende  Kapseltheil  vollkommen  verschiebbar  werden,  sich  also 
auch  leicht  unter  der  Conjunctiva  bis  an  den  Hornhautrand  heranziehen  lassen. 
Hier  befestigen  sie  das  vordere  Muskelende  auf  folgende  Weise.  Zwei  feine,  an 
den  beiden  Enden  desselben  Fadens  befindliche  Nadeln  werden  zuerst  durch  die 
Kapsel  und  das  Muskelende  und  dann  von  Hinten  nach  Vorne  durch  die  Con- 
junctiva gezogen,  über  welcher  die  Schlinge  zusammengeschnürt  wird.  Eine  solche 
Sutur  oder  Schlinge  wird  in  der  Gegend  des  oberen,  eine  zweite  in  der  Gegend 
des  unteren  Mnskelrandes  angebracht.  Nachdem  auf  diese  Weise  der  Muskel  und 
mit  ihm  die  Kapsel  dicht  am  Hornhautrande  unter  der  Conjunctiva  fixirt  sind, 
wird  die  Conjunctivalwunde  sorgfältig  durch  mehrere  Kiiopfnähte  geschlossen.  Im 
Nothfalle  kann  selbstverständlich ,  um  den  Effect  zu  vergrössern,  ein  Stück  von 
dem  vorderen  Muskelende  und  auch  von  der  Tenon'schen  Kapsel  abgetragen 
werden  (Liehreich). 

17.  In  Fällen  von  Secundär schielen,  wo  die  Beweglichlieit  in  der 
Bahn  des  retrahirten  Muskels  völlig  oder  fast  völlig  aufgehoben  ist,  also 
vornehmlich  dort,  wo  der  Muskel  sich  ganz  zurückgezogen  hat  und  mit  dem 
Bulbus  in  gar  keiner  Verbindung  mehr  steht,  so  wie  überhauj)t  bei  sehr 
grossem  Schielwinkel,  wenn  auch  die  Beweglichkeitsbeschränkung  in  der 
Bahn  des  rückgelagerten  Muskels  nur  eine  massige  wäre:  genügt  die  Vor- 
nähung  nicht  mehr,  da  sind  stärkere  Vorlagerungen  des  Muskelendes  noth- 
wendig  und  diese  können  nur  durch  die  sogenannte  Fadenoperation  erzielt 
werden.  Ausserdem  wird  dieses  Verfahren  noch  für  alle  parcdytischen 
Beweglichkeitsbeschränkungen  höheren  Grades  sowie  für  primären  Strabismus 
mit  excessivem  Schielwinkel  und  bedeutender  Beweglichkeitsbeschränkung  in 
der  Bahn  des   Schielmuskels  empfohlen  (Grüefe^. 

Um  den  Muskel  vorzulagern,  wird  bei  genügender  Fixation  des 
Augapfels  vorerst  die  Bindehaut  vor  der  betreffenden  Muskelsehne  vertical 
eingeschnitten  und  dann  gegen  die  Cornea,  so  wie  gegen  den  Uebergangs- 
theil  hin  in  genügendem  Umfange  von  der  Lederhaut  losgetrennt.  Ist  dann 
auch  das  Muskelende  von  der  Sclera  abpyäparirt  worden,  so  wird  der  An- 
tagonist durchschnitten,  aber  nicht  knapp  an  seiner  Insertionslinie,  sondern 
etwa  1 '"  weiter  nach  hinten,  damit  ein  Stumpf  sitzen  bleibe.  Durch  diesen 
Stumpf  wird  eine  Fadenschlinge  mittelst  einer  krummen  Nadel  geführt,  der 
Augapfel  nach   der  Seite   des  vorzulayernden  Muskels  gezogen,   und    in   dieser 


920  Stiabismup  conveig. :  Behaudlnng;  Quellen. 

Lage  durch  zweckmässige  Befestigung  des  Fadens  '2  —  3  Tage  erhallen. 
Von  wesentlichem  Vortheile  ist  dabei  die  Application  eines  gut  anliegenden 
ScJiutzverhandes,  da  er  den  Bulbus  in  seiner  Lage  einigermassen  fixirt  und 
so  Zerrungen  der  mit  dem  Faden  in  A'erbindung  stehenden  Theile  verhin- 
dert, also  auch  eine  Ursache  heftiger  Sehmerzen  und  intensiver  Reizungen 
entfernt  (Guerin,    Graefe). 

Leider  kann  man  bei  diesem  Verfahren  den  Effect  nicht  leicht  dosi- 
ren,  da  das  Auge  immer  möglichst  stark  nach  der  Seite  des  vorzulage.imden 
Muskels  gewendet  werden  muss,  auf  dass  der  Faden  nicht  über  die  Wöl- 
bung der  Hornhaut  hinüber  laufe  und  sich  an  dieser  reibe,  was  in  der  Regel 
zu  unerträglichen  Schmerzen  und  oft  auch  zu  bedenklichen  Entzündungen, 
ja  zur  Cornealvereiterung  (Steffan)  führen  kann.  Es  bleibt  darum  auch 
in  den  meisten  Fällen  eine  starke  Ablenkung  des  Bulbus  in  der  Bahn  des 
wieder  vorgelagerten  Muskels  zurück,  welche  dann  durch  Bücklawerung 
des  Partners  der  anderen  Seite  gedeckt  werden  muss,  falls  dieser  nicht 
etwa  früher  schon  durchschnitten  und  zur  Retraction  bestimmt  worden 
ist   (Graefe). 

18.  Um  die  hässliche  Entstellung  zu  beseitigen,  welche  ein  starkes  Ein- 
sinken der  Bindehaut  und  Thränencarunkel  nach  excessiven  Trennungen  der 
Scheidenhaut  an  der  Innenseite  des  Bulbus  mit  sich  bringt,  eröffnet  man 
in  derselben  Weise  wie  bei  der  Strabotomie  die  Conjunctiva  hulbi  einige 
Linien  vor  der  Camukel  in  verticaler  Richtung,  geht  dann  in  das  submu- 
cöse  Gewebe  ein  und  präparirt  es  mit  Vorsicht  nach  hinten,  bis  an  die 
Aussenfläche  des  rückgelagerten  Muskels,  nach  vorne  bis  in  die  Xähe  der 
Cornea! grenze.  Man  vereinigt  sodann  die  breit  gefassten  Wundränder  der 
Bindehaut  durch  eine  Knopfnaht,  wobei  man  darauf  Bedacht  nimmt,  die 
Carunkel  stark  nach  vorne  und  auch  etwas  nach  oben  zu  ziehen.  Es 
vereinigt  sich  dann  der  präparirte  hintere  Bindehautlappen  der  Fläche  nach 
mit  der  Sclera  (Graefe). 

19.  Um  starke  Vortreibungen  des  Bulbus  zu  maskiren  oder  ein  über- 
mässiges Klaffen  der  Lidspalte  zu  beseitigen,  wird  mit  Vortheil  die  Tarso- 
raphie   (S.    540)    ausgeführt   (Graefe). 

QueUen:  Graefe.  A.  f.  O.  L  1.  S.  82,  435;  I.  2.  S.  294:  III.  1.  S.  177—386; 
III.  2.  S.  409;  V.  2.  S.  211;  IX.  2.  S.  48—56;  X.  1.  S.  156—175;  kliu.  Moiiatbl. 
1863.  S.  484;  1864.  S.  1—22;  1869.  S.  225,  265,  274,  280;  Cougres  ophtb.  1868. 
S.  109.  —  Benders,  A.  f.  O.  VI.  1.  S.  92;  IX.  1.  S.  99—154;  Anomal,  der  Acc.  u. 
Kefr.  Wien.  1866.  S.  243 — 257;  Verhau dlgn.  d.  ophth.  Versammlung  zu  Heidelberg. 
Berlin.  1860.  S.  31—34;  Vierde  Jaarl.  Verslag.  Utrecht.  1863.  S.  1—52.  84;  Het 
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Derde  Jaarl.  Verslag.  Utrecht.  1862.  S.  137,  190—208.  —  Alf  Graefe,  Klin.  Anal, 
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Monatbl.  1863.  S.  37,  417—423;  1864.  S.  64;  Ophth.  Beiträge.  S.  111,  330  u.  f. — 
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Schiceigger,  Kl.  Monatbl.  1867.  S.  1—31;  Göttinger  Nachrichten.  1870.  S.  262.  — 
Javal,  kl.  Monatbl.  1864.  S.   404,  437:    Cougres  ophth.  1868.  S.   107.  —  Liebreich, 


Stnibisiims  divergciis;  Kniiiklu'it^liilil  ;   v(MM'lii('(l(>ric   Finnen;  Scliiclwinki^l.  021 

A.  f.  O.  XII.  '2.  S.  '298— Ö07;  CuiigTe.s  ..plitli.  18ß8.  S.  104;  Arch.  f.  Au<,'fii-  ii. 
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1867.  kS.  .')17.  —  Stefan,  ibid.  S.  78.  -  Aijnc.ir,  Und.  1869.  8.'  139.  —  Dohrowohk,/, 
ibid.  1868.  Beil.  ö.  185.  —  Haherisma,  Sne/le»,  ibid.  1870.  S.  24.  —  Ar/./,  Lebr- 
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Congr^s    intern,  d'opbtb.  Paris.   1868.  S.   195;    nach  Graefe,  A.  f.  O.  111.   1.  S.  372. 


2.  Das  divergirende  Schielen. 

Krankheitsbild.  Clinndterislisch  ist  die  verminderti'  Comiergenz  der 
Gesichtslinien   bei  sonstiger   Freiheit   der  Blickrichtung. 

1.  Die  strabotische  Ablenkung  erfolgt  der  Hegel  naoli  lediglich  in 
der  Bahn  des  äusseren  Geraden,  so  dass  die  Gesichtslinie  des  Schielaviges 
hinter  dem  Fixationsobjecte  vorbeischiessl  und  gewöhnlich  mit  der  anderen 
Gesichtslinie  divergirt.  Ausnahmsweise  weicht  die  Gesichtslinie  des 
Schielauges  jedoch   auch  nach   oben  aussen  oder  nach  unten  aussen  ab. 

2.  Der  Strabismus  divergens  ist  gleich  dem  convergens,  besonders  anfäng- 
lich, \\A\\&^em  periodischer,  intercurr enter,  d.  i.  er  tritt  nur  unter  besonderen 
"N^erhältnissen  hervor,  während  sonslen  beide  Augen  richtig  fixiren  und,  wo  nicht 
andere  krankhafte  Zustände  es  hindern,  auch  binoculares  Einfachsehen  mit 
directer  Tiefenwahrnehmung  stattfindet.  Im  Laufe  der  Zeit  pflegt  jedoch 
auch   das   divergente   Schielen  ständig  zu  werden. 

In  einer  Anzahl  von  Fällen  wird  bald  dieses,  bald  jenes  Auge  sti-a- 
botisch  abgelenkt,  während  das  andere  fixirt  und  es  hängt  dies  bald  von 
der  Willkür  des  Kranken  ab,  bald  wird  die  Wahl  des  fixirenden  Auges 
von  der  Lage  des  Objectes  im  Räume  bestimmt,  so  dass  bei  gewissen 
Distanzen  und  bei  gewissen  Seitenblickrichtungen  dieses,  bei  anderen  jenes 
Auge  auf  den  Fixirpunkt  eingestellt  wird ,  der  Strabismus  divergens 
erscheint  in  alternirender  Form.  Meistens  indessen  wird  constant  das 
Eine  Auge  abgelenkt,  der  Strabismus  ist  ein  monoculärer  und  insoferne  ein 
concomitir ender,  als  bei  Deckung  des  fixirenden  Auges  dieses  nach  aussen 
abweicht,  während   das  Schielauge  die  Fixation  übernimmt. 

3.  Der  Schielwinkel  ist  bei  verschiedenen  Individuen  sehr  verschie- 
den gross.  Er  wechselt  aber  auch  bei  demselben  Individuum  nach  Zeit 
und  Umständen  innerhalb  sehr  weiter  Grenzen. 

Im  Allgemeinen  kann  man  sagen,  dass  die  strabotische  Ablenkung 
in  veralteten  Fällen  gewöhnlich  eine  grössere  zu  sein  pflegt,  als  sie  es  bei 
demselben  Individuum  im  Beginne  der  Krankheit  gewesen  ist.  Unzwei- 
felhaft kommen  hier  zum  Theile  Degenerationen  der  betheiligten  Muskeln, 
Hypertrophie  des  Schielmuskels  nämlich  und  Atrophie  seines  Antagonisten, 
in  Rechnung. 

Im  Uebrigen  haben  auf  den  Schielwinkel  bei  demselben  Individuum 
und  in  derselben  Zeit  die  jeweilig  erforderlichen  Convergenzqtioten  und  die 
Blickricldung  einen  massgebenden  Einfluss.  Es  machen  sich  in  dieser  Be- 
ziehung jedoch  sehr  erhebliche  Unterschiede  geltend  und  rechtfertigen  die 
Vermuthung,   dass  man  es  nicht  immer  mit  pathogenetisch  ganz  gleichwer- 


922        Strahismns  diverg. ;  Krankheitsbikl ;  Scliiclwiukel ;  Convergeuzstörnng  des  Schielauges. 

thigen  Zuständen  zu  thun  haben  möge,  sondern  mancherlei  in  einen  Rah- 
men zusammenfasse,  was  in  Zukunft  gesondert  zu  betrachten  sein  wird. 

a.  Die  grössten  Unterschiede  zeigen  sich  in  dem  Verhalten  des 
Schielauges,  wenn  ein  Pixationsobject  bei  iTiiverändert  horizontaler  Visir- 
ebene  allmälig  in  der  Medianehene  herangerückt ^  also  die  zur  Eixation 
erforderliche    Convergenzquote  gesteigert  wird. 

In  vielen  Fällen,  namentlich  bei  veraltetem  ständigen  sehr  hochgra- 
digen Strabismus  divergens,  bleibt  das  Schielauge  völlig  starr  in  seiner 
pathologischen  Stellung,  oder  es  macht  höchstens  ganz  unregelmässige  und 
insufficiente,  mehr  zuckende  und  wenig  excursive  Adductionen ,  wäh- 
rend das  andere  Auge  proportional  der  Distanzverkürzung  sich  nach  ein- 
wärts bewegt. 

In  anderen,  zumeist  minder  hochgradigen  Fällen  von  ständigem  Stra- 
bismus divergens  weicht  das  Schielauge  in  demselben  Masse  oder 
etwas  mehr  und  rascher  nach  aussen,  als  das  fixirende  sich  nach 
innen  dreht. 

Bei  niedergradigem  Strabismus  divergens  ist  die  Convergenzfähigkeit 
des  Scliielauges  gewöhnlich  und  bei  periodischem  Schielen  sogar  in  der 
Regel  nicht  gänzlich  aufgehoben,  sondern  nur  die  potentielle  oder  auch  die 
actuelle  Convergenzenergie  (S.  827)  mehr  weniger  weit  unter  das  normale 
Mass  gesunken. 

So  stösst  man  auf  derlei  Fälle,  wo  der  Kranke,  wenn  er  aufmerk- 
sam gemacht  wird,  unter  Anwendung  kräftiger  Willensimpulse  jede  inner- 
halb der  normalen  Grenzen  gelegene  Convergenzquote  aufzubringen  und 
auch  wohl  einige  Zeit  zu  erhalten  vermag,  jedoch  früher  ermüdet  und 
dann  unter  dem  Gefühle  von  Spannung  und  Ermüdung  das  Schielauge  wieder 
nach  aussen  weichen  lässt. 

Gewöhnlich  jedoch  sind  viel  geringere  Convergenzen  als  in  der  Norm 
aetuel  aufbringbar.  Wird  ein  Object  in  der  Median  ebene  genähert,  so 
convergiren  beide  Augen  nur  bis  zu  einem  bestimmten  Abstände  regel- 
mässig ;  überschreitet  der  Gegenstand  diese  Grenze,  so  bleibt  das  Schielauge 
stehen  oder  geräth  in  kleine  unregelmässige  Schwankungen ;  bei  weiterer 
Distanzverkürzung  endlich  loeicht  es  plötzlich  mit  einem  Rucke  um  ein 
Bedeutendes  nach  aussen,  die  Gesichtslinien  divergiren  oder  convergi- 
ren in  einem  viel  geringeren  Grade,  als  es  derjenige  ist,  welchen  der  Kranke 
bei  entsprechender  Objectslage  noch  leicht  aufzubringen  und  mit  binocu- 
lärem  Sehacte  zu  erhalten  im  Stande  ist.  Der  Kranke  fühlt  ganz  deutlich 
diese  plötzliche  Ablenkung  und  weiss  genau  den  Moment  ihres  Zustande- 
kommens zu  bezeichnen.  Die  Grenze  der  Distanzverkürzung,  bei  welcher 
das  Schielauge  stehen  bleibt  und  jene,  bei  welcher  die  excursivere  strabo- 
tische  Ablenkung  sich  einstellt,  sind  bei  verschiedenen  Individuen  sehr 
differente.  Sie  pflegen  bei  fortgesetzten  Versuchen  und  damit  eintretender 
Ermüdung  der  betreffenden  Muskeln  etwas  hinaiiszurücken.  Dagegen  haben 
massige  Steigerungen  oder  Herabsetzungen  der  Accommodationsquote  durch 
Concav-  oder  Convexgläser  keinen  erheblichen  Einfluss.  Eben  so  wenig 
lassen  sich  diese  Grenzen  merklich  verschieben  durch  massige  Verminde- 
rungen der  Convergenzquote  bei  unvei'ändertem  Objectsabstande,  d,  i.  durch 
die  Vorsetzung  2 — 4gradiger  Prismen,  Basis  nach  innen,  vor  beide  Augen. 
Wohl    aber   werden    die   Grenzen    etwas  hinausgerückt    durch    adducirende 


Schielwiiil«'] ;  Bcwefrlichkeit  dei  Aujfcn;  Doppeltselieii.  923 

Prismen,  Basis  nach  aussen,  und  dui-ch  alles,  was  den  gemeinschaftUchen 
Sehact  in  höherem  Grade  zu  beirren  im  Stande  ist,  vornehmlich  durch 
vertical  gestellte  Prismen,  durch  sehr  starke,  weitaus  iihercorriylrende  Con- 
cav-  oder  Convexbrillen,  ja  durch  Ausschliessung  des  einen  Auges  vom 
Sehakte  mittelst  eines  vorgehaltenen  Schirmes. 

Schliesslich  sind  häufig  vorkommende  Fälle  von  massigem  Strabismus 
divergens  zu  erwähnen,  wo  sich  die  Ablenkung  hauplsächlich  beim  Ferne- 
seJien  und  beim  gedankenlosen  Blicke  geltend  macht,  während  beim  scharfen 
Fixiren  näher  gelegener  Objecto  innerhalb  gewisser  Grenzen  die  richtige 
Convergenz  beider  Augen  mit  binocularem  Sehacte  aufgebracht  und  erhal- 
ten werden  kann.  Es  ist  dabei  entweder  blos  die  potentielle  Energie  ge- 
sunken, der  Kranke  convergirt  bis  auf  4  Zoll,  ermüdet  aber  bald ;  oder  es 
ist  auch  die  actuelle  Energie  vermindert,  die  Grenze  des  binocularen  Se- 
hens und  jene  der  activen  strabotischen  Ablenkung  sind  mehr  weniger 
weit  herausgerückt. 

b.  Nicht  minder  auffällig  ist  der  Wechsel  in  der  Grösse  des  Schiel- 
winkels bei  Veränderungen  der  Blickrichtimg,  es  wäre  denn,  dass  die  strabo- 
tische  Ablenkung  eine  ständige  und  sehr  excessive  ist,  in  welchem  Falle 
der  Einfluss  der  Blickrichtung  sehr  wenig  hervortritt.  In  der  Eegel 
toächst  die  strabotische  Ablenkung  beträchtlich  oder  stellt  sich  bei  periodi- 
schem Schielen  ein,  wenn  der  Blick  gehoben  oder  nach  Seiten  des  ge- 
wöhnlich fixirenden  Auges  aus  der  Medianebene  herausgelenkt  wird ;  da- 
gegen nimmt  der  Schielwinkel  ab  oder  wird  ^NTull,  wenn  der  Blick  gesenkt 
oder  nach  Seiten  des  Schielauges  gerichtet  wird.  Die  Kranken  bedienen  sich 
der  letzteren  Blickrichtung  gerne,  um  der  abgelenkten  Netzhaut  eine  bes- 
sere Orientirung  zu  geben  und  den  cosmetischen  Fehler  zu  maskiren. 
Sie  gewöhnen  sich  auch  bald,  die  Antlitzfiäche  in  einer  gewissen  Schief- 
stellung zu  erhalten,  bei  welcher  das  Schielauge  etwas  nach  vorne  tritt, 
das  fixirende  aber  entsprechend  nach  hinten  weicht. 

4.  Die  Beweglichkeit  der  Augen  ist  nicht  merklich  vermindert,  so  lange 
der  Strabismus  rein  dasteht.  Bei  längerem  Bestände  des  Leidens  und  be- 
sonders bei  grossem  Schielwinkel  nimmt  dagegen,  unzweifelhaft  in  Folge 
materieller  Veränderungen  der  Muskulatur,  die  Beweglichkeit  merklich  ab, 
so  dass  das  Schielauge  und  auch  wohl  das  fixirende  nach  Seiten  des 
letzteren  weniger  gedreht  werden  kann  und  das  Excursionsgebiet  nach  der 
Schielseite   etwas  verschoben  erscheint. 

5.  Die  strabotische  Ablenkung  macht  sich  im  Beginne  des  Leidens, 
vornehmlich  also  bei  der  periodischen  Form ,  durch  spontane  binoculäre 
Diplopie  geltend.  Im  weiteren  Verlaufe  des  Leidens  tritt  indessen  das 
Trugbild  des  Schielauges  unter  dem  Wettstreite  der  beiden  Netzhäute 
zurück,  es  bedarf  der  concentrirten  Aufmerksamkeit  des  Ivi'anken,  oder  der 
Abbiendung  des  fixirenden  Auges  durch  dunkle  Gläser,  um  es  zur  Wahr- 
nehmung zu  bringen.  Bei  veraltetem  und  namentlich  bei  sehr  hochgradigem 
Strabismus  divergens  lässt  sich  hingegen  ein  Doppeltsehen  gemeiniglich 
nicht  mehr  erzielen ,  auch  wenn  die  abgelenkte  Netzhaut  noch  nicht  in 
hohem   Grade  functionsuntüchtig  geworden  ist. 

Die  Doppelbilder  sind ,  der  Stellung  der  Gesichtslinien  entsprechend, 
stets  gekreuzt.  Das  Verhältniss  ihres  Breitenabstandes  zum  Schielwinkel 
wechselt  in    mancher    Beziehung    und    ist  noch  nicht    nach   jeder  Richtung 


924  Stratiismus  diverg. ;  Krankbeit.sbikl  :  l'iiilopie;  Localisation  der  Bilder. 

hin  genugsam  aufgeklärt  ,  um  es  in  einem  allgemein  giltigen  Gesetze  zu 
formuliren. 

Bei  periodischem  Strabismus  divergens  enispricht  der  Breitenabstand 
der  Doppelbilder  zumeist  dem  Grade  der  Ablenkung.  Wird  das  Fixations- 
object  in  der  Medianebene  allmälig  über  die  Grenze  der  Convergenzweite 
herangerückt,  so  wird  sein  Bild  in  dem  Momente  undeutlich,  als  die  eine 
Gesichtslinie  stehen  bleibt,  weiterhin  spaltet  es  sich  und  die  Doppelbilder 
weichen  in  dem  Verhältnisse  aus  einander,  als  die  Objectsdistanz  sich 
verkürzt.  Stellt  sich  dann  eine  excursive  strabotische  Ablenkung  ein,  so 
werden  auch  die  Doppelbilder  iMtzlich  sehr  distante  und  dies  zwar  wieder 
proportional  der  nunmehrigen   Grösse  des  Schielwinkels. 

Bei  ständigem ,  nicht  zu  excursiven  Strabismus  divergens  sind  die 
Doppelbilder  gleichfalls  sehr  distant  und  ihr  Breitenabstand  harmonirt  bald 
mit  der  Grösse  der  strabotischen  Ablenkung,  bald  ist  eine  solche  Ueber- 
einstimmung  nicht  zu  finden.  Letzteres  scheint  in  veralteten  Fällen  die 
Begel  zu  bilden.  Auch  zeigt  sich  bei  veraltetem  Strabismus  divergens  öfters 
ein  auffallendes  Missverhiillniss  in  der  Localisation  der  Objecte  bei 
^Vufrichtung  einer  senkrechten  Scheidewand  zwischen  beiden  Augen  und 
dadurch  bewerkstelligter  Trennung    der  beiden  Gesichtsfelder. 

Unzweifelhaft  wirken  dabei  mannigfache  Umstände  störend  mit.  Einerseits 
kommen  die  materiellen  Veränderungen  der  Muskulatur  in  Rechnung,  welche  in 
verschiedenen  Fällen  verschieden  weit  gediehen  sind  und  die  Orientirung  des 
abgelejikten  Auges  wesentlich  beirren  müssen.  Dann  wird  nicht  selten  der  Um- 
stand hinderlich,  dass  es  dem  Kranken  öfters  schwer  fällt,  die  gegenseitige  Lage 
beider  Augen  festzuhaUen,  wenn  er  die  Aufmerksamkeit  auf  die  Doppelbilder  oder 
auf  die  durch  die  Scheidewand  getrennten  beiden  Objecte  richtet,  um  ihren  Breiteu- 
abstand zu  schätzen.  Die  Augen  gerathen  dabei  nämlich  gerne  in  ganz  unregel- 
mässige zuckende  Bewegung,  womit  selbstverständlich  auch  die  Netzhautbilder  sich 
verschieben.  Endlich  erwächst  eine  weitere  Störung  aus  der  undeutlichen  Wahr- 
nehmung des  dem  Schielauge  zugehörigen  Trugbildes  oder  des  an  dieser  Seite  der 
Scheidewand  gelegenen  Olijectes.  In  Folge  dieser  undeutlichen  Wahrnehmung  wird 
nämlich  der  Wettstreit  der  beiden  Netzhäute  in  der  Regel  zu  Gunsten  des  fixiren- 
den  Auges  entschieden,  so  dass  die  Eindrücke  des  Schielauges  nur  für  Momente 
zur  Wahrnehmung  kommen. 

Es  finden  vermöge  dieser  störenden  Einflüsse  selbst  sehr  intelligente  und 
im  Experimentiren  bereits  geübte  Kranke  öfters  sich  ganz  ausser  Stande,  den 
jeweiligen  Breiteuabstand  der  Doppelbilder  eines  Fixationsobjectes  auch  nur  an- 
nähernd richtig  zu  schätzen.  Ist  eine  Scheidewand  zwischen  beiden  Augen  aufge- 
richtet, so  sieht  der  Kranke  I^eide  Objecte  je  auf  der  entsprechenden  Seite,  bemerkt 
wohl  auch  ihre  allmälige  Annäherung,  bleibt  indessen  in  der  Beurtheilung  ihrer 
wechselseitigen  Distanz  öfters  dermassen  unsicher,  dass  er  nicht  einmal  zu  unter- 
scheiden weiss,  ob  der  Abstand  ein  grosser  oder  kleiner  ist.  Es  ti-ägt  hierzu  viel 
bei,  dass  die  Kranken  die  Scheidewand  an  der  Seite  des  Schielauges  gewöhnlich 
nicht  wahrzunehmen  vermögen  und  dass  das  hier  gelegene  Object  bald  verschwindet, 
wenn  es  bei  unverrücktem  Stande  des  Schielauges  der  Scheidewand  genähert  wird. 

Ebenso  unklar  ist  dem  Kranken  in  veralteten  Fällen  gewöhnlich  die  Tiefe 
des  dem  Schielauge  gehörigen  Trugbildes  und  bei  Aufrichtung  einer  senkrechten 
Scheidewand  die  Entfernung  des  betreffenden  Objectes.  Doch  wurde  wiederholt  ein 
Näherstehen  und  eine  Verkleinerung  dieser  Bilder  angegeben,  was  mit  deren  Lage 
auf  mehr  excentrischen  Stellen  der  äusseren  Netzhauthälfte  zusammenhängt  und 
sich  aus  der  in  den  Organisationsverhältnisseu  der  Netzhaut  wurzelnden  directen 
Trefenwahrnehmung  (S.  879)  erklärt. 

6.  Fasst  man  alles  bisher  Erörterte  zusammen,  so  kann  man  keinen 
Augenblick  daran  zweifeln ,  dass  die  divergent  strabotische  Ablenkung,  un- 
gleich der  convergenten,  beim  binocularen  Sehen  an  und  für  sich  eine  Des- 
orientirung  des   Schielauges    mit    sich  bringe    und   dass    diese  Desorientirung 


Mciniiciil.  und  MiiniMil.  Si>lii>ii  ;  Pcsuricnfirtinfj  des  ScliiclaHsos.  1)25 

im  späteren  Vorlaufe    durch   dio  viate.riellen    Vcränderungou    doi'  Muskuhituv 

so  wie   (luvch  raannis>;faclic  andere.   Umstünde   erheblich  beeintiusst    werdi;. 

Es  spricht  sicli  dieser  Werh,se.l  der  falschen  Ürientiruiip,-  bei  veraltetem 
divergenten  Öciiieleu  in  der  Regel  anch  bei  monocularem  Selieu  mit  dem  strabo- 
tisclien  Aiig-e  aus.  Der  Kranke  stösst  bei  Decknng  des  gesunden  Auges  nämlich  in 
der  Kegel  an  einem  in  der  Medianebene  gelegenen  Objecte  vorbei.  Meistens  fehlt 
er  nacli  Seiten  des  gesunden  Auges.  Doch  kömmt  es  auch  vor,  dass  der  Finger 
beim  raschen  Stosso  nach  Seiten  des  Schielauges  «an  dem  Objecte  vorbeisehiesst. 
In  einem  Falle  der  letzteren  Art  war  die  Tenotomie  des  Schielmiiskels  mit  imzu- 
reichendem  Erfolge  durchgeführt  worden. 

Beim  monocularen  Sehen  ist  das  Schielauge  in  frischen  Fällen  ständigen 
divergenten  Schielens  und  beim  periodischen  Strabismus  divergens  ebenso  yut 
orientirt  wie  unter  normalen  Verhältnissen ,  der  Kranke  fehlt  beim  Stoss- 
versuche  nur  selten  und  kann,  die  normale  Funktionsenergie  der  Netzhaut 
Torausgesetzt ,  seine  Arbeiten  anstandslos  verrichten ,  zum  Beweise,  dass 
die  Desorientirung  des  Schielauges  an  die  strabotische  Ablenkung  desselben 
gebunden  sei,  d.  i.  verschwinde,  wenn  sich  das  Schielauge  auf  ein  Object 
richtig  einstellt. 

7.  Die  strabotische  Ablenkung  und  die  damit  gesetzte  Desorientirung 
des  Schielauges  schliesst  den  gemeinscliaftlichen  Sehact  beider  Augen  aus; 
die  dem  Schielauge  zugehörigen  Bilder  der  im  gemeinschaftlichen  Sehfelde 
gelegenen  Objecte  werden  unter  dem  Wettstreite  beider  Netzhäute  völlig 
unterdrückt,  die  abgelenkte  Netzhaut  functionirt  also  nur  mit  einer  mehr 
weniger  breiten  Zone  ihrer  inneren  Peripherie.  Doch  ist  auch  diese  gleich 
von  vorneherein  unter  allen  Verhältnissen  stark  desnrientirt.  Wo  spontan 
oder  unter  Beihilfe  gewisser  Manöver  Doppelbilder  eines  monoculär  fixirten 
Objectes  auftreten,  versteht  sich  dies  von  selbst.  Wo  aber  die  binoculäre 
Diplopie  sich  nicht  geltend  macht,  da  ergibt  dies  ein  einfacher  Versuch. 
In  der  That  wissen  derlei  Kranke  über  die  Lage  von  Objecten,  welche 
man  im  monocularen  Gesichtsfelde  des  Schielauges  herumführt ,  während 
das  andere  Auge  einen  Gegenstand  fixirt,  keine  ganz  bestimmte  Auskunft 
zu  geben,  auch  wenn  sie  das  Object  des  Schielauges  noch  einigermassen 
deutlich  wahrzunehmen  vermögen. 

8.  Das  Unterdiückungsgebiet  der  abgelenkten  Netzhaut  ist  beim  diver- 
genten Schielen  meistens  sehr  ausgedehnt.  In  seinem  Bereiche  kommt  es 
gewöhnlich  viel  früher  als  beim  convergenten  Schielen  zu  einer  sehr 
beträchtlichen  Abstumpfung  der  retinalen  Elemente,  also  zur  centralen  An- 
aesthesie.  Die  Grenzen  der  letzteren  lassen  sich  dann  bisweilen  ganz  genau 
bestimmen  und  zeigen  sich  bald  scharf,  bald  verschwommen.  Nicht  selten 
jedoch  findet  man  auch  Fälle ,  in  welchen  sich  die  Functionsstörung  über 
die  ganze  Netzhaut  erstreckt  und  die  Bedeutung  einer  wahren  Amhlgopie 
angenommen  hat. 

9.  Ist  das  divergent  schielende  Auge  desorientirt ,  so  kann  die  stra- 
botische Ablenkung  nicht,  wie  beim  convergenten  Schielen,  durch  eine 
willkürliche ,  also  bewiisste  Innervation  bedingt  sein ,  auch  wenn  in  der 
Norm  das  Vermögen  bestünde ,  erhebliche  Divergenzen  der  Gesichtslinien 
willkürlich  und  nicht  blos  zwavysineise  durch  abducirende  Prismen  (S.  871) 
aufzubringen  und  zu  erhalten.  Das  divergente  Schielen  muss  folgerecht  einem 
unwillkürlichtn,  also  uvbewussten  Vorgange  auf  Rechnung  gesetzt  werden, 
was  jedoch  so  wenig  wie  bei  Krämpfen  das  GefiJd  der  Ablenkung 
ausschliesst. 


926  Strabismus  diverg.:  KiaiiVlipitsliild ;  Hrnskt-linsufficienz ;  Wesen  d.  Strabism.  diverg. 

Man  hat  bisher  fast  allgemein  das  pathogenetische  Moment  in  einer 
Insufficienz  der  inneren  Geraden,  d.  i.  in  einer  ^'erminderung  der  actuellen 
oder  potentiellen  Functionsenergie  der  Convergenzmuskeln  suchen  zu 
müssen  geglaubt.  Gegen  die  Zugrundelegung  einer  MusJcelschwäche  lassen 
sich  aber  geradezu  überwältigende  Einwürfe   erheben. 

Am  ersten  könnte  ein  solcher  Zustand  als  Erklärung  für  jene  allmäligen 
Ablenkungen  benützt  werden ,  welche  das  Schielauge  öfters  bei  Hereinrückung 
eines  in  der  Medianebene  gelegenen  Objectes  über  die  Grenze  der  binoculären 
Fixation  erleidet.  Allein  spräche  sich  in  dieser  »uccessiven  Ablenkung  eine  In- 
sufficienz der  Muskeln  selber  aus,  so  müsste  auch  für  jede  jenseits  dieser  Grenze 
gelegene  Objectsdistanz  eine  relativ  verstärkte  Convergenzinnervation  eingeleitet 
werden,  folgerecht  eine  Beirrung  der  Tiefenschätzung  resnltiren,  es  müsste  der  be- 
treffende Gegenstand  in  allen  jenen  Entfernungen  näher  und  Heiner  gesehen 
werden,  was  nicht  der  Fall  ist.  In  gleicher  Weise  müsste  sich  die  Insufficienz  bei 
Veränderungen  der  Blickrichtimg  in  der  Bahn  des  einen  oder  des  anderen  inneren 
Geraden,  gleichviel  ob  monocularer  oder  hinocularer  Seliakt  stattfindet,  durch  Excur- 
sionsheschränkung  des  Auges  und  durch  falsche  Beurtheilnng  der  Richtung  des 
Fixatiouspunktes  geltend  machen.  Eine  solche  Desorientirung  findet  man  aber 
erfahrungsmässig  nur  in  veralteten  Fällen,  überhaupt  wo  materielle  Veränderungen 
der  Muskulatur  anzunehmen  oder  nachzuweisen  sind. 

Noch  weniger  lassen  sich  die  excursiven  strabotischen  Ablenkungen  mit 
einer  Muskelinsufficienz  in  Einklang  bringen.  Es  weicht  nämlich  die  eine  Gesichts- 
linie in  der  Regel  weit  über  das  Convergenzmass  hinaus,  welches  von  dem  be- 
trefienden  Kranken  bei  entsprechender  Objectsdistanz  noch  leicht  aufgebracht  und 
erhalten  wird,  ja  häufig  wird  die  gegenseitige  Stellung  der  Gesichtslinien  geradezu 
eine  divergente,  während  die  Convergeuzbreite  noch  eine  sehr  ansehnliche  ist.  Wie 
wären  endlich  die  excursiven  strabotischen  Ablenkungen  zu  erklären,  welche  beim 
gedankenlosen  Blicke  und  beim  Fernesehen  auftreten,  während  der  Kranke  näher 
gelegene  Objecte  leicht  und  dauernd  binoculär  fixii't? 

Liegt  dem  divergirenden  Schielen  eine  Insufficienz  zu  Grunde,  so 
kann  diese ,  wenigstens  so  lange  der  Strabismus  rein  dasteht ,  nicht  die 
Muskulatur,  sondern  lediglich  nur  die  Inne.rvationsverhältnisse  derselben 
betreffen.  Für  die  excursiveren  sti'abotischen  Ablenkungen  muss  übrigens 
eine  abdueirende  Innervation  als  pathogenetisches  Moment  angenommen 
werden,  es  können  dieselben  nicht  blos  durch  ein  Ifachlassen  eines  inneren 
Geraden  erklärt ,  sondern  müssen  als  active  Leistungen  der  abducirenden 
Muskeln  betrachtet  werden. 

Bis  weitere  gründliche  Untersuchungen  ein  bestimmtes  Urtheil  über 
das  Wesen  des  Strabismus  divergens  gestatten,  muss  man  nach  allem  dem 
annehmen ,  dass  sich  in  der  divergenten  Ablenkung  des  Schielauges  eine 
Störung  jener  Coordinationsverhältnisse  zum  Ausdrucke  bringe,  welche  in 
der  Xorm  bestimmte  Quoten  der  Accommodation  und  Convergenz  an  ein- 
ander knüpfen. 

Es  spricht  sich  diese  Coordinationsstörung  in  der  That  ganz  deutlich 
durch  das  beträchtliche  Ueberwiegen  der  Abductionsfähigkeit  der  Augen  ge- 
genüber dem  bei  einem  bestimmten  Objectsabstande  disponiblen  Masse  der 
Adduction  aus. 

hl  der  Norm  werden  bei  Betrachtung  ferner  Objecte,  also  bei  Parallelstellung 
der  Augenaxen,  nur  sehr  schwache  Prismen  mit  nach  aussen  gekehrter  Kante  über- 
wunden; die  willkürliche  Auswärtskehrung  des  Auges  erscheint  unter  solchen  Ver- 
hältnissen sehr  beschränkt;  sie  wächst  aber,  es  werden  um  so  stärkere  Prismen 
durch  willkürliche  Spannung  des  betreÖ'endeu  ausseien  Geraden  ohne  Diplopie 
ertragen,  je  näher  das  Object  in  der  Medianlinie  den  Augen  rückt.  Immerhin  bleibt 
unter  allen  Verhältnissen  die  icillküi-liche  Adduction  übericiegend,  es  werden  bei 
gleicher  Objectsdistanz  immer    weitaus  stärkere  Prismen    mit  der  Kante    nach  innen 


Ursachen;  Myopie;  starlfi'  Convergenzanfordoruiigeii.  927 

durch  willkürliche  Einioärtskehrimg  des  Auges  überwunden ,  als  Prismen  mit  der 
Kante  nach  aussen  durch  willkürliche  AJ)dnction;  nur  in  der  Nähe  dos  accommo- 
dativeu  Nahejiuuktes  pflegt  die  durch  Prisnieu  erzvvinghare  Addiiction  und  Abduc- 
tion  yleichwertlny  /u  werden.  In  den  Fällen,  in  welchen  sich  der  Strabismus 
divergens  vorbereitet  oder  schon  in  periodisclier  Form  hervortritt,  kehrt  sich  dieses 
Verliältniss  zu  Gunsten  der  Ahductionsfähiykeit  um;  in  der  Entfernung  der  gewöhn- 
lichen Beschäftigungen  werden  Prismen  mit  der  Kante  nach  aussen  ül)erwunden, 
welche  einen  loeit  grösseren,  oft  doppelt  und  dreimal  so  grossen  brechenden  Winkel 
haben,  als  jene  Prismen,  welche  mit  der  Kante  nach  innen,  ohne  Doppeltsehen  zu 
veranlassen,  ertragen  werden;  selbst  bei  grossen  Objectsdistanzeu  überwiegt  oft  noch 
die  Ahduction,  so  dass  noch  ziemlich  starke  Prismen  mit  der  Kante  nach  atissen 
überwunden  werden,  während  schon  ganz  schwache  Prismen  mit  der  Kante  nach 
innen  unbesiegbare  Diplopie  hervorrufen.  Es  treten  diese  Erscheinungen  ganz  be- 
sonders deutlich  hervor ,  wenn  die  Visirebene  eine  wagrechte  oder  gar  aufsteigende 
ist  (Oraefe). 

Ursachen.  Der  Strabismus  divergeus  ist  in  mehr  als  der  Hälfte 
der  Fälle  an  Myopie  gebunden.  Man  hat  diesen  Refractionsfehler  daher 
schon  seit  Langem  mit  dem  divergenten  Schielen  in  aetiologischen  Zusam- 
menhang gebracht  und  die  Ablenkung  zum  Theile  direct  aus  dem  Bedarfe 
starker  Convergenzen  (Beer) ,  zum  Theile  aber  aus  den  Widerständen  zu 
erklären  versucht ,  welche  den  inneren  Geraden  bei  Bathymorphie  und 
hauptsächlich  bei  Gegebensein  eines  mächtigen  Staphyloma  posticum  aus 
der  Verrückung  des  Drehpunktes  um  so  mehr  erwachsen,  als  der  Winkel, 
welchen  die  Gesichtslinie  mit  der  Hornhautaxe  einschliesst,  unter  solchen 
Verhältnissen  oft  sehr  klein,  ja  bisweilen  sogar  negativ  ist  (S.  790), 
folgerecht  also  das  Arbeitserforderniss  der  Convergenzmuskeln  ansehnlich 
steigert  (Donders,   Schuerman,    Graefe). 

Es  ist  der  Zurückführuug  des  Strabismus  divergens  auf  vermehrte 
Convergenzwiderstände  die  Erfahrung  günstig ,  dass  diese  Schielform  bei 
Sehulkindern,  wo  grosse  hintere  Scleralstaphylome  nur  ausnahmsweise  vor- 
kommen, in  einem  sehr  geringen  procentarischen  Verhältnisse  gefunden 
wird  (H.  Cohnjj  sich  vielmehr  gewöhnlich  erst  in  der  Jünglingsperiode  oder 
gar  im  reifen  Mannesalter,  besonders  bei  Individuen  entwickelt,  deren 
Beschäftigung  ein  angestrengtes  Nahesehen  erfordert,  ja  dass  in  manchen 
Fällen  die  Entwickelung  des  divergenten  Strabismus  mit  dem  Auftreten 
oder  mit  der  raschen  Vergrösserung  eines  Staphyloma  posticura  nahe 
zusammenfällt.  Dagegen  fällt  aber  auch  schwer  ins  Gewicht,  dass  dieselben 
Widerstände,  welche  starke  Convergenzen  erschweren,  auch  den  excursiveren 
divergenten  Schielablenkungen  entgegentreten ;  dass  die  mit  Strabismus 
externus  einhergehenden  Myopien  nur  in  etwa  der  Hälfte  der  Fälle  zu 
den  hochgradigen  gezählt  werden  können  und  bloss  zum  kleinen  Theile 
mit  hinteren  Scleralstaphylomen  von  mehr  als  halber  Papillenbreite  com- 
binirt  erscheinen.  Dazu  kömmt,  dass  unter  den  divergent  schielenden 
Myopen  nicht  wenige  sind ,  deren  Augen  mit  krankhaften  Zuständen  be- 
haftet sind,  welche  auch  an  und  für  sich,  ausser  Combination  mit  Kurz- 
sichtigkeit, divergentes  Schielen  begründen  oder  wenigstens  begünstigen 
können.  Ueberdiess  darf  nicht  übersehen  werden ,  dass  unter  den  diver- 
gent Schielenden  auch  Hypermetropen  und  Emmetropen  mit  völlig  gesunden 
Augen  vertreten  sind. 

Unter  4000  Augenkrankeu  aller  Altersklassen  waren  350  Myopen,  399 
Hypermetroj^en  und  42  divergent  Schielende.  Von  den  350  Myopen  schielten  27, 
also  etwa  7"7  %  nach  aussen.  Umgekehrt  stellt  sich  das  Verliältniss  der  Kurz- 
sichtigen zur  Gesanuntsumme  der  divergent  Schieleiulen  auf  etwas  mehr  als  04%. 


928  Strabismus  diverg. ;  Ursadieii:  Wesen  d.  Strabism.  diverg. 

Darunter  waren  nur  14,  in  welchen  der  Refractionszustand    —    überstieg    und    4, 

bei  welchen  ein  die  halbe  Papillenbreite  an  Durchmesser  übertreffendes  Stapliyloma 
posticum  nacligewiesen  werden  konnte.  In  2  Fällen  war  nur  das  strahofische  Auge 
wegen  Entwicklung  eines  Stajihj'Ioma  posticum  kurzsichtig,  der  andere  Bnlbtis 
nahebei  emmetropisch.  In  2  Fällen  bestanden  beiderseits  Hornhaufflecke,  in  einem 
einseitige  Macula  corneae  und  in  3  Fällen  Cataracta  des  schielenden  Auges.  Die 
Zahl  der  reinen  Fälle  von  beiderseitiger  Myopie  reducirt  sich  demnach  auf  19,  d.  i. 
auf  etwas  mehr  als  45  %. 

Von  den  399  Hypermefropen  schielten  7,  d.  i.  1"75%  nach  Aussen.  Umge- 
kehrt stellt  sich  das  procentarische  Yerhältniss  der  Hvpermetropen  unter  den 
divergent  Schielenden  auf  16-6%.    Der   Grad  der  Hypermetropie    schwankte  dabei 

zwischen    —  und  — ,    überstieg  jedoch    nur  in  3  Fällen    —  in   negativer  Richtung. 

Krankhafte  Zustände  der  Augen  fehlten  hier  durchwegs. 

In  8  Fällen,  d.  i.  in  etwa  19%  der  divergent  Schielenden  bestand  Emme- 
fropie,  doch  waren  die  Augen  nur  in  2  Fällen  gesund,  3mal  fanden  sich  beider- 
seits Hornhautflecke  und  je  in  Einem  Falle  Phthisis  corneae,  Macula  corneae  mit 
Cataracta  centralis  und  regressiver  Totalstaar  des  Schielauges. 

Fasst  mau  Alles  zusammen,  so  wird  man  wieder  zu  dem  Schlüsse 
gedrängt,  dass  der  letzte  Grund  des  Strabismus  externus  nicht  sowohl  in 
anomalen  Zuständen  der  Augen  und  ihrer  Muskulatur,  also  nicht  in  etwa 
vorhandenen  Eefractionsfehlern,  Trübungen  der  dioptrischen  Medien  u.  s.  w. 
gesucht  werden  könne,  sondern  viel  tiefer,  nämlich  in  krankhaften  Liner- 
vationsverhältnissen  der  Convergenzmuskeln  liegen  müsse.  Es  stimmt  damit 
die  Erfahrung,  dass  das  divergente  Schielen  nicht  ganz  selten  iMtzlich 
nach  schweren  Krankheiten,  besonders  nach  Gehirnleiden,  Meningitis  etc. 
zum  Vorscheine  kömmt.  Auch  steht  damit  das  Resultat  einer  Reihe  von 
Untersuchungen  (Graefe)  im  Einklänge,  nach  welchen  man  Grund  hat  zu 
glauben,  dass  nicht  blos  bei  Kurzsichtigkeit,  sondern  auch  sonst  die  Ah- 
ductionsfähigkeit  der  Augen  gegenüber  dem  Adductionsvermögen  in  gar  vielen 
Fällen  beträchtlich  im  Uebergeivichte  sei,  ja  dass  dieses  Missverhältniss  nicht 
selten  vererbt  werde ;  weiters  dass  gerade  solche  Fälle  es  sind,  welche  das 
grösste  Coutingent  an  divergent  Schielenden  liefern,  indem  die  Disposition 
zum  Strabismus  externus  in  dem  Masse  wächst,  als  in  einem  speciellen 
Falle  die  Adduction  von  der  Abduction  , überboten  wird. 

Ist  dies  richtig,  so  lassen  sich  die  Myopie ,  beiderseitige  Trü- 
bungen der  dioptrischen  Medien  und  in  gewissem  Sinne  auch  höhergradi- 
ger  Astigmatismus  (Pagenstecher,  Dobrowolsky),  so  wie  Hypermetropie  inso- 
ferne  im  pathogenetischen  Zusammenhange  mit  dem  Strabismus  divergens 
denken,  als  diese  Zustände  den  Convergenzbedarf  entweder  direct  oder  behufs 
der  Vergrösserung  der  Netzhautbilder  steigern  und  solchermassen  die  unab- 
hängig davon  bereits  vorgebildete  Innervationsstörung  leichter  und  darum 
auch  häufiger  manifest  werden  lassen. 

Es  erklärt  sich  dann  auch  ganz  ungezwungen  das  verhältnissmässig 
häufige  Auftreten  des  Strabismus  externus  bei  krankhaften  Zuständen,  welche 
den  gemeinschaftlichen  Sehact  unmöglich  oder  minder  loerthvoll,  wenn  nicht 
gar  störend  machen,  insonderheit  bei  sehr  differenten  Refractionszuständen 
beider  Augen,  bei  einseitigen  Trübungen  dioptrischer  Medien,  bei  vorüber- 
gehenden Lähmungen  einzelner  Augenmuskeln  (Graefe),  nach  einseitigen 
schweren  operativen  Eingriffen,  bei    monoculärer    Erblindung  u.   s.  w. 

Es  verliert  unter  solchen  Voraussetzungen  endlich  die  Thatsache  das  Son- 
derbare, dass  anscheinend  ganz  gleichartige  Zustände  der  Augen  bald  divergentes, 
bald  convergentes  Schielen,  bald  keines  von  beiden  begründen.   Es  kömmt  dann 


Verlauf;  Asthenopia  rauscularis.  929 

eben  viel   darauf  au,   ^Yic  in   einem   gegebeneu  Falle   die  Adductionsfähigkeit 
und  das  Ahductionsvermögcn  des  Kranken  beschaffen  ist. 

Verlauf,  a.  Der  Strabismus  divergens  entwickelt  sich  gewöhnlich, 
besonders  wo  Myojjie  eine  Holle  spielt,  ganz  allm'dlig.  Es  äussert  sich  die 
Unzulänglichkeit  des  Conrergenzvermögens  vorerst  blos  in  rascherer  Er- 
müduug  der  Augen,  besonders  wenn  die  Beschäftigung  des  Krauken  ein 
anhaltendes  Fixiren  nahe  gelegener  Objecte  erheischt.  Es  stellen  sich  dann 
bald  hyperämische  Zustände  neben  dem  Gefühle  von  Spannung,  Atolle  und 
auch  wirkliche  Schmerzen  ein,  welche  den  Kranken  zwingen,  den  Augeu 
einige  Zeit  Euhe  zu  gönnen.  Wird  die  Arbeit  fortgesetzt,  so  gewinnt 
das  Leiden  ein  ganz  ähnliches  Gepräge,  wie  jenes  der  accommodativen 
Asthenopie  (S.  827);  doch  haben  die  Netzhäute  hei  Aqv  musculären  Astheno- 
2)le  nicht  mit  Zerstreuungskreisen  und  zu  kleinen  Bildgrössen,  sondern  mit 
letzteren  und  Doppelbildern  zu  kämpfen.  Die  Kx'auken  pflegen  darum  nicht 
sowohl  über  ein  Breiter-  und  Undeutlicherwerden  der  Umrisse  zu  klagen, 
als  vielmehr  über  ein  Zusammen-  und  Durcheiiiander laufen  der  benachbar- 
ten Buchstaben,  entsprechend  dem  Zurückbleiben  des  Schielauges  bei 
grösseren   Convergenzanforderungen. 

In  einzelnen  Fällen  kann  sich  der  Kranke  für  einige  Zeit  dadurch 
helfen,  dass  er  das  Ohject  vom  Auge  weiter  entfernt.  In  der  Eegel  jedoch 
schlägt  dieses  Mittel  bei  der  muscularen  Asthenopie  viel  iveniger  an,  als 
bei  der  accommodativen  Form.  Viele  Kranke  ziehen  es  darum  vor,  gleich 
von  Anfang  an,  oder  sobald  sich  Vorboten  des  Verschwimmens  einstellen, 
das  schwächere  Auge  zu  schllessen  oder  mit  der  Hand  zu  decken.  Manche 
rücken  wohl  auch  das  Object  nach  der  kranken  Seite  und  fixiren  sonach 
bei  entsprechender  Verlängerung  des  betreffenden  inneren  Geraden,  setzen 
dessen  Arbeitserforderniss  herab  (Graefe).  Immerhin  pflegt  durch  diese  Hilfen 
nur  eine  sehr  vorübergehende  Erleichterung  erzielt  zu  werden;  erfahrungsmässig 
reicht  bei  muskulärer  Asthenopie  sogar  eine  längere  Unterbrechung  der  Ar- 
beit und  selbst  die  nächtliche  Buhe  nicht  zu,  um  eine  erhebliche  Functions- 
dauer  herzustellen ;  die  Energie  der  Convergenzbewegungen,  einmal  gesun- 
ken, hebt  sich  viel  schwerer  und  langsamer  wieder,  als  jene  des  Accom- 
modationsmuskels. 

AUmälig  stellt  sich  das  eine  Auge  mehr  nach  aussen,  es  tritt  eine 
excursive  strabotische  Ablenkung  ein,  welche  anfänglich  mit  Diplopie  verknüpft 
zu  sein  pflegt  und  meistens  sogleich  wieder  schwindet,  wenn  der  Ki'anke 
von  dem  Gegenstande  seiner  Beschäftigung  hinwegblickt,  daher  sie  auch 
häufig  der  Umgebung  des  Kranken  lange  unbemerkt  bleibt.  Bei  fortge- 
setzter Arbeit  wird  diese  excursive  Ablenkung  immer  häufiger,  während 
das  Trugbild  des  Schielauges  leichter  und  leichter  unterdrückt  wird,  also 
seines  störenden  Einflusses  sich  begibt.  Waren  asthenopische  Beschwerden 
da,  so  verschwinden  diese,  dem  Krauken  ist  aus  der  strabotischen  Ablen- 
kung eine  wesentliche  Erleichterung  des  Sehactes  erwachsen.  Schliesslich 
wird  das  Schielauge  auch  ausserhalb  der  Arbeitszeit  bei  jedem  kleinen  An- 
lasse in  die  pathologische  Stellung  gebracht  und  der  Strabismus  zuletzt 
ständig. 

b.   In   einer  anderen  Reihe  von  Fällen,   namentlich  wo  Beirrungen  des 
gemeinschaftlichen  Sehactes  stattfinden,  entwickelt  sich  der  Strabismus  diver- 
steil wag,  Angenlieilkumle.  59 


930  Stratismus  divergens;  Ausgänge;  BeiandhiDg ;  Prophylaxis. 


o 


gens  mehr  minder  rasch,  oder  gar  plötzlich,  ohne  dass  asthenopische  Be- 
schwerden vorausgegangen  wären.  Er  tritt  auch  hier  anfänglich  in  der 
Regel  periodisch,  aber  mit  excursiver  Ablenkung  ein,  meistens  ohne  dass 
der  Kranke  von  Diplopie  wesentlich  belästigt  würde,  indem  die  Unter- 
drückung des  Trugbildes  unter  solchen  Verhältnissen  leicht  zu  gelingen 
pflegt.  Im  Beginne  hat  der  Schieler  noch  öfters  eine  ziemliche  Kraft 
über  die  Muskeln  und  kann  die  falsche  Stellung  des  Auges  noch  un- 
schwer und  auch  ziemlich  dauernd  corrigiren.  Ueber  kurz  oder  lang 
aber  tritt  dieser  Einfluss  immer  mehr  zurück,  der  Strabismus  wird 
ständig. 

Ausgänge.  Es  ist  nicht  sichergestellt,  ob  der  Strabismus  divergens, 
wenn  er  bereits  in  Form  excursiver  Ablenkungen  sich  geltend  macht,  spon- 
tan zurückgehen,  gleichsam  auswachsen  könne.  Jedenfalls  bildet  das  Ein- 
wurzeln und  die  allmäli2;e  Vergrösserung  der  strabotischen  Ablenkung  die 
Regel.  Erfahrungsmässig  kömmt  es  beim  Strabismus  divergens  viel  leichter 
und  rascher  als  beim  convergenten  Schielen  zur  Degeneration  der  betreifen- 
den Muskeln,  zur  centralen  Anaesthesie  der  Netzhaut  und  schliesslich  zu 
wirklichen  amhlyopischen   Zuständen. 

Die  Behandlung  zielt  in  erster  Linie  auf  Verhütung  des  Leidens 
und  ist  in  Fällen,  wo  die  gegebenen  Verhältnisse  die  Entwickelung  eines 
Strabismus  divergens  in  Aussicht  nehmen  lassen,  oder  wo  sich  gar  schon 
die  Erscheinungen  der  musculären  Asthenopie  geltend  machen,  vornehm- 
lich auf  Verminderung  des  Convergenzbedarfes  und  auf  Beseitigung  alles  dessen 
zu  richten,  was  den  gemeinschaftlichen  Sehact  in  irgend  einer  Weise  zu  be- 
irren im  Stande   sein  könnte. 

Behufs  dessen  sind  die  Beschäftigungen  des  Kranken,  welche  starke 
Convergenzen  in  Anspruch  nehmen,  thunlichst  zu  beschränken  oder  wenig- 
stens die  Arbeitsverhältnisse  günstiger  zu  gestalten.  Insoferne  wird  es  bis- 
weilen nothwendig,  die  Beleuchtung  zu  reguliren,  eine  etwaige  schlechte 
Haltung  des  Kranken  zu  verbessern  u.  s.  w.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle 
jedoch  wird  man  gezwungen  sein,  vorhandene  Refractionsfehler  zu  neutrali- 
siren  oder  wenigstens  so  weit  zu  corrigiren,  dass  der  Kranke  die  Objecto 
seiner  Arbeit  etwas  weiter  vom  Auge  liinwegzurücken  vermag.  Je  nach 
der  Art  des  speciellen  Falles  werden  natürKch  cylindrische,  convexe  und 
bei  höhergradiger  Kurzsichtigkeit  Concavgläser  in  Gebrauch  zu  ziehen  sein. 
In  der  That  gelingt  es  solchermassen  bisweilen,  die  asthenopischen  Be- 
schwerden des  Kranken  zu  bannen  und  der  Entwickelung  des  Strabismus 
zu  steuern.  Meistens  jedoch  erweisen  sich  die  Gläser  unzureichend,  indem 
die  Beschäftigung  ein  Hinausrücken  des  Objectes  bis  zu  dem  erforderlichen 
Grade  nicht  gestattet,  sei  es,  dass  die  Kürze  der  Arme  oder  die  Ver- 
kleinerung der  Netzhautbilder  hinderlich  in  den  Weg  tritt. 

In  solchen  Fällen  kann  man  es  versuchen,  die  erforderlichen  Con- 
vergenzquoten  durch  abducirende  Prismen,  Basis  nach  innen,  herabzusetzen. 
Diese  Prismen  werden,  falls  sie  die  Coordinationsverhältnisse  der  Conver- 
genz-  und  Accommodationsmuskulatur  in  misslicher  Weise  stören,  selbst- 
verständlich mit  sphärischen  Gläsern  zu  combiniren  sein,  welche  die  Accom- 
modationsquoten  auf  das  entsprechende  Mass  herabdrücken.  Die  Regeln 
für  diese  Correcturen  sind  bereits  in  der  Lehre  von  den  Refractionsfehlern 
genügend  erörtert  worden.     Es  bleibt  nur  übrig  darauf  liinzuweisen,   dass 


Prisman;  Sehütungon;  Tenotomie.  931 

ZU  anhaltenden  Arbeiten  im  Allgemeinen  nur  Prismen  verwendbar  sind,  deren 
brechender  Winkel  3  oder  höchstens  4  (Jradc  nicht  überschreitet,  indem  bei 
stärkeren  Prismen  schon  die  Farbenzerstreuung,  die  Verziehung  seitlich  gelege- 
ner Objecto  und  der  LichtreÜex,  ganz  abgesehen  von  ihrer  lästigen  Schwere, 
sehr  fühlbar  werden.  Darum  ist  es  auch  unter  allen  Umständen  zu  rathen, 
beide  Augen  zu  bewaft'nen  und  so  den  erfordi'rlichen  r)recliwerth  auf  zwei 
Prismen  zu  vertheilen.  In  der  Kegel  ward  man  mit  Prismen  von  2 — 3  Gra- 
den, je  vor  ein  Auge  gesetzt,  auskommen.  Die  Wahl  wird  durch  den  dlrecten 
Versuch  bestimmt. 

Es  braucht  wohl  nicht  erwRluit  zu  werden,  dass  die  Coinbination  eines 
Prisma  mit  einer  Convex-  oder  Concavlinse  nur  für  den  Versuch  im  strengen 
Wortsinne  genommen  werden  dürfe.  Für  den  Gehraiich  wird  man  die  erforder- 
lichen Linsenkrümmungen  auf  die  Prismafläclien  aufschleifen  lassen  (S.  774).  Es 
sind  derlei  Gläser  zuerst  unter  dem  Namen  von  Dissectionsgl'dsern  in  die  Wissen- 
schaft eingeführt  worden  (Brücke)  und  haben  den  ersten  Anstoss  gegeben  zur 
genaueren  Erforschung  der  muskulären  Asthenopie  und  der  zu  iin-er  Heilung  ver- 
wendbaren Mittel. 

Im  Grossen  und  Ganzen  darf  man  auch  von  prismatischen  Brillen 
nur  geringen  Erfolg  erwarten,  da  sie  auf  das  eigentliche  Grundleiden  Iceinen 
Einlluss  nehmen  und,  wie  schon  erwähnt  wurde  (S,  922),  die  Convergenz- 
breiie  des  betreffenden  Individuums  nur  wenig  oder  gar  nicht  alteriren. 
Die  Aussicht  auf  eine  Herstellung  der  Norm  schwindet  umsomehr,  wenn 
sich  bei  der  Arbeit  vielleicht  gar  schon  excursive  strabotische  Ablenkungen 
bemerklich  machen.  Da  gelingt  es  wohl  nur  selten  mehr,  den  gemein- 
schaftlichen Sehact  dauernd  herzustellen.  Es  wird  darum  in  solchen  Fällen 
dringend  nothwendig,  der  Entwickelung  der  centralen  Anaesthesie  durch 
systematische  Sehübungen  des  schielenden  Auges  entgegenzutreten  und  deren 
Uebergang  in  wirkliche  Amblyopie  zu  verhindern,  um  einerseits  das  Ge- 
sichtsfeld des  Kranken  möglichst  loeit ,  anderex'seits  aber  dem  Kranken 
eine  Reserve  für  den  Fall  zu  erhalten,  als  das  gesunde  Auge  von  Schäden 
betroffen  würde. 

In  einem  Falle  wurde  bei  eiuem  9jährigen  Kinde,  dessen  rechtes  Auge  in 
dem  zweiten  Lebensjalire  in  Folge  von  Hydrocephalus  strahotisch  nach  aussen 
abgelenkt  worden  war,  durch  solche  Uebungen  nicht  blos  das  Selivei'mögen  so 
weit  gehoben,  dass  die  Kranke  feinere  Druckschrift  leiclit  und  anhaltend  zu  lesen 
vermochte,  sondern  es  verschwand  auch  das  Schielen.  Nach  mehreren  Monaten 
scheinbarer  Heilung  kam  es  zu  einem  mächtigen  Blutextravasate  in  dem  Glas- 
körper, welches  das  Pupillargebiet  vollkommen  verlegte  und  damit  stellte  sich  auch 
gleich  wieder  das  divergente  Schielen  ein. 

Bei  der  Unzulänglichkeit  der  vorerwähnten  Mittel  lag  es  nahe,  die 
Correctur  des  divergenten  Strabismus  auf  operativem  Wege  zu  erzwingen 
und  die  Anzeige  für  die  Tenotomie  auf  die  musculäre  Asthenopie  auszu- 
dehnen. In  neuerer  Zeit  geht  man  durch  scheinbare  Erfolge  ermuntert, 
schon  so  weit,  die  Rücklagerung  der  äusseren  Geraden  als  ein  Mittel  zu 
empfehlen,  welches  das  Fortschreiten  der  Myopie  zu  verhindern,  ja  den  vor- 
handenen Grad  der  Kurzsichtigkeit  zu  verkleinern  im  Stande  sein  soll.  Doch 
möge  man  vor  einem  solchen  Eingriffe  wohl  berücksichtigen,  dass  durch 
die  Tenotomie  die  Orientirung  des  betreffenden  Auges  gründlich  geändert 
und  jede  Aussicht  auf  Wiederherstellung  des  gemeinschaftlichen  Sehactes  für 
immer  vernichtet  wird.  Gar  nicht  selten  führt  die  Operation  zu  höchst 
lästigem  und  lange  Zeit  anhaltenden,  allen  Mitteln  spottenden  binoculären 
Doppeltsehen.      Dass    dies  7iicht  stets  geschieht,   hat  seinen   Grund   eben   nur 

ö'J* 


932  Strabismus  divergens  ;  Behandlung ;  Quellen. 

darin,  dass  beim  Strabismus  divergens  schon  frühzeitig  die  Fähigkeit,  Ein- 
drücke des  Schielauges  zu  unterdrücken,  sehr  entwickelt  zu  sein  pflegt, 
dass  das  Unterdrückwigs gebiet  auch  meistens  ein  sehr  ausgedehntes  ist  und 
solchermassen  nicht  nur  der  Arzt,  sondern  auch  der  Kranke  über  die 
Leistung  der  Operation  leicht  getäuscht  ivird. 

Die  Tenotomie  ist  und  bleibt  eine  rein  cosmetische  Operation,  welche  das 
Schielen  nur  zu  maskiren ,  nimmer  aber  zu  heilen  vermag.  Sie  erscheint  darum 
nur  gerechtfertigt,  wo  es  sich  um  entstellende  ständige  Strabismen  handelt 
und  jede  Aussicht  auf  Herstellung  des  gemeinschaftlichen  Sehactes  geschwun- 
den  ist. 

Für  ihre  Durchführung  gelten  dieselben  Regeln  wie  beim  convergen- 
ten  Schielen  (S.  912).  Doch  ist  der  Endeffect  gleich  dosirter  Rücklage- 
rungen der  äusseren  Geraden,  besonders  in  veralteten  Fällen,  wo  bereits 
materielle  Veränderungen  der  Muskulatur  concurriren,  viel  weniger  in  die 
Augen  springend,  als  bei  Tenotomien  der  Interni;  daher  der  Eath  viel 
für  sich  hat,  bei  jeder  einigermassen  excursiveren  divergenten  Schielablenkung 
mit  der  Durchschneidung  des  Schielmuskels  die  Vornähung  des  Antagonisten 
(S.    918)   zu  verknüpfen  (Schweigger). 

Stellen  sich  nach  einem  solchen  operativen    Verfahren  Doppelbilder 

ein,    welche    den    Krauken   sehr  belästigen,  so  bleibt    nichts  übrig,   als  das 

von    der    Natur     angestrebte    Heilverfahren,    die    Exclusion    des  Schielauges 

vom  Sehacte,  durch   die  bereits  erwähnten  Mittel  (S.   918)  zu  fördern,   das 

Schielauge    aber     separat  zu  üben,  um  amblyopischen    Zuständen  desselben 

vorzubeugen. 

Quellen:  Beer,  Lehre  v.  d.  Augenkrankheiten.  1817.  II.  S.  653.  —  Arlt, 
Lehrb.  III.  S.  316.  —  Graefe,  A.  f.  O.  II.  1.  S.  169,  289;  III.  1.  S.  308—326; 
VIII.  2.  S.  314—367;  Congves  int.  d'ophth.  Paris.  1853.  S.  93;  Klin.  Monatbl. 
1869.  S.  225—281.  —  Donders,  Anom.  d.  Refr.  u.  Accom.  Wien.  1866.  S.  338-349, 
478.  —  Schuermann,  Vijfde  Jaarl.  Verslag.  Utrecht.  1864.  S.  1;  Kl.  Monatbl. 
1864.  S.  92,  95.  —  Hering,  Das  binoc.  Sehen.  Leipzig.  1866.  S.  144.  —  Alf.  Graefe, 
Kl.  Monatbl.  1867.  S.  1  u.  f.  —  Schioeigger,  ibid.  1867.  S.  1  w.  f.;  Göttinger 
Nachrichten.  1870.  S.  262,  266.  —  Knaijp,  Congres  d'ophth.  Paris.  1863.  S.  96.— 
Pagenstecher,  Kl.  Beob.  I.  S.  67;  II.  S.  36;  III.  S.  89,  102,  120.  —  Hirschmann, 
ibid.  III.  S.  96.  —  Schiess-Gemuseus,  Kl.  Monatbl.  1867.  S.  79.  —  Zehender,  ibid. 
1868.  S.  136,  —  //.  Cohn,  Untersuchung  von  10,060  Schulkindern.  Berlin.  1867. 
S.  167.  —  Dohroicolsl'tj ,  A.  f.  O.  XIV.  3.  8.  53.  —  Mannhardt,  ibid.  XV.  1. 
S.  288.  —  Liebreich,  Canstatt's  Jahresher.  1864.  S.  164.  —  Brücke,  A.  f.  O.  V.  2. 
S.  180.  —  Landsherg,  ibid.  XI.  1.  S.  69  u.  f.  —  Boehm,  Der  Nystagmus  etc. 
Berlin.  S.  63,  111. 


3.  Das  Augenzittern,  Nystagmus. 

Krankheitsbild.  Charakteristisch  sind  unwillkürliche,  überaus  rasche, 
fast  rhythmische,  dem  Zittern  ähnliche  Schwankungen  der  sonst  frei  beweglichen 
Augen. 

1.  Die  Schwankungen  erfolgen  mit  höchst  seltenen  Ausnahmen  (Mooren) 
immer  in  beiden  Augen  gleichzeitig  und  in  gleicher  Richtung.  Ihre  Bahn 
hegt  meistens  in  der  Drehungsebene  der  Rechts-  und  Linkswender;  seltener 
ist  sie  eine  schräge,  oder  ivechselt  nach  verschiedenen  Richtungen  hin.  Oefters 
sind    die    Schwankungen    excursiv    rotatorisch  und   erfolgen  abwechselnd  in 


Nystagmus;  KninkheitsbiUl ;  Formen;  Sehstörungen.  933 

der  Bahn  der  beiden  oberen  und  der  beiden  unteren  Schiefen.  Auch  kommen 
Fälle  vor ,  wo  die  Zitterbewegungen  in  der  Balin  (jewisser  (jerader  und 
der  schiefen  Muskeln  stattfinden  (Nagel).  Man  unterscheidet  daher  einen 
Nystagmus  oscillatorius,   rotatorius  und  mixtus  (Böhm). 

Das  eigenthümliche  riiänomen  zeigt  sich  bisweilen  nur  periodisch 
unter  ganz  besonderen  Verhältnissen.  Häufiger  jedoch  ist  der  Nystagmus 
ein  continuirJiclier,  insoferne  er  nämlich  während  dem  Wachsein  des  Kranken 
fast  ohne  Unterbrechung,  wenn  auch  mit  wandelbarer  Intensität,  fortdauert 
und  nur  bei  ganz  speciellen  Axenstellungen  in  einen  ruhigen  Blick  iimge- 
wandelt  wird. 

So  wird  z.  B.  in  manchen  Fällen  von  continuirlichem  Nystagmus  der  Blick 
ruhig,  wenn  die  Augen  stark  seitwärts  in  horizontaler  Kielitung  oder  schräge  nach 
abwärts  auf  einen  mehr  loeniger  entfernten  Punkt  gericlitet  werden;  in  anderen 
Fällen,  wenn  in  der  Meclianebene  und  in  einer  hestimmten  Distanz  gelegene  Objecte 
betrachtet  werden  u.  s.  w.  Manche  Kranke  haben  mehrere  solche  Orte  des  ruhigen 
Blickes,  andere  nur  einen  oder  gar  keinen ,  indem  nämlich  die  Schwankungen  bei 
jeder  Axenstellung  fortdauern  und  höchstens  an  Intensität  und  Amplitude  verlieren 
(Böhm). 

Umgekehrt  wird  der  periodische  Nystagmus  gewöhnlich  hervorgerufen,  der 
continuirliche  abermächtig  gesteigert,  wenn  der  Kranke  phgsisch  aufgeregt  ist;  wenn 
behufs  deutlicher  Wahrnehmung  kleiner  Objecte  von  Seite  des  Accommodationsmuskels 
und  der  Convergenzmiiskeln  sehr  grosse  Anstrengungen  gemacht  werden  müssen ; 
oder  wenn  das  Erkennen  der  Objecte  durch  mangelhafte  Beleuchtung  oder  einen 
anderen  Umstand  sehr  erschwert  ist.  Auch  die  relative  Lage  und  Entfernung  der 
Objecte  nimmt  Einfluss  darauf  und  man  will  beobachtet  haben ,  dass  das  Zittern 
in  dem  Verhältnisse  sich  steigere,  als  die  Aixgen  von  dem  Orte  des  ruhigen  Blickes 
hinweg  nach  der  Seite  oder  in  sehr  abweichende  Distanzen  gelenkt  werden.  Ins- 
besondere ist  häufiger  Wechsel  der  Lage  und  Entfernung  der  Ohjecte  ein  Moment, 
welches  den  Nystagmus  in  sehr  beträchtlichein  Masse  und  auf  längere  Zeit  zu  ver- 
mehren pflegt.  Mitunter  reichen  schon  die  Seitenbewegungen  der  Augen,  welche 
das  Verfolgen  der  Zeilen  beim  Lesen  nothvvendig  macht,  hin,  um  den  Nystagmus 
zu  steigern;  daher  die  Krauken,  um  das  Zittern  zu  vermeiden,  statt  der  Augen 
lieber  den  Kopf  drehen,  oder  das  Buch  verschieben,  um  die  flxirten  Worte  stets  an 
den  Ort  des  ruhigen  Blickes  zu  fessein,  oder  aber  das  Buch  so  halten,  dass  sie  die 
einzelnen  Zeilen  mit  Hilfe  der  oberen  und  unteren  geraden  Muskeln  in  senkrechter 
Richtung  durchlaufen.  Ganz  vorzüglich  störend  ist  in  dieser  Beziehung  aber  der 
Anblick  durcheinander  ivogender  Gegenstände  oder  Menschen;  daher  denn  auch  die 
Kranken  auf  sehr  belebten  Strassen  u.  s.  w.,  wo  ihr  Blick  fortwährend  nach  der 
einen  und  der  andern  Seite,  in  die  Nähe  und  Ferne,  herumschweifen  muss,  alsbald 
von  sehr  lebhaftem  Augenzittern  befallen  werden,  welches  dann  auch  nach  der 
Rückkehr  in  ihre  einsame  Stube  anhält  und  sie  eine  längere  oder  kürzere  Zeit  an 
der  Vornahme  von  Arbeiten  hindert,  welche  eine  ruhige  Fixation  der  Objecte  for- 
dern (Böhm). 

2.  Der  Nystagmus  an  sich  hindert  das  Zusammenwirken  beider  Augen 
nicht.  Doch  ist  er  überaus  häufig  mit  Zuständen  complicirt  oder  viel- 
mehr ätiologisch  verbunden,  welche  den  gemeinschaftlichen  Sehact  un- 
möglich machen,  mit  Functionsstörungen  eines  oder  beider  Augen,  mit 
Strabismus  u.   s.  w. 

3.  Der  Kranke  nimmt  in  der  Regel  das  Zittern  seiner  Augen  nicht 
wahr,  er  sieht  vielmehr  alle  Gegenstände,  der  Objectivität  entsprechend,  im 
Zustande  der  Ruhe  und  Bewegung.  Immerhin  beeinflusst  der  Nystagmus 
den  Sehact,  das  Hin-  und  Herschwanken  der  Netzhautbilder  macht  den 
Blick  im  Verhältnisse  zur  Intensität  und  Amplitude  der  Zitterbewegungen 
verivorren.  Es  wird  diese  Sehstöruug  jedoch  in  der  ßegel  nur  sehr  auf- 
faUig,  wenn  es  sich  um  das  Erkennen  sehr  feiner,  ruhender  oder  beweg- 
ter   Gegenstände  oder    Objecttheile,   so  wie  um  rasche  Orientirungen    über  die 


934  Nystiiguius  ;  KriiiikheitsT)ild ;  C'orrigireiide  Koptbeweguugeu  ;  Uisaclien. 

gegenseitige  Lage  und  Entfernung  von  Objecteu  handelt.  Das  Lesen  sehr 
feiner  Handschriften  oder  Druckschriften ,  das  Sticken  ,  Feinnä- 
heu  u.  s.  w.  ist  meistens  sehr  beschwerlich,  wenn  der  Nystagmus 
stärker  augeregt  wird,  namentlich  aber  ist  das  Gehen  auf  einer  sehr  be- 
lebten Strasse,  in  menschengefüllten  Räumen  u.  s.  w.  sehr  unsicher,  der 
Kranke  stösst  überall  an. 

Höchst  merkwürdig  ist  dabei  ein  Correctionsmittel,  dessen  sich  manche 
Kranke  anfänglich  icilllcürlich,  später  aber  vermöge  erlangter  Uebung  und 
Gewohnheit  unhewusst  und  unfreiwillig  bedienen,  um  diesen  störenden  Ein- 
fluss  der  Zitterbewegungen  der  Augen  zu  beseitigen.  Sie  bewegen  näm- 
lich durch  ein  ganz  concinnes  Spiel  der  Halsmuskeln  den  Kopf  in  einer  den 
Augenbewegungen  jeweilig  entgegengesetzten  Richtung,  wodurch  es  ihnen  ge- 
lingt, die  Gesichtslinicn  unverrüclct  an  den  fixirten  Punkt  zu  heften.  Diese 
Kopfschwankungen  sind  in  manchen  Fällen  sehr  auffällig ;  sie  nehmen  mit 
dem  Nystagmus  ab  und  zu,  können  öfters  aber  auch  nach  Beliehen  unter- 
drückt und  wieder  hervorgerufen  werden,  ja  sie  treten  häufig  nur  auf,  wenn 
der  Kranke  ein  Object  scharf  zu  fixiren  Willens  ist  und  die  Augen  nicht 
zur  Ruhe  bringen  kann. 

Ursachen.  Der  Nystagmus  bildet  sich  mit  wenigen  Ausnahmen 
(Mooreii)  schon  im  zarten  Kindesalter  aus.  Ob  er,  wie  Manche  behaupten, 
bisweilen  völlig  entwickelt  zur  Welt  gebracht  werde  und  dann  ein  ererbtes 
üebel  darstellen  könne,  wird  bezweifelt.  Jedenfalls  wird  das  Augenzittern 
in  der  bei  weitem  grössten  Mehrzahl  der  Eälle  erst  bemerkbar,  wenn  an 
die  Thätigkeit  der  Augenmuskeln  grössere  Anforderungen  gestellt  werden, 
also  vornehmlich  im  Beginne  der  Lernperiode.  Es  scheint  auch ,  dass 
gerade  diese  Anstrengtmgen  den  Anstoss  zur  Ausbildung  des  Uebels  gäben, 
dass  sich  der  Nystagmus  vom  ätiologischen  Standpunkte  aus  also  ähnlich 
verhalte,  wie  der  so  häufig  nebenhergehende  Strabismus.  Sicherlich  lässt  sich 
für  eine  solche  Anschauuiag  der  Umstand  geltend  machen,  dass  sich  das 
Augenzittern  besonders  gerne  in  Fällen  entwickelt,  in  welchen  während 
der  Kinderperiode  die  Erzielung  scharfer  oder  nur  einigermassen  deutlicher 
Walrrnehmungen  auf  Schwierigkeiten  stösst  und  eine  beträchtliche  Annähe- 
rung der  Objecte  an  die  Augen  nothwendig  macht,  also  Gelegenheit  für 
Ueherbür düngen  der  Augenmuskeln  reichlich  gegeben  sind.  In  der  That  findet 
man  den  Nystagmus  am  allerhäufigsten  neben  Hornhaut  flecken,  namentlich 
beiderseitigen,  welche  aus  den  ersten  Lebensjahren  stammen ;  neben  angc- 
borner  Kurzsichtigkcit  •  neben  Centralkaj}selstaar  und  anderen  jyartiellen 
Staaren,  welche  aus  der  Kindheit  datiren ;  neben  Entwicklungsfehlern 
der   Augen ;   neben   Functionsstörungen   des  Uchtemp findenden  Apparates   etc. 

Der  letzte  Grund  des  Leidens  liegt  wie  beim  Strabismus  unzweifel- 
haft in  Innervationsstörungen  und  es  ist  insoferne  die  neuzeitige  Ent- 
deckung von  Gewicht,  dass  in  der  Vierhügelgegeud  des  Gehirnes  gewisse 
Centra  bestehen,  deren  Reizung  dem  Nystagmus  ganz  ähnliche  oscillatorische 
Bewegungen  auslöst  (Adamük). 

Ausnahmsiveise  kömmt  der  Nystagmus  bei  älteren  Kindern  und  Erwachsenen 
allerdings  auch  neben  völliger  Integrität  der  Sehfunction  vor,  wobei  natürlich  von 
den  durch  das  Zittern  an  sich  bedingten  Störungen  abgeselieu  wird.  Es  liegt  dann 
aber  die  Vermuthung  nicht  ferne,  dass  in  solchen  Fällen  während  den  ersten  Lebens- 
jahren Sehstörungen  gegeben  waren,  welche  die  Aufgabe  der  Muskeln  steigerten, 
jedoch  mit  der  Zeit  zur  Heilung  Icamen.  Anderseits  stösst  man  gar  nicht  selten 
auf  den  Nystagmus    in  Fällen,    in  welchen    der    Zustand    der  Augen,    ausgebreitete 


Verlauf;  Belianilluiig;  Muskellähinungeii.  935 

Degenerationen  der  Cornea,  Cataracta,  EntwicJcelung.ifelder  der  Bulbi  n.  s.  w.  einitjer- 
massen  deutlichere  Wahnieliimiiigen  absolut  unmöglich  machen.  Audi  in  sulcheu 
Fällen  sind  MuskeJiiherbilrdumjen  nicht  fjjerade  ausgeschlossen;  sieht  man  doch  häufig, 
dass  solche  Kinder  alles,  was  sie  in  die  Hand  bekommen,  in  die  nächste  Nähe  der 
Augen  nnd  oft  in  ganz  absonderliche  Stellungen  bringen,  um  sich  an  den  wechseln- 
den Schatten  bei  fäclielnder  Bewegung  der  Objecte  zu  ergötzen. 

Verlauf.  Der  Nystagmus,  einmal  entwickelt,  besteht  in  der  Hegel 
zeitlebens  unverändert  fort ;  doch  ist  nach  neueren  Untersuchungen  eine 
spontane  Besserung  nnd  selbst  Heilung  nicht  ausgeschlossen,  namentlich 
wenn  die  vorhandenen  Sehstörungen  neutralisirt  oder  beseitigt  und 
damit  die  Anforderungen  an   die  Augenmuskeln    gemindert  werden  können. 

Behandlung.  Die  Prophylaxis  ist  ganz  nach  denselben  Hegeln  zu 
leiten,  wie  bei  dem  nahe  verwandten  Strabismus.  Ilir  Hauptzid  ist,  nebst 
Beseitigung  oder  Neutralisation  der  gegebenen  Sehstörungen  und  ihrer  Ur- 
sachen, die  Vermeidung  übermässiger  Anstrengung  der  Augenmuskeln.  Ist 
einmal  der  Nystagmus  ausgebildet,  so  ist  nicht  viel  zu  machen ;  doch  kann 
man  nach  vorausgängiger  Tilgung  der  gegebenen  Sehstörungen  eine  Besse- 
rung oder  Heilung  durch  entsprechende  Muskelübungen  anstreben,  indem 
man,  von  dem  Orte  des  ruhiges  Blickes  ausgehend,  allmälig  die  Richtung 
und  Distanz  der  Objecte  ändert  und  die  Dauer  der  Uebungen  vergrössert. 
Als  ein  direclcs  Mittel  wurde  die  Rücklagerung  der  betheiligten  Muskeln 
gepriesen  {Böhm,  Fano).  Es  sind  gegen  die  Wirksamkeit  dieses  Verfah- 
rens aber  auch  schon  von  vielen  Seiten  starke  Bedenken  ex'hoben  worden 
(Ruete,  Nakonz).  Vielleicht  handelt  es  sich,  ähnlich  wie  beim  Schielen, 
insoferne  um  eine  Täuschung,  als  durch  Kücklagerung  der  betreffenden 
Muskeln  offenbar  die  Oscillationsamplitude  der  Scliwankungen  abneh- 
men muss. 

Wichtig  ist  die    Wahl  des  Lebensberufes.     Um   das  Augenzittern  mög- 

licJist  wenig  peinlich  und  selbst  unschädlich  zu  machen,   sollen  grundsätzlich 

nur  Beschäftigungen  gewählt  werden,   welche  ein  Hin-  und  Herblicken  nur  im 

massigen  Grade  erheischen  und    den  Nystagmus    in    seinem    Effecte    durch 

leichte  Kopfbewegungen  zu  comp>e7isiren    gestatten.      Bei  Kurzsichtigen  ist  der 

Betrieb  feiner  Arbeiten  nicht  ausgeschlossen,   vorausgesetzt,   das  die  Objecte 

in  völliger    Ruhe     erhalten    werden    können.      Wo    Hornhautflecken    etc.    ein 

scharfes  Sehen  unmöglich  machen,   passen  hauptsächlich  Gewerbe,   wo   es  auf 

ein  genaues  Augenmass  nicht  ankömmt  und     der    Tastsinn    aushelfen    kann, 

z.  B.  Bäckerei,  Korbflechterei,   Gärtnerei  etc. 

Quellen:  Böhm,  Der  Nystagmus  und  dessen  Heilung.  Berlin.  1857.  —  Ruete, 
Lehrb.  d.  Ophth.  II.  Braunschweig.  1854.  S.  492,  495.  —  Graefe,  A.  f.  O.  I.  1. 
S.  10.  —  Nakonz,  ibid.  V.  1.  S.  37.  —  Mooren,  Ophth.  Beob.  S.  339.  —  H.  Cohn, 
Untersuchung  von  10.060  Schulkindern.  1867.  S.  167.  —  Aclamük,  Centralbl. 
1870.  S.  65.  —  Nagel,  A.  f.  O.  XIV.  2.  S.  240.  —  Kugel,  ibid.  XIII.  2.  S.  413.  — 
Faiio,  Virchow's  Jahresber.  1868.  II.  S.  488. 


4.  Lähmung  der  Augenmuskeln. 

Krankheitsbild.  Charakteristisch  ist  die  Verminderung  der  Beweglichkeit 
des  Bulbus  in  der  Bahn  einzelner  Muskeln  oder  Muskelgrupjpen  und  eine  davon 
abhängige,  dem  Grade  nach  sehr  wechselnde  Ablenkung  der  einen  Gesichts- 
linie beim   binocularen   Sehen. 


936  Muskellähniung ;  Krankheitsbild;  Beweglichkeitsbeschränlinng. 

1.  Um  das  Hauptmerkmal,  die  Erschwerung  oder  Behinderung  gewisser 
Äugenrichtunyen,  mit  Genauigkeit  zu  ermitteln,  verfährt  man,  wie  bei  Un- 
tersucluing  des  Schielwinkels  (f>.  891);  man  lässt  den  Kranken  einen,  in 
der  Entfernung  des  deutlichen  Sehens  parallel  zur  senkrechten  Kopfaxe  auf- 
gestellten Finger  unverrückt  fixiren,  während  man  denselben  aus  der 
Mittelstellung  nach  verschiedenen  Richtungen  an  die  Grenze  des  Gesichtsfeldes 
führt  und  dabei  die  Ablenkungen  notirt  ,  welche  das  kranke  Auge  einmal 
beim  hinocularen  Sehen,  das  andere  Mal  im  Momente  der  Verdeckung  des 
gesunden  Auges  erfährt. 

Bei  Paresen  des  niederste?!  Grades  ist  die  Motilitätsstörung  ohjectiv 
sehr  wenig  auflfällig;  sie  äussert  sich  vorerst  gewöhnlich  nur  in  einem  Ge- 
fühle von  Anstrengung,  wenn  es  gilt,  Gegenstände  in  hestimmten  Kichtungen 
zu  fixiren  und  diese  Fixation  zu  erhalten;  es  ermüden  dann  die  betreffenden 
Muskeln  auch  bald,  sie  können  fürder  nur  mehr  ruckweise  ihrer  Aufgabe 
genügen,  das  Auge  geräth  in  Zitterbewegungen  und  weicht  endlich  merkbar 
nach  der  Seite  der  Antagonisten  ab. 

Bei  Halhlähmungen  im  engeren  Wortsinne  offenbart  sich  die  falsche 
Einstellung  des  muskelkranken  Auges  in  der  Regel  sehr  auffällig,  wenn 
das  Object  in  der  Bahn  der  paretischen  Muskeln  aus  der  Mittelstellung 
herausgerückt  wird;  das  betreffende  Auge  bleibt  früher  oder  später  hinter 
dem  Objecto  zurück,  so  dass  seine  Gesichtslinie  an  dem  letzteren  in  der 
Bahn  der  Antagonisten  vorbeischiesst.  In  derselben  Richtung,  z.  B.  nach 
links  oder  rechts,  wird  das  gesunde  Auge  abgelenkt,  wenn  das  muskel- 
kranke Auge  allein  zur  Fixation  verwendet,  das  erstere  also  gedeckt  wird. 
Doch  ist  dann  der  Ablenkungswinkel  ein  grösserer.  Dieser  steht  übrigens 
im  Verhältnisse  zur  Grösse  der  Anforderungen,  welche  an  die  paretischen 
Muskeln  gestellt  werden,  er  wird  ein  um  so  bedeutenderer,  je  mehr  das 
Object  in  der  Bahn  der  letzteren  von  der  Mittelstellung  sich  entfernt,  je 
länger  der  A'^ersuch  dauert  und  je  höhergradig  die  Lähmung  ist.  Es  liegt 
darin  ein  hochwichtiger  diagnostischer  Behelf,  welcher  niemals  vernachläs- 
sigt werden  sollte. 

Bei  vollständigen  Lähmungen  macht  sich  die  Ablenkung  des  muskcl- 
kranken  Auges  schon  bei  der  Mittelstellung  des  Gegenstandes  bemerklich, 
indem  das  bedeutende  relative  Üebergewicht  der  nicht  afficirten  Antagoni- 
sten sich  zur  Geltung  bringt ;  der  Bereich  für  binoculare  Fixationen  ist  ganz 
auf  die  Seite  des  Antagonisten  verschoben  und  auf  ein  Kleines  beschränkt. 
Die  kranken  Muskeln  sind  höchstens  nur  schwacher  Contractionen  mit  klei- 
nen  Excursionen  fähig  und  Bewegungen  des  Augapfels  in  ihrer  Bahn  kön- 
nen nur  mehr  ruckweise  durch  Zusammenwirken  anderer  Aluskeln  bewerk- 
stelhgt  werden. 

2.  Die  Ablenkung  der  einen  Gesichtslinie  führt  nothwendig  zum 
binocularen  Doppeltseheii.  Es  spielt  dieses  in  dem  Krankheitsbilde  der  Mus- 
kellähmungen eine  sehr  hervorragende  Rolle  und  wird  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  von  dem  Kranken  in  den  Vordergrund  gestellt.  Es  ist  nämlich 
meistens  das  außälligste  und  peinlichste  Symptom,  besonders  dort,  wo  die 
Ablenkung  ihrer  Kleinheit  wegen  nicht  sehr  deuthch  in  die  Augen  springt 
und  darum  die  Distanz  der  Doppelbilder  auch  eine  geringe  ist.  Nur  sehr 
ausnahmsiueise  fehlt  es,  das  Doppelbild  de^s  muskelkranken  Auges  kömmt 
unter  gewöhnlichen   Verhältnissen    bei    keiner    Objectlage    zur    Wahrnehmung, 


Binoculäro  Diplopie.  937 

es  bedarf  der  Abhlcnduny  des  gesunden  Auges  mittelst  eines  tief  p;efärbten 
Glases  oder  der  Anwenduns,'  von  Prismen,  um  die  Diplopie  hervortreten  zu 
machen.  Es  sind  dieses  fast  durehgehends  veraltete  Fälle  mit  sehr  grossen 
Ablenkungen,  wo  die  beträchtliche  Excentricität  des  Netzhautbikhis  im 
Vereine  mit  Äccommodatlonsstörungen  etc.  die  Deutlichkeit  der  Wahrneh- 
mungen des  muskclkranken  Auges  sehr  herabsetzt  und  deren  Unterdrückung 
begünstiget. 

Die  Grösse  der  Abweichung  des  Doppelbildes  steht  selbstvci'ständlich  im 
Verhältnisse  zur  Grösse  des  jeweiligen  Ablenkungswinkels.  Sie  wird  Null, 
die  Doppelbilder  vereinigen  sich,  wenn  das  Object  eine  Lage  einnimmt,  für 
welche  eine  richtige  Einstellung  der  Gesichtslinien  noch  möglich  ist.  Das 
Feld  des  binocidaren  Einfachsehens  steht  dann  durchaus  nicht  immer  im 
Verhältnisse  zur  Grösse  der  Beweglichkeitsbeschränkung ;  vielmehr  kommen 
häufig  Fälle  vor,  wo  die  letztere  eine  geringe,  und  das  Doppeltsehen  dennoch 
über  einen  grossen  Theil  oder  die  ganze  Bahn  des  paretischen  Muskels  aus- 
gedehnt ist,  und  andere,  wo  trotz  beträchtlicher  Beweglichkeitsbeschränkung 
nur  innerhalb  enger  Grenzen  Diplopie  aiiftritt.  Es  kann  die  Excursions- 
fahigkeit  in  der  Bahn  gelähmter  Muskeln  erfahrungsmässig  auch  zu- 
uud  abnehmen,  ohne  dass  das  Feld  des  binocularen  Einfachsehens  eine  Er- 
weiterung oder  Verengerung  erführe  (Benedikt).  Es  kömmt  hier  eben  wie- 
der die  Fähigkeit  zu  willkürlichen  Ab-  und  Adductionsschwankungen  in  Be- 
tracht, welche  bei  verschiedenen  Individuen  schon  an  und  für  sich  eine 
sehr  verschieden  grosse  ist  und  ausserdem  noch  durch  eine  Menge  von 
Umständen  wesentlich  beeinflusst  wird.  So  ist  es  klar,  dass  die  aufCorrec- 
tion  der  Augenstellung  gerichtete  Innervation  leicht  loegfallen  oder  sich 
ungenügend  erweisen  werde,  wenn  der  Drang  nach  Einfachsehen  ein  ge- 
ringer ist,  wenn  das  Individuum  die  Wahrnehmungen  der  abgelenkten 
Netzhaut  leicht  unterdrückt,  zumal  wenn  diese  Unterdrückung  durch  ge- 
ringere Sehschärfe,  ungenügende  Accomraodation  des  betreffenden  Auges, 
durch  sehr  excentrische  Bildlage  u.  s.  w.  begünstigt  wird.  Weiters  machen 
sich  hierbei  die  natürlichen  Coordinationsverhältnisse  zwischen  dem  Accommo- 
dationsmuskel  und  den  beiden  seitlichen  Geraden  in  sehr  fühlbarer  Weise 
geltend.  Eine  corrective  Adductionsschwunknng  muss  viel  leichter  gelingen, 
wenn  der  Abstand  des  Objectes  und  der  Refractionszustand  der  Augen  eine 
sehr  beträchtliche  Accommodationsaniiii-engung  nothwendig  machen;  wogegen 
eine  corrective  Abductionsschwaiakung  neben  maximaler  Abspannung  des 
Accommodationsmuskels  die  günstigsten  Bedingungen  findet,  mit  anderen 
Worten :  das  Bereich  des  binocularen  Sehens  wird  bei  Hypermetropen  in 
der  Bahn  eines  paretischen  inneren  Geraden  viel  grösser  ausfallen,  wenn 
nahe  Gegenstände  betrachtet  werden ;  umgekehrt  aber  wird  ein  Kurzsichtiger 
bei  Halblähmung  eines  äusseren  Geraden  ferne  Objecte  in  einem  viel  grösse- 
ren entsprechenden  *S'et7enabstande  einfach  sehen  müssen,  als  nahe.  F]s  ist 
hierbei  übrigens  nicht  blos  die  Leichtigkeit  oder  Schwierigkeit  in  Rechnung 
zu  ziehen,  mit  welcher  eine  auf  Correction  hinzielende  Innervation  auf- 
gebracht wird,  sondern  auch  der  vermehrte  Widerstand,  welchen  die  bei  An- 
oder Abspannung  des  Ciliarmuskels  consensuel  mitbethätigten  seitlichen 
Geraden  entgegengesetzten  Augenbewegungen  bieten.  Ein  Hypermetrope 
z.  B.  wird  bei  Betrachtung  naher  Objecte  eine  corrective  AbductionsachYfwa.- 
kung  schon    wegen  der    unvermeidlichen  Spannung     des    inneren  Geraden 


938  Muskcllähmung;  Krauklifitsbilil ;  Bestimmung  des  Ablenkungswinkels. 

nur  äusserst  schwer  aufbringen.  Zeigt  sich  doch  auch  unter  normalen 
Verhältnissen,  dass  die  Excursionsfähigkeit  der  Bulbi  in  der  Bahn  der 
Kecti  externi  bei  Parallelstellung  der  beiden  Gesichtslinien,  also  beim  Ferne- 
sehen,  wo  die  inneren  Geraden  weniger  gespannt  sind,  eine  grössere,  als 
bei   Convergenzstellungen  ist  (Hering). 

Wenn  die  willkürliche  Correction  der  paralytischen  Ablenkung  aus 
irgend  welchem  Grunde  nicht  ausführbar  ist,  so  hört  auch  bald  die  darauf 
zielende  Innervation  auf  und  der  kranke  Bulbus  springt  in  eine  Stellung, 
welche  dem  gestörten  Muskelgleichgcwichte  entspricht,  von  der  normalen  also 
um  so  mehr  abweicht,  je  weiter  die  Paralj^se  gediehen  ist,  je  grössere  An- 
forderungen an  den  gelähmten  Muskel  gemacht  werden,  und  mit  je  grösse- 
ren Widerständen  derselbe  zu  kämpfen  hat.  Man  kann  dieses  Abweichen 
deutlich  sehen,  wenn  eine  willkürlich  aufgebrachte  Correction  durch  Ver- 
setzung eines  nach  Stärke  oder  Lage  unüberwindlichen  Prismas  plötzüch 
aufgehoben  wird. 

Entsprechend  den  Gesetzen  der  identischen  Sehrichtungen  lässt  sich 
aus  der  gegenseitigen  Lage  und  Stellung  der  Doppelbilder,  welche  von  einem 
monocular  richtig  fixirten  Objecto  auf  beiden  Netzhäuten  entworfen  werden, 
die  jeweilige  gegenseitige  Lage  der  Gesichtslinien  und  die  Stellung  bestimmter 
Meridiane  zu  einander  ermessen  (S.  876).  Sollen  dabei  jedoch  die  um- 
ständlichen Rechnungen  vermieden  werden,  welche  veränderte  Projections- 
verhältnisse  mit  sich  bringen  (S.  868),  so  ist  es  nothwendig,  dafür  zu 
sorgen,  dass  die  Objectfläche  stets  normal  bleibe  zur  idealen  Visirebene,  d.  i. 
zu  einer  Ebene,  welche  durch  die  richtig  eingestellt  gedachten  beiden  Ge- 
sichtslinien und  die  Grundlinie  gehen  würde.  Man  muss  also  das  Object 
mit  dem  gesunden  Auge  vorerst  bei  horizontaler  und  gerade  nach  vorne  ge- 
lichteter Gesichtslinie  fixiren  lassen  und  die  Erscheinungen  uotiren.  Hierauf 
muss  behufs  der  Bethätigung  der  einzelnen  Muskeln  und  Muskelgruppen 
statt  einer  Hebung  und  Senkung  der  Visirebene  der  Kopf  nach  vorne  oder 
hinten  geneigt  werden,  während  die  Visirebene  unverändert  horizontal  bleibt. 
Um  weiters  den  Einfluss  zu  beseitigen,  welchen  Convergenzen  der  Gesichts- 
linien auf  Meridianneigungen  nehmen,  ist  es  gerathen,  das  Object  in  der 
Entfernung  mehrerer  Schritte  aufzustellen.  Es  ist  dies  übrigens  auch  dess- 
wegen  nothwendig,  weil  der  binoculare  Blickraum  bei  Convergenzstellungen 
schon  unter  normalen  Verhältnissen  ein  beschränkter  ist  und  das  Auftreten 
von  Doppelbildern  bedingt,  wenn  der  Blick  stark  seitwärts  und  zugleich 
nach  oben  oder  unten  auf  nahe  gelegene  Objecte  gerichtet  wird. 

Ist  solchermassen  aus  der  gegenseitigen  Lage  und  Stellung  der  Dop- 
pelbilder die  Abweichung  der  Gesichtslinie  und  der  verticalen  Trennungs- 
linie des  kranken  Auges  für  die  einzelnen  Blickrichtungen  fehlerfrei  be- 
stimmt, so  sind  damit  auch  die  Prämissen  gegeben,  um  auf  den  Sitz  und 
die  Ausdehnung  der  Lähmung  Schlüsse  zu  wagen.  Doch  kann  man  hierbei 
nicht  vorsichtig  genug  sein,  zumal  wenn  es  sich  um  falsche  Meridiannei- 
gvngen  handelt,  indem  noch  mannigfaltige  und  oft  sehr  schwer  zu  ermit- 
telnde Verhältnisse  concurriren  und  die  Auflösung  des  Problems  in  hohem 
Grade  erschweren.  So  müssen  die  normalen  Meridianneigungen,  welche 
bestimmte  Blickrichtungen  an  sich  oder  in  A^erbindung  mit  Convergenzen 
begleiten,  in  Abrechnung  gebracht  werden.  Auch  darf  man  nicht  über- 
sehen,   dass     abnorme    Widerstände     und    Drehpunktlagen    eben    so  wie    Ver- 


Lähmung  eines  seitliclien  Muskels.  939 

rückungen  der  resultirendcn  Zugrichtnng  bei  unj2;leichmässiger  Lähmung  der 
einzelnen  Bündel  eines  Muskels  oder  einer  Muskelgruppe  von  Belang  werden 
können ;  dass  es  oft  sehr  schwer  ist,  genau  wag-  oder  lothrcchte  Bewegungen 
des  fixirenden  Auges  ohne  gleichzeitige  Kopfdrehungen  zu  bewerkstelligen, 
dass  die  Angaben  der  Kranken  über  die  Neigung  der  Doppelbilder  häufig 
höchst  unzuverlässlich  sind  u.  s.  w. 

a.  Ist  ein  seitlicher  Gerader  allein  gelähmt,  so  weiclit  die  Gesichts- 
linie des  zugehörigen  Auges  bei  der  Priniärsfellung  des  anderen  in  der  Bahn 
des  Gegners  horizontal  vom  Fixationsobjecte  ab.  Wird  der  Blick  in  der 
Bahn  des  paretischen  Muskels  wagrecht  zur  Seite  gewendet,  so  folgt  der 
kranke  Bulbus  dem  gesunden  eine  Strecke  weit,  bleibt  aber  stets  hinter 
dem  letzteren  zurück  und  geht  bei  einer  Ganzlähmung  des  bezüglichen 
Muskels  überhaupt  nicht  über  die  Mittelstellung  hinaus.  Die  Drehung 
ist  dann  beiderseits  je  um  eine  einzige  Axe  erfolgt  und  auf  der  kranken 
Seite  nur  weniger  excursiv  ausgefallen.  Die  beiden  Netzhautbilder  einer 
verticalen  Linie  werden  daher  in  gleicher  Höhe,  aber  auf  disparaten  Längs- 
schnitten entworfen,  erscheinen  demnach  ungefähr  parallel  zu  einander 
und  gleich  hoch,  aber  gekreiizt  oder  gleichseitig,  je  nachdem  ein  innerer  oder 
äusserer  llectus  gelähmt  ist.  Wird  nun,  während  die  ideale  Visirebene 
immer  die  horizontale  Lage  beibehält,  der  Kopf  stark  nach  vorne  oder 
hinten  geneigt,  so  dass  erstcre  relativ  zu  dem  letzteren  gehohen  oder  ge- 
senkt erscheint,  so  wird  die  Gesichtslinie  abermals  zurückbleiben  und  die 
Drehungsaxe  des  kranken  Auges  jener  des  gesunden  nicht  parallel  sein, 
sondern  sich  mehr  der  horizontalen  Richtung  nähern,  wenn  der  Blick  in 
der  Bahn  des  paretischen  Muskels  seitwärts  geht.  Dem  zu  Folge  werden 
auch  die  verticalen  Meridiane  beider  Netzhäute  nicht  mehr  parallel  sein, 
da  dies  nur  bei  parallelen  Gesichtslinien  möglich  wäre ;  vielmehr  wird  nach 
dem  Listing'schen  Gesetze  die  eine  Netzhaut  im  Vergleiche  zur  anderen 
verdreht  sein  und  in  Uebereinstimmung  damit  werden  die  Doppelbilder 
einer  zur  horizontalen  idealen  Visirebene  verticalen  Linie  zu  einander 
geneigt  erscheinen,  immer  vorausgesetzt,  dass  alle  Fasern  des  kranken  Mus- 
kels gleichmässig  gelähmt  sind  und  dass  seine  resultirende  Zugrichtung  keine 
wesentliche  Aenderung  erlitten  hat. 

Ist  ein  äusserer  Gerader  gelälimt  und  soll  ein  in  der  Medianebene  gelegenes 
fernes  Object  bei  innervirter  Primärstellung  der  Augen  fixirt  werden,  so  weicht  die 
Gesichtslinie  des  kranken  Auges  wegen  dein  Uebergewichte  des  Internus  nach 
Seiten  des  gesunden  Auges  vom  Fixationspunkte  ab,  daher  gleichseitige  und  parallele 
Doppelbilder  von  gleicher  Höhe  wahrgenommen  werden.  Das  Uebergewicht  des 
inneren  Geraden  und  darum  auch  der  Breitenabstand  der  beiden  Doppelbilder 
nimmt  ab  oder  verschwindet,  wenn  der  Blick  vertical  gehoben  oder  nach  Seiten  des 
gesunden  Auges  hin  gelenkt  wird.  Dagegen  wächst  das  Uebergewicht  des  Internus 
und  damit  auch  der  Abstand  der  Doppelbilder,  wenn  der  Blick  vertical  gesenkt 
oder  in  beliebiger  Richtung  nach  Seiten  des  kranken  Auges  aus  der  Medianebene 
herausgelenkt  wird.  Bei  diagonalen  Blickrichtungen  7iach  Seifen  des  paretischen 
Muskels  stellt  sich  dann  auch  eine  falsche  Meridianneigung  im  kranken  Auge  ein. 
Wird  der  Blick  aus  der  innervirten  Primärstellung  der  Augen  diagonal  nach  Oben 
inid  der  kranken  Seite  gewendet,  so  nähert  sich  die  Drehungsaxe  des  gelähmten 
Bulbus  mehr  der  horizontcden  Richtung,  als  jene  des  gesunden  Auges,  die  Längs- 
mittelschnitte beider  Netzhäute  convergiren  nach  Oben,  daher  die  Doppelbilder 
wegen  ihrer  Gleichseitigkeit  nach  Oben  divergiren.  Wird  hingegen  der  Blick  nach 
Unten  und  nach  Seiten  des  paretischen  Muskels  gelenkt,  so  liegt  die  Drehungsaxe 
des  kranken  Auges  wieder  mehr  horizontal  als  jene  des  gesunden;  während  der 
verticale  Längsmittelschnitt  des    letzteren  stark  nach  Aussen    neigt,  ist   der  Längs- 


940  Muskellähmung :  Krankheitsbild;  Lähmung  eines  oberen  oder  unteren  Geraden. 

mittelschiiitt  des  paralj'tischen  Auges  nur  wenig  nach  Innen  geneigt,  die  Doppel- 
bilder müssen  dem  entsprechend  und  ihrer  Gleichseitigkeit  halber  nach  Oben  coyi- 
vergiren. 

Ist  ein  innerer  Gerader  gelähmt,  so  weicht  die  Gesichtsliuie  des  betreffenden 
Auges  bei  innervirler  rrimärstellung  wegen  dem  Uebergevvichte  des  Externus  nach 
Seiten  des  letzteren  vom  Fixatiouspunkte  ab,  divergirt  daher  mit  der  anderen  Ge- 
sichtslinie, es  kommen  folgerecht  gekreuzte,  gleich  hohe  und  parallele  Doppelbilder 
zum  Vorscheine.  Das  Uebergewiclit  des  Externus  und  darum  auch  der  Breiten- 
abstand der  Doppelbilder  nimmt  ah,  wenn  der  Blick  vertical  gesenkt  oder  7iach  Seiten 
des  kranken  Auges  gerichtet  wird;  es  wächst  dagegen  das  Uebergewicht  des  Externus 
und  der  Breitenabstand  der  Doppelbilder,  wenn  der  Blick  vertical  gehohen  oder  in 
beliebiger  Richtung  nach  Seiten  des  gesunden  Auges  aus  der  Medianebene  hinweg- 
gelenkt wird.  Bei  diagonalen  Blickrichtungen  nach  Seiten  des  gesunden  Auges 
machen  sich  dann  wieAer  falsche  Meridianneigungen  geltend,  indem  sich  die  Drehungs- 
axe  des  kranken  Auges  weniger  von  der  horizontalen  entfernt  als  jene  des  gesun- 
den. Wird  der  Blick  diagonal  nach  Oben  und  der  gesunden  Seite  hin  gewendet,  so 
divergiren  die  verticalen  Trennungslinien  beider  Netzhäute  nach  Oben;  die  beiden 
Doppelbilder  sollten  nach  Oben  convergiren,  erscheinen  aber,  weil  sie  gekreuzt 
sind,  wieder  divergent.  Bei  diagonaler  Blickrichtung  nach  Unten  und  der  gesunden 
Seite  convergiren  im  Gegeutheile  die  verticalen  Trennungslinien  der  beiden  Netz- 
häute nach  Oben  und  ehenso  verhalten  sich  die  gekreuzten  Doppelbilder. 

b.  Ist  ein  oberer  oder  unterer  Gerader  allein  gelähmt,  so  weicht  die 
Gesichtslinie  des  kranken  Auges  bei  der  Primärstellung  des  gesunden  nach 
oben  oder  unten  ab,  je  nachdem  der  Rectus  inferior  oder  superior  leidet; 
nebenbei  pflegt  dieselbe  wegen  dem  Uebergewichte  des  coordinirten  Schiefen 
eine  kleine  Abweichung  nach  Aussen  zu  erfahren,  während  gleichzeitig 
eine  falsche  Meridianneigung  hervortritt,  indem  die  Drehungsaxe  des  kranken 
Auges  eine  andere  als  jene  des  gesunden  ist.  Es  zeigen  sich  darum  bei 
Innervation  der  Primärstellung  Doppelbilder  von  ungleicher  Höhe,  welche 
bei  geringem  Breitenabstande  gekreuzt  und  ein  wenig  schief  zu  einander 
gestellt  sind.  Es  ivachsen  diese  Abweichungen,  wenn  der  Blick  in  einer 
Richtung,  welche  die  active  Betheiligung  des  paretischen  Muskels  in  An- 
spruch nimmt,  aus  der  Primärstellung  hinausgelenkt  wird;  sie  vermin- 
dern sich,   wenn  die  Blickrichtung  in  entgegengesetztem  Sinne   sich  ändert. 

Ist  ein  oberer  Gerader  gelähmt,  so  erscheint  bei  innnervirter  Primärstellung 
der  Augen  ein  höherstehendes  gekreuztes  Trugbild,  von  geringem  Breitenabstande, 
welches  zu  dem  Bilde  des  fixirenden  Auges  etwas  geneigt  ist,  mit  dem  oberen 
Ende  leicht  divergirt.  Wird  der  Blick  horizontal  nach  der  gesunden  Seite  oder  in 
beliebiger  Richtung  7iach  Unten  gewendet,  so  nimmt  der  Unterschied  der  Höhe 
und  Breite  gleich  der  Neigung  der  Doppelbilder  rasch  ab  und  verschwindet  bald 
gänzlich.  Dagegen  ivachsen  diese  Ditferenzen,  wenn  der  Blick  horizontal  nach  Seiten 
des  kranken  Auges  oder  in  beliebiger  Richtung  nach  Oben  gekehrt  wird.  Der 
Höhenabstand  der  Do{)pelbilder  erreicht  bei  innervirter  Hebung  der  Msirebene  das 
Ma.rimum,  wenn  der  Blick  nach  Seiten  des  kranken  Auges  gerichtet  wird;  dagegen 
tritt  die  Schiefheit  am  meisten  hervor,  wenn  der  Blick  nach  der  gesunden  Seite  hin 
gelenkt  wird. 

Ist  ein  unterer  Gerader  gelähmt,  so  steht  bei  innervirter  Primärstellung  der 
Augen  das  gekreuzte  Trugbild  des  kranken  Auges  bei  geringem  Breitenabstande 
etwas  tiefer,  und  convergirt  mit  dem  Bilde  des  gesunden  Auges  leicht  nach  Oben. 
Es  vermindern  sich  diese  Abweichungen  und  schwinden  bald,  wenn  der  Blick  nach 
der  gesunden  Seite  oder  in  beliebiger  Richtung  nach  Oben  gewendet  wird ;  sie 
steigen  dagegen ,  wenn  der  Blick  nach  der  kranken  Seite  oder  in  beliebiger  Rich- 
tung nach  Unten  gelenkt  wird.  Der  Höhenunterschied  erreicht  ein  Maximum,  wenn 
der  Blick  bei  gesenkter  Visirebene  nach  Seiten  des  kranken  Auges  zielt ;  dagegen 
tritt  die  Schiefheit  am  meisten  hervor,  wenn  der  Blick  bei  gesenkter  Visirebene 
nach  der  gesrmdeti  Seite  hin  gerichtet  wird. 

c.  Ist  ein  schiefer  Muskel  allein  gelähmt,  so  verkehren  sich  gewisser 
Massen  die  Verhältnisse  in  Bezug  auf  Paresen   des  associirten   Geraden.  Es 


Lähmung  eines  schiefen  Muskels;  Complicirte  Lähmungen.  941 

wäre  z.  ]}.  ein  oberer  Schiefer  parctisch.  Es  wird  dann  die  Gesichtslinie 
des  kranken  Auges  bei  der  Primärstellung  des  gesunden  ein  sehr  Geringes 
nach  ohen  innen  abweichen  (Graefe)  und  die  Netzhaut  eine  kleine  Rollung 
nach  aussen  erleiden.  Die  Doppelbilder  wei'den  demnach  gleichseitig  sein, 
das  dem  kranken  Auge  zugehörige  etwas  tiefer  stehen  und  mit  dem  anderen 
nach  obeii  convergiren.  Ausserdem  scheint  das  Bild  des  gesunden  Auges 
etwas  näher  zu  stehen  und  gegen  den  Körper  des  Kranken  so  geneigt  zu 
sein,  dass  diesem  das  obere  Ende  ferner  zu  liegen  dünkt.  Es  nehmen  diese 
Differenzen  ab,  wenn  das  Object  nach  Seiten  des  kranken  Auges  oder  in  be- 
liebiger Richtung  nach  Oben  gerichtet  wird ;  sie  vergrössern  sich  dagegen, 
wenn  der  Blick  nach  der  gesunden  Seite  hin  gelenkt  oder  in  beliebiger 
Richtung  gesenkt  wird.  Der  Höhenabstand  erreicht  bei  V'erminderung  des 
Breitenabstandes  und  der  Schiefheit  des  Trugbildes  sein  Maximum,  wenn 
der  Blick  stark  nach  Unten  iiud  nach  der  gesunden  Seite  hin  zielt.  Dagegen 
wird  die  Schiefheit  bei  Abnahme  des  Höhen-  und  Breitenabstandes  am 
grössten,  wenn  der  Blick  stark  gesenkt  und  nach  Seiten  des  kranken  Auges 
hinüber  gelenkt   wird  (Graefe,   Schuft). 

Ist  ein  unterer  Schiefer  gelähmt,  so  verkehren  sich  die  Verhältnisse  insoferne, 
als  das  Trugbild  des  kranken  Anges  höher  steht  und  divergirt,  übrigens  die  Diffe- 
renzen bei  Hebung  der  Visirebene  stärker  hervortreten,  bei  Senkung  des  Blickes 
dagegen   verschiomden. 

d.  Sind  mehrere  Muskeln  desselben  Auges  gleichzeitig  gelähmt,  so  geht 
die  Abweichung  der  Gesichtslinie  und  die  Raddrehung  bei  der  Primär- 
stellung des  gesunden  Auges  und  bei  Blickrichtungen  in  der  Bahn  der 
paretischen  Gruppe  immer  in  der  Besultirenden  der  Gegner.  Sie  wechselt, 
je  nachdem  die  Bahn  der  beabsichtigten  Drehung  sich  der  Zugrichtung 
dieses  oder  jenes  paretischen  Muskels  nähert  und  je  nachdem  die  Lähmung 
gleichmässig  oder  ungleichmässig  über  die  fragliche  Gruppe  vertheilt  ist. 
Im  Ganzen  erscheinen  dann  die  Verhältnisse  überaus  verwickelt.  Doch 
bieten  die  Gesetze  der  Augenbewegung  (S.  867)  und  der  identischen 
Sehrichtungen  (S.  875)  auch  hier  die  Mittel,  um  aus  der  gegenseitigen 
Lage  und  Stellung  der  Doppelbilder  die  Abweichungen  der  Gesichts- 
linie und  der  Meridianstellung  bei  den  verschiedenen  Blickrichtungen  zu 
ermitteln  und  damit  auch  das  Lähmungsgebiet  zu  bestimmen,  immer  vor- 
ausgesetzt, dass  man  stets  bei  horizontaler  idealer  Visirebene  und  normal 
darauf  stehendem  Gesichtsfelde  untersucht  (S.  868),  um  die  höchst  com- 
plicirten  Projectionsverhältnisse  ausser  Rechnung  zu  bringen ;  weiters  aber, 
dass  man  nur  in  horizontaler  und  verticaler  Richtung  Blickwendungen  aus- 
führen lässt. 

Sind  sämmtliche  vom  Nervus  oculomotorius  beherrschte  Augenmuskeln 
gelahmt,  und  dieses  ist  ein  sehr  gewöhnliches  Vorkommniss,  so  zeigt  sich 
vorerst  schon  die  Oeffnung  der  Lidspalte  sehr  erschwert  oder  ganz  be- 
hindei't;  der  obere  Augendeckel  steht  mit  seinem  unteren  Rande  viel 
tiefer,  als  jener  des  gesunden  Auges,  er  kann  nur  bis  zu  einer  gewissen 
Höhe  emporgezogen  werden  und  zwar  weiter,  wenn  das  kranke  Auge 
allein  verwendet  wird,  als  wenn  die  Oeffnung  an  beiden  Augen  zugleich 
versucht  wird.  Oftmals  gelingt  die  Oeffnung  der  Lidspalte  gar  nur  unter 
Beihilfe  der  Brauen-  und  Stirnmuskeln,  welche  die  Stirnhaut  und  damit  die 
äussere  Lidhaut  emporziehen.  Der  Augapfel  zeigt  sich  meistens  etwas 
prominent  und  wegen  dem  Uebergewichte  des  Rectus  externus  nach  aussen 


942  Muskellähmung;  Krankheitsbild ;  Ophthalmoplegie;  Störung  der  Orientirung. 

gewendet.  Seine  Beweglichkeit  ist  nach  allen  Richtungen,  mit  Ausnahme 
jener  nach  aussen  und  nach  aussen  unten,  beschränkt  oder  aufgehoben. 
Wird  der  Blick  aus  der  3Iittelstellung  horizontal  nach  der  gesunden  Seite 
bewegt,  so  tritt  diese  Ablenkung  nach  aussen  immer  deutlicher  hervor. 
Gellt  der  Blick  gerade  nach  oben,  so  folgt  die  Gesichtslinie  des  kranken 
Auges  bei  vollständiger  Lähmung  gar  nicht ;  geht  er  hingegen  gerade  nach 
unten,  so  folgt  das  ki'anke  Auge  nur  wenig  und  weicht  zugleich  etwas 
nach  aussen  ab.  In  Uebereinstimmung  damit  erscheinen  die  Doppelbilder 
bei  Primärstellung  des  gesunden  Auges  gekreuzt  und  der  Seitenabstand  wächst 
mit  der  Grösse  der  Ablenkung,  welche  der  Blick  nach  Seiten  des  gesunden 
Auges  erfährt.  Die  Pupille  des  kranken  Auges  ist  mit  sehr  seltenen  Aus- 
nahmen massig  erweitert,  starr  und  unbeweglich  ;  durch  Mydriatica  indes- 
sen lässt  sie  sich  auf  das  Maximum  dilatiren.  Das  Accommodationsvermögen 
liegt  in  der  Regel  ganz  darnieder;  doch  ist  das  Gegentheil  nicht  nothwendig 
ausgeschlossen   (S.   832). 

e.  Bei  der  Lähmung  s'dmmtlicher  Augapfelmuskcln  (Ophthalmoplegia  para- 
lytica),  welche  fast  immer  mit  Lähmungen  anderer  Gehirn-  und  liückcn- 
marksnercen  einhergeht,  findet  man  den  etwas  hervorgetriebenen,  völlig  unbe- 
weglichen Bulbus  von  dem  gelähmten  oberen  Lide  gedeckt.  Seine  optische 
Axe  steht  gerade  nach  vorne  oder  ein  wenig  nach  aussen.  Die  Pupille  und 
die  Accommodation  verhalten  sich  wie  bei  der  completen  Oculomotorius- 
lähmung  (Graefe). 

3.  Eine  nothwendige  Folge  der  Lähmung  ist  die  Mangelhaftigkeit  des 
Orientirungsvermögens  am  kranken  Auge.  Wenn  mit  dem  letzteren  allein 
Objecto  fixirt  werden  sollen,  welche  in  der  Bahn  der  paretischen  Muskeln 
liegen,  so  projicirt  der  Patient  wegen  dem  Bedarfe  stärkerer  Innervationen 
das  ganze  Gesichtsfeld  in  der  betreffenden  Bahn  zu  weit  weg  und  greift 
folgerecht  auch  an   dem  Objecto  vorbei,   welches  er  fassen  will. 

Es  kömmt  diese  Beirrung  des  Orientirungsvermögens  auch  noch  sehr 
häufig  durch  den  Schwindel  zum  Ausdrucke,  zumal  wenn  die  vom  Nervus 
oculomotorius  beherrschte  Muskelgruppe  gelähmt  ist,  weniger  bei  Paresen 
des  äusseren  Geraden.  Es  tritt  diese  Erscheinung  besonders  stark  hervor, 
wenn  das  gesunde  Auge  gedeckt  wird  und  ist  dann  bisweilen  so  arg,  dass 
sich  der  Kranke  kaum  auf  den  Füssen  zu  erhalten  im  Stande  ist  (S.  883). 

4.  Um  der  höchst  peinlichen  Diplopie  und  dem  Schwindel  zu  entgehen, 
pflegt  der  Kranke,  so  lange  ihm  die  Unterdrückung  der  Eindrücke  des  be- 
treffenden Auges  nicht  gelungen  ist,  die  Lidspalte  des  letzteren  zu  schliessen 
und  das  gesunde  Auge  allein  zur  Fixation  zu  verwenden ;  wo  es  aber  zu- 
lässig ist,  sucht  er  durch  Drehungen  des  Kopfes  um  eine  senkrechte,  hori- 
zontale oder  schiefe  Axe  das  zu  fixirende  Object  in  eine  solche  relative 
Lage  zu  bringen,  dass  die  richtige  Einstellung  der  beiden  Gesichtslinien 
eines  Minimum  oder  gar  keiner  Kraftanstrengung  von  Seite  der  paretischen 
Muskeln  bedarf  (Graefe). 

Ist  z.  B.  das  muskelkranke  Auge  nach  rechts  weniger  beweglich,  so  dreht 
der  Kranke  mittelst  der  Halsmuskeln  das  Gesicht  nach  rechts  und  vermindert  so 
die  Aufgabe  des  gelähmten  Muskels.  Ist  aber  schon  eine  excessive  Contraction  des 
Antagonisten  eingetreten,  so  hält  der  Kranke  den  Kopf  nach  der  entgegengesetzten 
Seite,  weil  so  die  Unterdrückung  des  betreftenden  Doppelbildes  leichter  gelingt 
(Graefe).  Ist  ein  oherer  Gerader  gelähmt,  so  wird  der  Kopf  nach  Hinten  gebeugt; 
ist  dagegen  ein    unterer   Gerader  gelähmt,    so  wird    der  Kopf   nach   Unten  geneigt. 


Ursachen;  unechte  Lähmungen;  Orbitalleiden;  Neuritis  rhcumatica;  CVntrallcidi'n.  94-3 

Bei  Paralyse  eines   oberen  Scldefen    dielit  der  Kranke    den  Kopt'    nat^li    Vonie    und 
nach  der  gesunden  Seite  ( Graefe,  SchiiftJ. 

Ursachen.  Die  Augenmuskellälimung  ist  stets  nur  Symptom  und 
zwar  höclusi  mannigfaltiger  krankhafter  Zustände,  welche  entweder  das 
Muskelgefüge  selbst  betreffen  und  es  liindern,  gegebenen  Nervenirrnndsen 
Folge  zu  leisten,  oder  aber  die  Leitung  in  irgend  einem  Punkte  der 
Nervenhahnen  erschweren  oder  unmöglich  machen.  Man  unterscheidet  auf 
Grundlage  dieser  Differenz  unächte  und  wahre  Lähmungen  und  theilt  letz- 
tere wieder  je  nach  dem  Sitze  des  Leitungshindernisses  in  periphere  und 
centrale. 

1.  Unter  den  pathogenetischen  Momenten  der  nnächten  LähmungeTi  ist  vor- 
nehmlich die  Atrophie  des  MusJcclgefiigcs  zu  nennen.  Sie  kömmt  ausnahmsweise  an- 
geboren  vor.  Gewöhnlich  aber  findet  man  sie  als  Folge  von  übermässiirer  Dehnung 
nach  Exo2}hthahnus,  sowie  als  Folge  der  Dehnung  und  dauernden  Unthätigkeit  an 
den  Antagonisten  der  SchielmusTceln  bei  vcraltelcm  Strabismus.  Ausserdem  gehören 
zu  den  Ursachen  unächter  Lähmungen:  die  sehnigen  Degenerationen  der  Schiel- 
muskeln; die  narbigen  Verbildungen  einzelner  Muskelbäuche  in  Folge  von  Risswun- 
den, von  Muskelentzündungen  mit  oder  ohne  Eiterung  etc. ;  die  Zerstörungen  des  Mus- 
kelgefüges  durch  orl)itale  Afterwucherzmgen  u.  s.  w.  Vielleicht  ist  auch  der  Lagoph- 
thabnus  cholericus  hier  unterzureiheu,  indem  es  keineswegs  ausgemacht  ist,  ob  der 
Verfall  der  Erregbarkeit  in  den  centralen  Ursprüngen  und  vielleicht  theilweise  eine 
Herabsetzung  der  vom  Quintvis  ausgehenden  Erregungen,  oder  vielmehr  die  von 
dem  Wasserverluste  herrührende  periphere  Muskelatfection  im  Vereine  mit  dem  von 
der  Vertrocknung  der  Bindehaut  gesetzten  Widerstände  die  Schuld  trägt  (Graefe). 

2.  Als  Veranlassung  peripherer  wahrer  Tjähmungen  können  Orbital- 
abscesse,  Aftergebilde  in  der  Augenhöhle,  eindringende  Wunden  etc.  fun- 
giren,  welche  einzelne  oder  mehrere  Nervenäste  beschädigen.  Häufiger 
jedoch  finden  derlei  Paralysen  ihr  pathogenetisches  Moment  in  rheumatischen 
Affectionen  der  Nervenscheiden.  Es  sind  diese  rheumatischen  Paralysen  öfters 
mit  gleichen  Affectionen  der  Orbita  und  ihrer  Umgebungen  gepaart;  sie 
entwickeln  sich  meistens  sehr  rasch  nach  Einwirkung  starker  Temperattir- 
wechsel,  besonders  der  Zuyhift;  sind  gewöhnlich  einseitig  und  oft  sogar 
auf  einzelne  Zweige  eines  Nervenastes,  also  auch  auf  einzelne  Muskeln  be- 
schränkt; können  jedoch  auch  beiderseitig  auftreten  und  auf  alle  Muskeln 
des  Bulbus,  nebstbei  wohl  gar  auf  das  Yerzweigungsgebiet  anderer  Gehim- 
und  JRückenmarksnerven  sich  erstrecken.  Man  hat  in  veralteten  derartigen 
Fällen  mehrmals  Gelegenheit  gehabt,  die  Ueberreste  perineuritischer  Er- 
krankungen neben  der  Atrophie  der  Nerven  nachzuweisen  (Graefe).  In 
einzelnen  Fällen  mögen  perij)here  Lähmungen  auch  durch  syphilitische  Affec- 
tionen der  Orbita  und  Mitleidenschaft  der  Xervenscheiden  bedingt  werden. 
Sonst  sind  Paralysen,  bei  welchen  Syphilis  im  Spiele  ist,  in  der  E.egel 
centrale. 

3.  Die  centralen  Lähmungen  sind  bisweilen  binocular  und  dann  nicht 
immer  von  gleichem  Grade  und  gleicher  Ausdehnung  auf  beiden  Seiten ; 
auch  sind  sie  oft  mit  Paralysen  im  Verzweigungsgebiete  anderer  Gehirn- 
und  Rückenmarksnerven  gepaart.  Sie  betreffen  bald  den  ganzen  Qwerschnitt 
eines  Stammes,  bald  beschränken  sie  sich  auf  einzelne  Bündel  desselben. 
In  Bezug  auf  ihre  pathogenetischen  Verhältnisse  gilt  mit  unwesentlichen 
Aenderungen  das  von  den  Ursachen  der  Amaurose  Mitgetheilte,  daher  füg- 
lich darauf  verwiesen  werden  kann.  Es  mögen  in  einzelnen  Fällen  rein 
mechanische  Leitungshinderungen  (S.  243),  Circulationsstörungen  (S.  244), 
oder    dem    Blute   beigemischte    krankhafte    oder  fremdartige  Stoffe   (S. .  245), 


944  Muskellähmung ;  Ursachen;  Meningitis;  Encephalopathien. 

anzuscliuldigen  seiu.  Doch  sind  dies  sicherlich  seltene  Ausnahmen.  In  der 
Regel  handelt  es  sich  gewiss  um  Wucherung sprocesse,  welche  den  Charak- 
ter einer  manifesten  Entzündring  oder  des  grauen  Schwundes  ti'agen  und 
ursprünglich  entweder  in  den  intracranieUen  Stammtheüen  der  Nerven  oder 
in  den  eigentlichen  Ursprung skernen  und  centralen  Verbindungsfäden  derselben 
ihren  Sitz  haben. 

a.  Wucherungen  im  Bereiche  der  intracranieUen  Sfammtheile  entwickeln 
sich  bisweilen  selbstständig  in  Polge  mannigfaltiger  ätiologischer  Verhält- 
nisse. Sie  beschränken  sich  anfänglich  oft  auf  eine  kleine  Strecke  des 
Nerven,  gewöhnlich  aber  pflanzen  sie  sich  rasch  längs  der  Faserbündel 
fort  und  lassen  den  Stamm  in  einem  grossen  Theile  seiner  Bahn  verändert 
erscheinen.  Manchmal  erkranken  mehrere  iutracranielle  Nerven  gleich- 
zeitig oder  kurz  hinter  einander,  ohne  dass  sich  ein  gemeinsamer  centraler 
Herd  nachweisen  Hesse,  daher  eine  Mehrheit  primärer  Herde  anzunehmen 
ist    (Tiirch). 

Häufiger  erscheint  der  Process  secundär,  namentlich  als  Folgezustand 
basilarer  Meningitis.  Die  Lähmung  der  Augenmuskeln  zeigt  sich  dann 
öfters  schon  sehr  frühzeitig,  selbst  bevor  sich  das  Grundleiden  symp- 
tomatisch deutlich  ausspricht,  und  zeichnet  sich  gemeiniglich  durch  grosse 
Wandelbarkeit  der  Erscheinungen  aus  (S.  251).  Die  Meningitis  kann  da- 
bei selbst  wieder  primär  oder  durch  andere  krankhafte  Processe  z.  B. 
Thrombose  des  Sinus  cavernosus  (Knapp)  oder  durch  Orbitalfracturen 
(Manz),  durch  Periostitis  (S.  252)  und  Syphilis  (Leidesdorf)  u.  s.  w.  be- 
dingt sein.  In  anderen  Fällen  erwiesen  sich  Geschwulstbildungen  an  der 
Schädelbasis  (S.  253)  z.  B.  ein  gliosarcomatöser  Herd  in  der  Gegend  des 
Türkensattels  (Leber),  die  atheromatöse  Entartung  und  Ausdehnung  des 
im  Sinus  cavernosus  verlaufenden  Carotisstückes  (Magni)  u.  s.  w.  als  nächste 
Ursache  der  Paralyse.  Die  Leitungshemmung  selbst  erklärt  sich  unter 
solchen  Umständen  bald  durch  dirccten  Uebergang  der  Wucherung  auf  das 
Neurilem,  bald  durch  mechanische  Beengung  der  in  der  Herdnähe  streichen- 
den Stammtheile  (Türck). 

b.  Eigentliche  Hirnleiden  (S.  255)  führen  mitunter  unmittelbar  zu  Func- 
tionsstörungen  der  motorischen  Augennerven,  indem  einzelne  Ursprungs- 
kerne oder  centrale  Verbindungsfäden  in  den  Krankheitsherd  selber  oder 
in  den  Reactionsgürtel  fallen.  Aehnliches  gilt  von  den  Räckenmarkskrank- 
heifen.  Unter  den  letzteren  ist  in  erster  Linie  die  Tabes  dorsualis  zu 
nennen,  indem  sich  bei  derselben  sehr  häufig  schon  frülizeitig  Paralysen 
einzelner  Augenmuskeln  geltend  machen  oder  gar  als  das  erste  Symptom 
hervortreten. 

Charakteristisch  für  diesen  Zusammenhang  soll  das  Auftreten  lanciiiirender 
Schmerzen  in  den  Extremitäten  sein.  Ebenso  glaubt  man,  dass  solche  lancinirende 
Kopfschmerzen,  wenn  sie  dem  Erscheinen  der  Augenmuskellähmung  vorangehen 
und  mit  deren  Auftreten  an  Intensität  naclilassen,  auf  den  centralen  Ursprung 
hindeuten  (Benedikt). 

Insonderheit  kommen  Lähmungen  im  Bereiche  des  dritten  Gehirnnerven 
regelrecht  bei  Erkrankungen  der  Grosshirnschenkel  vor  und  sind  dann  meistens  mit 
Lähmungen  der  jenseitigen  Extremitäten  gepaart  (Diichek).  Dagegen  erscheinen 
Paralysen  im  Gebiete  des  Nerv,  facialis  sehr  gewöhnlich  im  Gefolge  von  Brücken- 
leiden  und  gehen  ebenfalls  meistens  mit  Lähmungen  der  Extremitäten  einher 
(Duchek).  Im  Uebrigen  sind  Paralysen  der  einzelnen  motorischen  Augennerven  bei 
den    verschiedenartigsten    Formen    und    Localisationen    von    Gehirnleiden    getroffen 


Verlauf  mul  Ausgänge.  945 

worden,    und  zwar  unter  Umständon,    welclu^  die  Quelle  der  Paralyse  nur  in  dem 
primären  Kranlvlicitslierde  selber  zu   suelicu   ii;estat,teten. 

Bei  alten  Leuten,  wo  solche  Paralysen  überhaupt  häufiger  auftreten,  sind 
wahre  Encephalopathien,  zumal  Hirnerweichung,  in  einem  viel  grösseren  procen- 
tarischen  Verhältnisse,  als  bei  jugendlichen  Individuen  das  pathogenetische  Mo- 
ment von  Motilitätsstörungen  der  Augen.  Es  ist  dringend  nothvvendig,  dies  m  jedem 
Falle  zu  lierüclcsichtigen,  auch  wenn  die  Lähmung  vorläufig  hlos  auf  einen  einzelnen 
Augenmuskel  beschränkt  wäre.  Es  kömmt  in  der  That  gar  oft  vor,  dass  derlei 
Processe  sich  vorerst  blos  durch  eine  eng  umschriebene  Parese  offenbaren,  ja  dass 
diese  sogar  wieder  zurückgeht  und  dass  nacli  mehreren  Wochen  oder  Monaten 
plötzlich  Lähmungen  in  ausgel)reiteten  Muskelgebieten  erscheinen,  welche  über  das 
Vorhandensein  eines  deletären  Hirnleidens  keinen  Zweifel  übrig  lassen. 

In  anderen  Fällen  sind  Encephalopathien  nur  als, die  entfernteren 
Ursachen  zu  betrachten.  Die  eigentliche  Quelle  der  Lähmung  ist  in  einer 
secundären  Basalmeningltis  zu  suchen  oder  in  vermehrtem  Hirndrucke  (S.  259). 
Der  Druck  geht  dann  bisweilen  von  Geschiuiilsten  aus ,  welche  an  der  Va- 
rolsbriicke ,  an  den  GrossldrnscJienkeln  oder  in  deren  nächster  Umgebung 
sitzen  und  aii  der  Oberfläche  des  Gehirnes  hervortraten.  In  anderen  Fällen 
schwellen  die  genannten  Gehirntheile  selbst  wegen  der  Entwicklung  von 
Aftergebilden  ,  apoplectischen  Herden  etc.  in  ihrem  Gefüge  oder  in  ihrer 
Umgebung  an  und  drücken  die  unter  ihnen  weglaufenden  Nerven  gegen 
den  Knochen ;  oder  sie  machen,  dass  die  mit  den  Nervenstämmen  sich  kreu- 
zenden grösseren  Gefässästc  -aX»  solche  den  Nervenstamm  einschnüren  (^Türck); 
oder  dass  die  Bindegewebsfäden,  welche  die  Gefässe  und  Nerven  umspinnen 
und  an  die  Basis  des  Gehii'nes  heften,  in  Folge  ihrer  Zerrung  und  Span- 
nung die  Nerven  comprimirev.  Oefters  ist  der  Hirndruck  auf  einen  pri- 
mären oder  secundären  Hydrocephalus   (S.    259)   zurückzuführen. 

4.  Ausnahmsweise  scheinen  Lähmungen  einzelner  Muskeln  blos  auf  Muskel- 
anästhesie zu  beruhen,  d.  h.  eine  Folge  des  aufgehobenen  Muskel gefühles  darzustel- 
len. Man  findet  solche  Paresen  neben  Anästhesie  sensitiver  Nervenzweige  in  den 
Umgebungen  des  Auges.  Sie  lassen  sich  gewöhnlich  durch  periphere  Reizung  der 
anästhetischen  Zweige  rasch  tilgen  (Graefe). 

5.  Endlich  ist  noch  der  Motilitätsstörungen  zu  erwähnen,  welche  sich  manchmal 
im   Gefolge  der  Diphfheritis  fmicium  entwickeln  (S.  833). 

Der  Verlauf  und  die  Ausgänge  wechseln  im  concreten  Falle  sehr 
nach  der  Verschiedenheit  des  Grundleidens.  Bheumatische  Paralysen  pflegen 
sich  sehr  rasch,  oft  binnen  wenigen  Stunden,  über  Nacht,  zu  entwickeln ; 
während  die  centralen  Lähmungen,  besonders  die  auf  Compression  oäcv  2»'''>^ärer 
Entzündung  der  intracranielltn  Stammtheile  beruhenden,  gewöhnlich  nur  sehr 
allmalig  hervortreten  und  etwa  auch  an  Ausdehnung  gewinnen.  Dass  sehr 
auffällige  Abweichungen  von  dieser  ßegel  nichts  Seltenes  sind,  braucht  nicht 
erst  erwähnt  zu  werden,  es  ergibt  sich  von  selbst  aus  den  Eigenthümlich- 
keiten  der  einzelnen  pathogenetischen  Momente.  Bemerkeuswerth  ist 
jedoch,  dass  die  Gradsteigerung  der  Paralyse  oftmals  eine  mehrfach  unter- 
brochene ist,  insoferne  nämlich  die  Lähmungserscheinungen  eine  Zeit  lang 
der  In-  und  Extensität  nach  schwanken,  zunehmen,  abnehmen,  ganz  ver- 
schwinden, wieder  hervortreten  u.  s.  f.,  bis  endlich  der  Zustand  ein  mehr 
stabiler  wird.  Bisweilen  machen  sich  in  dem  Verlaufe  auch  Krämpfe  geltend, 
oder  gehen  der  Paralyse  voraus,  besonders  bei  entzündlicher  Grundlage,  wo 
sie  den  die  Entzündung  vorbereitenden  Reizungszustand  zu  beurkunden 
scheinen  (Graefe). 

Frische  oder  doch  nicht  veraltete  Fälle  von  Augenmuskellähmung,   falls 
sie  noch  nicht  mit  Contractur  des  Antagonisten  combinirt  sind,  gelangen  häufig 
st  eil  wag,  Augenheilkunde.  60 


946  Muskellähmmig ;  Verlauf;  Ausgänge;  Behandlung. 

zrtr  Heilung^  und  dieses  zwar  sowohl  spontan,  als  "unter  der  Beihilfe  geeig- 
neter Behandlung.  Am  günstigsten  ist  in  dieser  Beziehiang  die  rheumatische 
Form  der  Paralyse ;  diese  geht  sogar  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  zurück, 
wenn  die  Verhältnisse  nur  einigermassen  zuträglich  sind.  Auch  die  auf 
primärer  Entzündung  der  intracraniellen  Stammtheile  fussende  Paralj'se  wird 
nicht  ganz  selten  geheilt,  indem  die  Entzündung  und  die  durch  sie  gesetzten 
materiellen  Veränderungen  gänzlich  getilgt  werden.  Secundäre  Neuritides  und 
Compressionen  der  Kervenstämme  lassen  im  Gegentheile  nur  wenig  Hoffnung 
auf  gänzliche  Beseitigung  der  dadurch  bedingten  Paralyse ,  es  wäre  denn, 
dass  das  Grundleiden  innerhalb  einer  nicht  zu  langen  Zeit  getilgt  werden 
kann,  was  besonders  bei  syphilitischer  Aifection  nicht  gar  selten  gelingt. 
Am  schlechtesten  gestaltet  sich  die  Prognose ,  wenn  die  Erscheinungen  auf 
eine  Affection  von  Gehirn  -  und  Rilckenmarkstheilen  hinweisen ,  da  diese  in 
der  Regel  eine  loeitere  Ausbreitung  des  Lähraungsbezirkes,  wenn  nicht  noch 
schlimmere  Zufälle,  drohen.  Doch  werden  die  bei  Tabes  dorsualis  auftreten- 
den Augenmuskellähmungen  öfters  vollständig  geheilt,  ohne  dass  immer 
der  Grundprocess  eine  gleiche  Wendung  zum  Guten  nimmt. 

Besteht  die  Lähmung  schon  längere  Zeit,  oder  ist  sie  gar  veraltet,  so  ist 
die  Aussicht  auf  Heilung ,  selbst  auf  eine  Besserung  des  Zustandes,  schon 
sehr  gering  oder  Null.  Einerseits  zeigt  eine  solche  Veraltung  schon  an  und 
für  sich  auf  geringe  Neigung  des  Grundpi-ocesses  und  seiner  Producte,  sich 
rückzubilden.  Andererseits  ist  die  Paralyse  selbst  eine  sehr  ergiebige  Quelle 
secundärer  Leiden ,  welche  ihrer  Natur  nach  einer  wahren  Heilung  sehr 
entgegen  sind.  Dahin  gehört  nebst  der  Atrophie  der  Nerven  selber  der 
Schwund  der  gelähmten  Muskeln ,  deren  fettige  Rückbildving,  Verschmächti- 
gung.  Vergilbung,  Erschlaffung;  die  Entwickelung  einer  Amblyopia  ex  anopsia; 
vornehmlich  aber  die  Ablenkung  des  muskelkranken  Auges  nach  der  Seite  des 
Antagonisten,  oder  des  anderen  Auges  nach  der  Seite  des  dem  Antagonisten 
gleichnamigen  Muskels.  Es  ist  diese  Ablenkung  in  der  That  ein  sehr  häufiger 
Ausgang  und  scheint  in  der  Regel  das  weniger  functionstüchtige,  d.  i.  das 
weniger  sehkräftige  Auge  zu  betreffen  {Graefe).  Ihr  nächster  Grund  ist  die, 
durch  die  falsche  Einstellung  der  einen  Gesichtslinie  bedingte,  höchst  lästige 
Diplopie  und  der  Schwindel,  welche  der  Kranke  auf  jede  mögliche  Weise 
zu  beseitigen  sucht. 

Die  Behandlung  muss  natürlich  in  erster  Linie  auf  das  Grundleiden 
gerichtet  werden.  Eine  directe  Behandkmg  der  Lähmung  findet  erst  ihre 
Rechtfertigung,  wenn  das  pathogenetische  Moment  getilgt  oder  doch  seines 
Einflusses  auf  die  Leitung  in  den  betreifenden  Nervenbahnen  beraubt 
worden  ist. 

1.  Die  Regeln,  nach  welchen  die  höchst  mannigfaltigen  Grundleiden  zu 
behandeln  sind,   gibt  die  specielle   Therapie. 

Bei  rheumatischer  Grundlage  werden  in  ganz  frischen  Fällen  nebst  strenger 
Erfüllnng  der  Cansalindication  trockene  ivarme  Tücher  oder  Säckeben  mit  aroma- 
tischen Kräutern,  auch  fliegende  Vesicantien,  neben  dem  innerlichen  Gebrauche  von 
Jodkali  empfohlen.  Erstere  sollen  das  Auge,  die  Stirne  und  Schläfe  decken  und 
ei)iige  Zeit  getragen  werden.  Letztere  sollen,  etwa  kreuzei'gross,  täglich  an  einer 
anderen  Stelle  der  Stirne  oder  Schläfe  angelegt  werden. 

Da,s  Einstreuen  von  Stryclinin-  oder  Veratrinpidver,  Ym — */§  Gran  mit  1 — 2  Gran 
Zucker  oder  Amylum  gemischt,  oder  das  Äufstreichen  von  derlei  Salben  auf  die 
durch  das  Vesicator  der  Epidermis  beraubten  Stellen  ist  wohl  kaum  jemals  von 
irgend  einem  erheblichen  Nutzen.  Ebenso  dürften  eigentliche  Schwitzkuren,  der 
Gebrauch  des   Tartarus  emeticus  in  kleinen  Gaben  u.  s.  w.  entbehrlich  sein. 


Electricität;  Miiskelübungen.  947 

2.  Späterhin  ist,  zumal  bei  mulliraasslicher  rheumatischer  Easis  und 
wo  nach  Tilgung  des  Grundleidens  die  Lähmung  fortbesteht ,  der  elektrische 
Strom  zu  versuchen.  In  sehr  vielen  Fällen  leistet  er  Vortreffliches,  bis- 
weilen selbst  bei  unzweifelhafter  Existenz  eines  im  Uebrigen  unverbesser- 
lichen intracraniellen  Leidens.  Es  ist  dabei  eine  sehr  wichtige  Regel,  dass 
man  vom  Trigeminus  aus  wirke.  Pjine  dirccte  Anregung  der  motorischen 
Augenmiiskelnerven  (B.  Schuh ,  SzoImIsM)  ist  im  Ganzen  nicht  nur  über- 
flüssig ,  sondern  geradezu  weniger  wirksam ,  als  eine  durch  Reflexe  vom 
Quintus  aus  vermittelte.  Der  angewandte  Strom  soll  gerade  nur  so  stark 
sein,  dass  er  eine  leichte  Empfindung  an  der  betroffenden  Hautstelle  ver- 
anlasst ixnd  immer  nur  sehr  kurze  Zeit,  etwa  eine  halbe  Minute,  einwirken. 
Je  nach  der  grösseren  oder  geringeren  Irritabilität  des  Individuums  und 
seines  Trigeminus  wird  selbstverständlich  die  Dosis  schwanken.  Wird  zu 
stark  oder  zu  lange  gereizt,  so  geht  der  Ei'folg  häufig  wieder  verloren.  Die 
Besserung  tritt  nämlich  in  der  Regel  momentan  ein  und  verschwindet  eben 
so  rasch  wieder ,  wenn  die  Application  eine  fehlerhafte  ist.  Es  empfiehlt 
sich  daher,  vorerst  blos  einige  Secunden  zu  reizen  und  zu  sehen,  ob  eine 
Besserung  nachweisbar  ist.  Falls  eine  solche  sich  bemerklich  macht,  soll 
mit  dem  Strome  noch  fortgefahren  werden.  Sobald  aber  bei  den  wieder- 
holten Versuchen  die  Zunahme  der  Motilität  stille  steht,  oder  wenn  nach 
den  ersten  paar  Secunden  eine  Besserung  nicht  wahrzunehmen  ist ,  muss 
sogleich  aufgehört  Averden,  um  in  einer  späteren  Sitzung  das  Verfahren  zu 
wiederholen.  Es  steht  ziemlich  fest,  dass  dort,  wo  diese  Methode  nicht 
zureicht,  auch  stärkeres  Reizen  nichts  nützt,  ja  gar  oft  eine  Verschlimme- 
rung des  Leidens  nach  sich  zieht.  Nicht  selten  geschieht  es,  dass  sich 
erst  nach  eiiier  Reihe  von  Sitzungen  die  Besserung  offenbart  und  dann 
rasch  fortschreitet,  daher  man  nicht  gleich  den  Muth  sinken  lassen  muss. 
Wenn  jedoch  im  Laufe  von  14  Tagen  der  Erfolg  Null  ist,  darf  kaum  mehr 
viel  gehofft  werden.  Es  zeigt  sich  derselbe  bald  in  einem  proportionalen 
Wachsthume  der  Contractionsfähigkeit  des  Muskels  und  des  Bereiches,  inner- 
halb welchem  binocular  einfach  gesehen  wird ;  bald  nimmt  nur  die  erstere 
zu,  während  die  letztere  wenig  oder  gar  nicht  an  Ausdehnung  gewinnt. 
(Benedikt). 

Auf  dem  Wege  der  Erfahrung  glaubt  man  gefunden  zu  haben,  dass  sich  für 
hesflmmte  LäJtmnnguhezirke  Reizung  hesfimmier  Quintus'Aste  besonders  eignen.  So 
soll  bei  Lähmungen  des  Ahducens  das  Resultat  am  besten  sein,  wenn  der  Kupfer- 
pol auf  die  Stirne  gesetzt  und  mit  dem  Zinkpole  die  Jochbeinwangengegend  gestri- 
chen wird.  Bei  Ptosis  paralytica  soll  der  Kupferpol  auf  die  Stirne  oder  mittelst 
eines  katheterartigen  Reophors  auf  die  Wangenschleimhaut  angelegt  und  mit  dem 
Zinkpole  das  geschlossene  Lid  gestrichen  werden.  Bei  Paralysen  des  Eectits  snijerior, 
internus  und  beider  Obliqu.i  soll  der  Zinkpol  auf  der  Seitenwand  der  Nase,  nalie 
dem  inneren  Canthus,  bei  Paralysen  des  Rectus  inferior  am  unteren  Orbitalrande 
hin  und  her  bewegt,  der  Kupferpol  aber  gleichfalls  an  die  Stirne  applicirt  werden 
(Benedikt). 

Von  Belang  ist  nebenbei  eine  entsprechende  Uebung  der  paretischen 
Muskeln.  Zu  diesem  Ende  thut  man  gut,  das  gesunde  Auge  öfters  des  Tages 
durch  einige  Zeit  zu  verbinden,  und  das  kranke  allein  zum  Sehen  verwenden 
zu  lassen,  dabei  den  Krauken  aber  auch  anzuweisen,  Gegenstände  zu  fixi- 
ren,  welche  in  der  Bahn  des  iJarctischen  Muskels  ausserhalb  der  Mittel- 
stellung gelegen  sind.  Um  die  Innervation  des  letzteren  möglichst  zu  er- 
höhen,  ist  es  sehr  wichtig ,     behufs    adducirender    Correction  nahe ,    behufs 

60* 


948  Muskelliiliiiuing:  Behandlung;  Operatives  Verfahren. 

abducirencler  aber  ferne  Gegeustände  zu  wählen  und,  wo  nöthig,  durch  vor- 
gesetzte sphärische  Gläser  den  Refractionszustand  der  Augen  in  entspre- 
chendem Sinne  zu  vermindern   oder  zu  erhöhen. 

Zu  gleichem  Bebufe  rathen  Manche,  sich  zweier  Marken  zu  bedienen,  deren 
eine  von  dem  gesunden  Auge  fixirt,  die  andere  verschiebliche  aber  der  Gesichtslinie 
des  kranken  Auges  so  weit  genähert  wird,  dass  die  Doppelbilder  verschviehen.  Nun 
soll  die  zweite  Marke  in  der  Bahn  des  paretischen  Muskels  allmälig  weggerückt 
und  letzterer  so  zu  correctiven  Spannungen  angeregt  werden  (Javal).  Andere  brin- 
gen das  Fixationsobject  bei  festgehaltenem  Kopfe  in  eine  Lage,  in  welcher  binocu- 
lares  Einfachsehen  noch  möglich  ist  und  rücken  es  dann  in  der  Bahn  des  gelähm- 
ten Muskels  allmälig  so  weit  weg,  dass  die  Bilder  anfangen  aus  einander  zu  treten 
und  der  Drang  nach  Einfachsehen  corrective  Innervationen  auslöst  (Szokalski). 

Handelt  es  sich  nur  uvi  die  Correctur  kleiner  paretischer  Abiceichungen,  so  em- 
pfiehlt man  den  Versuch  mit  prismatischen  PlanglUsern,  da  diese  bei  gehöriger  Wahl 
und  Anwendung  den  gemeinschaftlichen  Sehact  gestatten  und  die  Augen  vielleicht 
gewöhnen,  zusammenziiwirken.  Sollen  sie  ihrem  Zwecke  entsprechen,  so  muss  ihr 
brechender  Winkel  natürlich  so  gewählt  werden,  dass  bei  richtiger  Stellung  dessel- 
ben die  Verschmelzung  der  Doppelbilder  eine  kleine,  leiclit  und  anhaltend  aufbring- 
bare Anstreyigring  der  paretischen  Muskeln  nothwendig  macht.  Steigert  sich  allmälig 
das  Arbeitsvermögen  der  kranken  Muskeln,  so  muss  zu  scliicächeren  Prismen  über- 
gegangen werden,  bis  diese  endlich  entbehrlich  werden  (Qraefe). 

3.  Ist  bereits  Contractur  des  Antagonisten  eingetreten  und  keine  Aussicht 
auf  Wiederherstellung  der  Functionstiichtigkeit  des  gelähmten  Muskels  vor- 
handen ;  oder  wiedersteht  ein  geringer  Grad  von  Lähmung  in  einem  oder 
dem  anderen  geraden  Muskel  allen  Versuchen,  denselben  zu  beseitigen,  so 
kann  man  bei  geringer  Beweglichkeitsbeschränkung  die  Tenotomie  des  über- 
gewichtigen Gegners  ohne  oder  mit  Vornähung  des  paretischen  Muskels,  bei 
grösserer  Beschränkung  aber  die  Vorlagerung  des  geschwächten  Muskels 
durch  die  Fadenojieration  versuchen  (S.  919).  Es  gelingt  auf  diese  Weise 
unter  Beihilfe  entsprechender  Nachbehandlung  öfters ,  eine  scheinbar 
richtige  Einstellung  beider  Gesichtslinien  zu  erzielen,  oder  wenigstens  eine 
leidlich  bessere  Richtung  des  mitskelkranken  Auges  mit  Unterdrückung 
seines  Trugbildes  herzustellen  {Graefe).  Im  Allgemeinen  ist  es  nothwendig, 
die  Erwartungen  des  Kranken  auf  ein  sehr  Kleines  herab-zustimmen,  selbst 
was  den  cosmetischen  Erfolg  betrifft.  Die  Dosirung  des  operativen  Effectes 
bietet  nämlich  am  Krankenbette  kaum  übersteigbare  Schwierigkeiten  und 
ist  auch  in  der  Theorie  nur  unter  Vernachlässigung  wichtiger  Momente, 
z.  B.  der  veränderten  Widerstände  bei  verschiedenen  Blickrichtungen 
eine  leichte.  Zudem  darf  nicht  übersehen  werden,  dass  diese  mechanischen 
Beeinflussungen  der  Muskelwirkung  nach  wie  vor  der  Operation  ausnehmend 
stark  wechseln  und  dass  eine  erzielte  Correctur  demnach  immer  nur  für  ganz 
bestimmte  Verhältnisse  zureichen  könne. 

4.  Um  die  Ptosis  des  oberen  Lides,  welche  öfters  nach  Paralysen  im 
Bereiche  des  Xervus  oculomotorius  zurückbleibt,  öfters  aber  auch  für  sich 
und  dann  bisweilen  als  ein  selbständiges  Muskelleiden  beobachtet  wird,  zu 
beseitigen,  soll  folgendes  Verfahren  dienen.  Vorerst  wird,  einige  Millimeter 
vom  oberen  Lidrande  entfernt,  ein  Querschnitt  durch  die  Haut  des  Lides 
bis  auf  den  Orbicularmuskel  gemacht  und  die  äussere  Liddecke  von  dem 
letzteren  bis  gegen  den  Orbitalrand  und  ihrer  ganzen  iJrei^e/musdehnung 
nach  getrennt.  Ist  so  der  Orbicularis  in  einer  genügenden  Breite  blosgelegt, 
so  wird  derselbe  entsprechend  der  klaffenden  Wunde  in  einer  Breite  von 
4 — b'"  durch  eine  krumme  Schere  ausgeschnitten,  nachdem  man  die  Bündel 
desselben  vorher    durch    eine  Hakenpincette    angezogen    hat.     Nun  werden 


l'losis  paialytiiic,  (>iMTativc  BBliandhing;  Quolluii.  949 

3  Nähte  in  i'iner  ontsprechcndon  Entforiiung  von  einandei*  durch  die  stehen 
gebliebenen  JJiindol  des  Muskels  und  die  Wundvändcr  gelegt,  indem  man 
nahe  am  freien  Lidrando  die  armirten  Nadeln  einsticht,  unter  der  C'diar- 
portion  des  ]\[uskels  weg  aus  der  Wunde  heraus  führt,  dieselben  sodann 
um  die  die  Wundfläche  nach  oben  begrenzenden  Muskelbündel  lierum- 
schlingt,  hierauf  den  oberen  Wundrand  der  Liddecke  durchsticht  und  den 
Faden  knüpft.  Solchermassen  wird  eine  subcutane  Verkürzung  des  oberen 
Lides  erzeugt,  die  Orbiculariswirkung  geschwächt  und  die  Levatorwirkung 
durch  die  Retraction  des  Lides  unterstützt.  Genügt  dieses  nicht ,  ist  etwa 
das  obere  Lid  merklich  verlängert ,  so  thut  man  gut,  ein  halbmondförmiges 
Stück  der  Liddecke,  dessen  Basis  der  erste  erwähnte  Querschnitt  ist,  aus- 
zuschneiden und  dann  erst  die  Nähte  anzulegen.  Ein  Schutzverband  hat 
hierauf  die  Lider  durch  12 — 24  Stunden  unbeweglich  zu  erhalten  und  die 
Verheilung  per  primam  intentionem  zu  begünstigen  (Graefe). 

Quellen:  Graefe,  A.  f.  O.  I.  1.  S.  7,  9—23,  52-81,  433;  I.  2.  S.  312,  313, 
316,  318;  II.  1.  S.  282,  284;  IL  2.  S.  299;  III.  1.  S.  182—189,  326—386;  III.  2. 
S.  409;  VII.  2.  S.  24—35;  IX.  2.  S.  57—62;  XII.  2.  S.  198,  202,  265—277;  kliii. 
Monatbl.  1863.  S.  3,  4;  1864.  S.  2—22;  1867.  S.  381;  Symptomenlehre  d.  Augen- 
muskellähmungen. Berlin.  1867;  Verhandlungen  d.  Heidelberger  ophth.  Versammig. 
1859.  S.  22.  —  rurck,  Zeitschrift  d.  Wien.  Aerzte.  1855.  S.  522—532.  —  Stellwag, 
ibid.  1854.  II.  S.  491  —  504;  Ophth.  II.  S.  1194-1200.  —  Schuft,  Zur  Lehre  v. 
d.  WirkuHg  u.  Lähmung  der  Augenmuskeln.  Berlin.  —  Alf.  Graefe,  A.  f.  O. 
VII.  2.  S.  109;  klin.  Analyse  d.  Motilitätsstörgn.  etc.  Berlin.  1858.  S.  17-37; 
97  — 191.  —  iVa^e/,  A.  f.  O.  VIII.  2.  S.  368—387.  —  Bonders,  Anom.  d.  Acc.  u.  Refr. 
Wien.  1866.  S.  502.  —  Leidesdorf,  Wien.  med.  Jahrb.  1864.  4.  Text.  S.  112—118. 
—  Dtichek,  ibid.  Jahresb.  S.  28—42.  —  Benedikt,  Wochenbl.  d.  Wien.  Aerzte.  1863. 
S.  351;  A.  f.  O.  X.  1.  S.  97—103,  109,  120;  Electrotherapie.  Wien.  1868.  S.  98, 
289,  297  u.  f.,  331  u.  f.  —  B.  Schuh,  Wien.  med.  Wochenschrift.  1862.  S.  243.  — 
Javal,  kl.  Monatbl,  1864.  S.  404.  —  Pagenstecher  und  Saemisch,  kl.  Beobachtungen. 
IL  Wiesbaden.  1862.  S.  38;  IIL  S.  98.  —  Hirschmann,  ibid.  III.  S.  89,  98.  — 
Hering,  Das  binoculäre  Sehen.  Leipzig.  1868.  S.  115,  144.  —  Coccius,  Der  Mechan. 
d.  Acc.  Leipzig.  1868.  S.  62.  —  Manz,  A.  f.  O.  XII.  1.  S.  1.  —  Knapp,  ibid.  XIV. 
1.  S.  220,  234.  —  Leber,  ibid.  XIV.  2.  S.  346.  —  Magni,  Rivista  clin.  1868.  — 
Power,  Virchow's  Jahresber.   1868.  S.  478.     —     Stefan,   kUn.  MonatbL  1867.  S.   73. 


ALPHABETISCHES  EEGISTER. 


Abführmittel  33. 

Ablenkungen  der  Gesichtslinien,  deren 
Messung  877. 

Abragio  corneae  127. 

Abscessus  corneae  59,  83,  89 ;  A.  iridis 
275;  A.  palpebrarum  486,  491. 

Abtragung  partielle  des  Bulbus  653. 

Accommodation  763;  A.  Aequivalent  763, 
765;  A.  Breite  763,  765;  A.  Breite 
relative  769;  A.  Krämpfe  838;  A. 
Linien  763;  A.  Nerven  767;  A.  Pa- 
ralysen 831;  A.  Paralyse  diphtherit. 
833;  A.  Phosphene  766;  A.  Quoten 
766;  A.  Störungen  755,  777;  A. 
Theorie  766. 

Achromatopsie,  Achrupsie  236,  847. 

Acne  ciliaris  488;  A.  c.  confluens  496; 
A.  solitaria  494. 

Adenoid  618,   632. 

Aderhaut  307;  Aderhautentzündung  = 
Chorioiditis;  A.  Abhebung  318;  A. 
Berstung  322;  A.  Blutung  323;  A. 
Schwarten  317;  A.  Schwarten 
knöcherne  335;  A.  Senescenz  312; 
A.  Schwund  334;  A.  Spannmuskel 
308;  A.  Tuberkel  320;  A.  Vorfall 
388,  390. 

Aderlass  27. 

Adstringentien  46. 

Aegylops  492. 

Aetzmittel  48. 

Aftergebilde  =  ki-ankhafte  Geschwülste. 

Aichuiigen  des  Gesichtsfeldes   760. 

Amaurosis,  Amblyopie  234;  A.  aduata 
243,  256;  A.  alcoholica  246,  264;  A. 
anaemica  244;  A.  anoptica  856,  857; 
A.  apoplectica  257;  A.  nach  Blut- 
verlusten 244;  A.  centralis  s.  cere- 
bralis  251;  A.  congestiva  243;  A. 
diabetica  245;    A.  diphtheritica  833, 


856;  A.  embolica  247;  A.  encephalo- 
pathica  255;  A.  gravidarum  244;  A, 
hereditaria  243 ;  A.  durch  Hirndruck 
VI.  hydrocephalica  259 ;  A.  inlermittens 
8,  856;  A.  intoxicativa  245,  246;  A. 
ischaemica  247;  A.  mechanica  243; 
A.  meningitica  251 ;  A.  menstrualis 
244;  A.  orbitalis  253;  A.  partialis 
239;  A.  partialis  fugax  851;  A.  par- 
turientium  244;  A.  ex  periostitide 
basilari  252;  A.  potatorum  246,  264 
A.  ex  pseudoplasraate  basilari  253 
A.  ex  suppressione  secretionum  244 
A.  saturnina  245;  A.  mit  Sehnerven- 
excavation  229;  A.  senilis  856;  A. 
simulata  239;  A.  spinalis  258;  A. 
syphilitica  254;  A.  sympathica  333; 
A.  tabacina  246,  264;  A.  tabetica 
258;  A.  traumatica  854;  A.  ohne  ob- 
jectiven  Befund  854;  A.  trifacialis 
854;  A.  ex  typho,  pneumonia  etc. 
247;  A.  uraemica  215. 

Ametropie  771. 

Amotio  retinae  216. 

Anaesthesia  optica  853;  A.  durch  Blitz 
854 ;  A.  centralis  bei  Strabismus  898, 
925;  A.  geuuina,  hysterica  855;  A. 
partialis  853;  A.  partialis  fugax  851 ; 
A.  senilis  856;  A.  sympathica  333; 
A.  traumatica  854;  A.  trifacialis  854. 

Anchylops  492,  556. 

Anerythropsie  848. 

Aneurysmen  633. 

Angiome  630. 

Aukyloblepharon  511. 

Anisometropie   795,  813,  825. 

Anthrax  palpebr.  486. 
[    Antiphlogistische  Arzneimittel  u.  Diät  29. 

Aphakie  806. 
j    Art.  hyaloidea  persistens   154. 


Alphaljotisclies  Kegister. 


951 


A.    ab- 


chorioicleae  334; 
nervi    optici    et 


Associatiousverhältuissc  der  Augenmus- 
keln und  des  Acc.-Muskels  768. 

Asthenoi)ie  779,  807;  A.  acconimodativa 
8-27;  A.  niuscularis  883,  !)29;  A.  re- 
tinalis  830,   852. 

Astigmatismus  normaler  regulärer  757; 
A.  abnormer  regulärer  759;  A  nor- 
maler unregelm.  776,  815; 
normer  unregelmässigcr   133,   776. 

Astigmatische  Difterenz  776. 

Astigm.  Tafeln  818. 

Astigmometer  820. 

Atherom  60-4. 

Atresia  pupillae  288. 

Atrophia  bulbi  334;  A. 
A.  iridis  285;  A. 
retinae  227. 

Atropin  39. 

Äugendiät   15. 

Augenhöhle  =  Orbita. 

Augen  künstliche  656. 

Augenlidbinde  481,  578. 

Augeulidlialter  730. 

Augenmuskeln  863;  Bewegungsgesetz 
Listing'sches  867;  A.  Krämpfe  885; 
A.  Lähmungen  887,  935 ;  A.  Kück- 
lagcrung  =  Strabotomie;  A.  Vorlage- 
rung 919;  A.Vornähung  915,  918,932. 

Augenpflaster  16. 

Augenschirme  22. 

Augenschvvund  334. 

Augenwässer  46. 

Augenzittern  =  Nystagmus. 

Auslöffelung  des  grauen  Staai-es  714. 

Axenstaar  675. 


Balggeschwülste  604. 

Basedow'sche  Krankheit  584. 

Bathymorphie  785. 

Bdellatomie  27. 

Bewegungscentrum  865. 

Bewegungsgrösse  d.  Augen  866. 

Bewegungsgesetz  Listing'sches  867. 

Beleuchtungsmittel  21. 

Bindegewebsring  167,   169,  344. 

Bindehaut  404;  B.  Abscess  414;  B. 
Katarrh  416;  B.  Blennorrhoe  427; 
B.  Diphtheritis  445 ;  ß.  Entzündung 
=  Syndesmitis ;  B.  Exantheme  414 ; 
B.  Extravasate  415;  B.  Falten  hyper- 
trophische 453,  468;  B.  Geschwüre 
414;  B.  Hyperämie  415;  B.  Narben 
traciiomat.  459 ;  B.  Naht.  915 ;  B.  Oedem 
409. 

Binnendruck   1. 

Binnenpuls  3,   4. 

Blasentinne  =  Cysticercus. 

Blasenwürmer  634. 

Blaublindheit  848,  849. 

Bleiniorrhoea  conj.  427;  B.  chronica  412; 
B.  Einimpfung  115. 


Blo])haradenitis  =  Blepharitis  480,  485 
B.  ciliaris  48S;  B.  c.  confluens  496 
B.  c.  solitaria  494;  B.  syphilitica  486 
B.  tarsalis  490,  504. 

Blepliardphimose  511. 

Blepharoplastik  544. 

Blepliaroplcgio  888. 

Blepharospasmus  885. 

Blickebenc  =  Visirebeno  867. 

Blicklinic,    Blickrichtung  87ö,  867,  870. 

Blickraum  binoculärer  871. 

Blutdruck  1,  2. 

Blutegel  27;  B.  künstliche  28. 

Blutentziehungen  27. 

Blutextravasate  im  Glaskörper  159;  in 
der  Cornea  62;  in  der  Kammer  278; 
in  der  Netzhaut  184  ;  im  lichtempfin- 
denden Ajjparate  243. 

Blutschwamm  630. 

Blutstaar  287. 

Blutstauungen  3. 

Bowman'sche  Schichte  55. 

Brechzustand  763. 

Brennlinie,  Brennstrecke,  Brennweite  758. 

Brillen  773,  774,  796;  B.  cylindrische 
824;  B.  farbige  22;  B.  muschel- 
förmige  23 ;  Perspectivbrillen  794, 
813;  B.  prismatische  811;  Schutz- 
brillen 22;  Staubbrillen  16;  B.  ste- 
nopäische  129. 

Buphthalmus  133. 


Calabarpräparate  41. 

Calomeleinstäubungen  44. 

Canthoplastik  513. 

Capsula  lentis  589;  C.  Bonneti  578;  C. 
Tenoni  579. 

Capsulitis  664. 

Carbunkel  der  Lider  486. 

Carcinoma  628. 

Cataracta  663;  Complicationeu  684; 
Diagnose  675  ;  spontane  Heilung  697; 
Operationen  711,  737;  C.  adnata  686; 
C.  argentea  672;  C.  calcarea  672; 
C.  capsularis  centralis  95,  287,  673, 
682,  696;  C.  capsulolenticul.  669; 
C.  cholestearinica  672  ;  C.  chorioidalis 
287;  C.  complicata  684;  C.  corticalis 
667,  678,  695;  C.  cruenta  287;  C. 
cystica  671;  C.  diabetica  687;  C. 
discoidea  670,  680;  C.  dislocata  702; 
C.  dura  667,  676;  C.  ergotica  687; 
C.  tibrosa  681,  689;  C.  fibrosocal- 
carea  681,  689;  C.  fluida  671;  C. 
glaucomatosa  355;  C.  grumosa  287; 
C.  hereditaria  688;  C.  hyaloidea  164; 
C.  infiammatoria  663;  C.  lactea  671, 
679;  C.  lymphatica  287;  C.  matura 
706;  C.  mixta  667,  676;  C.  mollis 
667,  678,  679;  C.  myelinica  671;  C. 
uatans  692,  703,  727;  C.  nigra  688; 


952 


Alphabetisches  Register. 


C.  nuclearis  676,  695;  C.  ossea  673; 
C.  partialis  673,  681,  689,  696;  C. 
perinuclearis  =  stratiformis ;  C.  pig- 
mentosa 287;  C.  polaris  164;  C. 
purulenta  664;  C.  putrida  673;  C. 
pyramidata  673,  682,  696;  C.  regres- 
siva  668,  677,  725;  C.  secundaria 
699,  728,  741;  C.  senilis  687; 
C.  siliquata  671,  680,  725,  741; 
C.  spuria  287;  C.  stellata  679;  C. 
stratiformis  674,  681,  686,  696;  C. 
traumatica  689,  698;  C.  tremulans 
692,   703. 

Catarrhus  conjunctivae  408,  416;  C. 
siccus  420. 

Caustica  48. 

Cavernöse  Tumoren  630. 

Centralkapselstaar  =  Cat.  caps.  cent. 

Chalaziou  506. 

Chemosis  409. 

Cliiasma  166. 

Chloroma  622. 

Chondrome  609;  Ch.  telangiektodes  632. 

Chorioidea  =   Aderhaut.  - 

Chorioiditis  313;  Ch.  areolaris,  exsudati- 
va 187;  Ch.  hyperplastica  s.  sarco- 
matosa  623;  Ch.  serosa  314;  Ch. 
suppurativa  319,  366. 

Chromatodysopsie  236,  847. 

Chromopsie  =  Chrupsie  851. 

Ciliarfortsätze  308. 

Ciliargefässe  309,  379. 

Ciliarmuskel  308 ;  C.  Durchschneidung 
305. 

Ciliarnerven  9,  311;  C.  Durchschneidung 
338. 

Cilien  484. 

Circulationsstönmgeu  intraoculäre  24. 

Cirsophthalmus  390. 

Clavus  121. 

Collodiumverband  434. 

Collyrien  46. 

Comedonen  603. 

Condylome  der  Iris  274. 

Conjunctiva  =^  Bindehaut. 

Conjunctivitis  =  Syudesmitis. 

Convergenzbreite  relat.  769,   770. 

Convergenzquote  770. 

Convergenzstellungen  870. 

Convexgläserkur  857. 

Coordinationsbewegungen,  willk.  870; 
C.  reflect.  874;  C.  Störungen  883. 

Coordinationscentra  873. 

Corelyse  292,  302. 

Coremorphose  294. 

Cornea  =  Hornhaut. 

Cornea  conica  133. 

Cornea  globosa  133. 

Corpus  ciliare  308;  C.  c.  Staphylom  387. 

Corpus  vitreum  =  Glaskörper. 

Correspondirende  Netzhautstellen  875. 

Cylindergläser  824. 


Cylindrome  631. 
Cysten  604;  C.  d.  Iris  605. 
Cysticercus  cellulosae  635,  650,  651. 
Cystoide  Vernarbung  359. 
Cystosarcome  618,  621. 


Dacryoadenitis  553. 

Dacryocystitis  blenn.  555,  561 ;  D.  phleg- 
monosa 555,  557. 

Dacryolitheu  554,  566, 

Dacryops  553. 

Daltonismus  848. 

Decoloratio  coerulea  nervi  optici  241. 

Deckstellen  der  Netzhaut  875. 

Depressio  cataractae  714. 

Derivantien  33. 

Dermoide  607. 

Descemeti  55;  D.  Entzündung  61. 

Dictyitis  =  Neurodictyitis. 

Diphtheritis  conjunctivae  414,  445 ;  Diph- 
theritische  Accommod.-Lähraune:  833. 

Diplopia  binocularis  876;  D.  monocular. 
759,   777. 

Discissio  cataractae  712,  737;  D.  mit 
Iridektomie  713. 

Dissectionsgläser  931. 

Distanzbeurtheilung  der  Objecte  879. 

Distichiasis  500,  518. 

Douchen  26. 

Drastica  33. 

Drehpunkt  des  Auges  865. 

Druck  intraoculär.  1 ;  D.  intravasculär.  1. 

Druckverband  16. 

Dürrsucht  478. 


Echinococcus  635. 

Ectasia  corneae  132,  133. 

Ectopia  lentis  693,  706,  728. 

Eczema  75. 

Einfachsehen  binoculares  881. 

Einschränkungen  des  Gesichtsfeldes  237. 

Einstellungswerth  des  Auges  765. 

Eiterstaar  664. 

Ektropium  534;  E.  acutum  433,  439,  537; 

E.  luxurians,  sarcomatosum  455,  462; 

E.  mechanicum  537 ;  E.  paralyt.  536 ; 

E.  senile  486,    536 ;    E.  symptomati- 

cum  537. 
Elephantiasis  palp.  606. 
Embolia  art.  centr.  retinae  247,  249. 
Emmetropie  770. 
Emphysema    angulare    et   sacci   lacrym. 

566;  E.  orbitae  583. 
Encanthis  604. 
Encephalitis  infantum  369. 
Encephalopathien  255,  944. 
Encephaloid  610. 
j    Energie  actuelle  u.  potentielle  827. 
Enoi^hthalmus  spastic,   885. 
EntoptischeKörper  U.Erscheinungen  842. 


Alpliiilictisclifs  Hogistcr. 


953 


Entozoeii  634;  E.  der  Linse  691. 

Entropium  527;  E.  üri>-canicnin  462,  529; 
E.  senile  529;  E.  spasticum  528. 

Enncieatio  bulbi  338,  653. 

Ephidrosis  palpebr.  484. 

Epiblepliaron,  Epicantbus  887. 

Episcleralgewebe  379;    Episcleritis  380. 

Epitbclialcarcinom  629. 

Epithelialflecke  117. 

Epitlieliahiarbo  der  Cornea  120. 

Epispastica  33. 

Erysipelas  i)alpebr.  487. 

Exeavatio  nervi  optici  adnata,  physiolo- 
gica  168,  171;  E.  atropbica  228; 
E.  glaucomatosa  343. 

Excochleatio  cataractae  714. 

Exopbthalmia  fungosa  627. 

Exopbthalmometer  580. 

Exopbtbalraus  640;  E.  anaeraicus,  ca- 
cbecticus,  mit  Kropf  und  Herzleiden 
584;  E.  inflammatorius  581 ;  E.  i)seu- 
doplasmat.  640;  E.  ex  strabotomia 
914,  920. 

Exostosen  609. 

Exstirpatio  bulbi  645. 

Extractio  cataractae    linearis    712,    739 ; 
E.    lin.    mit   Iridectomie    713;    E.    c. 
mit    dem    peripheren    Linearschnitte 
722,  748;    E.  c.  lobularis   715,    742 
E.    c.    lobul.    mit    Iridektomie     718 
E.  c.  durch  den  Lederhautstich  726 
E.  c.  mit  der  Kapsel  719. 


Fadenoperation  919. 

Fallversucb  880. 

Farbenblindheit  236,  847. 

Farbensehen  851. 

Farbigsehen  849. 

Fascia  tarsoorbitalis  578. 

Fenstervorhänge  21. 

Fernpunktabstand     763;     F.    äusserster 

monocularer  775. 
Fernsichtigkeit  =  Presbyopie. 
Fibroide,  Fibrome  606. 
Fibroplastische  Geschwülste  617. 
Fibrosarcom  617. 
Filaria  636. 

Fil  de  Florence,  Fischschnur  540. 
Finne  =  Acne. 
Flachbau  804. 
Flimmerscotom  851. 
Flügelfell  472. 
Fontan'scher  Canal  271. 
Freibeweglichkeit  der  Linse  694. 
Fremde    Körper    in    den   Binnenorganen 

158,  368;    in  der  Linse  690;    in  der 

Kammer    und    Iris    368;    Extraction 

derselben  298,  374. 
Fungus  haematodes  630. 


GefässkrauK  278,  406. 

Gegenreize  33. 

Gerontoxon  corneae  56;  G.  lentis  663. 

Gerstenkorn  490,  504. 

Geschwülste  krankhafte  602  ;  G.  extraocu- 

läre  640;  G.  intracranielle  253,  255; 

G.  intraoculäre  647. 
Gesetze  der  Augenbewegungen  8()7;    G. 

der  Projection  in  den  Kaum  874;  G. 

der  identischen    Schrichtungen    875; 

G.  der  Tiefenwahrnehmung  879. 
Gesichtsfeld,   Untersuchung  235. 
Gesichtslinie  756,   760. 
Gewächse  605. 
Glashautentzündung  61. 
Glaskegel,  Steinheil'sche  794. 
Glaskörper  153;  G.  Abhebung  161,  163; 

G.  Entzündung  155;  G.  Degeneration 

bindegewebige  161;  Extravasate  hae- 

morrhg.     159;     G.     Staar     164;     G. 

Synchyse  161;  G.  Verknöcherung  335. 
Glaucom  315,   341,   347;    G.   absolutum 

354;     G.  acutum  352,  354;     G.  apo- 

plecticum  351 ;  G.  chronicum  inflamm. 

351;    G.  complicatum    355;     G.  con- 

secutivum,  secundarium  350 ;  G.  ful- 

minans  353;  G.  siraplex  352,  354. 
Glauconiatose  Degeneration  356. 
Glimmerbrillen   17. 
Gliom    610,    648,    652;    G.    fibrom,    G. 

myxom  611. 
Gliosarcom  611,  617. 
Glycerinsalben  46. 
Granulome  626. 
Greisenbogen  =  Gerontoxon. 
Grünblindheit  848,  849. 
Grundlinie  769,  867. 
Gummen  627;   G.  der  Iris  274,  280,  288; 

G.  der  Lider  486. 


Haarbodenabtragung   525 ;    H.    partielle 

524. 
Haarbodentransplantation  521. 
Hagelkorn  506. 
Haemo  dynamische       Verhältnisse       des 

Auges   1. 
Haemophthalmus  278. 
Hasenauge  =  Lagophthalmus. 
Hauptschnitte  der  Treunungsflächen  755. 
Hauptsehrichtung  875. 
Hautreize   12. 
Hemeralopie  853,  858. 
Hemiopie  238,  851. 
Hermetischer  Verband  434. 
Hernia  corneae  92;  H.  sacci  lacrymalis 

565. 
Herpes  conjunctivae  414,  469;  H.  corneae 

67;  H.  episcleralis  380;    H.  ophthal- 

micus  u.  frontalis  69. 
Herpetischer  Pannus  111,  471. 
Heurteloup'scher  Blutegel  28. 


954 


Alphabetisches  Register. 


Hodometer  892. 

Höllenstein  48. 

Hordeolum  504. 

Hornerscher  Muskel  483. 

Hornhaut  53;  H.  Abscess  59,  83,  89;  H. 
Blutextravasate  62;  H.  Brechungs- 
verhältnisse  756;  H.  Bruch  92;  H. 
Durchbruch  93;  H.  Ectasie  133;  H. 
Entzündung  =  Keratitis ;  H.  Flecke 
116;  H.  Gefässe  neopl.  60;  H.  Ge- 
schwüre 59,  86,  92;  H.  G.  blennorh. 
431 ;  H.  G.  bei  Encephalitis  infan- 
tum 87;  H.  G.  bei  Typhus,  Cholera 
etc.  88;  H.  Narben  118,  125;  H. 
Phthise  99;  H.  Transplantation  131; 
H.  VerkalkungundVerknöelierung  121. 

Hornhautstaphylom  132;  H.  kegeliges, 
kugeliges   133;  H.  narbiges  140. 

Horopter  882. 

Hyalitis  153, 

Hydromeningitis  62,  78. 

Hydrophtlialmus  =  Hydrops  camerae 
anterioris  133;  H.  posterior  =  Sta- 
phyloma  sclerochorioidale. 

Hydrops  nervi  optici  175;  H.  sacci 
lacrymalis  565;    H.  subretinalis  216. 

Hyoscyamin  39. 

Hyperaesthesia  optica  850. 

Hyperpresbyopie,  Hypermetropie,  Hyper- 
opie  771,  778,  801,  802;  H.  absolute, 
facultative  771,  802;  H.  relative  803. 

Hypodermatische  Einspritzungen  34. 

Hypohaema  278. 

Hypopium  85,  275,  281,  288. 

Hypopiumkeratitis  83. 

Identische  Punkte  d.  Netzhaut  875. 
Identische  Sehrichtungen,  Gesetz  875. 
Idiosyncrasien  847. 
Incongruenz   der  Netzhäute  910 
Innervationsverhältnisse    des    Auges    8; 

I.  der  Augenmuskeln  870. 
Insufficienz  der  Augenmuskeln  887,  926. 
Inunctionskur  30. 
Iridektomie  130,  294,    338,  357;    I.  mit 

Linsenextraction   305;    I.    bei  Staar- 

operationen  718. 
Iridenkleisis  305. 
Iridodesis  304. 
Iridocai)Sulitis  279. 
Iridocliorioiditis,   Iridokyklitis  316,  325; 

I.  sympathica  332. 
Iridotomie  306. 
Iris  270;    I.  Abscess  275;    I.  Schwarten 

317;  I.  Schwund  285;    I.  Staphylom 

98,  100;    I.  Vorfall  96,   107;  I.   Vor- 
fall  durch   die  Sclera  389. 
Iritis  270,   273;    I.  intermittens  282;     I. 

secundaria  281,   717;    I.  serosa  273; 

I.    suppurativa    275;     I.    sympathica 

282;  I.  syphilitica  282. 
Ischämia  retinae  247,  249. 


Kalkcysten  604. 

Kalkstaar  672. 

Kälte  als  Heilmittel  25. 

Kapsel    der  Linse  589;    K.  Entzündung 

664;    K.  Linsenstaar  669;    K.  Staar 

vorderer  und  hinterer  669,    670;    K. 

Staar  centraler   95,     287,    673,     682, 

696. 
Kapsel  Tenon'sclie,  Bonnetsche  578,  579. 
Katzenauge  amaurotisches  648. 
Keloid  620. 
Keratectasia  133,   134;  K.  e.  panno  112; 

K.  ulcerativa  93. 
Keratitis  57;  K.  neuroparalytica  10,  89; 

K.  diÖ'usa,  pareuchyraat.  79  ;  K.  pan- 

nosa    109;    K.    postica    62,    78;     K. 

punctata  78;  K.  suppurativa  59,  82; 

H.  vasculosa  59,  63. 
Keratoconus  133,  134. 
Keratoglobus  133,  135. 
Keratokele  92. 
Keratoiritis  275. 
Kerntläclie     und    Kernpunkt    des    subj. 

Sehraumes  879. 
Kernstaar  harter  667;  K.  weicher  667. 
Kernzone  660. 
Kopiopie  =  Asthenopie. 
Körper  fremde  =  fremde  Körper. 
Krampf  des  Accommodationsmuskels  775, 

838;    K.    der   Augenmuskeln  885;  K. 

des  Kreismuskels  885 ;    K.    des  Lid- 
hebemuskels 887. 
Krebs  628. 

Krystallkörper  =  Linse. 
Krystallflocke  689. 
Krystallwulst  699. 
Kupfervitriol  84. 
Kurzsichtigkeit  =  Myopie. 
Kyklitis  313,  331. 


Lagophthalmus  cholericus  943;  L.  para- 

lyticus  536,  888;  L.  spasticus  887. 
Lähmung  =  Paralysis. 
Lamina  cribrosa  167. 
Langljau  785. 

Längsmittelschnitte     der    Netzhaut    875. 
Lapis  inferualis  48. 
Lappenextraction  717,    742;    L.  mit  Iri- 

dectomie   718. 
Lederliaut  =  Sclera. 
Leontiasis  609. 
Leucom   117. 
Lichtempfindender   Apparat,    Functions- 

störungen  847. 
Lichtemptindendes  Netzhautstratum  759; 

Prüfung      des     Lichtempfiudungsver- 

mögeus  235. 
Lichtlinien  760. 
Lichtregulirung  20. 
Lichtscheu  850;  L.  scrophulose  73. 


Alphabetisches  Register. 


955 


Lichtscliirme  21. 

Lider  480;  L.  Abscess  48G,  491  ;  L.  Eut- 
zünduiig  485;  L.  Driiseuentzünduiig 
=  Acne;  L.  Erysipel  487;  L.  Exan- 
theme 487  ;  L.  üedeni  486  ;  L.  Syphilis 
486. 

Lidband  482. 

Lidknorpel  481. 

Lidnuiskeln  482;  L.  organische  484. 

Lidrandtinne  =  Acne. 

Lidspaltenfleck  60(5. 

Ligamentum  ])alpebrale  482;  L.  pecti- 
uatum   iridis  271. 

Linearextraction  712,  739;  L.  modificirte 
=:  Extraction  mit  dem  peripheren 
Linearschnitte. 

Linse  659;  L.  Brechungsverluiltnisse  756; 
L.  Dislocation  692,  693;  L.  Ectopie 
693;  L.  Entzündung  663;  L.  J:nto- 
zoen  691;  L.  Extravasate  haem. 
688;  L.  Freibeweglichkeit  694;  L. 
fremde  Körper  690;  L.  Kapsel  589; 
L.  Luxation  693,  694;  L.  Senescenz 
662;  L.  Verletzungen  689,  698;  L. 
Vorfall  in  die  Vorderkammer  692; 
L.  Vorfall    unter  die  Bindehaut  693. 

Lipome  608. 

Localisationsvermögen,  relat.  d.  Netz- 
haut 875. 

London- smoks  22. 

Lupus  palpebr.  486. 

Luscitas  884. 

Luxatio  lentis  693,  694,  728. 

Lymphstaar  287. 


Maculae  corneae  116. 

Madarosis  500. 

Manometer  6. 

Markschwamm  610. 

Medianebene  und  Medianlinie  867. 

Medullarcarcinom  628. 

MeduUarsarcom  616. 

Megalopsie  779,  847. 

Meibom'sclie  Drüsen  482. 

Melanom  610. 

Melanotisches  Carcinom  628 ;  M.  Sar- 
com  616. 

Meliceris  604. 

Membrana  capsulopupillaris  662 ;  M. 
pupillaris  persistens   287. 

Meningitis  cerebrospinalis  epid.  369,  372. 

Mercurialien  30;  M.  oxydatus  fiavus  45. 

Meridiane  vertical.  u.  horizont.  Netz- 
haut 875. 

Mesoropter  909. 

Metallincrustationen  d.  Cornea  122. 

Metamorphopsie  400,  847. 

Mikropsie  779,  847. 

Milchstaar  671. 

Milium  603. 

Molluscum  604,  607. 


Mondblindheit  853. 

Monochromatische  Abweichung  757. 

Morphium  34. 

Mouches  volantes  842. 

Muschelbrillcn  23. 

Muskeln     des    Augapfels    863;     M.    der 

Lider  482;    M.  organische  der  Lider 

484;      M.      des      Thränenableitungs- 

ap])arates  483. 
Mydriasis    834;     M.    spastica    835;    M. 

])aralytica  836;  M.  bei  Basedow'schcn 

Leiden  587. 
Mydriatica  35. 
Myiodesopsie   842. 
Myiokephalon   121. 
Myom  610. 
Myopie    771,    781;    M.    in    Distanz  838; 

M.   scheinbare   775. 
Myosis  840. 
Myotica  41. 
Myotomia  =  Strabotomia;    M.  intraocu- 

laris  305. 
Myxom  608;  M.  sarcom  617. 


Nachbilder  persistente  852. 

Nachstaar  =  Cataracta  secundaria. 

Nachtnebel  853,  858. 

Naevi  venosi  632. 

Nahepunkt  763. 

Nahsichtigkeit  784. 

Narbenkeratitis  125. 

Narbenstaphylom  142. 

Narcose  bei  Oj)eratioiien  729. 

Narcotica  34. 

Nebensehrichtungen  875. 

Nekrobiotische  Hornhautabscesse  91. 

Nervus  opticus  =  Sehnerv;  N.  sym- 
pathicus  8;  N.  trigeminus  9;  N.  ab- 
ducens,  oculomotorius,  facialis  865. 

Netzhaut  177;  N.  Abhebung  216;  N. 
Deckstellen  oder  correspondirende 
Punkte;  N.  Entzündung  =  Neuro- 
dictyitis;  N.  Haemorrhagien  184,  191, 
194,"  218,  351;  N.  Incongruenz  910; 
N.  Narbenstränge. 230;  N.  Oedem  190; 
N.  Pigmentanhäufungen  231;  N. 
Schwund  227;  N.  Senescenz  182; 
N.  Typische  Pigmententartung  267. 

Neuritis  optica  166. 

Neurodictyitis  183;  N.  apoplectica  194; 
N.  areolaris  187,  208;  N.  brightica 
187,  212;  N.  centralis  recidivans  189; 
N.  circumscripta,  disseminata  187, 
207,  208;  N.  descendens  198;  N. 
diffusa  185,  193;  N.  exsudativa  185, 
206;  N.  leucaemica  188;  N.  nephritica 
187,212;  N.  nyctalopical96;  N.  nach 
Opticusdurchschneidung  197;  N.  pig- 
mentosa 267;  N.  suppurativa,  tnber- 
culosa  188,  320;    N.  syphilitica   198. 


956 


Aphabetischcs  Eegister. 


Neurotomie  subcutane  655. 

Nictitatio  885. 

Niederdrücknng  des  grauen  Staares  714. 

Nystagmus  884,  932. 

Njctalopie  850. 


Oedema  malignum  palp.  486;  Oedema 
papillae  191  ;  Oedema  retinae  190. 

Onyx  corneae  59,  85,  91,   102. 

Operngucker  794. 

Ophthalmia  anterior,  posterior  .313;  O. 
brasiliana  480;  O.  arthritica  348;  O. 
granulosa  =  Trachom;  O.  inter- 
mittens  8;  O.  morbillosa,  scarlatinosa, 
variolosa  71,  370,  419;  O.  neuro- 
paralytica  10,  87,  89,  356,  587;  O. 
postfebrilis  329;  O.  psorica,  impe- 
tiginosa,  serpiginosa  etc.  71;  O.  pu- 
stularis,  phlyctenulosa  =  Herpes;  O. 
scrophulosa  72;  O.  subconjunctivalis, 
varicosa  471;  O  sympathica  332;  O. 
nach   Febris    typhosa   recurrens  329. 

Ophthalmoblennorrhoea  408,  427;  O. 
chronica  =  Trachom;  O.  infantum 
et  neonatorum  440. 

Ophthalmocentesis  226. 

Ophthalmoplegia  942. 

Ophthalmoprostatometer  581. 

Ophthahnospasmus  885. 

Ophthalmostaten  295,  729. 

Ophthahnotononieter  2. 

Opium  34. 

Opticusausbreitung  181. 

Optometer  781. 

Orbicularmuskel  482;  O.  Krampf  885; 
O.  Lähmung  888. 

Orbita  577;  O.  Abscess  582,  590;  O. 
Entzündung  581 ;  O.  Caries  und  Ne- 
krose 583,  597;  O.  Extravasate,  Em- 
physem, Knochensprünge  583;  O. 
Geschwülste  640;  O.  Gliom  615;  O. 
Sarcom  619,  621 ;  O.  Muskeln  orga- 
nische 579;  O.  Oedem  581;  O.  Pe- 
riostitis 582,  597. 

Ortssinn  des  Doppelauges  874 ;  O.  relat. 
der  Netzhaut  875. 

Osteome  609. 

Osteosarcome  609,  617. 

Osteosteatome  609. 

Orthometer  581. 


Pachyblepharosis  499. 

Pannus  109;  P.  herpeticus  111,  471;  P. 

siccus  112;  P.  trachomatosus  111;  P. 

traumaticus   111. 
PanOphthalmitis  suppurativa  319,  366. 
Papillome  627. 
Paracentesis  corneae  102,  108;  P.  bulbi 

226. 


372. 


typische     der     Netz- 


P.  in 


Paralysis  relativa  586,  884;  P.  unächte 
943;  P.  wahre  887,  935;  P.  accom- 
modationis  831;  P.  acc.  diphtheritica 
833;  P.  der  Augenmuskeln  887;  P.  des 
Kreismuskels  888;  P.  des  Lidhebe- 
muskels 887;  P.  d.  Recti  laterales 
939;  P.  des  Rectus  super,  u.  infer. 
940;  P.  der  M.  obliqui  940;  P.  nerv, 
oculomot.  941 ;  P.  nervi  facialis  888. 

Perimeter  236. 

Peribrosis  537. 

Periorbitis  582,  597. 

Perivasculitis  retinae  184. 

Perlgeschwulst  603. 

Perspectivbrillen  794. 

Petit'scher  Canal  155. 

Pflasterverband  16. 

Phakitis  663,  697. 

Phakohymenitis  =  Capsulitis. 

Phakohydropsie  671;  Ph.  malacie  und 
Ph.  sclerom  667. 

Phlebectasien  634. 

Phosphene  236,  850. 

Photophobie  850. 

Photopsie  851. 

Phthisis  bulbi  99, 

Physostigmin  42. 

Pigmententartung 
haut  267. 

Pignientstaar  287. 

Pilze    in    den  Haarfollikeln    498; 
den  Thränenkanälchen  554. 

Pinguecula  606. 

Plathymorphie  804. 

Plesiopie  787,  790. 

Plexiforme  Geschwülste  631. 

Plexus  ciliaris  venosus  310,  378. 

Polarstarr  164. 

Potyopia  monocularis 

Polj'pen   fibröse    607; 
sackes  555,  565. 

Presbyopie  778,  806;  P.  myopica  790, 
799;  P.  hypermetropica  808. 

Primärstellung  der  Augen  867. 

Prismen  811. 

Projectionsgesetze  874. 

Prolapsus  iridis  96,  106 ;    P.  lentis 
693,   727;  P.  retinae  99. 

Prothesis  ocularis  656. 

Pseudoplasmen  605. 

Pterigium  472. 

Ptosis  887,  948;  P.  palpebrae  sup. 
motica433;  P.  sympathica  840, 

Puls  der  Centralgefässe   172. 

Pulsirende  Geschwülste  633. 

Pupillarab-  und  Verschluss  316. 

Pupillarmembran  persistirende  287. 

Pupillenbildung   künstliche    =    Iridecto- 
mie;  P.  Verlagerung  302. 

Punkte  correspondirende  d.  Netzhaut  875. 

Pyorrhoe  428. 

Pyramidenstaar  673,  682,  696. 


759,  777. 
P.    des  Thränen- 


692, 


che- 

887. 


Aliilialic'tisches  Rogistor. 


957 


Qnecksilberoxyd  p:olho,s  45. 
Qucroxt.ractkm  der  Cataract.-i  71(5. 
Quermittel.schiiitt  der  Nct/Jiaut  875. 
Qnerspaltiuig  der  Eiterlierde  108. 


Raddrehung-en  des  Bnlbu.s  8()7,  SG9. 
Recliiiatio  cataract.  714. 
Refractionsaiioinalien   755. 
Refractionszu.stand  70;^,  775. 
Regenbogenhaut  =  Iris. 
Reizmittel  43. 
Reizende  Salben  45. 
Resorptionsgeschwiire  G7. 
Retinitis  =  Nenrodictyitis. 
Retinochorioiditis    exsudativa  =  Nenro- 
dictyitis exsudativa. 
Revulsiva  12,  33. 
Richtungslinien,  R.  Strahlen  760. 
Rindenstaar  6G7,  678,  695. 
Rothblindheit  236,  848. 


Sarcom  616,  649,  652;  S.  telangiectodes 
s.  cavernosum  617. 

Scarificationen  der  Bindehaut  29. 

Scheibenstaar  670,  680. 

Scheidenhaut  des  Auges  578;  S.  Ent- 
zündung 581. 

Schematisches  Auge  764. 

Schichtstaar  674,  681,  686,  696,  706. 

Schiefstehen  der  Augen  884. 

Schielen  =  Strabismus. 

Schieloperation  =  Strabotomie. 

Schielwinkel  890. 

Schleier  22. 

Schleimpolypen  604. 

Schlemm'scher  Canal  310,  378. 

Schlittenmanöver  743. 

Schmierkur  31. 

Schneeblindheit  853. 

Schnürverband   16. 

Schröpfköpfe  28. 

Schutzbrillen  16,  22. 

Schutzverband  15. 

Schweisskrankheit  der  Lider  484. 

Schwimmstaar  692,  703,  727. 

Schwindel  883. 

Schwund  =  Atrophie. 

Sclera  377;  S.  Dnrchbruch  388,  390;  S. 
Extraction  727;  S.  Gefässkranz  liin- 
terer  378;  S.  Staphylome  381;  S. 
Staphylom  hinteres  393  ;  S.  Staphylora 
traumat.,  ulceroses  388. 

Sclerectomie  131. 

Scleritis  379. 

Sclerochorioidalstaphylom  334,  382;  S. 
anticum,  annulare  387 ;  S.  partiale 
384;  S.  posticum  393,  785,  788;  S. 
totales  382. 

Sclerochoiioiditis  380. 


beharrliche    844;     S. 

490. 
6. 


Scleronyxis  737. 

Scotome    842;    S. 
ephemere  845. 

Seborrhoea  ciliaris 

Secretionsneurosen 

Secundärstellungen  867. 

Sehen   directes   und   indirectes   7()1. 

Selinenflecke  der  Ilijrnhaut  118. 

Sehnerv  166;  S.  Entzündung  =  Neuritis 
optica;  S.  Ausbreitung  181;  S.  Ex- 
travasate 176;  S.  Schwund  243;  S. 
Verblassung  241. 

Seln-ichtnng  760,  875;  Gesetz  der  iden- 
tischen Sehrichtungen  875. 

Sehschärfe   761. 

Sehweite  deutliche   763. 

Spasmus    acconnnod.    775,    838; 
levatoris     palp.     sup.     887; 


S.    m. 
S.    des 


Kreismuskels     und     der    Augenmus- 
keln 885. 

Spectrum  niucolacrymale  419. 

Spindelstaar  675. 

Spintherismus  851. 

Staar  grauer  659,  663;  S.  falscher  287; 
S.  fettigkalkiger  672 ;  S.  gemischter 
667,  676;  S.  harter  667,  676;  S. 
knochiger  673;  S.  regressiver  668, 
677,  725;  S.  scheibenförmiger  670, 
680;  S.  trockenhülsiger  671,  680,  725, 
741;  S.  weicher  667,  678,  679;  siehe 
Cataracta. 

Staarblähnng  701. 

Staaroperationen  711,   737. 

Staarreife  707. 

Staar  schwarzer  =  Amblyopie,  Amau- 
rosis. 

Staphyloma  132;  S.  annulare  oder  anti- 
cum 387;  S.  cicatriceum  142;  S. 
corneae  132;  S.  iridis  98,  100;  S. 
racemosum  100;  S.  sclerochorioidale 
382  ;  S.  scieroticae  traumat,  iilcerosum 
388;  S.  corpor.  ciliaris  387;  S.  posti- 
cum Scarpae  393,  785,  788;  S.  totales 
durchsichtiges  und  narbiges  383. 

Staphylomoperationen  148,  149. 

Statopathien  580. 

Staubbrillen   16. 

Stauungspapille,  Stauungsneuritis  200. 

Stecher  795. 

Stenopäische  Brillen  129. 

Steatome  607. 

Stockes'sche  Linse  820. 

Strabismus  883,  889,  921;  S.  Formen 
889;  S.  concomitans  891;  S.  con- 
vergens  883,  889 ;  S.  convergens 
bei  Myopie  904.  S.  divergens  883, 
921;  S.  scheinbarer  884,  892;  S.  se- 
cund.  914,  918. 

Strabometer  892. 

Strabotomie  912. 

Strahlenblättchen  ^^  Zonula. 

Strahlenkörper  308. 


958 


Alphabetisches  Register. 


Suctionsmethode  713. 

Symblepharon  anterius  513;  S.  posterius 
460. 

Sympathische  Ophthalmie  332. 

Syncanthus  514. 

Synchysis  corp.  vitrei  155;  S.  scintillans 
161. 

Syndesmitis  407;  S.  blennorrhoica  408, 
427;  S.  catarrh.  416;  S.  degenerativa 
413;  S.  diphtherica  414,  445;  S. 
membranosa  413,  423. 

Synechia  anterior  95,  126,  181  ;  S.  po- 
sterior 273,  286,  329. 


Tabakraiach  18;  T.  Schnupfen  18;  T. 
Amaurose  246,  264. 

Tarsaldrüsen  482. 

Tarsoraphie  540. 

Tarsus  481. 

Theaterperspective  794,  813. 

Telangiektasien  632. 

Tetanus  oculi  885. 

Thränenbach  552. 

Thränenbein  550;  TIi.  Caries,  Necrose 
559,  561. 

Thränendrüse  548;  T.  Entzündung  553; 
T.  Fistel  553;  T.  Wasserblase  605. 

Thränenleitung  552. 

Thränencarunkel  404;  T.  Entzündung 
604. 

Thränenmuskel  483. 

Thränenpunkte  548. 

Thriinenröhrchen  548;  T.  Entzündung 
554;  T.  Fistel  554;  T.  Schlitzung 
567;  T.  Pilzbildungen  554;  T.  Stric- 
turen  554,  570. 

Thränensack  549;  T.  Durchbrach  558, 
565;  T.  Emphysem  566;  T.  Extra- 
va.sate  555;  T.  Fistel  558,  574; 
T.  Eröffnung  570;  T.  Polyp  555;  T. 
Verödung  künst.  574;  T.  Wasser- 
sucht 565. 

Tliränenschlauch  548;  T.  Blennorrlioe 
554,  561;  T.  Entzündung  phlegmo- 
nöse 555,  557;  T.  Obliteration  558; 
T.  Sondirung  568;  T.  Strictnren  558, 
.565,  572. 

Thränensteine  554,  566. 

Thränenträufeln-Behandlung  567. 

Thränenwärzchen  548;  T.  Entzündung 
553. 


Tiefenwahrnehmung,  Gesetze  879. 

Tonometer  2. 

Trachom  410,  451;  T.  secundäres,  sul- 
ziges 461. 

Transplantatio  corneae  131. 

Traubenstaphylom  100. 

Trennungsflächen  des  dioptr.  Apparates 
755. 

Trennungslinien  der  Netzhaut  875. 

Trichiasis  500,  518. 

Trichosis  bulbi  608. 

Tripperblennorrhoe  429. 

Trochlea  864. 

Trugbilder  876. 

Tuberculosis  bulbi  320. 

Tunica  vaginalis  bulbi  578;  T.  Entzün- 
dung 581. 

Tylosis  499. 


Ueberblendung     des     Netzhautcentrums 

853. 
Ueberschläge  kalte  26. 
Uebersichtigkeit  ^=  Hyperpresbyopie. 
Unterbrechungen  des  Gesichtsfeldes  236. 


Verband  hermetischer  433. 
Vereiterung  des  Bulbus,  künstliche  392. 
Verlagerung  der  Pupille   129. 
Vesicantien  33. 
Violettblindheit  849. 
Visirebene  867. 

Vorfall  der  Linse  692,  693,  727. 
Vortex  pnrulentus  83. 

Warzen  607. 

Wasserhaut  r=  Descemeti ;    W.  Entzün- 
dung 62. 
Wasserblase  der  Thränendrüse  605. 
Wärmeentziehung  26. 
Winkel  a  756. 


Xerosis  478;    X.  partialis  s.  triangularis 
480. 


Zittmann'sches  Decoct  32. 
Zitterstaar  692. 

Zonula  155;  Z.  Risse  691,   702. 
Zoster  oijhthalmicus   69. 


Kurze  Erklärung  der  Tafeln. 


A)  Angeborene  Sehnervenexeavafion  und  mondsichelförmiges  hinteres  Scle- 
ralstaphylom.  Der  Sehnerveneintriit  von  dem  schön  entwickelten  Bindege- 
websringe  umgeben.  Der  ausgehöhlte  centrale  Theil  der  Papille  stellt  sich 
unter  der  Form  einer  weissen  Seheibe  dar,  in  welcher  eine  bläulichgraue 
Punktirung  die  Lücken  der  Lamina  cribrosa  andeutet.  Am  Rande  der 
Excavation  biegen  die  Centralgefässe  in  schwachem  Bogen  um  und  zwei 
Hauptäste  setzen  sich  als  lichtröthliche  Streifen  bis  gegen  die  Mitte  der 
Papille  fort.  Die  Fläche  des  hinteren  Scleralstaph5-lomes  ist  leicht  geröthet; 
der  convexe  Eand  desselben  von  körnigem  Tapetpigmente  iimsäumt.  Der 
Algengrund  normal.  Die  Gegend  der  Macula  lutea  stark  pigmentirt  und 
in  dem  so  entstandenen  bräunlichgrauen,  leicht  verwaschenen  Flecke  eine 
unregelmässige  helle  Lücke,    die  Fovea  centralis. 

B)  Neurodictyitis  apoplectica.  Sehnervengrenze  sehr  verwaschen  und 
die  nachbarlichen  Theile  der  Netzhaut  fein  strahlig  gestreift.  Die  Venen 
stark  geschlängelt  und  ungleichmässig  dunkel  gefärbt.  Zahlreiche  Blut- 
extravasate  mit  vorwaltend  radiär  gestellten  Längsdurchmessern.  Li  der 
Gegend  der  Macula  lutea  ein  bläulichgrauer  rundlicher  Fleck,  umgeben 
von  einer  schmalen,   scharf  begrenzten   hellen   Zone. 

C)  Neurodictyitis  diffusa.  Die  dicht  infiltrirte  Netzhaut  gibt  dem 
Augengrunde  eine  schmutzig  gelbi'öthliche  Färbung.  Der  Sehnerveneintritt 
ist  nur  an  der  Gefässpforte  und  der  radiären  röthlichen  Streifung  ihrer 
Umgebung  zu  erkennen,  seine  Grenze  ist  völlig  verschwommen.  Die  Netz- 
hautyffässe  stark  geschlängelt,  stellenweise  dunkler  gefärbt,  stellenweise  in 
der  trüben  Netzhaut  fast  gänzlich  verschwindend,  oder  doch  stark  gedeckt. 
Zahlreiche  Blutextravasate .  Ausserdem  mehrere  rundliche,  schmutzig  gelbe, 
zum  Theil  pigmentumsäumte  Flecke,  welche  durch  herdweise  Exsudation 
auf  die  hintere  Netzhautfläche  und  durch  die  damit  verknüpften  Verände- 
rungen des  Tapetes  zu  erklären  sind. 

D)  Neurodictyitis  exsudativa.  Frische  und  alte,  bereits  im  Schivunde 
vorgeschrittene  Herde.   Der  Sehnerveneintritt  leicht  geröthet  und  sein  Binde- 


960  Kurze  Erklärung  der  Tafeln. 

gewebsring  an  dem  äusseren  Rande  gut  sichtbar.  Der  innere  Theil  der 
Papille  von  einem  unregclmässig  begrenzten  frischen  Entzündungsherde  ge- 
deckt, welcher  sich  bis  nahe  an  die  Grenze  des  Bildes  ausdehnt.  Die 
Grundfarbe  dieses  Herdes  ist  weisslich,  mit  röthlichen  wolkigen  Zeichnun- 
gen. Die  Ränder  sind  verwaschen ,  stellenweise  von  matt  durchscheinen- 
den Pigmentanhäufungen  besäumt.  An  der  äusseren  Grenze  des  Bildes 
zwei  kleinere  rundliche  eben  solche  frische  Pladen.  Oberhalb  und  unter- 
halb der  Papille  je  ein  grosser  unregelmässig  begrenzter  Herd  und  in 
nächster  Nähe  des  äusseren  Randes  des  Sehnerveneintrittes  mehrere  kleine 
Herde  alten  Datums,  an  welchen  die  sehnigweisse  Lederhaut  durch  die 
atrophirte  Chorioidea  und  Retina  durchscheint.  Von  dem  Aderhautiope/e 
finden  sich  in  diesen  Herden  nur  geringe  Reste  in  Gestalt  dunkel  gekörnter 
Plecke ,  von  der  Vasculosa  aber  einzelne  leicht  überliorte  Gefässstämme. 
Allenthalben  zerstreut  dunkle  Pigmenthaufen  von  angehäuften  Tapetzelleu. 
Der  übrige   Augengrund  schmutzig-bräunlich  getäfelt. 

E)  Umschriebene  Atrophie  der  Netz-  und  Aderhaut  nach  Neurodictyitis 
exsudativa,  Staphyloma  posticum.  In  der  Gegend  der  Macula  lutea  zeigt 
sich  ein  ausgedehnter  unregelmässiger,  scharf  begrenzter,  sehnenähnlich 
glänzender  gelblich  weisser  Fleck ,  an  welchem  die  Sclera  hloszuliegen 
scheint.  Der  Rand  desselben  ist  von  neoplastischem,  stellenweise  klumpig 
gehäuften  Pigmente  umsäumt  und  die  Fläche  desselben  von  analogen 
grösseren  und  kleineren  zarten  Pigmentgruppen  besäet.  In  den  beiden 
grösseren  Gruppen  deutet  die  röthliche  Färbung  des  Grundes  auf  tlieil- 
weisen  Fortbestand  der  Aderhautgefässe.  Die  Netzhaut gefässe  streichen 
unverändert  über  den  Herd  hinüber  und  bekunden  so  die  Existenz  der 
vorderen  Retinaschichten.  Zwischen  der  inneren  Grenze  des  Herdes  und 
dem  Sehnerveneintritte,  so  wie  nach  unten  von  letzterem,  ist  der  Augen- 
grund wegen  theilweiser  Zerstörung  des  Tapetes  und  wegen  mindergradiger 
Atrophie  der  Chorioidea  heller  gefärbt,  leicht  getäfelt  und  streckenweise 
von  den  sichtbar  gewordenen  Wirbelgefässen  der  Vasculosa  geädert.  Nach 
unten  zeigen  sich  knochenkörperchenartige  Anhäufungen  von  Pigment. 
Die  äussere  Hälfte  der  blass  gerötheten  und  aus  der  Tiefe  bläulichweiss 
schimmernden  Papille  ist  von  einem  unregelmässig  geformten  hinteren 
Scleralstaphylome  umgeben,  dessen  Fläche  von  Resten  des  Pigmentes  der 
A'^asculosa  zart  getäfelt  erscheint.  Eine  eben  solche  Täfelung  tritt  an  der 
oberen  Peripherie  des  Augengrundes  hervor. 

F)  Atrophia  retinae  et  chorioideae  nach  Neurodictyitis  exsudativa.  Der 
ganze  Augengrund  von  dem  Pigmente  der  Vasculosa  sehr  auffällig  getäfelt 
und  von  unregelmässigen  grösseren  und  kleineren  Haufen  dunklen  neopla- 
stischen Tapetpigmentes  besäet.  Der  Sehnerveneiutritt  sehr  verblasst  mit 
einem  autfallenden  Stiche  in's  Bläulichgraue.  Bindegewebsring  schön  ent- 
wickelt. Netzhautgefässe  normal. 


'o^ 


G)  Partielle  Atrophie  der  Netz-  und  Aderhaut  nach  Neurodictyitis  (Re- 
tinochorioiditis) areolaris ,  grosses  hinteres  Scleralstaphylom.  Sehnerveneintritt 
leicht  geröthet  und  wegen  der  staphylomatösen  Ausdehnung  der  hinteren 
Lederhautzone  in  schiefer  Projection,  also  als  ovale  Scheibe  sichtbar.  Das 
Staphylom  mtischelförmig,  sehnig  glänzend,  auffälhg  stark  bläulich  gefärbt 
und  fast  terrassenförmig  abfallend.    Der  Rand   stark  pigmentirt.   Oben  und 


Kurze  Kikliining  der  Tafeln.  961 

unten  dtu-fin  ovenzend  jo  ein  kleiner  i-undlichev  blassröthlicher  frischer 
Kxsudationsherd.  Nach  aussen  von  dem  Lcdcrhautstaphylome  zwei  unter 
einander  znsammenliänii'eiide  Gruppen  von  veralteten,  bereits  in  der  Atrophie 
vorgcsclirittenen  rundliehen  Kntziindungsherden,  an  welchen  die  Lederhaut 
durchschimmert,  und  welche  zumeist  von  einem  Saume  dunklen  Pigmentes 
umgeben  erscheinen.  An  der  inneren  Hälfte  des  Augengrundes  zahlreiche 
zerstreute  kleine  pigmcntumsäumte  atrophirte  und  einzelne  frische  röthlich 
gelbe  Herde.    Täfelung  des  Augengrundes. 

H)  Atrophie  der  Netz-  und  Aderhaut  in  Folge  exsudativer  Neurodictyitis. 
Der  ganze  Augengrund  bedeckt  mit  hellen  gelblichweissen  Flecken,  deren 
kleinere  die  rundliche  Form  darbieten,  die  grösseren  aber  ihre  Entstellung 
aus  zusammengeflossenen  kleineren  rundlichen  deutlich  verrathen.  In  den 
gegen  die  Peripherie  hin  gelegenen  Herden  erkennt  man  noch  deutlich 
die  Wirbelgefässe  der  Aderhaut,  während  diese  in  den  mehr  centralen 
Flecken  gänzlich  untergegangen  sind.  Allenthalben  macht  sich  darin  eine 
feine  graue  Tüpfelung  bemerkbar,  welche  von  Pesten  des  Pigmentes  der 
Vasculosa  herzurühren  scheint.  Das  Tapet  ist  in  der  Fläche  der  Herde 
fast  ganz  zerstört,  an  den  Rändern  derselben  jedoch  hat  es  sich  zu  un- 
regelmässigen Haufen  gesammelt.  In  den  Zwischenräumen  der  Flecke 
erscheint  der  Augengrund  von  ziemlich  normaler  Farbe ,  leicht  getüpfelt 
und  stellenweise  von  neoplastischen  Tapetpigmenthaufen  besetzt. 

I)  Neurodictyitis  nephritica.  Sehnerv  stark  verschleiert  und  zart  radiär 
gestreift.  Anschliessend  an  denselben  ein  ausgebreiteter  retinaler  Infiltra- 
tionsherd, welcher  in  Bezug  auf  Mächtigkeit  sehr  wechselt  und  so  das  An- 
sehen gewinnt,  als  wäre  er  aiis  einer  Anzahl  kleinerer  Herde  zusammen- 
gesetzt, welche  sich  theilweise  längs  den  Hauptgefässstämmen  ausbreiten 
und  durch  zartere  florähnliche  Trübungen  verbunden  sind ,  in  deren 
Bereiche  die  leicht  getüpfelte  Pöthe  der  Aderhaut  mehr  weniger  stark 
durchschimmert.  Die  darüberziehenden  Aeste  der  Centralgefässe  sind  stellen- 
weise verschleiert.  Neben  ihnen  erscheint  eine  Anzahl  grösserer  und  kleinerer 
Blutextravasate  mit  radiär  gestellter  Längsaxe.  Die  äussere  Grenze  des 
Herdes  läuft  in  die  charakteristische  Sternfigur  (S.  206)  aus,  welche  sich 
aus  einem ,  in  der  Gegend  der  Macula  lutea  zu  Stande  gekommenen  und 
mit  Atrophie  der  Ader-  und  Netzhaut  endenden  retinalen  Exsudations- 
herde erklärt.  Der  Rest  des  Augengrundes  ist  normal  gefärbt  und  leicht 
getüpfelt. 

K)  Neurodictyitis  nephritica.  Der  Sehnerveneintritt  stark  verschleiert, 
ins  Gelbröthliche  verfärbt.  Die  Centralstücke  der  Netzhautgefässe  daselbst 
grossenlheils  völlig  verhüllt,  die  Gefässpforte  darum  unsichtbar.  Die  an 
die  Papille  gränzende  Zone  der  Netzhaut  schmutzig  grauweiss  infiltrirt, 
etwas  aufgetrieben ,  besonders  am  inneren  Umfange  des  Sehnervenein- 
trittes, wo  die  Gefässe  in  Bögen  über  den  Wulst  hinwegziehen.  Der  In- 
filtrationsherd erstreckt  sich  nach  aussen  hin  weit  über  die  Macula  lutea 
lünaus.  In  der  Gegend  der  letzteren  eine  Gruppe  kleiner  grauweisslicher 
Tüpfel  und  weiter  gegen  den  Aequator  hin  allenthalben  zerstreut  einzeln- 
stehende und  zu  unregelmässigen  Haufen  zusammenfliessende  weissgelbliche 
bläulich  schattirte  Exsudatmassen,  welche  sich  knotenähnlich  leicht  über 
die  Oberfläche  der  Netzhaut  zu  erheben  scheinen.  Die  Netzhautgefässe 
stark  ausgedehnt,   in  der  Nähe   der  Papille  verschleiert.    Zahlreiche  grössere 

st  eil  wag,  Augenheilkunde.  61 


962  Kurze  Erklärung  der  Tafeln. 

und  kleinere  spritzerähnliche  und  massigere  Blutextravasate ,  zum  Theile 
den  Gefässen  folgend ,  zum  Theile  zwischen  den  Exsudatmassen  gelagert. 
Der  Augengrund  wegen   der  Infiltration  der  Netzhaut  merklich  verblasst. 

L)  Trüber  Sehnerven-  und  Netzhautschwund.  Die  bläulich  weisse  Pa- 
pille und  der  ganze  Augengrund  sehr  auffällig  schmutzig  grauweiss  über- 
schleiert  und  matt.  Zerstreute,  mehr  weniger  dunkle,  unregelmässig  be- 
grenzte, deutlich  überilorte,  theilweise  ganz  verschwommene  Haufen  neo- 
plastischen Tapetpigmentes,  welche  von  der  röthlich  durchschimmernden 
Aderhaut  sich  deutlich  abheben.  Centralgefässe  sehr  verdünnt  und  nach 
kurzem   V'erlaufe  bei  sparsamer  Verzweigung  verschwindend. 

M)  Typische  Pigmententartung  der  Netzhaut,  pellticide  Atrophie  des  Seh- 
nervenkopfes. Der  Augengrund  verblasst,  zart  getäfelt  und  fein  getüpfelt. 
An  seiner  Peripherie  ringsum  die  charakteristischen,  den  Knochenkörperchen 
ähnlichen  Pigmenthaufen  (S.  267).  Sehnerveneintritt  hellweiss ,  sehnig 
glänzend,  von  dem  Bindegewebsringe  umsäumt.  Centralgefässe  sehr  dünn, 
wenig  verzweigt. 

N)  Netzhautahhehung ,  angeborne  ainpuUcnförmige  Sehnervenexcavation. 
Der  untere  äussere  Theil  der  Netzhaut  in  Form  einer  stark  getrübten, 
schmutzig  gelbgraulichen  Blase  vorgewölbt.  Der  Fuss  dieser  Blase  steigt 
sehr  sauft  empor,  daher  der  Schatten  fehlt  und  die  Knickung  der  darüber 
hinwegstreichenden  Gefassstücke  eine  sehr  wenig  auffällige  ist.  Die  Exca- 
vation  hat  einen  etwas  unregelmässigen  Umriss ,  erscheint  hellweiss  und 
von  den  Löchern  der  Siebmembran  zart  grau  getüpfelt.  An  ihrem  Rande 
setzen  die  Gefässe  unter  einer  schnabelförmigen  Biegung  scharf  ab  und 
treten  am  Grunde  der  Aushöhlung  theilweise  wieder  hervor,  um  sich  dann 
zu  verlieren. 

0)  Netzhautabhebung.  Die  Netzhaut  ist  mit  Ausnahme  des  oberen 
Quadranten  von  der  Adei'haut  abgehoben  und  dieser  losgetrennte  Theil 
derselben  bildet  einen  steilrandigen  Beutel,  welcher  sich  am  Augengrunde 
unter  der  Gestalt  von  vier  Zipfeln  projicirt,  die  mit  ihren  abgestumpften 
Spitzen  gegen  die  Papille  hin  convergiren,  diese  zum  Theile  übergreifen 
und  zwischen  sich  schmale  Zungen  des  Augengrundes  wahx-nehmen  lassen. 
Der  abgehobene  Netzhauttheil  ist  stark  infiltrirt  und  in  mächtige  unregel- 
mässige Falten  geworfen,  woraus  die  weissgelbliche  Färbung  und  die 
tief  bläuliche  Schattirung  resultirt.  Die  starke  Faltung  der  Zipfel  äussert 
sich  übrigens  auch  in  der  auffälligen  Schlängelung  und  theilweiseu  Knickung 
der  darüber  hinweglaufenden  abnorm  dunklen  Gefässe.  Diese  letzteren  be- 
ginnen scheinbar  schnabelförmig  an  den  umgeschlagenen  Bändern  der 
Zipfel,  indem  die  zugehörigen  centralen  Stammstücke  von  dem  überhängen- 
den Fusse  des  Xetzhautbeutels  gedeckt  werden. 

P)  Beginnendes  Glaucom.  Die  Hauptäste  der  Centralgefässe  am  Rande 
der  verblassten  Papille  stark  geknickt  und  theilweise  schnabelförmig  ab- 
setzend. Die  Centralstücke  der  grösseren  Zweige,  so  weit  sie  noch  sicht- 
bar sind,  sehr  verblasst.  Die  Macula  lutea  und  die  Fovea  centralis  sind 
sehr  stark  markirt. 

Q)  Glaucoma  absolutum.  Sehnerveneintritt  hellweiss,  sehnenglänzend, 
mit  bläulich  grau  schattirter  Grenze.  Bindegewebsring  sehr  entwickelt, 
unregelmässig  buchtig.      Alle  Netzhautgefässe    setzen  am  Rand   der  Papille 


Kurze  Erkliiiuiig  iler  Tafeln.  963 

schnabelförmig  üb.  A'ou  ihren  Ceutralstücken  sind  nur  wenige,  stark  ge- 
schlängelte und  iibci-Üorte  Reste  zu  sehen,  welche  überdies  nicht  zur  rauth- 
masslichen  Gefasspforte  streichen  und  wahrscheinlich  auf  ausgedehnte  Col- 
lateralen  zu  beziehen  sind.  Hauptvenen  stark  gefüllt.  Augengrund  an  der 
Peripherie  getäfelt. 

RJ  SpitzbogenfÖrmiges  Staphyloma  posticum,  partielle  Atrophie  der  Ader- 
und Netzhaut,  ein  Blutextravasat  in  der  Gegend  der  Macida  lutea.  Sehnerven- 
eintritt leicht  geröthet.  Die  helle  l'läche  des  Staphyloms  von  Resten  des 
Pigmentes  der  Vasculosa  zart  getäfelt.  Die  obere  äussere  Partie  des  Augen- 
grundes in  Folge  von  vorgeschrittener  Atrophie  des  Tapetes  und  der  Ader- 
haut grob  getäfelt  und  stellenweise  zwisclien  den  Pigmentflecken  die  Sclera 
durchscheinend.  An  dem  Reste  des  Augengrundes  treten  die  Wirbelgefässe 
der   Chorioidea  sehr  deutlich  heraus. 

S)  Haubenförmiges  Staphyloma  posticum ,  partielle  Atrophie  der  Ader- 
und Netzhaut.  Das  Staphylom  unregelmässig  buchtig,  den  Sehnerveneintritt 
rings  umschliessend ,  hell  bläulichweiss ,  von  Resten  des  Pigmentes  der 
Vasculosa  grau  gefleckt.  Die  Papille  wegen  schiefer  Projection  oval.  Augen- 
grund durchwegs  stark  getäfelt  und  stellenweise  von  wucherndem  Tapete 
gefleckt,  in  der  Gegend  der  Macula  lutea  wegen  vorgeschrittener  Atrophie 
heller  gefärbt. 


Druck  von  Adolf  Holzhausen  in  Wien 
k.  k.  Universitata-BucLdruckerei. 


dem  V  DrcUcilziuami 


Litii.Ausl  v.Th.B<mn^v'a^tl^  iii  ViPn 


Verlajj  v  W.Braunmller. 


Cn'm  vD'C  Ueil7.mai\ii 


.l.it)i..\jist.v.Th.Baiui«-artK  m  Wien 


Verlag  v.W.BieiuraüUci-. 


Gem.v.DT.Heitzma 


btliJrst.vTh.BaTUi^-arth  m\*'ien  , 


Vorlag  vW.BraTiiuuller. 


Medicinische  Lehr-  und  Handbücher 

ans  dem  Verlage  von 

Wilhelm  Braumüller,  k.  k.  Hof-  und  UiiiversitiUs-Biicliliiiiidler  in  Wien. 

Hyrtl,  Dr.  Jos.,  k.  k.  Hofrath,  em.  Professoi*  der  Anatomie  an  der 
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ScanzOlli,   Dr.   F.   W.   TOII,   k.   bayr.  geheimer   Rath   und   Professor  an 

der  Universität  in  Würzburg.  Lehrbuch  der  Krankheiten  der  weib- 
lichen Sexualorgane.  Fünfte  umgearbeitete  Auflage,  Mit  62  Holz- 
schnitten, gr,   8,   1875,  9  /.  —   18   M. 

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Lehrbuch  der    vergleichenden    Embryologie    der   Wirbelthiere. 

Mit   81   Holzschnitten  und   einer  lithographirten  Tafel,   gr,    8,    1874, 

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Schmarda,  Dr.  Ludw.  K.,  o,  ö,  Professor  an  der  k,  k,  Universität  in 
Wien,  Zoologie.  Zweite  umgearbeitete  Auflage,  Zwei  Bände,  Mit 
709   Holzschnitten,   gr,    8,    1877,    1878,  17  fl.   —   H4   M. 

Stricker,  Dr.  S.,  o,  ö.  Professor  an  der  k,  k,  Universität  in  Wien, 
Vorlesungen  über  allgemeine    und    experimentelle  Pathologie. 

Drei   Abtheilungen,    I.— III.    Abth,     1,,    2,   Lfg,     Mit    zwei    Tafeln  und 
fünf  Holzschnitten,   gr,   8.    1877  —  1880,         6,/?.  70  7a-.  —  13  M.  40  Pf. 
(III,  3,  Lfg.  [Schluss]    unter  der  Presse.) 


Druck  von  Adolf  Holzliausen, 
k.  k.  Hof-  uiiil  Universitäts-Buchdrucker  in  Wien.